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Der Herr ist mein Hirte<br />
Geistliches Wort 3<br />
Hier spricht jetzt wirklich nicht mehr ein Schaf. Wem<br />
wird ein Tisch gedeckt „direkt vor denen, die mich<br />
bedrängen“ (gerechte Bibel) oder, wie Luther selbst<br />
übersetzte, „gegen meine Feinde“? Wer darf „im Hause<br />
des Herrn … wohnen für lange Zeit“?<br />
Gedeckter Tisch<br />
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de<br />
„Der Herr ist mein Hirte – Er weidet mich auf grüner<br />
Aue und führet mich zum frischen Wasser“ – ein vertrautes,<br />
idyllisches Gebet. Oder vielleicht doch eher ein<br />
Schrei in großer Not? Kein Wasser zu haben, als Schaf<br />
in der Gegend von Palästina – eine reale Bedrohung!<br />
„Er erquicket meine Seele“ – klingt nach spiritueller<br />
Erbauung; wörtlich steht im Hebräischen aber: „Meine<br />
Kehle lässt er zurückkehren.“ – Die ausgedörrte Kehle<br />
des Tieres bekommt Wasser, das Tier lebt wieder auf.<br />
„Dein Stecken und Stab trösten mich.“ – Auch gar<br />
nicht idyllisch, als Schaf mit der Lebensgefahr wilder<br />
Tiere leben zu müssen. Ab und zu musste der Hirte<br />
wahrscheinlich seinen Knüppel auch gegen andere<br />
Hirten einsetzen, die ihm die knappen Wasserstellen<br />
streitig machen wollten.<br />
Das „finstere Tal“ könnte man auch wörtlicher mit<br />
„Todesschattenschlucht“ übersetzen.<br />
Nicht weniger dramatisch geht es im zweiten Teil des<br />
Psalmes zu:<br />
Du deckst mir einen Tisch<br />
vor den Augen meiner Feinde.<br />
Du salbst mein Haupt mit Öl,<br />
du füllst mir reichlich den Becher.<br />
Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang,<br />
und im Haus des Herrn<br />
darf ich wohnen für lange Zeit.<br />
(Einheitsübersetzung)<br />
Das erklingt hier im Ton einer erstaunten Dankbarkeit,<br />
man wird darum nicht an Priester oder Tempelbedienstete<br />
denken, für die das Bleiben im Gotteshaus<br />
ja nichts Erstaunliches wäre. Die Person sagt<br />
jedenfalls: „Güte und Huld werden mir folgen“ – oder<br />
sagt sie viel drastischer (und wörtlicher) „Gutes und<br />
Freundlichkeit werden mich verfolgen“ – im Gegensatz<br />
zu einer ganz feindseligen Verfolgung bislang.<br />
Dann wird auch verständlich, warum jener Tisch „im<br />
Angesicht meiner Feinde“ gedeckt wird.<br />
Lesen wir doch heute – angesichts der Tragödien vor<br />
der Insel Lampedusa – Psalm 23 als Gebet eines im<br />
Tempel Zuflucht gefundenen, nicht abgewiesenen<br />
„Asylbewerbers“.<br />
Ps 23 spricht nicht allgemein davon, dass der Mensch<br />
Gott als seinen Hirten erlebt und bekennt; er lässt<br />
vielmehr einen konkret Verfolgten in seiner ganz realen<br />
Lage zu Wort kommen. Der Psalm ist nicht zeitlos,<br />
sondern in verschiedenen Zeiten konkret. Wer versucht,<br />
ihn einmal so zu lesen, als sei er ganz unbekannt,<br />
wird seine Ecken und Kanten wahrnehmen.<br />
Asyl ist sein Thema und nicht Idyll. Wer Ps 23 betet<br />
und dabei fragt, was dieser Psalm ihm oder ihr heute<br />
zu sagen hat, tut gut daran, dabei auch ganz konkret<br />
nach der eigenen Rolle zu fragen. Bin ich das vom<br />
Verdursten bedrohte Schaf, bin ich der verfolgte<br />
Mensch? Oder bin ich aufgefordert, denen den Tisch<br />
mit zu decken, die verfolgt sind?<br />
(nach Jürgen Ebach: Neue Schriftstücke. Biblische<br />
Passagen, München 2012.)<br />
Mit Segensgrüßen auch von der Asyl suchenden Heiligen<br />
Familie in Bethlehem.<br />
<br />
Ihr Pfarrer Lorenzen