Aufbruch 1.0 - Stadtgespräche Rostock
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0.36 __ //// REZENSIONEN: GELESENES<br />
"I speak Gulasch"<br />
Erfahrungen mit Sprache von Augustinus bis Zaimoglu, Berlin bis Balkan<br />
JENS LANGER, REDAKTIONSMITGLIED<br />
Brigitta und Thomas Busch (Hg.), Mitten durch meine Zunge. Erfahrungen<br />
mit Sprache von Augustinus bis Zaimoglu, Drava-Verlag: Klagenfurt<br />
2008. 256 S. Euro 22,00<br />
ISBN: 978-3-85435-530-4<br />
Der österreichische Germanist Werner Wintersteiner hat den Einfluss<br />
der sogenannten kleinen Sprachen und ihrer Literaturen auf die<br />
heute vorherrschenden Kulturen untersucht und im Ergebnis einen<br />
erheblichen Einfluss der Kleinen auf die Mächtigen festgestellt. Als<br />
bisheriges Ergebnis seiner Forschungen hat er das Besondere und Andere<br />
als einen Wesenszug der computerisierten Weltmoderne herausgearbeitet<br />
(W. Wintersteiner, Poetik der Verschiedenheit. Literatur,<br />
Bildung, Globalisierung, Klagenfurt 2006).<br />
Diese spannende Theorie wird durch den Sammelband des Ehepaars<br />
Busch in zahlreichen Facetten zum anschaulichen Lese- und Hörstück<br />
(mit Verlaub zu sagen). "Bei uns zu Tisch (...) reicht man das<br />
Salz auf Italienisch, Serbokroatisch oder Kroatoserbisch, Deutsch,<br />
Ungarisch, Türkisch herum, im fiumanisch-triestiner Dialekt, im<br />
istrovenetischen, im napolitanischen, im cakavischen Dialekt und<br />
manchmal auch auf Englisch oder Französisch, da unsere Mutter in<br />
London ihre schönen Zeiten verbracht hat und ihr Vater ebensolche,<br />
nachdem unser Vater auf eine Mine getreten und daran gestorben<br />
war, in Paris", lässt die Kroatin Kenka Lekovich eine Grenzexpertin<br />
erklären, diesseits und jenseits vieler ehemaliger und noch wirkender<br />
Schlagbäume zu Hause.<br />
Was hier und auch bei anderer Verfasserschaft in der Melange einer<br />
linguistischen Grenzwertigkeit zutage tritt, wird aber ebenso höchst<br />
theoretisch reflektiert. So stellt der 1930 als Sohn einer jüdischen Familie<br />
in Algerien geborene französische (!) Philosoph Jaques Derrida<br />
die zunächst verblüffende, aber mit Blick auf unser Eingangszitat<br />
ebenso einleuchtende Doppelthese auf: Ich spreche immer nur eine<br />
Sprache. Ich spreche niemals nur eine einzige Sprache. So abstrakt<br />
diese These vorerst klingt, wird sie durch Arroganz und Gestammele,<br />
Pantomime und philologische Verstümmelungen selbst und gerade<br />
auch sprachunwilliger Touristenscharen (oder reisender Einzelgänger)<br />
plastisch belegt. Denn am Anfang scheint es immer nur eine<br />
Sprache zu geben, findet die vorwiegend Französisch schreibende<br />
Ungarin Agota Kristof, und sie verbindet damit die Geschichte eines<br />
<strong>Aufbruch</strong>s aus einer vertrauten Welt von Äußerungen, die für sie aber<br />
eines immer bleibt: ihre Muttersprache.<br />
Ovid und Augustinus, Rose Ausländer und Elias Canetti, Klaus<br />
Mann und Ulla Hahn, Inge Deutschkron und Helen Keller, Chinua<br />
Achebe und Marina Zwetajewa (mit einem Brief an Rilke) sind unter<br />
den von den beiden Buschs ausgewählten 49 Sprach-Schreibern. Aber<br />
am stärksten, farbigsten und nachhaltigsten wird die Kultur der Verschiedenheit<br />
bei aller Globalisierung von Menschen aus Grenzregionen<br />
beschrieben und gelebt. Mauern und elektronische Zäune, Mobilität,<br />
Abschottung und Immigration, Exil und Asyl, Ängste und deren<br />
Überwindung werden als Signaturen heutiger Welterfahrung drastisch<br />
sichtbar, ohne dass der sesshafte und eingesessene Teil der jeweils<br />
örtlichen Menschheit in Grenzferne insgesamt dieses schon begriffen<br />
haben müsste. Es sind meistens fremde Namen, die diesen außerordentlich<br />
besonderen Glanz von Welthaftigkeit verbreiten. Sie<br />
machen auf sich und dieses Buch neugierig - und dazu noch auf ihre<br />
Region, ihre Kultur, Sprache und Literatur, auf ihre Mitmenschen.<br />
¬<br />
Sozialismus oder Hochschulerneuerung - Periodisierung und Handwerk als Alternativen ?<br />
Zwei Schriften zur Universitätsgeschichte<br />
JENS LANGER, REDAKTIONSMITGLIED<br />
Kersten Krüger (Hg.), Die Universität <strong>Rostock</strong> zwischen Sozialismus<br />
und Hochschulerneuerung. Zeitzeugen berichten.Teil 1. <strong>Rostock</strong>er Studien<br />
zur Universitätsgeschichte Band 1, Universität <strong>Rostock</strong> 2007.371<br />
S. ISBN 978-3-86009-01-5<br />
Bezug: Universität <strong>Rostock</strong>/Universitätsarchiv<br />
Universitätsplatz 1 18051 <strong>Rostock</strong>. Tel. + 49-381 498 8621 Fax: +49-<br />
381 498 8622<br />
Martin Guntau/Michael Herms/Werner Pade (Hgg.), Zur Geschichte<br />
der wissenschaftlichen Arbeit im Norden der DDR 1945-1990. 100.<br />
<strong>Rostock</strong>er Wissenschaftshistorisches Kolloquium 23.-24.2. 2007.194 S.<br />
Bezug: Rosa-Luxemburg-Stiftung Augustens tr. 78 18055 <strong>Rostock</strong> Tel.<br />
+49-3814900450/2 Fax: +493814900451<br />
Das Universitätsjubiläum 2019 wirft seine Schatten voraus. Niemand<br />
weiß heute, in welcher Kriegsherren Pflicht die Universität dann stehen<br />
wird, aber sie wird jedenfalls den dominanten Mächten zu Munde<br />
reden, wenn man die Bände der Historie der Alma Mater von<br />
1919, 1969 und 1994 zum Maßstab nimmt. Die Wirtschaft wird<br />
das, was sie Elite nennt, streng selektiert haben bis dahin. "Moneta<br />
multiplex - veritas nulla" könnte dann der Wahlspruch überm Hauptportal<br />
heißen, dessen klassische Form viele aus der Wissenschaftgesellschaft<br />
1989 als stimulierend für die Corporate Identity of Scientific<br />
Sommunity wiederentdeckten: "Doctrina multiplex - veritas una."<br />
Um der hier soeben praktizierten düsteren Grundierung des Universitätsgemäldes<br />
zwischen Profit und Ideologie zu entgehen, werden in<br />
der vorbereitenden Forschung prophylaktisch Zeitzeugen zwecks Ergänzung<br />
späterer Quellenerkundung befragt, und sie äußern sich<br />
auch vernehmlich. Das tut neben reichlich anderen z. B. Günter Heidorn,<br />
unvergessener Rektor 1965-1976, reichlich Ämter vor- und<br />
hinterher. Mir fällt bei der Lektüre seiner Äußerungen ganz unwillkürlich<br />
die Gedenktafel für Anna Karschin in der Sophienstraße,<br />
Berlin Mitte, ein: Wanderer, kanntest Du sie nicht, so lerne sie kennen.<br />
Wenn man seine Darstellung nun so lesen muss, nimmt man es<br />
ihm ab, dass er in seinem Leben "trotz mancher Katastrophen eigentlich<br />
immer viel Glück" gehabt hat. In die Funktion des Prorektors ist<br />
er z.B. ohne Professur "mehr oder weniger geschoben worden". In 67