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Eine Universität für Araber unter amerikanischer Leitung nach<br />
amerikanischem Vorbild<br />
Für Bethlehem brachte die Notwendigkeit einer Mitgliedschaft im Arabischen<br />
Universitätsverband erhebliche Probleme mit sich. Um die Anerkennung der<br />
Abschlüsse zu gewährleisten und Zugang zu den Finanzmitteln aus der arabischen<br />
Welt zu bekommen, musste die Verwaltung der Universität Bethlehem Wege finden,<br />
die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft im Arabischen Universitätsverband<br />
zu erfüllen. Es gibt keine stichhaltigen Beweise dafür, dass die Universität wegen<br />
der Voreingenommenheit gegen Christen an einer Mitgliedschaft gehindert<br />
wurde. Die Universität war jedoch aus einer Sekundarschule hervorgegangen und<br />
hatte von dieser den „Ferman” der osmanischen Hohen Pforte geerbt, der ihr<br />
den Kauf und Besitz von Grundeigentum ermöglichte – ganz im Stil einer französischen<br />
Schule, die gemäß den Verträgen von Miletus und Konstantinopel<br />
bestimmte Freiheiten genoss. Die Universität wurde unter der Leitung von drei<br />
Brüdern des De-La-Salle-Ordens aus den USA eröffnet. Seit der Gründung waren<br />
im Lehrkörper und bei den Verwaltungsangestellten Frauen aus bis zu einem Dutzend<br />
religiöser Gemeinschaften vertreten, wobei nur eine von ihnen aus Palästina<br />
stammte. Kanzler der Universität ist von Amts wegen der Apostolische Delegierte<br />
in Jerusalem und Palästina. Für die Mitgliedschaft im Arabischen Universitätsverband<br />
war es erforderlich, dass die entsprechende Einrichtung auf eine arabische Gründung<br />
zurückgeht, Kurse und Standards anbietet, die vom Verband bestätigt sind,<br />
von einem arabischen Präsidenten geleitet und von einem arabischen Kuratorium<br />
geschützt wird.<br />
Für diese Anforderungen fand man eine Kompromisslösung: Das Kuratorium<br />
setzte sich aus führenden Vertretern der lokalen arabischen Gemeinschaft und<br />
Wirtschaft zusammen. Als erster Vorsitzender wurde Elias Freij gewählt, ein<br />
orthodoxer Christ, der damals gleichzeitig Bürgermeister von Bethlehem war. Das<br />
Amt des Präsidenten nahm Michel Sabbah an, der zu dieser Zeit Gemeindepfarrer<br />
in Amman war und später der erste arabische Würdenträger des wiederhergestellten<br />
Lateinischen Patriarchats in Jerusalem wurde. Die Aufgaben des Präsidenten<br />
waren im Wesentlichen die eines geistlichen Visitators. Nachdem der<br />
Hauptgeschäftsführer der Universität das Amt des Präsidenten abgegeben hatte,<br />
übte er seine Funktion nun unter dem Titel des Vizekanzlers aus. Diese Organisationsstruktur<br />
der Universitätsleitung wurde in Amman und anderswo in so überzeugender<br />
Weise vom Vorsitzenden des Kuratoriums vorgestellt, dass sie vom Verband<br />
akzeptiert wurde und die Universität nun als arabische Universität anerkannt<br />
war. Die Abschlüsse der Universität waren nun gleichermaßen im Westen und<br />
in der arabischen Welt gültig. Von Seiten des Heiligen Stuhls hat sie auch weiterhin<br />
sehr großzügige finanzielle Unterstützung erhalten. Von der Aufnahme in den<br />
Arabischen Universitätsverband bis zur Invasion Kuwaits durch den Irak erhielt<br />
die Universität einen proportionalen Anteil an der erheblichen finanziellen Hilfe,<br />
die von der islamischen Welt bereitgestellt wurde. Die aus dieser Quelle stammenden<br />
Finanzmittel wurden stets zur Deckung der laufenden Kosten verwendet.<br />
Neue Perspektiven für junge Araber<br />
Durch die neu gegründeten Universitäten mit ihrer subventionierten Ausbildung<br />
änderte sich die Einstellung der jungen Palästinenser zur höheren Bildung. Während<br />
es zuvor keine Aussichten auf ein berufliches Weiterkommen gab, hatten junge<br />
Leute nun die Chance, eine akademische Laufbahn oder eine Beamtenlaufbahn einzuschlagen.<br />
Für die weiterführenden Schulen war nun ein Anreiz gegeben, Schüler<br />
gezielt auf die „Tau Ji‘hi” vorzubereiten, die Zugangsprüfung zu den Universitäten<br />
in der arabischen Welt. Dank ihres hervorragenden akademischen Rufs und der für<br />
die Region relevanten Studiengänge war die Universität Bethlehem eine der führenden<br />
Kräfte in dieser Bewegung und deshalb für viele der Studenten der Studienort<br />
ihrer Wahl. Viele Studenten und Studentinnen aus den Dörfern der Region, aus den<br />
drei in der Stadt befindlichen Flüchtlingslagern, aus den Lagern in Nablus, Jericho<br />
und Halhoul sowie aus Gaza schrieben sich an der Universität ein. Bis 1979 fiel der<br />
Anteil der Christen unter den Studenten auf knapp über 40 %. Während sich der<br />
Einzugsbereich insgesamt vergrößerte, fiel der Anteil der Christen durch die Emigration<br />
immer weiter. Derzeit stellen die Christen im Westjordanland und Gaza ungefähr<br />
2 % der Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ist es eine der wesentlichen<br />
Aufgaben für die Universitätsleitung, die christliche Ethik an der Einrichtung zu<br />
bewahren und darauf zu achten, dass den islamischen Studenten und Dozenten<br />
eine wahrhaft christliche und brüderliche Haltung entgegengebracht wird.<br />
Ein neues Forum für den Austausch zwischen Muslimen<br />
und Christen<br />
Für viele der aus den Dörfern kommenden jungen Männer und Frauen war die<br />
Universität die erste Möglichkeit, mit Christen frei und gleichberechtigt in Kontakt<br />
zu kommen. Sofern vorher überhaupt Kontakte stattgefunden hatten,<br />
beschränkten sie sich auf Kontakte zu Touristen und Pilgern, auf Situationen also,<br />
bei denen die Rollen der Beteiligten bereits festliegen. Während christliche<br />
Familien dazu neigten, die Universität gewissermaßen als ihr „Eigentum” zu<br />
betrachten, bewegten sich viele junge Christen an der Universität zum ersten<br />
Mal außerhalb des geschützten kirchlichen Rahmens, den ihnen die freien,<br />
Schulgeld erhebenden Schulen geboten hatten.