missio Aachen
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wenig Bereitschaft, die damit verbundenen Opfer zu bringen. Andererseits<br />
genossen die Städte immer noch die Vorteile der städtischen Bildungseinrichtungen,<br />
die unter türkischer Herrschaft von Franzosen, Briten, Deutschen und<br />
anderen aus unterschiedlichsten Interessen gegründet worden waren. Die Mehrzahl<br />
dieser Einrichtungen war christlich und verfolgte <strong>missio</strong>narische Ziele. Die<br />
Schüler und Studenten kamen entweder aus gutsituierten christlichen Mittelstandsfamilien<br />
oder aus muslimischen Familien mit ähnlichem sozialen Hintergrund.<br />
Im Verlauf von Generationen und durch gemeinsam durchgestandene<br />
harte Zeiten hat sich zwischen diesen beiden Gruppen ein tiefes gegenseitiges<br />
Verständnis entwickelt.<br />
Vor dem Hintergrund von Geografie und Kultur lag der erwartete prozentuale<br />
Anteil von Christen an der Studentenschaft einer lokalen Universität stark<br />
über dem, was man auf der Grundlage der Bevölkerungszusammensetzung der<br />
Region annehmen würde. Als die Universität Bethlehem ihre Pforten öffnete,<br />
gehörten 60 % der Studenten einer der christlichen Kirchen an. Aber allein durch<br />
die Eröffnung der Universität sollte sich die Bedeutung der geografischen und<br />
kulturellen Faktoren verändern. Die Anzahl der immatrikulierten muslimischen<br />
Studenten wurde schnell zu einem kritischen Punkt in dem Bemühen, den<br />
christlichen Charakter der Universität zu bewahren. Aus europäischer Sicht ist<br />
ein erklärter Säkularismus als Garantie akademischer Freiheit geradezu unverzichtbar.<br />
Zieht man jedoch in Betracht, dass es hier um Hochschulbildung in einer<br />
Gesellschaft geht, in der religiöse Indifferenz keine gesellschaftlich anerkannte<br />
Option darstellt, muss diese Sichtweise überdacht werden.<br />
Auswirkungen der Hochschulgründung in Gaza und im<br />
Westjordanland<br />
Durch die Einrichtung eines vierjährigen Studiums mit einem akademischen<br />
Abschluss an der Universität Bethlehem 1973, nur wenige Tage vor dem Jom-<br />
Kippur-Krieg, wurde eine ganze Welle von Hochschulprojekten in privater<br />
Trägerschaft in Gaza und im Westjordanland ausgelöst. Ermutigt durch die<br />
Eröffnung der Universität Bethlehem wurden weitere akademische Projekte ins<br />
Leben gerufen, die anderen religiös oder lokal klar definierten Schichten der palästinensischen<br />
Gesellschaft ähnliche Bildungsmöglichkeiten anboten. Das zweijährige<br />
Junior College, ein Unternehmen der lutherischen Familie Nassir in<br />
Bier Zeit, hervorgegangen aus einer ehemaligen Vorbereitungseinrichtung für die<br />
Amerikanische Universität von Beirut, bot ab 1974 ein vierjähriges Studium mit<br />
einem akademischen Abschluss an. Sechs Jahre später wurde die Islamische<br />
Akademie Nablus, die ein Projekt der Familie Masri war, zur „Nationalen Universität<br />
von Al Najjar”. In Hebron wurde eine Universität gegründet, und Gaza<br />
hatte am Ende zwei Hochschulen. Die israelische Besatzungsbehörde nahm für<br />
sich in Anspruch, diese Entwicklung ins Rollen gebracht zu haben. Nach der<br />
Annektierung des Westjordanlandes durch Jordanien 1951 war eine Hochschulausbildung<br />
nur an der Jordanischen Universität in Amman möglich gewesen. Der<br />
Beitrag Israels bestand lediglich darin, die Gründung dieser palästinensischen<br />
Hochschulen und Universitäten nicht zu verhindern. Die Besatzungsmacht leistete<br />
jedoch keinerlei finanzielle oder sonstige Hilfe und sorgte auch nicht für die<br />
akademische Anerkennung der Institutionen.<br />
Seit 1973 befand sich das Hochschulwesen im besetzten Palästina fast ausschließlich<br />
in den Händen von selbst ernannten Hochschulpräsidenten, die nach<br />
eigenen Vorstellungen strukturierten Bildungseinrichtungen vorstanden. Zur Vermeidung<br />
von anarchischen Zuständen im Wissenschaftsbereich wurde der Rat<br />
für das Hochschulwesen im Westjordanland und im Gaza-Sektor (Council for<br />
Higher Education, West Bank and Sector Gaza) gegründet, der sich aus den Leitern<br />
der Institutionen sowie deren Vertretern zusammensetzte. In Ramallah wurden<br />
die Büros des Rates eingerichtet und man hoffte, dass diese Stelle die Hochschulausbildung<br />
durch eine Kontrolle bei der Einführung neuer Kurse und das<br />
Vermeiden der Doppelung schon bestehender Angebote in geordnete Bahnen<br />
lenken könnte. In der besetzten Zone gab es einen akuten Mangel an ausgebildeten<br />
und qualifizierten Universitätsdozenten – 1973 etwa gab es in ganz Palästina nur<br />
einen Doktor der Mathematik. Seine Autorität bezog der Rat aus der Tatsache,<br />
dass eine seiner wichtigsten Funktionen die Entwicklung von Standards für die<br />
Verteilung der erheblichen Finanzzuwendungen war, die von der arabischen Welt<br />
für die Hochschulausbildung in den besetzten Gebieten bereitgestellt wurden.<br />
Von den Universitäten im Westjordanland und in Gaza verliehene Diplome<br />
mussten jedoch immer noch vom jordanischen Bildungsministerium in Amman<br />
gestempelt und gegengezeichnet werden. Ohne diese Anerkennung durch das<br />
Ministerium waren diese Abschlüsse nicht als Zulassung für Lehrer oder andere<br />
Berufe gültig. Allerdings war die Anerkennung der Abschlüsse nur auf jene Einrichtungen<br />
beschränkt, die Mitglieder des Arabischen Universitätsverbandes<br />
waren. Während in Bethlehem der Ausbildung von Schullehrern in der Tradition<br />
von De La Salle viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wurden die Absolventen<br />
des Lehrerkollegs der Universität und der Pädagogischen Fakultät im staatlichen<br />
Bildungssystem Jordaniens lediglich als Lehrer ohne Qualifikation bezahlt.