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„Systemkompetenz“ in der Forensischen Psychiatrie - Lehranstalt für ...

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WAGNER ><br />

e<strong>in</strong>er spezifischen psychotherapeutischen o<strong>der</strong> kl<strong>in</strong>isch –<br />

psychologischen Theorie und ihrer Leitdifferenzen<br />

jeweils spezifische Unterschiede und damit Realitäten<br />

erzeugt werden. „Die Theorie bestimmt, was wir sehen<br />

können“ – im Falle <strong>der</strong> Systemtheorie, als e<strong>in</strong>er Metatheorie<br />

des Beobachtens, gel<strong>in</strong>gt häufig das Sichtbarmachen<br />

<strong>der</strong> getroffenen Unterscheidungen und damit auch<br />

die Identifikation <strong>der</strong> „bl<strong>in</strong>den Flecke“ verschiedener<br />

Theorien. Damit soll die Nutzung von Expertenwissen,<br />

von kl<strong>in</strong>ischen Theorien verschiedener Provenienz ke<strong>in</strong>eswegs<br />

<strong>in</strong> Frage gestellt werden: Entsprechend e<strong>in</strong>em<br />

Verständnis von Systemtheorie als e<strong>in</strong>er Theorie <strong>der</strong><br />

Beobachtung zweiter Ordnung ist die Nutzung von<br />

solch spezifischem „Wissen“ solange legitim, als e<strong>in</strong>e<br />

exakte, logische Buchhaltung sicherstellt, dass Beobachtungen<br />

erster und zweiter Ordnung unterschieden werden.<br />

Expertenwissen kann es immer nur bei <strong>der</strong> Beobachtung<br />

erster Ordnung geben. Der wertvolle Beitrag,<br />

den systemische TherapeutInnen <strong>in</strong> solchen Fachdiskussionen<br />

leisten können, ist weniger die Formulierung<br />

e<strong>in</strong>er zusätzlichen kl<strong>in</strong>ischen Theorie als die Anregung<br />

jener Reflexionsleistung, die nachzeichnet, <strong>in</strong> welcher<br />

Art <strong>der</strong> vor dem H<strong>in</strong>tergrund e<strong>in</strong>er bestimmten Theorie<br />

erhobene Befund von <strong>der</strong> Theorie und damit vom Beobachter<br />

und nicht vom Beobachteten bee<strong>in</strong>flusst wird.<br />

Wichtig ist dabei, dass es gel<strong>in</strong>gt, dies nicht als Entwertung<br />

<strong>der</strong> fachspezifischen Theorien im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Radikal<strong>in</strong>fragestellung<br />

von Erkenntnismöglichkeit, son<strong>der</strong>n<br />

als Methode zur selbstreflexiven Vertiefung des Erkenntnisaktes<br />

zu formulieren.<br />

C) SYSTEMKOMPETENZ IM UMGANG<br />

MIT DEN KONTEXTABHÄNGIGEN SCHWIERIGKEITEN<br />

DES MASSNAHMENVOLLZUGS<br />

Bei diesen kontextabhängigen Schwierigkeiten handelt<br />

es sich vor allem um die Vermischung <strong>der</strong> Therapeutenrolle<br />

mit Aspekten <strong>der</strong> sozialen Kontrolle und das Teilhaben<br />

des Therapeuten an <strong>der</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Macht<br />

<strong>der</strong> Vollzugsanstalt.<br />

Es sche<strong>in</strong>t nahezuliegen, das Problem <strong>der</strong> Rollenverquickung<br />

aus sozialer Kontrolle und Therapie zu lösen,<br />

<strong>in</strong>dem man externe (<strong>in</strong>stitutionsfremde) o<strong>der</strong> semi-<strong>in</strong>tegrierte<br />

Therapeuten mit <strong>der</strong> psychotherapeutischen Versorgung<br />

beauftragt. Gleichzeitig würde man aber auf diese<br />

Weise auf die Vorteile verzichten, die e<strong>in</strong>e therapeutische<br />

Institution bietet: <strong>der</strong> Therapeut verliert se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss<br />

auf das Geschehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Institution, es können die<br />

an<strong>der</strong>en Mitarbeiter nicht <strong>in</strong> den therapeutischen Prozess<br />

mite<strong>in</strong>bezogen werden, wodurch das Risiko <strong>in</strong>konsistenten<br />

Verhaltens verschiedener Berufsgruppen wächst.<br />

Gleichzeitig werden Spaltungsprozesse bei den Insassen<br />

(„guter Therapeut“, „böse Anstalt“) geför<strong>der</strong>t.<br />

In <strong>der</strong> systemischen Literatur hat die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

mit therapeutischen Institutionen e<strong>in</strong>e erst kurze<br />

Tradition. Die Übernahme von Kontrollfunktion wird<br />

dabei kontroversiell beurteilt. Während e<strong>in</strong>ige Autoren<br />

an ihrer Expertenschaft <strong>für</strong> Kommunikation festhalten<br />

und sich dementsprechend als Gäste im Zwangskontext<br />

def<strong>in</strong>ieren, sprechen sich an<strong>der</strong>e <strong>für</strong> die explizite Übernahme<br />

e<strong>in</strong>er parentalen Funktion aus (vgl. Pleyer 1996).<br />

Die Pioniere auf dem Gebiet <strong>der</strong> therapeutischen Institutionen<br />

– August Aichhorn, Fritz Redl, Edward Glover<br />

o<strong>der</strong> Tilman Moser – stehen e<strong>in</strong>em psychodynamischen<br />

Therapieverständnis nahe und prägten Begriffe wie<br />

„therapeutisches Milieu“, „hygienische Atmosphäre“<br />

(<strong>für</strong> die Ausschaltung aller krankmachenden Umweltfaktoren)<br />

und „aufgeteilte Übertragung“ <strong>für</strong> Übertragungsphänomene,<br />

die sich unter mehreren Mitglie<strong>der</strong>n<br />

des therapeutischen Teams aufteilten. Für die genannten<br />

Autoren war e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nige Zusammenarbeit von Psychotherapeuten<br />

und Betreuungspersonal e<strong>in</strong>e conditio s<strong>in</strong>e<br />

qua non therapeutischer Institutionen.<br />

Die Implikationen <strong>der</strong> dabei auftretenden Rollenkonfusion<br />

von sozialer Kontrolle und Therapie <strong>für</strong> den Therapieauftrag<br />

und die therapeutische Beziehung, vor allem<br />

aber die Möglichkeiten, damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er systemischen<br />

Perspektive konstruktiv umzugehen, ist Inhalt me<strong>in</strong>er<br />

weiteren Ausführungen.<br />

Laut Ludewig führt nur explizites Hilfesuchen bei <strong>der</strong><br />

Lösung e<strong>in</strong>es verän<strong>der</strong>ungswürdigen und verän<strong>der</strong>baren<br />

Problems zu Therapie. Für Psychotherapie im Zwangskontext<br />

ist h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e „gemischte Auftragslage“ charakteristisch.<br />

Aber auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> familientherapeutischen<br />

Praxis ist das Ideal <strong>der</strong> völlig freiwilligen Therapie mit<br />

18 SYSTEMISCHE NOTIZEN 02/04

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