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Beiträge<br />

zur<br />

Umweltpolitik<br />

Sabine Voigt<br />

Fragen und Antworten<br />

zur Grünen Gentechnik<br />

in der Landwirtschaft<br />

und Lebensmittelherstellung<br />

1/2005<br />

Ökologische<br />

Plattform<br />

bei der PDS


Fragen und Antworten<br />

zur Grünen Gentechnik<br />

in der Landwirtschaft<br />

und Lebensmittelherstellung<br />

J.W. Goethe zu Eckermann 1829: "...die Natur versteht gar keinen<br />

Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat<br />

immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des<br />

Menschen."<br />

Herausgeber:<br />

Ökologische Plattform bei der PDS<br />

Kleine Alexanderstr. 28<br />

10178 Berlin<br />

oekoplattform@pds-online.de<br />

http://www.oekologische-plattform.de<br />

Autor:<br />

Dr. Sabine Voigt<br />

Berlin, Dezember 2004


Inhalt: Seite<br />

Vorwort von Prof. Dr. Wolfgang Methling 3<br />

1. Warum noch eine Broschüre zur Gentechnik? 6<br />

2. Was muss ich über Gentechnik, Gentechnologie,<br />

Biotechnologie wissen?<br />

Ist gentechnische Züchtung wirklich so „natürlich“?<br />

Was verbirgt sich hinter den gewollten Resistenzen?<br />

Wie sieht die gegenwärtige Nutzung von transgenen<br />

Pflanzen in der Welt aus?<br />

3. Was wollen die Gentech-Konzerne?<br />

Was macht Grüne Gentechnik so attraktiv für die Konzerne?<br />

Haben sich die Segnungen der Gen-Industrie bestätigt?<br />

Wird das Welthungerproblem gelöst?<br />

Ist grüne Gentechnik wissenschaftlich-technischer Fortschritt?<br />

4. Welche Risiken gibt es für die Umwelt? 26<br />

5. Was interessiert mich <strong>als</strong> Verbraucher?<br />

Haben gentechnisch veränderte Lebensmittel Auswirkungen<br />

auf die menschliche Gesundheit?<br />

Woran erkenne ich Genfood?<br />

Was kann man dem Konsumenten empfehlen?<br />

6. Was betrifft die Bauern?<br />

Saatgut – wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit oder<br />

Knebelverträge für die Bauern?<br />

Gibt es Alternativen zur Gentechnik in der Landwirtschaft?<br />

Für die Bauern bringt Gentechnik nichts. Warum wird es<br />

dann trotzdem gemacht?<br />

Was ist unter Koexistenz zu verstehen?<br />

Warum lassen sich Gentechnikfolgeschäden nicht<br />

versichern bzw. wer soll dafür haften?<br />

Warum werden Patente abgelehnt?<br />

7. Warum sind gentechnikfreie Zonen so wichtig und wie<br />

organisiert man sie?<br />

8. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es? 57<br />

9. Welche Standpunkte vertreten die etablierten Parteien? 60<br />

10. Was spricht gegen den Einsatz der Gentechnik?<br />

Politischer Standpunkt der Ökologischen Plattform bei<br />

der PDS<br />

11. Wo kann ich mich weiter informieren? 65<br />

9<br />

17<br />

34<br />

42<br />

54<br />

62


Vorwort<br />

3<br />

Die Ökologische Plattform beginnt mit diesem Heft die Herausgabe einer<br />

Schriftenreihe, die sich mit verschiedenen umwelt- und naturschutzpolitischen<br />

Themen befassen soll. Das kann ich nur begrüßen.<br />

Im Rahmen der Programmdiskussion konnten wir feststellen, dass sich ein<br />

deutlicherer grüner Faden durch das Programm zieht <strong>als</strong> durch das alte. Alle<br />

Freunde von Natur und Umwelt in der PDS sind sicher genauso wie ich froh<br />

darüber, dass der Satz „Sozialismus ist...eine Bewegung gegen die<br />

Ausplünderung der Natur“ darin steht. Er markiert eine neue Qualität von<br />

umweltpolitischem Anspruch. Trotzdem stelle ich leider immer wieder fest,<br />

dass das noch lange nicht bedeutet, dass jedes PDS-Mitglied in seinem<br />

Denken schon „grün“ ist. Umso wichtiger ist es, nicht nachzulassen im<br />

Bemühen um Aufklärung über Naturzusammenhänge sowie über den<br />

Nachhaltigkeitsdreisatz von Ökologie, Ökonomie und Soziokultur und somit<br />

zur Standpunktbildung beizutragen. Dem will sich die neue Reihe der<br />

Ökologischen Plattform widmen. Ich wünsche der Ökologischen Plattform<br />

dabei viel Erfolg.<br />

Das erste Heft befasst sich mit Fragen und Antworten zur Grünen<br />

Gentechnik. Ein Jahr lang haben wir uns in der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Umwelt-Energie-Verkehr gemeinsam mit der Ökologischen Plattform und der<br />

AG Agrarpolitik mit dem Thema beschäftigt. Es war wie in der gesamten<br />

Gesellschaft eine z.T. sehr emotionsgeladene Diskussion. Meinungsunterschiede<br />

sind deutlich geworden. Wie in der Gesellschaft reichen die<br />

Meinungen zur Grünen Gentechnik von der generellen Ablehnung bis zur<br />

pragmatischen Berücksichtigung von aktuellen Entwicklungen in den<br />

Ländern. Der Grundkonsens, auf den wir uns geeinigt haben, ist nicht das<br />

Ende der Diskussion. Aber er ist wichtig, deshalb will ich an dieser Stelle<br />

einige Punkte daraus erwähnen.<br />

Wir fühlen uns verantwortlich für den Schutz des Verbrauchers, für die<br />

Wahlfreiheit von Verbrauchern und Landwirten sowie für den Schutz der<br />

biologischen Vielfalt. Daher sind wir uns grundsätzlich einig darüber,<br />

dass die Anwendung der „Grünen Gentechnik“ in der Landwirtschaft<br />

weder notwendig noch wünschenswert ist. Die Natur kann nicht beliebig<br />

manipuliert oder gentechnisch konstruiert werden. Wie bei allen<br />

Risikotechnologien, werden sich auch bei der Gentechnik die<br />

Nebenwirkungen erst mittel- und langfristig manifestieren. Darüber<br />

hinaus ist sie ein Intensivierungsfaktor, der die Abhängigkeit des<br />

Landwirtes von Saatgutkonzernen noch weiter erhöhen wird.


4<br />

Wir haben aber auch festgestellt, dass angesichts der politischökonomischen<br />

Rahmenbedingungen die Anwendung der Gentechnik<br />

scheinbar unumkehrbar ist.<br />

Dennoch fordern wir, dass die Diskussion über Notwendigkeit,<br />

Nützlichkeit und Risiken vor der Freisetzung und Praxisanwendung<br />

geführt wird.<br />

Wir teilen die Skepsis von Landwirten und Verbrauchern gegenüber<br />

gentechnisch verändertem Saatgut und Futtermitteln sowie<br />

Nahrungsmitteln und fordern eine Kennzeichnungspflicht und die<br />

Einhaltung von möglichst niedrigen Grenzwerten (0,1%) für<br />

Beimischungen/Verunreinigungen. Besonderen Wert legt die PDS auf<br />

eine strenge Reinhaltung des Saatgutes, denn nur so kann eine<br />

schleichende Kontaminierung vieler Flächen verhindert werden. Der<br />

Verbraucher muss jederzeit die Wahl zwischen natürlichen und<br />

gentechnisch veränderten Nahrungs- und Genussmitteln haben.<br />

Babynahrung und Milch dürfen keinerlei transgene Inhaltsstoffe<br />

enthalten.<br />

Eine „friedliche Koexistenz“ des Anbaus von gentechnisch veränderten<br />

und herkömmlichen Kulturpflanzen ist nur unter gewissen<br />

pflanzenspezifischen Anbau- und Schutzbedingungen<br />

(Sicherheitsabstände, Mantelsaaten, gentechnikfreie Zonen, Garantie-<br />

bzw. Haftungsverpflichtungen u. a.) zu erreichen. Für einige<br />

Pflanzenarten (z.B. Raps) ist die Koexistenz praktisch kaum oder nicht<br />

möglich. Die PDS unterstützt die Schaffung gentechnikfreier Regionen.<br />

Außerordentlich bedenklich sind die Verengung der Bewertung<br />

gesellschaftlicher Bedarfe und des Nutzens biotechnologischer<br />

Innovationen auf ihre ökonomische Verwertbarkeit sowie die teilweise<br />

Bagatellisierung der Risiken und Folgeprobleme. Daraus resultiert oft<br />

eine Tendenz zur Reduzierung der begleitenden Risiko-, Sicherheits-<br />

und Technikfolgeforschung. Erforderlich ist die Ausweitung einer<br />

systematischen biotechnischen Sicherheits- und Begleitforschung. Das<br />

schließt die Förderung von Grundlagenforschung zum gezielten<br />

Ausschluss von Risikofaktoren ein.<br />

Angesichts der Anfangserfolge gibt es bei manchen<br />

Verantwortungsträgern in Politik und Wirtschaft, aber auch in der<br />

Wissenschaft, nicht die notwendige kritische Distanz zu den eigenen<br />

Ergebnissen. Den Gentechnik-Kritikern gebührt Respekt, weil diese in<br />

der öffentlichen Auseinandersetzung über die Chancen und Risiken der


5<br />

Gentechnik die Öffentlichkeit sensibilisiert haben. Aktivitäten in diesem<br />

Sinne werden wir unterstützen. Die Geheimhaltung von<br />

Freisetzungsversuchen und Erprobungsanbau vermehrt das<br />

Misstrauen. Nur Transparenz kann Vorbehalte abbauen.<br />

Wir sind der Meinung, dass statt der Nutzung neuer gentechnischer<br />

Methoden die traditionelle Züchtung und Züchtungsforschung auf<br />

hohem Niveau zu erhalten und weiterzuentwickeln ist. Auch wenn<br />

Pflanzen eingesetzt werden, die gegen Schaderreger und<br />

Pflanzenschutzmittel resistent sind, darf es nicht zu einer<br />

Vernachlässigung bewährter Grundsätze der guten fachlichen Praxis<br />

kommen. Die grüne Gentechnik darf nicht Reparaturtechnologie gegen<br />

die Folgen von Monokulturen sein.<br />

Das in diesem Heft von Sabine Voigt vorgelegte Material geht weit über die<br />

hier thesenhaft aufgeführten Bewertungen hinaus. Ich betrachte es <strong>als</strong> einen<br />

weiteren wichtigen Baustein für die Diskussion innerhalb und außerhalb der<br />

PDS. Nötig ist eine sachliche, von Emotionen möglichst freie Erörterung des<br />

Themas. Das zu trägt das Heft bei.<br />

Prof. Dr. Wolfgang Methling


1. Warum noch eine Broschüre zur Gentechnik?<br />

6<br />

Gentechnologie – unverzichtbare Chancen oder unkalkulierbare Risiken? Seit<br />

den ersten Experimenten in den 80er Jahren tangiert der Einsatz der<br />

Gentechnik heute fast alle Bereiche der Umwelt, der Natur und des Lebens.<br />

Die Gentechnik wird bei breiter globaler Anwendung – und das ist für die<br />

nächsten Jahrzehnte <strong>als</strong> sehr realistisch einzuschätzen – nicht nur auf den<br />

Kulturflächen der Landwirtschaft zu finden sein, sondern auch in der<br />

Forstwirtschaft, im Gartenbau und in der Tierproduktion und natürlich auch in<br />

Lebensmitteln – von der Sondennahrung im Krankenhaus bis zu den Fertig-<br />

Produkten. Künftig kommt keiner umhin, im Alltag Entscheidungen zu treffen,<br />

bei denen die Gentechnik eine Rolle spielt. Das betrifft nicht nur gentechnisch<br />

veränderte Lebensmittel (Genfood), sondern neben Waschmittel oder<br />

Arzneimittel auch Gentherapien oder Gendiagnostik. Fachleute<br />

unterscheiden die Gentechnik nach Farben: Die rote Gentechnik beschäftigt<br />

sich mit der Humanmedizin, darunter die weiße Gentechnik mit der<br />

Arzneimittelproduktion, die graue Gentechnik mit umweltrelevanten Verfahren<br />

und die blaue Gentechnik mit Anwendungen in der Meeresbiologie und<br />

Fischzucht. Die grüne Gentechnik betrifft die Landwirtschaft und die<br />

Nahrungsmittelverarbeitung. Nur um diese soll es in der vorliegenden<br />

populärwissenschaftlichen Broschüre auch gehen. Sie ist ein besonders<br />

umstrittenes Thema in der Öffentlichkeit wie in der Politik. Denn die Erfolge<br />

der Gentechnikindustrie liegen eher in der Pharmazie und der<br />

Arzneimittelentwicklung. Da könnte Kranken geholfen werden und jeder<br />

Betroffene kann mehr oder weniger selbst entscheiden, welche<br />

Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Im Landwirtschaftsbereich ist<br />

das ganz anders: Man darf sich keine unumkehrbaren und zerstörerischen<br />

Nebenwirkungen mit fatalen Folgen für Natur und Menschheit leisten. Es ist<br />

nicht notwendig, Gentechnik einzuführen. Keiner will, dass das, was wir<br />

essen auch noch zur Krankheit führt.<br />

Wurde vor rd. 20 Jahren euphorisch von künftigen Erfolgsquoten in der<br />

Agrarproduktion und Ernährung gesprochen, so lässt sich heute feststellen,<br />

dass sich weder die großen Erfolge eingestellt haben noch die Entwicklung in<br />

Richtung Schutz der Umwelt und des Verbrauchers geht. Dem Bauern bzw.<br />

dem essenden Menschen sollen gentechnisch verändertes Saatgut bzw. die<br />

daraus hergestellten Lebensmittel aufgedrängt werden, weil es Gentech-<br />

Konzerne so wollen. Und die Natur wird einer weiteren gefährlichen<br />

Technologie unterworfen. Aber auch sie wehrt sich und reagiert entsprechend<br />

in ihren Ökosystemen mit Erosionen, Resistenzen und Artenschwund. Die<br />

Gentechnik ist dennoch eine junge Technologie, und sie zählt zu den<br />

Risikotechnologien. Deshalb diskutieren seit den ersten Laborversuchen<br />

Befürworter und Gegner Vor- und Nachteile, Risiken und


7<br />

Fortschrittspotentiale der grünen Gentechnik – allerdings mit wenig Erfolg<br />

einen gemeinsamen Standpunkt zu finden.<br />

Tatsache ist, grüne Gentechnik ist Realität. Muss jedoch eine Verbreitung<br />

von Gen-Saatgut, Gen-Futtermitteln und Genfood per se <strong>als</strong> Argument für die<br />

Notwendigkeit einer Akzeptanz angeführt werden? Solange es Menschen<br />

gibt, die <strong>als</strong> Verbraucher, Ökologen, Landwirte und Verarbeiter in der<br />

Mehrheit den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft und in<br />

Lebensmitteln ablehnen, ist deren Wunsch nach Wahlfreiheit zu respektieren!<br />

Befürworter und Kritiker argumentieren oftm<strong>als</strong> mit einem breiteren<br />

Blickwinkel für die Vielfalt der gesellschaftlichen Auswirkungen – so beim<br />

Welthungerproblem, beim Arbeitskräfteproblem, bei wirtschaftlichen Erfolgen<br />

oder Misserfolgen in der Landwirtschaft, bei Fragen der sozialen Auswirkungen<br />

auf kleine Farmer und Mittelbauern – auch in Entwicklungsländern.<br />

Politiker aller Fraktionen, Wissenschaftlerorganisationen, Industrie-, Umwelt-<br />

wie Verbraucherverbände nehmen sich der Frage an und schreiben stetig<br />

Bücher und Artikel über die Problematik, um die eine oder andere Seite zu<br />

überzeugen. Es stellt sich <strong>als</strong>o die Frage: Warum noch eine Broschüre zur<br />

Gentechnik? Trotz des Medieninteresses (oder gerade aufgrund dessen?) ist<br />

nicht zu leugnen, dass einige Verbraucher immer noch davon ausgehen,<br />

dass in Lebensmitteln keine Gene sind, dass Landwirte meinen, dass mit<br />

einer Freisetzung von Gentech-Saatgut keine größeren Risiken <strong>als</strong> bisher in<br />

der landwirtschaftlichen Produktion in Kauf genommen werden; und Politiker,<br />

ja selbst Fachleute werfen Gentechnologie und Biotechnologie in einen Topf.<br />

Auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird es mit Sicherheit<br />

weitere neue Erkenntnisse im Reich der Gentechnologie geben. Dabei<br />

kommt sie von Seiten der Gentech-Konzerne nicht <strong>als</strong> Bedrohung über uns,<br />

sondern <strong>als</strong> Versprechen: nützliche Produkte, eine hoffnungsvolle Zukunft<br />

und ein langes gesundes Leben. Was ist von diesen Verheißungen zu<br />

halten? Wer entscheidet darüber, was für die Menschheit nützlich ist? Was ist<br />

tatsächlich möglich? Und wie hoch ist der Preis, den wir für die Anwendung<br />

der Gen- und Fortpflanzungstechnologien möglicherweise zahlen müssen?<br />

Kann das Nebeneinander – die Koexistenz - von Produktionssystemen mit<br />

und ohne Einsatz der Gentechnik funktionieren? Und: Sind die gesetzlichen<br />

Regelungen etwa der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel<br />

ausreichend, um eine Ernährung ohne Gentechnik zu gewährleisten?<br />

Diese und weitere Fragen zum Thema Gentechnik sollen in dieser Broschüre<br />

aufgegriffen werden.


8<br />

Die Ökologische Plattform bei der PDS hat angeregt, eine Broschüre für<br />

die Basisorganisationen der PDS und für Interessierte vorzulegen, die<br />

allgemeinverständlich für Verbraucher und Bauern die<br />

Gentechnikprobleme und den politischen Standpunkt der ÖPF darlegen.<br />

Die Broschüre ist sowohl für den schnellen <strong>als</strong> auch interessierten<br />

Leser gedacht: Jeder Laie und jede Interessensgruppe können sich kurz<br />

und knapp einen Überblick über den Stand der gegenwärtigen<br />

Anwendung, Risiken und Diskussion der grünen Gentechnik<br />

verschaffen.


9<br />

2. Was muss ich über Gentechnik, Gentechnologie und<br />

Biotechnologie wissen?<br />

Lebewesen verfügen über die einzigartige Fähigkeit, sich zu vermehren und<br />

ihre Gene zu vererben – d.h. aus Weizensamen wird wieder Weizen keimen<br />

und aus einer Kartoffelknolle wird eine Pflanze hervorgehen, die wiederum<br />

Kartoffelknollen erzeugt. Die jeweils weiter gegebenen Gene <strong>als</strong> Träger der<br />

Erbinformation bestimmen über Art, Rasse und Sorte sowie Aussehen und<br />

Eigenschaften.<br />

Diesen Umstand sich zu Nutze machend, domestizieren, züchten und<br />

kreuzen Menschen seit über zehntausend Jahren Pflanzen und Tiere und<br />

beschränken sich mittels klassischer Zuchtmethoden auf die Übermittlung<br />

von Genen zwischen eng miteinander verwandten Lebewesen, auch bei<br />

solchen industrialisierten Formen wie künstliche Besamung oder<br />

Meristemkultur (Pflanzen, die sich aus teilendem Gewebe herstellen lassen).<br />

Durch menschliche Hand wurde eine große Vielfalt an essbaren<br />

Kulturpflanzen und leistungsfähigen Nutztieren geschaffen. Allein die aus<br />

Wildarten gezüchteten verschiedenen regionalen Sorten an Mais, Reis,<br />

Weizen … zählen Tausende.<br />

Im Laufe der Evolution haben sich Gene und Genome (das ist die Summe<br />

der Gene eines Lebewesens) stetig verändert und entsprechend den Um-<br />

welt-, Lebens- und Nahrungsbedingungen entwickelt. Jedoch erfolgte die<br />

Vererbung immer innerhalb der Artgrenzen, immer in Einklang mit der Natur.<br />

Die Natur lässt es auch zu, dass Familien mit gemeinsamen Vorfahren sich<br />

kreuzen können, z.B. Pferd und Esel, wobei die Nachfahren meist nicht<br />

zeugungsfähig sind. In der Pflanzenwelt ist die Kreuzungsfähigkeit bei nahen<br />

Verwandten viel größer. Die Fähigkeit der artüberschreitenden Weitergabe<br />

von Erbinformationen bleibt nur niedrigen Organismen, den<br />

Mikroorganismen, vorbehalten. Bakterien tauschen z.B. die Eigenschaft aus,<br />

gegen Antibiotika unempfindlich zu werden. Dies kann zu den gefürchteten<br />

Antibiotikaresistenzen führen. Viren können sich selbst – ein Stück<br />

Erbinformation in einer Eiweißhülle - in Pflanzen- oder Tierzellen einbauen.<br />

Dies ist unter dem Begriff Infektion bekannt und hat ein jeder schon mal z.B.<br />

<strong>als</strong> Virus-Erkältung und Schnupfen erlebt. Dieser natürliche Vorgang hat<br />

jedoch nichts mit gentechnischen Veränderungen zu tun.<br />

Die natürliche Evolution scheint bei höheren Lebewesen, da sie sich nur<br />

untereinander geschlechtlich fortpflanzen können, Grenzen zu unterliegen.<br />

Auch in der Züchtung von Kulturpflanzen und Nutztieren bleibt dadurch die<br />

Zahl der Kombinationen stark begrenzt. Bisher ist es unmöglich, ein völlig


10<br />

neues Gen z.B. für bestimmte Zuchteigenschaften entstehen zu lassen. Auch<br />

mittels Gentechnik kann nur aus dem Genpool geschöpft werden, der<br />

vorhanden und von der Natur hervorgebracht worden ist.<br />

In der neuen Technologie werden mittels Gentransfer gentechnisch<br />

veränderte Organismen (kurz: GVO) erzeugt. Gentransfer ist die<br />

Übertragung von Genen bzw. DNA mittels bestimmter Methoden (z.B. mit<br />

Hilfe von Viren <strong>als</strong> so genannte Gen-Fähren oder mittels Zellfusion). Das ist<br />

möglich, weil das Erbmaterial (die DNA) bei allen Lebewesen von<br />

Mikroorganismus bis Mensch nach dem gleichen Muster („Code") aufgebaut<br />

ist. Das Prinzip der Gentechnik ist immer die künstliche Veränderung der<br />

DNA, <strong>als</strong>o der Erbinformation von Organismen.<br />

Diese Technologie wird auch <strong>als</strong> „moderne Biotechnologie“ oder<br />

„Gentechnologie“, manchmal auch <strong>als</strong> „DNA-Rekombinationstechnik“ oder<br />

„Gentechnik“ bezeichnet. Damit können ausgewählte einzelne oder mehrere<br />

Gene mit denen „gezielt“ bestimmte Eigenschaften „vererbt“ werden sollen,<br />

über alle biologischen Grenzen hinweg von einem Organismus auf einen<br />

anderen übertragen werden. Seit dem Gelingen des ersten gentechnischen<br />

Experiments 1972 konnten einzelne Abschnitte des Erbguts aus Organismen<br />

isoliert, im Reagenzglas manipuliert und in das Erbgut anderer Lebewesen<br />

eingefügt werden. Gen"spender“ und Genempfänger müssen dazu weder<br />

nahe Verwandte sein noch derselben Art angehören. Selbst Gene von<br />

niederen und höheren Lebewesen (Bakterium und Pflanze oder Pflanze und<br />

Tier) lassen sich im Reagenzglas miteinander verbandeln.<br />

Auch in der juristischen Definition im europäischen und deutschen<br />

Gentechnik-Gesetz wird der Unterschied zur traditionellen Züchtung<br />

herausgearbeitet: Gentechnische Arbeiten bedeuten hier die Erzeugung<br />

(auch Verwendung, Vermehrung, Lagerung, Freisetzung, Entsorgung,<br />

Transport) von GVO, d.h. von vermehrungsfähigen biologischen Einheiten,<br />

bei denen das Erbmaterial in einer Weise verändert wurde, die in der Natur<br />

durch Kreuzung oder natürliche Rekombination 1 nicht vorkommt. GVO sind<br />

dabei Organismen, die <strong>als</strong> Lebewesen eingestuft werden.<br />

Gentechnik umgeht somit die Artengrenzen ganz und gar. Diese sind<br />

keine undurchdringliche Mauer mehr, die verschiedene Tiere, Pflanzen<br />

und den Menschen voneinander trennen. Der Mensch beeinflusst<br />

Evolution nicht nur, sondern macht Evolution jetzt selbst. Er verändert<br />

maßgeblich die Urbausteine des Lebens selbst - in einem Mix, wie sie<br />

die Natur von sich aus nie hervorbringen würde. Der Mensch wird zum<br />

1 Rekombination - Austausch von DNA-Abschnitten zwischen verschiedenen Molekülen, spontan bei der natürlichen<br />

Zellteilung oder durch gentechnische Verfahren.


11<br />

Schöpfer auf der Laborbank, mit der er künstlich hergestellte Natur in<br />

seinem Umfeld etablieren kann. So können heute genetische Stoffe aus<br />

miteinander nicht verwandten Organismen zusammengesetzt werden<br />

und ergeben neue Qualitäten, neue Eigenschaften und gar neue Wesen.<br />

Es sind die tiefsten Eingriffe in die evolutionären Prozesse, die bisher durch<br />

eine Technik innerhalb eines kurzen Zeitraumes möglich sind. Grundlage<br />

dafür ist die Erbsubstanz. Sie bildet den unermesslich großen Informationsspeicher<br />

für alles Leben auf der Erde.<br />

Gentechnologie und Gentechnik können im allgemeinen Sprachgebrauch<br />

begrifflich <strong>als</strong> Synonym verwendet werden. Sie bezeichnen die Gesamtheit<br />

der mikrobiologischen, biochemischen und gentechnologischen Methoden<br />

zur „gezielten“ Bildung neuer Kombinationen genetischen Materi<strong>als</strong> und zur<br />

Vermehrung des rekombinierten Erbmateri<strong>als</strong> in einer Empfängerzelle.<br />

Organismen (GVO), die ein fremdes Gen tragen, werden auch Transgene<br />

oder transgene Organismen genannt.<br />

Gentechnik ist ein Teilgebiet der Biotechnologie und ist nicht mit dieser zu<br />

verwechseln bzw. begrifflich oder inhaltlich gleich zu setzen. Gentechnik ist<br />

eine fachübergreifende Methode, die sich aus der Molekularbiologie<br />

entwickelt hat. Die Wurzeln der Biotechnologie reichen dagegen weit zurück.<br />

Schon seit Urzeiten hat es der Mensch verstanden, die biologischen<br />

Fähigkeiten von Kleinstlebewesen wie Bakterien oder Pilze zur Herstellung<br />

von Brot, Käse, Joghurt, Kefir oder Bier zu nutzen. Bei der Biotechnologie<br />

wird deren Stoffwechsel genutzt, um einen Ausgangsstoff zu verändern.<br />

Schon die Ägypter haben vor 3000 Jahren Biotechnologie betrieben, indem<br />

sie ganz einfach Brot gebacken (Hefe-/Sauerteig) oder Bier (Bierhefe)<br />

gebraut haben. Jeder, der einen Joghurt herstellt oder einen Sauerbraten<br />

zubereitet, seinen Brotteig aufgehen lässt etc. betreibt Biotechnologie. Das<br />

hat nicht zwangsläufig etwas mit Gentechnologie zu tun, denn an den<br />

beteiligten Bakterien oder Hefen wurde (im Regelfall) keine gentechnische<br />

Veränderung vorgenommen.<br />

Die systematische Erforschung solcher Mikroorganismen und Zellkulturen hat<br />

mit den Jahren zu weiteren Anwendungen geführt und beispielsweise die<br />

industrielle Herstellung von Vitaminen oder Antibiotika ermöglicht - zunächst<br />

ohne Manipulation von Erbgut. Bereits in den 60er Jahren entdeckte man,<br />

dass – vereinfacht dargestellt - die DNA mit bestimmten Enzymen<br />

zerschnitten und mit anderen DNA-Bausteinen wieder verknüpft werden<br />

kann. Mit relativ einfachen gentechnischen Verfahren lässt sich dabei ein<br />

einziger DNA-Abschnitt im Reagenzglas in kürzester Zeit millionenfach<br />

vermehren.


12<br />

Man kann allerdings die Gentechnik auch dazu einsetzen, um bei<br />

Mikroorganismen die Produktion bestimmter Eiweißbausteine hervorzurufen,<br />

z.B. zur Herstellung von Insulin, das Diabetikern hilft und heute nicht mehr<br />

aus den Pankreasdrüsen von Schweinen hergestellt wird. Allerdings gehört<br />

dieses Beispiel in den pharmazeutischen Bereich. Hier kann einzelnen<br />

Kranken geholfen werden. Die grüne Gentechnik umfasst dagegen<br />

Lebensmittel, die wir täglich mehrm<strong>als</strong> zu uns nehmen und nicht nur für den<br />

Menschen Risiken beinhalten, sondern für unsere ökologischen<br />

Lebensgrundlagen schlechthin.<br />

Ist gentechnische Züchtung wirklich so „natürlich“?<br />

Gentechniker stellen gentechnische Veränderungen gern <strong>als</strong> „natürlichen“<br />

Prozess dar bzw. argumentieren mit dem Vergleich zur traditionellen<br />

Züchtung. Diese Legitimierung zeigt auf, wie wenig differenziert das<br />

eigentlich neue und alle herkömmliche Verfahren in den Schatten Stellende<br />

an der Gentechnik gesehen wird. Bzgl. der Einfügung von Genen anderer<br />

Arten in einen Wirtsorganismus stellt sich allerdings die Frage, ob jem<strong>als</strong> in<br />

der klassischen Züchtung versucht worden ist, ein schnell wachsendes Rind<br />

mit einer Forelle zu verbandeln oder gar einen Fisch mit einer Tomate?<br />

Gerade im Überschreiten von Artgrenzen liegt ein Risiko, dass zu<br />

ökologischen Verschiebungen führen kann. Wenn Gentechnik so natürlich<br />

ist, wo ist er dann, der geheimnisvolle Ort, an dem sich Schneeglöckchen und<br />

Kartoffeln ekstatisch im Liebestanz vereinen? Gentechnologische Veränderungen der<br />

Erbsubstanz über Artgrenzen hinweg entsprechen nicht den Prinzipien der<br />

Natur. Das für den Leuchtstoff des Glühwürmchens zuständige Gen würde<br />

niem<strong>als</strong> den Weg in eine Tabakpflanze finden, um die Tabakblätter zum<br />

Leuchten zu bringen; das Gen für Wachstumshormone vom Menschen nie<br />

einen Lachs aufsuchen. So verwundert es nicht, wenn sich mit Argumenten<br />

der jahrtausendalten Züchtungserfahrungen und der Anwendung<br />

biotechnologischer Verfahren (z.B. der Gärung), da sie gerade nicht zur<br />

Gentechnologie zählen, diese aber begründen sollen, kein Grundkonsens<br />

finden lässt. "Grüne Gentechnik birgt keine Gefahren, die die traditionelle,<br />

herkömmliche Pflanzenzüchtung nicht auch birgt" und "die Gentechnik macht<br />

weiter nichts, <strong>als</strong> dass Informationen der Erbsubstanz auseinander<br />

geschnitten und neu kombiniert werden", so die beschönigenden<br />

Einschätzungen der Wortführer von Konzernleitungen.<br />

Gentechnik ist aber grundsätzlich anders zu bewerten, denn sie ist ein<br />

künstlicher Eingriff in ein biologisches Informationssystem, das vielschichtig<br />

verflochten und multikausal (mit vielen Ursachen und Funktionen) arbeitet.


13<br />

Das Risiko der Gentechnik entsteht durch technische Manipulation von<br />

Leben. Die Naturfremdheit des technischen Eingriffs in Lebensformen<br />

ist unbestritten. Hier gilt, je kleiner der Organismus desto gefährlicher<br />

das Experiment. Im Vergleich beider Züchtungsvarianten entfernt man sich<br />

bei gentechnischen Veränderungen viel mehr von dem, was im Lauf der<br />

Evolution geschehen und entstanden ist. Bei der herkömmlichen Zucht bleibt<br />

die Anordnung der Gene im Erbgut weitgehend erhalten. Dadurch ist<br />

gewährleistet, dass die Nachkommen lebensfähig sind und den Eltern sowie<br />

Vorfahren ähneln. Auch Rückzüchtungen sind möglich. Züchter wissen<br />

deshalb um den Umstand, dass viele Leistungs- und Gesundheitsmerkmale<br />

konträr zueinander gelagert sind, ohne die Zusammenhänge in und zwischen<br />

den Genen unbedingt zu kennen. 2<br />

Die bisher bekannten wirtschaftlich relevanten Entwicklungen zielen aber<br />

genau darauf ab, die mit den Gesetzen der Vererbung naturgegebenen<br />

engen biologischen Grenzen der traditionellen Züchtung zu überwinden, um<br />

neue "optimierte" Mikroorganismen, Pflanzensorten und Tierarten zu<br />

schaffen, wie sie weder nach traditioneller Züchtung noch in der Natur<br />

vorkommen.<br />

Was <strong>als</strong> „zielgerichtete Einschleusung“ benannt wird, ist eigentlich eine<br />

Methode nach dem Zufallsprinzip. Die Wissenschaftler können nicht<br />

vorhersagen, wo ein neu hinzugefügtes (modifiziertes) Gen auf ein<br />

Chromosom 3 landen wird, so dass auch immer die Möglichkeit besteht, dass<br />

andere Zellfunktionen beeinträchtigt werden können. Beispiele<br />

fehlgeschlagener Versuche gibt es bereits genügend (s. Pkt. Risiken). Doch<br />

selbst wenn ein modifiziertes Gen es schafft, am gewünschten Ort „inseriert“<br />

(eingenistet) zu werden, so gibt es noch lange keine Garantie dafür, dass es<br />

dort auch „exprimiert“ (in seiner Funktion erkannt und ausgebildet) wird.<br />

Trotz ihrer über 30jährigen Laufbahn in der Forschung steht diese neue<br />

Technologie immer noch erst am Anfang. Das Erkennen aller<br />

Beziehungsnetze zwischen Genen, Geweben, Organen, Organismen und der<br />

äußeren Umgebung samt den möglichen Störungen, Mutationen 4 und<br />

Reaktionen geht so weit über jegliche bisher bekannten komplexe Systeme<br />

hinaus, dass es der Wissenschaftlergemeinde auch in Zukunft noch viel Zeit<br />

2 Auf dem Wege der klassischen Züchtung ist ohnehin schwer gesündigt worden: Die Leistungsfähigkeit hat ihre<br />

natürlichen Grenzen. Eine einseitige Leistungssteigerung erzeugt Disproportionen in anderen Lebensfunktionen: z.B.<br />

eine Höchstertragsleistung bei Getreide benötigt gleichzeitig Halmstabilisatoren. Eine Züchtung auf höhere<br />

Milchfettanteile verringert den relativen Milcheiweißanteil. Eine hohe bzw. überhöhte Milchleistung geht zu Lasten der<br />

Eutergesundheit, der Reproduktionsrate und der Gesundheit des Bewegungsapparates.<br />

3 Chromosom - fadenförmiges aus DNA und Proteinen aufgebautes Molekül im Zellkern; die Gesamtheit der<br />

Chromosomen enthält den größten Teil der Erbsubstanz. Die Anzahl der Chromosomen ist artspezifisch; der Mensch<br />

besitzt 23 Chromosomenpaare.<br />

4 Mutation - sprunghafte Veränderung der biologischen Information der DNA.


14<br />

für ein weites Spektrum zum Lokalisieren, Kartieren, Sequenzieren,<br />

Analysieren, Katalogisieren, Modellieren und Verwerten der Gene abfordert.<br />

Dafür müssten wir über die tiefen Geheimnisse der Natur, die sie über<br />

Jahrmilliarden angesammelt hat, detailliert informiert sein. Wir kennen heute<br />

kaum die vollständigen Gensequenzen der Erbsubstanz der Pflanzen und<br />

Tiere, noch kennen wir die genauen Funktionsweisen der Gene, ihre<br />

Eigenschaften in Nachbarschaft mit anderen Genen und Eiweißbausteinen<br />

sowie ihr Zusammenwirken. Hieß es noch vor kurzem, die unbrauchbaren<br />

Gene in der Erbsubstanz (auch <strong>als</strong> „Genmüll“ bezeichnet) hätten sich im<br />

Laufe der Evolution angesammelt, sind aber unnütze, so gibt es schon wieder<br />

neue Erkenntnisse: ohne seinen scheinbar funktionslosen Datenmüll könnte<br />

ein Lebewesen nicht existieren.<br />

Was verbirgt sich hinter den gewollten Resistenzen?<br />

Grundlegende Ziele der Anwendung gentechnologischer Verfahren in der<br />

Pflanzenzüchtung sind:<br />

1. Resistenzen gegenüber Herbizide (Pflanzentilgungsmittel), die so<br />

genannte Herbizidresistenz: Nutzpflanzen werden gentechnisch so<br />

verändert, dass sie eine hohe Verträglichkeit gegenüber Herbiziden<br />

aufweisen. Der Landwirt kann mit den entsprechenden<br />

Unkrautvernichtungsmitteln seinen Acker praktisch völlig unkrautfrei halten,<br />

ohne die Kulturpflanzen zu schädigen.<br />

2. Resistenzen gegenüber Pflanzenschädlingen (Insektenfraß), so genannte<br />

Insektenresistenz oder Insektentoleranz: Den GVO-Pflanzen wird ein Gen<br />

für eine toxische Reaktion übertragen, so dass die Pflanzen gegen<br />

Insekten widerstandsfähig sind oder die Insekten absterben.<br />

3. Resistenzen gegenüber Krankheitserregern (Pilze, Viren, Bakterien).<br />

4. Resistenzen gegenüber klimatischen Bedingungen (z.B. Frost, Hitze,<br />

Dürre, Feuchtigkeit).<br />

5. Verbesserung der Qualität der Rohstoffe bzgl. des Anteils gewünschter<br />

Inhaltsstoffe (z.B. Stärkegehalt) oder bzgl. ernährungsphysiologischer<br />

Qualitäten der Inhaltsstoffe (z.B. Anteil ungesättigter Fettsäuren).<br />

Diese Eigenschaften werden teilweise in einer transgenen Sorte kombiniert<br />

hergestellt.


15<br />

Wie sieht die gegenwärtige Nutzung von transgenen Pflanzen in der<br />

Welt aus?<br />

Zur Einschätzung der gegenwärtigen Anwendung der Gentechnik in der<br />

kommerziellen Landwirtschaft sollen ein paar Zahlen helfen:<br />

Im Jahr 2003 umfasste der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderter<br />

Pflanzen weltweit 68 Millionen Hektar, das waren 4,5 Prozent aller<br />

agrarischen Flächen. (Zum Vergleich: Die Gesamtfläche Deutschlands<br />

beträgt 35 Millionen Hektar.) In sechzehn Ländern auf allen Kontinenten wird<br />

die grüne Gentechnik kommerziell zur Lebens- und Futtermittelproduktion<br />

eingesetzt. Sie ist damit zwar weltweit eine Realität, aber geographisch und<br />

wirtschaftlich höchst ungleich verteilt. Nur vier Pflanzen bestimmen die GVO-<br />

Branche (darunter ein Nicht-Lebensmittel): nämlich Soja, Baumwolle, Mais<br />

und Raps. Zunehmende Bedeutung wird auch Reis erlangen. Ganze fünf<br />

Länder produzieren über 90% der GVO: In den USA wurden zwei Drittel aller<br />

Gentech-Pflanzen angebaut, gefolgt von Argentinien mit 14 Prozent der<br />

weltweiten GVO-Fläche, Kanada mit 4,4 Prozent sowie Brasilien und China<br />

mit je 4 Prozent. Weltweit werden mehr <strong>als</strong> die Hälfte der Sojabohnen mit<br />

GV-Sorten (kurz Gensoja) erzeugt (55%). In Argentinien sind konventionelle<br />

Sojabohnen fast vollständig verdrängt worden (GVO: 99%).<br />

Auch einige europäische Länder bauen Genpflanzen an. In Spanien betrugen<br />

die Anbauflächen für insektenresistenten Bt-Mais 5 32.000 Hektar. Rumänien<br />

erntete herbizidresistente Sojabohnen auf 70.000 Hektar. Kleinere<br />

(Versuchs)Flächen gibt es in Deutschland für Bt-Mais (500 Hektar in 2003),<br />

der nur betriebsintern verfüttert werden darf. Ein größerer Erprobungsanbau<br />

mit Bt-Mais fand 2004 statt. (s. Pkt. 6.)<br />

Das Spektrum transgener Pflanzen ist auf wenige Sorten und technisch<br />

einfach zu realisierende Merkm<strong>als</strong>veränderungen begrenzt geblieben:<br />

Sie sind entweder herbizidresistent (zu 71 %) oder insektenresistent (zu<br />

22 %) oder mit einer kombinierten Herbizid- und Insektenresistenz (zu 7<br />

%) ausgestattet. Veränderte Qualitätsmerkmale, die auch den Verbrauchern<br />

einen zusätzlichen Nutzen versprechen (wie etwa eine<br />

Reduktion von toxischen Inhaltsstoffen und Allergenen), spielen im<br />

kommerziellen Anbau transgener Pflanzen noch keine Rolle.<br />

Entsprechende Produkte dürften erst in fünf bis zehn Jahren technisch<br />

realisierbar sein und auf den Markt kommen.<br />

Das Geschäft mit der Grünen Gentechnik befindet sich in einer Handvoll<br />

5 Diesem Genmais wurde ein Gen des Giftes eines Bodenbakterium hinzugefügt, um den Fraßschädling Maiszünsler<br />

abzuwehren. (siehe Pkt. Risiken)


16<br />

multinationaler Firmen. Das US-amerikanische Unternehmen Monsanto<br />

dominiert inzwischen 90 Prozent des Marktes für genverändertes Saatgut.<br />

Aufgrund ihres Fusionsstils und Aufkauf von tausenden kleinen und mittleren<br />

Saatgut- und Pharmafirmen weltweit, ihrem aggressiven Vorgehen auch in<br />

Entwicklungsländern hat Monsanto nicht ganz zu Unrecht die Beinamen<br />

„Mutanto“ und „Monsatan“ erhalten.<br />

Der Gentech-Anbau wächst zwar nicht mehr so rasant weiter wie Ende der<br />

90er Jahre, nimmt aber dennoch langsam zu. Kein Wunder, die Gentech-<br />

Konzerne kaufen sich die Politiker, die sie für ihre Wirtschaftspolitik<br />

benötigen. US-Landwirtschaftsministerin Ann Venemann ist gleichzeitig im<br />

Vorstand der Biotechnologiefirma Calgene – das erste Unternehmen, das in<br />

den USA genmanipulierte Lebensmittel auf den Markt brachte und von<br />

Monsanto aufgekauft wurde. Monsanto spendete 12.000 Dollar für Bushs<br />

Wahlkampf und versuchte bisher erfolgreich ein Gesetz zu verhindern, das<br />

eine Kennzeichnung gentechnischer Beigaben in Lebensmitteln vorschreibt. 6<br />

Das ist kein Einzelfall.<br />

Brasilien - zweitgrößter Sojaexporteur in der Welt - galt bisher <strong>als</strong> Gentechfrei.<br />

Monsanto wird nun beschuldigt, in Brasilien ordentlich mit<br />

Schmiergeldern und der Finanzierung von Forschungsprojekten geholfen zu<br />

haben, um das Gen-Anbauverbot der brasilianischen Regierung aufzuheben.<br />

Wie es der "Zufall" will, ist der Chef von Monsanto Brasilien auch Mitglied der<br />

brasilianischen Regierungsbehörde für Biosicherheit, die Gensaatgut und<br />

Freilandversuche in Brasilien zulassen muss. Welch ein Zufall auch, dass<br />

Monsanto die illegale Einfuhr seines Gensamens von Argentinien nach<br />

Brasilien zuließ. Ausgerechnet hier wurde der Weiterverkauf des Gensojas<br />

durch Farmer oder Drittpersonen erlaubt, was sonst aufgrund der zu<br />

entrichtenden Patentgebühren in allen anderen Ländern der Welt strengstens<br />

verboten ist. Diese raffinierte Vorgehensweise ist von Monsanto in beiden<br />

Ländern geplant worden, um damit illegal Gensoja nach Brasilien zu<br />

schmuggeln, so dass im Süden Brasiliens bereits 30% aller Soja-<br />

Anpflanzungen aus dem Schmuggelsaatgut Monsantos stammt. Die großen<br />

Latifundistas hatten natürlich auch ihre Hand im Spiel. Die brasilianische<br />

Regierung knickte ein, und der Verkauf von Gen-Soja wurde für den<br />

brasilianischen Markt freigegeben – mit der Alibiklausel einer Befristung bis<br />

2004. Monsanto feiert indes seinen Sieg und Brasilien wird in Infomaterialien<br />

des Gentechkonzerns schon in der Farbe der »Pro-Gentechnik-Staaten«<br />

wiedergegeben. 7<br />

6 Moore, Michael (2004) Stupid White Men. Piper München, Zürich, S. 46<br />

7 09.07.2004, junge Welt


17<br />

3. Was wollen die Gentech-Konzerne?<br />

Die Mischpulte für das Leben in diesem Jahrtausend stehen in den<br />

Laboratorien der Saatgutindustrie, der Pharmaindustrie und der<br />

Chemiekonzerne. Ihre wirtschaftliche Macht kann selbst nicht mehr <strong>als</strong><br />

national definiert werden. Sie ist von den speziellen Gegebenheiten des<br />

Stammlandes kaum noch beeinflussbar. Monsanto (bekannt durch Agent<br />

Orange im Vietnamkrieg), DOW, DuPont (Pioneer), Syngenta<br />

(hervorgegangen aus Astra Zeneca, Ciba Geigy, Novartis u.a.), BASF und<br />

Bayer CropScience (ein Zusammenschluss aus Hoechst, Schering, Rhone<br />

Poulenc, AgrEvo, Aventis u.a.) sind im Verständnis der Öffentlichkeit, aber<br />

auch der Politik, amerikanisch, schweizerisch und deutsch, obwohl sie längst<br />

kosmopolitisch und global agieren und rund um die Welt in vielen Staaten -<br />

ebenso in den Mutterländern der Konkurrenzfirmen - dominieren.<br />

Der Gentech-Markt ist ein Wachstumsmarkt. Er bedingt Fusionen,<br />

Kartellbildungen und dementsprechende Preisabsprachen und weltweit<br />

milliardenschwere Patentstreitigkeiten.<br />

Die Firma Monsanto kaufte beispielsweise für fast 10 Milliarden Mark in den<br />

vergangenen Jahren landwirtschaftliche Unternehmen und insbesondere<br />

Saatguterzeuger in der Welt auf. Erklärtes Ziel sei es, so ein<br />

Konzernsprecher, die gesamte Nahrungsmittelkette zu kontrollieren. 8 Wenn<br />

sich ein derartiges Machtmonopol bildet, wird es keine Wahlfreiheit mehr<br />

geben: Gegessen wird fortan, was auf den Markt soll!<br />

Alle diese Konzerne versprechen uns mit Hilfe von Gentechnik gesunde<br />

Nahrungsmittel trotz verschmutzter Umwelt, Superpflanzen trotz ausgelaugter<br />

Böden, Milch von gentechnisch zu Höchstleistungen angetriebenen Kühen.<br />

Die Protagonisten der Gentechnik feiern sich <strong>als</strong> Retter der Erde, die sich<br />

durch menschlichen Einfluss zunehmend verändert hat und für so manchen<br />

Artgenossen wie für den Menschen selbst in so manchen Regionen immer<br />

ungastlicher wird. Erst in den letzten 100 bis 150 Jahren - in Relation zum<br />

Zeitalter der Evolution auf der Erde entspricht das etwa einem<br />

Stecknadelkopf auf einem Fußballfeld - haben Abholzung, Verwüstung,<br />

Versalzung, Überweidung, Süßwasserverknappung, Erosion von Muttererde<br />

ungeahnte Ausmaße angenommen. All dies hat Prozesscharakter, wobei die<br />

Zerstörung schneller <strong>als</strong> eine natürliche Erholung abläuft und auch in den<br />

nächsten Jahrzehnten nicht aufgehalten werden kann, wenn nicht massiv<br />

(politisch) eingegriffen wird. Die Gentechnik hat sich verbal und<br />

wissenschaftlich all diesen Problemfeldern verschrieben. Salzresistente und<br />

wassersparende Kulturpflanzen? Kein Problem im biotechnologischen Zeit-<br />

8 The Guardian, 15.12.1997


18<br />

alter. Lösen sie damit die hausgemachten Probleme? Bringen sie sie<br />

bestenfalls zum Stillstand? Wohl kaum.<br />

Was macht Grüne Gentechnik so attraktiv für die Konzerne?<br />

Es gibt zwei schlüssige Indikatoren: einmal das Tempo der internationalen<br />

Innovationstätigkeit auf diesem Gebiet und damit das immense Potential zur<br />

Kapitalkonzentration und zum anderen die Zunahme der mit<br />

gentechnologisch erzeugten Produkten erzielten Wertschöpfung. Unter dem<br />

Deckmantel der Vorteile für den Verbraucher, für Umwelt und zur<br />

Arbeitsplatzbeschaffung heißt das Ziel: Erhöhung der Kapitalverwertung und<br />

Sicherung von Märkten, Marktanteilen und Profiten.<br />

Die großen Pharmakonzerne betreiben nicht ohne Grund eine<br />

Doppelstrategie: Angesichts der hohen Entwicklungskosten und -risiken<br />

stellt das Engagement der Agrochemie im Saatgutbereich eine Form der<br />

Produktabsicherung dar. Eine Produktlinie soll den Bedarf nach der nächsten<br />

aus dem gleichen Hause wecken. Damit lässt sich doppelt abkassieren. Die<br />

meisten Pflanzen der Gentech-Konzerne sind per Genmanipulation resistent<br />

gegen ein firmeneigenes Herbizid: bei Monsanto z.B. „Round-up Ready<br />

(RR)", bei Aventis das Herbizid “Liberty”. Das heißt: Wer Saatgut von<br />

Monsanto benutzt, muss auch das Pflanzenschutzmittel „RR“ einsetzen.<br />

Dadurch ist der Absatz von Agrochemikalien gesichert. Neben der neuen<br />

transgenen Kulturpflanze entsteht so in erster Linie ein neuer Markt für<br />

Herbizide – dem eigentlichen Wirtschaftsziel der Chemiegiganten.<br />

Herbizidtolerante Pflanzen machen nicht zufällig zwei Drittel aller am Markt<br />

vorhandenen transgenen Pflanzen aus. Diese Pflanzen sind nicht gerade im<br />

Sinne der Lösung der dringendsten Probleme der Menschheit entwickelt<br />

worden, aber die Logik ist einfach: herbizidresistente Pflanzen gefährden den<br />

Herbizidmarkt nicht. Monopole würden wohl kaum auf die profitschmälernde<br />

Idee kommen, Pflanzen zu entwickeln, mit denen sich keine Herbizide oder<br />

Düngemittel mehr verkaufen lassen. „Daher wurde der Versuch, die bei<br />

Hülsenfrüchten vorhandene Fähigkeit der Stickstoffbindung auf andere<br />

Pflanzen zu übertragen, … weitgehend aufgegeben.“ 9 Eine an sich sehr<br />

sinnvolle Entwicklung, denn Stickstoffproduktion und Überdüngung<br />

verursachen ökologische Schäden. Aber Stickstoff gehört zu den Favoriten<br />

unter den Düngemitteln. Die Chemiebranche würde sich selbst den Profit-Ast<br />

absägen, auf dem sie sitzt.<br />

Von Vorteil für die Riesen unter den Weltmarktteilnehmer ist darüber hinaus,<br />

dass Gentechnik einen homogenen Massenmarkt befördert. Das erhöht<br />

Profitraten und sichert Marktanteile.<br />

9 Lewontin, R.C., 1998, a.a.O.


19<br />

Insbesondere geht es den Unternehmen mit den GVO auch um das<br />

Patentrecht. Das Recht, Patente auf Lebewesen zu erteilen, wurde erst mit<br />

der Entwicklung der Gentechnik massiv vorangetrieben, da an den bisherigen<br />

unpatentierten Kulturpflanzen kein Extraprofit erzielt werden kann. Das neue<br />

Patentrecht begünstigt nun die Hersteller von Gentech-Saatgut und<br />

benachteiligt die konventionellen Pflanzenzüchter. Gentech-Unternehmen<br />

können über das Patentrecht gleich mehrere Pflanzen auf einmal für sich<br />

schützen, nämlich all jene, in die ein bestimmtes Gen eingebracht ist. So<br />

umfasst ein einziges Patent von Monsanto 18 verschiedene Nutzpflanzen.<br />

Haben sich die Segnungen der Gen-Industrie bestätigt?<br />

Die Versprechen der Agro-Gentechnik-Branche, die Erträge zu steigern, den<br />

Einsatz von Pestiziden (Oberbegriff für Pflanzenschutz- und<br />

Insektenbekämpfungsmittel) zu verringern, die Umwelt zu entlasten und die<br />

Welternährung zu sichern, haben sich <strong>als</strong> nicht haltbar erwiesen.<br />

Steigerung der Erträge: Nach derzeitiger Datenlage sind die Erträge von<br />

gentechnisch verändertem Soja im Vergleich zu herkömmlichem Soja<br />

geringer, während bei gentechnisch verändertem Mais die Erträge gleich<br />

hoch wie bei normalem Mais ausfallen. 10<br />

Verringerung des Pestizideinsatzes: Die Datenlage zum Pestizidverbrauch<br />

beim Anbau von Genpflanzen erlaubt keine endgültigen Schlüsse 11 . Da aber<br />

Unkräuter und Insekten Resistenzen ausbilden, kommt es häufig zu einer<br />

Zunahme des Pestizidverbrauchs: Wie Beobachtungen aus dem<br />

großflächigen Anbau von Gensoja 12 und Genbaumwolle in den USA zeigen,<br />

entwickeln sich durch den ausschließlichen Einsatz eines Wirkstoffes<br />

allmählich resistente Ackerkräuter, d.h. es müssen von Saison zu Saison<br />

mehr Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden, um sie zu beseitigen 13 . Der<br />

Einsatz von Gentechnik verspricht nicht einmal eine Atempause in der<br />

Einsparung von Umweltgiften.<br />

Umweltfreundlichere Produktion: Beim Herbizidresistenz-System soll die<br />

Ackerbegleitflora weniger geschädigt werden <strong>als</strong> beim bisherigen<br />

Herbizideinsatz. Im Herbst 2003 veröffentlichte Ergebnisse umfangreicher<br />

10 USDA (1999): Report erhältlich unter www.econ.ag.gov/new-at-ers<br />

11 Benbrook (2001) Do GM crops mean less pesticide use? Pesticids Outlook, Oktober 2001, 204-207<br />

12 Eine von der Universität von Madison (1999) in acht amerikanischen Bundesstaaten durchgeführte (unabhängige)<br />

Untersuchung ergab einen Ertrag von durchschnittlich nur 96% (Schwankungsbreite von 86-113%) bei der Gen-<br />

Roundup-Ready-Sojabohne im Vergleich zu konventionellen Saatgut (5172mal wurde konventionell, 3067mal Roundup<br />

Ready angebaut). Der 'Benbrook Consulting Report' (1999, S.2) stellt den Einsatz der zwei- bis fünffachen Menge an<br />

Herbiziden fest im Vergleich zu den in den USA anderen gängigen Unkrautvernichtungsmaßnahmen.<br />

13 Reporte unter: www.btintefnet.com/~nlpwessex/Documents/Monsantosuperweeds.htm und<br />

www.organicconsumers.org/Monsanto/Roundupsuperwecds.cfm, und Mellon und Rissler (1998) Now or Never - Serious<br />

New Plants to Save A Natural Pest Control, Union of Concerned Scientists (UCS)


20<br />

Studien in England haben jedoch gezeigt: Im Vergleich zum konventionellen<br />

System waren beim Anbau herbizidresistenter Raps- und Zuckerrüben-<br />

Pflanzen Anzahl und Vielfalt der Wildkräuter auf und neben dem Acker<br />

erheblich verringert. Bis zu 40 Prozent weniger Blütenpflanzen wuchsen an<br />

den Ackerrändern. Das führte zu negativen Auswirkungen auf die<br />

Insektenwelt und in der Folge auch zu Gefährdungen von Vögeln und<br />

Wirbeltieren. Herbizidresistente Pflanzen entlasten die Umwelt demnach<br />

nicht, sondern beeinträchtigen die Artenvielfalt. 14<br />

Es gibt bis heute keine Ökobilanz der Verwendung von Genmais 15 oder<br />

Genraps und damit keine wissenschaftlich belastbare Abschätzung des<br />

Umwelteffekts. Warum dies so ist, beantwortet z.B. eine Hochglanzbroschüre<br />

der deutschen Firma AgrEvo 1996 zum Einsatz eines „nichtselektiven<br />

Herbizids mit günstigen ökologischen Eigenschaften“ mit der Bezeichnung<br />

„Basta“ (später aufgrund des negativen Namensimage in „Liberty“<br />

umgewandelt) gleich selbst: Von AgrEvo wird es für unwahrscheinlich<br />

gehalten, dass sich herbizidresistenter Raps auf andere verwandte Senfarten<br />

auskreuzt – „Sollte es dennoch geschehen, kann ... immer noch ein anderes<br />

Mittel verwendet werden“. Also umweltfreundlicher??? Gleiches wird<br />

abwägend auf die Frage beantwortet, ob Unkräuter selbst gegen das Totalvernichtungsmittel<br />

Resistenzen entwickeln können? Wäre ja auch nicht so<br />

schlimm, denn: „Eine Kontrolle mit Herbiziden, die einen anderen<br />

Wirkungsmechanismus aufweisen, ist weiterhin möglich.“<br />

Wird das Welthungerproblem gelöst?<br />

Während die Gentechnik zum Schrittmacher für die Weltwirtschaft wird,<br />

verarmen immer mehr Klein- und Mittelbauern sowie Nomaden und<br />

verhungern immer mehr Bewohner dieser Erde. Es gibt keinen direkten<br />

Zusammenhang zwischen der Menge an Nahrungsmitteln, die ein Land<br />

produziert, und der Zahl der hungernden Menschen. Grundsätzlich gilt:<br />

Hunger ist ein gesellschaftliches und politisches Problem und kann deshalb<br />

nicht durch den Einsatz von Technik allein gelöst werden. Hunger wird durch<br />

ein komplexes Zusammenspiel von Armut, zu knappen oder zerstörten<br />

Ressourcen, Umweltkatastrophen, ungerechten Strukturen des Welthandels<br />

sowie von f<strong>als</strong>cher Politik und Krieg verursacht.<br />

Untersuchungen der FAO 16 , der Welthungerhilfe 17 und des Büros für<br />

Technikfolgeabschätzung beim Deutschen Bundestag sagen aus: Gentechnik<br />

14 www.pubs.roy<strong>als</strong>oc.ac.uk/FSEresults<br />

15 Kleine Anfrage der CDU (DS 14/3969 vom 02.08.2000), 500 ha Bt-Mais mit Insektenresistenz ("-toleranz") von<br />

Syngenta werden für eine betriebsinterne Produktion in Deutschland angebaut (entspricht 80 Fußballfelder).<br />

16 FAO: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen<br />

17 ngo-online vom 18. Okt. 2004 www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php4?Nr=9527


21<br />

wird keinen Beitrag zur Bekämpfung von Armut und Hunger in der Dritten<br />

Welt leisten. Die Zahl der Hungernden vor allem in Afrika und Südasien wird<br />

sich offenbar vorerst nicht verringern - es sei keine Trendwende in Sicht.<br />

Insgesamt seien nach den letzten Zahlen der Welternährungsorganisation<br />

FAO 798 Millionen Menschen in Entwicklungsländern unterernährt. Eher<br />

bedroht der Verlust der biologischen Vielfalt die Ernährungssicherung in den<br />

Entwicklungsländern, so die Welthungerhilfe. Im vergangenen Jahrhundert<br />

sind drei Viertel der genetischen Vielfalt verloren gegangen. Hoch gezüchtete<br />

Pflanzenarten haben zahlreiche einheimische Sorten verdrängt. Die neuen<br />

Sorten sind zwar ertragreicher, aber anfälliger für Krankheiten und<br />

klimatische Schwankungen, außerdem können die Bauern kein Saatgut für<br />

sich ziehen. Für Kleinbauern hingegen sei die Vielfalt der traditionellen Sorten<br />

lebensnotwendig. Gut fundierte, empirische Studien der letzten Jahre zeigen,<br />

dass gerade die nachhaltige Landwirtschaft, der Einsatz traditioneller<br />

Anbauverfahren und alter standortgerechter Nutzpflanzen enorme Potenziale<br />

für Entwicklungsländer birgt.<br />

Alle GVO, die bisher auf dem Markt kamen, sind auf die Monokulturen der<br />

Landwirtschaft in den reichen Ländern des Nordens zugeschnitten, nicht auf<br />

die regionalen Bedürfnisse der armen Länder des Südens. Kein Wunder,<br />

Kaufkraft kann nur dort abgeschöpft werden, wo sie vorhanden ist.<br />

Hunger könnte in der Welt längst gebannt sein. So ist für die letzten<br />

Jahrzehnte im Vergleich zum Bevölkerungswachstum eine schneller<br />

wachsende Primärproduktion in der Welt zu verzeichnen. Bei gleich<br />

bleibender bzw. abnehmender Ackerfläche hat sich die Erntemenge bei<br />

Getreide seit 1960 verdoppelt. Doch warum werden Butter- und Fleischberge,<br />

Milchseen und Getreidevorräte nicht bereits zur Abwendung von Hunger<br />

genutzt? Wieso werden spanische Orangen und griechische Oliven auf dem<br />

Meer verklappt oder toskanische Weintrauben und deutsche Äpfel<br />

kompostiert? An den Hungernden lässt sich nichts verdienen, das ist der<br />

wahre Grund. Warum soll mittels Gentechnik noch mehr Lebensmittel<br />

produziert werden, wenn die Ernte nicht verteilt werden kann? Auch für die zu<br />

erwartende Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert könnte in Nahrungsenergie<br />

gemessen, bedarfsgerecht in Qualität und Quantität produziert werden. Aber<br />

nicht ein mal mit dem technischen Fortschritt bei den pflanzlichen<br />

Kultursorten und „Industrietierrassen“ durch die so genannte „grüne<br />

Revolution“ in den Industrieländern konnte den Hungernden geholfen werden<br />

– wie soll die grüne Gentechnik dann Abhilfe schaffen? Auch in den<br />

Industrieländern mit Überschüssen an Lebensmitteln, wo das Wegwerfen<br />

zum täglichen Lebensstil gehört, steigt die Zahl derer, die zunehmend auf<br />

Suppenküchen und diakonische Einrichtungen angewiesen sind. Die


22<br />

Gentechnik kann auch hier nicht weiterhelfen, da sie weder Armut noch<br />

Hunger bekämpft.<br />

Schaffung von Arbeitsplätzen?<br />

Gentechnologie bringt insgesamt keinen Arbeitsplatzgewinn. Sie setzt<br />

weltweit in der Landwirtschaft, in den vorgelagerten Bereichen der<br />

Forschung, Saatgut- und Chemieindustrie sowie in der Verarbeitungsindustrie<br />

Arbeitskräfte frei! In Deutschland und EU-weit werden politisch motivierte<br />

positive Prognosen gemacht. So sollten in der Gesamtbranche Bio- und<br />

Gentechnik bis zur Jahrtausendwende ca. 2 Mio. neue Arbeitsplätze entstehen.<br />

Diese haben sich bisher jedoch nicht bewahrheitet. Mit jeder<br />

Übernahme und Fusion unter den Pflanzenschutz-, Saatgut- und Biotech-<br />

Unternehmen wurden jeweils bis zu mehreren Tausend Beschäftigte<br />

entlassen. Negative Auswirkungen können sich mit der breiten Einführung<br />

der Gentechnik vor allem bei den Primärproduzenten ergeben. Das<br />

Bauernsterben wird durch Gentechnik forciert, da diese die Produktion von<br />

Monokulturen begünstigt bzw. voraussetzt. Klein- und Mittelbauern haben<br />

das Nachsehen. Schon der Einsatz von „Unkraut-Totalvernichtungsmitteln“ in<br />

den Gen-Feldern anstelle spezifischer Spritzmittel oder mechanischer<br />

Unkrautbekämpfung spart Arbeitszeit. Besonders betroffen sind auch die<br />

Bauern in Entwicklungsländern, die Rohstoffe für die verarbeitende<br />

Lebensmittelindustrie herstellen. Z.B. erübrigt sich mit der gentechnischen<br />

Herstellung von Vanille die Rohstoffproduktion auf Madagaskar, in Reunion,<br />

auf den Komoren, in Indonesien, Mexiko und Tahiti. 18 Für die Vanille-Bauern<br />

wird dies katastrophale wirtschaftliche Folgen haben, wenn nicht rechtzeitig<br />

auf andere Anbaupflanzen umgestellt wird.<br />

Ein weiteres Beispiel: Einige Firmen versuchen sich jetzt an der Herstellung<br />

von Thaumatin - einem Süßmittel, das aus der gleichnamigen westafrikanischen<br />

Staude gewonnen wird. Thaumatin ist in seiner reinsten Form<br />

hunderttausend Mal süßer <strong>als</strong> Zucker. Die gentechnische Herstellung von<br />

Thaumatin und anderen Süßstoffen wird den Weltzuckermarkt weiter<br />

schrumpfen lassen. Mehr <strong>als</strong> zehn Millionen Bauern der Dritten Welt könnten<br />

dadurch ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. Angesichts der Tatsache,<br />

dass etwa nur 20% des gesamten (deutschen) Zuckerbedarfs<br />

Haushaltszucker (Streuzucker) ist und der Rest in die Verarbeitungsindustrie<br />

18 Der Anbau von Vanille ist sehr kostspielig. Die Vanille-Orchidee muss von Hand bestäubt werden, ist schwierig zu<br />

ernten und weiterzuverarbeiten. Mit der gentechnischen Herstellung von Vanille werden die Schote, die Pflanze, der<br />

Boden, der Anbau, die Ernte und der Anbauer überflüssig. Die aus Zellkulturen hergestellte Vanille der kalifornischen<br />

Biotechfirma Escagenetics ist bei einem Preis von 25$ pro Pfund wesentlich billiger <strong>als</strong> die natürliche Vanille, die auf<br />

dem Weltmarkt 1.200$ kostet. Die Firma hat bereits ein Patent für ihre Laborvanille beantragt und will damit die<br />

landwirtschaftlich produzierte Vanille vom Weltmarkt, auf dem fast 200 Millionen Dollar umgesetzt werden, verdrängen<br />

(Bioprocessing Technology Januar 1991:7 zit. nach Rifkin 1995).


23<br />

(Getränke, Süßwaren, Backwaren etc.) geht, könnte die Zuckerproduktion<br />

auch hier kollabieren.<br />

Ist grüne Gentechnik wissenschaftlich-technischer Fortschritt?<br />

Die Gentechnik <strong>als</strong> Methode ist es mit Sicherheit. Die Monopolherrschaft<br />

hat jedoch dazu geführt, dass die Entwicklung der Produktivkraft<br />

Gentechnik (und sie befindet sich noch in der Entwicklung!) in dem<br />

gegenwärtigen Stadium der Entlassung von manipuliertem Leben in die<br />

Natur in eine Stufe eingetreten ist, wo sie nur Unheil anrichtet und daher<br />

destruktiv wird. Wenn die Umwelt verseucht, die Artenvielfalt eingeschränkt,<br />

der Boden beeinträchtigt und die wirtschaftliche Existenz der Bauern aufs<br />

Spiel gesetzt werden und dadurch unsere Nahrungsmittelproduktion auf<br />

lange Sicht ad absurdum geführt wird, wie können unsere künftigen<br />

Generationen sich dann noch ernähren? Ähnlich wie bei der Atomtechnik<br />

kann auch Gentechnik zur Produktivkraft oder zur Destruktivkraft werden. Die<br />

Ökonomen bestehen auf der Produktivkraftentwicklung, ohne die die<br />

Menschheit nicht existieren könne, die Ökologen sehen in der Gentechnik<br />

eher den ökologischen Suizid, Ärzte äußern den Verdacht einer neuen<br />

Allergiewelle.<br />

Die Argumentation, dass technischer Fortschritt nicht aufzuhalten ist, fußt nur<br />

auf der Überzeugungsrhetorik nach dem Motto "ist doch längst da und kann<br />

nicht mehr verhindert werden". Politik muss nicht der normativen Kraft des<br />

Faktischen unterliegen. Es gibt genügend Beispiele in Produktion und<br />

Forschung, wo extreme Verbote z. T. weltweit geregelt bestehen<br />

(Massenvernichtungswaffen, Bio-Waffen, Tiermehle, menschliche<br />

Embryonen und Föten sowie hochtoxische Stoffe wie z.B. die einstm<strong>als</strong> in<br />

vollster Überzeugung der Ungefährlichkeit zugelassenen Mittel DDT <strong>als</strong><br />

Pflanzenschutzmittel, Lindan <strong>als</strong> Holzschutzmittel, Contergan <strong>als</strong><br />

Schlafmittel).<br />

Es ist schon seltsam, wenn Protagonisten der Gentechnik die Ansicht<br />

vertreten, die Gentechnik-Kritiker seien alle ideologisch geprägt, und die<br />

Befürworter seien rein rational. In der Diskussion um den gesellschaftlichen<br />

Fortschritt durch die grüne Gentechnik lassen die Gen-Konzerne in ihren<br />

propagandistischen und Profitbestrebungen nichts unversucht, um die<br />

Menschheit von ihrem „heiligen Gral des Lebens“ zu überzeugen. Monsanto<br />

und Co. finanzieren z.B. solche ihren Interessen nahe stehende Vereine wie<br />

den „Wissenschaftlerkreis GRÜNE GENTECHNIK“, der sich auch aus Mitarbeitern<br />

von Pharmakonzernen rekrutiert. Für diesen Fakt beanspruchen die<br />

Konzerne wie in solchen von ihnen selbst (mit-) finanzierten Vereinen die<br />

"Stimme der Wissenschaft" für sich. Das ist wie zu Zeiten des kalten Krieges.


24<br />

Es gab Wissenschaftler wie Teller und Co., die absolute Befürworter von<br />

Atomwaffen waren. Und es gab Wissenschaftler der „Pugwash-Bewegung“,<br />

die den Friedensnobelpreis bekamen, weil sie dagegen waren. Heute sind<br />

solche Wissenschaftlerkreise wie die UCS (Union of Concerned Scientists –<br />

Vereinigung der besorgten Wissenschaftler), die Alliance for Biointegrity und<br />

die ISIS 19 (Offener Brief von 463 renommierten Wissenschaftlern aus 56<br />

Ländern) zu nennen, die sich schon im Jahr 2000 weltweit gegen transgene<br />

Pflanzen und gegen Patentierung von lebenden Organismen ausgesprochen<br />

haben.<br />

Das auch deutsche Wissenschaftler wegen ihrer Funktionen in öffentlichen<br />

oder privaten Ämtern gerne <strong>als</strong> Fürsprecher gewonnen werden, mag da nicht<br />

überraschen: Einen Gewissenskonflikt scheinen sie nicht zu erkennen, wenn<br />

sie sich in starkem Maße für die Gen-Projekte einsetzen: Bei einer PR 20 -<br />

Veranstaltung am 18. Juli 1996 zum Auftakt der Monsanto-Kampagne zur<br />

Einführung von Gen-Soja in Deutschland plädierte Prof. Jany 21 entschieden<br />

für Monsantos Anliegen. Auch der 'deutsche Markt' könne sich solch<br />

neuartigen Lebensmitteln 'nicht verschließen'. Er wandte sich gegen eine<br />

übertriebene Kennzeichnungspflicht, etwa, wenn Gensojaerzeugnisse in<br />

anderen Lebensmitteln verarbeitet werden. Er fühle sich dabei aber, sagt<br />

Jany, 'relativ neutral'. 22 Warum aber soll der Verbraucher nicht wissen, was er<br />

kauft? Die Antwort ist denkbar einfach: Die Industrie fürchtet die<br />

Einkaufskorb-Politik!<br />

Vor solch gefährlichen Interessenverflechtungen von staatlichen<br />

Aufsichtsbehörden, wissenschaftlichen Institutionen und der Industrie, warnte<br />

sogar die Financial Times im Januar 1999: "Manche werden die Erklärungen<br />

von Monsanto, dass deren Soja sicher zu essen sei, für bare Münze nehmen.<br />

Und sie werden sich durch zahlreiche amtliche Äußerungen der zuständigen<br />

Kontrollbehörden ermutigt fühlen. Wir Zyniker aber vermuten, dass die<br />

großen Unternehmen Experten in der Lobbyarbeit und beim Bestechen der<br />

Behörden sind."<br />

Die Forschungs- und Entwicklungsbereiche der Industrie müssen <strong>als</strong><br />

integraler Bestandteil eines auf Profit ausgerichteten Unternehmens gesehen<br />

werden. Als Folge dessen sind die Forscher viel stärker am<br />

Unternehmenserfolg orientiert <strong>als</strong> ein „unabhängiger“ Wissenschaftler. Es<br />

graust einem vor Wissenschaftlern, die die Wissenschaft in einem<br />

19<br />

International Security Information Service – Internationaler Sicherheits-Informationsdienst<br />

20<br />

Public Relation - Öffentlichkeitsarbeit<br />

21<br />

Prof. Dr. Klaus-Peter Jany: Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik, Leiter des Molekularbiologischen Zentrums an der<br />

Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe<br />

22<br />

Hans-Ulrich Grimm (1999) Aus Teufels Topf: die neuen Risiken beim Essen; Stuttgart: Klett-Cotta, S.272


25<br />

Wolkenkuckuckshein vermuten und sich die Wahrheit beim Buchhalter des<br />

Großkonzerns ausstellen lassen.<br />

Mit den gegenwärtigen Erkenntnissen ist die Wahrscheinlichkeit, dass grüne<br />

Gentechnik den humanen Interessen entspricht, viel geringer <strong>als</strong> die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass sie Schaden anrichtet – gewollt oder ungewollt,<br />

durch Missbrauch oder Gebrauch, unabhängig von der herrschenden Gesellschaftsordnung.<br />

Die Menschheit hat in ihrer Verantwortung im Umgang mit<br />

sich selber und ihrer Umwelt bisher versagt. Die Aufsummierung der<br />

ökologischen Beeinträchtigungen durch den Menschen in den letzten 100<br />

Jahren übertrifft bei weitem jene negativen Einflüsse auf Umwelt und Natur<br />

der gesamten Menschheitsgeschichte davor. Wie viel hunderte Jahre haben<br />

wir noch? Wie viele sind es noch mit der Gentechnik?


26<br />

4. Welche Risiken gibt es für die Umwelt?<br />

Vor über 15 Jahren begannen in Europa die Diskussionen um die Wirkungen<br />

von GVO auf Mensch und Umwelt. Schon dam<strong>als</strong> war klar, dass die<br />

vererbbaren Baupläne des Lebens unter Kontrolle der Gentech-Konzerne<br />

stehen. Kein vernünftiger Mensch wird unter den globalisierten und<br />

entfesselten Kräften des Marktes auch nur einen Augenblick daran zweifeln<br />

und erkennen, dass eine solche nie gekannte Macht über die Gene auch<br />

beträchtliche Risiken hervorbringen wird.<br />

Die ersten praktischen Erfahrungen haben schon Schwachstellen deutlich<br />

aufgezeigt. So wird weder mehr Ertrag eingefahren, noch wird dem<br />

Umweltschutz genüge getan. Nachweislich werden keine Pestizide<br />

eingespart. Erste Insektenresistenzen, Auskreuzungen in verwandte Arten<br />

und resistente „Superunkräuter“ haben sich gebildet. Warum die<br />

Risikodiskussion so vehement am Leben bleibt, ist die zunehmende<br />

Bestätigung von Risiken. Wer sich einmal mit Ökologie beschäftigt hat, der<br />

merkt schnell, dass biologische und ökologische Systeme endlos kompliziert<br />

sind. Wenn einem klar wird, dass hier mit Systemen herumgespielt wird, von<br />

denen wir praktisch nicht genug wissen, dann kommt man automatisch zu<br />

einer starken Auslegung des Vorsorgeprinzips. Man springt in einer<br />

unbekannten Gegend nicht fröhlich in die Dunkelheit, wenn man nicht weiß,<br />

was vor einem liegt. Mit 'ideologischen Scheuklappen' hat das wenig zu tun,<br />

es sei denn, der schlichte gesunde Menschenverstand wird jetzt schon zur<br />

Ideologie erhoben.<br />

Zu jeder gentechnischen Veränderung gibt es entsprechende Risiken. Hier<br />

eine Auswahl:<br />

Herbizidresistenz<br />

Die häufigste Eigenschaft, die durch Gentechnik in die Pflanze eingebracht<br />

wird, ist die Resistenz gegen ein spezifisches Pflanzenschutzmittel. Eine<br />

solche gentechnisch veränderte Pflanze wird <strong>als</strong> herbizidresistent bezeichnet.<br />

Wird der Acker mit dem entsprechenden (komplementären) Herbizid<br />

besprüht, überlebt allein die gentechnisch veränderte Pflanze. Hier werden<br />

Pflanzen nicht etwa gegen Unkraut oder Schädlinge resistent gemacht,<br />

sondern gegen Bekämpfungsmittel! Der Wahnsinn hat Methode. Immerhin<br />

kann dann großflächig das Gift versprüht werden, ohne dass die Nutzpflanze<br />

darunter direkt leidet. Wie es dem Grundwasser, dem Boden, dem<br />

Ackerrandstreifen – der Umwelt insgesamt, aber auch dem Konsumenten<br />

oder dem Bauer dabei ergehen, ist für die Gentech-Konzerne schließlich<br />

Nebensache, Kollater<strong>als</strong>chaden sozusagen im Experimentierfeld der Praxis.


27<br />

Mit Totalherbiziden wird eine Radikalkur auf den Feldern betrieben, die mit<br />

dem Nachhaltigkeitsprinzip nichts mehr zu tun hat. Statt das Unkraut<br />

mechanisch zu entfernen oder spezifisch zu spritzen, brauchen die Bauern<br />

jetzt nur noch Totalherbizide einzusetzen. Dabei ist der Unkrautdruck oftm<strong>als</strong><br />

gar nicht so hoch und nicht alle (Un-) Kräuter stehen in direkter Konkurrenz<br />

zur Nutzpflanze. Das alte Prinzip der Untersaaten in Getreide ist dann<br />

sowieso nicht mehr möglich.<br />

Die Pollen dieser Genpflanzen haben wie jeder Blütenstaub einige natürliche<br />

aber für die Gentech-Anbauer sehr unangenehme Eigenschaften: Sie lassen<br />

sich von Insekten mitnehmen oder vom Wind in alle vier Himmelsrichtungen<br />

treiben – und: sie dienen der Vermehrung! Aus dieser Art der Fortpflanzung<br />

erwächst ein Risiko: Die transgenen Pollen sind ebenfalls resistent gegen<br />

Herbizide und können sich in das Erbgut von wild wachsenden verwandten<br />

Kräutern einkreuzen oder auf Nachbars Feld in der gleichen Kulturpflanze<br />

niederlassen. Deren Populationen lassen sich mit den Totalherbiziden nicht<br />

mehr bekämpfen. Herbizidresistente Unkräuter wären ein Horror für die<br />

Landwirte. Andere Mittel müssen wieder eingesetzt werden. Aber auch<br />

ausgefallener Gensamen wird zum Problem, wenn er im darauf folgenden<br />

Jahr keimt und sich zwischen anderen Früchten nicht mehr bekämpfen lässt.<br />

Ein erster Bericht über dreifach-herbizidresistenten Raps kam im Jahr 2000<br />

aus Kanada, wo Durchwuchs-Raps auftrat, der gegen die Herbizide Roundup<br />

(Monsanto), Liberty (Aventis) and Pursuit (BASF, herkömmliches Mittel)<br />

widerstandsfähig war. Monsanto hat für den höheren Gebrauch ihres Total-<br />

Herbizids Roundup schon mal vorgesorgt und an die zuständigen Stellen<br />

appelliert, die höchstzulässigen Grenzwerte für Roundup-Rückstände in der<br />

Nahrung von 6 mg/kg Trockenmasse auf 20 Milligramm anzuheben.(!) 23 Ein<br />

hoher Preis für Ökologie und Humangesundheit, denn allzu ungefährlich ist<br />

Roundup 24 nicht. Es gibt Hinweise auf krebsfördernde Wirkungen, es gilt <strong>als</strong><br />

fischgiftig, giftig gegenüber Bodenbakterien, und wurde schon in<br />

Oberflächen- und Grundwasser gefunden.<br />

Insektenresistenz<br />

Die häufigste bei Mais und Baumwolle durch Gentechnik bewirkte<br />

Eigenschaft ist die Insektenresistenz, die durch den Einbau von Genen<br />

eines Bodenbakteriums namens Bacillus thuringiensis (Bt) in die Pflanzen<br />

erzielt wird. Diese transgenen Pflanzen produzieren nun während der<br />

gesamten Vegetationsperiode ständig ihr eigenes chemisches Abwehrmittel -<br />

23 Steinbrecher, From Green to Gene Revolution, S. 273<br />

24 Das Totalherbizid Glyphosat (Markenname Roundup) reizt Haut und Augen und beeinträchtigt die<br />

Fortpflanzungsfähigkeit von Versuchstieren. Glyphosat hemmt in allen Zellen ein Enzym, daß die Produktion von<br />

speziellen Aminosäuren einleitet. Werden sie nicht mehr hergestellt, stoppt die Proteinbiosythese, die<br />

Stoffwechselvorgänge in der Pflanzenzelle kommen zum Erliegen. Die Pflanzen sterben ab.


28<br />

ein Gift, das Bt-Toxin, das die Darmwand der Raupen z.B. des Maiszünslers,<br />

der Mehlmotte, des Reisbohrers, des Baumwollkapselwurms angreift und<br />

diese Fraßschädlinge schließlich tötet.<br />

Es zeigt sich allerdings, dass das Insektengift nicht nur die Schädlinge tötet,<br />

die es töten soll, sondern auch andere Insekten, denn das Gift der Gentech-<br />

Pflanze wird über die Nahrungskette weitergegeben. 25 Ein Nützling wie die<br />

Florfliegenlarve ernährt sich u.a. von Maiszünsler-Raupen und nimmt das in<br />

deren Körper befindliche Gift auf und wird gleich mitentsorgt. Betroffen ist<br />

auch der Monarchschmetterling, der von dem Pollen des Bt-Mais nascht.<br />

Ungarische Untersuchungen bestätigen, dass Pollen des BT-Mais namens<br />

MON810 von Monsanto auch Larven des Tagpfauenauges bis zu einer 20<br />

%igen Mortalitätsrate schädigen. 26 Das Robert Koch-Institut (RKI) in<br />

Deutschland zweifelt diese Ergebnisse fachlich an und sieht keinen Anlass,<br />

die bisherige Sicherheitsbewertung von Bt-Mais zu ändern. Dann haben<br />

Wissenschaftler der Biologischen Bundesanstalt mögliche Effekte des GV-<br />

Mais auf Larven von Trauermücken untersucht, die eine wichtige Rolle <strong>als</strong><br />

Zersetzer von Mais-Ernterückständen auf Ackerflächen spielen. Diese<br />

Trauermückenlarven brauchten signifikant mehr Zeit bis zur Verpuppung <strong>als</strong><br />

die Kontrollgruppe. Ob das Bt-Toxin ausschlaggebend für diese<br />

Entwicklungsverzögerung ist, klärten die Forscher in ihren Untersuchungen<br />

nicht auf. Ein solcher Nahrungsqualitätsverlust von Gen-Mais-Streu kann bei<br />

längerfristigem GV-Maisanbau das Gefüge der Artengemeinschaften massiv<br />

stören. 27<br />

Eine Studie der französischen Gentechnikkommission zeigt: Gentech-Mais<br />

hat bei Ratten zu gesundheitlichen Problemen geführt (u.a. Nierenleiden,<br />

Zunahme Lymphozyten, erhöhter Blutzuckerspiegel). Wirkte auch hier das<br />

Toxin? 28 Die Grundlagen der wirklichen chemischen und biologischen<br />

Zusammenhänge sind den Wissenschaftlern kurioserweise immer unklar.<br />

Das gibt genügend Spielraum für die Genpflanzen-Hersteller, diese kritischen<br />

Studien <strong>als</strong> fragwürdig oder <strong>als</strong> einen „zu vernachlässigen Effekt“ zu<br />

bezeichnen.<br />

Eine neue Spielart unerwarteter Nebenfolgen insektenresistenter Pflanzen<br />

förderte darüber hinaus eine Studie zu Tage, für die Wissenschaftler Larven<br />

der Kohlmotte mit von der Genpflanze hergestellten Proteinen fütterten 29 .<br />

25<br />

Environmental Entomolgy 27 (1998) S. 480-487; Annual Reports of the Crop Scottish Research Institute 1996/1997, S.<br />

68-72<br />

26<br />

www.greenpeace.at/uploads/media/dt_abstract_darvas.pdf<br />

27<br />

Büchs et al. (2004) Potentielle Auswirkungen des Anbaus von Bt-Mais, Seminar "Sicherheitsforschung und Monitoring<br />

2004, Berlin 16. Juni 2004<br />

28<br />

Le Monde, 23.4.04<br />

29<br />

The Independent, 30.3.2003, „Insects thrive on GM-pest-killing Crops"


29<br />

Statt toxische Wirkung zu entfalten, gediehen die Larven nach dem Proteinverzehr<br />

im Labor prächtig: Die Kohlmotten nutzten das Protein <strong>als</strong><br />

Nahrungsergänzung und wiesen eine bis zu 56 Prozent höhere<br />

Wachstumsrate gegenüber ihren Artgenossen auf. Als Folge für die<br />

Landwirtschaft könnte sich bei großflächigem Anbau eine wahre Plage von<br />

Kohlmotten entwickeln.<br />

Untersuchungen haben außerdem gezeigt 30 , dass das Insektengift von den<br />

Genpflanzen über die Wurzeln in den Boden abgegeben wird und dort<br />

offenbar sehr stabil ist. Dies ist insofern brisant, <strong>als</strong> nur ein Bruchteil der im<br />

Boden lebenden Mikroorganismen bekannt ist und Erkenntnisse über Wechselwirkungen<br />

des Gifts mit den Bodenmikroorganismen, bodenlebenden<br />

Insekten und Nematoden nicht existieren.<br />

Aber die Natur ist auch beim Freilassen von insektenresistenten Genpflanzen<br />

sehr erfinderisch. Die meisten Schadinsekten werden zwar abgetötet, aber<br />

die wenigen widerstandsfähigsten, die durch evolutionären Zufall resistent<br />

sind oder wurden, können sich in der freigewordenen Nische zügig ausbreiten.<br />

Die Schädlinge wie Maiszünsler und Baumwollkapselwurm passten<br />

sich ungewöhnlich schnell an das immer vorhandene Gift an. Schon nach<br />

4jähriger Nutzung des Bt-Maises und der Bt-Baumwolle wurden Resistenzen<br />

nachgewiesen. In den Vereinigten Staaten, wo 1998 schon ein Drittel der mit<br />

Mais kultivierten Anbaufläche aus gentechnisch veränderten Pflanzen<br />

bestand, wurden bereits die ersten Parzellen mit resistenten Maiszünslern<br />

vernichtet. Wegen der steigenden Resistenzentwicklung erließ die<br />

amerikanische Umweltbehörde Auflagen: die Bereitstellung von so genannten<br />

gentechfreie Refugien (Anbaustreifen) auf bis zu 40% Genpflanzen-<br />

Ackerfläche. Das dürfte mehr Arbeit bedeuten und keineswegs höhere<br />

Erträge sichern. Die Refugien zielen aber nicht auf einen Schmetterlings-<br />

oder Nützlingsschutz ab, sondern auf die Verzögerung einer Gefahr, die auf<br />

die Landwirtschaft selbst zurückschlägt: die Ausbildung Bt-resistenter<br />

Schädlingspopulationen. Und hier bestätigt sich die These: einmal in die<br />

Umwelt entlassen, stellen sich die natürlichen Kontrahenten darauf ein<br />

und sind nicht mehr zurückholbar. So ist bei GV-Pflanzen damit zu<br />

rechnen, dass der eingebaute Schutzmechanismus gegen einzelne<br />

Schädlinge oder Herbizide innerhalb weniger Jahre durchbrochen wird, und<br />

somit wieder mehr Chemie oder neue Gentech-Pflanzen erforderlich machen.<br />

Ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem Mensch und Umwelt großen Schaden<br />

nehmen können. Genetisch veränderte Pflanzen bilden daher keine<br />

nachhaltige Lösungsstrategie. Künstliche Barrieren werden durch die Natur<br />

schneller überwunden, je tiefer die Eingriffe sind.<br />

30 Nature 402 (1999) S. 480


Pilzresistenz<br />

30<br />

Gerste verfügt aufgrund natürlicher Widerstandsfähigkeit über ein<br />

Resistenzgen gegenüber Mehltau - das so genannte mlo-Gen. Mehltau kann<br />

von Gerste somit erfolgreich abgewehrt werden. Diese Resistenz ist so stabil,<br />

dass sie in fast 70 Prozent aller Gerstesorten traditionell eingezüchtet wurde.<br />

Mit dieser Erkenntnis sollte das mlo-Gen auch zur erfolgreichen Abwehr<br />

gegenüber anderen Pilzarten in weiteren Sorten eingesetzt werden. Dieses<br />

Gen wirkte jedoch entgegen den Erwartungen der Wissenschaftler auf die<br />

Entwicklung eines Schadpilzes massiv fördernd. Warum das so ist und<br />

welche Wirkmechanismen dabei ablaufen, ist nicht bekannt. Die mlo-<br />

Resistenz jedenfalls ist für den gentechnischen Einsatz zur Verbesserung<br />

von Krankheitsresistenzen in weiteren Kulturpflanzen nicht geeignet. Das alte<br />

Konzept „ungefährlich plus ungefährlich ergibt ungefährlich“ stimmt<br />

offensichtlich nicht.<br />

Auch bei Gen-Pflanzen, die vermeintlich ungefährlich sein könnten, da sie<br />

nicht <strong>als</strong> Lebensmittel sondern für die industrielle Verwertung eingesetzt<br />

werden, gilt: die Risiken bleiben. Das Max-Planck-Institut für Molekulare<br />

Pflanzenphysiologie will mit einer genetisch veränderten Kartoffelpflanze die<br />

Stärkeproduktion erhöhen und so eine »neue attraktive Industriepflanze« für<br />

die Papierherstellung entwerfen. Ob sich neben dem Stärkegehalt auch der<br />

Giftgehalt der grünen Pflanzenteile erhöht, wird jedoch vorerst nicht<br />

untersucht. Beim großflächigen Einsatz der Gentech-Kartoffel könnte der Giftgehalt<br />

Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben. 31 Man zäumt wieder einmal<br />

das Pferd von hinten auf.<br />

Eines der größten Risiken stellen der Gentransfer und die Auskreuzung<br />

transgener Pflanzen in Wildarten und verwandte Populationen dar. 32 Gerade<br />

in den übergreifenden Artgrenzen liegt ein Risiko, dass zu ökologischen<br />

Verschiebungen führen kann. Transgene Pflanzen und ihre Resistenzen<br />

bedrohen massiv die Artenvielfalt – nicht nur durch die Ausweitung von<br />

Monokulturen. Beispielsweise verfügt(e) das Ursprungsland des Wildmaises<br />

Mexiko über 3000 verschiedene regionale Wild- und Kultursorten. Die<br />

Umweltbehörde der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) hat jetzt<br />

Alarm geschlagen. Sie geht davon aus, dass sich exportierter Gen-Mais nach<br />

Mexiko unkontrolliert und nicht rückholbar unter den einheimischen<br />

mexikanischen Sorten ausbreiten wird. Die Behörde fordert nicht nur eine<br />

Kennzeichnung von amerikanischem Gen-Mais, sondern auch ein Export in<br />

31 Junge Welt vom 26.05.2004<br />

32 Eine umfangreiche Recherche ist in den Gentechnik-Nachichten Spezial Nr. 11/12 (2002) beschrieben,<br />

www.oeko.de/gennews.htm.


31<br />

nur noch gemahlener Form, damit es nicht zur Aussaat und Verbreitung von<br />

Gentech-Pollen kommt. 33<br />

In Europa besteht diese Gefahr der Ausbreitung der neuen Eigenschaften auf<br />

verwandte Wildarten besonders bei Raps und Zuckerrüben, da beide hier<br />

beheimatet sind und über entsprechend viele verwandte Arten verfügen. In<br />

einem Forschungsprojekt im Nordosten Deutschlands wurde festgestellt,<br />

dass sogar die beobachtete Auskreuzungsrate von transgenem Raps in eine<br />

verwandte Senfsorte (Sareptasenf) höher <strong>als</strong> in konventionellen Raps ist.<br />

Unter Freilandbedingungen wurde bislang eine Auskreuzung von transgenem<br />

Raps mit Rübsen, Sareptasenf, Schwarzem Senf, Grausenf, Hederich und<br />

Ackersenf belegt. Selbst bei einer niedrigen Einkreuzungsrate von 0,1% in<br />

eine Nutzpflanze wie Raps, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sie<br />

bis zu 4.000 Samen pro Individuum bilden kann. Genau aus diesen Gründen<br />

der negativen Beeinflussung und Verringerung der Biodiversität (Artenvielfalt)<br />

hat die belgische Regierung im Februar 2004 den Antrag auf europaweite<br />

Zulassung einer GV-Rapslinie von Bayer abgelehnt. 34<br />

Wie schwierig es ist, einmal Fuß gefasste selbst reproduzierbare<br />

Fremdorganismen wieder zu eliminieren, lässt sich leicht veranschaulichen<br />

an der Einführung exotischer Arten in fremde Ökosysteme. 35<br />

Mit der „Verknappung“ des Genpools unter Kultur- wie Wildpflanzen, Nutz-<br />

wie Wildtieren schaufelt sich die biotechnologische Revolution vermutlich ihr<br />

eigenes Grab. Auf der einen Seite hängt ihr Erfolg vom reichhaltigen Zugang<br />

an das Gen-Reservoir dieser Erde ab. Auf der anderen Seite wird mit den<br />

hervorgebrachten Monokultur- und Genpflanzen eine regelrechte Genarmut<br />

produziert, indem alte traditionelle Sorten - von Natur aus gegen Krankheiten<br />

resistent oder auf spezifische kleinräumliche klimatische Bedingungen<br />

angepasst - immer mehr verschwinden.<br />

Wer mit der Gentechnik zu tun hat, erfährt von den alltäglichen Negativ-<br />

Meldungen, die über „Versuch und Irrtum“ (trial and error) in den Laboren, in<br />

den Feldversuchen und in der Praxis zu Tage gefördert werden. Da scheitern<br />

in Kenia die Versuche mit GV-Süßkartoffeln 36 , da deckt ein leuchtender GV-<br />

33<br />

NAFTA kritisiert Gefährdung der biologischen Vielfalt durch Gen-Mais, 19. Okt. 2004, www.greenpeace.de<br />

34<br />

The Guardian 03.02.04, zitiert nach GENET 04.02.04<br />

35<br />

Bekannteste Beispiele sind in Deutschland eingeschleppte und sich unkontrolliert ausbreitende Pflanzen (z.B.<br />

Bärenklau) oder in Australien die Kaninchenplage.<br />

36<br />

Dreijährige Feldversuche mit einer virusresistenten GV-Süßkartoffel in Kenia ergaben, dass die GV-Kartoffeln anfällig<br />

gegenüber Viruskrankheiten sind und dass zudem konventionelle Kartoffeln höhere Ernteerträge erbringen. Die GV-<br />

Kartoffel war in einem neunjährigen Projekt, das 6 Millionen US Dollar kostete, von dem Unternehmen Monsanto mit<br />

Unterstützung von der Weltbank und der US-amerikanischen Regierung entwickelt worden. (GENET 02.02.04; The New<br />

Scientist, Vol 181 No. 2433, 7 February 2004).


32<br />

Zierfisch eine Gesetzeslücke auf 37 , da zeigt sich, dass GV-Mücken weniger<br />

fruchtbar sind <strong>als</strong> ihre natürlichen Verwandten 38 - die Liste der Pleiten und<br />

Pannen ließe sich fortführen.<br />

Eine der grundlegenden Voraussetzungen für einen großflächigen Anbau von<br />

gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa ist die Gewährleistung der<br />

Wahlfreiheit der Bauern wie Verbraucher. Dazu müssen die Warenströme<br />

klar getrennt werden. Eine lange Liste von Kontaminationen – hier nur für<br />

Saatgut - zeigt, dass dies praktisch nicht möglich ist 39 :<br />

Deutschland: zwei Chargen Mais, die mit Gentech-Material vermischt sind:<br />

die Sorte Arsenal ist mit der Monsantos GA 21 und Janna mit den Novartis-<br />

Sorten Bt 176 und Bt 11 verunreinigt. (2001)<br />

Frankreich: Spuren von Gensoja finden sich in Soja-Saatgut. Die Werte<br />

liegen zwischen 0,8 und 1,5%. Gensoja darf in Frankreich nicht angepflanzt<br />

werden. (2000)<br />

Neuseeland: Süßer Mais ist von einer schwer wiegenden Saatgut-<br />

Verunreinigung betroffen. Eine Lieferung von insgesamt 5,6 Tonnen ist mit<br />

gentechnisch verändertem Saatgut kontaminiert. (2002)<br />

Griechenland… Österreich…Vereinigte Staaten… Kanada… Das Problem<br />

geht rund um den Erdball und ist in einigen Ländern gleich mehrm<strong>als</strong> zu<br />

finden. Verunreinigtes Saatgut der Firma Advanta wurde in Deutschland,<br />

Frankreich, Luxemburg, Großbritannien und Österreich gefunden. Es handelt<br />

sich um die Sommerraps-Sorten Hyola 38, 330 und 401, die mit Monsantos<br />

Genraps RT 73 verunreinigt waren. (2000) Es ist zu befürchten, dass sich<br />

gentechnisch veränderte Bausteine über kurz oder lang in allen landwirtschaftlichen<br />

Nutzpflanzen und vielen Wildpflanzen wieder finden.<br />

Sofern <strong>als</strong>o Befunde zu den Auswirkungen gentechnisch veränderter<br />

Pflanzen auf Umwelt, Mensch und Wirtschaftsweise vorliegen, geben diese<br />

Anlass zur Besorgnis. Transgene Pflanzen sind nach wie vor eine Gleichung<br />

mit vielen Unbekannten. Beinahe jeder in die freie Wildbahn entlassene<br />

transgene Organismus stellt eine potentielle Bedrohung für das Ökosystem<br />

dar. Die einstigen und heutigen Versprechungen und Unbedenklich-<br />

37 Da der Zierfisch kein Lebensmittel und keine Arznei ist, fiel die Zulassung der Genveränderung in keine der<br />

betreffenden Behörden in den USA. Dem Zebrafisch wurde das Gen einer Koralle eingebracht, das bei ultraviolettem<br />

Licht ein rot fluoreszierendes Protein produziert.<br />

38 Die Entwicklung von transgenen Moskitos wurde bisher mit dem Ziel betrieben, dass sie Krankheitserreger nicht mehr<br />

mit dem Speichel weitergeben. Jedoch konnten die gewünschten Eigenschaften wie z.B. keine Übertragung von<br />

Gelbfieber in der Natur nicht verbreitet werden. (Irvin et al. (2004): Assessing fitness costs for transgenic Aedes aegypti<br />

expressing the GFP marker and transposase genes. PNAS 101 (3): 891-896)<br />

39 Schadensfall Grüne Gentechnik GID 153, 2003, www.gen.ethisches-netzwerk.de


33<br />

keitsbeteuerungen der Pharma- und Gentechlobby unterliegen somit einer<br />

hohen Irrtumswahrscheinlichkeit und -gefahr. Auch von ihren Studien, die den<br />

Beweis umweltfreundlicher Produkte antreten wollen, bleibt nichts weiter <strong>als</strong><br />

reine Spekulation. Niemand hätte damit gerechnet, dass sich in relativ kurzer<br />

Zeit Resistenzen bei Schädlingen oder Superunkräutern entwickeln würden –<br />

auch die Natur geht mit der Zeit, könnte man hämisch entgegnen. Ökologen<br />

und kritische Wissenschaftler verwundert es nicht: Vergleicht man das<br />

Vorgehen der Natur zur Anpassung an ein neues ökologisches<br />

Ungleichgewicht mit den Methoden der Gentechniker, so nehmen sich ihre<br />

neuen Methoden recht primitiv aus. Die Entwicklungszeit zur Herstellung<br />

einer transgenen Sorte dauert bedeutend länger, <strong>als</strong> sich die Natur wieder<br />

darauf eingestellt hat. Transgene Nutzpflanzen drohen das genetische<br />

Reservoir aber auch noch anders auszuhöhlen. Während die Natur es<br />

eingerichtet hat, Resistenzen gegen Schädlinge, Krankheiten, Salz oder<br />

Dürre in einer Pflanze über mehrere hundert Gene zu verteilen, können<br />

die Gentechniker jeweils immer nur mit einem, zwei oder drei Genen für<br />

die Übertragung in eine Kulturpflanze arbeiten. Indem sie sich auf<br />

„Einzelgen-Resistenzen“ beschränken, verhelfen die Gentechniker Insekten,<br />

Viren und Pilze zu einem leichten Sieg, denn ihr Transgen wird innerhalb<br />

kurzer Zeit wieder wirkungslos geworden sein.<br />

Unter diesen Bedingungen sind die Risiken der Gentechnik, die auf einer so<br />

weit reichenden Beherrschung und Durchbrechung der Naturgesetze<br />

beruhen, überhaupt nicht beherrschbar. Risiken können nur vermindert<br />

werden, wenn sie überhaupt bekannt sind und verstanden werden. Das ist<br />

auch ein weiterer Grund, warum Gentechnik weiterhin in der Kritik steht: die<br />

unzureichende Risikoforschung. Ökologische und gesundheitliche<br />

Risikobegleitforschungen werden bei Freisetzungsexperimenten lt.<br />

Umweltbundesamt in Deutschland nur zu 15 Prozent aller Freilandexperimente,<br />

weltweit sogar nur bei einem Prozent berücksichtigt. Nicht mal durch<br />

die Grundlagenforschung ist das Zusammenspiel der Gene und ihre<br />

Funktionsweise im Organismus oder in Fremdorganismen wissenschaftlich<br />

hinreichend erklärt.<br />

Es ist deshalb kaum anzunehmen, dass bei Risiken und Nebenwirkungen<br />

eine "Packungsbeilage" reicht. Rechtfertigen die bereits bekannten und noch<br />

nicht bekannten Risiken eine Abwägung zwischen Gefahrenpotentialen und<br />

„Notwendigkeit“ der Gentechnik in der Lebensmittelproduktion? Der<br />

Verbraucher - und vor ihm der Bauer - müssen letztendlich selbst<br />

entscheiden.


34<br />

5. Was interessiert mich <strong>als</strong> Verbraucher?<br />

Lebensmittel, die mit Hilfe der Gentechnik hergestellt wurden oder<br />

Bestandteile von GVO beinhalten, so genanntes Genfood, erobern den<br />

Supermarkt. Brot, Kuchen, Desserts, Chips und Süßigkeiten enthalten oft<br />

genetisch veränderten Mais oder veränderte Soja. Das ist das Ergebnis einer<br />

Untersuchung der STIFTUNG WARENTEST im Spätsommer 2004: 82<br />

Lebensmittel wurden exemplarisch geprüft. In 31 Produkten fanden die<br />

Tester gentechnisch veränderte Zutaten. Die gefundenen Mengen an fremder<br />

Erbsubstanz lagen meist unter einem Prozent und waren demzufolge nicht<br />

kennzeichnungspflichtig. Nur drei Produkte: ein Pfannkuchen-Mix, ein<br />

Sportler-Riegel und ein Tofu-Eis, enthielten einen deutlichen Anteil artfremder<br />

Erbsubstanz. Die Tester registrierten hier bis zu 20 Prozent. Immerhin ein<br />

Drittel der getesteten Produkte war nicht mehr "gentechnikfrei".<br />

Haben gentechnisch veränderte Lebensmittel Auswirkungen auf die<br />

menschliche Gesundheit?<br />

Das ist – um es kurz zu sagen - nicht geklärt. Deutsche Lebensmittel seien<br />

die Sichersten der Welt, so tönt es von den Vertretern der<br />

Lebensmittelindustrie. Sorry, aber selbst die alten klassischen<br />

Lebensmittelkrankheiten wie Salmonellose, die Listeriose und Escherichia<br />

coli 40 leben in den letzten Jahren wieder auf. Und die Belastungen von<br />

Lebensmitteln mit Pestiziden und künstlichen Zusatzstoffen nehmen zu. 41<br />

Und wenn die Hersteller behaupten, Genfood sei am besten getestet, so ist<br />

das Unsinn. Die am besten getesteten Lebensmittel sind die, die Menschen<br />

seit Generationen verspeisen.<br />

Die Regierungen, die protagonistischen Molekularbiologen und die<br />

Gentechnologiefirmen halten nach wie vor die Illusion aufrecht, dass ein<br />

ausreichendes Sicherheitsreglement existiere, was den sehr sensiblen<br />

Bereich der humanen Ernährung von Genfood betrifft.<br />

Gäbe es handfeste Beweise für eine Gefährdung, dann müsste Genfood<br />

sofort aus dem Verkehr gezogen werden. Aber es gibt keine<br />

Langzeituntersuchungen, nicht einmal in den USA. 42 Bei BSE bzw. der neuen<br />

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nCJK) hat es nach den ersten<br />

wissenschaftlichen Vermutungen über deren Zusammenhang 10 Jahre<br />

gedauert, bis BSE-Fleisch von der Ladentheke genommen wurde. Natürlich<br />

40<br />

Auch EHEC oder E. coli genannt ist die Abkürzung für enterohämorrhagische Escherichia coli, einer bakteriell<br />

bedingten Durchfallerkrankung.<br />

41<br />

Voigt, Sabine (2003) Essen – sicher und gesund? Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. VSA-Verlag<br />

Hamburg<br />

42<br />

www.telepolis.de/tp/deutsch/special/leb/16244/1.html


35<br />

ist in der Lebensmittelproduktion keine 100%ige Sicherheit vorhersagbar und<br />

natürlich lässt sich ein Risiko niem<strong>als</strong> ausschließen. Jedoch mangelhafte<br />

Untersuchungen und fehlende Ergebnisse über die Schädlichkeit von<br />

Genfood sind kein Beleg für deren Unbedenklichkeit. Solange man das Risiko<br />

für die Gesundheit des Menschen nicht kennt und keine Risikoabschätzung<br />

vorgenommen werden kann, sind drastische Sicherheitsmaßnahmen zu<br />

ergreifen. Fütterungsversuche an Kühen oder Ratten dauern in der Regel ein<br />

paar Wochen bis ein paar Monate. Was sind schon 10, 20 oder 30 Jahre -<br />

Menschen ernähren sich bis zu fünf Mal täglich ein ganzes Leben lang. Durch<br />

Gentechnik treten Gene und ihre entsprechenden Produkte in der Nahrung<br />

auf, die der Mensch, obwohl ein Omnivor (Allesfresser), so oder in der neuen<br />

Kombination niem<strong>als</strong> im Essen hatte. So kann etwa das Bt-Toxin aus dem<br />

insektenresistenten Mais über die Nahrung mit aufgenommen werden.<br />

Noch bis kurz vor der BSE-Krise hat der Bauernverband – ein großer<br />

Befürworter der Anwendung der Gentechnik, da deren Verbandsobrigen auch<br />

in den Aufsichtsräten der Pharmalobby, der Ölmühlen- und<br />

Futtermittelindustrie sitzen, mit solchen Argumenten die Gentechnik den<br />

Verbraucher schmackhaft machen wollen, wie „Kinderkrankheiten“ einiger<br />

Produkte müssen überwunden werden, und „der (menschliche) Körper<br />

verfügt jedoch mit der Leber und der Milz über ein bewährtes Entsorgungssystem<br />

für Fremdgene, das ihn vor schädliche Auswirkungen schützt“. Aha!<br />

Aber Vorsicht, nach dieser Aussage müsste der Mensch nicht mal an<br />

bakteriell bedingten Durchfällen geschweige denn Viren oder sonstigen<br />

„Fremdgenen“ erkranken. Ob der Bauernverband mit seinen Mitgliedern auch<br />

so diskutiert? Ob wir Verbraucher denen noch trauen können? Inzwischen ist<br />

diese „Kinderkrankheit“ in den Konjunktiv (Vermutung und Möglichkeit)<br />

umgeschrieben worden: "Gentechnisch veränderte Lebensmittel können<br />

gesünder sein <strong>als</strong> traditionell hergestellte, und ihre Produktion kann auch zu<br />

einem besseren Umweltschutz beitragen." 43<br />

Dass transgene Soja-DNA die Dünndarmpassage überdauern kann, wurde<br />

u.a. in einer britischen Studie mit Testpersonen mit einem künstlichen<br />

Darmausgang festgestellt. Die Mahlzeit enthielt GV-Soja, das gegen das<br />

Herbizid Roundup resistent ist. In den Ausscheidungen wurde transgene<br />

DNA festgestellt. Dieser Anteil variierte, lag in einem Fall bei 3,7% der<br />

zugeführten transgenen DNA-Menge. Generell ist zu bedenken, dass die<br />

Versuchspersonen lediglich eine Mahlzeit mit GV-Soja zu sich genommen<br />

haben. Die Forscher empfehlen, dass die Ergebnisse in zukünftigen<br />

Bewertungen der Lebensmittelsicherheit von GV-Lebensmitteln bedacht<br />

werden sollten. 44<br />

43 Pascher, Peter (1999, 2000) Situationsbericht 1999 und 2000. Deutscher Bauernverband, Bonn, S. 282, 285<br />

44 Gentechnik Nachrichten 33/34 (2004) unter www.oeko.de/gennews.htm


36<br />

Im Zusammenhang mit Genfood werden in erster Linie zwei<br />

Gesundheitsrisiken diskutiert 45 : das Entstehen von weiteren<br />

Antibiotikaresistenzen und von neuen Allergien.<br />

Antibiotikaresistenzgene werden zur Markierung des neuen<br />

Genabschnittes in der Pflanze eingefügt, um festzustellen, ob die an der<br />

Pflanze vorgenommene Genmanipulation erfolgreich war. Die<br />

Antibiotikaresistenzgene können sich auf Bakterien im menschlichen Darm<br />

übertragen. Dadurch besteht die Gefahr, dass immer mehr in der<br />

Humanmedizin genutzte Antibiotika unwirksam werden. Erst im März 2001 ist<br />

eine novellierte Freisetzungsrichtlinie verabschiedet worden, wonach<br />

Antibiotika-Resistenzmarker mittelfristig aus GVO ausgeschlossen werden<br />

sollen.<br />

Die in verschiedene Nutzpflanzen neu eingebrachte Erbinformation produziert<br />

Proteine. Proteine sind potentielle Allergieauslöser, und Lebensmittelallergien<br />

beruhen auf einer Überempfindlichkeit gegenüber Proteinen.<br />

Darüber hinaus kann die gentechnische Veränderung auch zu unerwarteten<br />

Veränderungen im Stoffwechsel der Pflanzen führen und die Qualität der<br />

daraus hergestellten Lebensmittel beeinträchtigen. 46<br />

Ein Beispiel für eine Schwächung von Abwehrkräften ist der Bt-Mais<br />

(StarLink) von Aventis in den USA, dem selbst die Zulassungsbehörde in den<br />

USA eine 'mittlere Wahrscheinlichkeit' für Allergien bescheinigte. Folgerichtig<br />

wurde es nur für die Nutztierfütterung zugelassen. Dennoch wurde der genveränderte<br />

Mais in über 300 Mais-beinhaltenden Lebensmittelartikeln<br />

nachgewiesen, und ging <strong>als</strong> StarLink-Skandal in die Gentechnik-Geschichte<br />

ein. 47<br />

Die Zahl der Lebensmittelunverträglichkeiten bzgl. Soja und Mais ist in den<br />

USA, Groß Britannien und Deutschland drastisch gestiegen. Die Prävalenz<br />

(<strong>als</strong>o zukünftige Bedeutung) in Deutschland ist laut aktuellem 'Weißbuch der<br />

Ernährung' weiter steigend.<br />

Seit gentechnisch veränderte Soja hergestellt wird, gibt es in den USA 48 und<br />

in GB 49 eine starke Zunahme - bis zu 50 Prozent - von Allergien gegen Soja<br />

45 Eckelkamp et al (1998): Antibiotikaresistenzgene in transgenen Pflanzen, insbesondere Ampicillin-Resistenz in Bt-<br />

Mais. Ökoinstitut, Freiburg; Schulte und Käppli (1996) Gentechnisch veränderte krankheits- und schädlingsresistente<br />

Nutzpflanzen. Eine Option für die Landwirtschaft? Band I, Schwerpunktprogramm Biotechnologie des Schweizerischen<br />

Nationalfonds, Bern; WHO (2000): Safety aspects of genetically modified foods of plant origin; Report FAO/WHO<br />

46 Federal Environment Agency, Austria (2002); Toxicological and allergological safety evaluation of GMO<br />

47 Aventis musste die gesamte Ernte des Futtermais zurückkaufen. Die Rückholaktion, Vernichtung der Erntebestände<br />

samt Reinigung der Äcker und die Entschädigungen der Schadensbegleichung kostete eine exorbitante Dimension von 1<br />

Milliarde US Dollar.<br />

48 taz Bremen Nr. 7345 vom 28.4.2004, Seite 22<br />

49 Daily Express (England), 12.3.1999


37<br />

in Lebensmitteln. Zeitlich parallel kam gentechnisch veränderte Soja in die<br />

Lebensmittel. Vor allem Ärzte sehen sich bestätigt hinsichtlich der<br />

Vermutung, dass insbesondere bei Soja die gentechnisch hergestellte Soja-<br />

Bohne dafür verantwortlich ist. Da es jedoch kaum Begleitforschung gibt,<br />

geschweige denn von der Industrie unabhängige, kann man nicht von<br />

eindeutigen Belegen sprechen. Nur von Annahmen. Wissenschaftler<br />

drängten z.B. die britische Regierung, ein "sofortiges Verbot genmanipulierter<br />

Nahrung zu erlassen“. John Graham, vom untersuchenden York-Labor,<br />

sagte, dass die Forscher 4.500 Menschen auf allergische Reaktionen bei<br />

Gemüsearten einschließlich Soja getestet haben. Die Krankheiten, die Soja<br />

verursachte, waren u.a. das Reizdarmsyndrom, Verdauungsprobleme und<br />

Hautbeschwerden wie Akne und Ekzeme. Soja ist in rund 60% aller fertig<br />

zubereiteten Lebensmittel zu finden (z.B. <strong>als</strong> Lecithin) und wird überwiegend<br />

in den USA produziert.<br />

Eine andere beunruhigende Studie hatte der weltweit renommierte<br />

Lebensmittelgenetiker Prof. Pusztai über Rattenfütterungsversuche 1998 (mit<br />

z.T. wiederholten Untersuchungsergebnissen) mit gentechnisch veränderten<br />

Kartoffeln, denen ein zusätzliches Gen des Schneeglöckchens (Lektin -<br />

bewirkt Insektenschutz) eingepflanzt worden war, vorgelegt und Aufsehen<br />

erregt. Die Ratten zeigten Veränderungen in den Organgewichten,<br />

Wachstumsstörungen und Irritationen des Immunsystems. 50 Bei uns<br />

Menschen ist nicht damit zu rechnen, dass wir nach einem Bissen von<br />

Genmais, Gensoja oder Genkartoffel eingehen, aber die Menge insgesamt<br />

summiert sich. Nichts anderes <strong>als</strong> eine Schwächung bzw. Irritation des<br />

Immunsystems ist eine Allergie bzw. Nahrungsmittelunverträglichkeit.<br />

Ärzte und besorgte Wissenschaftler sind der Meinung, Genfood müsste<br />

eigentlich nach denselben strengen Verfahren zugelassen werden wie<br />

Medikamente!<br />

Letztendlich stellt sich für den verunsicherten Verbraucher immer wieder die<br />

Frage, warum den kritischen Ergebnissen nicht nachgegangen wird und<br />

umfassendere (Langzeit-)Untersuchungen durchgeführt werden? Warum<br />

geht man politisch so verantwortungslos damit um? Hat man Angst vor den<br />

Ergebnissen? Eine Frage von Kosten oder möglicherweise verhinderten<br />

Profiten?<br />

Wie Gentechnik auf Menschen wirklich wirkt, wissen auch die Fachleute<br />

nicht. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung räumt ein, dass "kaum<br />

Erfahrungen mit gentechnisch erzeugten Lebensmitteln vorliegen". Auch das<br />

Robert-Koch-Institut – die oberste Zulassungsbehörde für GVO - kann<br />

50 Lancet, Vol.354: No.9187, 16.10.1999; und www.transgen.de


38<br />

ebenso wenig ausschließen, dass Lebensmittel aus transgenen Rohstoffen<br />

die Gesundheit des Menschen potenziell gefährden können. Die<br />

Genehmigungen erfolgen - wie es das Gentechnik-Gesetz vorschreibt - "nach<br />

dem Stand der gegenwärtigen Wissenschaft". Studien 51 , die sich mit der<br />

Ernährung beschäftigen, belegen aber immer wieder die Datenlücken aus der<br />

Risiko- und Begleitforschung. Auch wird vermutet, wenn mehr Lebensmittel<br />

gentechnisch verändert werden, dass es zu einer weiteren Zunahme von<br />

Lebensmittelallergien kommen kann. Andererseits wird von den Protagonisten<br />

behauptet, mit Hilfe der Gentechnik könnten bekannte allergene<br />

Lebensmittel für AllergikerInnen verträglich gemacht werden – allerdings in<br />

praxi noch pure Zukunftsmusik.<br />

Woran erkenne ich Genfood?<br />

Wenn es nicht gekennzeichnet ist - mit bloßem Auge gar nicht. Die<br />

Verbraucherinnen und Verbraucher sind <strong>als</strong>o ganz auf das angewiesen, was<br />

auf der Packung angegeben ist.<br />

Eine verbesserte Kennzeichnungspflicht ist am 18. April 2004 EU-weit in Kraft<br />

getreten. Auf der Zutatenliste aller verarbeiteten Produkte sowie bei<br />

Auszeichnung auch der losen und unverarbeiteten Ware müssen<br />

beabsichtigte Gen-Zutaten vermerkt werden. Eine Kennzeichnung ist hierbei<br />

auch dann vorzunehmen, wenn GVO-Proteine im Endprodukt nicht mehr<br />

nachweisbar sind. Dies betrifft hauptsächlich Öle und pflanzliche Fette (aus<br />

Gensoja) sowie Stärke (aus Genmais). Erfrischungsgetränke können zum<br />

Beispiel Glukose- oder Fruktose-Sirup aus gentechnisch verändertem Mais<br />

enthalten. Sie müssten gekennzeichnet werden.<br />

Die Kennzeichnung hat allerdings einen Haken: Erstens müssen<br />

unvermeidbare bzw. unbeabsichtigte Spuren von GVO in Höhe von 0,9%<br />

nicht auf der Verpackung erscheinen. Dies, obwohl die wissenschaftliche<br />

Nachweisgrenze zurzeit bei 0,1 Prozent liegt. Man beugt schon mal vor, was<br />

Verunreinigungen in unserer Nahrung betrifft…<br />

Zweitens müssen Fleisch, Eier und Milch von Tieren, die mit gentechnisch<br />

verändertem Futter gefüttert wurden, nicht gekennzeichnet werden.<br />

Drittens, werden nur Produkte gekennzeichnet, die aus GVO stammen, nicht<br />

aber solche, die mit Hilfe von GVO gewonnen werden. Das betrifft vor allem<br />

die Zusatzstoffe. Das Vitamin B 2, auch <strong>als</strong> Farbstoff Riboflavin bekannt, die<br />

Vitamine B 12, C und E, der Geschmacksverstärker Glutamat sowie die<br />

51 www.oeko.de/indexb.html


39<br />

Enzyme in Backmischungen und das Lab-Enzym in Käse (Chymosin 52 )<br />

können mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt werden, müssen <strong>als</strong>o<br />

nicht gekennzeichnet werden. Darin liegt ein großer Unsicherheitsfaktor.<br />

Genfood kann <strong>als</strong>o durchaus in den Vitaminen der Brausetabletten, Zusätzen<br />

zu Säften oder Softdrinks enthalten sein, ohne dass der Verbraucher darüber<br />

informiert werden muss. Vitamin E aus Gensoja beispielsweise muss<br />

gekennzeichnet werden, stellt man dasselbe Vitamin mit Hilfe von<br />

gentechnisch veränderten Mikroorganismen her, dann muss nicht<br />

gekennzeichnet werden. Auch Wein aus gentechnisch veränderten Trauben<br />

muss gekennzeichnet werden. Wein, der mit Hilfe gentechnisch veränderter<br />

Hefe hergestellt wird, jedoch nicht.<br />

Weiterhin ermöglicht das Gesetz Rückrufaktionen, wenn sich ein<br />

Lebensmittel, das gentechnisch veränderte Bestandteile erhält, <strong>als</strong><br />

gesundheitsgefährdend erweist. Man holt <strong>als</strong>o Gen-Food aus den Regalen<br />

zurück, wenn sich herausstellt, dass sich die Krankenhäuser füllen…<br />

Die Politik formulierte „Wahlfreiheit und Transparenz“ <strong>als</strong> Zielstellung für das<br />

Kennzeichnungsgesetz - etwas, was der Verbraucher nach wie vor vermisst<br />

und sich somit weiterhin in seiner Souveränität <strong>als</strong> Konsument eingeschränkt<br />

fühlt.<br />

Was kann man dem Konsumenten empfehlen?<br />

„Sich, wenn möglich, nicht einem Versuch einer risikoreichen<br />

Großtechnologie auszusetzen und diese Produkte komplett zu meiden. Wir<br />

wissen noch eindeutig zu wenig über die Folgen, “ so die Ärztin Angela von<br />

Beesten vom Ökologischen Ärztebund und Theodora Plate von der<br />

Verbraucherzentrale Bremen im April 2004 53 .<br />

So kann man am besten den „Biss ins Ungewisse“ vermeiden:<br />

- Die Mahlzeiten aus frischen Zutaten, insbesondere frisches Obst und<br />

Gemüse aus der Region, selbst zubereiten.<br />

-<br />

- Fertigprodukte und „Schnelle Küche" meiden. Generell gilt nämlich: Je<br />

stärker ein Gericht vorproduziert ist, desto größer ist die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Inhaltsstoffe mit Gentechnik in<br />

Berührung gekommen sind.<br />

-<br />

- Nur sortenreine pflanzliche Öle wie Olivenöl, Sonnenblumenöl, Distelöl,<br />

52 In Deutschland ist seit März 1997 gentechnisch hergestelltes Chymosin auch für die Käseproduktion zugelassen.<br />

53 taz Bremen Nr. 7345, 28.4.2004, S. 22 oder www.taz.de/pt/2004/04/28/a0077.nf/text.ges,1


40<br />

Nussöle verwenden, da kann keine Soja drin sein.<br />

-<br />

- Lebensmittel mit dem „Ohne-Gentechnik“-Zeichen kaufen.<br />

-<br />

- Ansonsten gilt: Immer auf die Zutatenliste bzw. die Auszeichnung achten.<br />

-<br />

- Gentechnikfreie Ernährung ist am einfachsten durch Bio-Essen zu<br />

gewährleisten. Denn der ökologische Landbau – klar erkennbar am<br />

Biosiegel oder dem EU-Bio-Siegel – muss nach den gesetzlichen<br />

Vorgaben garantiert gentechnikfrei wirtschaften. Gekennzeichnet sind<br />

ökologische Produkte auch mit den jeweiligen Zeichen der Anbauverbände<br />

(ANOG, Biokreis, Bioland, Biopark, Demeter, Gäa, Naturland).<br />

Große Aufklärungskampagnen und Werbung für die Gentechnik könnten den<br />

Eindruck erwecken, herkömmliche Lebensmittel können unseren<br />

Nährstoffbedarf nicht sicher decken. Diese Behauptung ist f<strong>als</strong>ch. Eine<br />

vollwertige Kost braucht - bis auf Jodsalz – auch keine Nahrungsergänzungen<br />

54 wie Vitamintabletten, Mineralpülverchen etc! Wir können mit<br />

normalen Lebensmitteln gesund leben. Unter einer Bedingung: Wir müssen<br />

genügend Grundnahrungsmittel essen, abwechslungsreich und vollwertig<br />

essen.<br />

Und Lebensmittel sind relativ billig – im Vergleich zu anderen notwendigen<br />

Grundbedürfnissen des Lebens (Miete, Fahrkarten, Benzin etc.), so dass die<br />

Argumentation, eine weitere Kostensenkung durch Gentechnik in der<br />

Landwirtschaft könne an den Verbraucher weitergereicht werden, ganz und<br />

gar ins Leere läuft. Die Lebensmittelkonzerne stehen zwischen Baum und<br />

Borke. Sie sind an der breiten Einführung der Gentechnik interessiert, da sie<br />

mit jedem Innovationsschub natürlich auch Kostensenkungen und höhere<br />

Profitraten erwarten. Aber sie fürchten die Macht der Verbraucher, wenn<br />

dieser an der Ladentheke „abstimmt“ – so wie zur BSE-Krise. Und 70% der<br />

Verbraucher, die sich gegen Gen-Pflanzen ausgesprochen haben, lassen<br />

sich nicht einfach mit noch so wohlfeiler Werbung fangen. So lange der<br />

Verbraucher das Unbehagen von Genfood in seiner Nahrung ablehnt, werden<br />

die Lebensmittelgiganten nichts tun, was zu einem plötzlichen Einbruch ihres<br />

Absatzes führen könnte. Und die Bauern müssen sich von den Konsumenten<br />

eines Tages die Frage gefallen lassen, für wen sie Lebensmittel produzieren -<br />

für die Industrie oder den Verbraucher.<br />

54 Einen ersten Super-Gau haben die Gentechniker bereits 1989 erzeugt: An einem gentechnisch hergestellten<br />

eiweißhaltigen Nahrungsergänzungsmittel (L-Tryptophan) der japanischen Firma Showa-Denko starben mindestens 37<br />

Menschen. Tausende leiden noch immer an den Auswirkungen einer Autoimmunkrankheit (EMS, chronischer<br />

Hautschrumpfung und andauerndende Muskelschmerzen). Offenbar hat das gentechnisch hergestellte L-Tryptophan die<br />

Erbinformation für die Erneuerung des menschlichen Bindegewebes unwiderruflich fehlgesteuert. Schlaflose Nächte.<br />

(Der Spiegel 41, 1990, S. 273-274)


41<br />

Aber die Verbraucher haben noch ein anderes Problem. Eine wachsende<br />

Förderung der Gentech-Forschung, insbesondere der anwendungsorientierten<br />

Forschung, mit Steuermitteln, obwohl die Steuerzahler sicherlich<br />

andere Prioritäten setzen würden, kommt nicht nur einer Hintergehung der<br />

Wählerinteressen gleich. Werden neue Gensorten eingeführt, zahlen Farmer<br />

wie die Allgemeinheit zunächst für deren Züchtung und Sicherheitsprüfung<br />

aus dem Steuersäckl und dann für das fertige Produkt die<br />

Patentschutzgebühren. Diese werden auf den Verbraucher umgelegt. Treten<br />

darüber hinaus Öko-Schäden oder wirtschaftliche Verluste beim Bauer auf,<br />

sind die Konzerne ebenfalls von der Zeche (Haftung) befreit. Ein Kreislauf,<br />

der sich für die Gentech-Konzerne ohne finanzielles Risiko wirklich lohnen<br />

muss.


6. Was betrifft die Bauern?<br />

42<br />

In Deutschland ist es nun so weit. Das Gentechnik-Gesetz ist verabschiedet.<br />

Der Weg für Genbauern ist ab kommendem Jahr frei. Das CDU/FDP-regierte<br />

Bundesland Sachsen-Anhalt hat <strong>als</strong> Initiator inzwischen den ersten<br />

großflächigen Erprobungsanbau von Bt-Mais in diesem Jahr durchgeboxt und<br />

ist sich gewiss, dass keine unkalkulierbaren Risiken auftreten. So ganz sicher<br />

sind sie sich aber nicht, denn die Haftung für etwaige doch auftretende<br />

Risiken ist im Wege. Weil die Haftungsregelung an die Adresse der Gen-<br />

Bauer nach dem neuen Gentechnik-Gesetz geht, wollen sie gegen die<br />

Bundesregierung klagen. 55 (siehe weiter unten)<br />

Saatgut – wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit oder Knebelverträge für<br />

die Bauern?<br />

Sorten-<br />

und Preisdiktat der Saatgutkonzerne erreichen mit Einführung der<br />

Gentechnik eine neue Qualität. Was auf dem amerikanischen Kontinent<br />

bereits Praxis ist, wird auch in Europa auf die Bauern zukommen: Gensaatgut<br />

und Pestizide sind per Vertrag nur von einem Konzern zu beziehen. Bauern<br />

müssen sich verpflichten, dem Konzern die Geschäftsbücher zur Kontrolle<br />

offen zu legen. Die Abhängigkeit gipfelt in der Aufgabe des traditionellen<br />

Landwirteprivilegs. Das heißt, Bauern können einen Teil der Ernte für die<br />

nächste Saat einbehalten. Die Biotech-Industrie verkauft ihr Saatgut immer<br />

nur für eine Nutzung, wer Teile seiner eigenen Ernte im nächsten Jahr wieder<br />

aussäen will, muss erneut Lizenzgebühr bezahlen. Doch damit nicht genug!<br />

Die Firmen sind mit Detektiven und z.T. kriminellen Methoden hinter den<br />

Bauern her, um das genau zu prüfen und wer erwischt wird, den verklagen<br />

sie sofort auf hohe Summen. 56 Reihenweise wurden Landwirte von Monsanto<br />

auf zu entrichtende Technologieabgaben verklagt, auf deren Feldern eine<br />

Auskreuzung nachweisbar war. Einen Schutz vor Pollen-, Bienen- und<br />

Vogelflug oder Wind gibt es nicht. Selbst der Amazonas in Südamerika - so<br />

haben Klimaforscher und Geologen nachgewiesen wird von Sandstürmen der<br />

Sahara in Nordafrika gedüngt. Bei nur 1% Kontamination in üblichem<br />

konventionellem Saatgut würde dies immerhin 100 m² pro Hektar<br />

ausmachen. In ihrer Not klagen amerikanische und kanadische Bauern<br />

gegen die Gentechnik-Konzerne Bayer und Monsanto. Sie hoffen, dass<br />

Europa aus ihrem warnenden Beispiel lernt. Doch die Schäden ihrer Äcker<br />

und Ernten müssen die Kläger vor Gericht beweisen und, was noch schwerer<br />

ist, die Gen-Saatmultis <strong>als</strong> Verursacher überführen. Hier kämpfen ungleiche<br />

Gegner. Argumente der zunehmenden Abhängigkeit der Bauern haben so<br />

55 Berliner Morgenpost, 26.11.2004, http://morgenpost.berlin1.de/content/2004/11/25/wirtschaft/718202.html<br />

56 Andrea Naica-Loebell, 19.11.2003, Lizenzgebühren für jede einzelne Bohne,<br />

www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16076/1.html


43<br />

inzwischen ihre juristische Realität bekommen und werden in naher Zukunft<br />

auch in Deutschland ihren Lauf nehmen.<br />

Gibt es Alternativen zur Gentechnik in der Landwirtschaft?<br />

Alternativen<br />

bestehen nicht nur in der Forschung. Auch durch die<br />

Weiterentwicklung und Anwendung moderner Produktionsmethoden kann<br />

mehr geerntet, zielgenauer gedüngt, gepflegt und gespritzt werden. Pfluglose<br />

Bestellung, Bearbeitung mit bodenschonenden Geräten, Satellitenortung,<br />

gezielte biologische Schädlingsbekämpfung, pflanzengenaue Applikationen<br />

(Tröpfchenbehandlung) etc. lassen Dünge- und Pflanzenschutzmittel<br />

sparsamer und wirkungsvoller einsetzen <strong>als</strong> die Gentechnik mit einer<br />

Herbizid- oder Insektenresistenz hervorbringen kann. Die Alternativen sind<br />

ökologisch verträglicher und letztendlich billiger. Allein in der Senkung von<br />

Ernte-, Transport-, Lagerungs- und Verarbeitungsverlusten beispielsweise<br />

von Getreide mit wenigen technischen Hilfsmitteln liegt ein Potential von bis<br />

zu 30% höhere Ertragsausnutzung. Das liegt weit über jegliche<br />

prognostizierte Ertragssteigerung durch Gentechnik. Darüber hinaus können<br />

Unkräuter gegen mechanische Techniken und Ungeziefer kann gegen<br />

biologische Verfahren (Einsatz von Nützlingen) nicht resistent werden.<br />

Aber<br />

der Bauer weiß selbst am besten, welche Alternativen es zur<br />

Gentechnik gibt, da er sie über Jahrzehnte praktiziert und über Jahrhunderte<br />

überliefert hat.<br />

Warum<br />

werden die unverhältnismäßig großen Risiken in Kauf genommen,<br />

wenn eine nachhaltige Bewirtschaftung mit moderner Technik gekoppelt, eine<br />

schonende und lohnende Ernährung sicherstellen kann? In Amerika wird es<br />

offensichtlich, wie ein Präsident Clinton dam<strong>als</strong> grünes Licht in allen Fragen<br />

der Gentechnikanwendung geben konnte: Die Bewerber in einem Wahlkampf<br />

tingeln von einer Industrie zur nächsten und halten dabei ihren Hut hin. Raten<br />

sie einmal, wer einer der größten Geldgeber für Clintons Wahlkampf war? Es<br />

ist der größte Konzern mit GVO-Angebot und hat seine Tochterunternehmen<br />

in über 50 Ländern: Monsanto.<br />

Für<br />

die Bauern bringt Gentechnik nichts. Warum wird es dann trotzdem<br />

gemacht?<br />

Weil<br />

die Industrie sich davon viel verspricht. Und weil die Gentechnik aus rein<br />

wirtschaftlichen Gründen verlockend ist. „Ich habe in meiner ganzen<br />

politischen Laufbahn noch kein Thema erlebt, bei dem so massiv und effizient


44<br />

Lobbyarbeit gemacht wurde wie bei der Gentechnik.“ 57 Im Atombereich ist es<br />

ähnlich. Eine profitable Technik – entwickelt und subventioniert aus<br />

Steuergeldern - wird mit aller Macht in den Markt gedrückt und man<br />

verhindert diese in unserem Zeitalter nicht zum Beginn, sondern erst wenn<br />

große Probleme aufgetreten sind. Die Risiken wie sie unter Pkt. 4<br />

beschrieben worden sind, treffen alle - die Umwelt, den Bauern und den<br />

Verbraucher. Und wie bereits unter Pkt. 3 beschrieben, sind Gen-Pflanzen<br />

nicht immer wirtschaftlich überlegen. Der erwartete Nutzen für die Landwirte<br />

lag in vielen Fällen unter den höheren Einstiegskosten für teureres Saatgut,<br />

zusätzlicher "Technologieabgabe" und für komplementäre Pflanzenschutzmittel.<br />

58 Der wirtschaftliche Marktvorteil der Gentech-Branche kann sich<br />

schnell zum wirtschaftlichen Nachteil bei den Bauern entwickeln.<br />

Wirtschaftliche Risiken sind in den großen Anbaugebieten mit GVO bereits an<br />

der Tagesordnung. Agrar-Experten schätzen die Verluste amerikanischer<br />

Bauern durch Produktions- und Ernteausfälle auf über 1 Mrd. $ durch das<br />

Gen-Geschäft.<br />

Aufgrund der Abnahmeverweigerung der EU von Genmais und Gensoja ist<br />

folgerichtig, dass für konventionelle Gentechnik-freie Ernten (Mais, Raps und<br />

Soja) zwischenzeitlich höhere Verkaufspreise auf dem Weltmarkt erzielt<br />

werden können.<br />

Was sich <strong>als</strong> mögliches zukünftiges Szenario für Deutschland und die<br />

EU abzeichnet, ist in den drei Hauptanbauländern von gentechnisch<br />

veränderten Pflanzen schon jetzt Realität. Die USA, Argentinien und<br />

Kanada können nicht mehr gewährleisten, dass ihr Saatgut und ihre<br />

Ernten keine Gentechnik enthalten - die gentechnische Kontamination<br />

ist allgegenwärtig.<br />

Das führte beim Sojaanbau in den USA zu einer geradezu grotesken<br />

Situation. Die astronomisch hohe Anbauquote von inzwischen fast 80 Prozent<br />

transgenem Soja resultiert nicht etwa daraus, dass die Bauern einem<br />

qualitativ überlegenen Produkt den Vorzug geben, sondern aus einem<br />

simplen ökonomischen und alltagspraktischen Kalkül: Immer wieder wurden<br />

konventionell wirtschaftende Soja-Bauern, auf deren Feldern ungewollt auch<br />

gentechnisch veränderte Pflanzen wuchsen, vom Hersteller des Gensojas,<br />

dem US-amerikanischen Konzern Monsanto, wegen Verletzung des<br />

Patentschutzes verklagt und von den Gerichten zur nachträglichen Zahlung<br />

57<br />

Agrarexperte Graefe zu Baringdorf warnt vor einem "gentechnischen Tschernobyl", taz Nr. 7344, 27.4.2004, S. 6,<br />

www.taz.de/pt/2004/04/27/a0199.nf/text.ges,1<br />

58<br />

Für viele Bauern kam das Ärgernis hinzu, dass in einigen Fällen bestimmte Gen-Manipulationen gar nicht wirkten,<br />

weil Instabilitäten vorlagen. Unter Hitzebedingungen blieb z.B. Bt-Baumwolle ohne insektizide Wirkung und Soja wurde<br />

am Wachstum gehindert (der Stengel splitterte auf; vermutet wird, dass mit der Manipulation eine höhere<br />

Ligninproduktion angeregt wurde). Aber der Konzern war nicht freiwillig bereit, für Produktionsausfälle Entschädigungen<br />

an die Bauern zu zahlen. (Kaiser, Jocelyn (1996) Pests Overwhelm Bt Cotton Crop, Science, 26. Juli 1996, S. 423)


45<br />

von Lizenzgebühren verurteilt. Die Folge: Statt zweimal Geld für Saatgut<br />

auszugeben, greifen die Bauern lieber gleich zum transgenen Saatgut,<br />

zahlen nur einmal und ersparen sich den Ärger eines aufwändigen<br />

Gerichtsverfahrens, in dem sie nach derzeitiger Rechtslage ohnehin<br />

unterliegen.<br />

Damit wird die neue Technologie zum wirtschaftlichen Stolperstein und<br />

Risikofaktor bei Unwägbarkeiten der Genpflanzen. Insbesondere Ökobauern<br />

fürchten um ihre Öko-Lizenz und ihre Existenz. Kommt die grüne<br />

Gentechnik massiv ins Freiland, ist der Ökolandbau so gut wie ruiniert.<br />

Bezeichnungen wie "Gentech-frei" wären passé. Auch könnten Landwirte<br />

in der EU ein Risiko des Absatzverlustes ihrer Produktion wie bei der BSE-<br />

Krise kein weiteres Mal in Kauf nehmen.<br />

Was ist unter Koexistenz zu verstehen?<br />

Der Begriff der Koexistenz von Landwirtschaft mit und ohne Einsatz der<br />

Gentechnik steht nach wie vor im Mittelpunkt der politischen Debatte der EU<br />

und in Deutschland. Koexistenz bedeutet, dass am Ende beide Seiten, die<br />

GVO-Anbauer und die Nicht-Gentech-Bauern, nebeneinander produzieren<br />

und dauerhaft existieren können. Kein Bauer soll seine Anbaustrukturen<br />

aufgeben müssen. (Das ist angesichts der kleinstrukturierten Anbauflächen<br />

im Westen Deutschland schon fraglich.) Grundlage ist die Einhaltung der so<br />

genannten „guten fachlichen Praxis“ bei Gen-Anbau, der Rechtsvorschriften<br />

für Etikettierung und der Schwellenwerte für Sortenreinheit und<br />

Kennzeichnung (Grenzwerte für die zugelassene Kontamination). Es geht um<br />

die möglichen wirtschaftlichen Nachteile, die Landwirten des konventionellen<br />

und/oder des ökologischen Landbaus erwachsen können, wenn sie wegen<br />

zufälliger Spuren von GVO über dem zugelassenen Höchstwert ihre Ernte<br />

nicht absetzen können oder zu einem niedrigeren Preis verkaufen müssen.<br />

Die Koexistenz ist <strong>als</strong>o vor allem eine wirtschaftlich-rechtliche Frage. Die<br />

Hauptfrage ist nur, ob die Maßnahmen ausreichen, um einem<br />

gentechnikfreien Landbau die Existenz zu sichern. Es ist zwar das Recht des<br />

Landwirts Gentechnik abzulehnen, er ist aber noch lange nicht dadurch<br />

geschützt.<br />

Die EU-Kommission beschloss im März 2003 Leitlinien zur Koexistenz, die<br />

den Mitgliedstaaten zur Ausarbeitung eigener Strategien für die Koexistenz<br />

überlassen wurden. Die Leitlinien zur Koexistenz stützen sich u.a. auf<br />

bestehende Trennungspraktiken z.B. zur Saaterzeugung. Sie sollen für unterschiedliche<br />

Arten von Kulturen gelten, da die Wahrscheinlichkeit der<br />

Vermischung unterschiedlich groß ist: bei Kulturen wie Raps ist sie sehr groß,<br />

bei Kartoffeln beispielsweise eher gering. Ferner sollen lokale und regionale


46<br />

Aspekte ganz mit einbezogen werden. Grundsätzlich sollten lt. Kommission<br />

die Landwirte in der Phase der Gentech-Einführung in einer Region die<br />

Verantwortung für die Durchführung von Maßnahmen zur Kontrolle der<br />

Vermischung tragen. Diese Kontrollen sollen helfen, den möglichen Gentech-<br />

Kontaminationen auf der Spur zu sein. Das ist wie der Versuch, mit einem<br />

Fahrrad einen D-Zug zu verfolgen.<br />

Weiterhin sollen betriebliche Maßnahmen und Maßnahmen zur Koordinierung<br />

benachbarter Betriebe Vorrang haben. Ein Großteil der Verantwortung wird<br />

damit an die Bauern selbst delegiert. Sollte mit ihren Maßnahmen die<br />

Koexistenz nicht gewährleistet werden können, wären regionale Maßnahmen<br />

zu erwägen, beispielsweise Beschränkungen beim Anbau einer bestimmten<br />

Art von GVO in einer Region. So hat der Raiffeisenverband bereits in einigen<br />

Gegenden Deutschlands in seinen Verträgen eine Klausel festgeschrieben,<br />

die die Bauern zur Lieferung von gentechnikfreiem Mais verpflichtet. Regional<br />

geltende Maßnahmen müssen für jede Kultur und jede Erzeugnisart (wie z. B.<br />

Saaten oder Pflanzen) einzeln begründet werden.<br />

Die Regeln und Pflichten für diese Art von „guter fachlicher Praxis“ der<br />

Gentech-Bauern soll für die deutsche Landwirtschaft die am 26.11.2004 im<br />

Bundestag verabschiedete Novelle des Gentechnik-Gesetzes liefern.<br />

Ebenso werden darin klare Haftungsbestimmungen angestrebt, so dass für<br />

diejenigen Landwirte, die durch den GVO-Anbau ihrer Nachbarn einen<br />

Kontaminationsschaden erleiden, Rechtssicherheit herrscht. Zur guten<br />

fachlichen Praxis wurden im Gentechnik-Gesetz jedoch nicht alle Vorschriften<br />

reingeschrieben. Dazu ist ein Gesetz auch ein viel zu starrer Rahmen. Die<br />

gute fachliche Praxis für GVO-Anbauer müsste konkrete Vorschriften und<br />

Einzelregelungen zur Pflanzenart, Bodenart etc. mit den jeweiligen<br />

Abstandsvorschriften und Vorschriften zu Schutzstreifen und Schutzmaßnahmen<br />

etc. enthalten. Diese können jedoch nur von den Ländern vor Ort<br />

erarbeitet und kontrolliert werden.<br />

Bauern brauchen einen wirksamen Schutz, denn zur Koexistenz gibt es in<br />

den großen GVO-Anbaugebieten bislang nur negative Erfahrungen, da die<br />

Koexistenz praktisch nicht funktioniert. In etlichen Regionen Kanadas sind<br />

sich die GVO-Bauern und jene, die gentechnikfrei produzieren wollen,<br />

inzwischen spinnefeind. Die aggressive Durchsetzungspolitik großer Biotech-<br />

Konzerne wie Monsanto macht die neue Technologie auch nicht sonderlich<br />

sympathisch (siehe zu Patenten, der Fall Percy Schmeiser). Gentechnik wird<br />

auch in Deutschland zu einem Angriff auf den sozialen Frieden in den Dörfern<br />

werden.


47<br />

Konventionelle Landwirte und Öko-Landwirte, die selbst keine gentechnisch<br />

veränderten Pflanzen einsetzen, bewirtschaften ihre Felder nicht unter einer<br />

Glasglocke. Die Vorstellung eines friedlichen Nebeneinanders von<br />

Landwirtschaftsformen mit und ohne Gentechnik ist somit eine Illusion.<br />

Die so genannte Koexistenz ist ein Trojanisches Pferd, bei dem wir<br />

genau wie in den USA, Argentinien oder Mexiko nach fünf oder zehn Jahren<br />

feststellen müssen, GVO’s gibt es leider überall, entweder bewusst angebaut<br />

oder durch Pollen- und Bienenflug, durch Saatgutvermengung, unsaubere<br />

Erntetechnik und…und …<br />

Ein weiterer Beleg dafür, dass es keine Koexistenz zwischen transgenen<br />

und herkömmlichen Pflanzen geben kann, zeigten sechs Studien, die in vier<br />

Staaten der EU durchgeführt wurden. Das Joint Research Centre der EU-<br />

Kommission hat darüber im Mai 2002 einen Bericht über die voraussichtlichen<br />

Möglichkeiten einer Koexistenz des Anbaus von transgenem,<br />

konventionellem und ökologisch produziertem Raps, Mais und Kartoffeln in<br />

der EU veröffentlicht. Für zwei angenommene Szenarien (10% und 50%<br />

Anteil von transgenen Nutzpflanzen am gesamten Anbau in einer Region)<br />

wurde auf der Basis von Computermodellen und Expertenwissen eine<br />

Abschätzung vorgenommen, welche Kontaminationshöhen von transgenen<br />

Nutzpflanzen vermutlich in ursprünglich gentechnikfreien Pflanzen zu<br />

erwarten sind. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass in keinem der<br />

betrachteten Szenarien eine Koexistenz innerhalb einer Region mit<br />

Kontaminations-Schwellenwerten von 0,1% möglich ist. Ferner wird<br />

festgestellt, dass selbst mit bedeutenden Änderungen des Anbaumanagements<br />

ein 0,1% Grenzwert für Kontaminationen in gentechnikfreien<br />

Produkten kaum erreichbar sein kann. Lassen wir uns mit transgenen<br />

Pflanzen auf ein ökologisches Roulette ein?<br />

Warum lassen sich Gentechnikfolgeschäden nicht versichern bzw. wer<br />

soll dafür haften?<br />

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat am 2. Juli<br />

2004 bekannt gegeben, dass Landwirte, die GV-Saatgut einsetzen und für<br />

Auskreuzungen haften müssen, das Risiko der Kontamination nicht über eine<br />

Haftpflichtversicherung versichern können. 59 Deutsche Versicherungskonzerne<br />

schließen eine Haftung für Gentechnikfolgeschäden aufgrund<br />

unkalkulierbarer Risiken somit aus. 60 Genbauern können nicht versichert<br />

werden. Das Risiko ist nicht versicherbar, so der Gesamtverband. Damit<br />

59 agrar Aktuell 05.07.04; www.gdv.de/presseservice/24243.htm<br />

60 Klaus Schramm: Deutsche Versicherungskonzerne schließen Haftung für Gentechnikfolgeschäden aus, 02.07.2004,<br />

www.umweltdebatte.de


48<br />

unterstützen sie unweigerlich die kritischen Argumente der Gentechnik-<br />

Gegner.<br />

Auch die Gentech-Konzerne schließen eine Haftung für die anwendenden<br />

Bauern, die für Schäden bei anderen Bauern einen Ausgleich zahlen sollen,<br />

aus (es gibt nur eine Produkthaftung). Noch nie haben sich die Gentech-<br />

Firmen gegen die Haftung für ihre eigenen Produkte gewehrt, wo sie doch<br />

gleichzeitig von der Sicherheit der Gentechnik so überzeugt sind.<br />

Nun hat der Bauernverband doch tatsächlich versucht, dass die<br />

Saatgutfirmen die Verantwortung für mögliche Schäden übernehmen. Die<br />

haben dankend abgelehnt. Da sich die Auskreuzung nicht vermeiden lasse,<br />

»werden wir kein Risiko eingehen«, sagte ein Sprecher der Kleinwanzlebener<br />

Saatzucht (KWS) AG, der größte Vermehrer und Anbieter von Saatgut in<br />

Deutschland. Die KWS hat nun bekannt gegeben, dass sie GV-Saatgut in<br />

Deutschland nicht vermarkten will. 61 Da zeigt sich, wie schnell politische<br />

Regelungen wirtschaftliche Entscheidungen nach sich ziehen können, obwohl<br />

jahrelang genau das Gegenteil behauptet wurde.<br />

Auch international gibt es für die Haftung bei Gen-Landwirtschaft keine<br />

Versicherungsmöglichkeit. Die fünf wichtigsten britischen Versicherer<br />

erklärten schon im Oktober 2003, sie würden keine Policen im Bereich<br />

Genmanipulation ausstellen. Die meisten großen amerikanischen<br />

Versicherungskonzerne wollten sich auf Anfrage nicht äußern, aber Robert<br />

Hartwig vom Insurance Information Institute kommentierte: Genetisch<br />

modifizierte Nahrungsmittel gehören zu den risikoreichsten von allen<br />

denkbaren Versicherungen, die wir heute ausstellen können. Und dafür gibt<br />

es gute Gründe. Keine Firma weiß, wohin der Weg der genetisch veränderten<br />

Nahrungsmittel uns in Bezug auf die menschliche Gesundheit oder die<br />

Umweltverschmutzung letztlich führen wird. 62 Die Frage ist auch, bis zu<br />

welcher Höhe die Versicherer bereit sind, eine Abdeckung anzubieten.<br />

Experten schätzen, dass es realistisch bis zu mehreren Milliarden gehen<br />

müsste, um wirklich langwierige Prozesse auf Schadensersatz komplett zu<br />

finanzieren. Die entsprechenden Großfirmen wie Monsanto und Co. leugnen<br />

ein Problem im Versicherungsbereich zu haben. Dafür bilden sie Rücklagen<br />

in Milliardenhöhen, um beispielsweise solche Rückholaktionen wie beim<br />

StarLink-Skandal in den USA finanzieren zu können.<br />

Das neue Gentechnik-Gesetz sieht nun vor, dass die Genbauern bei GVO-<br />

Kontamination von Feldern benachbarter Landwirte „gesamtschuldnerisch<br />

und verschuldensunabhängig“ haften. Jedoch nur, wenn nachgewiesen ist,<br />

61 Tagesspiegel 03.07.04<br />

62 www.telepolis.de/tp/deutsch/special/leb/16244/1.html


49<br />

dass der Schaden wirtschaftliche Einbußen verursacht hat und die<br />

Kontamination über dem Schwellenwert liegt. Fakt ist, dass ein Nicht-GVO-<br />

Bauer keine Einspruchsmöglichkeit besitzt, wenn in seinem Erntegut für<br />

Lebensmittel bis zu 0,9% GVO-Anteil enthalten sind. Denn das ist der<br />

Grenzwert, bis zu dessen Höhe unvermeidbare GVO-Anteile in Lebensmitteln<br />

vorkommen dürfen. Darüber kann die Ware vermutlich nur noch <strong>als</strong> Viehfutter<br />

abgesetzt werden.<br />

Ist eine Ernte ungewollt von GVO kontaminiert und der Landwirt erleidet<br />

dadurch wirtschaftliche Einbußen, ist er in jedem Fall benachteiligt, sei es<br />

auch, dass er Schädigungen rechtlich geltend machen kann. Die Beweislast<br />

liegt beim Geschädigten. Die Aufwendungen, die Analysekosten, das<br />

Rechtsverfahren einzuleiten und den Nachweis zu führen, kosten auf jeden<br />

Fall Zeit, Nerven und Geld. Dass eine GVO-Kultur die Genveränderung in<br />

fremden Kulturen bewirkt hat, muss bewiesen werden – und zwar vom<br />

geschädigten Landwirt selbst. Im Einwirkungsbereich der Pollen einer GVO-<br />

Kultur wird sie <strong>als</strong> Ursache vermutet. Sind mehrere GVO-Kulturen in der<br />

Nähe, gelten sie gemeinsam und zu gleichen Teilen <strong>als</strong> Ursache. Für Klarheit<br />

sorgt auf jeden Fall eine Genanalyse vor der Ernte, denn nach der Ernte<br />

können Verunreinigungen angesichts vieler möglicher Kontaminationspfade<br />

durch Ernte- oder Transportmaschinen erfolgt sein.<br />

GVO-Anbauer müssen nur für Genanalysen zahlen, wenn ein Schaden<br />

rechtlich anerkannt worden ist. Die Analysekosten gehören zum<br />

ausgleichspflichtigen Schaden. Von Saatguthändlern soll eine Zusicherung<br />

über Gentechnik-Freiheit des Saatgutes verlangt werden. Für die<br />

Saatgutproduzenten gibt es eine Informationspflicht. Der Produzent muss<br />

darin erklären, wie die im Gesetz genannten Anforderungen zur guten<br />

fachlichen Praxis beim Gentech-Anbau eingehalten werden können. GVO-<br />

Anbauer sind somit nur haftbar für wirtschaftliche Schäden, über ökologische<br />

Schäden gibt es keinen entsprechenden Passus im Gesetz.<br />

Damit hat es sich der Gesetzgeber leicht gemacht und wälzt die Problematik<br />

auf Auseinandersetzungen innerhalb der Bauernschaft ab. Der GVO-Bauer<br />

muss Ausgleich zahlen, weil er einen Schaden verursacht hat<br />

(Verursacherprinzip), nicht weil er ihn verschuldet hat. Die eigentliche Schuld<br />

an dem Dilemma tragen die Chemieriesen und Pharmakonzerne, die diese<br />

Produkte entwickelt haben, aber nicht für deren Sicherheit garantieren<br />

können. Der eigentliche Erzeuger und Vertreiber von GVO-Saatgut, der am<br />

Patent verdient, bleibt damit außen vor. Nun soll der anwendende Bauer<br />

dafür haften. Sicherlich liegt es in seinem Verantwortungsbewusstsein, ob<br />

und wie er mit GVO umgeht und sich von den Versprechungen der Gentech-<br />

und Saatgutindustrie einfangen lässt. Abstandsstreifen und Schutz-


50<br />

pflanzungen scheinen zunächst sinnvoll zur Vorbeuge zu sein, aber sie<br />

taugen weder für alle Kulturen, noch unter bestimmten regionalen<br />

Bedingungen (Naturschutzgebiete), noch für bestimmte technische<br />

Anbauverfahren und nicht für alle Witterungsbedingungen.<br />

Aufgrund des Dilemmas verweigerter Garantien und Versicherungen bei<br />

Haftung des Anwenders wird nach Einschätzung des Deutschen<br />

Bauernverbandes kein Landwirt in Deutschland auf absehbare Zeit<br />

gentechnisch verändertes Saatgut verwenden. Ob sich diese Einschätzung<br />

<strong>als</strong> zutreffend erweist, ist allerdings in Anbetracht des derzeit laufenden<br />

»Erprobungsanbaus« von Genmais fraglich. Dahinter steckt Methode:<br />

angefangen wurde beim Mais, der keine Artverwandten in Deutschland hat,<br />

und der relativ schwere Pollen im Normalfall nicht so weit fliegt. Im Frühjahr<br />

2004 wurde für sieben Sorten Genmais der Erprobungsanbau ermöglicht, der<br />

auf rund 60 geheim gehaltenen Flächen mit insgesamt rund 1.000 Hektar in<br />

sieben Bundesländern stattfindet. 63 Von wesentlichen Einträgen könne nur<br />

innerhalb von zehn Metern gesprochen werden. Ein Trennstreifen von 20<br />

Meter Breite zwischen GVO und konventionellem Mais würde bereits<br />

genügen, um eine wesentliche Kontamination zu verhindern. Damit sei das<br />

Ziel bereits erreicht, dass der Schwellenwert für die Kennzeichnung <strong>als</strong> GVO<br />

von 0,9 Prozent unterschritten werde, heißt es. 64 Fragt sich nur, wie lange<br />

diese Weißmalerei bei großflächigem Anbau aufrechterhalten werden kann.<br />

Denn der Probeanbau hat wichtige Fragen ausgeklammert - etwa, wie die<br />

Vermischung nach Jahren aussieht und wie Pflanzen aus dem Biotech-Labor<br />

Insekten, andere Tiere und den Boden beeinträchtigten.<br />

Beteiligt waren außer landwirtschaftlichen Versuchsanstalten auch einzelne<br />

Bauern, die von Gentechnikfirmen durch hohe Zahlungen und vertragliche<br />

Risikoabsicherungen zum Anbau der Genpflanzen veranlasst wurden.<br />

Diejenigen, die den Anfang machen, werden nicht ohne Grund bevorteilt.<br />

Schließlich sind die Auswirkungen nicht gleich so groß und die Kosten<br />

können die Genkonzerne noch aus der Portokasse bezahlen. Man muss erst<br />

mal einen Fuß in der Tür haben. Bestes Beispiel, bis die ganze Sache kippt<br />

und nicht mehr <strong>als</strong> Gentechnikfrei zu halten ist, zeigte Brasilien (siehe Pkt. 2)<br />

Das Pollenproblem mit seiner Ausbreitungsgefahr von GVO ist sicherlich<br />

dennoch ein gravierendes. In der nächsten GVO-Generation wird es jedoch<br />

keine Pollen mehr geben 65 – zumindest keine fortpflanzungsfähigen.<br />

63<br />

Beteiligt sind sieben Bundesländern: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Sachsen, Brandenburg,<br />

Baden-Württemberg und Thüringen. Bayern und Sachsen-Anhalt stellten neben privaten auch staatlich Flächen für den<br />

Anbau von gentechnisch veränderten Körnermais und die Futterpflanze Silomais zur Verfügung. Das Saatgut wurde von<br />

Großkonzernen wie Saatguthersteller Monsanto und Pioneer Hi-Bred Northern Europe gestellt.<br />

64<br />

GVO: Bei Mais ist eine Koexistenz möglich, LME Aktuell - Lebensmittel und Ernährung, 25.11.2004, www.lmeonline.de<br />

65<br />

Sterile Pollen gegen Gentech-Ausbreitung, 15.11.2004, www.telepolis.de/r4/artikel/18/18784/1.html


51<br />

Jedes mit der Gentechnik einhergehende einzeln betrachtete Problem<br />

kann sich <strong>als</strong> marginal erweisen. Wichtig ist, den Gesamtcharakter von<br />

Gentechnik herauszustellen: nicht ökologisch verträglich, nicht<br />

nachhaltig, eine Produktivkraft zur weiteren stärkeren Ausbeutung der<br />

Natur mit starkem destruktiven Charakter für Natur und Menschheit.<br />

Landwirte sind nun gut beraten, sich vor jeder Saatgut- und Feldbestellung zu<br />

informieren. Das Gentechnikkataster bzw. Standortregister gibt denjenigen<br />

eine parzellengenaue Auskunft über geplante Kulturen mit GVO, die ein<br />

berechtigtes Interesse daran haben (Imker, Landwirte, Bio-Bauern). Natürlich<br />

kann jeder Bauer schon heute von seinem Nachbarn Auskunft über geplante<br />

GVO-Kulturen verlangen, vorausgesetzt Nachbars Pollen können seine<br />

eigene Ernte beeinträchtigen. Denn das nachbarschaftliche Gemeinschaftsrecht<br />

verlangt Rücksichtnahme.<br />

Das Haftungsproblem steht stark unter Kritik, natürlich vom Bauernverband<br />

und den Herren von der Industrie, denn sie wollen am liebsten gar keine<br />

Haftung bzw. nicht dafür aufkommen. Aber Verbraucher, Kritiker und<br />

betreffende Bauern sehen, dass sie sozusagen zweimal für einen Fakt<br />

bestraft werden sollen, den sie eigentlich gar nicht wollen: Bayer und<br />

Monsanto und Co. sind für die Ausbreitung ihrer Produkte verantwortlich, und<br />

damit auch für die entstandenen Schäden. Mit anderen Worten, es kann nicht<br />

sein, dass diejenigen, die die Umwelt und die Lebensmittel vermüllen,<br />

belohnt, und diejenigen, die dagegen ankämpfen, bestraft werden. Bei<br />

Konstruktionsfehlern einer neuen Automarke wird doch auch nicht der Fahrer<br />

in Haft genommen, sondern die Hersteller müssen die defekten Autos<br />

zurückrufen bzw. bei Mängeln haften. Wieso werden <strong>als</strong>o die Gentech-<br />

Konzerne so in Schutz genommen? Von wem werden die Gentech-Pflanzen<br />

denn kreiert und in Umlauf gebracht? Wer kassiert denn Patentgebühren?<br />

Sollen doch diejenigen Firmen, die die gentechnischen Veränderungen<br />

ausgeheckt haben, doch auch bitte dafür büßen (haften). Wenn die<br />

Genkonzerne und nicht mal die Versicherer bereit sind, die Risiken zu tragen,<br />

warum sollte man Fonds einrichten, die das Risiko bestenfalls bei kleineren<br />

Schäden abfangen können, die aber bei größeren Schäden kaum ausreichen<br />

werden? Einen Haftungsfonds zu bilden, spielt nur der Gentechindustrie in<br />

die Hände, die sich um die Folgen wenig schert. Wozu überhaupt ein<br />

Haftungsfonds, in der Bund und Länder einzahlen sollen? Wieso soll der<br />

Steuerzahler wieder dafür aufkommen? Es ist typisch: Privatisierung der<br />

Gewinne bei den Konzernen, aber für Schäden, Verluste und Kosten muss<br />

der Bürger zahlen!


Warum werden Patente abgelehnt?<br />

52<br />

Ein Blick nach Kanada zeigt die Symptome der krankhaften<br />

Genehmigungspraxis von Patentämtern und deren Rückendeckung durch die<br />

Justiz: Der Landwirt Percy Schmeiser bewirtschaftet den ererbten Boden in<br />

der dritten Generation und züchtete erfolgreich Raps. Bis der Pollen von<br />

Genraps seine Pflanzen bestäubten. Der Zuchterfolg von mehreren<br />

Jahrzehnten war mit einem Mal dahin. Doch damit nicht genug, verklagte ihn<br />

der Patentinhaber Monsanto bereits 1998 wegen angeblicher Patentrechts-<br />

Verletzungen, weil er die entsprechende Lizenzgebühr von 37 kanadischen<br />

Dollar pro Hektar für die patentgeschützte Pflanze nicht gezahlt hatte. Und<br />

das, obwohl der Farmer glaubhaft machen konnte, dass er seit über 40<br />

Jahren mit eigenem Saatgut Raps anbaut, und der Gen-Raps sehr leicht von<br />

Nachbars Feldern oder vorbeifahrenden Lastwagen stammen könnte. Das<br />

Gericht sah es für unerheblich an, wie der Gen-Raps auf Schmeiser Felder<br />

kam - Patentschutz habe immer Vorrang. Der Farmer wurde im letzten Jahr<br />

rechtskräftig zur Zahlung von 20.000 Dollar Strafe an Monsanto verurteilt. 66<br />

Kürzlich erhielt er den Mahatma-Gandhi-Award für seinen friedvollen Widerstand.<br />

67 Ausdauer und Hartnäckigkeit sind gefragt, wenn man mit Klagen<br />

gegen die Gentech-Unternehmen vorgehen will.<br />

Der Fall zeigt exemplarisch die Folgen von Bio-Patenten: Sie bedeuten,<br />

dass Bauern, die in der Nachbarschaft von transgenen Pflanzen<br />

produzieren, den Firmen Tantieme für Produkte zahlen müssen, die sie<br />

nie gekauft haben und von denen sie keinen Nutzen haben.<br />

Verfolgt man die Patentierungen an pflanzlichen, tierischen und<br />

menschlichen Genomen so wird klar: Das Leben erfolgt im Griff der<br />

Wirtschaft. Patentierung bedeutet Privatisierung von Leben und Sicherung<br />

exklusiver Nutzungsrechte an Pflanzen, Tieren und deren Erbgut zur<br />

nachhaltigen Abschöpfung von Profiten und zur Steigerung von<br />

Börsenkursen. Patente blockieren die freie Nutzung der geschützten Gene<br />

und behindern so die weitere Forschung und Entwicklung durch andere<br />

Wissenschaftler <strong>als</strong> durch die Patentinhaber. Verbal gut <strong>als</strong><br />

„Technologieabgaben“ oder „Lizenzgebühren“ verpackt, treiben Patente die<br />

Kosten in die Höhe, bei gewollter Anwendung oder ungewollter Kontamination.<br />

Man muss sich im Klaren sein, dass Patente wie das Ei im Kuchen<br />

daherkommen. Es wird keine gentechnisch veränderten Kultursorten geben,<br />

für die nicht auch mit einem entsprechenden Aufpreis zu zahlen ist.<br />

Besonders betroffen sind auch Entwicklungsländer. Die Bauern in der dritten<br />

66 Dokumentiert in dem Video „Tote Ernte. Der Kampf ums Saatgut“, www.gen-ethisches-netzwerk.de<br />

67 www.percyschmeiser.com


53<br />

Welt können sich gekauftes Saatgut in der Regel nicht leisten - und<br />

produzieren seit jeher eigenes Saatgut.<br />

Eine Folge der Patentierungsmöglichkeit biologischer Ressourcen ist die<br />

Biopiraterie. Dies trifft vor allem Länder, an deren natürlichen Biodiversität<br />

durch exklusive Vermarktungsrechte die Patentinhaber verdienen. Manchmal<br />

fallen sogar jahrtausendlange Traditionen der Nutzung alter Kultur- oder<br />

Wildpflanzen unter das Patentrecht. Bestenfalls dürfen die Einheimischen<br />

selber ihre eigenen traditionellen Produkte noch nutzen, aber nicht mehr<br />

handeln oder auf den Weltmarkt bringen. Ein Beispiel: Das Patent EP 445929<br />

vom Mai 2003 beschreibt die konventionelle Züchtung einer bestimmten<br />

Weizensorte, die für die Herstellung von Keksen geeignet ist. Bei der<br />

Züchtung wurde von einer ursprünglichen indischen Weizensorte<br />

ausgegangen. Ein typischer Fall von Biopiraterie!


54<br />

7. Warum sind gentechnikfreie Zonen so wichtig und<br />

wie organisiert man sie?<br />

Die beste Möglichkeit, gentechnikfrei auch in Zukunft zu bleiben, ist<br />

gentechnikfrei zu wirtschaften – vom Saatgut bis zum Futtermittel. Der<br />

gangbarste Weg wäre, wenn sich jeder Bauer in der Nachbarschaft<br />

Gentechnikfreiheit zusichert. Bisher haben sich in Deutschland innerhalb<br />

eines Jahres rund 11.600 Landwirte in 50 gentechnikfreie Regionen<br />

organisiert und vereinbart, keine gentechnisch veränderten Pflanzen<br />

anzubauen. Das entspricht einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 430.000<br />

Hektar. Wald- und Schutzgebietsflächen hinzugerechnet sind es fast eine<br />

Million Hektar oder rund zwei Millionen Fußballfelder.<br />

Der Wille zu gentechfreien Gebieten überspannt inzwischen den Erdball: Z.B.<br />

erklärt sich die philippinische Provinz Bohol gentechnikfrei. Auch in Polen<br />

wird das erste gentechfreie Gebiet deklariert. 68 Das thailändische Kabinett<br />

verbietet den Anbau von GVOs für 3 Jahre.<br />

10 Gründe für die Einrichtung gentechnikfreier Zonen:<br />

1. Verbraucher und Bauern sind Partner. Ein Bauer ernährt 140<br />

Konsumenten. 112 davon wollen kein Genfood. Bauern müssen<br />

marktorientiert wirtschaften und gentechnikfreie Produkte erzeugen.<br />

Verunreinigungen der Marktfrüchte muss der Bauer daher verhindern.<br />

2. Der Verbraucher will seine Wahlfreiheit behalten und nicht zwischen<br />

mehr oder weniger verunreinigten Nahrungsmitteln wählen. Deshalb<br />

muss biologische und konventionelle Landwirtschaft weiterhin möglich<br />

bleiben.<br />

3. Gentechnikfreie Landwirtschaft verhindert Mehrkosten für Bauern, für<br />

den Verbraucher und für den Steuerzahler. Maßnahmen, um<br />

Verunreinigungen zu verhindern, wären überflüssig. Die EU-Kommission<br />

hat errechnet, dass die Sicherung einer gentechnischen Produktion im<br />

landwirtschaftlichen Betrieb die Kosten um 5 bis 10 % erhöht. Auch die<br />

Trennung der Produktströme in der Lagerhaltung und<br />

Lebensmittelindustrie sowie in der Saatgutaufbereitung ist nur durch<br />

erhöhten Aufwand möglich.<br />

4. Die Bioproduktion wird in gentechnikfreien Zonen am besten geschützt.<br />

Kontaminierte Öko-Produkte können nicht mehr <strong>als</strong> „Bio" verkauft<br />

68 www.blauen-institut.ch, Gentechnews 99/2004


55<br />

werden und die Ökozertifizierung der Landwirtschaftsbetriebe könnte im<br />

Umfeld von Gen-Anbau schnell verloren gehen.<br />

5. Bestimmte Länder wollen keine Genprodukte kaufen. Diejenigen Länder<br />

sind im Vorteil, die gentechnikfreie Produkte anbieten können. Die USA-<br />

Importe in die EU und nach Japan sind zusammengebrochen, weil nur<br />

noch kontaminierter Mais und Soja angeboten werden können.<br />

6. Die Unabhängigkeit der Bauern wird gesichert. Es fallen keine<br />

Patentgebühren an. Der Koppelverkauf von Saatgut und Pestiziden fällt<br />

weg.<br />

7. Ohne GVO-Anbau wird der Bodenwert erhalten. In den USA ist der<br />

Bodenwert bei GVO-Anbau gesunken, weil schwer bekämpfbare<br />

„Superunkräuter“ und „Superinsekten“ vorhanden sind und die<br />

Rückumstellung auf konventionellen Anbau Jahre dauert. Raps kann 10<br />

Jahre im Boden lagern und nach dem Mähdrusch können 200 bis 300 kg<br />

pro Hektar Rapssamen <strong>als</strong> Ausfall im Boden zurückbleiben.<br />

8. Gentechnikfreie Zonen sind für Bauern und Verbraucher transparent.<br />

Jetzt sind GVO-Register für NGO's (Nicht-Regierungsorganisationen)<br />

und Konsumenten nicht zugänglich.<br />

9. Konflikte zwischen Biobauern, konventionellem Bauer und Genbauern<br />

können vermieden werden. Gerichtliche Auseinandersetzungen<br />

verschlechtern das Nachbarschaftsverhältnis. In den Dörfern entsteht<br />

Zwietracht.<br />

10. Das Risiko der Kontaminierung mit wirtschaftlichen Verlusten wird von<br />

keiner Versicherung getragen.<br />

Wie organisiert man eine gentechnikfreie Zone?<br />

Die Initiative kann von verschiedenen Seiten ausgehen:<br />

- Überregionale Aktionsbündnisse (z.B. der Landkreise Uckermark und<br />

Barnim www.ioew.de, Barnimer Aktionsbündnis gegen Gentechnik<br />

www.dosto.de/gengruppe).<br />

- Einzelpersonen, die einen Antrag an die Kommunale Vertretung richten.<br />

- Fraktionen der Parteien, die einen Antrag stellen.<br />

- Bauern, die sich freiwillig zusammenschließen.


56<br />

Nun kann eine solche Zone nicht „von oben" festgesetzt werden, sondern es<br />

müssen auf freiwilliger Basis Erklärungen und Verpflichtungen abgegeben<br />

werden:<br />

- Gemeinden können einen Beschluss fassen und die Landwirte zur<br />

Gründung einer gentechnikfreien Zone auffordern.<br />

- Gemeinden und Kirchengemeinden/Diözesen können beschließen, dass<br />

auf kommunalen/kircheneigenen Ackerflächen kein Genanbau erfolgen<br />

darf.<br />

- Bauern können eine Selbstverpflichtungserklärung abgeben.<br />

- Kreistage können beschließen, dass auf kreiseigenen Flächen kein<br />

Genanbau zulässig ist.


57<br />

8. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es?<br />

EU-Vorschriften für GVO gibt es seit Beginn der neunziger Jahre. Allerdings<br />

hinken sie der wissenschaftlich-technischen Entwicklung hinterher. Der<br />

Rechtsrahmen wurde immer wieder erweitert und präzisiert. Es gibt<br />

mittlerweile 35 Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen auf EU-Ebene,<br />

die auch national gültig sind. Nicht alle müssen nochm<strong>als</strong> in nationales Recht<br />

umgesetzt werden. Auf nationaler Ebene in Deutschland gibt es weitere 20<br />

Gesetze, Verordnungen bzw. spezifizierte nationale Umsetzungen von EU-<br />

Verordnungen.<br />

Das neue deutsche Gentechnik-Gesetz wurde unter den Fragen der<br />

Koexistenz und Haftung (Pkt. 6.) bereits ausführlich behandelt.<br />

Die EU-Biopatent-Richtlinie 98/44/EG steht seit Jahren in der Debatte. Sie<br />

muss in nationales Recht umgesetzt werden. Beim Schutz von Pflanzen und<br />

Tieren vor Patentierung hat Rot-Grün kaum Fortschritte erreicht. So werden<br />

auch mit den neuesten Vorschlägen zur Umsetzung der EU-Patent-Richtlinie<br />

keine Regelungen vorgesehen, die den Patentschutz bei Saatgut wirksam<br />

begrenzen.<br />

Die Richtlinie sichert den Patentinhabern umfangreiche Rechte zur<br />

Patentierung von Leben und Lebewesen zu, so auf Pflanzenpatente, Patente<br />

auf Tiere und Teile des Menschen, auf Gensequenzen und Gene (siehe<br />

Pkt. 6.).<br />

Das wichtigste Instrument für die Genehmigung experimenteller<br />

Freisetzungen sowie der Vermarktung von GVO in der EU ist eine neue<br />

aktualisierte Richtlinie (2001/18/EG – „Freisetzungs-Richtlinie“). Danach<br />

wird ein abgestuftes Zulassungsverfahren eingeführt. Umwelt- und<br />

Gesundheitsaspekte werden geregelt. Die Freisetzungsrichtlinie verschärft<br />

zunächst scheinbar die alten geltenden Vorschriften. Es gibt aber auch<br />

wesentliche Erleichterungen. Die Richtlinie führt auf EU-Ebene insbesondere<br />

Folgendes ein:<br />

- Grundsätze für eine Umweltverträglichkeitsprüfung; (können von den<br />

Antragstellern der Gentechfirmen selbst durchgeführt werden)<br />

- die Pflicht zur Überwachung von Langzeiteffekten in der Praxis; (D.h., sich<br />

aufsummierende und langfristige Auswirkungen werden erst untersucht,<br />

wenn sich die Gefahr bereits in der Landwirtschaft oder über den Magen<br />

etabliert hat. Mensch und Umwelt werden zum Versuchskaninchen.)


58<br />

- die Pflicht zur Information der Öffentlichkeit; (Das ist nicht näher definiert.<br />

Die Öffentlichkeit können Ministerien oder Behörden sein, es können ganz<br />

allgemeine Informationen sein. Die Praxis jedenfalls beweist, dass von<br />

GVO-Anbau zu Versuchszwecken mit Flurstück und Name des Anwenders<br />

noch nicht einmal die betreffende Gemeinde erfährt, geschweige denn die<br />

Bevölkerung.)<br />

- Vorschriften über die Kennzeichnungspflicht und die Rückverfolgbarkeit in<br />

allen Stadien der Vermarktung;<br />

- Befristung der Erstzulassungen für die Freisetzung von GVO auf höchstens<br />

zehn Jahre; (Vorher waren es 8 Jahre.)<br />

- die Pflicht zur Anhörung der Wissenschaftlichen Ausschüsse; (Diese<br />

bestehen auf EU-Ebene vor allem aus Lobbyisten der entsprechenden<br />

Branchen.)<br />

- die Pflicht zur Anhörung des Europäische Parlaments zu Entscheidungen<br />

über die Genehmigung von GVO; (Das ist eine reine<br />

Beruhigungsveranstaltung. Das EU-Parlament darf zwar angehört werden,<br />

aber nicht entscheiden. Das ist eine eklatante Verletzung des<br />

demokratischen Willensprozesses der gewählten EU-Parlamentarier.) u.a.<br />

Der bisherige Gesetzesrahmen ist ergänzt durch zwei neue Verordnungen,<br />

die im April 2004 in Kraft traten:<br />

• Verordnung über genetisch veränderte Futter- und Lebensmittel<br />

(1829/2003) und<br />

• Verordnung über Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO’s<br />

(1830/2003).<br />

Die geplante Saatgut-Richtlinie der EU ist nach wie vor aufgrund von<br />

Streitigkeiten über die Höhe der zuzulassenden Verunreinigungen in<br />

widersprüchlicher Diskussion. Die Schwellenwerte sollen in Abhängigkeit von<br />

der Kultursorte zwischen 0,3 % und 0,7 % ohne Kennzeichnung erlaubt sein.<br />

Erreicht werden müsste eine Schwelle für die Saatgutkennzeichnung in Höhe<br />

von 0,1 %. Dies ist technisch durchaus machbar. Wenn das Reinheitsgebot<br />

von Saatgut erst einmal aufgegeben ist, dann setzt sich die Verunreinigung<br />

durch GVO unweigerlich im Erntegut und den nachgezüchteten Generationen<br />

und damit im Lebens- und Futtermittel fort.


59<br />

Ferner müssen GVO-Saatgutsorten, genverändertes forstwirtschaftliches<br />

Vermehrungsgut und Vermehrungsmaterial im Weinbau im Rahmen der<br />

Freisetzungs-Richtlinie zugelassen werden, bevor sie in der EU in den<br />

Gemeinsamen Sortenkatalog aufgenommen werden.<br />

Bei der Kommission liegen derzeit 22 Notifizierungen für Gen-Saatgut der<br />

neuen Richtlinie vor. Sieben betreffen Erzeugnisse, die zur Zeit der<br />

Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG noch anhängig waren.


60<br />

9. Welche Standpunkte vertreten die etablierten<br />

Parteien?<br />

Der CDU/CSU/FDP-dominierte Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum<br />

Gentechnik-Gesetz der Bundesregierung vom April 2004 deutlich gemacht,<br />

dass er auf der Seite der Gentech-Industrie und derjenigen Bauern steht, die<br />

transgenes Saatgut ausbringen wollen. Er lehnt jede gesetzliche Regelung<br />

der „Guten fachlichen Praxis des GVO-Anbaus" ab. Der Vorschlag der Union<br />

geht dahin, das Haftungsrisiko auf das Staatssäckel und damit auf die<br />

Allgemeinheit abzuwälzen (Einrichtung eines Haftungsfonds). Die drei<br />

Parteien sind die politischen Protagonisten der grünen Gentechnik und fungieren<br />

<strong>als</strong> verlängerter Arm der Gen-Konzerne in jeglichen politischen<br />

Auseinandersetzungen – z.B. zur Durchsetzung des Erprobungsanbaus und<br />

zur Patentierung. Sie sehen in der Gentechnik eine enorme Chance zur<br />

Lösung einer Reihe von weltweiten und hausgemachten wirtschaftlichen,<br />

ökologischen und sozialen Problemen. 69<br />

Seit Eintritt der SPD in die Regierung wird ein Schlingerkurs vertreten, der<br />

zunächst den großflächigen Erprobungsanbau für Gentechnik einführen<br />

sollte. Dies ist jedoch mit der BSE-Krise jäh unterbrochen worden, da dem<br />

Verbraucher nicht mehr zu vermitteln war, dass nun der Bt-Mais anstelle von<br />

Tiermehl an die „kranken Rinder“ verfüttert werden soll. Inzwischen wurden<br />

mehrere Novellen des EU-Gentechnik-Rechts umgesetzt. Erprobungsanbau<br />

ist auch wieder möglich. Unter der SPD konnte (neben militärischen<br />

Bereichen) die Förderung der Gentechnologieforschung trotz massiver<br />

Einsparungen in den übrigen Haushalten kontinuierlich ausgebaut werden.<br />

Für die Grünen stellt die Gentechnik eine Risikotechnologie dar, weshalb sie<br />

versucht „eine bedachte und behutsame Anwendung und Entwicklung<br />

gentechnischer Verfahren zu gewährleisten“. 70 Die Anwendung in der<br />

Lebensmittelproduktion wird zwar abgelehnt und die Patentierung kritisch<br />

gesehen. Viele politische Zielstellungen werden jedoch so hingebogen, dass<br />

sie mit den Interessen des großen Koalitionspartners in der Bundesregierung<br />

passfähig werden. Das von Verbraucherministerin Künast auf den Weg<br />

gebrachte Gentechnikgesetz steht unter Kritik der Liberalen und rechten<br />

Opposition, eröffnet nun aber die Anwendungsmöglichkeit der grünen<br />

Gentechnik in der Landwirtschaft. Zwischen Politik der Grünen in Bundestag<br />

und Basiswillen klaffen erhebliche Differenzen.<br />

69 Groth, Tina (2001) Übersicht über die Positionen von Greenpeace und der im Bundestag vertretenden Parteien zum<br />

Thema grüne Gentechnik. Wiss. Hausarbeit zur Staatsprüfung für das Amt des Lehrers. Berlin, TU-Berlin<br />

70 Bündnis90/Die Grünen, Grundsatzprogramm, S. 20


61<br />

Die PDS betrachtet die Anwendung der grünen Gentechnik in der<br />

Landwirtschaft und in der Forstwirtschaft bis auf wenige Ausnahmen sehr<br />

kritisch und <strong>als</strong> weder notwendig noch wünschenswert. Darauf verständigte<br />

sich im November 2004 die Bundesarbeitsgemeinschaft Umwelt, Energie und<br />

Verkehr unter ihrem Vorsitzenden Prof. Methling. Die PDS leitet ihre<br />

politischen Positionen zur Anwendung der grünen Gentechnik vor allem von<br />

der Verantwortung für den Schutz des Verbrauchers, aber auch der<br />

anwendenden und nicht anwendenden Landwirte, für die Wahlfreiheit von<br />

Verbrauchern und Landwirten sowie für den Schutz der biologischen Vielfalt<br />

ab. Gefordert werden u.a. die Kennzeichnungspflicht für Futtermittel und<br />

Lebensmittel, die Einhaltung von möglichst niedrigen Grenzwerten für<br />

Beimischungen bzw. Verunreinigungen, die Ausweitung einer systematischen<br />

biotechnischen Sicherheits- und Begleitforschung sowie die Einrichtung eines<br />

Haftungsfonds, der von der Saatgut und Futtermittel herstellenden Industrie<br />

und nicht aus Steuermitteln gespeist wird.


62<br />

10. Was spricht gegen den Einsatz der grünen<br />

Gentechnik? Politischer Standpunkt der Ökologischen<br />

Plattform bei der PDS zur Gentechnik<br />

Der Standpunkt der Ökologischen Plattform ist <strong>als</strong> Reaktion auf den<br />

gegenwärtig dominierenden neoliberalen Imperialismus zu sehen. Tatsache<br />

ist, dass die von den großen Gentechnik-Konzernen geschaffene Einführung<br />

von GVO in die breite Praxis der Landwirtschaft in den USA, Kanada und<br />

lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien und Brasilien und die von den<br />

Regierungen der USA, der EU und Deutschlands geschaffenen rechtlichen<br />

Regelungen zur Verbreitung gentechnischer Produkte und Anbaumethoden<br />

beim gegenwärtigen Kräfteverhältnis nicht rückgängig gemacht werden<br />

können. Wir wollen uns zwar mit den Tatsachen nicht abfinden, aber die<br />

derzeitigen Chancen, eine Wende auf dem Gebiet der Gentechnologie<br />

herbeizuführen, sind gering. Entwicklung ist nur nachhaltig, wenn sie<br />

gegenwärtig und zukünftig umwelt- und sozialverträglich ist. Ökologische und<br />

sozial gerechte Gesichtspunkte müssen deshalb dauerhaft in alle Gebiete<br />

und Bereiche integriert werden.<br />

Unser Standpunkt ist daher politisch realistisch, kapitalismuskritisch,<br />

demokratisch und vertritt die Interessen von Konsumenten und Bauern.<br />

1. Wir lehnen die Gentechnik zur Schaffung neuer Pflanzen- und Tierarten<br />

und zur Nutzung in der landwirtschaftlichen Praxis ab. Wegen der<br />

Komplexität ökologischer Prozesse und der Nichtrückholbarkeit von<br />

GVO ist das Risiko der irreversiblen Freisetzung bei großflächiger<br />

Kontamination in die Natur besonders hoch. Bilden sich Resistenzen bei<br />

Kräutern, Unkräutern und Schadinsekten ist die gesamte<br />

landwirtschaftliche Produktion und damit die Lebensmittelherstellung –<br />

die Grundlage unseres Lebens - auf lange Sicht bedroht.<br />

2. Zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt auf der Grundlage des<br />

Biosafety-Protokolls lehnen wir die Verbreitung von GVO ab, um auch<br />

späteren Generationen die Nutzung der natürlichen genetischen Vielfalt<br />

zu erhalten. Kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten ist, ob die<br />

gewählten Maßnahmen zur Erhaltung der Kultursorten und Artenvielfalt<br />

ausreichend sind. Regionale Sorten müssen erhalten werden. Die<br />

weltweite Verbreitung von GVO-Monokultursorten muss vermieden<br />

werden. Bauern müssen freien Zugang und Wahlfreiheit beim Bezug von<br />

Saatgut behalten, sie dürfen nicht in Abhängigkeit der Saatgut-Konzerne<br />

geraten.


63<br />

3. Wir lehnen die Patentierung von Genen und Lebewesen ab. Niemand<br />

kann Leben erfinden und <strong>als</strong> Eigentum beanspruchen. Gene,<br />

Gensequenzen, Zellen, Organe, Pflanzen, Tiere und Teile des<br />

menschlichen Körpers dürfen nicht patentiert werden. Wir fordern, die<br />

Patentregelungen international, in der EU und in Deutschland<br />

dahingehend zu korrigieren. Die EU muss eine neue europäische<br />

Patentgesetzgebung auf den Weg bringen, die Patente auf Lebewesen<br />

und Gene verbietet.<br />

4. Bisher entwickelte GVO bringen keinen Kundenvorteil. Die Ernährung ist<br />

ein grundlegendes Menschenrecht, weshalb wir fordern, dass in allen<br />

Sortimenten des Handels Waren ohne GVO angeboten werden müssen.<br />

Der Kunde soll sein Recht auf Wahlfreiheit wahrnehmen können. Um<br />

dieses Recht zu gewährleisten, treten wir für eine vollständige, auffällige<br />

und gut sichtbare Kennzeichnung von gentechnisch veränderten<br />

Produkten, Inhaltsstoffen und Produktionsprozessen mit GVO-<br />

Beteiligung ein. Diese Deklarationspflicht muss auch für Nahrungsmittel<br />

gelten, die tierischen Ursprungs sind, wenn zur Fütterung<br />

genmanipuliertes Futter eingesetzt wurde.<br />

5. Alle Staaten, insbesondere die Entwicklungsländer, sollen ihre<br />

Ernährungsprobleme selbst lösen können und es darf ihnen kein GVO-<br />

Saatgut, GVO-Nahrungsmittel oder GVO-Futtermittel aufgezwungen<br />

werden. Das Welthungerproblem und der Nord-Süd-Konflikt werden<br />

durch die Gentechnik weiter verschärft. Die wirtschaftliche und politische<br />

Unabhängigkeit aller Völker in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln<br />

ohne GVO muss gewährleistet werden.<br />

6. Das Vorsorgeprinzip muss durch staatliche Mittelfreigabe für die<br />

unabhängige wissenschaftliche Risiko- und Technikfolgenabschätzung<br />

gewährleistet werden. In jedem Fall der Entwicklung von GVO sind<br />

vorher die Auswirkungen auf die Gesamtnatur (Flora, Fauna, Mensch) in<br />

ihrer Komplexität einzuschätzen. Im Falle von unkalkulierbaren Risiken<br />

und Auswirkungen sind GVO gemäß dem Vorsorgeprinzip abzulehnen.<br />

Die Gentechkonzerne müssen zur Beteiligung an der Risikoforschung<br />

ihrer eigenen Produkte verpflichtet werden.<br />

7. Wir fordern eine demokratische Kontrolle bei Entwicklung, Einführung<br />

und Regelung von GVO. Werden GVO freigesetzt und in Verkehr<br />

gebracht, dann sind öffentliche Kontrollmechanismen sowie weisungs-<br />

und kontrollberechtigte Behörden mit demokratischer Legitimierung<br />

notwendig. So bedarf jeder Schritt in der Nutzbarmachung der<br />

Gentechnologie strikter, gesetzlich gesicherter Kontrolle, öffentlicher


64<br />

Aufklärung und Kennzeichnung sowie eines angemessenen<br />

Schutzniveaus für die potenziell Betroffenen und nicht zuletzt hoher<br />

außerparlamentarischer Aufmerksamkeit.<br />

8. Es müssen gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die eine<br />

Auskreuzung von GVO auf Pflanzen der gleichen Art oder verwandte<br />

Wildpflanzen unterbindet. Antibiotikaresistente, insekten- und<br />

herbizidresistente GVO werden für die Humanernährung abgelehnt und<br />

weil sie die Biodiversität verringern, regionale Zuchtsorten verdrängen,<br />

und nachweislich Bodenflora und –fauna beeinflussen. Die Erhaltung der<br />

Bodenfruchtbarkeit ist aber das A und O <strong>als</strong> Ernährungsbasis für eine<br />

nachhaltige und künftige Landwirtschaft.<br />

9. Gentechnik bürdet der Gesellschaft immense Kosten auf: die<br />

Entwicklung, Forschung, Kontrolle, Haftung, politische Behandlung,<br />

Trennung zwischen GVO und konventionellen Produkten in der<br />

Lagerung und Verarbeitung usw. wird zu einem erheblichen Teil aus<br />

Steuermitteln des Staates finanziert oder in den Produktpreis <strong>als</strong><br />

Kostenfaktor auf den Verbraucher umgelegt. Wer GVO entwickelt, muss<br />

auch im vollen Umfang für die Folgen bei Schädigungen und<br />

gesellschaftlichen Kosten aufkommen. Zur Haftung insbesondere für<br />

ökologische und wirtschaftliche Schäden sind nicht nur die unmittelbaren<br />

Verursacher (die GVO-Anbauer), sondern vor allem die Entwickler und<br />

Hersteller <strong>als</strong> Schuldner für die Sicherheit des Produktes hinzuzuziehen.<br />

10. Wir treten für die Schaffung gentechnikfreier Zonen auf gesetzlicher<br />

Grundlage ein. Die nachhaltigste Form der landwirtschaftlichen<br />

Produktion, die Biolandwirtschaft, halten wir für besonders unterstützungswürdig.<br />

So bleibt nur noch die Frage: Wird und soll es künftig noch möglich sein,<br />

Landwirtschaft ohne Gentechnik zu betreiben und gentechnisch veränderte<br />

Produkte zu vermeiden? Darauf gibt es nur eine Antwort: Die beste Lösung<br />

wäre ein Verbot der kommerziellen Nutzung der Gentechnik in der<br />

Landwirtschaft.


65<br />

11. Wo kann ich mich weiter informieren?<br />

Derzeitige GVO-Zulassungen nach EU-Recht, Stand der Dinge, sowie<br />

Fragen und Antworten zur GVO-Regelung (MEMO/04/16 und MEMO/04/17)<br />

unter<br />

http://europa.eu.int/rapid/start... durchklicken.<br />

Alle Gesetze, Verordnungen, Richtlinien auf EU- und auf nationaler Ebene<br />

sind unter dem Stichwort „Gentechnik“ auf der Internetseite der Biologischen<br />

Bundesanstalt einzusehen: www.bba.de<br />

Regelungen und Erklärungen des Bundesverbraucherschutzministeriums<br />

sind erhältlich unter:<br />

www3.verbraucherministerium.de/index... und www.transgen.de<br />

Auf den Internetseiten des Öko-Instituts Freiburg wurde eine "Bewertung der<br />

Änderung im Gentechnik-Gesetz unter besonderer Berücksichtigung der<br />

Koexistenz in der Landwirtschaft" veröffentlicht.<br />

www.oeko.de/presse.htm?mitte_presse1157020204.htm<br />

Rechtliche Fragen für Bauern: www.nachbarrechtfuerbauern.de/<br />

Bewertungen zu rechtlichen Regelungen und sonstigen Fragestellungen zur<br />

Gentechnik von Umwelt- und Ökoverbänden sind unter www.keinegentechnik.de<br />

und auf den Internetseiten der Zukunftsstiftung Landwirtschaft<br />

dokumentiert:<br />

www.zs-l.de/saveourseeds/news/nachrichten..<br />

Materialien und wissenschaftliche Studien sind beim Öko-Institut Freiburg<br />

und Blauen Institut Schweiz dokumentiert: www.blauen-institut.ch und<br />

www.oeko.de/gennews.htm<br />

Die Gentechnik-Nachrichten sind unter folgenden URL-Adressen im Internet<br />

zu finden:<br />

www.genet-info.org und www.gen-ethisches-netzwerk.de<br />

Informationen über Lebensmittel mit und ohne Gentechnik:<br />

www.greenpeace.de/einkaufsnetz<br />

Den aktuellen Stand der gekennzeichneten Gen-Produkte findet man unter<br />

www.greenpeace.de/gen-alarm


66<br />

Unter dem Motto "Gentechnikfreie Landwirtschaft und Ernährung sichern!"<br />

haben Umwelt-, Wirtschafts-, Verbraucher- und Bauernverbände einen neuen<br />

Informationsdienst ins Leben gerufen: www.informationsdienst-gentechnik.de<br />

Eine ausgezeichnete Übersicht über gentechfreie Gebiete in Europa und<br />

weltweit liefern die folgenden websites: www.genet-info.org (weltweit),<br />

www.foeeurope.org (Europa), www.faire-nachbarschaft.de, www.<br />

abl-ev.de/gentechnik (Deutschland).<br />

Keine Gentechnik auf kommunalen Flächen/Keine Gentechnik auf<br />

Kirchenland:<br />

http://vorort.bund.net/fairenachbarschaft/initiativen/initiativen_13/initiativen_46<br />

.htm<br />

Weltweit haben sich Wissenschaftlerkreise organisiert, die sich gegen<br />

transgene Pflanzen, deren Freisetzung und Patentierung ausgesprochen<br />

haben:<br />

Union of Concerned Scientists: www.ucsusa.org<br />

Alliance for Biointegrity: www.biointegrity.org<br />

Open Letter from World Scientists: www.i-sis.org<br />

Zu empfehlende Literatur:<br />

Christian Hiß (Hg., 2002) Der GENaue Blick. Grüne Gentechnik auf dem<br />

Prüfstand. Com Verlag<br />

Jeffrey M. Smith (2004) Tojanische Saaten. Genmanipulierte Saaten –<br />

genmanipulierter Mensch. Riemann<br />

Jeremy Rifkin (1998) Das biotechnische Zeitalter. Die Geschäfte mit der<br />

Genetik. Bertelsmann<br />

Joscha Wullweber (2004) Das grüne Gold der Gene. Westfälisches<br />

Dampfboot<br />

Judith Miller, Stephen Engelberg u.a. (2001) Virus – Die lautlose Bedrohung.<br />

Droemer München<br />

Köck/Mohr/W<strong>als</strong>h (Hg., 2003) Gentechnik und Gesellschaft. BoD GmbH,<br />

Norderstedt<br />

Per Pinstrup-Andersen, Ebbe Schioler (2001) Der Preis der Sattheit. Springer<br />

Wien, New York


Richard Fuchs (1997) Gen-Food. Ernährung der Zukunft? Ullstein Berlin<br />

67<br />

Ulrich Dolata (1996) Politische Ökonomie der Gentechnik. Ed. Sigma Berlin<br />

Vandana Shiva (2001) Biopiraterie. Haupt Verlag<br />

Video: Tote Ernte. Der Kampf ums Saatgut. Ausleihe unter www.genethisches-netzwerk.de<br />

Werner Bartens (1999) Die Tyrannei der Gene. Blessing München

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