Aufbruch 1.0 - Stadtgespräche Rostock
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Eine solche Herangehensweise lässt uns immer wieder an die Grenzen<br />
stoßen und zwingt uns zur Auseinandersetzung mit den Vorgaben der<br />
Gesellschaft. Zum Beispiel beim Saatgut. Die meisten Menschen in<br />
den Industriestaaten sind von der Urproduktion der Nahrung schon<br />
so entfremdet, dass sie kaum merken, wie sich zehn große Konzerne<br />
55 Prozent der Weltsaatgutproduktion angeeignet haben. Die gleichen<br />
Konzerne wollen, u. a. durch die Forcierung der Gentechnik,<br />
auch die restlichen 45 Prozent an sich reißen. Die Auswirkungen der<br />
gentechnisch manipulierten Pflanzen und Tiere auf die Biodiversität<br />
sind jetzt schon schwindelerregend.<br />
Zu diesen Problemen haben wir, gemeinsam mit anderen, im Mai vorigen<br />
Jahres ein internationales Treffen organisiert, an dem sich BäuerInnen,<br />
ZüchterInnen, GärtnerInnen aus 25 Ländern über die Lage<br />
ausgetauscht haben. Die Ergebnisse sind in einer Broschüre nachzulesen,<br />
die wir erarbeitet haben.<br />
Um diese Situation anschaulich werden zu lassen auch für Menschen,<br />
die nicht direkt damit konfrontiert sind, haben wir einen Schaugarten<br />
mit verschiedenen Weizensorten angelegt, dazu eine Strecke zur<br />
Reinigung, Trocknung und Lagerung des Getreides errichtet. Am 19.<br />
Juli 2008 kann man dies während des Tages der offenen Tür ansehen<br />
und Produkte aus verschiedenen Getreidesorten verkosten.<br />
Die Vernichtung der bäuerlichen Landwirtschaft schreitet weltweit<br />
fort. Die BäuerInnen, die bisher ein wesentliches Grundbedürfnis der<br />
Menschen – das Essen – befriedigt haben, verschwinden. Pflanzen<br />
und Tiere werden behandelt wie leblose Dinge – es sind Produktionsgrößen,<br />
die industriell bearbeitet werden. In bunter, glänzender Verpackung<br />
werden die Ergebnisse dieses Prozesses in Supermärkten zu<br />
billigen Preisen angeboten oder zu etwas höheren Preisen im Biosupermarkt.<br />
Die Bedingungen, unter denen das Essen produziert wird,<br />
hat lange Zeit die meisten Menschen in den Industriestaaten kaum<br />
interessiert. Erst seit es immer mehr Lebensmittelskandale gibt, sind<br />
viele wieder sensibler geworden. So gingen mit uns zum Tag der globalen<br />
Landwirtschaft während des Treffens der G 8 in Heiligendamm<br />
rund 4000 Menschen auf die Strasse. Wie wir daran anschließen können,<br />
wollen wir am 14. Juni während eines Treffens auf dem Hof mit<br />
allen Interessierten bereden.<br />
Vor nunmehr 19 Jahren, am Tag der Maureröffnung, überfielen mich<br />
zwei unterschiedliche Gefühle: Für den Kapitalismus gibt es nun<br />
nicht mehr das Korrektiv „sozialistische Staaten“; das Prinzip, für 300<br />
Prozent Profit über Leichen zu gehen, wird weltweit um sich greifen.<br />
Und: Nun sitzen wir wirklich alle im gleichen Boot und müssen gemeinsam<br />
die Zerstörung der Welt aufhalten.<br />
Angesichts der gegenwärtigen Situation habe ich noch immer den<br />
gleichen Traum wie vor nunmehr zwei Jahrzehnten: Viele, viele Menschen<br />
desertieren die gegebenen Strukturen und suchen gemeinsam<br />
nach weltumspannenden solidarischen Lebensformen. Wer sich auf<br />
die Suche macht, wird erstaunt sein, wie viele schon unterwegs sind<br />
und wo überall man sie antrifft … ¬<br />
FOTO: TOM MAERCKER