FOTO: TOM MAERCKER Titelthema: <strong>Aufbruch</strong> <strong>1.0</strong>
0.9 __ //// TITELTHEMA Zwischen Wunsch und Wirklichkeit PHILIP RÖSSNER „Er ist wieder da, zur Freude vieler und auch zu meiner eigenen. Schon vor einem Jahr hätte ich ihn eigentlich als Chefredakteur 'übernehmen' sollen, und ich war bereits in der Planung einer redaktionellen Neugestaltung, als das Aus kam: Geld und verlegerisches Interesse hatten sich zu Ende geneigt. Aber da war der »Kulturspiegel« war bereits zu 'meinem' Projekt geworden, und seither bewegt mich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven der feine Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Warnungen gab es zunächst viele. Sich keinesfalls ohne finanziellen Rückhalt in ein Risiko stürzen, unbedingt einen Verleger mit Know-how und Sinn für den »Kulturspiegel« finden, auf jeden Fall Aufgaben und Arbeitsfelder strukturell gliedern und auf verschiedene Schultern verteilen. Ich habe mich letztlich, nach unzähligen Sondierungsgesprächen, Planungsdebatten und Verhandlungen, dennoch für den weitgehenden Alleingang entschieden. Der »Kulturspiegel« ist ein Liebhaberprojekt, mit dem sich kein Geld verdienen lässt, und kann tatsächlich nur die Angelegenheit eines Idealisten sein, wie ich einer bin. Es gibt so etwas wie die Realität geistiger Grundbedürfnisse. Dass <strong>Rostock</strong> unter einem eklatanten Mangel an selbstbewusster, visionärer und mitreißender Kraft leidet, ist eine unwiderlegbare Tatsache. Und welchen Schaden das kollektive Diskursvermögen über die Jahre bereits genommen hat, zeigte die verschenkte Debatte um den Theaterschließungsskandal und das gescheiterte Forum 'Kultursalon' in diesem Frühjahr noch einmal auf schmerzhafte und zugleich hilfreiche Weise: Die breite Unterstützung für den »Kulturspiegel« ist auf den abermaligen Überdruss am steten Verpuffen von Initiativen und Impulsen zurückzuführen. Es wäre schön, der »Kulturspiegel« wäre in kürzester Zeit das beliebt-erfolgreiche Stadtmagazin, das ausnahmslos jeder <strong>Rostock</strong>er erwirbt, um im Bilde und Teilnehmer eines lebhaften Austauschs zu sein. Es ist eine interessante Erfahrungen, von solch eitlen Wünschen angetrieben zu sein und die erste bescheidene Ausgabe in der Hand zu halten. Das Nebeneinander von Verwirklichtem und Verhunztem, Erreichtem und Gescheitertem drängt nach Weiterentwicklung und Weiterstrebung. Aber die eigentliche Motivation nährt sich ganz woanders. Es ist die lebhafte Erfahrung von Zuspruch, Ermutigung, konstruktiver Kritik, spontaner Hilfe, kollegialem Entgegenkommen, Glückwünschen und Solidaritätsbekundungen unzähliger Menschen, die <strong>Rostock</strong> mit einem erbaulichen Lebensgefühl verbinden wollen. Für einen Dazugekommenen eine unbeschreibliche Ehre, diese damit verknüpfte Aufgabe innezuhaben. Wie sieht nun die Zukunft aus? Werde ich in der Lage sein, den »Kulturspiegel« zu einem pfiffigen Stadtmagazin zu entwickeln, ihn auf solide wirtschaftliche Füße zu stellen und die immense Arbeitsbelastung noch lange durchstehen? Es wäre reines Wunschdenken, daran vorbehaltlos zu glauben – und Resignation, nicht daran zu glauben. Ende September überschritt ich den 'Point of no Return' mit der Einsicht, dass von nun an Ängste, Verzagtheit und Mutlosigkeit schlechte Begleiter sind. Vor dem Scheitern habe ich keine Angst – ohne umgehenden Erfolg wird das Projekt angesichts mangelnder Liquidität bald und bei überschaubarer Schuldenbelastung eingestellt werden müssen. Hin und wieder denke ich daran, aber nur kurz. Ich erlebe viel konstanter und intensiver, wie durch engagiertes Miteinander eine inspirierende Eigendynamik entsteht, in der Wunsch und Wirklichkeit ihren gemäßen Platz haben. Und sollte ihm soviel Glück beschieden sein, wie dem »Kulturspiegel« gewünscht worden ist, dann hat sich eine Herzensangelegenheit als die bessere Vernunft erwiesen.“