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BÜCHER<br />

Idealismus und Spaß<br />

<strong>Die</strong> Bücherflut dieses wettermäßig fast<br />

ausgefallenen Frühlings ist zum großen<br />

Teil in den Medien schon verpufft.<br />

Nur ein winziger Teil der zwischen Februar<br />

und April auf dem deutschen<br />

Buchmarkt erschienen Bücher ist dabei<br />

wirklich wahrgenommen worden.<br />

Von Anlässen getrieben, zum Beispiel<br />

»60 Jahre nach dem Kriegsende«, gab<br />

es eine Schwämme von Titeln zum ent-<br />

Sigrid Grabner/<br />

Hendrik Röder:<br />

Emmi Bonhoeffer.<br />

Essay, Gespräch,<br />

Erinnerung.<br />

Gebunden mit<br />

Schutzumschlag<br />

Lukas Verlag<br />

16,90 Euro<br />

sprechenden Thema. Da platzte Hitlers<br />

Bombe in allen einschlägigen Gazetten,<br />

obwohl sich die Fachleute und Kritiker<br />

einig waren, es handelt sich nur<br />

um einen Blindgänger in der Bücherwelt,<br />

doch alle waren dabei. Auch Einstein<br />

und Schiller haben <strong>als</strong> Jubilanten<br />

dieses Jahres in unzähligen Buchprojekten<br />

Einzug gehalten, vermutlich<br />

um die nächsten fünfzig bis hundert<br />

Jahre wieder in Vergessenheit zu geraten.<br />

Wer weiß eigentlich im Augenblick<br />

noch, welches wirklich die wichtigen<br />

und lesenwerten Bücher der<br />

Saison sind? Ach ja, es gibt die Bestsellerlisten<br />

von Spiegel bis Neues<br />

Deutschland. Und mit ihnen die unerschütterliche<br />

Gewalt der Werbeetats,<br />

die bestimmten Büchern und Verlagen<br />

einen Absatz sichert.<br />

Natürlich gibt es auch immer mal einen<br />

Zufall. Für einen solchen hat der<br />

Multiwerbeträger Günter Jauch im ZDF<br />

bei Elke Heidenreichs Bücherplauderstündchen<br />

gesorgt, <strong>als</strong> er ein Buch<br />

über Emmi Bonhoeffer empfahl. Der<br />

kleine Berliner Lukas Verlag für Kunstund<br />

Geistesgeschichte, mit seinen engagierten<br />

und sachkundigen Büchern<br />

sonst kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen,<br />

sah sich dadurch veranlasst,<br />

die für ihn gigantische Auflage<br />

von 12 000 Exemplaren drucken<br />

zu lassen. (Ullstein und andere kündigen<br />

oft schon vor Erscheinen ihrer<br />

Bücher Auflagen von 50 000 Exemplaren<br />

und mehr an, <strong>als</strong> sei dies eine Gütegarantie.)<br />

Lukas-Verleger Frank Böttcher<br />

bleibt dennoch auf dem Teppich<br />

– »erstm<strong>als</strong> bin ich schuldenfrei« –,<br />

er weiß, dieses Geschäft ist nicht von<br />

Dauer, schon bei der nächsten »Lesen«-Sendung<br />

geht es um andere Bücher.<br />

Kleinen und Kleinst-Verlagen<br />

bleibt eher der Idealismus, wenigstens<br />

die paar Leute mögen ihre liebevoll gemachten<br />

Bücher finden und kaufen,<br />

um zumindest die Kosten wieder einzufahren.<br />

An den halbjährlichen Verfallswert<br />

ihrer Bücher können und wollen<br />

sie nicht glauben.<br />

Im Moment herrscht in den Redaktionen<br />

wie in den Buchhandlungen<br />

Kehraus, alles bereitet sich auf den<br />

neuen Bücheransturm des Herbstes<br />

vor. <strong>Die</strong> Verlage kündigen ihre neuen<br />

Bücher an. Jeder weiß, der Herbst beginnt<br />

schon im Spätsommer – und jeder<br />

will der Erste sein, jeder hat die<br />

einzigartigsten Bücher, die wichtigsten,<br />

die aktuellsten, die schönsten.<br />

Es ist die Zeit des Buhlens. Schon gehört,<br />

Christa Wolf erscheint nun erstm<strong>als</strong><br />

bei Suhrkamp, Aufbau schickte<br />

die erste Herbst-Sensation bereits<br />

im Mai los – Michel Friedmans Comeback,<br />

<strong>als</strong> Romanautor. Und was kommt<br />

eigentlich bei Fischer? Bringt Wunderlich<br />

eine neue Pilcher? ... Das Geschäft<br />

mit den Büchern hat mit allem Möglichen<br />

zu tun, am wenigsten jedoch – so<br />

scheint es immer mehr – mit den Büchern<br />

selbst und mit dem, was sie für<br />

ihre Leser anderes sein können <strong>als</strong> nur<br />

eine Ware wie alles andere auch. Und<br />

wir Leser? Markt funktioniert schließlich<br />

auch nur mit und durch uns. Wir<br />

lassen uns auf Bestsellerlisten ein,<br />

»Schotts Sammelsurium« muss Klasse<br />

sein, ebenso wie »Moppel-ich« – steht<br />

ja ganz oben. Aber fragt man bei Bekannten<br />

rum, will es keiner wirklich gelesen<br />

haben, doch jeder weiß Bescheid<br />

oder hat mindestens mal ‘ne Talkshow<br />

dazu gesehen. Eine Literaturredakteurin,<br />

noch immer beim Rundfunk, sagte<br />

neulich: Früher, in der DDR, konnte<br />

man sich noch über Bücher unterhalten.<br />

Wenn ein neuer Aitmatow erschienen<br />

war – und der war bestimmt<br />

nicht leicht zu bekommen – und es saßen<br />

zwölf Leute beieinander, konntest<br />

du sicher sein, mindestens acht hatten<br />

ihn schon gelesen. Heute findest du in<br />

gleicher Runde kaum zwei, die die gleichen<br />

Bücher kennen. Man unterhält<br />

sich selten darüber, gibt höchstens<br />

Empfehlungen ab, von dem, was man<br />

gerade selbst gelesen hat. Wie Günter<br />

Jauch bei Elke Heidenreich.<br />

In Büchern sich selbst wie die anderen<br />

kennen lernen. Es müssen nicht<br />

immer gleich die blutrünstigen Dramen<br />

von einem gewissen Shakespeare sein.<br />

Still und leise vor sich hin schreibt zum<br />

Beispiel Jutta Voigt, Journalistin, Publizistin,<br />

Feuilletonistin, Kolumnistin<br />

– die Steigerung lässt sich wohl nicht<br />

fortsetzen. Insider mögen ihre launige<br />

Art, sich den Mitmenschen zu nähern,<br />

schon längst. Immer ein bisschen neben<br />

der Tagesaktualität, schrieb und<br />

schreibt Jutta Voigt stets für Wochenzeitungen:<br />

Sonntag, Freitag, Wochenpost,<br />

Woche, nun für die Zeit. Das kleine<br />

Büchlein aus dem Ch. Links Verlag<br />

versammelt »Wahlbekanntschaften«,<br />

die sie mit journalistischem Auftrag gemacht<br />

hat, und es macht einfach Spaß,<br />

mit ihr Leute im Café zu fragen, was gerade<br />

wichtig für sie ist. Jutta Voigts Erkundungen,<br />

mit ihren Worten beschrieben,<br />

sind wie kleine literarische Behälter,<br />

in denen kostbare Erinnerungsstücke<br />

und Augenblicksbeobachtungen<br />

aufbewahrt sind, um bei entsprechender<br />

Leselaune immer wieder hervorgeholt<br />

werden zu können.<br />

Von ihr, so viel sei noch angemerkt,<br />

ist für den Herbst schon wieder ein<br />

neues Buch angekündigt. <strong>Die</strong>smal<br />

bei dem Aufbau-Verlagsableger Gustav<br />

Kiepenheuer und mit einem Titel,<br />

der den »Geschmack des Ostens« verheißt.<br />

Um Essen, Trinken und Leben in<br />

der DDR soll es dabei gehen … dann ist<br />

schon November und der nächste Bücherkehraus.<br />

Ingrid Feix<br />

Jutta Voigt:<br />

Wahlbekanntschaften.<br />

Menschen im Café.<br />

Gebunden mit<br />

Schutzumschlag<br />

Ch. Links Verlag<br />

14 Euro<br />

210 DISPUT Juni 2005

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