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August/September 2001 - Der Fels

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Menschliche Größe oder perfektes Genom?<br />

Forschung ohne Grenzen, Markt ohne Preis / Vom Sinn des Leidens oder<br />

Was Behinderte und Genies uns in der Bioethik-Debatte zu sagen haben<br />

Von Jürgen Liminski<br />

Das Gute und Schöne hat<br />

Konkurrenz bekommen. Es<br />

ist der Standort. In jeder<br />

Diskussion über ethische Fragen<br />

wird neuerdings der Standort<br />

Deutschland als Argument genannt.<br />

Das ist zwar meistens sachfremd,<br />

hat aber den Vorteil, den<br />

Gegner in der Diskussion zu erschlagen.<br />

Vor allem wenn es um<br />

Arbeitsplätze oder Wettbewerbsfähigkeit<br />

im internationalen Konzert<br />

geht. Nun wäre dies Argument<br />

leicht zu widerlegen. Aber im emotional<br />

überschwenglichen Deutschland<br />

geht es in der öffentlichen Debatte<br />

nicht nur um Sachlichkeit und<br />

Stimmigkeit, geschweige denn um<br />

Wahrheit, sondern auch um die<br />

Anzahl derer, die ein Argument<br />

vertreten, also die Abstützung<br />

durch die Demoskopie, und um die<br />

Art und Weise sowie das Amt, das<br />

einen Diskutanten offenbar mit besonderer<br />

Autorität ausstattet. Wenn<br />

etwa der Präsident der Deutschen<br />

Forschungsgesellschaft Ernst Ludwig<br />

Winnacker oder der Bundeskanzler<br />

das Wort von der Aufklärung<br />

und dem Dienst am Menschen<br />

beschwören oder ein Plädoyer<br />

für den Standort Deutschland<br />

halten, dann werden Andersdenkende<br />

amtlich und wissenschaftlich<br />

verfemt, dann wird der<br />

Dialog zum Monolog einer Denkkaste.<br />

So geschehen Anfang Juli<br />

während der Jahresversammlung<br />

der Deutschen Forschungsgesellschaft.<br />

<strong>Der</strong> Monolog gilt der Bioethik<br />

und der Kritik an den Absichten<br />

der Schröder-Gruppe, hier „ohne<br />

Scheuklappen“ das Ziel der Arbeitslosigkeit<br />

zu bekämpfen und<br />

damit die Macht des rotgrünen<br />

Kanzlers zu sichern. Wenn es nur<br />

um Fragen der Gesundheit und der<br />

Heilungschancen ginge, dann<br />

wäre nicht zu vestehen, warum auf<br />

einmal mit so viel Verve der<br />

schwarzrotgoldene Standpunkt<br />

vertreten werden soll. Denn importieren<br />

könne man doch allemal die<br />

notwendigen Gen-Teile, und in einem<br />

Europa der Freizügigkeit und<br />

des unbegrenzten Binnenmarktes<br />

müßte es auch möglich sein, sich<br />

in Frankreich, England oder Holland<br />

behandeln zu lassen. Warum<br />

sollte der Gesundheitsmarkt nicht<br />

vereinheitlicht werden? Warum<br />

muß Deutschland, ausgerechnet<br />

Deutschland das Experimentieren<br />

am Menschen mitmachen? Warum<br />

sollen alle Begrenzungen in diesem<br />

Bereich fallen und der Selektion<br />

– diesmal nicht nach Rasse,<br />

sondern nach Genom – freie Bahn<br />

geschaffen werden? Und für die<br />

Forscher a la Winnacker stellt sich<br />

die Problematik ähnlich dar. Sie<br />

wollen forschen ohne Begrenzung,<br />

auch ohne ethische, ganz edel „als<br />

Dienst am Menschen“. Dass dabei<br />

andere Menschen, wenn auch erst<br />

in einem ganz frühen Stadium,<br />

aber mit einzigartiger genetischer<br />

Identität, „verbraucht“ werden,<br />

wie es verharmlosend statt „töten“<br />

heißt, darüber darf nicht gesprochen<br />

werden. Das verbietet die von<br />

der Amtsautorität gestützte politische<br />

Korrektheit.<br />

Es geht um Profit. Den Gewinn<br />

der Forscher und den der Machtpolitiker.<br />

Die von Winnacker und<br />

Schröder empört zurückgewiesene<br />

„unzulässige Nähe zu rein wirtschaftlichen<br />

Motiven“ darf man<br />

getrost als Faktum verbuchen. Es<br />

gibt diesen Markt, und je größer<br />

der Marktanteil, umso größer der<br />

politische Einfluss. Die Fachjournalistin<br />

Ursel Fuchs beschreibt in<br />

Unwiderruflicher Schritt von einem<br />

Was zu einem Jemand: <strong>Der</strong><br />

Moment der Verschmelzung von<br />

Samen- und Eizelle. In diesem Moment,<br />

da die Samenzelle in die Eizelle<br />

eindringt, entsteht eine neue<br />

genetische Identität. Dieser Schöpfungsakt<br />

macht das Individuum,<br />

den Menschen, die Person aus.<br />

254 DER FELS 8-9/<strong>2001</strong>

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