Der Hippokrates Report - BFG
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<strong>Der</strong> <strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong><br />
Tagungsbericht<br />
2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Wissenschaft und Praxis im Dialog:<br />
Die Kunst in der Hebammenarbeit heute<br />
Zwischen wertvollem Miteinander<br />
und individueller Abgrenzung
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Inhalt<br />
Begrüßung .......................................... 2<br />
Schwangerschaft<br />
PD Dr. med. Markus Zutt<br />
<strong>Der</strong>matologische Erkrankungen<br />
in der Schwangerschft ........................ 3<br />
PD Dr. med. Franz Bahlmann<br />
Frühgeburtlichkeit und Zervixinsuffizienz<br />
.................................................... 4<br />
Ute Höfer<br />
Ernährungsberatung für Schwangere .6<br />
Geburt<br />
PD Dr. med. Wolfgang Thomas<br />
Unterschätzte Risiken<br />
bei „Späten Frühgeborenen“ .............. 8<br />
Wochenbett und Nachsorge<br />
PD Dr. med. Natalie Garcia Bartels<br />
Die Pflege der Babyhaut –<br />
Von Mythen zu Fakten ......................11<br />
Dr. Thomas Stiehm<br />
Hautpflege in der Hebammensprechstunde<br />
....................................13<br />
Dr. Mike Possner<br />
Ernährung und Präventionsstrategien<br />
im Säuglingsalter ............14<br />
Dr. Tanja Besier<br />
Förderung der elterlichen<br />
Feinfühligkeit ....................................16<br />
Ute Laves<br />
„Berührung mit Respekt ® “ oder: Wie<br />
Eltern ihr Baby besser lesen lernen .....17<br />
Hebammenpraxis<br />
Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen<br />
Sprachlicher Handwerkskoffer<br />
für Hebammen .................................20<br />
Gabriele Stenz<br />
Von der Idee zum Konzept:<br />
Mein Individueller Eltern-Kurs ..........20<br />
Christiane Münkwitz<br />
Wie bringe ich meinen Kurs<br />
an die Frau? ......................................21<br />
Melita Grieshop<br />
Gesundheitsförderung<br />
nach der Geburt ...............................22<br />
Zum 2. Mal lud Bübchen Hebammen nach Soest ins Tagungs- und Kongresszentrum<br />
Bad Sassendorf zu einem Seminarkongress (7.–9. März 2013) ein. Wer mochte,<br />
konnte mit einer Bübchen-Werksführung starten, um sich von der Bübchen-Qualität<br />
„Made in Germany“ zu überzeugen. Das Rahmenprogramm bot ausreichend Raum<br />
zur Selbstfindung und Entspannung, denn die Teilnehmerinnen hatten die Möglichkeit,<br />
an dem Verwöhnprogramm „FRAU VITAL – Zeit für Körper & Geist“ mit Sauna,<br />
Aquafitness und Co. teilzunehmen.<br />
Eine „Frau mit 3 Köpfen“<br />
Die alltägliche Mehrfachbelastung der<br />
Hebammen griff Evamaria Wilhelmi, Direktorin<br />
des Wissenschaftlichen Service<br />
von Bübchen, als Einstieg in das Tagungsprogramm<br />
am Freitag auf. Dabei zeigte<br />
sie das Foto einer Skulptur: Eine Frau mit<br />
3 Köpfen! Es verdeutlicht, wie facettenreich<br />
eine Hebamme sein muss bzw. ist.<br />
Neben ihrem Job und der eigenen Familie<br />
fühlt sie sich in vielen Fällen mitverantwortlich<br />
für die Frau und deren Familie,<br />
die sie betreut. Durch das „Helfersyndrom“<br />
und das häufige Unvermögen, auch<br />
einmal Nein zu sagen, geraten Hebammen<br />
oft in eine starke Dreifachbelastung, bei<br />
der sie selber mit ihren Bedürfnissen zu<br />
kurz kommen. Um dem entgegenzuwirken,<br />
gab es ausreichend Möglichkeiten,<br />
zu entspannen und Kraft zu sammeln:<br />
z. B. durch eine Handmassage, mit Qi<br />
Gong oder durch spontane Lacheinlagen,<br />
die der Kabarettist Marcus Jeroch mit<br />
Freude auszulösen wusste.<br />
Seminare: interaktiv und<br />
abwechslungsreich<br />
Das am Samstag stattfindende Fortbildungsprogramm<br />
konnten sich die Anwesenden<br />
aus 20 Seminaren individuell zusammenstellen.<br />
Durch den interaktiven<br />
Dialog an beiden Tagen konnten die Hebammen<br />
die Erkenntnisse nicht nur für<br />
ihre Schwangeren und Wöchnerinnen<br />
nutzen, sondern sich zahlreiche persönliche<br />
Anregungen durch gemeinsame<br />
Diskussionen und interdisziplinäre Gespräche<br />
holen. Dies – so Wilhelmi – sei<br />
besonders bereichernd, denn: „Wenn Du<br />
schnell gehen willst, dann geh‘ alleine.<br />
Wenn Du weit gehen willst, dann geh‘ gemeinsam!“<br />
Zu den Referenten der Vorträge<br />
und Workshops zählten sowohl Hebammen,<br />
die auf eine langjährige praktische<br />
Erfahrung zurückblicken, als auch<br />
Ärzte, welche die neusten Erkenntnisse<br />
auf verschiedenen Sektoren anschaulich<br />
präsentierten.<br />
■<br />
Premiere: Bübchen Wissenschaftspreis für Hebammen<br />
Mit einem<br />
herzlichen<br />
Willkommen<br />
wurden alle<br />
Teilnehmerinnen<br />
zum<br />
2. Soester<br />
Bübchen<br />
Hebammen<br />
Seminarkongress<br />
von Evamaria<br />
Wilhelmi<br />
begrüßt.<br />
© Bübchen<br />
Abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Ausschreibung und Stiftung des<br />
„Bübchen Wissenschaftspreis für Hebammen. Weil neues Leben Schutz braucht“.<br />
Mit dem Preis sollen wissenschaftliche Arbeiten, Projekte und Ideen von Hebammen<br />
gewürdigt werden, die dem Schutz von Mutter und Kind dienen.<br />
2
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Schwangerschaft<br />
<strong>Der</strong>matologische<br />
Erkrankungen<br />
in der Schwangerschaft<br />
PD Dr. med. Markus Zutt, Leiter der Klinik<br />
für <strong>Der</strong>matologie und Allergologie des<br />
Klinikums Bremen Mitte des Verbunds<br />
Gesundheit Nord nahm sich in seinem<br />
Vortrag „Schwangerschaft und Haut“<br />
eines Themas an, das sowohl für die betroffenen<br />
Schwangeren, aber auch für<br />
Hebammen und Gynäkologen von großer<br />
Bedeutung ist. So wie die Schwangerschaft<br />
ein wunderbarer „Zustand“ und<br />
keine Krankheit ist, sind auch die meisten<br />
schwangerschaftsbedingten Hautveränderungen<br />
physiologisch und nicht krankhaft,<br />
trotzdem aber häufig belastend für<br />
die werdende Mutter.<br />
Dazu gehören die schon früh erkennbaren<br />
Hyperpigmentierungen, wie jene an den<br />
Mamillen und Genitalien, oder Naevi<br />
(Muttermale) genauso wie die Linea<br />
fusca/nigra (braune Linie) am Abdomen<br />
oder das Chloasma gravidarum (bräunliche<br />
Hautflecken). Daneben kommt es<br />
auch zu Gefäßveränderungen wie die sogenannten<br />
Palmarerytheme – mit dem<br />
Resultat ständig warmer Hände, auch im<br />
Winter. Die Gefäße des Zahnfleisches sind<br />
ebenso häufig betroffen (z. B. Gingivahyperämie<br />
und -hyperplasie), Hautgefäße<br />
(Teleangiektasien, Spider naevi) und auch<br />
Venen, wie Varikosis (Krampfadern), sind<br />
sichtbar erweitert und im weitesten Sinne<br />
können Hämorrhoiden auftreten.<br />
Sind in der Familienanamnese der Frau<br />
Fälle von Krampfadern bekannt, rät Zutt<br />
zum konsequenten Tragen medizinischer<br />
Kompressionsstrümpfe ab Bekanntwerden<br />
der Schwangerschaft. Bestehen schon<br />
Hauterkrankungen, können diese entweder<br />
eine Verbesserung erfahren wie bei<br />
einer Psoriasis (Schuppenflechte) oder<br />
eine Verschlechterung wie bei einem atopischen<br />
Ekzem (Neurodermitis). <strong>Der</strong><br />
Haarzustand hingegen verbessert sich erfreulicherweise<br />
bei vielen Frauen während<br />
der Schwangerschaft, nicht selten<br />
kommt es jedoch nach der Geburt zu<br />
einem unerwünschten Haarausfall (postpartales<br />
Effluvium), der nach der Stillperiode<br />
aufzuhören pflegt.<br />
Schwangerschafts-<br />
<strong>Der</strong>matosen: Diagnose und<br />
Therapie eingeschränkt<br />
Im Zentrum des Vortrags standen jedoch<br />
die eher seltenen und pathophysiologisch<br />
ungeklärten Schwangerschafts-<strong>Der</strong>matosen.<br />
Diese sind nicht nur schwierig hinsichtlich<br />
der (Differenzial-)Diagnostik.<br />
Auch die therapeutischen Möglichkeiten<br />
sind stark eingeschränkt. Faktisch gefährden<br />
sie die Schwangerschaft selbst fast<br />
nie, doch sie schränken die Lebensqualität<br />
der Schwangeren teilweise massiv ein.<br />
Bei den spezifischen SS-<strong>Der</strong>matosen wird<br />
zwischen 4 Arten unterschieden:<br />
▶ Die Pemphigoid gestationis ist eine<br />
seltene Ganzkörper-Autoimmundermatose<br />
in der 2. Schwangerschaftshälfte<br />
und post-partal. Dabei behindern<br />
Antikörper gegen Strukturproteine<br />
den Zusammenhalt der Haut. Das<br />
mündet nach einem initial juckenden<br />
Erythem (Hautrötung) in<br />
der Bildung praller Blasen in der<br />
Bauchregion – insbesondere der Nabelregion.<br />
Durch die Antikörper kann<br />
es bei etwa 10 % der Neugeborenen<br />
ebenfalls zu Blasen kommen, genauso<br />
wie zu „Small-for-date-Babys“ und<br />
konsekutiven Frühgeburten. Die postpartale<br />
Rückbildung der <strong>Der</strong>matose<br />
kann Wochen bis sogar Monate dauern.<br />
Darüber hinaus sind Schübe während<br />
der Menstruation möglich, genauso<br />
wie Rezidive. Ziel der Therapie<br />
ist es, den unangenehmen Juckreiz<br />
und die Blasenbildung zu beherrschen,<br />
auch um Infektionen zu verhindern.<br />
Dies erfolgt durch systemische Glukokortikosteroide<br />
und Antihistaminika.<br />
Bei schweren Fällen kann sogar eine<br />
Immunapherese (technisch der Dialyse<br />
ähnlich) eingesetzt werden.<br />
▶ Die Polymorphe SS-<strong>Der</strong>matose wurde<br />
früher als PUPPP (Pruritic urticarial<br />
papules and plaques of pregnancy) bezeichnet.<br />
Die juckenden, nesselartigen<br />
Hautveränderungen nehmen<br />
von den Striae distensae ihren Ausgang.<br />
Typischerweise bleibt hierbei<br />
die Nabelregion ausgespart. Bei zunehmender<br />
Krankheit können auch<br />
Ekzeme und Bläschen auftreten. Sie<br />
tritt in den letzten SSW oder seltener<br />
im Wochenbett auf – vornehmlich bei<br />
Erstgebärenden, Mehrlingsschwangerschaften<br />
und nach exzessiver mütterlicher<br />
Gewichtszunahme. Es besteht<br />
keine Gefahr für das Ungeborene. Die<br />
Abheilungsdauer der ursächlich unklaren,<br />
selbstlimitierenden Erkrankung<br />
beträgt bis zu 6 Wochen. Die<br />
Therapie erfolgt lokal-symptomatisch<br />
mit Kortison-Salben, antipruriginösen<br />
(juckreizstillend), z. B. harnstoffhaltigen<br />
Externa oder Antihistaminika.<br />
▶ Bei der Intrahepatischen SS-Cholestase<br />
(ICP) handelt es sich um ein hormonell<br />
verursachtes reversibles Phänomen<br />
in der Spätschwangerschaft bei<br />
genetisch vorbelasteten Frauen. Dabei<br />
liegt eine gestörte Gallensäureexkretion<br />
vor, die die Gallensäure im Blut<br />
ansteigen lässt. Klinisch imponiert<br />
sie durch starken Juckreiz am<br />
ganzen Körper, der binnen einiger<br />
Tage postpartal abklingt. Die Streckseiten<br />
an Armen und Beinen sind am<br />
meisten betroffen. Durch das Kratzen<br />
kommt es zu den sichtbaren Hautveränderungen.<br />
Eine Gelbsucht tritt nur in<br />
wenigen Fällen auf. Gefährlich ist die<br />
Pemphigoid gestationis und Polymorphe SS-<strong>Der</strong>matose im Vergleich. © Markus Zutt<br />
3
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Cholestase für das Ungeborene, dessen<br />
kardiales Erregungsleitungssystem<br />
durch übergetretene Gallensäure in<br />
den kindlichen Kreislauf blockiert<br />
werden kann. Dies kann die fetale Prognose<br />
beeinträchtigen und z. B. zu gehäuften<br />
Frühgeburten und Sauerstoffmangel<br />
unter der Geburt führen. So erscheint<br />
neben einer Lokaltherapie<br />
gegen den unangenehmen Juckreiz der<br />
Mutter eine Therapie mit Ursodesoxycholsäure<br />
unabdingbar, um das Ungeborene<br />
zu schützen. Das Arzneimittel<br />
reduziert die Konzentration der Gallensäure<br />
im mütterlichen Serum und<br />
verbessert den Gallensäuretransport<br />
über den Mutterkuchen. Das verbessert<br />
wiederum die Gallensäurebalance<br />
zwischen Mutter und Kind.<br />
▶ Die Atopische SS-<strong>Der</strong>matose im 1. und<br />
2. Trimester stellt die häufigste Ursache<br />
für Juckreiz dar. Sie ist charakterisiert<br />
durch ihre vor allem an<br />
Armen und Beinen flächigen beugeseitigen<br />
Ekzeme und juckenden<br />
Knötchen. Prädisponierend ist eine<br />
Atopie mit Heuschnupfen oder Asthma<br />
bronchiale. In 20 % der Fälle liegt<br />
schon eine Neurodermitis vor, bei 80 %<br />
tritt eine Neurodermitis erstmalig auf.<br />
Therapeutisch kommen lokales Kortison,<br />
rückfettende Maßnahmen, Harnstoff,<br />
Menthol, Polidocanol, aber auch<br />
eine UVB-Lichttherapie zum Einsatz.<br />
Empfehlungen für Pflege<br />
und Therapie<br />
Wenn Pflege und Therapie der Haut in<br />
der Schwangerschaft ein „Mehr“ benötigen<br />
als im Alltag, gelten folgende Empfehlungen:<br />
Kortison: Systemisch ist Prednisolon bei<br />
SS-<strong>Der</strong>matosen unter 4 Wochen das orale<br />
Mittel der ersten Wahl. Lokal kommen<br />
eher Prednicarbat oder Momethason zum<br />
Einsatz.<br />
Antihistaminika: Mit Dimentiden und<br />
Clemastin werden ältere Substanzen als<br />
Antihistaminika bevorzugt; im 2. und 3.<br />
Trimenon auch Loratadin oder Cetirizin.<br />
Bakterielle und Pilzinfektionen: Wenn<br />
Antiseptika und antimikrobielle Substanzen<br />
bei bakteriellen oder Pilzinfektionen<br />
eingesetzt werden sollen, ist der Favorit<br />
Fusidinsäure neben Nystatin und Clotrimazol<br />
bei Mykosen.<br />
Juckreiz (Pruritus): Bei juckender Haut<br />
haben sich kalte Umschläge oder Lotionen<br />
mit Menthol und Kampfer bewährt, während<br />
Hitze, heiße Getränke oder Alkohol<br />
zu meiden sind. Gerbstoffe sind ebenfalls<br />
gut einsetzbar, wie Tannin-Präparate als<br />
Lotion, Creme, Gel, Salbe oder Badezusatz,<br />
bzw. Schwarztee. Topische Lokalanästhetika<br />
erscheinen manchmal als letzte Rettung,<br />
wie das juckreizstillende Polidocanol<br />
in Lotionen, Cremes, Ölbädern,<br />
das gut mit wasserbindendem Harnstoff<br />
kombinierbar ist.<br />
Hautpflege: Zutt empfiehlt hier eine konsequente<br />
und pflegend-hydratisierende<br />
Rückfettung mittels Lipolotionen, Fettcremes<br />
und Salben sowie Fettsalben zur<br />
Therapie von Hauttrockenheit. Morgens<br />
ist eine leichte Creme empfehlenswert,<br />
zur Nacht hin darf die Basis eher rückfettender<br />
Natur sein. Eine Austrocknung<br />
durch Waschen, Baden und Duschen kann<br />
durch die Verwendung milder, nicht-alkalischer<br />
Seifen, rückfettender Syndets<br />
sowie Dusch- und Badeöle verhindert<br />
werden. Die Schwangere sollte zudem nur<br />
kurz für etwa 10–20 Minuten bei moderater<br />
Temperatur von 32–38° C baden,<br />
denn ausgedehnte Vollbäder in heißem<br />
Wasser mit Badezusätzen können die<br />
Hauttrockenheit verstärken. Kurzes Duschen<br />
ist zu bevorzugen. Anschließend<br />
heißt es sanft abtrocknen und eincremen.<br />
Das Eindringen des Pflegeproduktes in<br />
die Haut kann zudem gefördert werden,<br />
wenn die Körperpflege in einem Flaschenwärmer<br />
leicht erwärmt und dann<br />
in die noch feuchte Haut einmassiert<br />
wird. Hinsichtlich der Kleiderwahl sollte<br />
Baumwolle und Seide der Vorzug gegeben<br />
werden, insbesondere kratzende<br />
Wolle und Synthetik sollte die Schwangere<br />
eher meiden.<br />
Sonnenschutz: Da die Melanocyten in der<br />
Schwangerschaft aktiver sind, bildet die<br />
Haut auch mehr Pigmente. Um unschöne<br />
Pigmentstörungen und Sonnenbrände zu<br />
vermeiden, sollte die werdende Mutter<br />
einen Lichtschutzfaktor von 30 wählen<br />
und sich möglichst häufig im Schatten<br />
aufhalten.<br />
■<br />
Frühgeburtlichkeit<br />
und Zervixinsuffizienz<br />
Laut Erhebungen des Statistischen Bundesamtes<br />
(Stand 2009) unterschreitet<br />
Deutschland auch weiterhin den Geburtentiefstand<br />
im Vergleich zum berühmten<br />
„Pillenknick“ in den 70er-Jahren. Und:<br />
Deutschlands Mütter werden immer<br />
älter. Parallel dazu nehmen immer mehr<br />
Partner mit Kinderwunsch reproduktionsmedizinische<br />
Maßnahmen in Anspruch.<br />
Das höhere Alter an sich und die<br />
Zunahme an Mehrlingsgeburten (z. B.<br />
durch Hormonbehandlungen) bergen<br />
aber gleichzeitig gesundheitliche Gefahren<br />
wie fetale Fehlentwicklungen, Anomalien<br />
und vor allem Frühgeburtlichkeit.<br />
Das alles sowie die hohe Erwartungshaltung<br />
der werdenden Eltern und<br />
deren hoher Informationsgrad (z. B. durch<br />
Internetrecherchen) stellt Hebammen<br />
und Gynäkologen vor ganz neue Herausforderungen<br />
und mitunter großen psychischen<br />
Druck – so PD Dr. med. Franz<br />
Bahlmann, Chefarzt der Frauenklinik Bürgerhospital<br />
Frankfurt. Aus diesem Grund<br />
widmete Bahlmann seine Präsentation<br />
der Thematik Zervixinsuffinzienz und<br />
will damit zu neuen Therapiekonzepten<br />
zur Reduktion der Frühgeburtlichkeit anregen.<br />
Ersttrimesterscreening<br />
extrem wichtig<br />
Ein überaus positiver Trend ist in der<br />
Pränataldiagnostik (z. B. 3D-Ultraschall,<br />
Humangenetik) zu verzeichnen. Die großen<br />
medizinischen Fortschritte sollten<br />
Gynäkologen, so Bahlmann, jedoch unbedingt<br />
schon im Ersttrimesterscreening<br />
nutzen. Nicolaides spricht sich in einer<br />
Publikation (Nicolaides K: Prenatal Diagnosis,<br />
2011) für die Umkehrung der<br />
Schwangerschaftsvorsorgepyramide aus,<br />
die Bahlmann befürwortet. Ziel ist es, das<br />
perinatologische Management zu optimieren,<br />
um eine Frühgeburt aufgrund<br />
einer Zervixinsuffizienz zu verhindern<br />
oder so weit wie möglich hinauszuzögern.<br />
4
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Schwangerschaft<br />
16w<br />
24w 28w<br />
30w 32w 34w 36w<br />
37w 38w 39w 40w<br />
41w<br />
Durch das Ersttrimesterscreening erfolgt<br />
eine Beurteilung der Nackentransparenz<br />
(NT) per Ultraschall zwischen der 12. und<br />
14. SSW in Kombination mit einer mütterlichen<br />
Hormonbestimmung (β-HCG<br />
und PAPP-A). Hierbei lässt sich das statistische<br />
Risiko für eine Chromosomenstörung<br />
insbesondere der Trisomie 21<br />
mit einer Testsicherheit von ca. 80 % errechnen.<br />
<strong>Der</strong> Gynäkologe erkennt somit<br />
frühzeitig Risiken. Eine erhöhte NT deutet<br />
auf ein größeres Risiko für Aneuploidien,<br />
d. h. Chromosomenfehler hin. Liegt<br />
die NT bei > 6,5 mm, bewegt sich dessen<br />
Risiko um die 65,5 % (Souka A, von Kaisenberg<br />
C et al.: American Journal of Obstetrics<br />
& Gyneclogy, 2005). Eine solche<br />
NT deutet zudem auf ein 19 %iges Risiko<br />
für einen intrauterinen Fruchttod (IUFT)<br />
und mit 46,2 % auf weitere Anomalien<br />
hin. Die Prävalenz schwerer Herzfehler,<br />
z. B. durch Anomalien der großen Gefäße,<br />
liegt bei einer NT von > 6,5 mm bei<br />
30 % (Souka A, von Kaisenberg C et al.:<br />
American Journal of Obstetrics & Gyneclogy,<br />
2005). Auch eine frühe Echokardiografie<br />
und Neurosonografie kann Fehlentwicklungen<br />
aufdecken und damit den<br />
Weg für mögliche perinatale Therapien<br />
freimachen.<br />
Mehrlinge sind besonders<br />
risikogefährdet<br />
▼<br />
12w<br />
spezielle Betreuung<br />
12–34w<br />
▼<br />
▼<br />
37w<br />
▼<br />
41w<br />
▼<br />
20w<br />
So sieht die<br />
Umkehrung<br />
der Schwangerschaftsvorsorgepyramide<br />
im Detail aus.<br />
© Nicolaides K:<br />
Prenatal<br />
Diagnosis,<br />
2011<br />
Mehrlingsschwangerschaften bergen an<br />
sich schon das Risiko einer Frühgeburtlichkeit<br />
– vor allem in Kombination mit<br />
dem mittlerweile höheren Alter der Mutter<br />
und eventuell vorangegangenen reproduktionsmedizinischen<br />
Maßnahmen.<br />
12,2 % aller Frühgeburten sind Mehrlinge.<br />
Verschiedene Studien beschreiben im<br />
Zusammenhang mit den Risiken bei<br />
Mehrlingen eine höhere Rate an kongenitalen<br />
Fehlbildungen und Chromosomenstörungen<br />
(Rodis J, Egan J et al.: Obstetrics<br />
& Gynecology, 1990; Källé B: Genet<br />
Med Gemellol, 1986), intrauterine Wachstumsstörungen<br />
(IUGR) (Grobman W,<br />
Placeman A: Clinical Obstetrics & Gynecology,<br />
1998), Zervixinsuffizienz (Souka A,<br />
Heath V et al.: Obstetrics & Gynecology,<br />
1999) sowie des fetofetalen Transfusionssyndroms<br />
(Blickstein I: Obstetrics & Gynecology,<br />
1990). Die neonatale Mortalität<br />
bei Mehrlingen liegt bei 15,4 %.<br />
Zwillingstransfusionssyndrom:<br />
schwer zu managen<br />
Wenn eineiige Zwillinge monochorial<br />
versorgt werden, spricht man auch vom<br />
Zwillingstransfusionssyndrom (Englisch:<br />
Twin to twin transfusion syndrome<br />
[TTTS]). Das bedeutet, dass sie sich die<br />
Gefäßverbindung über eine Plazenta teilen.<br />
Das führt zu einem Ungleichgewicht<br />
des Blutaustausches zwischen den ungeborenen<br />
Kindern. Typischerweise gelangt<br />
dadurch das Blut ausschließlich aus dem<br />
Kreislauf eines Kindes, welches als Donor<br />
(Spenderzwilling) bezeichnet wird, in den<br />
des Akzeptors (Empfängerzwilling).<br />
Durch eine gesteigerte Diurese und das<br />
größere Blutvolumen kann es zu organischen<br />
Störungen und Anomalien kommen,<br />
wie: Polyhydramnion (zu viel<br />
Fruchtwasser), Flüssigkeitsansammlungen<br />
in der Bauchhöhle; im Herzbeutel<br />
oder der Haut, Leber- und Milzvergrößerungen,<br />
Herzinsuffizienz. Im schlimmsten<br />
Falle kann es durch Herzversagen<br />
zum vorgeburtlichen Tod kommen.<br />
<strong>Der</strong> Donor ist aufgrund seiner Wachstumsretardierung<br />
wesentlich kleiner und<br />
weist bei der Geburt immer eine Blutarmut<br />
mit wesentlich erniedrigten Hämoglobinwerten<br />
auf, was auch an dem äußeren<br />
Erscheinungsbild deutlich zu<br />
erkennen ist. Durch die verminderte, mitunter<br />
sogar aussetzende Urinausscheidung<br />
reduziert sich das Fruchtwasser<br />
deutlich (Oligohydramnion). In besonders<br />
schweren Fällen fehlt es komplett (Anhydramnion).<br />
Dies ist auch als „stuck twin“<br />
bekannt. Durch die Anämie und die allgemeine<br />
Mangelversorgung kann der<br />
Donor im Mutterleib sterben.<br />
Hier kann ein früh angesetztes und modernes<br />
perinatales Screening mit Ultraschall<br />
und Dopplersonografie der verschiedenen<br />
fetalen Untersuchungsparameter<br />
(z. B. die A. umbilicalis, A. cerebri<br />
media, Ductus venosus) die Diagnose erleichtern<br />
und die Indikation für eine wesentlich<br />
engmaschigere Überwachung<br />
geben. Auch wenn es bislang noch keine<br />
Behandlungsmethode gibt, die das Überleben<br />
beider Zwillinge bzw. Mehrlinge zu<br />
100 % sichert und eine bleibende Beeinträchtigung<br />
vermeidet, so ist auch hier<br />
die medizinische Entwicklung deutlich<br />
zu spüren. Neben der bekannten Fruchtwasserentlastungspunktion<br />
wird mittlerweile<br />
an einigen Zentren auch die fetoskopische<br />
Laserkoagulation beim Zwillingstransfusionssyndrom<br />
als Therapie<br />
der ersten Wahl durchgeführt. Dabei werden<br />
mittels Laser die Gefäßanastomosen<br />
verschlossen. Dies kann z. B. die Rate an<br />
bleibenden neuromotorischen Folgeschäden<br />
deutlich reduzieren.<br />
Risikofaktor Präeklampsie:<br />
zahlreiche Organe sind<br />
beteiligt<br />
Auch die Präeklampsie bzw. Schwangerschaftshypertonie<br />
(früher: Gestose) –<br />
charakterisiert durch die 3 Leitsymptome<br />
Ödeme, Bluthochdruck und Proteinurie<br />
– steigert das Risiko einer Frühgeburt und<br />
intrauterinen Wachstumsrestriktionen.<br />
Die Ursachen der Präeklampsie sind bislang<br />
noch nicht eindeutig geklärt. Aber<br />
wahrscheinlich führt die gestörte Implantation<br />
der Trophoblasten zu einer<br />
Fehlentwicklung der Plazentaarterien.<br />
Zahlreiche Organe können von der Präeklampsie<br />
betroffen sein.<br />
Liegt bei der Mutter ein erhöhtes kardiovaskuläres<br />
Risiko und/oder ein metabolische<br />
Syndrom schon vor der Schwanger-<br />
5
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
schaft vor, steigert dies das Risiko für eine<br />
Präeklampsie. Langfristig betrachtet erhöht<br />
sich auch die Gefahr für das Ungeborene,<br />
später einmal eine kardiovaskuläre<br />
Erkrankung und/oder Diabetes mellitus<br />
zu entwickeln. Dies nennt man fetal<br />
programming. In einer Metaanalyse von<br />
2010 (Bujold E, Roberge S et al.: Obstetrics<br />
& Gynecology, 2010) wurden 27 Studien<br />
unter die Lupe genommen, welche die<br />
Auswirkungen einer frühzeitigen Aspirintherapie<br />
(ab der 16. SSW und früher)<br />
auf das Risiko einer Präeklampsie untersuchten.<br />
Insgesamt nahmen 11348<br />
Frauen mit Risikofaktoren teil. Die Ergebnisse<br />
waren positiv: Die Parameter Präeklampsie,<br />
schwere Präeklampsie, Gestationshypertonie,<br />
Frühgeburt sowie IUGR<br />
reduzierten sich deutlich hinsichtlich<br />
ihres Risikos versus der Gruppe ohne Aspirin.<br />
Lediglich auf die Plazentaablösung<br />
hatte Aspirin keinen Einfluss.<br />
Frühgeburtlichkeit: größtes<br />
Problem in der Geburtshilfe<br />
Frühgeburtlichkeit ist das häufigste und<br />
somit größte Problem in der Geburtshilfe<br />
mit einer weltweiten perinatalen Mortalität<br />
von 70 %. Neben lebensbedrohlichen<br />
Hirnblutungen, Sepsis u. a. stellen<br />
aber auch Zerebralparesen, kognitive und<br />
neuromotorische Defizite, Retinopathien<br />
u. a. die Medizin, aber vor allem die Familien<br />
vor große Herausforderungen. Wenngleich<br />
die Gesundheit von Mutter und<br />
Kind an oberster Stelle stehen, sollte<br />
trotzdem auf die hohen wirtschaftlichen<br />
Kosten hingewiesen werden. Jede Woche,<br />
die sich das Ungeborene länger im Mutterleib<br />
entwickeln darf, wirkt sich positiv<br />
auf die Gesundheit des Kindes, die psychische<br />
Entlastung der Eltern als auch auf<br />
die finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems<br />
aus. Verschiedene Mechanismen<br />
wie eine Entzündung oder Überdehnung<br />
des Uterus, z. B. durch Mehrlinge<br />
oder zu viel Fruchtwasser, können eine<br />
Frühgeburt auslösen. So steht eine genaue<br />
Risikoanamnese (Blutungen, BMI < 19,8,<br />
vorausgegangene Frühgeburt(en), Konisation)<br />
der Schwangeren an oberster Stelle<br />
des Screenings um die 20. SSW. Ist das<br />
Risiko für eine Frühgeburt erhöht, sollte<br />
engmaschig eine breitgefächerte Diagnostik<br />
durchgeführt werden: vaginale<br />
pH-Messung, Mikrobiologie, Fibronektin<br />
und Zervixsonografie mit besonderem<br />
Augenmerk auf deren Länge. Verkürzt<br />
sich der Gebärmutterhals deutlich vor<br />
dem ausgerechneten Geburtstermin, drohen<br />
nicht nur lebensbedrohliche Infektionen,<br />
sondern auch eine Spontangeburt<br />
mit zahlreichen Risiken. Findet sich neben<br />
einer Zervixverkürzung zusätzlich ein<br />
sogenannter Sludge in der Zervix, steigt<br />
das Risiko einer Frühgeburt sogar um den<br />
Faktor 4–5.<br />
Zervixinsuffizienz:<br />
Individuelle Lösung finden<br />
Folgende 3 relativ vergleichbare Methoden<br />
können das Risiko einer Frühgeburt<br />
ergänzend zur Bettruhe deutlich reduzieren:<br />
Progesteron als Ölkapsel (2 × 100 mg/<br />
täglich) oder bioadhäsives Gel (90 mg/<br />
täglich) haben eine präventive Wirkung<br />
auf die Zervixreifung und reduzieren entzündungsfördernde<br />
Botenstoffe. In Studien<br />
senkte Progesteron die Frühgeburtlichkeit<br />
unter der 34. SSW um 40–45 %.<br />
Auch ein Zervix-Pessar reduziert das Risiko<br />
deutlich (etwa um 40 %) sowie eine<br />
Cerclage (als OP). Da keine Patentlösung<br />
für alle Schwangeren existiert, rät Bahlmann<br />
Gynäkologen, individuell in Abhängigkeit<br />
vom Gestationsalter zu entscheiden.<br />
■<br />
Ernährungsberatung<br />
für Schwangere<br />
Ute Höfer, freiberufliche Hebamme und<br />
Ernährungsberaterin aus Siegen wies in<br />
ihrem Seminar auf die Wichtigkeit einer<br />
individuellen Ernährungsberatung für<br />
jede Schwangere hin. Hebammen sollten<br />
die werdenden Mütter zu diesem Thema<br />
nach Möglichkeit schon in der Frühschwangerschaft<br />
erreichen, nicht erst im<br />
Geburtsvorbereitungskurs, denn: Neueste<br />
Erkenntnisse weisen auf eine direkte<br />
Auswirkung der Nährstoffversorgung von<br />
der frühen Schwangerschaft an bis zur<br />
Stillzeit auf die spätere gesundheitliche<br />
Kindesentwicklung hin. Einseitiges Essen<br />
und Nahrungsmangel können sogar das<br />
Risiko für Schwangerschaftskomplikationen,<br />
Frühgeburten oder Fehlentwicklungen<br />
erhöhen. Höfer rät allen Hebammen,<br />
eine Ernährungsberatung mit in ihr<br />
Portfolio aufzunehmen – als ganzheitliches<br />
Angebot für die werdende Mutter.<br />
Zur Unterstützung gab sie interessierten<br />
Hebammen einen Gesprächsleitfaden<br />
und Tipps an die Hand.<br />
Die Ernährungstypen<br />
Bei der Ernährungsberatung macht Höfer<br />
seit vielen Jahren hervorragende Erfahrungen,<br />
die Schwangere bzw. Stillende<br />
einem Konstitutionstypen zuzuordnen:<br />
Empfindungstyp<br />
▶ Feingliedrig, schlank, untergewichtig<br />
▶ Muskulatur zart, aber leistungsfähig<br />
▶ Liebt Wärme und Licht<br />
▶ Kälte und Hitze verträgt er nicht<br />
▶ Jahreszeit Herbst, Element Luft<br />
Bewegungstyp<br />
▶ Muskulär, kräftig, athletisch<br />
▶ Meist helle sonnenempfindliche Haut<br />
▶ Starker Knochenbau, lange Gliedmaßen<br />
▶ Liebt es heiß und trocken<br />
▶ Jahreszeit Sommer, Element Feuer<br />
Entspannungstyp<br />
▶ Ruhig, beständig, eher konservativ<br />
▶ Liebt Ruhe, Behaglichkeit<br />
▶ Wärme und Hitze sind ihm unangenehm,<br />
verträgt Kälte gut<br />
▶ Jahreszeit Winter, Element Erde<br />
So kann die Hebamme den Frauen individuelle<br />
Empfehlungen und Rezepte an<br />
die Hand geben, deren Umsetzung zu<br />
mehr Wohlbefinden und Linderung bestimmter<br />
Beschwerden führt.<br />
Für zwei Essen?<br />
Ja, aber nicht mehr!<br />
<strong>Der</strong> Energiebedarf in der Schwangerschaft<br />
erhöht sich nur geringfügig: ab<br />
dem 4. Monat um etwa 255 Kilokalorien<br />
(kcal). Nicht die Kalorien sind ausschlaggebend,<br />
sondern die Nährstoffdichte. So<br />
sollte die Schwangere besonders auf eine<br />
hohe Zufuhr von Vitamin- und Mineralstoffen,<br />
Omega-3-Fettsäuren etc. achten.<br />
6
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Schwangerschaft<br />
In der Schwangerschaft und beim Stillen<br />
ist die Mutter – zumindest in den ersten<br />
Monaten – die einzige Nährstoffquelle für<br />
das Neugeborene und somit die Basis für<br />
dessen Gesundheit und Entwicklung. In<br />
der Stillzeit steigt der Kalorienbedarf<br />
noch einmal um weitere 400 kcal an. Auch<br />
der Vitalstoffbedarf ist abermals leicht erhöht.<br />
Mangelt es der Ernährung an Energie,<br />
Vitaminen und Co., geht es an die<br />
mütterlichen Reserven, damit zumindest<br />
das Kind ausreichend versorgt wird.<br />
Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich,<br />
dass sich viele junge Mütter<br />
erschöpft und müde fühlen. Nächtlicher<br />
Schlafmangel ist nicht immer der einzige<br />
Grund! Gestaltet die Mutter ihren Speiseplan<br />
aber abwechslungsreich, mit reichlich<br />
frischem saisonalem Obst und Gemüse,<br />
Kartoffeln, Nüssen, Vollkornprodukten<br />
und 2–3-mal die Woche Fisch, ernährt sie<br />
nicht nur sich ausreichend, sondern sorgt<br />
auch für beste gesundheitliche Voraussetzungen<br />
des Un- bzw. Neugeborenen.<br />
Bei Emesis und Hyperemesis<br />
(Extreme) Schwangerschaftsübelkeit mit<br />
Erbrechen tritt bei mehr als einem Drittel<br />
der Schwangeren auf. Die Frauen weisen<br />
meist eine hyperthyreote Stoffwechsellage<br />
und Blutzuckerschwankungen auf.<br />
Die Beschwerden sind bislang nicht ausreichend<br />
untersucht, aber einige Maßnahmen<br />
können positiven Einfluss nehmen.<br />
Höfer empfiehlt morgens (noch im<br />
Bett) Kohlenhydrate aus Vollkorn, Müsliriegel,<br />
Studentenfutter oder Nüsse aufzunehmen,<br />
viele kleine Mahlzeiten über den<br />
Tag zu verteilen und abends vor dem Zubettgehen<br />
noch eine Kleinigkeit zu essen.<br />
Auch Blutdruck- und Blutzuckerkontrollen<br />
sollten regelmäßig durchgeführt werden.<br />
Zudem schaffen Bewegung an der<br />
frischen Luft, Entspannung sowie Naturheilkunde<br />
(z. B. Ingwertee, Akupunktur<br />
oder Homöopathie) Linderung. Viele<br />
Schwangere mit Emesis reagieren auch<br />
positiv auf Vitamin-B-Gaben (vor allem<br />
Vitamin B 6<br />
). Häufig steckt auch eine Fruktose-Intoleranz<br />
dahinter.<br />
Bei Gestationsdiabetes<br />
10 % aller Schwangeren sind von einem<br />
Schwangerschaftsdiabetes betroffen. Hier<br />
sollte unbedingt ein Diabetologe hinzugezogen<br />
werden. Ziel ist es, Insulinspritzen<br />
und Medikamente zu vermeiden. Dies<br />
klappt am besten, wenn die Krankheit<br />
schon in der Frühschwangerschaft diagnostiziert<br />
wird und die Frauen engmaschig<br />
begleitet werden. Neben der konsequenten<br />
Blutzuckermessung sind eine<br />
kohlehydratarme Ernährung, regelmäßige<br />
Bewegung und die Meidung von Stress<br />
wichtig, da all dies blutzuckersenkend<br />
wirkt. Die Schwangere muss sich streng<br />
an die kohlehydratarmen Ernährungsempfehlungen<br />
halten und diese auf 5–6<br />
kleine Mahlzeiten aufteilen.<br />
Bei Schwangerschaftshypertonie<br />
Bei einer schwangerschaftsinduzierten<br />
Hypertonie liegt häufig eine Mangelernährung<br />
vor: es fehlt beispielsweise an<br />
Vitaminen, vorrangig Vitamin B 6<br />
, Mineralstoffen,<br />
Eiweiß, Kalorien oder Natrium.<br />
Daher sollte immer eine der Ursache angepasste<br />
Ernährungsempfehlung erfolgen.<br />
Schwangere mit einer Hypertonie<br />
sollten auf keinen Fall ihren Salzkonsum<br />
reduzieren, bei erhöhten Hämatokritwerten<br />
sogar ihre Salzzufuhr und Flüs-<br />
Gesprächsleitfaden in der Ernährungsberatung (EB)<br />
▶ EB fällt unter die Gebührenordnung der Hebammen<br />
(Position 0500 und 0100)<br />
▶ Mindestens 2 Gespräche sind notwendig<br />
▶ 1. Termin:<br />
– Zeitplanung: 60 Minuten<br />
– Orientierung schaffen<br />
– Sammeln von Aspekten<br />
– Gibt es Beschwerden, die diesen Termin ausgelöst haben<br />
– Welche Vorlieben, Abneigungen hat die Ratsuchende<br />
– Welcher Konstitutionstyp ist die Schwangere<br />
– Schwangerschaftsspezielle Hinweise erfragen<br />
– Essensgewohnheiten und Lieblingsspeisen, Appetitveränderungen,<br />
Abneigungen, Gelüste, Medikamente,<br />
Vitaminpräparate erfragen und notieren<br />
– Familiäre Anamnese erheben<br />
– Soziales Umfeld und berufliche Aktivitäten erfragen<br />
– Signalisieren, dass beim nächsten Termin Möglichkeiten<br />
der Veränderung besprochen werden können<br />
– Verlaufsprotokoll erstellen<br />
▶ 2. Termin: Umsetzung absichern<br />
▶ Zwischen 1. und 2. Termin sollten 4 Wochen liegen<br />
▶ Hebammen sollten sich Rezeptsammlungen anlegen,<br />
die sie an die Schwangeren weitergeben kann<br />
Allgemeine Empfehlungen für Schwangerschaft<br />
und Stillzeit<br />
▶ 50 % der Gesamtenergiezufuhr sollten Kohlehydrate nicht<br />
übersteigen.<br />
▶ Ballaststoffreiche Kohlehydrate bevorzugen.<br />
▶ <strong>Der</strong> Anteil an Süßigkeiten sollte unter 10 % liegen.<br />
▶ Tierisches und pflanzliches Eiweiß (Gemüse, Getreide etc.)<br />
kombinieren.<br />
▶ Eier jeglicher Art sollten nicht roh verzehrt werden.<br />
▶ <strong>Der</strong> Fettbedarf ist nicht erhöht, es sollte aber auf eine<br />
ausreichende Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren geachtet<br />
werden: z. B. fette Seefische (Lachs, Makrele und Thunfisch)<br />
sowie pflanzliche Öle (Beispielsweise Rapsöl, Leinöl,<br />
Kokosöl, Walnussöl und Sojaöl. Diese Öle sind sehr<br />
geschmacksintensiv und können mit Olivenöl, Distelöl,<br />
Rapsöl, Sesamöl und Sonnenblumenöl gemischt werden.<br />
Diese Kombination macht es ernährungsphysiologisch<br />
besonders wertvoll).<br />
▶ Bitte zugreifen: Obst und Gemüse, tierisches und pflanzliches<br />
Eiweiß, Kartoffeln (als Pellkartoffeln), Nudeln<br />
(aus Vollkorn, bissfest gegart), Naturreis<br />
▶ Bitte stark einschränken: Haushaltszucker, Honig, Nutella,<br />
Süßwaren jeglicher Art, Kuchen, Gebäck, Weißmehlprodukte<br />
7
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
sigkeitszufuhr erhöhen. Eine basische Ernährung<br />
mit reichlich Gemüse und Kartoffeln,<br />
Salate (auch von gekochtem Gemüse)<br />
sowie gewürzte Suppen und helles<br />
Fleisch sind empfehlenswerte Nahrungsmittel.<br />
Moderate Bewegung (z. B. im Wasser),<br />
Lymphentlastende Massagen, leberstärkende<br />
Kräuter/Tees und Leberwickel<br />
sind weitere ganzheitliche Maßnahmen,<br />
um der Schwangeren zu helfen.<br />
<strong>Der</strong> Säure-Basen-Haushalt<br />
<strong>Der</strong> Mensch gilt mit einem Blut-pH-Wert<br />
von 7,35 als „basisches Wesen“. Die körpereigene<br />
Grundregulation wird entscheidend<br />
vom Säure-Basen-Zusammenspiel<br />
bestimmt. Die westliche, industriell<br />
geprägte Ernährungsweise liefert jedoch<br />
durch die hohe Zufuhr an tierischem Eiweiß<br />
(z. B. Fleisch, Milch und Milchprodukte),<br />
Süßwaren, Fett und dem Mangel<br />
an Flüssigkeit und basenbildender Frischkost<br />
wie Obst und Gemüse häufig einen<br />
Säuren-Überschuss. Auch körperliche,<br />
schwere Anstrengungen, Medikamente,<br />
Diabetes mellitus, chronische Nierenschwäche<br />
oder eine gestörte Darmflora<br />
können den Körper übersäuern. <strong>Der</strong> Körper<br />
versucht dann, die Säuren schnellstmöglich<br />
mit den körpereigenen Mineralstoffen<br />
Calcium, Magnesium, Kalium, Natrium<br />
und dem Spurenelement Eisen abzupuffern,<br />
um sich nicht selbst zu<br />
vergiften. Das Problem: Die Puffersysteme<br />
ziehen sich die notwendigen Mineralstoffe<br />
je nach Bedarf aus Depots wie<br />
Knochen, Knorpel, Haut, Haare, Nägel, Gefäße<br />
etc. So ist es nicht verwunderlich,<br />
dass zahlreiche Erkrankungen und Beschwerden<br />
auch mit einem Ungleichgewicht<br />
im Säure-Basen-Haushalt zusammenhängen<br />
wie Osteoporose, Sodbrennen,<br />
Nierensteine, Gicht, Schwangerschaftshypertonie.<br />
Um die Säuren im<br />
Körper abzupuffern, ist es wichtig, auch<br />
den Speiseplan basenreich auszurichten.<br />
Solche Empfehlungen gelten grundsätzlich,<br />
sollten somit ebenfalls an die werdenden<br />
oder frisch gebackenen Mütter<br />
im Rahmen der Ernährungsberatung weitergegeben<br />
werden. Eine Basen-überschießende<br />
Ernährung kann sogar positiven<br />
Einfluss auf schwangerschaftsbedingte<br />
Probleme wie Ödeme oder Sodbrennen<br />
nehmen. Im Folgenden einige<br />
Empfehlungen für ein gesundes Säure-<br />
Basen-Gleichgewicht:<br />
▶ Kräutertees, verdünnte Gemüsesäfte<br />
(Darauf achten, dass der Urin fast farblos<br />
ist, erst dann ist die Trinkmenge<br />
ausreichend.)<br />
▶ Basenbrühe<br />
▶ Heilwasser, Leitungswasser<br />
▶ Kartoffeln und Gemüse<br />
▶ Beerenobst, Äpfel, Birnen<br />
▶ Basenbad<br />
Das Thema Ernährung sollte zudem niemals<br />
zu dogmatisch und starr an Richtlinien<br />
orientiert sein, sondern den Menschen<br />
als Individuum betrachten. Höfer<br />
beschrieb dies sehr passend mit: „Wir<br />
leben nicht von dem, was wir essen, sondern<br />
von dem, was wir verdauen!“ Dabei<br />
muss nicht ständig, aber immer öfter, an<br />
eine Entsäuerung gedacht werden. ■<br />
Unterschätzte<br />
Risiken bei „Späten<br />
Frühgeborenen“<br />
PD Dr. med. Wolfgang Thomas, Chefarzt<br />
der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin<br />
am Klinikum Mutterhaus der<br />
Borromäerinnen Trier, beschreibt die<br />
späten Frühgeborenen in seinem Vortragstitel<br />
als „überschätzte Kinder mit unterschätzten<br />
Risiken“. Im Bewusstsein der<br />
Ärzte, Hebammen, Krankenschwestern<br />
und Eltern ist eines einleuchtend: Ex-<br />
EXKURS – Ernährung nach den Fünf Wandlungsphasen<br />
Heilpraktikerin und Ernährungsberaterin Iris Tao-Pauli brachte<br />
dem Auditorium die Ernährung nach den Fünf Wandlungsphasen<br />
der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) näher.<br />
Diese ganzheitliche Ernährung erfüllt wichtige Funktionen in<br />
der Prophylaxe und Therapie von Krankheiten, indem sie<br />
ausgleichend auf Yin und Yang wirkt, die Lebenskraft – das<br />
Qi – stärkt und so Körper und Geist harmonisiert.<br />
Das Qi muss durch die Elemente fließen<br />
Bei der Ernährung nach den Fünf Wandlungsphasen handelt<br />
es sich um ein System von Entsprechungen, das zeitliche<br />
Abläufe und rhythmische Strukturen eines Beziehungsgeflechts<br />
zusammenfasst. Alle natürlichen Phänomene und<br />
auch abstrakten Vorstellungen wurden in ein System von<br />
5 immer wiederkehrenden Phasen eingebettet, die nach den<br />
Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser benannt<br />
wurden. Dazu gehören z. B. eine Jahreszeit, eine Emotion,<br />
eine Farbe, ein Geschmack und einige Organe des menschlichen<br />
Körpers. Die Phasen sind nicht statisch, sondern<br />
das Qi fließt immerwährend von einer zur anderen.<br />
Dadurch ernähren, stärken und kontrollieren sich die Phasen<br />
und halten sich in Balance. Voraussetzung: Sie werden<br />
gleichberechtigt ernährt. Wird ein Element nicht ausreichend<br />
genährt, gerät der Qi-Fluss, also die „Wandlung“,<br />
ins Stocken und Krankheiten können entstehen.<br />
Auch der Temperaturcharakter eines Lebensmittels spielt<br />
eine Rolle: Kalte und kühle Nahrungsmittel (Yin) verlangsamen<br />
physiologische Prozesse, warme und heiße (Yang)<br />
beschleunigen sie.<br />
Für die Besserung des Gesundheitszustandes ist es wichtig,<br />
die krankmachenden Ernährungsgewohnheiten zu durchbrechen,<br />
um das Qi wieder in den Fluss zu bringen. In diesem<br />
Zusammenhang erfuhren die Hebammen, dass viele schon<br />
ihre Ernährung unbewusst nach ihren individuellen Bedürfnissen<br />
ausrichten, aber noch viele Aspekte aus der TCM<br />
integrieren könnten, die ihr Wohlbefinden stärken und<br />
Beschwerden beheben. Eine Ernährung nach der TCM-Philosophie<br />
ist nie dogmatisch, sondern immer individuell<br />
angepasst, zudem vollwertig und schafft ein ausgeglichenes<br />
Säure-Basen-Verhältnis im Körper.<br />
8
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Geburt<br />
Mortalität nach milder und moderater Frühgeburt.<br />
© Kramer M et al.: Journal of the America Medical Association, 2000<br />
Mortalitätsrisiko<br />
32+0–33+6 SSW<br />
(7,6 % von Grundgesamtheit)<br />
34+0–36+6 SSW<br />
(1,4 % von Grundgesamtheit)<br />
Unadjustiertes<br />
Risiko (pro 1000<br />
Geburten)<br />
treme Frühgeburten bringen meist große<br />
gesundheitliche Probleme mit sich. Sowohl<br />
die Morbidität als auch die Mortalität<br />
liegen bei Frühchen vor allem unterhalb<br />
der 27. SSW sehr hoch. Besonders<br />
häufig treten Lungenreifungsstörungen,<br />
Atemnotsyndrome sowie Hirnblutungen<br />
auf. Durch die unvollständige Hirnreife<br />
kommt es auch in manchen Fällen zu bleibenden<br />
Schäden wie der spastischen Zerebralparese.<br />
Diese neurologische Störung<br />
ist gekennzeichnet durch eine<br />
schlechte Muskelkontrolle, Spastik,<br />
Lähmung, Anfälle, Intelligenzminderung<br />
etc.<br />
„Normale Frühgeborene“<br />
gibt es nicht<br />
Den „späten Frühgeborenen“, die etwa<br />
zwischen der 34+0–36+6 SSW geboren<br />
wurden und die man bis vor kurzem noch<br />
als „fast Reifgeborene“ bezeichnete, wird<br />
hingegen in der Medizin wenig Beachtung<br />
geschenkt. Dabei gibt es keine „normalen<br />
Frühgeborenen“, denn: Die Reifung – so<br />
Thomas – ist ein kontinuierlicher Prozess<br />
bis zum errechneten Geburtstermin. Jede<br />
Relatives Risiko<br />
(im Vergleich zu<br />
Reifgeborenen)<br />
10,8 5,3 (4,9–5,8) 2,2<br />
4,9 2,5 (2,3–2,6) 4,3<br />
Neurologisch-motorische Entwicklung bis Ende des 2. Lebensjahres.<br />
© Woythaler M et al.: Pediatrics, 2011<br />
Bailey Scales<br />
(pädiatrischer<br />
Entwicklungstest)<br />
MDI < 70<br />
70–84<br />
≥ 85<br />
PDI < 70<br />
70–84<br />
≥ 85<br />
Späte<br />
Frühgeborene<br />
(%)<br />
21,2<br />
28,6<br />
50,2<br />
6,1<br />
33,3<br />
60,7<br />
Reifgeborene<br />
(%)<br />
16,4<br />
25,3<br />
58,3<br />
6,5<br />
23,4<br />
70,0<br />
MDI = Mental Developmental Index, PDI = Psychomotor Developmental Index<br />
Ätiologische<br />
Fraktion (% der<br />
Verstorbenen<br />
P-Wert<br />
0,007<br />
0,02<br />
Woche, sogar jeder Tag im Mutterleib hat<br />
seinen gesundheitlichen Nutzen für das<br />
Ungeborene. Eine retrospektive populationsbasierte<br />
Analyse (Kramer M et al.:<br />
Journal of the American Medical Association,<br />
2000) zeigte beispielsweise an 3,9<br />
Millionen in den USA 1995 einbezogenen<br />
Geburten, dass das absolute Mortalitätsrisiko<br />
bei moderaten (32+0–3+6 SSW)<br />
und milden Frühgeborenen (34+0–36+6<br />
SSW) zwar insgesamt gering, im Vergleich<br />
zu Reifgeborenen jedoch deutlich erhöht<br />
ist. Das relative Risiko der milden Frühgeborenen<br />
lag dabei immer noch 2,5-mal<br />
so hoch wie bei Reifgeborenen.<br />
Grundsätzlich Ikterusgefährdet<br />
Welche Krankheiten treten besonders<br />
häufig bei späten Frühgeborenen auf?<br />
Frühgeborene sind grundsätzlich Ikterus-gefährdet.<br />
Bei der Neugeborenengelbsucht<br />
(Hyperbilirubinämie) lagert<br />
sich vermehrt Bilirubin, ein Abbauprodukt<br />
des Hämoglobins, in Haut und Augen<br />
ab. Dieser Vorgang erreicht meist am<br />
4.–5. Lebenstag sein Maximum. Ein Wert<br />
von 15 mg/dl kann bei einem Reifgeborenen<br />
noch als physiologisch und harmlos<br />
betrachtet werden. Neugeborene mit<br />
stark erhöhten Bilirubinwerten werden<br />
mit einer Phototherapie behandelt, um<br />
einen Kernikterus zu verhindern. Wird<br />
ein kritischer Schwellenwert, der abhängig<br />
vom Gestationsalter und vom Lebenstag<br />
ist, überschritten, erhöht sich eben<br />
diese Gefahr. Denn das Bilirubin kann<br />
dann die Blut-Hirn-Schranke überwinden<br />
und sich im Gehirn ablagern. Dies kann<br />
irreversible Spätschäden wie Hörverlust,<br />
Störungen in der Motorik-Steuerung<br />
sowie geistige Behinderungen zur Folge<br />
haben. Die Inzidenz des Kernikterus<br />
wurde aufgrund einer strukturierten Umfrage<br />
an allen deutschen Kinderkliniken<br />
in den Jahren 2003–2005 mit 6,3 auf<br />
1 Millionen Geburten benannt. Ziel ist<br />
es, ihn komplett zu verhindern. Je unreifer<br />
das Neugeborene aber ist, desto größer<br />
ist sein Risiko für Ikterus-Spätschäden.<br />
Somit sollten auch die späten Frühgeborenen<br />
mehr in den Fokus als Risikogruppe<br />
treten, um eine spontane und angemessene<br />
Behandlung zu ermöglichen.<br />
Risiko für Hypoglykämie<br />
und Atemnotsyndrom<br />
erhöht<br />
Frühgeborene sind ebenfalls anfälliger für<br />
Hypoglykämien und Apnoen. Eine japanische<br />
Studie (Ishiguro A et al.: Pediatrics<br />
International, 2009) verglich dieses Risiko<br />
an 210 Frühgeborenen (35+0–36+6<br />
SSW, Geburtsgewicht > 2000 g) versus<br />
2648 Reifgeborenen. Das Risiko der späten<br />
Frühgeborenen lag 4,27-mal höher,<br />
direkt aus dem Kreißsaal in die Neonatologie<br />
aufgenommen werden zu müssen.<br />
Auch später noch lag es 3,57-mal höher.<br />
Bei mehr als 80 % geschah dies aufgrund<br />
einer Hypoglykämie und/oder Apnoe. Das<br />
Atemnotsyndrom als pulmonale Erkrankung<br />
lässt sich besonders gut an<br />
dem charakteristischen exspiratorischen<br />
Stöhnen festmachen. Thomas veranschaulichte<br />
dies mit einem Video eines<br />
späten Frühgeborenen, das durch dieses<br />
Stöhnen bzw. den aufgebauten Druck versucht,<br />
seiner Ateminsuffizienz entgegenzuwirken.<br />
Lassen diese Atemgeräusche<br />
nach und zeigt das Kind damit einherge-<br />
9
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
hend Zeichen zunehmender Blässe und<br />
einer Zyanose, sind dies klinische Merkmale<br />
eines bedrohlichen Atemnotsyndroms.<br />
Sofortiges Handeln ist gefragt!<br />
Wurde das Frühgeborene per Sectio auf<br />
die Welt gebracht, erhöht sich dessen Risiko<br />
weiter, maschinell beatmet werden<br />
zu müssen, denn: Während einer Spontangeburt<br />
wird etwa ⅓ des fetalen Lungenwassers<br />
ausgepresst. Darüber hinaus<br />
stimulieren Wehen die Surfactant-Produktion.<br />
Das Surfactant ist eine emulgierende,<br />
oberflächenaktive Substanz, die in<br />
der Lunge die Ventilation und den Gasaustausch<br />
begünstigt. So sollten auch aus<br />
diesem Grund die Indikationen für eine<br />
Sectio kritisch bewertet und die werdende<br />
Mutter bei einem gewünschten<br />
Kaiserschnitt genauestens über die möglichen<br />
Komplikationen aufgeklärt werden.<br />
Reifung des Gehirns häufig<br />
noch unvollständig<br />
Die gesundheitlichen Folgen einer späten<br />
Frühgeburt sind jedoch nicht nur kurzfristig,<br />
sondern noch über Jahre hinweg zu<br />
beobachten. Das Risiko für beispielsweise<br />
später folgende akute Bronchitiden,<br />
Asthma oder bakterielle Infektionen ist<br />
deutlich erhöht. Vor allem scheint aber<br />
das Gehirn ein Risikoorgan für langfristige<br />
Störungen darzustellen, denn: Ein Großteil<br />
des Wachstums und der Reifung des<br />
Gehirns findet intrauterin in den letzten<br />
Wochen der Schwangerschaft statt. Eine<br />
prospektive Longitudinaluntersuchung in<br />
den USA (Woythaler M et al.: Pediatrics,<br />
2011) untersuchte Kinder des Geburtsjahrganges<br />
2001 im Alter von 2 Jahren mit<br />
Fokus auf ihre neurologisch-motorische<br />
Entwicklung hin. Verglichen wurden Kinder<br />
der SSW 34+0–36+6 versus älter als<br />
37+0 mit einem standardisierten Verfahren<br />
(Bailey Scales Kurzform). 21,2 % der<br />
untersuchten späten Frühgeborenen<br />
zeigten nach 2 Jahren eine signifikante<br />
geistige Entwicklungsverzögerung, 33,3 %<br />
noch eine milde Verzögerung der motorischen<br />
Entwicklung.<br />
Eine US-amerikanische Multizenter-Studie<br />
(Gray P et al.: Pediatrics, 2004) legte<br />
zudem dar, dass eine späte Frühgeburt<br />
auch mit Verhaltensauffälligkeiten assoziiert<br />
sein kann. Dies entnahmen die Wissenschaftler<br />
der Auswertung von standardisierten<br />
Fragebögen von Eltern mit<br />
Kindern im Alter von 3, 5 und 8 Jahren.<br />
In 20 % der 869 späten Frühgeborenen war<br />
dies der Fall. Sicherlich kommen hier aber<br />
auch noch andere Einflussfaktoren zum<br />
Tragen.<br />
EXKURS – Vom Frauenraum zum Kreißsaal<br />
Auszug auf dem Vortrag von Prof. Dr. Eva Labouvie, Professorin<br />
für Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung am Institut<br />
für Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.<br />
„In den meisten europäischen Ländern, besonders in den<br />
europäischen Industrienationen, entwickelte sich die zeremonielle<br />
Begleitung der ‚Köperrituale‘ von Schwangerschaft und<br />
Geburt durch Frauen und ihre Hebamme (‚Mitmutter‘, midwife)<br />
über die professionelle Ausübung des Berufs der Hebamme und<br />
des medizinisch-akademischen männlichen Geburtshelfers bis<br />
hin zur ‚Medikalisierung von Mentalitäten‘. Im Zuge dieser bis<br />
noch vor 60 Jahren keineswegs selbstverständlichen Bedeutungs-<br />
und Praxisänderungen entstand in der europäischen<br />
Gesellschaft nicht nur eine neue Frauenkultur um Geburt und<br />
Schwangerschaft, sondern zuvor schon eine neue Gebärkultur.<br />
Während zwischen den beiden Weltkriegen in Deutschland<br />
noch 97 % der Geburten zu Hause und im Frauenkreis stattfanden,<br />
strebte die moderne, jetzt männlich dominierte, akademische<br />
Nachkriegsgeburtshilfe nach der institutionellen<br />
Vereinnahmung von Schwangerschaft und Geburt in Krankenhäusern<br />
und Frauenkliniken. […]<br />
Neben Gesellschaft, Medien und ärztlichen Ratgebern bildete<br />
vor allem die Schwangerschaftsvorsorge seit den 1950er-<br />
Jahren ein neues weibliches Körperbewusstsein und geänderte<br />
Körpervorstellungen aus. […] Aus vielen Äußerungen<br />
von Frauen, Hebammen wie Medizinern wird mittlerweile<br />
allerdings ersichtlich, dass Schwangerschaftsvorsorge und vor<br />
allem die hochgerüstete Kreißsaal-Geburt, die sich in der<br />
Nachkriegszeit in fast ganz Europa durchzusetzen begann, als<br />
Geschehnisse begriffen werden können, die einerseits neuartige<br />
Glaubensformen hervorbringen und bestätigen: eine<br />
verinnerlichte Abhängigkeit von medizinischen Erkenntnissen,<br />
eine neue Formierung von Mythologemen wie Sicherheit,<br />
Risiko-Beschränkung, Planung, Kontrolle, Optimierung<br />
und professionellem Kalkül. Medizinische Prozeduren, ohne<br />
die der als physiologisch betrachtete Geburtsvorgang wegen<br />
seines vorgeblich hohen Risikos nicht mehr auszukommen<br />
vermag, stellen auf der anderen Seite neuartige überzeugungsstiftende,<br />
sinngebende Vorgänge dar, ja bilden<br />
geradezu eine „technologische Liturgie“ risikomindernder<br />
Rituale aus: Ultraschall, kardiotokografische Überwachung,<br />
Wehentropf, Dammschnitt usw. Anders als die auf Beruhigung<br />
und gemeinsame Bewältigung abzielenden früheren<br />
und heute noch in einigen europäischen Gegenden gebräuchlichen<br />
traditionellen Geburtsrituale, deren Sinn<br />
gebende Funktion die Menschwerdung der „Leibesfrucht“ in<br />
einem von Frauen gebildeten intimen Schutzraum war und<br />
ist, schaffen sie freilich kontinuierlich neue Ängste, Mythen,<br />
neue Risiken, eine veränderte weibliche Wahrnehmung und<br />
– in ihrer Folge – eine gewandelte Kultur um Schwangerschaft<br />
und Geburt. […] Und jede der rituell beschworenen<br />
Ängste liefert die Frau einer neuartigen Hilflosigkeit und<br />
Abhängigkeit aus: Nicht auf ihre Biologie, auf die Hebamme<br />
oder andere Frauen kann sie vertrauen, nicht auf ihren<br />
Körper noch ihr eigenes Tun und Denken. […] Eine ganze<br />
Generation von Frauen hat, so könnte man meinen, das<br />
Wissen vom eigenen Gebären verloren. […]“<br />
10
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />
Postnatales Monitoring<br />
gewünscht<br />
Thomas appelliert an die Hebammen,<br />
dass es eine gemeinsame Anstrengung<br />
sein sollte, sich um die optimale Versorgung<br />
später Frühgeborener zu kümmern.<br />
Dabei sollten an erster Stelle die Indikationen<br />
für eine Sectio streng hinterfragt<br />
werden. Darüber hinaus ist ein frühes<br />
postnatales Monitoring wünschenswert,<br />
um zeitnah bei Problemen handeln zu<br />
können. Langfristige Entwicklungsverzögerungen<br />
können nur erkannt werden,<br />
wenn die Eltern ihr Kind aufmerksam mit<br />
beobachten und die Pädiater ein gezieltes<br />
Follow-up durchführen.<br />
■<br />
Die Pflege der Babyhaut<br />
– Von Mythen<br />
zu Fakten<br />
Die Haut reguliert nicht nur die Körpertemperatur,<br />
sondern dient vor allem als<br />
Schutzbarriere zwischen dem inneren<br />
Milieu und der Umwelt. Eine intakte<br />
Hautbarriere schützt bei einem ausgeglichenen<br />
Säureschutzmantel vor dem<br />
Eindringen von Noxen und infektiösen<br />
Erregern. Aktuelle Forschungsergebnisse<br />
lassen vermuten, dass die postnatale<br />
Reifung der Hautbarriere bis über das<br />
gesamte 1. Lebensjahr hinweg andauert<br />
– so startete PD Dr. med. Natalie Garcia<br />
Bartels, Kinderdermatologische Hochschulambulanz<br />
der Charité – Universitätsmedizin<br />
Berlin, ihren Vortrag. Die Hautfeuchtigkeit<br />
und der Fettgehalt der Neugeborenenhaut<br />
sind zu Beginn noch niedrig<br />
und steigen erst langsam an, der pH-<br />
Wert liegt höher. Diese Reifungsprozesse<br />
variieren zudem je nach Körperregion.<br />
Beispielsweise hat der Po als dauerhaft<br />
abgeschlossener Bereich andere Ansprüche<br />
als die freiliegende Stirn oder der<br />
Bauch und die Oberschenkel als bekleidete<br />
Areale. Eine intakte Hautbarriere bedeutet<br />
eine niedrige Durchlässigkeit der<br />
Hornschicht. Die Haut trocknet nicht so<br />
schnell aus und reagiert unempfindlich<br />
gegenüber äußeren Reizen. Um Barrierefunktionen<br />
zu unterstützen, ist eine altersgerechte<br />
Hautpflege besonders im<br />
Säuglingsalter wichtig, da sich die Haut<br />
nach der Geburt an die neue Umgebung<br />
anpassen muss.<br />
Pflegeempfehlungen<br />
bislang nicht einheitlich<br />
Bislang gab es kein national oder international<br />
einheitliches Pflegeregime. Die Empfehlungen,<br />
die Eltern von beispielsweise<br />
Hebammen, Kinderärzten, Verwandten,<br />
aus Kursen oder Literatur erhielten, basierten<br />
vorwiegend auf Erfahrung, Tradition<br />
und Kultur. Aufgrund der aktuellen<br />
klinischen Studienlage können heute evidenzbasierte<br />
Empfehlungen zur Hautpflege<br />
bei Babys entwickelt werden.<br />
Hautmessungen: schmerzfrei<br />
und unkompliziert<br />
Die Hautbarrierefunktion kann mittlerweile<br />
durch schmerzfreie, nichtinvasive<br />
Messungen am Säugling quantitativ erfasst<br />
werden. Diese Herangehensweise ist<br />
neu. Mit verschiedenen unkomplizierten<br />
Hautanalyseverfahren lassen sich unterschiedliche,<br />
etablierte Pflegekonzepte<br />
wissenschaftlich miteinander vergleichen.<br />
Als objektive und aussagekräftige<br />
Messungen wurde die Bestimmung des<br />
transepidermalen Wasserverlustes (TEWL)<br />
mit einem Tewameter ® herangezogen. Die<br />
Feuchtigkeit wurde mithilfe eines Corneometers<br />
® , der pH-Wert mit einem SkinpH-Meter<br />
® und die Hautlipide mit einem<br />
Sebumeter ® gemessen. Die Messungen<br />
wurden über eine längere Periode zu festgelegten<br />
Zeiten an definierten, gleichbleibenden<br />
Arealen (z. B. Stirn, Bauch, Oberschenkel,<br />
Po) durchgeführt.<br />
Pflege im Einklang mit der<br />
natürlichen Hautreifung<br />
Pflegeregimes können einen messbaren<br />
Einfluss auf die Hautfunktion haben. Entscheidend<br />
ist, dass dieser Einfluss nicht<br />
negativ ist, sondern die postnatale Reifung<br />
unterstützt und stabilisiert. Diesbezüglich<br />
brachte Garcia Bartels selbst mit<br />
einigen prospektiven, randomisierten<br />
Studien am Clinical Research Center for<br />
Hair and Skin Science Bewegung in die<br />
Forschung:<br />
Die Hautmessungen können beispielsweise<br />
an Stirn, Bauch, Oberschenkel und Po erfolgen.<br />
© Bübchen<br />
Bezüglich des Badens oder Waschens<br />
von Babys nach der Geburt ergaben ihre<br />
Untersuchungen (Garcia Bartels N, Blume-<br />
Peytavi U et al.: Skin Pharmacology and<br />
Physiology, 2009), dass 2-mal wöchentliches<br />
Baden in klarem Wasser besser für<br />
die gesunde Babyhaut ist als das Waschen<br />
mit einem Waschlappen. Baden zeigte<br />
eine signifikant höhere Hautfeuchtigkeit<br />
an Stirn und Bauch und einen reduzierten<br />
TEWL-Wert am Gesäß nach 4 Wochen.<br />
Zudem führt Baden grundsätzlich zu<br />
einem geringeren Wärmeverlust als Waschen<br />
und beim Baby zu größerem Wohlbefinden.<br />
Ein dem Badewasser zugegebener Babybadezusatz<br />
schadet der Reifung der Hautbarriere<br />
nicht. Auch das Eincremen nach<br />
dem Baden wirkt sich an verschiedenen<br />
Körperregionen günstiger auf die Barrierefunktion<br />
aus als Baden in klarem Wasser<br />
ohne Eincremen (Garcia Bartels N, Blume-Peytavi<br />
U et al.: Pediatric <strong>Der</strong>matology,<br />
2010).<br />
Babyschwimmen:<br />
Auswirkungen auf die Haut<br />
Unbestritten ist, dass Babyschwimmen<br />
die motorische Entwicklung des Sprösslings<br />
fördert und einen intensiven Mutter/Vater-Kind-Kontakt<br />
herstellt. Neben<br />
der bislang unklaren Datenlage zur Auswirkung<br />
des Babyschwimmens auf die<br />
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<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Atemwege (Asthma) fragen sich viele Eltern,<br />
ob der intensive Kontakt mit Wasser<br />
der empfindlichen Haut des Babys<br />
schadet. In einer aktuellen, klinischen<br />
Studie (Garcia Bartels N et al.: Journal der<br />
Deutschen <strong>Der</strong>matologischen Gesellschaft,<br />
2011) wiesen Säuglinge im Alter von 3–6<br />
Monaten, die nach dem Babyschwimmen<br />
eine Babypflegelotion erhielten, stabilere<br />
Haut-pH-Werte und Hautoberflächenlipide<br />
auf als Säuglinge ohne anschließendes<br />
Eincremen. Bei Babys mit einem<br />
erhöhten Risiko oder schon aufgetretener<br />
atopischer <strong>Der</strong>matitis (Neurodermitis)<br />
empfiehlt sich sogar das Eincremen 2–3<br />
Stunden vor dem Babyschwimmen. Hohe<br />
Chlorgehalte im Wasser scheinen zudem<br />
einen negativen Einfluss auf eine Neurodermitis<br />
zu haben (Garcia Bartels N et<br />
al.: Journal der Deutschen <strong>Der</strong>matologischen<br />
Gesellschaft, 2011; Seki T et al.:<br />
Journal of <strong>Der</strong>matology, 2003; Chiang<br />
C, Eichenfield L: Pediatric <strong>Der</strong>matology,<br />
2009; Hindley N et al.: Archives of Disease<br />
in Childhood, 2006; AWMF Leitlinie Neurodermitis).<br />
Eltern sollten dann ein<br />
Schwimmbad aufsuchen, dessen Wasser<br />
beispielsweise mittels einer Ozonbehandlung<br />
aufbereitet wurde, um den Gehalt<br />
an freiem Chlor, Chloramin etc. zu senken.<br />
Spezielle Bedürfnisse bei<br />
atopischer <strong>Der</strong>matitis und<br />
trockener Haut<br />
Die präventiven Effekte des Pflegeregimes<br />
auf die Hautbarrierefunktion sollten auch<br />
langfristig über Studien geprüft werden.<br />
Zudem fehlen derzeit noch evidenzgestützte<br />
Empfehlungen und Leitlinien zur<br />
Hautpflege Neugeborener und Kleinkinder<br />
mit trockener Haut und einem Risiko<br />
für atopische <strong>Der</strong>matitis. In diesem<br />
Zusammenhang existieren erste Hinweise,<br />
Säuglinge und Kleinkinder mit Risiko<br />
für atopische <strong>Der</strong>matitis präventiv einzucremen.<br />
Allerdings ist die Studienlage<br />
noch nicht ausreichend, um daraus aktuell<br />
eine studienbasierte Empfehlung abzuleiten.<br />
Besteht jedoch eine Hauttrockenheit,<br />
sollte man je nach Hautzustand<br />
bis zu 2-mal täglich eine Pflegecreme<br />
oder Lotion anwenden, die parfümfrei<br />
und für Babys ausgewiesen ist. Das Baden<br />
darf 1–2-mal pro Woche erfolgen, im Anschluss<br />
daran sollte das Kind eingecremt<br />
werden (Simpson E et al.: Journal of the<br />
American Academy of <strong>Der</strong>matology, 2010;<br />
Hindley N et al.: Archives of Disease in<br />
Childhood, 2006; Chiang C, Eichenfield L:<br />
Pediatric <strong>Der</strong>matology, 2009, AWMF Leitlinie<br />
Neurodermitis).<br />
Nicht alle sind wertvoll:<br />
Öle in der Babypflege<br />
Öle haben einen großen Stellenwert in<br />
der Babypflege. Hinsichtlich der unterschiedlichen<br />
eingesetzten Öle wurden<br />
zahlreiche Studien (Danby S et al., 2012;<br />
Darmstadt G et al., 2008, 2002; Eichenfield<br />
L et al., 2009; Vaivre-Douret L et al., 2008)<br />
durchgeführt, denn die Natürlichkeit und<br />
Qualität lassen häufig zu wünschen übrig.<br />
Eine Untersuchung zum Einsatz von Olivenöl<br />
versus Sonnenblumenöl an Erwachsenen<br />
(2-mal täglich über 4 Wochen)<br />
ergab eine signifikante Verschlechterung<br />
der Hautbarriere-Integrität durch<br />
Olivenöl bei positiver Anamnese für atopische<br />
<strong>Der</strong>matitis, bei Sonnenblumenöl<br />
hingegen keinen negativen Effekt. Unter<br />
den Olivenölen gibt es ohnehin schwarze<br />
Schafe. Viele der eigentlich zum Verzehr<br />
gedachten und mit „extra nativ“ deklarierten<br />
Olivenöle müssen qualitativ bzw.<br />
sensorisch eigentlich als sogenannte Lampantöle<br />
klassifiziert werden. Solche Öle<br />
sind zum Verzehr völlig ungeeignet. Somit<br />
ist auch in der Hautpflege größte Vorsicht<br />
bei Olivenöl geboten.<br />
Fazit<br />
Baden und Eincremen hat nach<br />
aktueller Datenlage keine negative<br />
Auswirkung auf die Hautreifung und<br />
Anpassung bei Neugeborenen und<br />
Säuglingen. Ein standardisiertes<br />
Hautpflegeregime verbessert die<br />
Hautbarrierefunktion bei Neugeborenen<br />
in verschiedenen Körperregionen<br />
und zeigt Vorteile gegenüber dem<br />
Einsatz von Wasser alleine.<br />
(Garcia Bartels N, Blume-Peytavi U et al.:<br />
Skin Pharmacology and Physiology, 2009;<br />
Garcia Bartels N, Blume-Peytavi U et al.:<br />
Pediatric <strong>Der</strong>matology, 2010; Garcia Bartels<br />
N, Blume-Peytavi U et al.: Pediatric<br />
<strong>Der</strong>matology, 2012)<br />
Großer Forschungsbedarf<br />
Da noch zahlreiche Fragen rund um die<br />
Themen Körper- und Nabelpflege, Pflege<br />
der Windelregion und Babyschwimmen<br />
bestehen, ist der Forschungsbedarf laut<br />
Garcia Bartels nach wie vor hoch. Dabei<br />
sollten zukünftige Studien sowohl die<br />
gesunde Haut, trockene Haut, atopische<br />
<strong>Der</strong>matitis als auch bestimmte andere<br />
Hauterkrankungen wie Psoriasis in den<br />
Fokus nehmen.<br />
www.crcberlin.com<br />
www.kinderdermaberlin.com<br />
Pflegeempfehlungen bei gesunder Haut im Neugeborenen- und<br />
Säuglingsalter<br />
Europäische Experten (<strong>Der</strong>matologen und Pädiater) haben aufgrund dieser<br />
Studienergebnisse u. a. die ersten evidenzbasierten Pflegeempfehlungen für die<br />
Hautpflege von gesunden, reifgeborenen Säuglingen veröffentlicht:<br />
▶ Baden 2–3-mal pro Woche<br />
▶ Raumtemperatur über 22 °C, Wassertemperatur 37–38 °C<br />
▶ Badedauer 5–10 Minuten<br />
▶ <strong>Der</strong> Säugling sollte nach dem Baden schnell, aber sanft (nicht rubbeln)<br />
abgetrocknet und angekleidet werden, damit er nicht auskühlt<br />
▶ Verwendung eines milden Babybadezusatzes beim Baden möglich<br />
▶ Nach dem Baden mit einer Babypflegecreme eincremen<br />
(Blume-Peytavi U et al.: Journal of the European Academy of <strong>Der</strong>matology and Venereology, 2009;<br />
Garcia Bartels N et al.: Skin Pharmacology and Physiology, 2009, Pediatric <strong>Der</strong>matology 2010;<br />
Blume-Peytavi U, Garcia Bartels N: Aktuelle <strong>Der</strong>matologie, 2010; Garcia Bartels N et al.: Journal der<br />
Deutschen <strong>Der</strong>matologischen Gesellschaft, 2011)<br />
■<br />
12
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />
Hautpflege in der<br />
Hebammensprechstunde<br />
Die Haut als das größte und eines<br />
der wichtigsten sowie faszinierendsten<br />
menschlichen Organe ist ein wahres Multitalent.<br />
Gleichzeitig ist es auch das Lieblingsthema<br />
von Dr. Thomas Stiehm, Geschäftsführer<br />
Bübchen und Leiter der Abteilung<br />
Forschung und Entwicklung, Soest,<br />
der in seinem Seminar langjährige Erfahrungen<br />
mit den Hebammen teilte.<br />
Mit ihren Zellen, Nervenendkörperchen,<br />
Talg- und Schweißdrüsen steuert bzw. reguliert<br />
die Haut die Körpertemperatur,<br />
den Flüssigkeitshaushalt und die haptische<br />
Wahrnehmung. Dabei schützt uns<br />
die Haut auch vor unserer Umwelt,<br />
Schmutz, Mikroorganismen und nicht zuletzt<br />
vor dem Austrocknen. Im Laufe des<br />
Lebens verändert sich die Haut, sodass die<br />
Bedürfnisse der Babyhaut anders sind als<br />
die eines Erwachsenen oder eines alten<br />
Menschen. <strong>Der</strong> Aufbau und deren Grundfunktion<br />
sind jedoch in jedem Alter gleich.<br />
Säuglingshaut hat<br />
besondere Ansprüche<br />
Bereits am Aussehen der Babys lässt sich<br />
erkennen, dass deren Haut dünner ist,<br />
denn der rosige Teint entsteht durch die<br />
durchscheinenden Blutgefäße. Je dünner<br />
die Haut ist, desto höher ist der Wasserverlust<br />
und desto trockener ist die Haut.<br />
Sehr unreife Frühchen würden beispielsweise<br />
innerhalb eines Tages an einem<br />
perkutanen Wasserverlust sterben, wenn<br />
ihre Haut nicht durch geeignete Maßnahmen<br />
(wie das Einwickeln in Folie) vor<br />
einer zu starken Verdunstung geschützt<br />
würde.<br />
Die Relation der Hautoberfläche zum Körpergewicht<br />
ist zudem ausschlaggebend<br />
für deren Schutzwirkung. Beim Neugeborenen<br />
liegt diese 3-mal so hoch und beim<br />
Kleinkind 2-mal so hoch wie beim Erwachsenen<br />
(entspricht 1-mal). Dies wirkt<br />
sich auf die perkutane Resorption aus –<br />
also auf die Aufnahme von Stoffen in die<br />
Haut. Bei Säuglingen ist diese so hoch,<br />
dass schädliche Substanzen (z. B. Pestizide,<br />
Keime) leichter und in deutlich erhöhtem<br />
Ausmaß eindringen können. Dieses<br />
Wissen ist auch beim Einsatz von äußerlich<br />
angewendeten Medikamenten<br />
und Pflegeprodukten zu berücksichtigen.<br />
<strong>Der</strong> Säureschutzmantel eines Säuglings<br />
ist zudem noch nicht voll entwickelt, was<br />
die Anfälligkeit gegenüber externen<br />
Noxen abermals erhöht. <strong>Der</strong> physiologische<br />
pH-Wert von 5,5 muss sich zuerst<br />
einmal einstellen.<br />
So viel wie nötig, aber<br />
so wenig wie möglich<br />
Für die Pflege sollten möglichst milde,<br />
seifenfreie, pH-hautneutrale und rückfettende<br />
Reinigungsprodukte zum Einsatz<br />
kommen. Die anschließende bedarfsangepasste<br />
Pflege dient der Gesunderhaltung<br />
der Haut. Babys mit normaler Haut<br />
oder die zu trockener Haut neigen, profitieren<br />
von einer milden Creme oder Lotion<br />
in Form einer sogenannten W/O-<br />
Emulsion (Wasser-in-Öl). Sie entspricht<br />
dem Säureschutzmantel, fühlt sich warm,<br />
fettig und schwer auf der Haut an, ist zäh<br />
und zieht nicht so schnell ein. Eine O/W-<br />
Emulsion (Öl-in-Wasser) entspricht hingegen<br />
nicht dem Säureschutzmantel,<br />
fühlt sich leicht, kühl und wässrig auf der<br />
Haut an, zieht schnell und gut ein und eignet<br />
sich eher für fettige bis leicht trockene<br />
Erwachsenenhaut. Ist die Haut des Neugeborenen<br />
anlagebedingt sehr trocken<br />
oder neigt zu Atopien, sollte die Haut besonders<br />
konsequent und regelmäßig gepflegt<br />
werden. Die Pflegeprodukte sollten<br />
dann unbedingt ohne Farb- und Konservierungsmittel<br />
sowie Paraffine sein.<br />
Sonnenblumenöl ist laut Stiehm optimal<br />
für die empfindliche und im Aufbau befindliche<br />
Neugeborenenhaut, denn es<br />
enthält etwa 63 % Linolsäure. Linolsäure<br />
stabilisiert die Struktur der Zellmembranen<br />
der Haut, was die Barrierefunktion<br />
stärkt und den transepidermalen Wasserverlust<br />
reduziert. Ist zudem Kamille<br />
in Pflegeprodukten enthalten, wirkt dies<br />
durch die Wirkstoffe Azulen und Bisabolol<br />
entzündungshemmend und hautberuhigend.<br />
Unter den verschiedenen Sorten<br />
ist die echte Kamille am besten für die<br />
Babypflege geeignet, da sie so gut wie nie<br />
allergische Reaktionen auslöst.<br />
Schutz des Babypopos<br />
Durch das feucht-warme Klima im Windelbereich<br />
ist der Babypo ein optimaler<br />
Nährboden für Keime und neigt zum<br />
Wundsein. So soll die Pflege des Babypopos<br />
vor reizenden Stoffen schützen (z. B.<br />
mit Zinkoxid), die angegriffene Haut pflegen<br />
(mit ausgewählten Pflanzenölen) und<br />
einer Windeldermatitis vorbeugen (z. B.<br />
Panthenol, Pflanzenextrakten wie Calendula<br />
oder Heliotropin). Auch im Windelbereich<br />
ist eine W/O-Emulsion die beste<br />
Basis.<br />
Sonnenschutz<br />
Darüber hinaus bietet die Säuglingshaut<br />
kaum UV-Schutz. Die Melanin bildenden<br />
Zellen (Melanozyten) sind zwar vorhanden,<br />
können aber den braunen Schutzstoff<br />
noch nicht ausreichend produzieren.<br />
Auch die Dünne der Haut erhöht die Empfindlichkeit<br />
gegenüber UV-Strahlen. So<br />
sind die Meidung der Mittagssonne und<br />
der konsequente Einsatz von textilem<br />
Lichtschutz essenziell für den Schutz der<br />
empfindlichen Babyhaut. Eine UV-sichere<br />
Sonnenbrille und ein geeignetes Sonnenschutzprodukt<br />
(Lichtschutzfaktor > 30)<br />
runden die ganzheitliche Protektion ab.<br />
Einen besonders guten Schutz bietet eine<br />
Kombination aus mineralischen und organischen<br />
Lichtschutzfiltern. Dabei ziehen<br />
mineralische Mikropigmente, wie<br />
Titanoxid oder Zinkoxid, und die organischen<br />
Filter nicht in die Haut ein, sondern<br />
reflektieren das Sonnenlicht an der<br />
Hautoberfläche. Die Kombination beider<br />
Lichtschutzfilter hat eine synergetischen<br />
Effekt, druch den die Gesamtkonzentration<br />
der UV-Filter bei gleichem Lichtschutzfaktor<br />
gesenkt wird. Sonnenschutzprodukte<br />
für Babys sollten frei von<br />
Farb- und Konservierungsstoffen sowie<br />
Parfum sein. Zudem sollten darauf geachtet<br />
werden, so Stiehm, dass der organische<br />
UV-Filter Octocrylene nicht enthalten<br />
ist, denn dieser steht unter Verdacht,<br />
hormonell wirksam zu sein. ■<br />
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<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Ernährung und Präventionsstrategien<br />
im Säuglingsalter<br />
Die frühe Ernährung im Mutterleib und<br />
Säuglingsalter bietet nicht nur wichtige<br />
Voraussetzungen für die Entwicklung im<br />
1. Lebensjahr, sondern hat auch langfristige<br />
Effekte. In den ersten 1000 Lebenstagen<br />
entwickeln Kinder ihre (Aus-)<br />
Rüstung für das gesamte Leben. Diese metabolische<br />
Prägung hat nach neuesten Erkenntnissen<br />
sogar Auswirkung auf die<br />
Entwicklung von späterem Übergewicht<br />
und anderen Volkskrankheiten. Auch für<br />
Richard Horton (Redakteur der britischen<br />
Fachzeitschrift für Medizin Lancet) ist es<br />
das „goldene“ Intervall vom Anfang der<br />
Schwangerschaft bis zum Ende des 2. Lebensjahres,<br />
das Risiko und Chance zugleich<br />
für die Gesundheit eines Menschen<br />
in sich birgt. In diesem kritischen Zeitfenster<br />
spielt die Ernährung die wichtigste<br />
Rolle. Mit diesen Erkenntnissen startete<br />
Dr. Mike Possner vom Nestlé Nutrition Institut,<br />
Frankfurt am Main, seine Präsentation<br />
„Frühe Ernährung und langfristige<br />
gesundheitliche Auswirkungen“. Zu den<br />
Volkskrankheiten, die durch die frühe Ernährung<br />
beeinflusst werden, zählt auch<br />
Adipositas und damit assoziierte Erkrankungen.<br />
In Europa sind etwa 14 Millionen<br />
Kinder übergewichtig, davon etwa 3 Millionen<br />
adipös (Kurt B: Bundesgesundheitsblatt<br />
– Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz,<br />
2007). Übergewichtige und<br />
adipöse Kinder haben zudem ein erhöhtes<br />
Risiko, später auch adipöse Erwachsene<br />
zu werden (WHO, 2011). Auch die atopische<br />
<strong>Der</strong>matitis (Neurodermitis) wird<br />
maßgeblich durch die frühkindliche Ernährung<br />
determiniert. In Europa sind<br />
etwa 9,5–13 Millionen Kinder bis zur Einschulung<br />
von einer Neurodermitis betroffen<br />
(NetDoktor, Petra May) und in<br />
Deutschland leiden etwa 1,7 Millionen<br />
der 0–17 Jahre alten Kinder weiterhin an<br />
Neurodermitis (Schlaud et al.: Bundesgesundheitsblatt<br />
– Gesundheitsforschung –<br />
Gesundheitsschutz, 2007).<br />
Wodurch wird der Phänotypus<br />
eines Menschen<br />
bestimmt?<br />
<strong>Der</strong> Phänotypus bzw. das Erscheinungsbild<br />
eines Menschen, d. h. morphologische,<br />
physiologische und psychologische<br />
Eigenschaften, wird durch das Zusammenspiel<br />
von Genetik, Epigenetik und Umwelt<br />
bestimmt. Die Epigenetik erklärt dabei,<br />
wie die Genexpression – ohne eine Veränderung<br />
der zugrunde liegenden DNA-Sequenz<br />
(Genotyp) – geprägt werden kann.<br />
So können Nährstoffe und bioaktive Bestandteile<br />
in der Nahrung die Genexpression<br />
beeinflussen. Neben der genetischen<br />
Disposition, ungesunden Ernährungsgewohnheiten<br />
und mangelnder Bewegung<br />
spielen somit auch das Geburtsgewicht<br />
und die prä- und postnatale Ernährung<br />
eine bedeutende Rolle für die gesunde<br />
Entwicklung eines Kindes (metabolische<br />
Prägung). Dabei birgt eine Adipositas der<br />
Mutter an sich schon die Gefahr eines<br />
hohen Geburtsgewichtes des Neugeborenen<br />
und Geburtskomplikationen wie Sectio<br />
und Frühgeburt (Cedergren M: Obstetrics<br />
& Gynecology, 2004).<br />
Empfehlungen für<br />
die Schwangerschaft<br />
Das Institute of Medicine (IOM) veröffentlichte<br />
2009 in der National Academy Press<br />
eine Empfehlung mit Unter- und Obergrenzen<br />
für die Gewichtszunahme während<br />
der Schwangerschaft. <strong>Der</strong> Body-<br />
Mass-Index (BMI) vor der Schwangerschaft<br />
wurde dafür zugrunde gelegt.<br />
Gemäß aktueller Empfehlung von Fachgesellschaften<br />
benötigen normalgewichtige<br />
Frauen lediglich 200–300 Kilokalorien<br />
(kcal) pro Tag mehr Energie ab dem<br />
4. Schwangerschaftsmonat. In der Praxis<br />
bedeutet dies jedoch nur: 150 g Joghurt +<br />
1–2 Esslöffel (EL) Haferflocken + 1 EL Sonnenblumenkerne<br />
+ 1 Orange oder 1 Portion<br />
gedünstetes Gemüse + 2 Kartoffeln<br />
+ 2 EL Pflanzenöl. Die Realität sieht anders<br />
aus, denn viele werdende Mütter<br />
essen tatsächlich für 2 Personen! Ordentlich<br />
zulegen sollten Schwangere aber nur<br />
bei den Vitalstoffen wie Vitaminen, Mineralstoffen,<br />
sekundären Pflanzenstoffen<br />
und Co. Possner fasste die wichtigsten<br />
Ziele und Empfehlungen für die Betreuung<br />
einer Schwangeren und während der<br />
frühen Ernährung wie folgt zusammen:<br />
▶ Mütterliches Normalgewicht!<br />
▶ Obligatorisches Diabetes-Screening!<br />
▶ Optimale Diabetes-Behandlung!<br />
▶ Nicht „für zwei“ essen!<br />
▶ Stillen fördern, Formula optimieren!<br />
▶ Forschung intensivieren!<br />
Präkonzeptioneller<br />
BMI (kg/m 2 )<br />
Empfohlene Gewichtszunahme<br />
während der Schwangerschaft (kg)<br />
Untergrenze Obergrenze<br />
16 %<br />
14 %<br />
Inzidenz von AE mit 1 Jahr (n = 945)<br />
* p < 0,05 für pHF-M und eHF-C vs. SMN<br />
15 %<br />
Untergewicht<br />
(< 18,5)<br />
Normalgewicht<br />
(18,5–24,9)<br />
Übergewicht<br />
(25,0–29,9)<br />
Adipositas<br />
(> 30)<br />
12,5 18<br />
11,5 16<br />
7,0 11,5<br />
5,0 9,0<br />
12 %<br />
10 %<br />
8 %<br />
6 %<br />
4 %<br />
2 %<br />
0 %<br />
*<br />
9 %<br />
pHF-M<br />
Beba HA<br />
n = 241<br />
*<br />
7 %<br />
eHF-C<br />
n = 210<br />
13 %<br />
eHF-M<br />
n = 238<br />
SMN<br />
intaktes<br />
Kuhmilchprotein<br />
n = 256<br />
Empfehlung für die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft<br />
(Institute of Medicine). © National Academy Press, 2009<br />
Ergebnisse der GINI-Studie. © Berg A, Koletzko S et al.: Journal of<br />
Allergy and Clinical Immunology, 2003<br />
14
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />
Gestillte Kinder sind gesünder<br />
als nicht gestillte<br />
Stillen bietet den bestmöglichen Gesundheitsschutz<br />
des Neugeborenen überhaupt:<br />
Es schützt nachweislich vor Magen-Darm-Infekten,<br />
Mittelohrentzündungen,<br />
Atemwegsinfekten, nekrotisierender<br />
Enterokolitis sowie atopischer<br />
<strong>Der</strong>matitis und Übergewicht. Es gibt hingegen<br />
keine Empfehlung von pädiatrischer/neonatologischer<br />
Seite für die<br />
Verwendung von Erstnahrungen oder Energiesupplementen,<br />
die auf Aminosäuren<br />
basieren und nicht alle Nährstoffe enthalten.<br />
<strong>Der</strong>en Nutzen ist in vielerlei Hinsicht<br />
fraglich. Zufüttern in den ersten Tagen<br />
sollte nur nach strenger Indikationsstellung<br />
erfolgen, denn Stillen ist die beste<br />
Ernährung – auch zur Allergieprävention.<br />
So sollten Hebammen das vorrangige Stillen<br />
unterstützen. Ist Zufüttern hingegen<br />
medizinisch angezeigt, sollte als 1. Wahl<br />
abgepumpte Muttermilch gefüttert werden.<br />
Falls diese nicht vorhanden ist, sollte<br />
HA (Hypoallergene)-Nahrung der Standard-Säuglingsmilch<br />
der Vorzug gegeben<br />
werden, denn sie schützt vor allergischer<br />
Sensibilisierung, fördert die Induktion<br />
oraler Toleranz und kann das<br />
Risiko für eine Hyperbilirubinämie reduzieren.<br />
Zur Allergieprävention:<br />
Stillen oder Formula mit<br />
speziellem Hydrolysat<br />
Stillen reduziert das Risiko atopischer<br />
<strong>Der</strong>matitis bei Risikokindern im Vergleich<br />
zu Kuhmilchnahrung um 42 %. Dies belegte<br />
schon eine Metaanalyse (Gdalevich<br />
M et al.: Journal of the American Academy<br />
of <strong>Der</strong>matology, 2001) von Studien an<br />
Säuglingen mit familiär bedingtem Allergierisiko.<br />
Wenn aber Stillen nicht möglich<br />
oder gewünscht ist, sollte in solchen Fällen<br />
auf die Zusammensetzung der Formula-Nahrung<br />
geachtet werden. Denn, nicht<br />
jedes Hydrolysat ist wirksam: pHF-M und<br />
eHF-C reduzieren signifikant atopische<br />
Ekzeme im 1. Lebensjahr im Vergleich zu<br />
intaktem Kuhmilchprotein – eHF-M vermag<br />
dies nicht (Berg A, Koletzko S et al.:<br />
Journal of Allergy and Clinical Immunology,<br />
2003).<br />
Wird das klinisch geprüfte partielle Hydrolysat<br />
pHF-M (Beba HA) in den ersten<br />
4 Monaten gefüttert, wird das Neurodermatitisrisiko<br />
langfristig bis zum Alter von<br />
10 Jahren reduziert (von Berg A, Filipiak-<br />
Pittroff B et al.: Journal of Allergy and Clinical<br />
Immunology, 2013).<br />
Übergewicht: Hohe Proteinaufnahme<br />
stimuliert epigenetische<br />
Mechanismen<br />
Stillen schützt vor späterem Übergewicht,<br />
indem es die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten<br />
Gewichtszunahme im Säuglingsalter<br />
reduziert. Dieser Schutz entsteht zumindest<br />
teilweise durch die niedrigere<br />
Proteinzufuhr durch Muttermilch im<br />
Vergleich zu flaschenernährten Kindern.<br />
Im European Childhood Obesity Project<br />
wurden etwa 1000 gesunde Neugeborene<br />
über 24 Monate (und danach) verfolgt.<br />
Die eine Gruppe wurde über 4 Monate<br />
gestillt, die andere wurde vom 1.–12.<br />
Monat aufgeteilt: Entweder erhielten sie<br />
eiweißreduzierte Flaschennahrung oder<br />
Flaschennahrung mit hohem Proteingehalt.<br />
Nach Ernährung mit eiweißreduzierter<br />
Säuglingsmilch sind Kinder mit<br />
2 Jahren schlanker als die „proteinreiche“<br />
Gruppe bzw. ebenso schlank wie gestillte<br />
Babys.<br />
So sollte der Proteingehalt in Formula<br />
besser dem niedrigen und im zeitlichen<br />
Verlauf variablen Proteingehalt der Muttermilch<br />
angepasst werden. In Anfangsnahrungen<br />
sollte er dabei 1,8 g/100 kcal<br />
nicht überschreiten. Sicherlich ist für die<br />
Zukunft ein neues Stufensystem dafür erforderlich.<br />
Ergänzend dazu spielt das<br />
Wachstums- und Gewichtsmonitoring<br />
beim Kinderarzt eine wichtige Rolle.<br />
Fazit<br />
Die metabolische Gesundheit zu programmieren<br />
bedeutet, eine gesunde<br />
Zukunft des Kindes anzulegen.<br />
■<br />
EXKURS – 275 Jahre Hebammenausbildung<br />
in Tirol<br />
Petra Welskop, Präsidentin des Österreichischen<br />
Hebammengremiums, startete ihren Rückblick<br />
über 275 Jahre Hebammenarbeit in Tirol mit<br />
einer Beschreibung des ältesten Frauengewerbes,<br />
die zum Schmunzeln animierte: „Er wird<br />
von belastbaren Frauen ausgeübt, die aufs<br />
Kinderkriegen süchtig sind und diese Anstrengung<br />
trotzdem anderen überlassen.“ Schon seit<br />
Jahrhunderten diskutieren „gelehrte Männer“,<br />
wie denn die perfekte Hebamme sein sollte:<br />
nicht jünger als 20 und wegen eines optimalen<br />
Gedächtnisses nicht älter als 35, unverheiratet<br />
und keusch, damit sie ohne „schädliche“<br />
Vorurteile, Aberglauben und Eigendünkel<br />
über ihr eigenes Wissen an ihr Werk gehen<br />
konnte. Auch lange Arme mit kleinen, geschickten<br />
Händen ohne Schwielen und Warzen<br />
sollte die Hebamme als Voraussetzung<br />
mitbringen. Diese Bedingungen sind längst<br />
überholt, viele überlieferten Eigenschaften<br />
zeichnen aber auch heute noch Hebammen<br />
aus: Geduld, Mut und Verständnis.<br />
1756 startete die erste Hebammenausbildung<br />
in Tirol. Sie dauerte 1 Jahr mit 2 Stunden<br />
Unterricht pro Woche. Hebammen lernten gemeinsam<br />
mit Wundärzten. Als „Ambulierende<br />
Gebäranstalt“ wurde der Praxisteil<br />
bezeichnet, in dem der Professor mit einem<br />
Wundarztanwärter und zwei Hebammenschülerinnen<br />
in die Wohnung der Gebärenden<br />
ging. Geburtshilfliche Wachspräparate<br />
dienten der Demonstration im Unterricht. Im<br />
Hebammengesetz § 1 von 1925 umfasste der<br />
Hebammenberuf auch die Beratung der<br />
Schwangeren, die Beistandsleistung bei der<br />
Geburt, die Pflege der Wöchnerin, des<br />
Neugeborenen und des Säuglings und die<br />
Mitwirkung bei der Mutterschafts- und<br />
Säuglingsfürsorge. Die Ausbildung an der<br />
Hebammenlehranstalt dauerte nun 18<br />
Monate, 1972 wurde sie auf 2 Jahre verlängert.<br />
Mit der 3-jährigen Ausbildung an der<br />
Bundeshebammenakademie wurde 1995 ein<br />
neuer Meilenstein gelegt. Männer durften<br />
sich jetzt ebenfalls anmelden. Welskop rief<br />
2007 den FH-Bachelor-Studiengang Bachelor<br />
of Science in Health Studies mit ins Leben.<br />
Die Ausbildung dauert 6 Semester mit 50 %<br />
Theorie und 50 % Praxis. Dieser wurde 2010<br />
um den Master of Science in Advanced Practice<br />
Midwifery ergänzt, der über 4 Semester<br />
berufsbegleitend stattfindet. Er umfasst neue<br />
Schwerpunkte wie Migration, Ethnizität und<br />
Psychosomatik in der Geburtshilfe.<br />
15
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Förderung der elterlichen<br />
Feinfühligkeit<br />
Dass Bezugspersonen durch das gemeinsame<br />
Erleben, Verhalten und die gegenseitige<br />
Stimulation im täglichen Umgang<br />
starken Einfluss auf die Entwicklungsphasen<br />
eines Kindes – vor allem in der<br />
frühen Kindheit – haben, ist bekannt. Wie<br />
aber der genaue Zusammenhang zwischen<br />
Familienbeziehung und der sozialen<br />
und emotionalen Kindesentwicklung<br />
ist und wie Eltern ihre Feinfühligkeit dem<br />
Kind gegenüber trainieren können, um<br />
die sozialen und emotionalen Kompetenzen<br />
des Kindes zu stärken, war Thema<br />
des Vortrages „Förderung der elterlichen<br />
Feinfühligkeit“. Dr. Tanja Besier, Dipl.<br />
Psychologin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie<br />
des Universitätsklinikum<br />
Ulm, erklärte, dass sich schon<br />
früh Verhaltensprobleme und -störungen<br />
zeigen können, wenn die emotionale Sicherheit<br />
fehlt und Interaktion mit einem<br />
Elternteil nachhaltig beeinträchtigt ist.<br />
Familiäre Risiken für<br />
psychische Auffälligkeiten<br />
Die Bella-Studie (Ravens-Sieberer U,<br />
Wille N, Bettge S, Erhart M, 2007; N=2863)<br />
im Rahmen des RKI Survey zeigt eindrucksvoll,<br />
wie das Risiko für Kinder und<br />
Jugendliche für psychischen Auffälligkeiten<br />
steigt aufgrund von:<br />
▶ Familienkonflikten: 5 ×<br />
▶ psychischen Erkrankungen der Eltern:<br />
2 ×<br />
▶ Konflikten der Eltern: 3 ×<br />
▶ Unzufriedenheit in der Partnerschaft:<br />
3 ×<br />
▶ Alleinerziehen: 2 ×<br />
▶ Heimunterbringung: 2 ×<br />
Sind gleich mehreren Belastungen vorhanden,<br />
steigt das Risiko für psychische<br />
Erkrankung bei 3 Risiken um 30,7 %, bei<br />
4 Risiken um 47,7 %.<br />
Optimal für die kindliche<br />
Entwicklung: feinfühlige<br />
Eltern<br />
Feinfühlige Eltern reagieren aufmerksam<br />
auf die Signale des Babys, interpretieren<br />
diese Signale richtig und reagieren<br />
prompt und angemessen (Ainsworth M,<br />
Blehar C et al.: Patterns of Attachement: A<br />
Psychological Study of Strange Situation,<br />
1978). Diese Feinfühligkeit kann aber nur<br />
gelingen, „wenn man aus der Sicht des Kindes<br />
handelt“ (Grossmann K, 2004). Das<br />
Kind lernt durch feinfühlige Unterstützung<br />
„die Bedeutung seiner eigenen Gefühle<br />
in bestimmten Situation kennen, und<br />
was man tun kann, um die Umstände zu<br />
verbessern“ (Grossmann K, 2004). Ein Kind<br />
lernt damit über die externe Regulation<br />
seiner Gefühle durch die Eltern mit der<br />
Zeit sich zunehmend selbst zu regulieren.<br />
Eltern sollten sich ihrem Säugling gegenüber<br />
so verhalten, dass sein Wohlbefinden<br />
und seine Aufmerksamkeit erhöht,<br />
und seine Belastetheit und sein Desinteresse<br />
verringert werden (Crittenden P: Infant<br />
Mental Health Journal, 2006). Sie<br />
sollten ihren Kleinkindern ermöglichen,<br />
ihre Umwelt aktiv zu erkunden, und zwar<br />
interessiert, spontan und ohne Hemmung<br />
oder übertrieben negativen Affekt (Crittenden<br />
P, 2005). Die Feinzeichen von Offenheit<br />
und Belastetheit können feinfühlige<br />
Eltern am körperlichen und emotionalen<br />
Verhalten des Kindes beobachten<br />
und auf die Signale passend reagieren.<br />
„Universal-präventiv“ können alle (werdenden)<br />
Eltern, z. B. durch Informationsmaterial<br />
und Elternkurse, für die Signale<br />
ihrer Säuglinge und Kleinkinder sensibilisiert<br />
werden. Spezifische Risikogruppen<br />
sollten „selektiv-präventiv“ durch eine<br />
Beratung aufgeklärt werden. Zeigen die<br />
Familien und deren Kinder bereits erste<br />
Zeichen und Symptome einer Störung,<br />
sollten sie „indiziert-präventiv“ beraten<br />
und therapiert werden.<br />
Abwendung<br />
z.B.<br />
Blickkontakt,<br />
lautieren<br />
z.B. Schlafen,<br />
Dösen, aufmerksam<br />
sein, unruhig werden,<br />
quengeln, schreien<br />
Bewegungen,<br />
Tonusbalance,<br />
Modulation der<br />
Körperhaltung<br />
z.B. Hautverfärbung,<br />
Verdauung, Atmung<br />
Feinzeichen im Entwicklungsmodell<br />
Als und Brazelton (1984) fassen die Feinzeichen<br />
in 4 psychophysischen Verhaltenssystemen<br />
zusammen. Diese Verhaltenssysteme<br />
unterliegen einem Entwicklungsverlauf<br />
und organisieren und stabilisieren<br />
sich aufsteigend in vorgegebener<br />
Entwicklungsreihenfolge.<br />
Sowohl über die Atmung und die Verdauung<br />
(autonomes System), über die Tonusbalance<br />
und Körperhaltung (motorisches<br />
System), die verschiedenen Schlafarten<br />
und Erregungsniveaus im Wachsein<br />
(Schlaf-/Wachsystem) als auch die kognitive<br />
Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit<br />
(Interaktives Modell) kann die Situation<br />
des Kindes genau eingeschätzt<br />
werden. Sucht das Baby beispielsweise<br />
bei rosiger Haut, regelmäßiger Atmung<br />
und wachem Zustand, entspannter Körperhaltung<br />
lächelnd den Blick der Bezugsperson,<br />
sind dies eindeutige Zeichen von<br />
Offenheit. Wendet es hingegen den Blick<br />
ab, gähnt oder grimassiert, nimmt seine<br />
Hände an die Ohren und macht ein eher<br />
ausdrucksloses Gesicht, deutet dies eher<br />
auf eine Selbstregulation hin. Zeichen<br />
einer Dysbalance sind starkes Überstrecken,<br />
sich wegdrehen, abwenden von der<br />
Bezugsperson, körperliches Erstarren,<br />
eine gepresste, unregelmäßige Atmung<br />
bei marmorierter, geröteter oder auch<br />
blasser Haut.<br />
Entwicklungspsychologische<br />
Beratung<br />
Ist eine spezifische und individuelle Beratung<br />
zur frühen Beziehungsförderung<br />
Zuwendung<br />
Interaktives System<br />
Schlaf-Wach-System<br />
Motorisches System<br />
Autonomes System<br />
Die Anwendung<br />
der psychophysischen<br />
Verhaltenssystemen<br />
beeinflusst<br />
die Abwendung<br />
oder<br />
Zuwendung<br />
des Babys von<br />
seinen Eltern.<br />
16
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />
Offenheit, Selbstregulation und Dysbalance<br />
können anhand von eindeutigen Merkmalen<br />
erkannt werden (hier: Selbstregulation<br />
durch Grimassieren, leichtes Fäusteln).<br />
© Universitätsklinikum Ulm<br />
notwendig, bietet sich die entwicklungspsychologische<br />
Beratung an. Diese basiert<br />
auf entwicklungspsychologischem Wissen<br />
sowie Verhaltensbeobachtung und ist<br />
sehr konkret an den Regulations- und<br />
Ausdrucksverhaltensweisen des Kindes<br />
ausgerichtet. Sie ist als Baustein konzipiert,<br />
der sich in unterschiedlichen Praxisfeldern<br />
und institutionellen Hilfestrukturen<br />
integrieren lässt und kommt sowohl<br />
selektiv- als auch indiziert präventiv<br />
zum Einsatz. Sie kann ebenfalls als<br />
Diagnostikgrundlage in Hochrisikosituationen<br />
genutzt werden. Die darauf aufbauende<br />
Beratung ist ressourcenorientiert<br />
und erfolgt, basierend auf Video-<br />
Feedback, in Anwesenheit des Säuglings:<br />
Anhand von kurzen Videoszenen wird das<br />
Verhalten aus der Perspektive des Säuglings<br />
beschrieben und das elterliche Verhalten<br />
darauf bezogen. Positive Interaktionen<br />
werden einbezogen und negativen<br />
vorangestellt.<br />
Lese- und Lerntipps<br />
Ziegenhain, Gebauer, Ziesel, Künster, Fegert:<br />
Lernprogramm Baby-Lesen: Übungsfilme für<br />
Hebammen, Kinderärzte, Kinderkrankenschwestern<br />
und Sozialberufe. <strong>Hippokrates</strong> Verlag,<br />
2010, ISBN 9783830454823<br />
<strong>Der</strong>ksen, Lohmann: Baby-Lesen: Die Signale des<br />
Säuglings lesen und verstehen. <strong>Hippokrates</strong><br />
Verlag, 2013, ISBN 9783830455318<br />
Ziegenhain, Gebauer, Künster, Thurn, Backes,<br />
Reichle: Auf den Anfang kommt es an. Ein<br />
Kurs für junge Eltern. Kursmaterial für Dozent/<br />
innen, 34 Module à 90 Min. (Schwangerschaft,<br />
Neugeborenenzeit, 1. Lebensjahr). Vertrieb durch<br />
die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in<br />
Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)<br />
■<br />
„Berührung mit<br />
Respekt ® “ oder:<br />
Wie Eltern ihr Baby<br />
besser lesen lernen<br />
Ute Laves, Hebamme und Ausbilderin der<br />
Internationalen/Deutschen Gesellschaft für<br />
Babymassage e.V., startete ihre Präsentation<br />
zu den vielfältigen positiven Aspekten<br />
der Babymassage mit einer<br />
kritischen Bestandsaufnahme: Die zunehmende<br />
Unsicherheit der Frauen und ihrer<br />
Familien ändert auch das Zeitmanagement<br />
und die Einkommenslage der Hebammen.<br />
Sie stellt die Frage, ob Hebammen<br />
mittlerweile neben ihrer Kernarbeit<br />
mehr und mehr als „Mädchen für Alles“,<br />
z. B. als Sozial- und Lebensberaterin, fungieren?<br />
Können sich Hebammen selbst<br />
entlasten, indem sie das Bauchgefühl der<br />
Eltern stärken? Hier könnte Berührung<br />
ein Schlüssel sein, denn „Berührung ist<br />
unsere erste Sprache“ – so Laves.<br />
Ein Ansatz ist:<br />
„Berührung mit Respekt ® “<br />
Mit dem schon in 48 Ländern vertretenden<br />
Konzept der International Association of Infant<br />
Massage (IAIM), das von Vimala Schneider<br />
McClure initiiert wurde, und seiner von<br />
Laves 1995 gegründeten nationalen Vertretung<br />
der Deutsche Gesellschaft für Babyund<br />
Kindermassage (DGBM) e.V. – „Berührung<br />
mit Respekt ® “ – lernen Eltern, ihr Kind<br />
aufmerksam anzuschauen, dessen Signale<br />
zu erkennen und zu respektieren. Respekt<br />
heißt hier: vor der Massage wird mit einem<br />
Ritual das Kind um Erlaubnis gefragt.<br />
Für das Baby bedeutet dieses Ritual der<br />
elterlichen Handlungen eine gewisse<br />
Berechenbarkeit die zu einer emotiona-<br />
len Sicherheit beitragen kann.<br />
Kern der IAIM-Massage!<br />
Eltern fragen ihr Kind vor der<br />
Massage um Erlaubnis – das ist:<br />
„Berührung mit Respekt ® “<br />
DGBM e.V.<br />
In den 18 Jahren seines Bestehens sind<br />
über die DGBM e.V., als gemeinnützigem<br />
Verein, in über 350 Ausbildungen ca. 3500<br />
Kursleiter für Baby- und seit 2011 auch<br />
für Kindermassage ausgebildet worden.<br />
Die DGBM e.V. mit 600 aktiven Mitgliedern<br />
ist bundesweit der einzige Anbieter<br />
für Ausbildungen, der seine Teilnehmer<br />
durch einen Verein weiter unterstützt.<br />
Jährliche Konferenzen mit Aufbauseminaren<br />
zu Kommunikation, Frühgeborene,<br />
besondere Bedürfnisse etc. stärken auch<br />
fortlaufend die Kompetenzen der Kursleiterinnen.<br />
Kursleiterausbildung und<br />
Tätigkeitsbereiche<br />
Die Ausbildung wird sowohl bundesweit<br />
als auch international angeboten und<br />
beträgt 4 Tage. Zur Qualitätssicherung<br />
schließt sich im Anschluss an die Ausbildung<br />
ein Zertifizierungsprozess mit<br />
einem schriftlichen und praktischen Teil<br />
an, der von den Trainerinnen ausgewertet<br />
wird. Die Kursleiterinnen erhalten ein<br />
Handbuch, einen Arbeitsordner sowie ein<br />
Elternbuch. Es wird eine Hospitation bei<br />
Wenn das Baby aufmerksam<br />
ist, können<br />
die Eltern diesen Moment<br />
für einen innigen<br />
Kontakt nutzen.<br />
© Bübchen<br />
17
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
einer erfahrenen Kursleiterin empfohlen,<br />
bzw. bei der Kindermassage-Kursleiterausbildung<br />
gehört sie dazu.<br />
Zertifizierte Kursleiterinnen bieten ihre<br />
Kurse in Hebammen- und Arztpraxen,<br />
Krankenhäusern, Familienzentren, Fabi‘s,<br />
Mutter-Kind-Häuser oder Kurzentren an.<br />
Auf kinderonkologischen Stationen und<br />
in einigen Kliniken werden z. B. Eltern mit<br />
Frühgeborenen bereits mit der Baby- und<br />
Kindermassage-Methode der DGBM e.V.<br />
begleitet.<br />
Vorteile für alle Beteiligten<br />
Die zärtliche Interaktion und Berührung<br />
wirkt vor allem entspannend, denn der<br />
Körper schüttet vermehrt das „Kuschelhormon“<br />
Oxytocin aus und senkt das<br />
Stresshormon Kortisol – beim Baby und<br />
auch beim massierenden Elternteil. Das<br />
wiederkehrende Ritual einer Massage<br />
kann das Baby auf Entspannung konditionieren,<br />
sodass die Massage auch in stressigen<br />
Situationen zur Regulation beitragen<br />
kann. Durch solche Erfolgserlebnisse<br />
erleben sich die Eltern als kompetent. Bei<br />
Koliken gibt es spezielle Techniken, welche<br />
die Krämpfe lösen. Ganz nebenher<br />
fördert und stimuliert die Mutter bzw.<br />
der Massierende dadurch auch die sensorische<br />
Integration des Kindes – auf verschiedenen<br />
Wahrnehmungsebenen (z. B.<br />
Tiefenwahrnehmung, Körperbild). Diese<br />
Momente schulen das Auge der Eltern für<br />
Veränderungen beim Kind und verstärken<br />
den Bindungsprozess. Die Babymassage<br />
bringt in unserer schnelllebigen Zeit<br />
mit vielen Stressquellen zudem eine Art<br />
Entschleunigung für die Eltern, denn:<br />
Babys leben in einer langsameren Zeit als<br />
Erwachsene. Durch die Babymassage können<br />
sich auch die Eltern an die andere<br />
Zeitwahrnehmung ihrer Babys angleichen.<br />
An dieser Stelle zitierte Laves das<br />
Erfolgserlebnis einer Mutter: „Er ist ausgeglichener,<br />
genießt es massiert zu werden<br />
und entspannt sich dabei. Er hat eine bessere<br />
Körperwahrnehmung bekommen. Die<br />
Beziehung hat sich durch die Massage vertieft.“<br />
Die Kursleiterin tritt als „Gastgeberin“ auf<br />
und „verwöhnt“ die Teilnehmer, indem<br />
sie eine angenehme Atmosphäre schafft,<br />
einen Tee oder eine kleine Erfrischung bereit<br />
stellt. Sie zeigt die Massagetechniken<br />
mit einer Puppe und fungiert so als<br />
Rollenmodell. Sie kommuniziert über<br />
das Konzept des aktiven Zuhörens. Das<br />
bedeutet, sie nimmt sich zurück, gibt<br />
keinen direkten medizinischen oder pädagogischen<br />
Rat. Sie gibt vielmehr positive<br />
Rückmeldungen und betont das was<br />
gelingt und gut funktioniert. Das bringt<br />
– laut Laves langjähriger Erfahrung – für<br />
die Hebamme große Entlastung, denn:<br />
Eltern finden durch aktives Zuhören ihre<br />
eigene Antwort, tauschen sich untereinander<br />
aus und stärken so ihre eigenen<br />
Kompetenzen. Natürlich bedeutet das im<br />
Umkehrschluss: Die Kursleiterin muss<br />
aushalten, wenn die Eltern ihren eigenen<br />
Weg gehen und anders handeln, als sie es<br />
vorschlagen würde.<br />
Für ein gutes Timing:<br />
Bewusstseinszustände<br />
richtig deuten<br />
Aber wann ist der beste Moment für die<br />
Kontaktaufnahme mit dem Baby und eine<br />
Massage? Das hängt alleine von seinem<br />
Schlaf- und Wachzustand ab, was an seinen<br />
Bewusstseinszuständen und Verhaltensweisen<br />
erkennbar ist. Manchmal ist<br />
das Baby einfach damit beschäftigt, andere<br />
Eindrücke wahrzunehmen und zu<br />
verarbeiten. Wer sich Zeit nimmt, den<br />
Säugling eine Zeit lang aufmerksam zu<br />
beobachten, der lernt bald, wann es für<br />
einen Kontakt bereit ist, wann es besser<br />
eine Auszeit oder Unterstützung benötigt,<br />
um zur Ruhe zu kommen. Dabei betont<br />
Laves, dass bei der Kommunikation<br />
mit dem Baby gilt: Weniger ist oft mehr!<br />
Hier können auch die Bewusstseinszustände<br />
nach Brazelton helfen:<br />
▶ Tiefschlaf, ruhiger Schlaf<br />
▶ REM-Schlaf, aktiver Schlaf, Traumphasenschlaf<br />
▶ Aufwachend/verträumt und einschlafend<br />
(Übergangszustand vom Schlafen<br />
zum Wachsein)<br />
▶ Ruhig-aufmerksam<br />
▶ Wach, erzählend<br />
▶ Quengelnd/unruhig, ein Bedürfnis an<br />
meldend (Übergangszustand vom<br />
Wach sein zum Weinen)<br />
▶ Weinend<br />
Eine Möglichkeit für die<br />
ganze Familie<br />
Auch Väter profitieren von der Babymassage,<br />
denn sie bauen einen positiven Kontakt<br />
zum Kind auf und lernen ihre fürsorgliche<br />
Seite kennen und diese auszuleben.<br />
Das stärkt die eigenen väterlichen<br />
Kompetenzen und entlastet die Mütter.<br />
Zahlreiche Väter sind positiv überrascht,<br />
dass man vieles mit dem Baby auch schon<br />
in diesem Alter machen kann. Gibt es<br />
schon Geschwisterkinder in der Familie,<br />
EXKURS – Kurskonzept zur Babymassage: Berührung mit Respekt ®<br />
Thordis Zwartyes, Referentin der DGBM e.V., Kursleiterin, IAIM Trainerin und<br />
Präventionsberaterin aus Bad Aibling, zeigte, wie sich die Idee von einem<br />
Babymassage-Kurs in die Tat umsetzen lässt und welche Planungselemente<br />
dabei eine besonders große Rolle spielen.<br />
Möchten Hebammen einen solchen Kurs ins Leben rufen, sollten sie zuerst die<br />
Rahmenbedingungen abstecken: z. B. die persönlichen Ziele definieren, das<br />
Kurskonzept erstellen, Raum, Multiplikatoren und Kooperationspartner organisieren.<br />
Sehr wichtig ist zudem ein Informationstermin für Eltern, um diese mit<br />
dem Konzept vertraut zu machen und davon zu überzeugen. Dabei sollte die<br />
Hebamme die Vorteile für Eltern und Kind aufzeigen, den Ablauf kurz beschreiben<br />
und sich selbst ins rechte Licht setzen (Qualifikation). Natürlich spielen auch<br />
Kurspreis und -dauer sowie die Gruppengröße und die Möglichkeiten des<br />
Raumes eine Rolle. Nicht fehlen darf eine kurze Beschreibung des Kursaufbaus<br />
jeder Stunde. Die Gestaltung eines Babymassagekurses hat immer auch einen<br />
großen psychosozialen Aspekt. Gestaltet die Hebamme den Kurs mit KARISMA<br />
(Kontakt–Achtsamkeit–Respekt–Intuition–Sensibilität–Massage–Aufmerksamkeit),<br />
kann sie viel bewegen.<br />
18
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />
100 %<br />
80 %<br />
60 %<br />
40 %<br />
20 %<br />
0 %<br />
bietet die Massage mit dem größeren<br />
Kind die Möglichkeit, die ungeteilte Aufmerksamkeit<br />
der Eltern zu erhalten. In<br />
manchen Familien massieren die Geschwisterkinder<br />
das Baby und begleiten<br />
so Schwester oder Bruder beim Heranwachsen<br />
und bauen dadurch häufig schon<br />
früh eine intensive Beziehung auf.<br />
Babymassage und Wochenbettdepression<br />
Eine Studie mit 100 Frauen (Onozawa K<br />
et al.: Journal of Affective Disorders, 2001)<br />
zeigte zudem, dass Frauen mit einer Wochenbettdepression<br />
mehr von der Durchführung<br />
eines Babymassagekurs profitieren<br />
als von einer Selbsthilfegruppe. Die<br />
Mütter die an einen Babymassagekurs mit<br />
6 Einheiten teilgenommen hatten, wiesen<br />
nach einem Jahr Werte auf, wie die<br />
Frauen aus der Kontrollgruppe, die keine<br />
Depressionen hatten.<br />
Zur Beurteilung zogen die Wissenschaftler<br />
die EPDS heran – ein 10-teiliger Fragebogen<br />
für die Diagnose einer postnatalen<br />
Depression. Zudem wurden die<br />
Feinfühligkeit der Mutter durch Videogestützte<br />
Beobachtungen dokumentiert.<br />
www.dgbm.de<br />
www.iaim.net<br />
Lesetipp<br />
87,1 %<br />
63,3 %<br />
Babymassagekurs Kontrollgruppe<br />
Prozentuale, klinisch signifikante Veränderung<br />
einer Wochenbettdepression innerhalb<br />
eines Jahres, die von einem Babymassagekurs<br />
begleitet wurde. © Onozawa K<br />
et al.: Journal of Affective Disorders, 2001<br />
Laves: Liebe hautnah erleben. Ein Begleitbuch<br />
für die Babymassage. infantastic, 2001,<br />
ISBN 9783000076046<br />
■<br />
EXKURS – Uplift-Aufwind e.V.: Engagement für Kinder in Kirgistan<br />
Erschreckend: In Kirgistan wachsen heute 20.000 Kinder ohne Eltern auf.<br />
Dort zählen sie größtenteils nur als Nummer, werden „verwaltet“.<br />
Das Pflegepersonal in den überfüllten Waisenhäusern ist häufig überfordert.<br />
Maren Ernst und einige Mitstreiterinnen haben seit 2007 genau diese Kinder mit<br />
dem Projekt Uplift-Aufwind e.V. in ihren persönlichen Fokus gerückt.<br />
<strong>Der</strong> grüne Drache in Kirgistan<br />
<strong>Der</strong> grüne Drache ist das Erkennungsmerkmal des internationalen Projektes.<br />
Uplift-Aufwind e.V. betreut zurzeit (2012/13) 180 Kinder in 4 Heimen mit rund<br />
50 ausgebildeten Uplift-Müttern und vielen weiteren ehrenamtlichen Helferinnen.<br />
500 Kindern konnte in den vergangenen 5 Jahren ein besserer Start ins<br />
Leben ermöglicht werden. Uplift-Mütter müssen zur Unterstützung des Projektes<br />
lediglich 2 wichtige Voraussetzungen mitbringen: Liebe und Verantwortungsbewusstsein.<br />
Die fachliche Schulung, Begleitung (Supervision) sowie eine<br />
Aufwandsentschädigung oder einen festen Lohn erhalten sie von Uplift.<br />
Berührung ist der Schlüssel zum Leben<br />
Das Schlüsselkonzept ist neben der medizinischen und physiotherapeutischen<br />
notwendigen Versorgung vor allem Fürsorge, Liebe und Berührung für die<br />
schutzbedürftigen Kleinen, denn ein Mangel an Berührung führt nachweislich<br />
zu körperlichen und psychischen Schäden. Deshalb ist die Zuwendung durch<br />
ausgebildete Uplift--Mütter eines der wichtigsten Bestandteile von Uplift-Aufwind<br />
e.V., damit sich aus der Nummer ein Mensch, eine richtige Persönlichkeit<br />
entwickelt. Dass auf Worte auch Taten folgen, veranschaulichte Ernst mit<br />
zahlreichen Bildern und einem Film, der ebenso „berührte“.<br />
Adoptionsfreigaben verhindern<br />
Auch in diesem Bereich ist Uplift-Aufwind e.V. aktiv<br />
tätig. Die Arbeit vor Ort erfolgt Hand in Hand mit den<br />
Müttern. Vor allem Neugeborene, die mit einer<br />
Behinderung das Licht der Welt erblickt haben, werden<br />
häufig ins Waisenhaus gebracht, da sich die Eltern<br />
dieser Herausforderung nicht gewachsen fühlen und<br />
sie von ihrem Umfeld nicht dazu ermutigt werden, ein Kind mit besonderen<br />
Herausforderungen zu behalten. An dieser Stelle kommen die Frauen von Uplift<br />
zum Einsatz und stärken die Eltern, um eine Adoption und somit die Trennung<br />
von der leiblichen Mutter zu verhindern, sodass die Kleinen bestenfalls wieder<br />
in die Familie integriert werden können.<br />
Unterstützung jeglicher Art ist gefragt<br />
Neben der aktiven Beteiligung der Uplift-Mütter und ehrenamtlichen Helferinnen<br />
ist der Verein auch auf finanzielle Unterstützung, z. B. durch Spenden,<br />
angewiesen. Ernst brachte zum Bübchen Hebammen Seminarkongress farbenfrohe<br />
Filzschuhe für Babys und Kleinkinder mit. Das Besondere: Sie waren alle<br />
von kirgisischen Frauen handgefertigt. Gegen eine kleine Spende, deren Erlös<br />
selbstverständlich dem Verein zu Gute kam, konnten sich interessierte Hebammen<br />
ein Paar aussuchen. Insgesamt kamen hier über 700,00 € für das Projekt<br />
zusammen. Diese Summe wurde von Bübchen auf 1500,00 € verdoppelt und<br />
anschließend diesem wunderbaren Projekt zur Verfügung gestellt.<br />
www.uplift-aufwind.org<br />
19
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Sprachlicher Handwerkskoffer<br />
für<br />
Hebammen<br />
Die Arbeitszufriedenheit einer Hebamme<br />
wird nicht nur maßgeblich durch ein<br />
gutes Gefühl sowie Erfolgserlebnisse bei<br />
ihrer Tätigkeit bestimmt. Auch die Wertschätzung<br />
durch andere Personen wie Eltern,<br />
Ärzte und Kolleginnen verhindert<br />
Frust und Stress und motiviert die Hebamme<br />
dazu, ihre persönliche Linie weiter<br />
zu verfolgen. Wie aber erreicht sie ihre<br />
Ziele dabei? Neben Erfahrung, medizinischem<br />
Wissen, „handwerklichem“ Geschick<br />
und Empathie, ist kommunikatives<br />
Geschick unerlässlich für ihren Praxisalltag.<br />
Das genau war Thema des Seminars<br />
„Sprachlicher Handwerkskoffer für Hebammen“,<br />
das Prof. Dr. med. Wolfgang<br />
Kölfen mit vielen praxisnahen Tipps bereicherte.<br />
Zahlreiche persönliche Anekdoten<br />
aus seiner langjährigen Erfahrung<br />
als Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche,<br />
Elisabeth Krankenhaus Städtische<br />
Kliniken Mönchengladbach zeigten,<br />
wie die Hebamme von einer professionellen<br />
Kommunikation profitiert und<br />
dabei zufriedener wird. Konflikte im<br />
Team oder mit den Eltern lassen sich –<br />
schon aufgrund der heutigen Personalund<br />
Zeitnot – nicht immer vermeiden. In<br />
einem solchen Fall bleibt die Hebamme<br />
entspannter, wenn sie sich rhetorisch<br />
gerüstet fühlt.<br />
Nonverbale und verbale<br />
Kommunikation<br />
Dies beginnt schon bei der nonverbalen<br />
Kommunikation, denn die Körpersprache<br />
(z. B. Mimik, Gestik, Blick, Haltung) gibt<br />
Aufschluss über die Gefühlslage. Steht die<br />
Hebamme sicher, hat sie eine aufrechte,<br />
aber gelassene Körperhaltung und begegnet<br />
dem Gegenüber mit offenem und<br />
festem Blick, so signalisiert sie ihm schon<br />
ohne Sprache Sympathie. Körpersprache<br />
und Redeinhalt sollten dabei übereinstimmen.<br />
Weitere positive Signale sind<br />
Kopfnicken, Blickkontakt, Sitzstellung<br />
dem Patienten zugeordnet, ein kleines<br />
Lächeln sowie in manchen Fällen ein mitfühlender<br />
Blick.<br />
Bei der verbalen Kommunikation, also der<br />
Gesprächsführung, können die 5 K angewendet<br />
werden und unterstützen:<br />
▶ Kurz: kurze Sätze, nicht mehr als 7–8<br />
Worte<br />
▶ Klar: keine Fachtermine und verschachtelten<br />
Sätze<br />
▶ Konkret: Bilder, Beispiele, Vergleiche<br />
verwenden<br />
▶ Konstruktiv: Positives zuerst, ressourcenorientiert,<br />
nicht defizitär<br />
▶ Kontrolle des Verständnisses: Nachfragen<br />
„Notfall-Kommunikation“<br />
In Konfliktsituationen gibt es zudem verschiedene<br />
Fragearten und Abwehrtechniken,<br />
mit denen die Hebamme die Unterhaltung<br />
entschärfen kann. Weiche Abwehrtechniken<br />
sind, das Gegenüber mit<br />
Komplimenten zu verwirren, anderweitig<br />
abzulenken, statt einer Antwort diese<br />
ein wenig zu verzögern oder gar eine<br />
neue Perspektive zu finden. Harte Abwehrtechniken<br />
hingegen sind in sehr<br />
stressigen Situationen häufig die bessere<br />
Wahl, den Gesprächspartner zu besänftigen.<br />
Diese sind:<br />
▶ „Wie bitte?“-Methode<br />
▶ „Gerade weil“-Technik<br />
▶ „Besser als“-Technik<br />
▶ „Kennen Sie?“-Methode<br />
▶ Übersetzer Technik: „Wollen Sie damit<br />
sagen?“<br />
Bei besonders nervigen und schwierigen<br />
Eltern hat es sich auch als sehr erfolgreich<br />
erwiesen, für sich persönlich die Emotionen<br />
trotz eigenen „hormonellen Nebels“<br />
(Cortisol, Adrenalin etc.) vom Verhandlungsgegenstand<br />
zu trennen. Die Hebamme<br />
kann dann mit einer Äußerung wie<br />
beispielweise „Ich verstehe, dass Sie aufgebracht<br />
sind, lassen Sie uns doch gemeinsam<br />
nach einer Lösung suchen.“ die Basis<br />
zur Findung für einen Kompromiss schaffen.<br />
Kölfen nennt solche Sätze sehr passend<br />
„Stoßdämpfer“.<br />
■<br />
Von der Idee zum<br />
Konzept: Mein individueller<br />
Eltern-Kurs<br />
Viele Hebammen haben innovative Ideen<br />
für einen Elternkurs, aber: Worin liegt eigentlich<br />
das Problem bei der Erarbeitung<br />
eines Konzeptes? Genau genommen, gibt<br />
es 7 Herausforderungen, die den gesamten<br />
Arbeitsablauf beeinflussen – so Gabriele<br />
Stenz, Hebamme und Lehrerin für<br />
Hebammenwesen, Qualitätsmanagerin<br />
und Auditorin aus Delmenhorst. Die folgende<br />
praxisbezogene Anleitung hilft<br />
Hebammen, diese Hürden zu meistern.<br />
1. „Meine Zeit reicht nicht aus“<br />
Zeitdruck ist ein Kreativitätsräuber. So<br />
sollten Hebammen mit einer guten Idee<br />
versuchen, intuitiv Antworten und Lösungsrichtungen<br />
zu finden und das Ganze<br />
auch ein Stück weit auf sich zukommen<br />
zu lassen, denn: Intuitionen sind verdichtete<br />
Lebens- und Berufserfahrungen und<br />
damit die wichtigste Quelle der Kreativität<br />
und praktischen Intelligenz – als perfekte<br />
Basis für die anschließende Konzeptionsarbeit.<br />
2. „Warum brauche ich überhaupt<br />
ein Konzept?“<br />
Ein Konzept hat für die Hebammenarbeit<br />
im Wesentlichen 4 Grundfunktionen:<br />
▶ Strategische Entscheidungshilfe: Das<br />
Konzept öffnet den Blick für den<br />
gesamten Horizont der Möglichkeiten<br />
und der Kommunikation, sorgt für<br />
Transparenz und gibt neue Impulse,<br />
die schlussendlich zur Entscheidung<br />
führen.<br />
▶ Praktische Richtschnur: Das Konzept<br />
ist eine Gebrauchsanweisung. Es zeigt<br />
den Eltern/Beteiligten, wo und wie es<br />
lang gehen soll. Die Richtschnur des<br />
Konzepts wird zu dem großen Strang,<br />
an dem alle ziehen.<br />
▶ Ökonomische Planungsbasis: Für die<br />
Hebamme ist das Konzept eine handfeste<br />
Planungsgrundlage. Es dokumentiert,<br />
welche Leistungen mit welchem<br />
Aufwand zu welchem Nutzen erbracht<br />
werden.<br />
20
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Hebammenpraxis<br />
▶ Motivierende Stimulans: Ein gutes<br />
Konzept begeistert und zieht alle mit.<br />
Ein Kurs ohne Konzept erscheint hingegen<br />
diffus, manchmal sogar widersprüchlich<br />
und findet nicht die gewünschte<br />
Akzeptanz bei der Zielgruppe.<br />
Eine gewissenhafte Konzepterstellung<br />
sollte etwa 60–80 % der Zeit in<br />
Anspruch nehmen, die Ausführung<br />
und Ausformulierung hingegen nur<br />
etwa 20–40 %.<br />
3. „Die Informationsbeschaffung“<br />
Meist wird die Anstrengung der Informationsbeschaffung<br />
und -ordnung erheblich<br />
unterschätzt, der Aufwand für das<br />
textliche Formulieren aber erheblich<br />
überschätzt. Gut recherchierte Fakten<br />
sind essenziell, damit das Gesamtbild des<br />
Konzeptes stimmig wird.<br />
4. „Es ist viel zu viel“<br />
„Es ist viel zu viel Material und Stoff, als<br />
dass ich alles gleichzeitig im Kopf behalten<br />
und in eine wirkliche Übersicht bringen<br />
könnte.“ Müssen Sie wirklich alles lesen<br />
und durcharbeiten? Und müssen Sie alles<br />
zugleich im Gedächtnis jonglieren? Die<br />
Antwort lautet eindeutig: Nein! Mit<br />
Mind-Mapping wird es übersichtlich!<br />
Machen Sie sich frei vom alten Arbeitsparadigma<br />
– es gibt effizientere Methoden,<br />
die weder die Lesekapazität übersteigen,<br />
noch das Gehirn überlasten und<br />
gleichzeitig alle Informationen strukturieren.<br />
5. „Ich blicke nicht durch“<br />
„Mit der Stofffülle habe ich keine Probleme,<br />
aber wie soll ich die unterschiedlichen Fakten<br />
zueinander in Beziehung setzen und<br />
dann interpretieren?“ Insbesondere, wenn<br />
eine Sachlage widersprüchlich und sehr<br />
komplex zu sein scheint, gibt es qualitativ<br />
bewertende sowie quantitativ messende<br />
Methoden (z. B. den Morphologischen<br />
Kasten). Sie bringen Unterstützung<br />
und verhindern, dass die Hebamme<br />
sich nicht schon vor Beginn von Scheinproblemen<br />
demotivieren lässt!<br />
6. „Ich bin nicht kreativ“<br />
Häufig besteht das Kreativsein lediglich<br />
in einer neuartigen Verknüpfung bereits<br />
vorhandenen Wissens, darin, dass man<br />
Sachverhalte aus neuen Perspektiven betrachtet<br />
– und dann einfach mal um die<br />
Ecke zu denken. Zusätzlich hilft es, mit<br />
anderen Hebammen gemeinsam kreative<br />
Ideen zu entwickeln. Es kommt vor allem<br />
darauf an, erst einmal möglichst viele<br />
Ideen zu erzeugen, um aus ihnen dann<br />
die beste(n) und innovativste(n) herauszufiltern.<br />
7. „Jetzt geht’s los“<br />
Bevor es endgültig an die Umsetzung<br />
geht, sollten folgende Punkte durchgearbeitet<br />
werden:<br />
▶ Welchem unternehmerischen Ziel<br />
dient das Konzept?<br />
▶ Konzept mithilfe von Gliederungspunkten<br />
strukturieren!<br />
▶ Gibt es ein persönliches Ziel? Dieses<br />
sollte konkret und kurz formuliert<br />
sein!<br />
▶ Bestenfalls die Ideen, Ziele etc. mit<br />
einer Mind-Map verdeutlichen!<br />
▶ Zeitschienen erarbeiten (z. B. Kostenplanung,<br />
Raumsuche, Recherche)!<br />
▶ Welche organisatorischen Rahmenbedingungen<br />
sind bekannt?<br />
▶ Das Konzept von mindestens einer<br />
kompetenten Person lesen lassen!<br />
▶ Wie soll das Angebot weiterverbreitet<br />
werden? Darüber reden! ■<br />
Wie bringe ich meinen<br />
Kurs an die Frau?<br />
Sich erfolgreich zu präsentieren und bekanntzumachen<br />
ist neben der Ideenfindung<br />
und Umsetzung die wichtigste Voraussetzung<br />
für eine erfolgreiche Selbstständigkeit.<br />
Christiane Münkwitz, selbst<br />
freiberufliche Hebamme aus Lübeck und<br />
Managerin im Sozial- und Gesundheitswesen<br />
berät viele freiberufliche Hebammen<br />
und Hebammengeleitete Einrichtungen.<br />
So konnte sie in ihrem Seminar<br />
auch aus langjähriger Erfahrung sprechen,<br />
welche Möglichkeiten, Methoden<br />
und Marketingideen besonders Erfolg<br />
versprechend sind.<br />
Internet- und Printkommunikation<br />
Laut einer Studie von BITKOM (2011) beginnen<br />
mittlerweile 90 % aller Kaufentscheidungsprozesse<br />
online. Somit kann<br />
die Hebamme über das Internet schon<br />
einen Großteil ihrer Zielgruppe erreichen.<br />
Auf einer professionell gestalteten Homepage<br />
sollte die Hebamme der Interessentin<br />
mithilfe einer einfachen Bedienung<br />
eine eindeutige Orientierung bieten, insbesondere<br />
für die Kontaktaufnahme. Die<br />
Website sollte zudem aussehen wie die<br />
angebotene Dienstleistung und deren<br />
Image widerspiegeln. Darum sollte nur<br />
Bildmaterial bester Qualität dort seinen<br />
Platz finden und bestimmte Farben und<br />
Symbole immer wieder auftauchen. Auf<br />
einem Flyer oder der Visitenkarte ist weniger<br />
mehr: Hier sollte kurz und knackig<br />
die Art der Dienstleistung und der Nutzen<br />
kommuniziert werden. Wenn sich der rote<br />
Faden vom Internetauftritt, über Printmedien<br />
bis hin zum Betreten der Praxis<br />
durchzieht, dann steht dem Erfolg nichts<br />
mehr im Wege.<br />
Finanzen und Qualitätskontrolle<br />
Auch wenn das Hebammenherz sehr<br />
hilfsbereit ist und gerne Gutes tut, so<br />
sollte die Hebamme nicht vergessen, für<br />
ihre Arbeit ein angemessenes Honorar zu<br />
verlangen. Das Geheimnis des finanziellen<br />
Erfolges ist einfach: Mehr Einnehmen<br />
als Ausgeben! Ausgehend von der finanziellen<br />
Situation sollte die Hebamme<br />
überlegen, welche finanziellen Ziele sie<br />
hat und wie sie dorthin kommt. Neben<br />
einer Kooperation mit anderen Kursanbietern<br />
sind die effektive Kursplanung<br />
und die genaue Anwendung der Gebührenordnung<br />
wichtige Möglichkeiten<br />
ebenso wie Ausgaben stabil zu halten und<br />
Einnahmen zu steigern. Münkwitz gab<br />
den Seminar-Teilnehmerinnen folgende<br />
Botschaft mit auf den Weg: „Geben Sie<br />
Ihrem Hebammenherzen einen unternehmerischen<br />
Rahmen, der zu Ihnen passt!“<br />
Das bringt Authentizität und Erfolg! ■<br />
21
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
22<br />
EXKURS – Für die Zeit nach der<br />
Rückbildung: BauchBuggyGo<br />
und BauchBeutelPo<br />
Heike Thierbach, Dipl. Betriebswirtin,<br />
Wirtschaftspädagogin und mehrfach<br />
zertifizierte Fitness- und Pilates-Trainerin<br />
aus Lich, stellte sehr innovative<br />
Kurzkonzepte für die moderne<br />
Hebammenarbeit vor: Das Konzept<br />
BauchBuggyGo und BauchBeutelPo.<br />
Die veränderte Lebenssituation und<br />
der Mangel an Zeit, Schlaf und<br />
Babysittern führt bei vielen Müttern<br />
zu Unwohlsein, Vereinsamung und<br />
bei manchen sogar zu depressiven<br />
Verstimmungen. Ein Fitnesstraining<br />
unter gleichgesinnten Müttern<br />
mitsamt ihren Babys war und ist für<br />
Thierbach die Lösung des Problems.<br />
Sie entwickelte mit einem Team aus<br />
zertifizierten Trainerinnen, Physiotherapeutinnen,<br />
Sportwissenschaftlerinnen<br />
und Hebammen 2 ganzheitliche<br />
Fitnessprogramme. <strong>Der</strong> Kurs<br />
BauchBuggyGo ist ein Outdoortraining,<br />
bei dem der Kinderwagen als<br />
Trainingsgerät fungiert und so das<br />
Baby ebenfalls integriert wird. Beim<br />
BauchBeutelPo wird in einem Raum<br />
trainiert. Pilates-Übungen sind die<br />
Basis. Hier darf das Baby ebenfalls<br />
mitmachen: entweder im Tragetuch<br />
bzw. der Babytrage oder auf einer<br />
Matte bzw. Krabbeldecke. Bei<br />
beiden Kursen wird neben dem<br />
Beckenboden, der im Fokus steht,<br />
auch ausgiebig gedehnt und die<br />
Ausdauer und Kraft trainiert, was<br />
die Gewichtsreduktion fördert. Mit<br />
Flyern, Freikarten/Gutscheinen und<br />
Zeitungsanzeigen wurde für die<br />
Kurse geworben. Laut Thierbach ist<br />
jedoch die persönliche Empfehlung<br />
durch zufriedene Kunden immer<br />
noch am wirksamsten und zudem<br />
umsonst.<br />
Gesundheitsförderung<br />
nach<br />
der Geburt<br />
Welchen Stellenwert die Gesundheits-<br />
förderung nach der Geburt einnimmt,<br />
welche Themen hierbei besonders wichtig<br />
sind und künftig noch mehr Platz einnehmen<br />
sollten, thematisierte und erarbeitete<br />
Melita Grieshop interaktiv mit den<br />
Hebammen in ihrem Seminar. Die gelernte<br />
Hebamme und Dipl. Pflegepädagogin verdeutlichte,<br />
wie Hebammen durch partnerschaftliche<br />
Kommunikation mit den Eltern<br />
Gesundheitsförderungsbedarf identifizieren<br />
und auf einfühlsame Art und Weise<br />
mit den Ressourcen von Mutter und Vater<br />
eine nachhaltige Veränderung des Gesundheitsverhaltens<br />
erreichen können.<br />
Hebammen sollten die sensible<br />
Phase geschickt nutzen<br />
Gesundheitsförderung bedeutet, die körperliche<br />
und psychische Unversehrtheit<br />
bei Eltern und Kind aufrechtzuerhalten,<br />
deren subjektives Wohlbefinden zu verbessern<br />
und Gesundheitsstörungen und<br />
Krankheiten zu vermeiden. Damit ist<br />
auch die Unterlassung von Risikoverhalten<br />
(z. B. Rauchen, Alkohol) verknüpft.<br />
Schwangerschaft und Wochenbett sind<br />
dabei besonders sensible Lebensphasen,<br />
in denen die Frauen/Familien offen für<br />
Verhaltensveränderungen sind. Frauen<br />
bewerten die Hebammenbetreuung im<br />
Wochenbett als unterstützend und nutzen<br />
sie intensiv – mehr und mehr auch für<br />
psychosoziale Fragen. Durch diese hohe<br />
Akzeptanz haben Hebammen in der Wochenbettbetreuung<br />
die Möglichkeit, die<br />
Eltern für die Bedeutung ihres Gesundheitsverhaltens<br />
für ihre persönliche Gesundheit<br />
und für die Familiengesundheit<br />
zu sensibilisieren. Positive Veränderungen<br />
der elterlichen Lebensweise haben auch<br />
langfristige Auswirkungen auf die kindliche<br />
Gesundheit und Entwicklung .<br />
Für eine langfristige Verhaltensänderung<br />
ist es besonders effektiv und nachhaltig,<br />
alle Familienangehörigen, die stark in die<br />
Kindesbetreuung involviert sind, mit einzubeziehen<br />
und dabei vor allem die Eltern<br />
mit ihren Bedürfnissen dort abzuholen,<br />
wo sie „stehen“. Auf den Stärken und<br />
Ressourcen der Familienmitglieder aufbauend<br />
kann die Hebamme dann gemeinsam<br />
mit ihnen individuelle Strategien erarbeiten.<br />
Um eine gesundheitsbezogene Verhaltensänderung<br />
bei den jungen Eltern ins<br />
Rollen zu bringen, kann die „Klientenzentrierte<br />
Gesprächsführung“ bzw. Beratung<br />
(nach Weinberger S, 2004) genutzt<br />
werden. Diese sollte immer klar strukturiert<br />
sein:<br />
Schritt 1: Allgemeine Orientierung<br />
▶ Art des Problems bzw. Risikoverhaltens<br />
klären (Sach-, Beziehungsproblem<br />
…)<br />
▶ Bedeutung des Problems für die Frau<br />
verstehen<br />
▶ Erwartungen der Mutter hinsichtlich<br />
Gespräch/Beratung/Unterstützungsmaßnahmen<br />
klären – ggf. Hebammen-<br />
Handeln modifizieren und daran anpassen<br />
▶ Ressourcen der Mutter identifizieren<br />
(Was kann die Frau gut? Wo erlebt sie<br />
sich kompetent?)<br />
▶ Bisherige Schritte der Frau zur Verhaltensänderung<br />
erkunden<br />
Schritt 2: Problemanalyse und<br />
Zielfindung<br />
▶ Die einzelnen Elemente des Problems<br />
identifizieren<br />
▶ Selbstbild der Frau klären (Wie sieht<br />
sie sich? Wie bewertet sie ihr Selbstbild?)<br />
▶ Klären, wo es das Risikoverhalten nicht<br />
gibt/Suche nach Ausnahmen (Frau mit<br />
ihren „gesunden Anteilen“ in Kontakt<br />
bringen)<br />
▶ Gemeinsam konkretes Ziele und erste<br />
Teilziele definieren (Was ändern? Wie<br />
ändern?)<br />
▶ Die Frau in Kontakt mit ihrem „Veränderungspotenzial“<br />
bringen (Lösungsvision<br />
entwickeln)<br />
Schritt 3: Entwicklung von Alternativen<br />
▶ Alternative Vorgehensweisen zur Lösung<br />
des Problems entwickeln<br />
▶ Vorzeitige Bewertungen der Frau reflektieren<br />
(„Das hilft sowieso nicht“)
<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Hebammenpraxis<br />
▶ Soziales Umfeld der Mutter in Lösungsprozess<br />
einbeziehen<br />
▶ Evtl. antizipierte Reaktionen der Bezugspersonen<br />
im Rollenspiel bewusst<br />
machen<br />
▶ Alternativen konkretisieren (Was wollen<br />
Sie ganz genau tun?)<br />
Schritt 4: Entscheidungsfindung<br />
▶ Konsequenzen der einzelnen Alternativen<br />
klären<br />
▶ Kriterien:<br />
– persönliche Bedeutung<br />
– persönlicher Nutzen<br />
(kurz-/langfristig)<br />
– Selbstbild in der Zukunft<br />
▶ Weiteres Vorgehen vereinbaren<br />
Schritt 5: Verifikation<br />
▶ Erreichen/ Nichterreichen der gesetzten<br />
Ziele/Teilziele reflektieren<br />
▶ Im Veränderungsprozess die Effektivität<br />
der Maßnahmen bewerten,<br />
Schwierigkeiten und Stärken identifizieren<br />
▶ Alternative oder zusätzlich erforderliche<br />
Schritte erörtern<br />
Gespräche führen durch Fragen<br />
(einige Beispiele nach Bruns C, Christ H, Richter H: Kommunikation im Krankenhaus.<br />
Gespräche sicher und kompetent führen, 2000; Weinberger S, 2004)<br />
Rückkopplungsfragen<br />
Wichtig für den Verständigungsprozess, sie signalisieren bzw. sichern Verstehen,<br />
dienen als Feedback.<br />
Beispiel: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe …? Sie meinen also …?“<br />
Zirkuläre Fragen<br />
Klientin wird gefragt, was eine andere (nahe stehende) Person über ein Thema<br />
denkt.<br />
Beispiel: „Was meinen Sie, denkt ihr Mann darüber?“<br />
Rückführungsfragen<br />
Führen zum Ausgangspunkt zurück, wenn man vom Thema abgedriftet ist.<br />
Beispiel: „Meinen Sie nicht auch, wir sollten jetzt wieder zum Thema X kommen?“<br />
Skalierungsfragen<br />
Die Wichtigkeit eines Themas/Verhaltens klären.<br />
Beispiel: „Wie würden Sie ihr Befinden auf einer Skala von … bis … einstufen?“<br />
Wunderfragen<br />
Machen Vor- und Nachteile einer Lösungsoption deutlich.<br />
Beispiel: „Stellen Sie sich vor, über Nacht ist ein Wunder geschehen und das Problem<br />
ist gelöst. Woran würden Sie das merken?“<br />
Fantasiefragen<br />
Führen ebenso vom Problem weg und eröffnen neuen Handlungsspielraum.<br />
Beispiel: „Wie sieht das in 5 oder 10 Jahren aus?“<br />
„Aktiv sein heißt führen“ –<br />
Gespräche gestalten<br />
Aber nicht nur das WAS, sondern auch<br />
das verbale und nonverbale WIE haben<br />
einen großen Einfluss auf das Feedback<br />
der Familie: Versteht und schätzt die Hebamme<br />
die Mutter auf einfühlsame Weise<br />
(Empathie) und wirkt sie echt und kongruent,<br />
erhält sie wichtige Informationen<br />
für ihre Beratung und kann direkt dort<br />
ansetzen. Durch respektvolle und geschickte<br />
Gesprächsführung der Hebamme<br />
reflektiert sich die Mutter (Selbstexploration)<br />
und kann so mögliche Probleme<br />
und deren Lösungen selbst erkennen.<br />
Dabei kann die Hebamme durch<br />
aktives Zuhören wunderbar Verständnis<br />
signalisieren und mit gezielten Fragen<br />
zudem die Offenheit von Mutter und<br />
Vater fördern und viel über ihr Gesundheitsverhalten<br />
erfahren.<br />
Ungünstig für die Begleitung sind mangelndes<br />
Interesse, Missverständnisse,<br />
ständige Kritik (z. B. der Mutter Inkompetenz<br />
zuschreiben), aggressive oder<br />
stark ironische Äußerungen und Drohungen<br />
(dass z. B. schlimme Dinge passieren,<br />
wenn die Frau nicht ihr Verhalten<br />
ändert). All das kann die Kommunikation<br />
stören oder gar komplett abbrechen<br />
lassen.<br />
Gesundheitsförderung<br />
durch Hebammen<br />
Aufgrund der aktuellen medizinischen Erkenntnisse<br />
erscheint ein frühzeitiges Ansetzen<br />
der Hebammenbetreuung in der<br />
Schwangerschaft immer wichtiger, um<br />
die Gesundheit des Ungeborenen und der<br />
werdenden Mutter frühzeitig zu schützen<br />
und zu fördern. Auch eine Ausnutzung<br />
der laut Gebührenverordnung verfügbaren<br />
Wochenbettbesuche macht<br />
Sinn, um die Frau kontinuierlich über<br />
8 Wochen nach der Geburt zu begleiten,<br />
sie an vereinbarte Ziele zu erinnern und<br />
zum Durchhalten zu motivieren.<br />
Zu folgenden Gesundheitsthemen<br />
wünschten sich die Hebammen weitere<br />
wirksame Strategien zur gesundheitsfördernden<br />
Betreuung der Mutter und ihrer<br />
Familie:<br />
▶ Stress/Erschöpfung/Müdigkeit – vor<br />
allem durch Weinen des Kindes<br />
▶ Langfristige Ernährungsumstellung<br />
▶ Prävention von Rückenschmerzen<br />
▶ Adipositas-Prävention im Kleinkindalter<br />
▶ Wunsch nach Perfektionismus nehmen<br />
▶ Förderung der Eltern-Kind-Bindung<br />
▶ Rollenfindung erleichtern<br />
▶ <strong>Der</strong> Mutter/Familie die Unsicherheit<br />
nehmen<br />
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<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />
Bübchen sagt DANKE!<br />
Bübchen war wieder einmal begeistert<br />
von der regen Teilnahme und dem<br />
positiven Feedback durch die Hebammen<br />
– auch im Rahmen der interaktiven<br />
Diskussionsrunden. Dadurch<br />
haben sich zahlreiche neue Ideen und<br />
Wünsche für den Kongress 2014<br />
ergeben.<br />
Nun heißt es: Nach der Tagung ist vor<br />
der Tagung! Die Programmplanung ist<br />
bereits in vollem Gange …<br />
ANKÜNDIGUNG!<br />
3. Soester Bübchen<br />
Hebammen Seminarkongress<br />
2014<br />
Wem die Gestaltung und Themenvielfalt<br />
des 2. Soester Bübchen Hebammen<br />
Seminarkongresses 2013 gut gefallen<br />
hat und wer viel für seine Hebammentätigkeit<br />
errungen hat, der sollte sich<br />
unbedingt schon jetzt diesen Termin<br />
vormerken:<br />
Prävention in Schwangerschaft<br />
und Wochenbett<br />
Bad Sassendorf bei Soest<br />
Donnerstag, 6. März 2014<br />
bis Samstag, 8. März 2014<br />
Informationen und Online-Anmeldung<br />
www.bfg-kray.de,<br />
Bübchen Partnerseite bei B.F.G.<br />
(Bildungsinstitut Fachbereiche<br />
Gesundheitswesen)<br />
Bübchen Wissenschaftlicher Service<br />
E-Mail: service@buebchen.de,<br />
Telefon: 069/66 71- 49 72<br />
Teilnahmegebühr:<br />
75 € bei Zahlung bis zum 15.01.2014<br />
90 € bei Zahlung ab 15.01.2014<br />
und an der Tageskasse<br />
Schülerinnen kostenfrei<br />
Impressum<br />
Die Beilage erscheint außerhalb des Verantwortungsbereiches<br />
von Herausgeber, Schriftleitung<br />
und Redaktion der Zeitschrift die hebamme.<br />
Verlag: <strong>Hippokrates</strong> Verlag in MVS Medizinverlage<br />
Stuttgart GmbH & Co. KG, Oswald-Hesse-<br />
Straße 50, 70469 Stuttgart<br />
Herausgeber: Bübchen Wissenschaftlicher<br />
Service, 59495 Soest<br />
Redaktion: Andrea Pütz, Mönchengladbach<br />
Projektmanagement: MVS Mediaservice, Jacqueline<br />
Schmidt, Telefon: 0711/89 31-882, Fax: -705,<br />
E-Mail: jacqueline.schmidt@medizinverlage.de<br />
Layout und Satz: Christel Idalinya, <strong>Hippokrates</strong><br />
Verlag in MVS Medizinverlage GmbH & Co. KG<br />
Druck: Kliemo AG, Eupen (Belgien)<br />
Eine Sonderpublikation unterstützt von Bübchen.<br />
Titelbild: Bübchen<br />
© MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG,<br />
Bübchen, 2013<br />
Kontakt<br />
Evamaria Wilhelmi<br />
Direktorin Bübchen Wissenschaftlicher Service<br />
Coesterweg 37<br />
59494 Soest<br />
E-Mail: service@buebchen.de<br />
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