Sonderausgabe 60 Jahre LVR - Landschaftsverband Rheinland
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<strong>LVR</strong>REPORT Oktober 2013<br />
Fankhaenel: Man darf<br />
dabei allerdings nicht vergessen,<br />
dass das Betreute<br />
Wohnen, so wie wir es<br />
heute kennen, das Ergebnis<br />
eines enormen Veränderungsprozesses<br />
ist. 1975<br />
gab es diesen Paukenschlag,<br />
als die Psychiatrie<br />
Enquete-Kommission der<br />
Bundesregierung erklärte:<br />
So darf das auf keinen Fall<br />
bleiben! Und dann hat sich<br />
praktisch vieles verändert.<br />
Gesetze, und unser Verwaltungshandeln:<br />
Aus<br />
„Hilfesuchenden“ wurden<br />
erst „Hilfeempfänger“ und<br />
später „Leistungsempfänger“.<br />
Heute bestärken wir<br />
unsere Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter darin,<br />
Menschen mit Behinderung<br />
als Kundinnen und<br />
Kunden zu sehen, die einen<br />
Anspruch auf qualitativ<br />
hochwertige Dienstleistungen<br />
haben. Früher hat<br />
man, zugespitzt formuliert,<br />
die Leute da untergebracht,<br />
wo Platz war. Heute gibt es<br />
Hilfeplan-Konferenzen, in<br />
denen zusammen mit den<br />
Menschen mit Behinderung<br />
geschaut wird, was<br />
individuell notwendig und<br />
gewünscht ist.<br />
?<br />
Was hat Ihnen die<br />
Generation von Frau<br />
Fankhaenel an Arbeit denn<br />
noch übrig gelassen?<br />
Wissel: Für uns ist es eine<br />
große Herausforderung,<br />
auch Menschen, die viel<br />
Unterstützung brauchen,<br />
individuelles Wohnen<br />
im eigenen Umfeld zu<br />
ermöglichen. Das ist<br />
nicht einfach. Man muss<br />
sich überlegen, wie man<br />
so etwas organisiert und<br />
woher das Geld kommt.<br />
Große Bedeutung kommt<br />
dabei der Entwicklung der<br />
Infrastruktur vor Ort zu.<br />
Was braucht es, damit ein<br />
Mensch mit Behinderung<br />
tatsächlich so selbstständig<br />
wie möglich vor Ort<br />
im Supermarkt einkaufen<br />
geht, Sport macht oder bei<br />
der Sparkasse im Rahmen<br />
seiner Möglichkeiten seine<br />
Geld-Angelegenheiten<br />
selbst regelt? Hier geht es<br />
um den Abbau von Barrieren:<br />
Physischen Barrieren,<br />
aber auch Barrieren in den<br />
Köpfen der Menschen.<br />
?<br />
Ein weiteres großes<br />
Thema ist „Arbeiten“.<br />
Was hat sich in diesem<br />
Bereich in den vergangenen<br />
Jahrzehnten getan?<br />
Fankhaenel: Der <strong>LVR</strong> hat<br />
schon sehr früh entschieden:<br />
Jeder behinderte<br />
Mensch im <strong>Rheinland</strong> soll<br />
einen Arbeitsplatz haben,<br />
auch schwerstbehinderte<br />
Menschen. Arbeit ist identitätsstiftend<br />
und strukturiert<br />
den Tag. Wir bieten<br />
Menschen mit Behinderung<br />
in unseren Werkstätten<br />
Arbeit an. Wer richtig<br />
fit ist, kann alternativ auch<br />
in ein Integrations-Unternehmen<br />
gehen oder sogar<br />
auf den ersten Arbeitsmarkt<br />
wechseln. Das gab<br />
es früher nicht.<br />
Wissel: Heute sprechen<br />
wir zum Beispiel mit den<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
von Werkstätten<br />
für behinderte Menschen<br />
darüber, was an ihrem<br />
Arbeitsplatz gut und was<br />
weniger gut läuft oder welche<br />
Ziele sie haben. Menschen<br />
mit Behinderung als<br />
Experten in eigener Sache<br />
einzubeziehen, ist uns sehr<br />
wichtig.<br />
?<br />
Wie sieht es mit dem<br />
<strong>LVR</strong> selbst aus? Da gab<br />
es ja wahrscheinlich auch<br />
Modernisierungsbedarf.<br />
Fankhaenel: Als ich beim<br />
<strong>LVR</strong> anfing, war das Wort<br />
„Dienstleister“ schlicht<br />
nicht bekannt. Man muss<br />
sich das so vorstellen: Wir<br />
haben entschieden und<br />
Bescheide verschickt. Alles<br />
war sehr hierarchisch<br />
organisiert. Da gab es<br />
den Chef, den Mitarbeiter<br />
und den Assistenten des<br />
Mitarbeiters. Teamarbeit<br />
war wenig gefragt. Die<br />
Organisationsstruktur gab<br />
die Arbeit vor. Moderne<br />
Management-Techniken<br />
wie Neues Kommunales<br />
Finanzmanagement oder<br />
Balanced Scorecard gab<br />
es damals nicht. Heute<br />
kommunizieren wir mit<br />
unseren Leistungsempfängerinnen<br />
und -empfängern<br />
auf Augenhöhe. Wir<br />
versuchen, effizient und<br />
effektiv zu arbeiten, haben<br />
die Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter im Blick, achten<br />
auf die Finanzen. Und<br />
mit Hilfe der IT erledigen<br />
wir inzwischen Mengen<br />
an Arbeit, die früher völlig<br />
undenkbar waren.<br />
?<br />
Und wie fühlt sich so<br />
eine moderne Verwaltung<br />
an, Herr Wissel?<br />
Wissel: Nicht schlecht. Ich<br />
habe am Führungsnachwuchsprogramm<br />
des <strong>LVR</strong><br />
teilgenommen. Im Fokus<br />
stand dabei die Vermittlung<br />
eines kooperativen<br />
Führungs stils. Da ging es<br />
dann zum Beispiel um Themen<br />
wie „Kommunikation“<br />
und „Wertschätzung“.<br />
?<br />
Welchen großen Herausforderungen<br />
steht<br />
der <strong>LVR</strong> heute, an seinem<br />
<strong>60</strong>sten Geburtstag, gegenüber?<br />
Fankhaenel: Unser großes<br />
Thema ist die Inklusion.<br />
Ziel ist, dass Menschen mit<br />
Behinderung ganz selbstverständlich<br />
am gesellschaftlichen<br />
Leben<br />
teilhaben können. Dies<br />
in Zeiten schmaler Haushaltsbudgets<br />
zu erreichen,<br />
ist die Kunst.<br />
?<br />
Was wünschen Sie dem<br />
<strong>LVR</strong> zum Jubiläum?<br />
Wissel: Dass er das zusammen<br />
mit allen weiteren<br />
Akteuren hinkriegt.<br />
ASt<br />
Fotos: Archiv des <strong>LVR</strong>, Pulheim-Brauweiler; Matthias Jung, Lothar Kornblum<br />
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