24.11.2013 Aufrufe

Aufbruch 1.0 - Stadtgespräche Rostock

Aufbruch 1.0 - Stadtgespräche Rostock

Aufbruch 1.0 - Stadtgespräche Rostock

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

0.28 __ //// TITELTHEMA<br />

des <strong>Rostock</strong>er Wohnprojekts für alleinerziehende Frauen und ihre<br />

Kinder 1998 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland<br />

erhielten.<br />

Doch nicht alle Hoffnungen und Visionen haben sich für uns erfüllt.<br />

So hatten wir geglaubt, breitere Schichten mit unseren Ideen zu erreichen<br />

und auch zu begeistern. Obwohl durch die Projekte zahlreiche<br />

Frauen angesprochen wurden und werden, beschränkt sich der Kreis<br />

der politisch aktiven Frauen weitestgehend auf die akademische Mittelschicht.<br />

Gerade erwerbslose Frauen konnten wir kaum erreichen<br />

und zu politischen Aktionen oder zu ehrenamtlicher Mitwirkung<br />

mobilisieren. Bis heute ist eine sichere und langfristige Finanzierung<br />

für Frauen- bzw. gleichstellungspolitische Projekte nicht möglich.<br />

Von den Träumen an ein Bildungshaus „Academia Nordica“ an der<br />

Ostsee oder an ein Frauengesundheitszentrum für Mecklenburg-Vorpommern<br />

haben wir uns nach vielen Jahren vergeblicher Machbarkeitsprüfung<br />

verabschieden müssen.<br />

Während es uns in den Anfangsjahren verschiedentlich gelang, frauenpolitisch<br />

denkende und engagierte Frauen in politische Ämter zu<br />

wählen, verhindern heute ein starres Parteiensystem und die Wahlgesetzgebung,<br />

dass kleine Gruppierungen in die Parlamente einziehen.<br />

Auch alte Vorurteile gegenüber Frauen die sich für Fraueninteressen<br />

einsetzen und Begriffe wie „Emanzen“ haben sich standhaft gehalten.<br />

Auf der anderen Seite erleben wir jedoch in vielen Situationen eine<br />

zunehmende Akzeptanz und einen selbstverständlicheren Umgang<br />

mit dieser Thematik.<br />

Was hat sich heute verändert? Aus Frauenprojekten sind „Gender“projekte<br />

geworden. Die Beschäftigung erfolgt nicht mehr über<br />

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, sondern<br />

über eine angemessenere Bezahlung in allerdings oft nur befristeten<br />

Projekten. Die Arbeit ist professioneller und auch bürokratischer<br />

geworden. In der Zeit der Wende waren vor allem Initiativgeist<br />

und Vertrauen in die eigene Kraft die notwendigen Voraussetzungen<br />

für die Mitarbeit in einem Frauenprojekt. Tätigkeiten wie einen Beschlussantrag<br />

für den „Runden Tisch“ zu formulieren, eine Vereinssatzung<br />

zu erarbeiten, einen ABM-Antrag zu schreiben oder ein Faxgerät<br />

zu bedienen, wurden „nebenbei“ und oft unter hohem Kräfteverschleiß<br />

erlernt. Wer heute, ob als bezahlte Projektmitarbeiterin<br />

oder ehrenamtliche Vorstandsfrau, tätig werden will, muss vom ersten<br />

Tag an über viele Kompetenzen verfügen. Sonst ist das Arbeitspensum<br />

nicht zu bewältigen. Diese gestiegene Effizienz der Arbeit hat ihren<br />

Preis. Eine gemütliche Mittagsrunde zusammen mit Kindern -<br />

wie damals vor 16 Jahren – ist unter den jetzigen Bedingungen kaum<br />

mehr vorstellbar. Freiräume für Experimente und neue Ideen müssen<br />

wir uns gegen den Sog der Alltagsroutinen erst bewusst schaffen. Anfang<br />

der 1990er Jahre war jeder neue Tag wie selbstverständlich angefüllt<br />

von Möglichkeiten des Ausprobierens und gemeinschaftlichen<br />

Lernens.<br />

Das Beginenhaus am Rosengarten und auch das Wohnprojekt für alleinerziehende<br />

Frauen entstanden mit viel Begeisterung in ungezählten<br />

Wochenendeinsätzen mit zahlreichen freiwilligen Helfer/innen.<br />

Solche Art gemeinsamen Arbeitens findet nur noch selten statt.<br />

Wenn heute Räume im Heiligengeisthof renoviert werden müssen,<br />

wird eine Firma dafür bezahlt. Der Beginenhof in der Südstadt hat<br />

für diese Arbeiten seit langem eine Hausmeisterin angestellt. Die Logik<br />

der Dienstleistungsgesellschaft hat auch uns eingeholt.<br />

Auch unsere Aktionsbereiche haben sich verschoben. Während wir<br />

früher bei jeder sich bietenden Gelegenheit den öffentlichen Raum<br />

besetzten, zum Frauenstreiktag aufriefen (1994), in nächtlichen Aktionen<br />

Straßenschilder mit Frauennamen neu beschrifteten, Demonstration<br />

gegen den §218 organisierten und mit Ständen auf dem Uniplatz<br />

und Boulevard präsent waren, agieren wir heute vorwiegend in<br />

kommunalen und landesweiten Gremien, schreiben Petitionen und<br />

organisieren Bildungs- und Kulturveranstaltungen. Die Arbeit ist anders<br />

geworden – Wirkungen zeigen beide Wege.<br />

Zugegebenermaßen erzeugt die Erinnerung an die Zeit der 1990er<br />

ein wenig Wehmut. Unsere damalige Unbefangenheit - manchmal<br />

auch Unbedarftheit - haben wir verloren, unsere Träume und einmaligen<br />

Erfahrungen bleiben. Der Blick zurück und in die Gegenwart<br />

sagt uns, dass wir stolz sein können, aber auch, dass wir ab und zu<br />

Luft holen und der schnelllebigen und fordernden Zeit etwas entgegensetzen<br />

müssen – zum Beispiel ein gemeinsames Mittagessen! ¬

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!