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Der Hippokrates Report - BFG

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<strong>Der</strong> <strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong><br />

Tagungsbericht<br />

2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Wissenschaft und Praxis im Dialog:<br />

Die Kunst in der Hebammenarbeit heute<br />

Zwischen wertvollem Miteinander<br />

und individueller Abgrenzung


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Inhalt<br />

Begrüßung .......................................... 2<br />

Schwangerschaft<br />

PD Dr. med. Markus Zutt<br />

<strong>Der</strong>matologische Erkrankungen<br />

in der Schwangerschft ........................ 3<br />

PD Dr. med. Franz Bahlmann<br />

Frühgeburtlichkeit und Zervixinsuffizienz<br />

.................................................... 4<br />

Ute Höfer<br />

Ernährungsberatung für Schwangere .6<br />

Geburt<br />

PD Dr. med. Wolfgang Thomas<br />

Unterschätzte Risiken<br />

bei „Späten Frühgeborenen“ .............. 8<br />

Wochenbett und Nachsorge<br />

PD Dr. med. Natalie Garcia Bartels<br />

Die Pflege der Babyhaut –<br />

Von Mythen zu Fakten ......................11<br />

Dr. Thomas Stiehm<br />

Hautpflege in der Hebammensprechstunde<br />

....................................13<br />

Dr. Mike Possner<br />

Ernährung und Präventionsstrategien<br />

im Säuglingsalter ............14<br />

Dr. Tanja Besier<br />

Förderung der elterlichen<br />

Feinfühligkeit ....................................16<br />

Ute Laves<br />

„Berührung mit Respekt ® “ oder: Wie<br />

Eltern ihr Baby besser lesen lernen .....17<br />

Hebammenpraxis<br />

Prof. Dr. med. Wolfgang Kölfen<br />

Sprachlicher Handwerkskoffer<br />

für Hebammen .................................20<br />

Gabriele Stenz<br />

Von der Idee zum Konzept:<br />

Mein Individueller Eltern-Kurs ..........20<br />

Christiane Münkwitz<br />

Wie bringe ich meinen Kurs<br />

an die Frau? ......................................21<br />

Melita Grieshop<br />

Gesundheitsförderung<br />

nach der Geburt ...............................22<br />

Zum 2. Mal lud Bübchen Hebammen nach Soest ins Tagungs- und Kongresszentrum<br />

Bad Sassendorf zu einem Seminarkongress (7.–9. März 2013) ein. Wer mochte,<br />

konnte mit einer Bübchen-Werksführung starten, um sich von der Bübchen-Qualität<br />

„Made in Germany“ zu überzeugen. Das Rahmenprogramm bot ausreichend Raum<br />

zur Selbstfindung und Entspannung, denn die Teilnehmerinnen hatten die Möglichkeit,<br />

an dem Verwöhnprogramm „FRAU VITAL – Zeit für Körper & Geist“ mit Sauna,<br />

Aquafitness und Co. teilzunehmen.<br />

Eine „Frau mit 3 Köpfen“<br />

Die alltägliche Mehrfachbelastung der<br />

Hebammen griff Evamaria Wilhelmi, Direktorin<br />

des Wissenschaftlichen Service<br />

von Bübchen, als Einstieg in das Tagungsprogramm<br />

am Freitag auf. Dabei zeigte<br />

sie das Foto einer Skulptur: Eine Frau mit<br />

3 Köpfen! Es verdeutlicht, wie facettenreich<br />

eine Hebamme sein muss bzw. ist.<br />

Neben ihrem Job und der eigenen Familie<br />

fühlt sie sich in vielen Fällen mitverantwortlich<br />

für die Frau und deren Familie,<br />

die sie betreut. Durch das „Helfersyndrom“<br />

und das häufige Unvermögen, auch<br />

einmal Nein zu sagen, geraten Hebammen<br />

oft in eine starke Dreifachbelastung, bei<br />

der sie selber mit ihren Bedürfnissen zu<br />

kurz kommen. Um dem entgegenzuwirken,<br />

gab es ausreichend Möglichkeiten,<br />

zu entspannen und Kraft zu sammeln:<br />

z. B. durch eine Handmassage, mit Qi<br />

Gong oder durch spontane Lacheinlagen,<br />

die der Kabarettist Marcus Jeroch mit<br />

Freude auszulösen wusste.<br />

Seminare: interaktiv und<br />

abwechslungsreich<br />

Das am Samstag stattfindende Fortbildungsprogramm<br />

konnten sich die Anwesenden<br />

aus 20 Seminaren individuell zusammenstellen.<br />

Durch den interaktiven<br />

Dialog an beiden Tagen konnten die Hebammen<br />

die Erkenntnisse nicht nur für<br />

ihre Schwangeren und Wöchnerinnen<br />

nutzen, sondern sich zahlreiche persönliche<br />

Anregungen durch gemeinsame<br />

Diskussionen und interdisziplinäre Gespräche<br />

holen. Dies – so Wilhelmi – sei<br />

besonders bereichernd, denn: „Wenn Du<br />

schnell gehen willst, dann geh‘ alleine.<br />

Wenn Du weit gehen willst, dann geh‘ gemeinsam!“<br />

Zu den Referenten der Vorträge<br />

und Workshops zählten sowohl Hebammen,<br />

die auf eine langjährige praktische<br />

Erfahrung zurückblicken, als auch<br />

Ärzte, welche die neusten Erkenntnisse<br />

auf verschiedenen Sektoren anschaulich<br />

präsentierten.<br />

■<br />

Premiere: Bübchen Wissenschaftspreis für Hebammen<br />

Mit einem<br />

herzlichen<br />

Willkommen<br />

wurden alle<br />

Teilnehmerinnen<br />

zum<br />

2. Soester<br />

Bübchen<br />

Hebammen<br />

Seminarkongress<br />

von Evamaria<br />

Wilhelmi<br />

begrüßt.<br />

© Bübchen<br />

Abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Ausschreibung und Stiftung des<br />

„Bübchen Wissenschaftspreis für Hebammen. Weil neues Leben Schutz braucht“.<br />

Mit dem Preis sollen wissenschaftliche Arbeiten, Projekte und Ideen von Hebammen<br />

gewürdigt werden, die dem Schutz von Mutter und Kind dienen.<br />

2


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Schwangerschaft<br />

<strong>Der</strong>matologische<br />

Erkrankungen<br />

in der Schwangerschaft<br />

PD Dr. med. Markus Zutt, Leiter der Klinik<br />

für <strong>Der</strong>matologie und Allergologie des<br />

Klinikums Bremen Mitte des Verbunds<br />

Gesundheit Nord nahm sich in seinem<br />

Vortrag „Schwangerschaft und Haut“<br />

eines Themas an, das sowohl für die betroffenen<br />

Schwangeren, aber auch für<br />

Hebammen und Gynäkologen von großer<br />

Bedeutung ist. So wie die Schwangerschaft<br />

ein wunderbarer „Zustand“ und<br />

keine Krankheit ist, sind auch die meisten<br />

schwangerschaftsbedingten Hautveränderungen<br />

physiologisch und nicht krankhaft,<br />

trotzdem aber häufig belastend für<br />

die werdende Mutter.<br />

Dazu gehören die schon früh erkennbaren<br />

Hyperpigmentierungen, wie jene an den<br />

Mamillen und Genitalien, oder Naevi<br />

(Muttermale) genauso wie die Linea<br />

fusca/nigra (braune Linie) am Abdomen<br />

oder das Chloasma gravidarum (bräunliche<br />

Hautflecken). Daneben kommt es<br />

auch zu Gefäßveränderungen wie die sogenannten<br />

Palmarerytheme – mit dem<br />

Resultat ständig warmer Hände, auch im<br />

Winter. Die Gefäße des Zahnfleisches sind<br />

ebenso häufig betroffen (z. B. Gingivahyperämie<br />

und -hyperplasie), Hautgefäße<br />

(Teleangiektasien, Spider naevi) und auch<br />

Venen, wie Varikosis (Krampfadern), sind<br />

sichtbar erweitert und im weitesten Sinne<br />

können Hämorrhoiden auftreten.<br />

Sind in der Familienanamnese der Frau<br />

Fälle von Krampfadern bekannt, rät Zutt<br />

zum konsequenten Tragen medizinischer<br />

Kompressionsstrümpfe ab Bekanntwerden<br />

der Schwangerschaft. Bestehen schon<br />

Hauterkrankungen, können diese entweder<br />

eine Verbesserung erfahren wie bei<br />

einer Psoriasis (Schuppenflechte) oder<br />

eine Verschlechterung wie bei einem atopischen<br />

Ekzem (Neurodermitis). <strong>Der</strong><br />

Haarzustand hingegen verbessert sich erfreulicherweise<br />

bei vielen Frauen während<br />

der Schwangerschaft, nicht selten<br />

kommt es jedoch nach der Geburt zu<br />

einem unerwünschten Haarausfall (postpartales<br />

Effluvium), der nach der Stillperiode<br />

aufzuhören pflegt.<br />

Schwangerschafts-<br />

<strong>Der</strong>matosen: Diagnose und<br />

Therapie eingeschränkt<br />

Im Zentrum des Vortrags standen jedoch<br />

die eher seltenen und pathophysiologisch<br />

ungeklärten Schwangerschafts-<strong>Der</strong>matosen.<br />

Diese sind nicht nur schwierig hinsichtlich<br />

der (Differenzial-)Diagnostik.<br />

Auch die therapeutischen Möglichkeiten<br />

sind stark eingeschränkt. Faktisch gefährden<br />

sie die Schwangerschaft selbst fast<br />

nie, doch sie schränken die Lebensqualität<br />

der Schwangeren teilweise massiv ein.<br />

Bei den spezifischen SS-<strong>Der</strong>matosen wird<br />

zwischen 4 Arten unterschieden:<br />

▶ Die Pemphigoid gestationis ist eine<br />

seltene Ganzkörper-Autoimmundermatose<br />

in der 2. Schwangerschaftshälfte<br />

und post-partal. Dabei behindern<br />

Antikörper gegen Strukturproteine<br />

den Zusammenhalt der Haut. Das<br />

mündet nach einem initial juckenden<br />

Erythem (Hautrötung) in<br />

der Bildung praller Blasen in der<br />

Bauchregion – insbesondere der Nabelregion.<br />

Durch die Antikörper kann<br />

es bei etwa 10 % der Neugeborenen<br />

ebenfalls zu Blasen kommen, genauso<br />

wie zu „Small-for-date-Babys“ und<br />

konsekutiven Frühgeburten. Die postpartale<br />

Rückbildung der <strong>Der</strong>matose<br />

kann Wochen bis sogar Monate dauern.<br />

Darüber hinaus sind Schübe während<br />

der Menstruation möglich, genauso<br />

wie Rezidive. Ziel der Therapie<br />

ist es, den unangenehmen Juckreiz<br />

und die Blasenbildung zu beherrschen,<br />

auch um Infektionen zu verhindern.<br />

Dies erfolgt durch systemische Glukokortikosteroide<br />

und Antihistaminika.<br />

Bei schweren Fällen kann sogar eine<br />

Immunapherese (technisch der Dialyse<br />

ähnlich) eingesetzt werden.<br />

▶ Die Polymorphe SS-<strong>Der</strong>matose wurde<br />

früher als PUPPP (Pruritic urticarial<br />

papules and plaques of pregnancy) bezeichnet.<br />

Die juckenden, nesselartigen<br />

Hautveränderungen nehmen<br />

von den Striae distensae ihren Ausgang.<br />

Typischerweise bleibt hierbei<br />

die Nabelregion ausgespart. Bei zunehmender<br />

Krankheit können auch<br />

Ekzeme und Bläschen auftreten. Sie<br />

tritt in den letzten SSW oder seltener<br />

im Wochenbett auf – vornehmlich bei<br />

Erstgebärenden, Mehrlingsschwangerschaften<br />

und nach exzessiver mütterlicher<br />

Gewichtszunahme. Es besteht<br />

keine Gefahr für das Ungeborene. Die<br />

Abheilungsdauer der ursächlich unklaren,<br />

selbstlimitierenden Erkrankung<br />

beträgt bis zu 6 Wochen. Die<br />

Therapie erfolgt lokal-symptomatisch<br />

mit Kortison-Salben, antipruriginösen<br />

(juckreizstillend), z. B. harnstoffhaltigen<br />

Externa oder Antihistaminika.<br />

▶ Bei der Intrahepatischen SS-Cholestase<br />

(ICP) handelt es sich um ein hormonell<br />

verursachtes reversibles Phänomen<br />

in der Spätschwangerschaft bei<br />

genetisch vorbelasteten Frauen. Dabei<br />

liegt eine gestörte Gallensäureexkretion<br />

vor, die die Gallensäure im Blut<br />

ansteigen lässt. Klinisch imponiert<br />

sie durch starken Juckreiz am<br />

ganzen Körper, der binnen einiger<br />

Tage postpartal abklingt. Die Streckseiten<br />

an Armen und Beinen sind am<br />

meisten betroffen. Durch das Kratzen<br />

kommt es zu den sichtbaren Hautveränderungen.<br />

Eine Gelbsucht tritt nur in<br />

wenigen Fällen auf. Gefährlich ist die<br />

Pemphigoid gestationis und Polymorphe SS-<strong>Der</strong>matose im Vergleich. © Markus Zutt<br />

3


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Cholestase für das Ungeborene, dessen<br />

kardiales Erregungsleitungssystem<br />

durch übergetretene Gallensäure in<br />

den kindlichen Kreislauf blockiert<br />

werden kann. Dies kann die fetale Prognose<br />

beeinträchtigen und z. B. zu gehäuften<br />

Frühgeburten und Sauerstoffmangel<br />

unter der Geburt führen. So erscheint<br />

neben einer Lokaltherapie<br />

gegen den unangenehmen Juckreiz der<br />

Mutter eine Therapie mit Ursodesoxycholsäure<br />

unabdingbar, um das Ungeborene<br />

zu schützen. Das Arzneimittel<br />

reduziert die Konzentration der Gallensäure<br />

im mütterlichen Serum und<br />

verbessert den Gallensäuretransport<br />

über den Mutterkuchen. Das verbessert<br />

wiederum die Gallensäurebalance<br />

zwischen Mutter und Kind.<br />

▶ Die Atopische SS-<strong>Der</strong>matose im 1. und<br />

2. Trimester stellt die häufigste Ursache<br />

für Juckreiz dar. Sie ist charakterisiert<br />

durch ihre vor allem an<br />

Armen und Beinen flächigen beugeseitigen<br />

Ekzeme und juckenden<br />

Knötchen. Prädisponierend ist eine<br />

Atopie mit Heuschnupfen oder Asthma<br />

bronchiale. In 20 % der Fälle liegt<br />

schon eine Neurodermitis vor, bei 80 %<br />

tritt eine Neurodermitis erstmalig auf.<br />

Therapeutisch kommen lokales Kortison,<br />

rückfettende Maßnahmen, Harnstoff,<br />

Menthol, Polidocanol, aber auch<br />

eine UVB-Lichttherapie zum Einsatz.<br />

Empfehlungen für Pflege<br />

und Therapie<br />

Wenn Pflege und Therapie der Haut in<br />

der Schwangerschaft ein „Mehr“ benötigen<br />

als im Alltag, gelten folgende Empfehlungen:<br />

Kortison: Systemisch ist Prednisolon bei<br />

SS-<strong>Der</strong>matosen unter 4 Wochen das orale<br />

Mittel der ersten Wahl. Lokal kommen<br />

eher Prednicarbat oder Momethason zum<br />

Einsatz.<br />

Antihistaminika: Mit Dimentiden und<br />

Clemastin werden ältere Substanzen als<br />

Antihistaminika bevorzugt; im 2. und 3.<br />

Trimenon auch Loratadin oder Cetirizin.<br />

Bakterielle und Pilzinfektionen: Wenn<br />

Antiseptika und antimikrobielle Substanzen<br />

bei bakteriellen oder Pilzinfektionen<br />

eingesetzt werden sollen, ist der Favorit<br />

Fusidinsäure neben Nystatin und Clotrimazol<br />

bei Mykosen.<br />

Juckreiz (Pruritus): Bei juckender Haut<br />

haben sich kalte Umschläge oder Lotionen<br />

mit Menthol und Kampfer bewährt, während<br />

Hitze, heiße Getränke oder Alkohol<br />

zu meiden sind. Gerbstoffe sind ebenfalls<br />

gut einsetzbar, wie Tannin-Präparate als<br />

Lotion, Creme, Gel, Salbe oder Badezusatz,<br />

bzw. Schwarztee. Topische Lokalanästhetika<br />

erscheinen manchmal als letzte Rettung,<br />

wie das juckreizstillende Polidocanol<br />

in Lotionen, Cremes, Ölbädern,<br />

das gut mit wasserbindendem Harnstoff<br />

kombinierbar ist.<br />

Hautpflege: Zutt empfiehlt hier eine konsequente<br />

und pflegend-hydratisierende<br />

Rückfettung mittels Lipolotionen, Fettcremes<br />

und Salben sowie Fettsalben zur<br />

Therapie von Hauttrockenheit. Morgens<br />

ist eine leichte Creme empfehlenswert,<br />

zur Nacht hin darf die Basis eher rückfettender<br />

Natur sein. Eine Austrocknung<br />

durch Waschen, Baden und Duschen kann<br />

durch die Verwendung milder, nicht-alkalischer<br />

Seifen, rückfettender Syndets<br />

sowie Dusch- und Badeöle verhindert<br />

werden. Die Schwangere sollte zudem nur<br />

kurz für etwa 10–20 Minuten bei moderater<br />

Temperatur von 32–38° C baden,<br />

denn ausgedehnte Vollbäder in heißem<br />

Wasser mit Badezusätzen können die<br />

Hauttrockenheit verstärken. Kurzes Duschen<br />

ist zu bevorzugen. Anschließend<br />

heißt es sanft abtrocknen und eincremen.<br />

Das Eindringen des Pflegeproduktes in<br />

die Haut kann zudem gefördert werden,<br />

wenn die Körperpflege in einem Flaschenwärmer<br />

leicht erwärmt und dann<br />

in die noch feuchte Haut einmassiert<br />

wird. Hinsichtlich der Kleiderwahl sollte<br />

Baumwolle und Seide der Vorzug gegeben<br />

werden, insbesondere kratzende<br />

Wolle und Synthetik sollte die Schwangere<br />

eher meiden.<br />

Sonnenschutz: Da die Melanocyten in der<br />

Schwangerschaft aktiver sind, bildet die<br />

Haut auch mehr Pigmente. Um unschöne<br />

Pigmentstörungen und Sonnenbrände zu<br />

vermeiden, sollte die werdende Mutter<br />

einen Lichtschutzfaktor von 30 wählen<br />

und sich möglichst häufig im Schatten<br />

aufhalten.<br />

■<br />

Frühgeburtlichkeit<br />

und Zervixinsuffizienz<br />

Laut Erhebungen des Statistischen Bundesamtes<br />

(Stand 2009) unterschreitet<br />

Deutschland auch weiterhin den Geburtentiefstand<br />

im Vergleich zum berühmten<br />

„Pillenknick“ in den 70er-Jahren. Und:<br />

Deutschlands Mütter werden immer<br />

älter. Parallel dazu nehmen immer mehr<br />

Partner mit Kinderwunsch reproduktionsmedizinische<br />

Maßnahmen in Anspruch.<br />

Das höhere Alter an sich und die<br />

Zunahme an Mehrlingsgeburten (z. B.<br />

durch Hormonbehandlungen) bergen<br />

aber gleichzeitig gesundheitliche Gefahren<br />

wie fetale Fehlentwicklungen, Anomalien<br />

und vor allem Frühgeburtlichkeit.<br />

Das alles sowie die hohe Erwartungshaltung<br />

der werdenden Eltern und<br />

deren hoher Informationsgrad (z. B. durch<br />

Internetrecherchen) stellt Hebammen<br />

und Gynäkologen vor ganz neue Herausforderungen<br />

und mitunter großen psychischen<br />

Druck – so PD Dr. med. Franz<br />

Bahlmann, Chefarzt der Frauenklinik Bürgerhospital<br />

Frankfurt. Aus diesem Grund<br />

widmete Bahlmann seine Präsentation<br />

der Thematik Zervixinsuffinzienz und<br />

will damit zu neuen Therapiekonzepten<br />

zur Reduktion der Frühgeburtlichkeit anregen.<br />

Ersttrimesterscreening<br />

extrem wichtig<br />

Ein überaus positiver Trend ist in der<br />

Pränataldiagnostik (z. B. 3D-Ultraschall,<br />

Humangenetik) zu verzeichnen. Die großen<br />

medizinischen Fortschritte sollten<br />

Gynäkologen, so Bahlmann, jedoch unbedingt<br />

schon im Ersttrimesterscreening<br />

nutzen. Nicolaides spricht sich in einer<br />

Publikation (Nicolaides K: Prenatal Diagnosis,<br />

2011) für die Umkehrung der<br />

Schwangerschaftsvorsorgepyramide aus,<br />

die Bahlmann befürwortet. Ziel ist es, das<br />

perinatologische Management zu optimieren,<br />

um eine Frühgeburt aufgrund<br />

einer Zervixinsuffizienz zu verhindern<br />

oder so weit wie möglich hinauszuzögern.<br />

4


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Schwangerschaft<br />

16w<br />

24w 28w<br />

30w 32w 34w 36w<br />

37w 38w 39w 40w<br />

41w<br />

Durch das Ersttrimesterscreening erfolgt<br />

eine Beurteilung der Nackentransparenz<br />

(NT) per Ultraschall zwischen der 12. und<br />

14. SSW in Kombination mit einer mütterlichen<br />

Hormonbestimmung (β-HCG<br />

und PAPP-A). Hierbei lässt sich das statistische<br />

Risiko für eine Chromosomenstörung<br />

insbesondere der Trisomie 21<br />

mit einer Testsicherheit von ca. 80 % errechnen.<br />

<strong>Der</strong> Gynäkologe erkennt somit<br />

frühzeitig Risiken. Eine erhöhte NT deutet<br />

auf ein größeres Risiko für Aneuploidien,<br />

d. h. Chromosomenfehler hin. Liegt<br />

die NT bei > 6,5 mm, bewegt sich dessen<br />

Risiko um die 65,5 % (Souka A, von Kaisenberg<br />

C et al.: American Journal of Obstetrics<br />

& Gyneclogy, 2005). Eine solche<br />

NT deutet zudem auf ein 19 %iges Risiko<br />

für einen intrauterinen Fruchttod (IUFT)<br />

und mit 46,2 % auf weitere Anomalien<br />

hin. Die Prävalenz schwerer Herzfehler,<br />

z. B. durch Anomalien der großen Gefäße,<br />

liegt bei einer NT von > 6,5 mm bei<br />

30 % (Souka A, von Kaisenberg C et al.:<br />

American Journal of Obstetrics & Gyneclogy,<br />

2005). Auch eine frühe Echokardiografie<br />

und Neurosonografie kann Fehlentwicklungen<br />

aufdecken und damit den<br />

Weg für mögliche perinatale Therapien<br />

freimachen.<br />

Mehrlinge sind besonders<br />

risikogefährdet<br />

▼<br />

12w<br />

spezielle Betreuung<br />

12–34w<br />

▼<br />

▼<br />

37w<br />

▼<br />

41w<br />

▼<br />

20w<br />

So sieht die<br />

Umkehrung<br />

der Schwangerschaftsvorsorgepyramide<br />

im Detail aus.<br />

© Nicolaides K:<br />

Prenatal<br />

Diagnosis,<br />

2011<br />

Mehrlingsschwangerschaften bergen an<br />

sich schon das Risiko einer Frühgeburtlichkeit<br />

– vor allem in Kombination mit<br />

dem mittlerweile höheren Alter der Mutter<br />

und eventuell vorangegangenen reproduktionsmedizinischen<br />

Maßnahmen.<br />

12,2 % aller Frühgeburten sind Mehrlinge.<br />

Verschiedene Studien beschreiben im<br />

Zusammenhang mit den Risiken bei<br />

Mehrlingen eine höhere Rate an kongenitalen<br />

Fehlbildungen und Chromosomenstörungen<br />

(Rodis J, Egan J et al.: Obstetrics<br />

& Gynecology, 1990; Källé B: Genet<br />

Med Gemellol, 1986), intrauterine Wachstumsstörungen<br />

(IUGR) (Grobman W,<br />

Placeman A: Clinical Obstetrics & Gynecology,<br />

1998), Zervixinsuffizienz (Souka A,<br />

Heath V et al.: Obstetrics & Gynecology,<br />

1999) sowie des fetofetalen Transfusionssyndroms<br />

(Blickstein I: Obstetrics & Gynecology,<br />

1990). Die neonatale Mortalität<br />

bei Mehrlingen liegt bei 15,4 %.<br />

Zwillingstransfusionssyndrom:<br />

schwer zu managen<br />

Wenn eineiige Zwillinge monochorial<br />

versorgt werden, spricht man auch vom<br />

Zwillingstransfusionssyndrom (Englisch:<br />

Twin to twin transfusion syndrome<br />

[TTTS]). Das bedeutet, dass sie sich die<br />

Gefäßverbindung über eine Plazenta teilen.<br />

Das führt zu einem Ungleichgewicht<br />

des Blutaustausches zwischen den ungeborenen<br />

Kindern. Typischerweise gelangt<br />

dadurch das Blut ausschließlich aus dem<br />

Kreislauf eines Kindes, welches als Donor<br />

(Spenderzwilling) bezeichnet wird, in den<br />

des Akzeptors (Empfängerzwilling).<br />

Durch eine gesteigerte Diurese und das<br />

größere Blutvolumen kann es zu organischen<br />

Störungen und Anomalien kommen,<br />

wie: Polyhydramnion (zu viel<br />

Fruchtwasser), Flüssigkeitsansammlungen<br />

in der Bauchhöhle; im Herzbeutel<br />

oder der Haut, Leber- und Milzvergrößerungen,<br />

Herzinsuffizienz. Im schlimmsten<br />

Falle kann es durch Herzversagen<br />

zum vorgeburtlichen Tod kommen.<br />

<strong>Der</strong> Donor ist aufgrund seiner Wachstumsretardierung<br />

wesentlich kleiner und<br />

weist bei der Geburt immer eine Blutarmut<br />

mit wesentlich erniedrigten Hämoglobinwerten<br />

auf, was auch an dem äußeren<br />

Erscheinungsbild deutlich zu<br />

erkennen ist. Durch die verminderte, mitunter<br />

sogar aussetzende Urinausscheidung<br />

reduziert sich das Fruchtwasser<br />

deutlich (Oligohydramnion). In besonders<br />

schweren Fällen fehlt es komplett (Anhydramnion).<br />

Dies ist auch als „stuck twin“<br />

bekannt. Durch die Anämie und die allgemeine<br />

Mangelversorgung kann der<br />

Donor im Mutterleib sterben.<br />

Hier kann ein früh angesetztes und modernes<br />

perinatales Screening mit Ultraschall<br />

und Dopplersonografie der verschiedenen<br />

fetalen Untersuchungsparameter<br />

(z. B. die A. umbilicalis, A. cerebri<br />

media, Ductus venosus) die Diagnose erleichtern<br />

und die Indikation für eine wesentlich<br />

engmaschigere Überwachung<br />

geben. Auch wenn es bislang noch keine<br />

Behandlungsmethode gibt, die das Überleben<br />

beider Zwillinge bzw. Mehrlinge zu<br />

100 % sichert und eine bleibende Beeinträchtigung<br />

vermeidet, so ist auch hier<br />

die medizinische Entwicklung deutlich<br />

zu spüren. Neben der bekannten Fruchtwasserentlastungspunktion<br />

wird mittlerweile<br />

an einigen Zentren auch die fetoskopische<br />

Laserkoagulation beim Zwillingstransfusionssyndrom<br />

als Therapie<br />

der ersten Wahl durchgeführt. Dabei werden<br />

mittels Laser die Gefäßanastomosen<br />

verschlossen. Dies kann z. B. die Rate an<br />

bleibenden neuromotorischen Folgeschäden<br />

deutlich reduzieren.<br />

Risikofaktor Präeklampsie:<br />

zahlreiche Organe sind<br />

beteiligt<br />

Auch die Präeklampsie bzw. Schwangerschaftshypertonie<br />

(früher: Gestose) –<br />

charakterisiert durch die 3 Leitsymptome<br />

Ödeme, Bluthochdruck und Proteinurie<br />

– steigert das Risiko einer Frühgeburt und<br />

intrauterinen Wachstumsrestriktionen.<br />

Die Ursachen der Präeklampsie sind bislang<br />

noch nicht eindeutig geklärt. Aber<br />

wahrscheinlich führt die gestörte Implantation<br />

der Trophoblasten zu einer<br />

Fehlentwicklung der Plazentaarterien.<br />

Zahlreiche Organe können von der Präeklampsie<br />

betroffen sein.<br />

Liegt bei der Mutter ein erhöhtes kardiovaskuläres<br />

Risiko und/oder ein metabolische<br />

Syndrom schon vor der Schwanger-<br />

5


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

schaft vor, steigert dies das Risiko für eine<br />

Präeklampsie. Langfristig betrachtet erhöht<br />

sich auch die Gefahr für das Ungeborene,<br />

später einmal eine kardiovaskuläre<br />

Erkrankung und/oder Diabetes mellitus<br />

zu entwickeln. Dies nennt man fetal<br />

programming. In einer Metaanalyse von<br />

2010 (Bujold E, Roberge S et al.: Obstetrics<br />

& Gynecology, 2010) wurden 27 Studien<br />

unter die Lupe genommen, welche die<br />

Auswirkungen einer frühzeitigen Aspirintherapie<br />

(ab der 16. SSW und früher)<br />

auf das Risiko einer Präeklampsie untersuchten.<br />

Insgesamt nahmen 11348<br />

Frauen mit Risikofaktoren teil. Die Ergebnisse<br />

waren positiv: Die Parameter Präeklampsie,<br />

schwere Präeklampsie, Gestationshypertonie,<br />

Frühgeburt sowie IUGR<br />

reduzierten sich deutlich hinsichtlich<br />

ihres Risikos versus der Gruppe ohne Aspirin.<br />

Lediglich auf die Plazentaablösung<br />

hatte Aspirin keinen Einfluss.<br />

Frühgeburtlichkeit: größtes<br />

Problem in der Geburtshilfe<br />

Frühgeburtlichkeit ist das häufigste und<br />

somit größte Problem in der Geburtshilfe<br />

mit einer weltweiten perinatalen Mortalität<br />

von 70 %. Neben lebensbedrohlichen<br />

Hirnblutungen, Sepsis u. a. stellen<br />

aber auch Zerebralparesen, kognitive und<br />

neuromotorische Defizite, Retinopathien<br />

u. a. die Medizin, aber vor allem die Familien<br />

vor große Herausforderungen. Wenngleich<br />

die Gesundheit von Mutter und<br />

Kind an oberster Stelle stehen, sollte<br />

trotzdem auf die hohen wirtschaftlichen<br />

Kosten hingewiesen werden. Jede Woche,<br />

die sich das Ungeborene länger im Mutterleib<br />

entwickeln darf, wirkt sich positiv<br />

auf die Gesundheit des Kindes, die psychische<br />

Entlastung der Eltern als auch auf<br />

die finanzielle Entlastung des Gesundheitssystems<br />

aus. Verschiedene Mechanismen<br />

wie eine Entzündung oder Überdehnung<br />

des Uterus, z. B. durch Mehrlinge<br />

oder zu viel Fruchtwasser, können eine<br />

Frühgeburt auslösen. So steht eine genaue<br />

Risikoanamnese (Blutungen, BMI < 19,8,<br />

vorausgegangene Frühgeburt(en), Konisation)<br />

der Schwangeren an oberster Stelle<br />

des Screenings um die 20. SSW. Ist das<br />

Risiko für eine Frühgeburt erhöht, sollte<br />

engmaschig eine breitgefächerte Diagnostik<br />

durchgeführt werden: vaginale<br />

pH-Messung, Mikrobiologie, Fibronektin<br />

und Zervixsonografie mit besonderem<br />

Augenmerk auf deren Länge. Verkürzt<br />

sich der Gebärmutterhals deutlich vor<br />

dem ausgerechneten Geburtstermin, drohen<br />

nicht nur lebensbedrohliche Infektionen,<br />

sondern auch eine Spontangeburt<br />

mit zahlreichen Risiken. Findet sich neben<br />

einer Zervixverkürzung zusätzlich ein<br />

sogenannter Sludge in der Zervix, steigt<br />

das Risiko einer Frühgeburt sogar um den<br />

Faktor 4–5.<br />

Zervixinsuffizienz:<br />

Individuelle Lösung finden<br />

Folgende 3 relativ vergleichbare Methoden<br />

können das Risiko einer Frühgeburt<br />

ergänzend zur Bettruhe deutlich reduzieren:<br />

Progesteron als Ölkapsel (2 × 100 mg/<br />

täglich) oder bioadhäsives Gel (90 mg/<br />

täglich) haben eine präventive Wirkung<br />

auf die Zervixreifung und reduzieren entzündungsfördernde<br />

Botenstoffe. In Studien<br />

senkte Progesteron die Frühgeburtlichkeit<br />

unter der 34. SSW um 40–45 %.<br />

Auch ein Zervix-Pessar reduziert das Risiko<br />

deutlich (etwa um 40 %) sowie eine<br />

Cerclage (als OP). Da keine Patentlösung<br />

für alle Schwangeren existiert, rät Bahlmann<br />

Gynäkologen, individuell in Abhängigkeit<br />

vom Gestationsalter zu entscheiden.<br />

■<br />

Ernährungsberatung<br />

für Schwangere<br />

Ute Höfer, freiberufliche Hebamme und<br />

Ernährungsberaterin aus Siegen wies in<br />

ihrem Seminar auf die Wichtigkeit einer<br />

individuellen Ernährungsberatung für<br />

jede Schwangere hin. Hebammen sollten<br />

die werdenden Mütter zu diesem Thema<br />

nach Möglichkeit schon in der Frühschwangerschaft<br />

erreichen, nicht erst im<br />

Geburtsvorbereitungskurs, denn: Neueste<br />

Erkenntnisse weisen auf eine direkte<br />

Auswirkung der Nährstoffversorgung von<br />

der frühen Schwangerschaft an bis zur<br />

Stillzeit auf die spätere gesundheitliche<br />

Kindesentwicklung hin. Einseitiges Essen<br />

und Nahrungsmangel können sogar das<br />

Risiko für Schwangerschaftskomplikationen,<br />

Frühgeburten oder Fehlentwicklungen<br />

erhöhen. Höfer rät allen Hebammen,<br />

eine Ernährungsberatung mit in ihr<br />

Portfolio aufzunehmen – als ganzheitliches<br />

Angebot für die werdende Mutter.<br />

Zur Unterstützung gab sie interessierten<br />

Hebammen einen Gesprächsleitfaden<br />

und Tipps an die Hand.<br />

Die Ernährungstypen<br />

Bei der Ernährungsberatung macht Höfer<br />

seit vielen Jahren hervorragende Erfahrungen,<br />

die Schwangere bzw. Stillende<br />

einem Konstitutionstypen zuzuordnen:<br />

Empfindungstyp<br />

▶ Feingliedrig, schlank, untergewichtig<br />

▶ Muskulatur zart, aber leistungsfähig<br />

▶ Liebt Wärme und Licht<br />

▶ Kälte und Hitze verträgt er nicht<br />

▶ Jahreszeit Herbst, Element Luft<br />

Bewegungstyp<br />

▶ Muskulär, kräftig, athletisch<br />

▶ Meist helle sonnenempfindliche Haut<br />

▶ Starker Knochenbau, lange Gliedmaßen<br />

▶ Liebt es heiß und trocken<br />

▶ Jahreszeit Sommer, Element Feuer<br />

Entspannungstyp<br />

▶ Ruhig, beständig, eher konservativ<br />

▶ Liebt Ruhe, Behaglichkeit<br />

▶ Wärme und Hitze sind ihm unangenehm,<br />

verträgt Kälte gut<br />

▶ Jahreszeit Winter, Element Erde<br />

So kann die Hebamme den Frauen individuelle<br />

Empfehlungen und Rezepte an<br />

die Hand geben, deren Umsetzung zu<br />

mehr Wohlbefinden und Linderung bestimmter<br />

Beschwerden führt.<br />

Für zwei Essen?<br />

Ja, aber nicht mehr!<br />

<strong>Der</strong> Energiebedarf in der Schwangerschaft<br />

erhöht sich nur geringfügig: ab<br />

dem 4. Monat um etwa 255 Kilokalorien<br />

(kcal). Nicht die Kalorien sind ausschlaggebend,<br />

sondern die Nährstoffdichte. So<br />

sollte die Schwangere besonders auf eine<br />

hohe Zufuhr von Vitamin- und Mineralstoffen,<br />

Omega-3-Fettsäuren etc. achten.<br />

6


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Schwangerschaft<br />

In der Schwangerschaft und beim Stillen<br />

ist die Mutter – zumindest in den ersten<br />

Monaten – die einzige Nährstoffquelle für<br />

das Neugeborene und somit die Basis für<br />

dessen Gesundheit und Entwicklung. In<br />

der Stillzeit steigt der Kalorienbedarf<br />

noch einmal um weitere 400 kcal an. Auch<br />

der Vitalstoffbedarf ist abermals leicht erhöht.<br />

Mangelt es der Ernährung an Energie,<br />

Vitaminen und Co., geht es an die<br />

mütterlichen Reserven, damit zumindest<br />

das Kind ausreichend versorgt wird.<br />

Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich,<br />

dass sich viele junge Mütter<br />

erschöpft und müde fühlen. Nächtlicher<br />

Schlafmangel ist nicht immer der einzige<br />

Grund! Gestaltet die Mutter ihren Speiseplan<br />

aber abwechslungsreich, mit reichlich<br />

frischem saisonalem Obst und Gemüse,<br />

Kartoffeln, Nüssen, Vollkornprodukten<br />

und 2–3-mal die Woche Fisch, ernährt sie<br />

nicht nur sich ausreichend, sondern sorgt<br />

auch für beste gesundheitliche Voraussetzungen<br />

des Un- bzw. Neugeborenen.<br />

Bei Emesis und Hyperemesis<br />

(Extreme) Schwangerschaftsübelkeit mit<br />

Erbrechen tritt bei mehr als einem Drittel<br />

der Schwangeren auf. Die Frauen weisen<br />

meist eine hyperthyreote Stoffwechsellage<br />

und Blutzuckerschwankungen auf.<br />

Die Beschwerden sind bislang nicht ausreichend<br />

untersucht, aber einige Maßnahmen<br />

können positiven Einfluss nehmen.<br />

Höfer empfiehlt morgens (noch im<br />

Bett) Kohlenhydrate aus Vollkorn, Müsliriegel,<br />

Studentenfutter oder Nüsse aufzunehmen,<br />

viele kleine Mahlzeiten über den<br />

Tag zu verteilen und abends vor dem Zubettgehen<br />

noch eine Kleinigkeit zu essen.<br />

Auch Blutdruck- und Blutzuckerkontrollen<br />

sollten regelmäßig durchgeführt werden.<br />

Zudem schaffen Bewegung an der<br />

frischen Luft, Entspannung sowie Naturheilkunde<br />

(z. B. Ingwertee, Akupunktur<br />

oder Homöopathie) Linderung. Viele<br />

Schwangere mit Emesis reagieren auch<br />

positiv auf Vitamin-B-Gaben (vor allem<br />

Vitamin B 6<br />

). Häufig steckt auch eine Fruktose-Intoleranz<br />

dahinter.<br />

Bei Gestationsdiabetes<br />

10 % aller Schwangeren sind von einem<br />

Schwangerschaftsdiabetes betroffen. Hier<br />

sollte unbedingt ein Diabetologe hinzugezogen<br />

werden. Ziel ist es, Insulinspritzen<br />

und Medikamente zu vermeiden. Dies<br />

klappt am besten, wenn die Krankheit<br />

schon in der Frühschwangerschaft diagnostiziert<br />

wird und die Frauen engmaschig<br />

begleitet werden. Neben der konsequenten<br />

Blutzuckermessung sind eine<br />

kohlehydratarme Ernährung, regelmäßige<br />

Bewegung und die Meidung von Stress<br />

wichtig, da all dies blutzuckersenkend<br />

wirkt. Die Schwangere muss sich streng<br />

an die kohlehydratarmen Ernährungsempfehlungen<br />

halten und diese auf 5–6<br />

kleine Mahlzeiten aufteilen.<br />

Bei Schwangerschaftshypertonie<br />

Bei einer schwangerschaftsinduzierten<br />

Hypertonie liegt häufig eine Mangelernährung<br />

vor: es fehlt beispielsweise an<br />

Vitaminen, vorrangig Vitamin B 6<br />

, Mineralstoffen,<br />

Eiweiß, Kalorien oder Natrium.<br />

Daher sollte immer eine der Ursache angepasste<br />

Ernährungsempfehlung erfolgen.<br />

Schwangere mit einer Hypertonie<br />

sollten auf keinen Fall ihren Salzkonsum<br />

reduzieren, bei erhöhten Hämatokritwerten<br />

sogar ihre Salzzufuhr und Flüs-<br />

Gesprächsleitfaden in der Ernährungsberatung (EB)<br />

▶ EB fällt unter die Gebührenordnung der Hebammen<br />

(Position 0500 und 0100)<br />

▶ Mindestens 2 Gespräche sind notwendig<br />

▶ 1. Termin:<br />

– Zeitplanung: 60 Minuten<br />

– Orientierung schaffen<br />

– Sammeln von Aspekten<br />

– Gibt es Beschwerden, die diesen Termin ausgelöst haben<br />

– Welche Vorlieben, Abneigungen hat die Ratsuchende<br />

– Welcher Konstitutionstyp ist die Schwangere<br />

– Schwangerschaftsspezielle Hinweise erfragen<br />

– Essensgewohnheiten und Lieblingsspeisen, Appetitveränderungen,<br />

Abneigungen, Gelüste, Medikamente,<br />

Vitaminpräparate erfragen und notieren<br />

– Familiäre Anamnese erheben<br />

– Soziales Umfeld und berufliche Aktivitäten erfragen<br />

– Signalisieren, dass beim nächsten Termin Möglichkeiten<br />

der Veränderung besprochen werden können<br />

– Verlaufsprotokoll erstellen<br />

▶ 2. Termin: Umsetzung absichern<br />

▶ Zwischen 1. und 2. Termin sollten 4 Wochen liegen<br />

▶ Hebammen sollten sich Rezeptsammlungen anlegen,<br />

die sie an die Schwangeren weitergeben kann<br />

Allgemeine Empfehlungen für Schwangerschaft<br />

und Stillzeit<br />

▶ 50 % der Gesamtenergiezufuhr sollten Kohlehydrate nicht<br />

übersteigen.<br />

▶ Ballaststoffreiche Kohlehydrate bevorzugen.<br />

▶ <strong>Der</strong> Anteil an Süßigkeiten sollte unter 10 % liegen.<br />

▶ Tierisches und pflanzliches Eiweiß (Gemüse, Getreide etc.)<br />

kombinieren.<br />

▶ Eier jeglicher Art sollten nicht roh verzehrt werden.<br />

▶ <strong>Der</strong> Fettbedarf ist nicht erhöht, es sollte aber auf eine<br />

ausreichende Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren geachtet<br />

werden: z. B. fette Seefische (Lachs, Makrele und Thunfisch)<br />

sowie pflanzliche Öle (Beispielsweise Rapsöl, Leinöl,<br />

Kokosöl, Walnussöl und Sojaöl. Diese Öle sind sehr<br />

geschmacksintensiv und können mit Olivenöl, Distelöl,<br />

Rapsöl, Sesamöl und Sonnenblumenöl gemischt werden.<br />

Diese Kombination macht es ernährungsphysiologisch<br />

besonders wertvoll).<br />

▶ Bitte zugreifen: Obst und Gemüse, tierisches und pflanzliches<br />

Eiweiß, Kartoffeln (als Pellkartoffeln), Nudeln<br />

(aus Vollkorn, bissfest gegart), Naturreis<br />

▶ Bitte stark einschränken: Haushaltszucker, Honig, Nutella,<br />

Süßwaren jeglicher Art, Kuchen, Gebäck, Weißmehlprodukte<br />

7


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

sigkeitszufuhr erhöhen. Eine basische Ernährung<br />

mit reichlich Gemüse und Kartoffeln,<br />

Salate (auch von gekochtem Gemüse)<br />

sowie gewürzte Suppen und helles<br />

Fleisch sind empfehlenswerte Nahrungsmittel.<br />

Moderate Bewegung (z. B. im Wasser),<br />

Lymphentlastende Massagen, leberstärkende<br />

Kräuter/Tees und Leberwickel<br />

sind weitere ganzheitliche Maßnahmen,<br />

um der Schwangeren zu helfen.<br />

<strong>Der</strong> Säure-Basen-Haushalt<br />

<strong>Der</strong> Mensch gilt mit einem Blut-pH-Wert<br />

von 7,35 als „basisches Wesen“. Die körpereigene<br />

Grundregulation wird entscheidend<br />

vom Säure-Basen-Zusammenspiel<br />

bestimmt. Die westliche, industriell<br />

geprägte Ernährungsweise liefert jedoch<br />

durch die hohe Zufuhr an tierischem Eiweiß<br />

(z. B. Fleisch, Milch und Milchprodukte),<br />

Süßwaren, Fett und dem Mangel<br />

an Flüssigkeit und basenbildender Frischkost<br />

wie Obst und Gemüse häufig einen<br />

Säuren-Überschuss. Auch körperliche,<br />

schwere Anstrengungen, Medikamente,<br />

Diabetes mellitus, chronische Nierenschwäche<br />

oder eine gestörte Darmflora<br />

können den Körper übersäuern. <strong>Der</strong> Körper<br />

versucht dann, die Säuren schnellstmöglich<br />

mit den körpereigenen Mineralstoffen<br />

Calcium, Magnesium, Kalium, Natrium<br />

und dem Spurenelement Eisen abzupuffern,<br />

um sich nicht selbst zu<br />

vergiften. Das Problem: Die Puffersysteme<br />

ziehen sich die notwendigen Mineralstoffe<br />

je nach Bedarf aus Depots wie<br />

Knochen, Knorpel, Haut, Haare, Nägel, Gefäße<br />

etc. So ist es nicht verwunderlich,<br />

dass zahlreiche Erkrankungen und Beschwerden<br />

auch mit einem Ungleichgewicht<br />

im Säure-Basen-Haushalt zusammenhängen<br />

wie Osteoporose, Sodbrennen,<br />

Nierensteine, Gicht, Schwangerschaftshypertonie.<br />

Um die Säuren im<br />

Körper abzupuffern, ist es wichtig, auch<br />

den Speiseplan basenreich auszurichten.<br />

Solche Empfehlungen gelten grundsätzlich,<br />

sollten somit ebenfalls an die werdenden<br />

oder frisch gebackenen Mütter<br />

im Rahmen der Ernährungsberatung weitergegeben<br />

werden. Eine Basen-überschießende<br />

Ernährung kann sogar positiven<br />

Einfluss auf schwangerschaftsbedingte<br />

Probleme wie Ödeme oder Sodbrennen<br />

nehmen. Im Folgenden einige<br />

Empfehlungen für ein gesundes Säure-<br />

Basen-Gleichgewicht:<br />

▶ Kräutertees, verdünnte Gemüsesäfte<br />

(Darauf achten, dass der Urin fast farblos<br />

ist, erst dann ist die Trinkmenge<br />

ausreichend.)<br />

▶ Basenbrühe<br />

▶ Heilwasser, Leitungswasser<br />

▶ Kartoffeln und Gemüse<br />

▶ Beerenobst, Äpfel, Birnen<br />

▶ Basenbad<br />

Das Thema Ernährung sollte zudem niemals<br />

zu dogmatisch und starr an Richtlinien<br />

orientiert sein, sondern den Menschen<br />

als Individuum betrachten. Höfer<br />

beschrieb dies sehr passend mit: „Wir<br />

leben nicht von dem, was wir essen, sondern<br />

von dem, was wir verdauen!“ Dabei<br />

muss nicht ständig, aber immer öfter, an<br />

eine Entsäuerung gedacht werden. ■<br />

Unterschätzte<br />

Risiken bei „Späten<br />

Frühgeborenen“<br />

PD Dr. med. Wolfgang Thomas, Chefarzt<br />

der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin<br />

am Klinikum Mutterhaus der<br />

Borromäerinnen Trier, beschreibt die<br />

späten Frühgeborenen in seinem Vortragstitel<br />

als „überschätzte Kinder mit unterschätzten<br />

Risiken“. Im Bewusstsein der<br />

Ärzte, Hebammen, Krankenschwestern<br />

und Eltern ist eines einleuchtend: Ex-<br />

EXKURS – Ernährung nach den Fünf Wandlungsphasen<br />

Heilpraktikerin und Ernährungsberaterin Iris Tao-Pauli brachte<br />

dem Auditorium die Ernährung nach den Fünf Wandlungsphasen<br />

der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) näher.<br />

Diese ganzheitliche Ernährung erfüllt wichtige Funktionen in<br />

der Prophylaxe und Therapie von Krankheiten, indem sie<br />

ausgleichend auf Yin und Yang wirkt, die Lebenskraft – das<br />

Qi – stärkt und so Körper und Geist harmonisiert.<br />

Das Qi muss durch die Elemente fließen<br />

Bei der Ernährung nach den Fünf Wandlungsphasen handelt<br />

es sich um ein System von Entsprechungen, das zeitliche<br />

Abläufe und rhythmische Strukturen eines Beziehungsgeflechts<br />

zusammenfasst. Alle natürlichen Phänomene und<br />

auch abstrakten Vorstellungen wurden in ein System von<br />

5 immer wiederkehrenden Phasen eingebettet, die nach den<br />

Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser benannt<br />

wurden. Dazu gehören z. B. eine Jahreszeit, eine Emotion,<br />

eine Farbe, ein Geschmack und einige Organe des menschlichen<br />

Körpers. Die Phasen sind nicht statisch, sondern<br />

das Qi fließt immerwährend von einer zur anderen.<br />

Dadurch ernähren, stärken und kontrollieren sich die Phasen<br />

und halten sich in Balance. Voraussetzung: Sie werden<br />

gleichberechtigt ernährt. Wird ein Element nicht ausreichend<br />

genährt, gerät der Qi-Fluss, also die „Wandlung“,<br />

ins Stocken und Krankheiten können entstehen.<br />

Auch der Temperaturcharakter eines Lebensmittels spielt<br />

eine Rolle: Kalte und kühle Nahrungsmittel (Yin) verlangsamen<br />

physiologische Prozesse, warme und heiße (Yang)<br />

beschleunigen sie.<br />

Für die Besserung des Gesundheitszustandes ist es wichtig,<br />

die krankmachenden Ernährungsgewohnheiten zu durchbrechen,<br />

um das Qi wieder in den Fluss zu bringen. In diesem<br />

Zusammenhang erfuhren die Hebammen, dass viele schon<br />

ihre Ernährung unbewusst nach ihren individuellen Bedürfnissen<br />

ausrichten, aber noch viele Aspekte aus der TCM<br />

integrieren könnten, die ihr Wohlbefinden stärken und<br />

Beschwerden beheben. Eine Ernährung nach der TCM-Philosophie<br />

ist nie dogmatisch, sondern immer individuell<br />

angepasst, zudem vollwertig und schafft ein ausgeglichenes<br />

Säure-Basen-Verhältnis im Körper.<br />

8


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Geburt<br />

Mortalität nach milder und moderater Frühgeburt.<br />

© Kramer M et al.: Journal of the America Medical Association, 2000<br />

Mortalitätsrisiko<br />

32+0–33+6 SSW<br />

(7,6 % von Grundgesamtheit)<br />

34+0–36+6 SSW<br />

(1,4 % von Grundgesamtheit)<br />

Unadjustiertes<br />

Risiko (pro 1000<br />

Geburten)<br />

treme Frühgeburten bringen meist große<br />

gesundheitliche Probleme mit sich. Sowohl<br />

die Morbidität als auch die Mortalität<br />

liegen bei Frühchen vor allem unterhalb<br />

der 27. SSW sehr hoch. Besonders<br />

häufig treten Lungenreifungsstörungen,<br />

Atemnotsyndrome sowie Hirnblutungen<br />

auf. Durch die unvollständige Hirnreife<br />

kommt es auch in manchen Fällen zu bleibenden<br />

Schäden wie der spastischen Zerebralparese.<br />

Diese neurologische Störung<br />

ist gekennzeichnet durch eine<br />

schlechte Muskelkontrolle, Spastik,<br />

Lähmung, Anfälle, Intelligenzminderung<br />

etc.<br />

„Normale Frühgeborene“<br />

gibt es nicht<br />

Den „späten Frühgeborenen“, die etwa<br />

zwischen der 34+0–36+6 SSW geboren<br />

wurden und die man bis vor kurzem noch<br />

als „fast Reifgeborene“ bezeichnete, wird<br />

hingegen in der Medizin wenig Beachtung<br />

geschenkt. Dabei gibt es keine „normalen<br />

Frühgeborenen“, denn: Die Reifung – so<br />

Thomas – ist ein kontinuierlicher Prozess<br />

bis zum errechneten Geburtstermin. Jede<br />

Relatives Risiko<br />

(im Vergleich zu<br />

Reifgeborenen)<br />

10,8 5,3 (4,9–5,8) 2,2<br />

4,9 2,5 (2,3–2,6) 4,3<br />

Neurologisch-motorische Entwicklung bis Ende des 2. Lebensjahres.<br />

© Woythaler M et al.: Pediatrics, 2011<br />

Bailey Scales<br />

(pädiatrischer<br />

Entwicklungstest)<br />

MDI < 70<br />

70–84<br />

≥ 85<br />

PDI < 70<br />

70–84<br />

≥ 85<br />

Späte<br />

Frühgeborene<br />

(%)<br />

21,2<br />

28,6<br />

50,2<br />

6,1<br />

33,3<br />

60,7<br />

Reifgeborene<br />

(%)<br />

16,4<br />

25,3<br />

58,3<br />

6,5<br />

23,4<br />

70,0<br />

MDI = Mental Developmental Index, PDI = Psychomotor Developmental Index<br />

Ätiologische<br />

Fraktion (% der<br />

Verstorbenen<br />

P-Wert<br />

0,007<br />

0,02<br />

Woche, sogar jeder Tag im Mutterleib hat<br />

seinen gesundheitlichen Nutzen für das<br />

Ungeborene. Eine retrospektive populationsbasierte<br />

Analyse (Kramer M et al.:<br />

Journal of the American Medical Association,<br />

2000) zeigte beispielsweise an 3,9<br />

Millionen in den USA 1995 einbezogenen<br />

Geburten, dass das absolute Mortalitätsrisiko<br />

bei moderaten (32+0–3+6 SSW)<br />

und milden Frühgeborenen (34+0–36+6<br />

SSW) zwar insgesamt gering, im Vergleich<br />

zu Reifgeborenen jedoch deutlich erhöht<br />

ist. Das relative Risiko der milden Frühgeborenen<br />

lag dabei immer noch 2,5-mal<br />

so hoch wie bei Reifgeborenen.<br />

Grundsätzlich Ikterusgefährdet<br />

Welche Krankheiten treten besonders<br />

häufig bei späten Frühgeborenen auf?<br />

Frühgeborene sind grundsätzlich Ikterus-gefährdet.<br />

Bei der Neugeborenengelbsucht<br />

(Hyperbilirubinämie) lagert<br />

sich vermehrt Bilirubin, ein Abbauprodukt<br />

des Hämoglobins, in Haut und Augen<br />

ab. Dieser Vorgang erreicht meist am<br />

4.–5. Lebenstag sein Maximum. Ein Wert<br />

von 15 mg/dl kann bei einem Reifgeborenen<br />

noch als physiologisch und harmlos<br />

betrachtet werden. Neugeborene mit<br />

stark erhöhten Bilirubinwerten werden<br />

mit einer Phototherapie behandelt, um<br />

einen Kernikterus zu verhindern. Wird<br />

ein kritischer Schwellenwert, der abhängig<br />

vom Gestationsalter und vom Lebenstag<br />

ist, überschritten, erhöht sich eben<br />

diese Gefahr. Denn das Bilirubin kann<br />

dann die Blut-Hirn-Schranke überwinden<br />

und sich im Gehirn ablagern. Dies kann<br />

irreversible Spätschäden wie Hörverlust,<br />

Störungen in der Motorik-Steuerung<br />

sowie geistige Behinderungen zur Folge<br />

haben. Die Inzidenz des Kernikterus<br />

wurde aufgrund einer strukturierten Umfrage<br />

an allen deutschen Kinderkliniken<br />

in den Jahren 2003–2005 mit 6,3 auf<br />

1 Millionen Geburten benannt. Ziel ist<br />

es, ihn komplett zu verhindern. Je unreifer<br />

das Neugeborene aber ist, desto größer<br />

ist sein Risiko für Ikterus-Spätschäden.<br />

Somit sollten auch die späten Frühgeborenen<br />

mehr in den Fokus als Risikogruppe<br />

treten, um eine spontane und angemessene<br />

Behandlung zu ermöglichen.<br />

Risiko für Hypoglykämie<br />

und Atemnotsyndrom<br />

erhöht<br />

Frühgeborene sind ebenfalls anfälliger für<br />

Hypoglykämien und Apnoen. Eine japanische<br />

Studie (Ishiguro A et al.: Pediatrics<br />

International, 2009) verglich dieses Risiko<br />

an 210 Frühgeborenen (35+0–36+6<br />

SSW, Geburtsgewicht > 2000 g) versus<br />

2648 Reifgeborenen. Das Risiko der späten<br />

Frühgeborenen lag 4,27-mal höher,<br />

direkt aus dem Kreißsaal in die Neonatologie<br />

aufgenommen werden zu müssen.<br />

Auch später noch lag es 3,57-mal höher.<br />

Bei mehr als 80 % geschah dies aufgrund<br />

einer Hypoglykämie und/oder Apnoe. Das<br />

Atemnotsyndrom als pulmonale Erkrankung<br />

lässt sich besonders gut an<br />

dem charakteristischen exspiratorischen<br />

Stöhnen festmachen. Thomas veranschaulichte<br />

dies mit einem Video eines<br />

späten Frühgeborenen, das durch dieses<br />

Stöhnen bzw. den aufgebauten Druck versucht,<br />

seiner Ateminsuffizienz entgegenzuwirken.<br />

Lassen diese Atemgeräusche<br />

nach und zeigt das Kind damit einherge-<br />

9


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

hend Zeichen zunehmender Blässe und<br />

einer Zyanose, sind dies klinische Merkmale<br />

eines bedrohlichen Atemnotsyndroms.<br />

Sofortiges Handeln ist gefragt!<br />

Wurde das Frühgeborene per Sectio auf<br />

die Welt gebracht, erhöht sich dessen Risiko<br />

weiter, maschinell beatmet werden<br />

zu müssen, denn: Während einer Spontangeburt<br />

wird etwa ⅓ des fetalen Lungenwassers<br />

ausgepresst. Darüber hinaus<br />

stimulieren Wehen die Surfactant-Produktion.<br />

Das Surfactant ist eine emulgierende,<br />

oberflächenaktive Substanz, die in<br />

der Lunge die Ventilation und den Gasaustausch<br />

begünstigt. So sollten auch aus<br />

diesem Grund die Indikationen für eine<br />

Sectio kritisch bewertet und die werdende<br />

Mutter bei einem gewünschten<br />

Kaiserschnitt genauestens über die möglichen<br />

Komplikationen aufgeklärt werden.<br />

Reifung des Gehirns häufig<br />

noch unvollständig<br />

Die gesundheitlichen Folgen einer späten<br />

Frühgeburt sind jedoch nicht nur kurzfristig,<br />

sondern noch über Jahre hinweg zu<br />

beobachten. Das Risiko für beispielsweise<br />

später folgende akute Bronchitiden,<br />

Asthma oder bakterielle Infektionen ist<br />

deutlich erhöht. Vor allem scheint aber<br />

das Gehirn ein Risikoorgan für langfristige<br />

Störungen darzustellen, denn: Ein Großteil<br />

des Wachstums und der Reifung des<br />

Gehirns findet intrauterin in den letzten<br />

Wochen der Schwangerschaft statt. Eine<br />

prospektive Longitudinaluntersuchung in<br />

den USA (Woythaler M et al.: Pediatrics,<br />

2011) untersuchte Kinder des Geburtsjahrganges<br />

2001 im Alter von 2 Jahren mit<br />

Fokus auf ihre neurologisch-motorische<br />

Entwicklung hin. Verglichen wurden Kinder<br />

der SSW 34+0–36+6 versus älter als<br />

37+0 mit einem standardisierten Verfahren<br />

(Bailey Scales Kurzform). 21,2 % der<br />

untersuchten späten Frühgeborenen<br />

zeigten nach 2 Jahren eine signifikante<br />

geistige Entwicklungsverzögerung, 33,3 %<br />

noch eine milde Verzögerung der motorischen<br />

Entwicklung.<br />

Eine US-amerikanische Multizenter-Studie<br />

(Gray P et al.: Pediatrics, 2004) legte<br />

zudem dar, dass eine späte Frühgeburt<br />

auch mit Verhaltensauffälligkeiten assoziiert<br />

sein kann. Dies entnahmen die Wissenschaftler<br />

der Auswertung von standardisierten<br />

Fragebögen von Eltern mit<br />

Kindern im Alter von 3, 5 und 8 Jahren.<br />

In 20 % der 869 späten Frühgeborenen war<br />

dies der Fall. Sicherlich kommen hier aber<br />

auch noch andere Einflussfaktoren zum<br />

Tragen.<br />

EXKURS – Vom Frauenraum zum Kreißsaal<br />

Auszug auf dem Vortrag von Prof. Dr. Eva Labouvie, Professorin<br />

für Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung am Institut<br />

für Geschichte der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.<br />

„In den meisten europäischen Ländern, besonders in den<br />

europäischen Industrienationen, entwickelte sich die zeremonielle<br />

Begleitung der ‚Köperrituale‘ von Schwangerschaft und<br />

Geburt durch Frauen und ihre Hebamme (‚Mitmutter‘, midwife)<br />

über die professionelle Ausübung des Berufs der Hebamme und<br />

des medizinisch-akademischen männlichen Geburtshelfers bis<br />

hin zur ‚Medikalisierung von Mentalitäten‘. Im Zuge dieser bis<br />

noch vor 60 Jahren keineswegs selbstverständlichen Bedeutungs-<br />

und Praxisänderungen entstand in der europäischen<br />

Gesellschaft nicht nur eine neue Frauenkultur um Geburt und<br />

Schwangerschaft, sondern zuvor schon eine neue Gebärkultur.<br />

Während zwischen den beiden Weltkriegen in Deutschland<br />

noch 97 % der Geburten zu Hause und im Frauenkreis stattfanden,<br />

strebte die moderne, jetzt männlich dominierte, akademische<br />

Nachkriegsgeburtshilfe nach der institutionellen<br />

Vereinnahmung von Schwangerschaft und Geburt in Krankenhäusern<br />

und Frauenkliniken. […]<br />

Neben Gesellschaft, Medien und ärztlichen Ratgebern bildete<br />

vor allem die Schwangerschaftsvorsorge seit den 1950er-<br />

Jahren ein neues weibliches Körperbewusstsein und geänderte<br />

Körpervorstellungen aus. […] Aus vielen Äußerungen<br />

von Frauen, Hebammen wie Medizinern wird mittlerweile<br />

allerdings ersichtlich, dass Schwangerschaftsvorsorge und vor<br />

allem die hochgerüstete Kreißsaal-Geburt, die sich in der<br />

Nachkriegszeit in fast ganz Europa durchzusetzen begann, als<br />

Geschehnisse begriffen werden können, die einerseits neuartige<br />

Glaubensformen hervorbringen und bestätigen: eine<br />

verinnerlichte Abhängigkeit von medizinischen Erkenntnissen,<br />

eine neue Formierung von Mythologemen wie Sicherheit,<br />

Risiko-Beschränkung, Planung, Kontrolle, Optimierung<br />

und professionellem Kalkül. Medizinische Prozeduren, ohne<br />

die der als physiologisch betrachtete Geburtsvorgang wegen<br />

seines vorgeblich hohen Risikos nicht mehr auszukommen<br />

vermag, stellen auf der anderen Seite neuartige überzeugungsstiftende,<br />

sinngebende Vorgänge dar, ja bilden<br />

geradezu eine „technologische Liturgie“ risikomindernder<br />

Rituale aus: Ultraschall, kardiotokografische Überwachung,<br />

Wehentropf, Dammschnitt usw. Anders als die auf Beruhigung<br />

und gemeinsame Bewältigung abzielenden früheren<br />

und heute noch in einigen europäischen Gegenden gebräuchlichen<br />

traditionellen Geburtsrituale, deren Sinn<br />

gebende Funktion die Menschwerdung der „Leibesfrucht“ in<br />

einem von Frauen gebildeten intimen Schutzraum war und<br />

ist, schaffen sie freilich kontinuierlich neue Ängste, Mythen,<br />

neue Risiken, eine veränderte weibliche Wahrnehmung und<br />

– in ihrer Folge – eine gewandelte Kultur um Schwangerschaft<br />

und Geburt. […] Und jede der rituell beschworenen<br />

Ängste liefert die Frau einer neuartigen Hilflosigkeit und<br />

Abhängigkeit aus: Nicht auf ihre Biologie, auf die Hebamme<br />

oder andere Frauen kann sie vertrauen, nicht auf ihren<br />

Körper noch ihr eigenes Tun und Denken. […] Eine ganze<br />

Generation von Frauen hat, so könnte man meinen, das<br />

Wissen vom eigenen Gebären verloren. […]“<br />

10


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />

Postnatales Monitoring<br />

gewünscht<br />

Thomas appelliert an die Hebammen,<br />

dass es eine gemeinsame Anstrengung<br />

sein sollte, sich um die optimale Versorgung<br />

später Frühgeborener zu kümmern.<br />

Dabei sollten an erster Stelle die Indikationen<br />

für eine Sectio streng hinterfragt<br />

werden. Darüber hinaus ist ein frühes<br />

postnatales Monitoring wünschenswert,<br />

um zeitnah bei Problemen handeln zu<br />

können. Langfristige Entwicklungsverzögerungen<br />

können nur erkannt werden,<br />

wenn die Eltern ihr Kind aufmerksam mit<br />

beobachten und die Pädiater ein gezieltes<br />

Follow-up durchführen.<br />

■<br />

Die Pflege der Babyhaut<br />

– Von Mythen<br />

zu Fakten<br />

Die Haut reguliert nicht nur die Körpertemperatur,<br />

sondern dient vor allem als<br />

Schutzbarriere zwischen dem inneren<br />

Milieu und der Umwelt. Eine intakte<br />

Hautbarriere schützt bei einem ausgeglichenen<br />

Säureschutzmantel vor dem<br />

Eindringen von Noxen und infektiösen<br />

Erregern. Aktuelle Forschungsergebnisse<br />

lassen vermuten, dass die postnatale<br />

Reifung der Hautbarriere bis über das<br />

gesamte 1. Lebensjahr hinweg andauert<br />

– so startete PD Dr. med. Natalie Garcia<br />

Bartels, Kinderdermatologische Hochschulambulanz<br />

der Charité – Universitätsmedizin<br />

Berlin, ihren Vortrag. Die Hautfeuchtigkeit<br />

und der Fettgehalt der Neugeborenenhaut<br />

sind zu Beginn noch niedrig<br />

und steigen erst langsam an, der pH-<br />

Wert liegt höher. Diese Reifungsprozesse<br />

variieren zudem je nach Körperregion.<br />

Beispielsweise hat der Po als dauerhaft<br />

abgeschlossener Bereich andere Ansprüche<br />

als die freiliegende Stirn oder der<br />

Bauch und die Oberschenkel als bekleidete<br />

Areale. Eine intakte Hautbarriere bedeutet<br />

eine niedrige Durchlässigkeit der<br />

Hornschicht. Die Haut trocknet nicht so<br />

schnell aus und reagiert unempfindlich<br />

gegenüber äußeren Reizen. Um Barrierefunktionen<br />

zu unterstützen, ist eine altersgerechte<br />

Hautpflege besonders im<br />

Säuglingsalter wichtig, da sich die Haut<br />

nach der Geburt an die neue Umgebung<br />

anpassen muss.<br />

Pflegeempfehlungen<br />

bislang nicht einheitlich<br />

Bislang gab es kein national oder international<br />

einheitliches Pflegeregime. Die Empfehlungen,<br />

die Eltern von beispielsweise<br />

Hebammen, Kinderärzten, Verwandten,<br />

aus Kursen oder Literatur erhielten, basierten<br />

vorwiegend auf Erfahrung, Tradition<br />

und Kultur. Aufgrund der aktuellen<br />

klinischen Studienlage können heute evidenzbasierte<br />

Empfehlungen zur Hautpflege<br />

bei Babys entwickelt werden.<br />

Hautmessungen: schmerzfrei<br />

und unkompliziert<br />

Die Hautbarrierefunktion kann mittlerweile<br />

durch schmerzfreie, nichtinvasive<br />

Messungen am Säugling quantitativ erfasst<br />

werden. Diese Herangehensweise ist<br />

neu. Mit verschiedenen unkomplizierten<br />

Hautanalyseverfahren lassen sich unterschiedliche,<br />

etablierte Pflegekonzepte<br />

wissenschaftlich miteinander vergleichen.<br />

Als objektive und aussagekräftige<br />

Messungen wurde die Bestimmung des<br />

transepidermalen Wasserverlustes (TEWL)<br />

mit einem Tewameter ® herangezogen. Die<br />

Feuchtigkeit wurde mithilfe eines Corneometers<br />

® , der pH-Wert mit einem SkinpH-Meter<br />

® und die Hautlipide mit einem<br />

Sebumeter ® gemessen. Die Messungen<br />

wurden über eine längere Periode zu festgelegten<br />

Zeiten an definierten, gleichbleibenden<br />

Arealen (z. B. Stirn, Bauch, Oberschenkel,<br />

Po) durchgeführt.<br />

Pflege im Einklang mit der<br />

natürlichen Hautreifung<br />

Pflegeregimes können einen messbaren<br />

Einfluss auf die Hautfunktion haben. Entscheidend<br />

ist, dass dieser Einfluss nicht<br />

negativ ist, sondern die postnatale Reifung<br />

unterstützt und stabilisiert. Diesbezüglich<br />

brachte Garcia Bartels selbst mit<br />

einigen prospektiven, randomisierten<br />

Studien am Clinical Research Center for<br />

Hair and Skin Science Bewegung in die<br />

Forschung:<br />

Die Hautmessungen können beispielsweise<br />

an Stirn, Bauch, Oberschenkel und Po erfolgen.<br />

© Bübchen<br />

Bezüglich des Badens oder Waschens<br />

von Babys nach der Geburt ergaben ihre<br />

Untersuchungen (Garcia Bartels N, Blume-<br />

Peytavi U et al.: Skin Pharmacology and<br />

Physiology, 2009), dass 2-mal wöchentliches<br />

Baden in klarem Wasser besser für<br />

die gesunde Babyhaut ist als das Waschen<br />

mit einem Waschlappen. Baden zeigte<br />

eine signifikant höhere Hautfeuchtigkeit<br />

an Stirn und Bauch und einen reduzierten<br />

TEWL-Wert am Gesäß nach 4 Wochen.<br />

Zudem führt Baden grundsätzlich zu<br />

einem geringeren Wärmeverlust als Waschen<br />

und beim Baby zu größerem Wohlbefinden.<br />

Ein dem Badewasser zugegebener Babybadezusatz<br />

schadet der Reifung der Hautbarriere<br />

nicht. Auch das Eincremen nach<br />

dem Baden wirkt sich an verschiedenen<br />

Körperregionen günstiger auf die Barrierefunktion<br />

aus als Baden in klarem Wasser<br />

ohne Eincremen (Garcia Bartels N, Blume-Peytavi<br />

U et al.: Pediatric <strong>Der</strong>matology,<br />

2010).<br />

Babyschwimmen:<br />

Auswirkungen auf die Haut<br />

Unbestritten ist, dass Babyschwimmen<br />

die motorische Entwicklung des Sprösslings<br />

fördert und einen intensiven Mutter/Vater-Kind-Kontakt<br />

herstellt. Neben<br />

der bislang unklaren Datenlage zur Auswirkung<br />

des Babyschwimmens auf die<br />

11


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Atemwege (Asthma) fragen sich viele Eltern,<br />

ob der intensive Kontakt mit Wasser<br />

der empfindlichen Haut des Babys<br />

schadet. In einer aktuellen, klinischen<br />

Studie (Garcia Bartels N et al.: Journal der<br />

Deutschen <strong>Der</strong>matologischen Gesellschaft,<br />

2011) wiesen Säuglinge im Alter von 3–6<br />

Monaten, die nach dem Babyschwimmen<br />

eine Babypflegelotion erhielten, stabilere<br />

Haut-pH-Werte und Hautoberflächenlipide<br />

auf als Säuglinge ohne anschließendes<br />

Eincremen. Bei Babys mit einem<br />

erhöhten Risiko oder schon aufgetretener<br />

atopischer <strong>Der</strong>matitis (Neurodermitis)<br />

empfiehlt sich sogar das Eincremen 2–3<br />

Stunden vor dem Babyschwimmen. Hohe<br />

Chlorgehalte im Wasser scheinen zudem<br />

einen negativen Einfluss auf eine Neurodermitis<br />

zu haben (Garcia Bartels N et<br />

al.: Journal der Deutschen <strong>Der</strong>matologischen<br />

Gesellschaft, 2011; Seki T et al.:<br />

Journal of <strong>Der</strong>matology, 2003; Chiang<br />

C, Eichenfield L: Pediatric <strong>Der</strong>matology,<br />

2009; Hindley N et al.: Archives of Disease<br />

in Childhood, 2006; AWMF Leitlinie Neurodermitis).<br />

Eltern sollten dann ein<br />

Schwimmbad aufsuchen, dessen Wasser<br />

beispielsweise mittels einer Ozonbehandlung<br />

aufbereitet wurde, um den Gehalt<br />

an freiem Chlor, Chloramin etc. zu senken.<br />

Spezielle Bedürfnisse bei<br />

atopischer <strong>Der</strong>matitis und<br />

trockener Haut<br />

Die präventiven Effekte des Pflegeregimes<br />

auf die Hautbarrierefunktion sollten auch<br />

langfristig über Studien geprüft werden.<br />

Zudem fehlen derzeit noch evidenzgestützte<br />

Empfehlungen und Leitlinien zur<br />

Hautpflege Neugeborener und Kleinkinder<br />

mit trockener Haut und einem Risiko<br />

für atopische <strong>Der</strong>matitis. In diesem<br />

Zusammenhang existieren erste Hinweise,<br />

Säuglinge und Kleinkinder mit Risiko<br />

für atopische <strong>Der</strong>matitis präventiv einzucremen.<br />

Allerdings ist die Studienlage<br />

noch nicht ausreichend, um daraus aktuell<br />

eine studienbasierte Empfehlung abzuleiten.<br />

Besteht jedoch eine Hauttrockenheit,<br />

sollte man je nach Hautzustand<br />

bis zu 2-mal täglich eine Pflegecreme<br />

oder Lotion anwenden, die parfümfrei<br />

und für Babys ausgewiesen ist. Das Baden<br />

darf 1–2-mal pro Woche erfolgen, im Anschluss<br />

daran sollte das Kind eingecremt<br />

werden (Simpson E et al.: Journal of the<br />

American Academy of <strong>Der</strong>matology, 2010;<br />

Hindley N et al.: Archives of Disease in<br />

Childhood, 2006; Chiang C, Eichenfield L:<br />

Pediatric <strong>Der</strong>matology, 2009, AWMF Leitlinie<br />

Neurodermitis).<br />

Nicht alle sind wertvoll:<br />

Öle in der Babypflege<br />

Öle haben einen großen Stellenwert in<br />

der Babypflege. Hinsichtlich der unterschiedlichen<br />

eingesetzten Öle wurden<br />

zahlreiche Studien (Danby S et al., 2012;<br />

Darmstadt G et al., 2008, 2002; Eichenfield<br />

L et al., 2009; Vaivre-Douret L et al., 2008)<br />

durchgeführt, denn die Natürlichkeit und<br />

Qualität lassen häufig zu wünschen übrig.<br />

Eine Untersuchung zum Einsatz von Olivenöl<br />

versus Sonnenblumenöl an Erwachsenen<br />

(2-mal täglich über 4 Wochen)<br />

ergab eine signifikante Verschlechterung<br />

der Hautbarriere-Integrität durch<br />

Olivenöl bei positiver Anamnese für atopische<br />

<strong>Der</strong>matitis, bei Sonnenblumenöl<br />

hingegen keinen negativen Effekt. Unter<br />

den Olivenölen gibt es ohnehin schwarze<br />

Schafe. Viele der eigentlich zum Verzehr<br />

gedachten und mit „extra nativ“ deklarierten<br />

Olivenöle müssen qualitativ bzw.<br />

sensorisch eigentlich als sogenannte Lampantöle<br />

klassifiziert werden. Solche Öle<br />

sind zum Verzehr völlig ungeeignet. Somit<br />

ist auch in der Hautpflege größte Vorsicht<br />

bei Olivenöl geboten.<br />

Fazit<br />

Baden und Eincremen hat nach<br />

aktueller Datenlage keine negative<br />

Auswirkung auf die Hautreifung und<br />

Anpassung bei Neugeborenen und<br />

Säuglingen. Ein standardisiertes<br />

Hautpflegeregime verbessert die<br />

Hautbarrierefunktion bei Neugeborenen<br />

in verschiedenen Körperregionen<br />

und zeigt Vorteile gegenüber dem<br />

Einsatz von Wasser alleine.<br />

(Garcia Bartels N, Blume-Peytavi U et al.:<br />

Skin Pharmacology and Physiology, 2009;<br />

Garcia Bartels N, Blume-Peytavi U et al.:<br />

Pediatric <strong>Der</strong>matology, 2010; Garcia Bartels<br />

N, Blume-Peytavi U et al.: Pediatric<br />

<strong>Der</strong>matology, 2012)<br />

Großer Forschungsbedarf<br />

Da noch zahlreiche Fragen rund um die<br />

Themen Körper- und Nabelpflege, Pflege<br />

der Windelregion und Babyschwimmen<br />

bestehen, ist der Forschungsbedarf laut<br />

Garcia Bartels nach wie vor hoch. Dabei<br />

sollten zukünftige Studien sowohl die<br />

gesunde Haut, trockene Haut, atopische<br />

<strong>Der</strong>matitis als auch bestimmte andere<br />

Hauterkrankungen wie Psoriasis in den<br />

Fokus nehmen.<br />

www.crcberlin.com<br />

www.kinderdermaberlin.com<br />

Pflegeempfehlungen bei gesunder Haut im Neugeborenen- und<br />

Säuglingsalter<br />

Europäische Experten (<strong>Der</strong>matologen und Pädiater) haben aufgrund dieser<br />

Studienergebnisse u. a. die ersten evidenzbasierten Pflegeempfehlungen für die<br />

Hautpflege von gesunden, reifgeborenen Säuglingen veröffentlicht:<br />

▶ Baden 2–3-mal pro Woche<br />

▶ Raumtemperatur über 22 °C, Wassertemperatur 37–38 °C<br />

▶ Badedauer 5–10 Minuten<br />

▶ <strong>Der</strong> Säugling sollte nach dem Baden schnell, aber sanft (nicht rubbeln)<br />

abgetrocknet und angekleidet werden, damit er nicht auskühlt<br />

▶ Verwendung eines milden Babybadezusatzes beim Baden möglich<br />

▶ Nach dem Baden mit einer Babypflegecreme eincremen<br />

(Blume-Peytavi U et al.: Journal of the European Academy of <strong>Der</strong>matology and Venereology, 2009;<br />

Garcia Bartels N et al.: Skin Pharmacology and Physiology, 2009, Pediatric <strong>Der</strong>matology 2010;<br />

Blume-Peytavi U, Garcia Bartels N: Aktuelle <strong>Der</strong>matologie, 2010; Garcia Bartels N et al.: Journal der<br />

Deutschen <strong>Der</strong>matologischen Gesellschaft, 2011)<br />

■<br />

12


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />

Hautpflege in der<br />

Hebammensprechstunde<br />

Die Haut als das größte und eines<br />

der wichtigsten sowie faszinierendsten<br />

menschlichen Organe ist ein wahres Multitalent.<br />

Gleichzeitig ist es auch das Lieblingsthema<br />

von Dr. Thomas Stiehm, Geschäftsführer<br />

Bübchen und Leiter der Abteilung<br />

Forschung und Entwicklung, Soest,<br />

der in seinem Seminar langjährige Erfahrungen<br />

mit den Hebammen teilte.<br />

Mit ihren Zellen, Nervenendkörperchen,<br />

Talg- und Schweißdrüsen steuert bzw. reguliert<br />

die Haut die Körpertemperatur,<br />

den Flüssigkeitshaushalt und die haptische<br />

Wahrnehmung. Dabei schützt uns<br />

die Haut auch vor unserer Umwelt,<br />

Schmutz, Mikroorganismen und nicht zuletzt<br />

vor dem Austrocknen. Im Laufe des<br />

Lebens verändert sich die Haut, sodass die<br />

Bedürfnisse der Babyhaut anders sind als<br />

die eines Erwachsenen oder eines alten<br />

Menschen. <strong>Der</strong> Aufbau und deren Grundfunktion<br />

sind jedoch in jedem Alter gleich.<br />

Säuglingshaut hat<br />

besondere Ansprüche<br />

Bereits am Aussehen der Babys lässt sich<br />

erkennen, dass deren Haut dünner ist,<br />

denn der rosige Teint entsteht durch die<br />

durchscheinenden Blutgefäße. Je dünner<br />

die Haut ist, desto höher ist der Wasserverlust<br />

und desto trockener ist die Haut.<br />

Sehr unreife Frühchen würden beispielsweise<br />

innerhalb eines Tages an einem<br />

perkutanen Wasserverlust sterben, wenn<br />

ihre Haut nicht durch geeignete Maßnahmen<br />

(wie das Einwickeln in Folie) vor<br />

einer zu starken Verdunstung geschützt<br />

würde.<br />

Die Relation der Hautoberfläche zum Körpergewicht<br />

ist zudem ausschlaggebend<br />

für deren Schutzwirkung. Beim Neugeborenen<br />

liegt diese 3-mal so hoch und beim<br />

Kleinkind 2-mal so hoch wie beim Erwachsenen<br />

(entspricht 1-mal). Dies wirkt<br />

sich auf die perkutane Resorption aus –<br />

also auf die Aufnahme von Stoffen in die<br />

Haut. Bei Säuglingen ist diese so hoch,<br />

dass schädliche Substanzen (z. B. Pestizide,<br />

Keime) leichter und in deutlich erhöhtem<br />

Ausmaß eindringen können. Dieses<br />

Wissen ist auch beim Einsatz von äußerlich<br />

angewendeten Medikamenten<br />

und Pflegeprodukten zu berücksichtigen.<br />

<strong>Der</strong> Säureschutzmantel eines Säuglings<br />

ist zudem noch nicht voll entwickelt, was<br />

die Anfälligkeit gegenüber externen<br />

Noxen abermals erhöht. <strong>Der</strong> physiologische<br />

pH-Wert von 5,5 muss sich zuerst<br />

einmal einstellen.<br />

So viel wie nötig, aber<br />

so wenig wie möglich<br />

Für die Pflege sollten möglichst milde,<br />

seifenfreie, pH-hautneutrale und rückfettende<br />

Reinigungsprodukte zum Einsatz<br />

kommen. Die anschließende bedarfsangepasste<br />

Pflege dient der Gesunderhaltung<br />

der Haut. Babys mit normaler Haut<br />

oder die zu trockener Haut neigen, profitieren<br />

von einer milden Creme oder Lotion<br />

in Form einer sogenannten W/O-<br />

Emulsion (Wasser-in-Öl). Sie entspricht<br />

dem Säureschutzmantel, fühlt sich warm,<br />

fettig und schwer auf der Haut an, ist zäh<br />

und zieht nicht so schnell ein. Eine O/W-<br />

Emulsion (Öl-in-Wasser) entspricht hingegen<br />

nicht dem Säureschutzmantel,<br />

fühlt sich leicht, kühl und wässrig auf der<br />

Haut an, zieht schnell und gut ein und eignet<br />

sich eher für fettige bis leicht trockene<br />

Erwachsenenhaut. Ist die Haut des Neugeborenen<br />

anlagebedingt sehr trocken<br />

oder neigt zu Atopien, sollte die Haut besonders<br />

konsequent und regelmäßig gepflegt<br />

werden. Die Pflegeprodukte sollten<br />

dann unbedingt ohne Farb- und Konservierungsmittel<br />

sowie Paraffine sein.<br />

Sonnenblumenöl ist laut Stiehm optimal<br />

für die empfindliche und im Aufbau befindliche<br />

Neugeborenenhaut, denn es<br />

enthält etwa 63 % Linolsäure. Linolsäure<br />

stabilisiert die Struktur der Zellmembranen<br />

der Haut, was die Barrierefunktion<br />

stärkt und den transepidermalen Wasserverlust<br />

reduziert. Ist zudem Kamille<br />

in Pflegeprodukten enthalten, wirkt dies<br />

durch die Wirkstoffe Azulen und Bisabolol<br />

entzündungshemmend und hautberuhigend.<br />

Unter den verschiedenen Sorten<br />

ist die echte Kamille am besten für die<br />

Babypflege geeignet, da sie so gut wie nie<br />

allergische Reaktionen auslöst.<br />

Schutz des Babypopos<br />

Durch das feucht-warme Klima im Windelbereich<br />

ist der Babypo ein optimaler<br />

Nährboden für Keime und neigt zum<br />

Wundsein. So soll die Pflege des Babypopos<br />

vor reizenden Stoffen schützen (z. B.<br />

mit Zinkoxid), die angegriffene Haut pflegen<br />

(mit ausgewählten Pflanzenölen) und<br />

einer Windeldermatitis vorbeugen (z. B.<br />

Panthenol, Pflanzenextrakten wie Calendula<br />

oder Heliotropin). Auch im Windelbereich<br />

ist eine W/O-Emulsion die beste<br />

Basis.<br />

Sonnenschutz<br />

Darüber hinaus bietet die Säuglingshaut<br />

kaum UV-Schutz. Die Melanin bildenden<br />

Zellen (Melanozyten) sind zwar vorhanden,<br />

können aber den braunen Schutzstoff<br />

noch nicht ausreichend produzieren.<br />

Auch die Dünne der Haut erhöht die Empfindlichkeit<br />

gegenüber UV-Strahlen. So<br />

sind die Meidung der Mittagssonne und<br />

der konsequente Einsatz von textilem<br />

Lichtschutz essenziell für den Schutz der<br />

empfindlichen Babyhaut. Eine UV-sichere<br />

Sonnenbrille und ein geeignetes Sonnenschutzprodukt<br />

(Lichtschutzfaktor > 30)<br />

runden die ganzheitliche Protektion ab.<br />

Einen besonders guten Schutz bietet eine<br />

Kombination aus mineralischen und organischen<br />

Lichtschutzfiltern. Dabei ziehen<br />

mineralische Mikropigmente, wie<br />

Titanoxid oder Zinkoxid, und die organischen<br />

Filter nicht in die Haut ein, sondern<br />

reflektieren das Sonnenlicht an der<br />

Hautoberfläche. Die Kombination beider<br />

Lichtschutzfilter hat eine synergetischen<br />

Effekt, druch den die Gesamtkonzentration<br />

der UV-Filter bei gleichem Lichtschutzfaktor<br />

gesenkt wird. Sonnenschutzprodukte<br />

für Babys sollten frei von<br />

Farb- und Konservierungsstoffen sowie<br />

Parfum sein. Zudem sollten darauf geachtet<br />

werden, so Stiehm, dass der organische<br />

UV-Filter Octocrylene nicht enthalten<br />

ist, denn dieser steht unter Verdacht,<br />

hormonell wirksam zu sein. ■<br />

13


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Ernährung und Präventionsstrategien<br />

im Säuglingsalter<br />

Die frühe Ernährung im Mutterleib und<br />

Säuglingsalter bietet nicht nur wichtige<br />

Voraussetzungen für die Entwicklung im<br />

1. Lebensjahr, sondern hat auch langfristige<br />

Effekte. In den ersten 1000 Lebenstagen<br />

entwickeln Kinder ihre (Aus-)<br />

Rüstung für das gesamte Leben. Diese metabolische<br />

Prägung hat nach neuesten Erkenntnissen<br />

sogar Auswirkung auf die<br />

Entwicklung von späterem Übergewicht<br />

und anderen Volkskrankheiten. Auch für<br />

Richard Horton (Redakteur der britischen<br />

Fachzeitschrift für Medizin Lancet) ist es<br />

das „goldene“ Intervall vom Anfang der<br />

Schwangerschaft bis zum Ende des 2. Lebensjahres,<br />

das Risiko und Chance zugleich<br />

für die Gesundheit eines Menschen<br />

in sich birgt. In diesem kritischen Zeitfenster<br />

spielt die Ernährung die wichtigste<br />

Rolle. Mit diesen Erkenntnissen startete<br />

Dr. Mike Possner vom Nestlé Nutrition Institut,<br />

Frankfurt am Main, seine Präsentation<br />

„Frühe Ernährung und langfristige<br />

gesundheitliche Auswirkungen“. Zu den<br />

Volkskrankheiten, die durch die frühe Ernährung<br />

beeinflusst werden, zählt auch<br />

Adipositas und damit assoziierte Erkrankungen.<br />

In Europa sind etwa 14 Millionen<br />

Kinder übergewichtig, davon etwa 3 Millionen<br />

adipös (Kurt B: Bundesgesundheitsblatt<br />

– Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz,<br />

2007). Übergewichtige und<br />

adipöse Kinder haben zudem ein erhöhtes<br />

Risiko, später auch adipöse Erwachsene<br />

zu werden (WHO, 2011). Auch die atopische<br />

<strong>Der</strong>matitis (Neurodermitis) wird<br />

maßgeblich durch die frühkindliche Ernährung<br />

determiniert. In Europa sind<br />

etwa 9,5–13 Millionen Kinder bis zur Einschulung<br />

von einer Neurodermitis betroffen<br />

(NetDoktor, Petra May) und in<br />

Deutschland leiden etwa 1,7 Millionen<br />

der 0–17 Jahre alten Kinder weiterhin an<br />

Neurodermitis (Schlaud et al.: Bundesgesundheitsblatt<br />

– Gesundheitsforschung –<br />

Gesundheitsschutz, 2007).<br />

Wodurch wird der Phänotypus<br />

eines Menschen<br />

bestimmt?<br />

<strong>Der</strong> Phänotypus bzw. das Erscheinungsbild<br />

eines Menschen, d. h. morphologische,<br />

physiologische und psychologische<br />

Eigenschaften, wird durch das Zusammenspiel<br />

von Genetik, Epigenetik und Umwelt<br />

bestimmt. Die Epigenetik erklärt dabei,<br />

wie die Genexpression – ohne eine Veränderung<br />

der zugrunde liegenden DNA-Sequenz<br />

(Genotyp) – geprägt werden kann.<br />

So können Nährstoffe und bioaktive Bestandteile<br />

in der Nahrung die Genexpression<br />

beeinflussen. Neben der genetischen<br />

Disposition, ungesunden Ernährungsgewohnheiten<br />

und mangelnder Bewegung<br />

spielen somit auch das Geburtsgewicht<br />

und die prä- und postnatale Ernährung<br />

eine bedeutende Rolle für die gesunde<br />

Entwicklung eines Kindes (metabolische<br />

Prägung). Dabei birgt eine Adipositas der<br />

Mutter an sich schon die Gefahr eines<br />

hohen Geburtsgewichtes des Neugeborenen<br />

und Geburtskomplikationen wie Sectio<br />

und Frühgeburt (Cedergren M: Obstetrics<br />

& Gynecology, 2004).<br />

Empfehlungen für<br />

die Schwangerschaft<br />

Das Institute of Medicine (IOM) veröffentlichte<br />

2009 in der National Academy Press<br />

eine Empfehlung mit Unter- und Obergrenzen<br />

für die Gewichtszunahme während<br />

der Schwangerschaft. <strong>Der</strong> Body-<br />

Mass-Index (BMI) vor der Schwangerschaft<br />

wurde dafür zugrunde gelegt.<br />

Gemäß aktueller Empfehlung von Fachgesellschaften<br />

benötigen normalgewichtige<br />

Frauen lediglich 200–300 Kilokalorien<br />

(kcal) pro Tag mehr Energie ab dem<br />

4. Schwangerschaftsmonat. In der Praxis<br />

bedeutet dies jedoch nur: 150 g Joghurt +<br />

1–2 Esslöffel (EL) Haferflocken + 1 EL Sonnenblumenkerne<br />

+ 1 Orange oder 1 Portion<br />

gedünstetes Gemüse + 2 Kartoffeln<br />

+ 2 EL Pflanzenöl. Die Realität sieht anders<br />

aus, denn viele werdende Mütter<br />

essen tatsächlich für 2 Personen! Ordentlich<br />

zulegen sollten Schwangere aber nur<br />

bei den Vitalstoffen wie Vitaminen, Mineralstoffen,<br />

sekundären Pflanzenstoffen<br />

und Co. Possner fasste die wichtigsten<br />

Ziele und Empfehlungen für die Betreuung<br />

einer Schwangeren und während der<br />

frühen Ernährung wie folgt zusammen:<br />

▶ Mütterliches Normalgewicht!<br />

▶ Obligatorisches Diabetes-Screening!<br />

▶ Optimale Diabetes-Behandlung!<br />

▶ Nicht „für zwei“ essen!<br />

▶ Stillen fördern, Formula optimieren!<br />

▶ Forschung intensivieren!<br />

Präkonzeptioneller<br />

BMI (kg/m 2 )<br />

Empfohlene Gewichtszunahme<br />

während der Schwangerschaft (kg)<br />

Untergrenze Obergrenze<br />

16 %<br />

14 %<br />

Inzidenz von AE mit 1 Jahr (n = 945)<br />

* p < 0,05 für pHF-M und eHF-C vs. SMN<br />

15 %<br />

Untergewicht<br />

(< 18,5)<br />

Normalgewicht<br />

(18,5–24,9)<br />

Übergewicht<br />

(25,0–29,9)<br />

Adipositas<br />

(> 30)<br />

12,5 18<br />

11,5 16<br />

7,0 11,5<br />

5,0 9,0<br />

12 %<br />

10 %<br />

8 %<br />

6 %<br />

4 %<br />

2 %<br />

0 %<br />

*<br />

9 %<br />

pHF-M<br />

Beba HA<br />

n = 241<br />

*<br />

7 %<br />

eHF-C<br />

n = 210<br />

13 %<br />

eHF-M<br />

n = 238<br />

SMN<br />

intaktes<br />

Kuhmilchprotein<br />

n = 256<br />

Empfehlung für die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft<br />

(Institute of Medicine). © National Academy Press, 2009<br />

Ergebnisse der GINI-Studie. © Berg A, Koletzko S et al.: Journal of<br />

Allergy and Clinical Immunology, 2003<br />

14


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />

Gestillte Kinder sind gesünder<br />

als nicht gestillte<br />

Stillen bietet den bestmöglichen Gesundheitsschutz<br />

des Neugeborenen überhaupt:<br />

Es schützt nachweislich vor Magen-Darm-Infekten,<br />

Mittelohrentzündungen,<br />

Atemwegsinfekten, nekrotisierender<br />

Enterokolitis sowie atopischer<br />

<strong>Der</strong>matitis und Übergewicht. Es gibt hingegen<br />

keine Empfehlung von pädiatrischer/neonatologischer<br />

Seite für die<br />

Verwendung von Erstnahrungen oder Energiesupplementen,<br />

die auf Aminosäuren<br />

basieren und nicht alle Nährstoffe enthalten.<br />

<strong>Der</strong>en Nutzen ist in vielerlei Hinsicht<br />

fraglich. Zufüttern in den ersten Tagen<br />

sollte nur nach strenger Indikationsstellung<br />

erfolgen, denn Stillen ist die beste<br />

Ernährung – auch zur Allergieprävention.<br />

So sollten Hebammen das vorrangige Stillen<br />

unterstützen. Ist Zufüttern hingegen<br />

medizinisch angezeigt, sollte als 1. Wahl<br />

abgepumpte Muttermilch gefüttert werden.<br />

Falls diese nicht vorhanden ist, sollte<br />

HA (Hypoallergene)-Nahrung der Standard-Säuglingsmilch<br />

der Vorzug gegeben<br />

werden, denn sie schützt vor allergischer<br />

Sensibilisierung, fördert die Induktion<br />

oraler Toleranz und kann das<br />

Risiko für eine Hyperbilirubinämie reduzieren.<br />

Zur Allergieprävention:<br />

Stillen oder Formula mit<br />

speziellem Hydrolysat<br />

Stillen reduziert das Risiko atopischer<br />

<strong>Der</strong>matitis bei Risikokindern im Vergleich<br />

zu Kuhmilchnahrung um 42 %. Dies belegte<br />

schon eine Metaanalyse (Gdalevich<br />

M et al.: Journal of the American Academy<br />

of <strong>Der</strong>matology, 2001) von Studien an<br />

Säuglingen mit familiär bedingtem Allergierisiko.<br />

Wenn aber Stillen nicht möglich<br />

oder gewünscht ist, sollte in solchen Fällen<br />

auf die Zusammensetzung der Formula-Nahrung<br />

geachtet werden. Denn, nicht<br />

jedes Hydrolysat ist wirksam: pHF-M und<br />

eHF-C reduzieren signifikant atopische<br />

Ekzeme im 1. Lebensjahr im Vergleich zu<br />

intaktem Kuhmilchprotein – eHF-M vermag<br />

dies nicht (Berg A, Koletzko S et al.:<br />

Journal of Allergy and Clinical Immunology,<br />

2003).<br />

Wird das klinisch geprüfte partielle Hydrolysat<br />

pHF-M (Beba HA) in den ersten<br />

4 Monaten gefüttert, wird das Neurodermatitisrisiko<br />

langfristig bis zum Alter von<br />

10 Jahren reduziert (von Berg A, Filipiak-<br />

Pittroff B et al.: Journal of Allergy and Clinical<br />

Immunology, 2013).<br />

Übergewicht: Hohe Proteinaufnahme<br />

stimuliert epigenetische<br />

Mechanismen<br />

Stillen schützt vor späterem Übergewicht,<br />

indem es die Wahrscheinlichkeit einer erhöhten<br />

Gewichtszunahme im Säuglingsalter<br />

reduziert. Dieser Schutz entsteht zumindest<br />

teilweise durch die niedrigere<br />

Proteinzufuhr durch Muttermilch im<br />

Vergleich zu flaschenernährten Kindern.<br />

Im European Childhood Obesity Project<br />

wurden etwa 1000 gesunde Neugeborene<br />

über 24 Monate (und danach) verfolgt.<br />

Die eine Gruppe wurde über 4 Monate<br />

gestillt, die andere wurde vom 1.–12.<br />

Monat aufgeteilt: Entweder erhielten sie<br />

eiweißreduzierte Flaschennahrung oder<br />

Flaschennahrung mit hohem Proteingehalt.<br />

Nach Ernährung mit eiweißreduzierter<br />

Säuglingsmilch sind Kinder mit<br />

2 Jahren schlanker als die „proteinreiche“<br />

Gruppe bzw. ebenso schlank wie gestillte<br />

Babys.<br />

So sollte der Proteingehalt in Formula<br />

besser dem niedrigen und im zeitlichen<br />

Verlauf variablen Proteingehalt der Muttermilch<br />

angepasst werden. In Anfangsnahrungen<br />

sollte er dabei 1,8 g/100 kcal<br />

nicht überschreiten. Sicherlich ist für die<br />

Zukunft ein neues Stufensystem dafür erforderlich.<br />

Ergänzend dazu spielt das<br />

Wachstums- und Gewichtsmonitoring<br />

beim Kinderarzt eine wichtige Rolle.<br />

Fazit<br />

Die metabolische Gesundheit zu programmieren<br />

bedeutet, eine gesunde<br />

Zukunft des Kindes anzulegen.<br />

■<br />

EXKURS – 275 Jahre Hebammenausbildung<br />

in Tirol<br />

Petra Welskop, Präsidentin des Österreichischen<br />

Hebammengremiums, startete ihren Rückblick<br />

über 275 Jahre Hebammenarbeit in Tirol mit<br />

einer Beschreibung des ältesten Frauengewerbes,<br />

die zum Schmunzeln animierte: „Er wird<br />

von belastbaren Frauen ausgeübt, die aufs<br />

Kinderkriegen süchtig sind und diese Anstrengung<br />

trotzdem anderen überlassen.“ Schon seit<br />

Jahrhunderten diskutieren „gelehrte Männer“,<br />

wie denn die perfekte Hebamme sein sollte:<br />

nicht jünger als 20 und wegen eines optimalen<br />

Gedächtnisses nicht älter als 35, unverheiratet<br />

und keusch, damit sie ohne „schädliche“<br />

Vorurteile, Aberglauben und Eigendünkel<br />

über ihr eigenes Wissen an ihr Werk gehen<br />

konnte. Auch lange Arme mit kleinen, geschickten<br />

Händen ohne Schwielen und Warzen<br />

sollte die Hebamme als Voraussetzung<br />

mitbringen. Diese Bedingungen sind längst<br />

überholt, viele überlieferten Eigenschaften<br />

zeichnen aber auch heute noch Hebammen<br />

aus: Geduld, Mut und Verständnis.<br />

1756 startete die erste Hebammenausbildung<br />

in Tirol. Sie dauerte 1 Jahr mit 2 Stunden<br />

Unterricht pro Woche. Hebammen lernten gemeinsam<br />

mit Wundärzten. Als „Ambulierende<br />

Gebäranstalt“ wurde der Praxisteil<br />

bezeichnet, in dem der Professor mit einem<br />

Wundarztanwärter und zwei Hebammenschülerinnen<br />

in die Wohnung der Gebärenden<br />

ging. Geburtshilfliche Wachspräparate<br />

dienten der Demonstration im Unterricht. Im<br />

Hebammengesetz § 1 von 1925 umfasste der<br />

Hebammenberuf auch die Beratung der<br />

Schwangeren, die Beistandsleistung bei der<br />

Geburt, die Pflege der Wöchnerin, des<br />

Neugeborenen und des Säuglings und die<br />

Mitwirkung bei der Mutterschafts- und<br />

Säuglingsfürsorge. Die Ausbildung an der<br />

Hebammenlehranstalt dauerte nun 18<br />

Monate, 1972 wurde sie auf 2 Jahre verlängert.<br />

Mit der 3-jährigen Ausbildung an der<br />

Bundeshebammenakademie wurde 1995 ein<br />

neuer Meilenstein gelegt. Männer durften<br />

sich jetzt ebenfalls anmelden. Welskop rief<br />

2007 den FH-Bachelor-Studiengang Bachelor<br />

of Science in Health Studies mit ins Leben.<br />

Die Ausbildung dauert 6 Semester mit 50 %<br />

Theorie und 50 % Praxis. Dieser wurde 2010<br />

um den Master of Science in Advanced Practice<br />

Midwifery ergänzt, der über 4 Semester<br />

berufsbegleitend stattfindet. Er umfasst neue<br />

Schwerpunkte wie Migration, Ethnizität und<br />

Psychosomatik in der Geburtshilfe.<br />

15


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Förderung der elterlichen<br />

Feinfühligkeit<br />

Dass Bezugspersonen durch das gemeinsame<br />

Erleben, Verhalten und die gegenseitige<br />

Stimulation im täglichen Umgang<br />

starken Einfluss auf die Entwicklungsphasen<br />

eines Kindes – vor allem in der<br />

frühen Kindheit – haben, ist bekannt. Wie<br />

aber der genaue Zusammenhang zwischen<br />

Familienbeziehung und der sozialen<br />

und emotionalen Kindesentwicklung<br />

ist und wie Eltern ihre Feinfühligkeit dem<br />

Kind gegenüber trainieren können, um<br />

die sozialen und emotionalen Kompetenzen<br />

des Kindes zu stärken, war Thema<br />

des Vortrages „Förderung der elterlichen<br />

Feinfühligkeit“. Dr. Tanja Besier, Dipl.<br />

Psychologin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie<br />

des Universitätsklinikum<br />

Ulm, erklärte, dass sich schon<br />

früh Verhaltensprobleme und -störungen<br />

zeigen können, wenn die emotionale Sicherheit<br />

fehlt und Interaktion mit einem<br />

Elternteil nachhaltig beeinträchtigt ist.<br />

Familiäre Risiken für<br />

psychische Auffälligkeiten<br />

Die Bella-Studie (Ravens-Sieberer U,<br />

Wille N, Bettge S, Erhart M, 2007; N=2863)<br />

im Rahmen des RKI Survey zeigt eindrucksvoll,<br />

wie das Risiko für Kinder und<br />

Jugendliche für psychischen Auffälligkeiten<br />

steigt aufgrund von:<br />

▶ Familienkonflikten: 5 ×<br />

▶ psychischen Erkrankungen der Eltern:<br />

2 ×<br />

▶ Konflikten der Eltern: 3 ×<br />

▶ Unzufriedenheit in der Partnerschaft:<br />

3 ×<br />

▶ Alleinerziehen: 2 ×<br />

▶ Heimunterbringung: 2 ×<br />

Sind gleich mehreren Belastungen vorhanden,<br />

steigt das Risiko für psychische<br />

Erkrankung bei 3 Risiken um 30,7 %, bei<br />

4 Risiken um 47,7 %.<br />

Optimal für die kindliche<br />

Entwicklung: feinfühlige<br />

Eltern<br />

Feinfühlige Eltern reagieren aufmerksam<br />

auf die Signale des Babys, interpretieren<br />

diese Signale richtig und reagieren<br />

prompt und angemessen (Ainsworth M,<br />

Blehar C et al.: Patterns of Attachement: A<br />

Psychological Study of Strange Situation,<br />

1978). Diese Feinfühligkeit kann aber nur<br />

gelingen, „wenn man aus der Sicht des Kindes<br />

handelt“ (Grossmann K, 2004). Das<br />

Kind lernt durch feinfühlige Unterstützung<br />

„die Bedeutung seiner eigenen Gefühle<br />

in bestimmten Situation kennen, und<br />

was man tun kann, um die Umstände zu<br />

verbessern“ (Grossmann K, 2004). Ein Kind<br />

lernt damit über die externe Regulation<br />

seiner Gefühle durch die Eltern mit der<br />

Zeit sich zunehmend selbst zu regulieren.<br />

Eltern sollten sich ihrem Säugling gegenüber<br />

so verhalten, dass sein Wohlbefinden<br />

und seine Aufmerksamkeit erhöht,<br />

und seine Belastetheit und sein Desinteresse<br />

verringert werden (Crittenden P: Infant<br />

Mental Health Journal, 2006). Sie<br />

sollten ihren Kleinkindern ermöglichen,<br />

ihre Umwelt aktiv zu erkunden, und zwar<br />

interessiert, spontan und ohne Hemmung<br />

oder übertrieben negativen Affekt (Crittenden<br />

P, 2005). Die Feinzeichen von Offenheit<br />

und Belastetheit können feinfühlige<br />

Eltern am körperlichen und emotionalen<br />

Verhalten des Kindes beobachten<br />

und auf die Signale passend reagieren.<br />

„Universal-präventiv“ können alle (werdenden)<br />

Eltern, z. B. durch Informationsmaterial<br />

und Elternkurse, für die Signale<br />

ihrer Säuglinge und Kleinkinder sensibilisiert<br />

werden. Spezifische Risikogruppen<br />

sollten „selektiv-präventiv“ durch eine<br />

Beratung aufgeklärt werden. Zeigen die<br />

Familien und deren Kinder bereits erste<br />

Zeichen und Symptome einer Störung,<br />

sollten sie „indiziert-präventiv“ beraten<br />

und therapiert werden.<br />

Abwendung<br />

z.B.<br />

Blickkontakt,<br />

lautieren<br />

z.B. Schlafen,<br />

Dösen, aufmerksam<br />

sein, unruhig werden,<br />

quengeln, schreien<br />

Bewegungen,<br />

Tonusbalance,<br />

Modulation der<br />

Körperhaltung<br />

z.B. Hautverfärbung,<br />

Verdauung, Atmung<br />

Feinzeichen im Entwicklungsmodell<br />

Als und Brazelton (1984) fassen die Feinzeichen<br />

in 4 psychophysischen Verhaltenssystemen<br />

zusammen. Diese Verhaltenssysteme<br />

unterliegen einem Entwicklungsverlauf<br />

und organisieren und stabilisieren<br />

sich aufsteigend in vorgegebener<br />

Entwicklungsreihenfolge.<br />

Sowohl über die Atmung und die Verdauung<br />

(autonomes System), über die Tonusbalance<br />

und Körperhaltung (motorisches<br />

System), die verschiedenen Schlafarten<br />

und Erregungsniveaus im Wachsein<br />

(Schlaf-/Wachsystem) als auch die kognitive<br />

Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit<br />

(Interaktives Modell) kann die Situation<br />

des Kindes genau eingeschätzt<br />

werden. Sucht das Baby beispielsweise<br />

bei rosiger Haut, regelmäßiger Atmung<br />

und wachem Zustand, entspannter Körperhaltung<br />

lächelnd den Blick der Bezugsperson,<br />

sind dies eindeutige Zeichen von<br />

Offenheit. Wendet es hingegen den Blick<br />

ab, gähnt oder grimassiert, nimmt seine<br />

Hände an die Ohren und macht ein eher<br />

ausdrucksloses Gesicht, deutet dies eher<br />

auf eine Selbstregulation hin. Zeichen<br />

einer Dysbalance sind starkes Überstrecken,<br />

sich wegdrehen, abwenden von der<br />

Bezugsperson, körperliches Erstarren,<br />

eine gepresste, unregelmäßige Atmung<br />

bei marmorierter, geröteter oder auch<br />

blasser Haut.<br />

Entwicklungspsychologische<br />

Beratung<br />

Ist eine spezifische und individuelle Beratung<br />

zur frühen Beziehungsförderung<br />

Zuwendung<br />

Interaktives System<br />

Schlaf-Wach-System<br />

Motorisches System<br />

Autonomes System<br />

Die Anwendung<br />

der psychophysischen<br />

Verhaltenssystemen<br />

beeinflusst<br />

die Abwendung<br />

oder<br />

Zuwendung<br />

des Babys von<br />

seinen Eltern.<br />

16


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />

Offenheit, Selbstregulation und Dysbalance<br />

können anhand von eindeutigen Merkmalen<br />

erkannt werden (hier: Selbstregulation<br />

durch Grimassieren, leichtes Fäusteln).<br />

© Universitätsklinikum Ulm<br />

notwendig, bietet sich die entwicklungspsychologische<br />

Beratung an. Diese basiert<br />

auf entwicklungspsychologischem Wissen<br />

sowie Verhaltensbeobachtung und ist<br />

sehr konkret an den Regulations- und<br />

Ausdrucksverhaltensweisen des Kindes<br />

ausgerichtet. Sie ist als Baustein konzipiert,<br />

der sich in unterschiedlichen Praxisfeldern<br />

und institutionellen Hilfestrukturen<br />

integrieren lässt und kommt sowohl<br />

selektiv- als auch indiziert präventiv<br />

zum Einsatz. Sie kann ebenfalls als<br />

Diagnostikgrundlage in Hochrisikosituationen<br />

genutzt werden. Die darauf aufbauende<br />

Beratung ist ressourcenorientiert<br />

und erfolgt, basierend auf Video-<br />

Feedback, in Anwesenheit des Säuglings:<br />

Anhand von kurzen Videoszenen wird das<br />

Verhalten aus der Perspektive des Säuglings<br />

beschrieben und das elterliche Verhalten<br />

darauf bezogen. Positive Interaktionen<br />

werden einbezogen und negativen<br />

vorangestellt.<br />

Lese- und Lerntipps<br />

Ziegenhain, Gebauer, Ziesel, Künster, Fegert:<br />

Lernprogramm Baby-Lesen: Übungsfilme für<br />

Hebammen, Kinderärzte, Kinderkrankenschwestern<br />

und Sozialberufe. <strong>Hippokrates</strong> Verlag,<br />

2010, ISBN 9783830454823<br />

<strong>Der</strong>ksen, Lohmann: Baby-Lesen: Die Signale des<br />

Säuglings lesen und verstehen. <strong>Hippokrates</strong><br />

Verlag, 2013, ISBN 9783830455318<br />

Ziegenhain, Gebauer, Künster, Thurn, Backes,<br />

Reichle: Auf den Anfang kommt es an. Ein<br />

Kurs für junge Eltern. Kursmaterial für Dozent/<br />

innen, 34 Module à 90 Min. (Schwangerschaft,<br />

Neugeborenenzeit, 1. Lebensjahr). Vertrieb durch<br />

die Landeszentrale für Gesundheitsförderung in<br />

Rheinland-Pfalz e.V. (LZG)<br />

■<br />

„Berührung mit<br />

Respekt ® “ oder:<br />

Wie Eltern ihr Baby<br />

besser lesen lernen<br />

Ute Laves, Hebamme und Ausbilderin der<br />

Internationalen/Deutschen Gesellschaft für<br />

Babymassage e.V., startete ihre Präsentation<br />

zu den vielfältigen positiven Aspekten<br />

der Babymassage mit einer<br />

kritischen Bestandsaufnahme: Die zunehmende<br />

Unsicherheit der Frauen und ihrer<br />

Familien ändert auch das Zeitmanagement<br />

und die Einkommenslage der Hebammen.<br />

Sie stellt die Frage, ob Hebammen<br />

mittlerweile neben ihrer Kernarbeit<br />

mehr und mehr als „Mädchen für Alles“,<br />

z. B. als Sozial- und Lebensberaterin, fungieren?<br />

Können sich Hebammen selbst<br />

entlasten, indem sie das Bauchgefühl der<br />

Eltern stärken? Hier könnte Berührung<br />

ein Schlüssel sein, denn „Berührung ist<br />

unsere erste Sprache“ – so Laves.<br />

Ein Ansatz ist:<br />

„Berührung mit Respekt ® “<br />

Mit dem schon in 48 Ländern vertretenden<br />

Konzept der International Association of Infant<br />

Massage (IAIM), das von Vimala Schneider<br />

McClure initiiert wurde, und seiner von<br />

Laves 1995 gegründeten nationalen Vertretung<br />

der Deutsche Gesellschaft für Babyund<br />

Kindermassage (DGBM) e.V. – „Berührung<br />

mit Respekt ® “ – lernen Eltern, ihr Kind<br />

aufmerksam anzuschauen, dessen Signale<br />

zu erkennen und zu respektieren. Respekt<br />

heißt hier: vor der Massage wird mit einem<br />

Ritual das Kind um Erlaubnis gefragt.<br />

Für das Baby bedeutet dieses Ritual der<br />

elterlichen Handlungen eine gewisse<br />

Berechenbarkeit die zu einer emotiona-<br />

len Sicherheit beitragen kann.<br />

Kern der IAIM-Massage!<br />

Eltern fragen ihr Kind vor der<br />

Massage um Erlaubnis – das ist:<br />

„Berührung mit Respekt ® “<br />

DGBM e.V.<br />

In den 18 Jahren seines Bestehens sind<br />

über die DGBM e.V., als gemeinnützigem<br />

Verein, in über 350 Ausbildungen ca. 3500<br />

Kursleiter für Baby- und seit 2011 auch<br />

für Kindermassage ausgebildet worden.<br />

Die DGBM e.V. mit 600 aktiven Mitgliedern<br />

ist bundesweit der einzige Anbieter<br />

für Ausbildungen, der seine Teilnehmer<br />

durch einen Verein weiter unterstützt.<br />

Jährliche Konferenzen mit Aufbauseminaren<br />

zu Kommunikation, Frühgeborene,<br />

besondere Bedürfnisse etc. stärken auch<br />

fortlaufend die Kompetenzen der Kursleiterinnen.<br />

Kursleiterausbildung und<br />

Tätigkeitsbereiche<br />

Die Ausbildung wird sowohl bundesweit<br />

als auch international angeboten und<br />

beträgt 4 Tage. Zur Qualitätssicherung<br />

schließt sich im Anschluss an die Ausbildung<br />

ein Zertifizierungsprozess mit<br />

einem schriftlichen und praktischen Teil<br />

an, der von den Trainerinnen ausgewertet<br />

wird. Die Kursleiterinnen erhalten ein<br />

Handbuch, einen Arbeitsordner sowie ein<br />

Elternbuch. Es wird eine Hospitation bei<br />

Wenn das Baby aufmerksam<br />

ist, können<br />

die Eltern diesen Moment<br />

für einen innigen<br />

Kontakt nutzen.<br />

© Bübchen<br />

17


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

einer erfahrenen Kursleiterin empfohlen,<br />

bzw. bei der Kindermassage-Kursleiterausbildung<br />

gehört sie dazu.<br />

Zertifizierte Kursleiterinnen bieten ihre<br />

Kurse in Hebammen- und Arztpraxen,<br />

Krankenhäusern, Familienzentren, Fabi‘s,<br />

Mutter-Kind-Häuser oder Kurzentren an.<br />

Auf kinderonkologischen Stationen und<br />

in einigen Kliniken werden z. B. Eltern mit<br />

Frühgeborenen bereits mit der Baby- und<br />

Kindermassage-Methode der DGBM e.V.<br />

begleitet.<br />

Vorteile für alle Beteiligten<br />

Die zärtliche Interaktion und Berührung<br />

wirkt vor allem entspannend, denn der<br />

Körper schüttet vermehrt das „Kuschelhormon“<br />

Oxytocin aus und senkt das<br />

Stresshormon Kortisol – beim Baby und<br />

auch beim massierenden Elternteil. Das<br />

wiederkehrende Ritual einer Massage<br />

kann das Baby auf Entspannung konditionieren,<br />

sodass die Massage auch in stressigen<br />

Situationen zur Regulation beitragen<br />

kann. Durch solche Erfolgserlebnisse<br />

erleben sich die Eltern als kompetent. Bei<br />

Koliken gibt es spezielle Techniken, welche<br />

die Krämpfe lösen. Ganz nebenher<br />

fördert und stimuliert die Mutter bzw.<br />

der Massierende dadurch auch die sensorische<br />

Integration des Kindes – auf verschiedenen<br />

Wahrnehmungsebenen (z. B.<br />

Tiefenwahrnehmung, Körperbild). Diese<br />

Momente schulen das Auge der Eltern für<br />

Veränderungen beim Kind und verstärken<br />

den Bindungsprozess. Die Babymassage<br />

bringt in unserer schnelllebigen Zeit<br />

mit vielen Stressquellen zudem eine Art<br />

Entschleunigung für die Eltern, denn:<br />

Babys leben in einer langsameren Zeit als<br />

Erwachsene. Durch die Babymassage können<br />

sich auch die Eltern an die andere<br />

Zeitwahrnehmung ihrer Babys angleichen.<br />

An dieser Stelle zitierte Laves das<br />

Erfolgserlebnis einer Mutter: „Er ist ausgeglichener,<br />

genießt es massiert zu werden<br />

und entspannt sich dabei. Er hat eine bessere<br />

Körperwahrnehmung bekommen. Die<br />

Beziehung hat sich durch die Massage vertieft.“<br />

Die Kursleiterin tritt als „Gastgeberin“ auf<br />

und „verwöhnt“ die Teilnehmer, indem<br />

sie eine angenehme Atmosphäre schafft,<br />

einen Tee oder eine kleine Erfrischung bereit<br />

stellt. Sie zeigt die Massagetechniken<br />

mit einer Puppe und fungiert so als<br />

Rollenmodell. Sie kommuniziert über<br />

das Konzept des aktiven Zuhörens. Das<br />

bedeutet, sie nimmt sich zurück, gibt<br />

keinen direkten medizinischen oder pädagogischen<br />

Rat. Sie gibt vielmehr positive<br />

Rückmeldungen und betont das was<br />

gelingt und gut funktioniert. Das bringt<br />

– laut Laves langjähriger Erfahrung – für<br />

die Hebamme große Entlastung, denn:<br />

Eltern finden durch aktives Zuhören ihre<br />

eigene Antwort, tauschen sich untereinander<br />

aus und stärken so ihre eigenen<br />

Kompetenzen. Natürlich bedeutet das im<br />

Umkehrschluss: Die Kursleiterin muss<br />

aushalten, wenn die Eltern ihren eigenen<br />

Weg gehen und anders handeln, als sie es<br />

vorschlagen würde.<br />

Für ein gutes Timing:<br />

Bewusstseinszustände<br />

richtig deuten<br />

Aber wann ist der beste Moment für die<br />

Kontaktaufnahme mit dem Baby und eine<br />

Massage? Das hängt alleine von seinem<br />

Schlaf- und Wachzustand ab, was an seinen<br />

Bewusstseinszuständen und Verhaltensweisen<br />

erkennbar ist. Manchmal ist<br />

das Baby einfach damit beschäftigt, andere<br />

Eindrücke wahrzunehmen und zu<br />

verarbeiten. Wer sich Zeit nimmt, den<br />

Säugling eine Zeit lang aufmerksam zu<br />

beobachten, der lernt bald, wann es für<br />

einen Kontakt bereit ist, wann es besser<br />

eine Auszeit oder Unterstützung benötigt,<br />

um zur Ruhe zu kommen. Dabei betont<br />

Laves, dass bei der Kommunikation<br />

mit dem Baby gilt: Weniger ist oft mehr!<br />

Hier können auch die Bewusstseinszustände<br />

nach Brazelton helfen:<br />

▶ Tiefschlaf, ruhiger Schlaf<br />

▶ REM-Schlaf, aktiver Schlaf, Traumphasenschlaf<br />

▶ Aufwachend/verträumt und einschlafend<br />

(Übergangszustand vom Schlafen<br />

zum Wachsein)<br />

▶ Ruhig-aufmerksam<br />

▶ Wach, erzählend<br />

▶ Quengelnd/unruhig, ein Bedürfnis an<br />

meldend (Übergangszustand vom<br />

Wach sein zum Weinen)<br />

▶ Weinend<br />

Eine Möglichkeit für die<br />

ganze Familie<br />

Auch Väter profitieren von der Babymassage,<br />

denn sie bauen einen positiven Kontakt<br />

zum Kind auf und lernen ihre fürsorgliche<br />

Seite kennen und diese auszuleben.<br />

Das stärkt die eigenen väterlichen<br />

Kompetenzen und entlastet die Mütter.<br />

Zahlreiche Väter sind positiv überrascht,<br />

dass man vieles mit dem Baby auch schon<br />

in diesem Alter machen kann. Gibt es<br />

schon Geschwisterkinder in der Familie,<br />

EXKURS – Kurskonzept zur Babymassage: Berührung mit Respekt ®<br />

Thordis Zwartyes, Referentin der DGBM e.V., Kursleiterin, IAIM Trainerin und<br />

Präventionsberaterin aus Bad Aibling, zeigte, wie sich die Idee von einem<br />

Babymassage-Kurs in die Tat umsetzen lässt und welche Planungselemente<br />

dabei eine besonders große Rolle spielen.<br />

Möchten Hebammen einen solchen Kurs ins Leben rufen, sollten sie zuerst die<br />

Rahmenbedingungen abstecken: z. B. die persönlichen Ziele definieren, das<br />

Kurskonzept erstellen, Raum, Multiplikatoren und Kooperationspartner organisieren.<br />

Sehr wichtig ist zudem ein Informationstermin für Eltern, um diese mit<br />

dem Konzept vertraut zu machen und davon zu überzeugen. Dabei sollte die<br />

Hebamme die Vorteile für Eltern und Kind aufzeigen, den Ablauf kurz beschreiben<br />

und sich selbst ins rechte Licht setzen (Qualifikation). Natürlich spielen auch<br />

Kurspreis und -dauer sowie die Gruppengröße und die Möglichkeiten des<br />

Raumes eine Rolle. Nicht fehlen darf eine kurze Beschreibung des Kursaufbaus<br />

jeder Stunde. Die Gestaltung eines Babymassagekurses hat immer auch einen<br />

großen psychosozialen Aspekt. Gestaltet die Hebamme den Kurs mit KARISMA<br />

(Kontakt–Achtsamkeit–Respekt–Intuition–Sensibilität–Massage–Aufmerksamkeit),<br />

kann sie viel bewegen.<br />

18


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Wochenbett und Nachsorge<br />

100 %<br />

80 %<br />

60 %<br />

40 %<br />

20 %<br />

0 %<br />

bietet die Massage mit dem größeren<br />

Kind die Möglichkeit, die ungeteilte Aufmerksamkeit<br />

der Eltern zu erhalten. In<br />

manchen Familien massieren die Geschwisterkinder<br />

das Baby und begleiten<br />

so Schwester oder Bruder beim Heranwachsen<br />

und bauen dadurch häufig schon<br />

früh eine intensive Beziehung auf.<br />

Babymassage und Wochenbettdepression<br />

Eine Studie mit 100 Frauen (Onozawa K<br />

et al.: Journal of Affective Disorders, 2001)<br />

zeigte zudem, dass Frauen mit einer Wochenbettdepression<br />

mehr von der Durchführung<br />

eines Babymassagekurs profitieren<br />

als von einer Selbsthilfegruppe. Die<br />

Mütter die an einen Babymassagekurs mit<br />

6 Einheiten teilgenommen hatten, wiesen<br />

nach einem Jahr Werte auf, wie die<br />

Frauen aus der Kontrollgruppe, die keine<br />

Depressionen hatten.<br />

Zur Beurteilung zogen die Wissenschaftler<br />

die EPDS heran – ein 10-teiliger Fragebogen<br />

für die Diagnose einer postnatalen<br />

Depression. Zudem wurden die<br />

Feinfühligkeit der Mutter durch Videogestützte<br />

Beobachtungen dokumentiert.<br />

www.dgbm.de<br />

www.iaim.net<br />

Lesetipp<br />

87,1 %<br />

63,3 %<br />

Babymassagekurs Kontrollgruppe<br />

Prozentuale, klinisch signifikante Veränderung<br />

einer Wochenbettdepression innerhalb<br />

eines Jahres, die von einem Babymassagekurs<br />

begleitet wurde. © Onozawa K<br />

et al.: Journal of Affective Disorders, 2001<br />

Laves: Liebe hautnah erleben. Ein Begleitbuch<br />

für die Babymassage. infantastic, 2001,<br />

ISBN 9783000076046<br />

■<br />

EXKURS – Uplift-Aufwind e.V.: Engagement für Kinder in Kirgistan<br />

Erschreckend: In Kirgistan wachsen heute 20.000 Kinder ohne Eltern auf.<br />

Dort zählen sie größtenteils nur als Nummer, werden „verwaltet“.<br />

Das Pflegepersonal in den überfüllten Waisenhäusern ist häufig überfordert.<br />

Maren Ernst und einige Mitstreiterinnen haben seit 2007 genau diese Kinder mit<br />

dem Projekt Uplift-Aufwind e.V. in ihren persönlichen Fokus gerückt.<br />

<strong>Der</strong> grüne Drache in Kirgistan<br />

<strong>Der</strong> grüne Drache ist das Erkennungsmerkmal des internationalen Projektes.<br />

Uplift-Aufwind e.V. betreut zurzeit (2012/13) 180 Kinder in 4 Heimen mit rund<br />

50 ausgebildeten Uplift-Müttern und vielen weiteren ehrenamtlichen Helferinnen.<br />

500 Kindern konnte in den vergangenen 5 Jahren ein besserer Start ins<br />

Leben ermöglicht werden. Uplift-Mütter müssen zur Unterstützung des Projektes<br />

lediglich 2 wichtige Voraussetzungen mitbringen: Liebe und Verantwortungsbewusstsein.<br />

Die fachliche Schulung, Begleitung (Supervision) sowie eine<br />

Aufwandsentschädigung oder einen festen Lohn erhalten sie von Uplift.<br />

Berührung ist der Schlüssel zum Leben<br />

Das Schlüsselkonzept ist neben der medizinischen und physiotherapeutischen<br />

notwendigen Versorgung vor allem Fürsorge, Liebe und Berührung für die<br />

schutzbedürftigen Kleinen, denn ein Mangel an Berührung führt nachweislich<br />

zu körperlichen und psychischen Schäden. Deshalb ist die Zuwendung durch<br />

ausgebildete Uplift--Mütter eines der wichtigsten Bestandteile von Uplift-Aufwind<br />

e.V., damit sich aus der Nummer ein Mensch, eine richtige Persönlichkeit<br />

entwickelt. Dass auf Worte auch Taten folgen, veranschaulichte Ernst mit<br />

zahlreichen Bildern und einem Film, der ebenso „berührte“.<br />

Adoptionsfreigaben verhindern<br />

Auch in diesem Bereich ist Uplift-Aufwind e.V. aktiv<br />

tätig. Die Arbeit vor Ort erfolgt Hand in Hand mit den<br />

Müttern. Vor allem Neugeborene, die mit einer<br />

Behinderung das Licht der Welt erblickt haben, werden<br />

häufig ins Waisenhaus gebracht, da sich die Eltern<br />

dieser Herausforderung nicht gewachsen fühlen und<br />

sie von ihrem Umfeld nicht dazu ermutigt werden, ein Kind mit besonderen<br />

Herausforderungen zu behalten. An dieser Stelle kommen die Frauen von Uplift<br />

zum Einsatz und stärken die Eltern, um eine Adoption und somit die Trennung<br />

von der leiblichen Mutter zu verhindern, sodass die Kleinen bestenfalls wieder<br />

in die Familie integriert werden können.<br />

Unterstützung jeglicher Art ist gefragt<br />

Neben der aktiven Beteiligung der Uplift-Mütter und ehrenamtlichen Helferinnen<br />

ist der Verein auch auf finanzielle Unterstützung, z. B. durch Spenden,<br />

angewiesen. Ernst brachte zum Bübchen Hebammen Seminarkongress farbenfrohe<br />

Filzschuhe für Babys und Kleinkinder mit. Das Besondere: Sie waren alle<br />

von kirgisischen Frauen handgefertigt. Gegen eine kleine Spende, deren Erlös<br />

selbstverständlich dem Verein zu Gute kam, konnten sich interessierte Hebammen<br />

ein Paar aussuchen. Insgesamt kamen hier über 700,00 € für das Projekt<br />

zusammen. Diese Summe wurde von Bübchen auf 1500,00 € verdoppelt und<br />

anschließend diesem wunderbaren Projekt zur Verfügung gestellt.<br />

www.uplift-aufwind.org<br />

19


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Sprachlicher Handwerkskoffer<br />

für<br />

Hebammen<br />

Die Arbeitszufriedenheit einer Hebamme<br />

wird nicht nur maßgeblich durch ein<br />

gutes Gefühl sowie Erfolgserlebnisse bei<br />

ihrer Tätigkeit bestimmt. Auch die Wertschätzung<br />

durch andere Personen wie Eltern,<br />

Ärzte und Kolleginnen verhindert<br />

Frust und Stress und motiviert die Hebamme<br />

dazu, ihre persönliche Linie weiter<br />

zu verfolgen. Wie aber erreicht sie ihre<br />

Ziele dabei? Neben Erfahrung, medizinischem<br />

Wissen, „handwerklichem“ Geschick<br />

und Empathie, ist kommunikatives<br />

Geschick unerlässlich für ihren Praxisalltag.<br />

Das genau war Thema des Seminars<br />

„Sprachlicher Handwerkskoffer für Hebammen“,<br />

das Prof. Dr. med. Wolfgang<br />

Kölfen mit vielen praxisnahen Tipps bereicherte.<br />

Zahlreiche persönliche Anekdoten<br />

aus seiner langjährigen Erfahrung<br />

als Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche,<br />

Elisabeth Krankenhaus Städtische<br />

Kliniken Mönchengladbach zeigten,<br />

wie die Hebamme von einer professionellen<br />

Kommunikation profitiert und<br />

dabei zufriedener wird. Konflikte im<br />

Team oder mit den Eltern lassen sich –<br />

schon aufgrund der heutigen Personalund<br />

Zeitnot – nicht immer vermeiden. In<br />

einem solchen Fall bleibt die Hebamme<br />

entspannter, wenn sie sich rhetorisch<br />

gerüstet fühlt.<br />

Nonverbale und verbale<br />

Kommunikation<br />

Dies beginnt schon bei der nonverbalen<br />

Kommunikation, denn die Körpersprache<br />

(z. B. Mimik, Gestik, Blick, Haltung) gibt<br />

Aufschluss über die Gefühlslage. Steht die<br />

Hebamme sicher, hat sie eine aufrechte,<br />

aber gelassene Körperhaltung und begegnet<br />

dem Gegenüber mit offenem und<br />

festem Blick, so signalisiert sie ihm schon<br />

ohne Sprache Sympathie. Körpersprache<br />

und Redeinhalt sollten dabei übereinstimmen.<br />

Weitere positive Signale sind<br />

Kopfnicken, Blickkontakt, Sitzstellung<br />

dem Patienten zugeordnet, ein kleines<br />

Lächeln sowie in manchen Fällen ein mitfühlender<br />

Blick.<br />

Bei der verbalen Kommunikation, also der<br />

Gesprächsführung, können die 5 K angewendet<br />

werden und unterstützen:<br />

▶ Kurz: kurze Sätze, nicht mehr als 7–8<br />

Worte<br />

▶ Klar: keine Fachtermine und verschachtelten<br />

Sätze<br />

▶ Konkret: Bilder, Beispiele, Vergleiche<br />

verwenden<br />

▶ Konstruktiv: Positives zuerst, ressourcenorientiert,<br />

nicht defizitär<br />

▶ Kontrolle des Verständnisses: Nachfragen<br />

„Notfall-Kommunikation“<br />

In Konfliktsituationen gibt es zudem verschiedene<br />

Fragearten und Abwehrtechniken,<br />

mit denen die Hebamme die Unterhaltung<br />

entschärfen kann. Weiche Abwehrtechniken<br />

sind, das Gegenüber mit<br />

Komplimenten zu verwirren, anderweitig<br />

abzulenken, statt einer Antwort diese<br />

ein wenig zu verzögern oder gar eine<br />

neue Perspektive zu finden. Harte Abwehrtechniken<br />

hingegen sind in sehr<br />

stressigen Situationen häufig die bessere<br />

Wahl, den Gesprächspartner zu besänftigen.<br />

Diese sind:<br />

▶ „Wie bitte?“-Methode<br />

▶ „Gerade weil“-Technik<br />

▶ „Besser als“-Technik<br />

▶ „Kennen Sie?“-Methode<br />

▶ Übersetzer Technik: „Wollen Sie damit<br />

sagen?“<br />

Bei besonders nervigen und schwierigen<br />

Eltern hat es sich auch als sehr erfolgreich<br />

erwiesen, für sich persönlich die Emotionen<br />

trotz eigenen „hormonellen Nebels“<br />

(Cortisol, Adrenalin etc.) vom Verhandlungsgegenstand<br />

zu trennen. Die Hebamme<br />

kann dann mit einer Äußerung wie<br />

beispielweise „Ich verstehe, dass Sie aufgebracht<br />

sind, lassen Sie uns doch gemeinsam<br />

nach einer Lösung suchen.“ die Basis<br />

zur Findung für einen Kompromiss schaffen.<br />

Kölfen nennt solche Sätze sehr passend<br />

„Stoßdämpfer“.<br />

■<br />

Von der Idee zum<br />

Konzept: Mein individueller<br />

Eltern-Kurs<br />

Viele Hebammen haben innovative Ideen<br />

für einen Elternkurs, aber: Worin liegt eigentlich<br />

das Problem bei der Erarbeitung<br />

eines Konzeptes? Genau genommen, gibt<br />

es 7 Herausforderungen, die den gesamten<br />

Arbeitsablauf beeinflussen – so Gabriele<br />

Stenz, Hebamme und Lehrerin für<br />

Hebammenwesen, Qualitätsmanagerin<br />

und Auditorin aus Delmenhorst. Die folgende<br />

praxisbezogene Anleitung hilft<br />

Hebammen, diese Hürden zu meistern.<br />

1. „Meine Zeit reicht nicht aus“<br />

Zeitdruck ist ein Kreativitätsräuber. So<br />

sollten Hebammen mit einer guten Idee<br />

versuchen, intuitiv Antworten und Lösungsrichtungen<br />

zu finden und das Ganze<br />

auch ein Stück weit auf sich zukommen<br />

zu lassen, denn: Intuitionen sind verdichtete<br />

Lebens- und Berufserfahrungen und<br />

damit die wichtigste Quelle der Kreativität<br />

und praktischen Intelligenz – als perfekte<br />

Basis für die anschließende Konzeptionsarbeit.<br />

2. „Warum brauche ich überhaupt<br />

ein Konzept?“<br />

Ein Konzept hat für die Hebammenarbeit<br />

im Wesentlichen 4 Grundfunktionen:<br />

▶ Strategische Entscheidungshilfe: Das<br />

Konzept öffnet den Blick für den<br />

gesamten Horizont der Möglichkeiten<br />

und der Kommunikation, sorgt für<br />

Transparenz und gibt neue Impulse,<br />

die schlussendlich zur Entscheidung<br />

führen.<br />

▶ Praktische Richtschnur: Das Konzept<br />

ist eine Gebrauchsanweisung. Es zeigt<br />

den Eltern/Beteiligten, wo und wie es<br />

lang gehen soll. Die Richtschnur des<br />

Konzepts wird zu dem großen Strang,<br />

an dem alle ziehen.<br />

▶ Ökonomische Planungsbasis: Für die<br />

Hebamme ist das Konzept eine handfeste<br />

Planungsgrundlage. Es dokumentiert,<br />

welche Leistungen mit welchem<br />

Aufwand zu welchem Nutzen erbracht<br />

werden.<br />

20


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Hebammenpraxis<br />

▶ Motivierende Stimulans: Ein gutes<br />

Konzept begeistert und zieht alle mit.<br />

Ein Kurs ohne Konzept erscheint hingegen<br />

diffus, manchmal sogar widersprüchlich<br />

und findet nicht die gewünschte<br />

Akzeptanz bei der Zielgruppe.<br />

Eine gewissenhafte Konzepterstellung<br />

sollte etwa 60–80 % der Zeit in<br />

Anspruch nehmen, die Ausführung<br />

und Ausformulierung hingegen nur<br />

etwa 20–40 %.<br />

3. „Die Informationsbeschaffung“<br />

Meist wird die Anstrengung der Informationsbeschaffung<br />

und -ordnung erheblich<br />

unterschätzt, der Aufwand für das<br />

textliche Formulieren aber erheblich<br />

überschätzt. Gut recherchierte Fakten<br />

sind essenziell, damit das Gesamtbild des<br />

Konzeptes stimmig wird.<br />

4. „Es ist viel zu viel“<br />

„Es ist viel zu viel Material und Stoff, als<br />

dass ich alles gleichzeitig im Kopf behalten<br />

und in eine wirkliche Übersicht bringen<br />

könnte.“ Müssen Sie wirklich alles lesen<br />

und durcharbeiten? Und müssen Sie alles<br />

zugleich im Gedächtnis jonglieren? Die<br />

Antwort lautet eindeutig: Nein! Mit<br />

Mind-Mapping wird es übersichtlich!<br />

Machen Sie sich frei vom alten Arbeitsparadigma<br />

– es gibt effizientere Methoden,<br />

die weder die Lesekapazität übersteigen,<br />

noch das Gehirn überlasten und<br />

gleichzeitig alle Informationen strukturieren.<br />

5. „Ich blicke nicht durch“<br />

„Mit der Stofffülle habe ich keine Probleme,<br />

aber wie soll ich die unterschiedlichen Fakten<br />

zueinander in Beziehung setzen und<br />

dann interpretieren?“ Insbesondere, wenn<br />

eine Sachlage widersprüchlich und sehr<br />

komplex zu sein scheint, gibt es qualitativ<br />

bewertende sowie quantitativ messende<br />

Methoden (z. B. den Morphologischen<br />

Kasten). Sie bringen Unterstützung<br />

und verhindern, dass die Hebamme<br />

sich nicht schon vor Beginn von Scheinproblemen<br />

demotivieren lässt!<br />

6. „Ich bin nicht kreativ“<br />

Häufig besteht das Kreativsein lediglich<br />

in einer neuartigen Verknüpfung bereits<br />

vorhandenen Wissens, darin, dass man<br />

Sachverhalte aus neuen Perspektiven betrachtet<br />

– und dann einfach mal um die<br />

Ecke zu denken. Zusätzlich hilft es, mit<br />

anderen Hebammen gemeinsam kreative<br />

Ideen zu entwickeln. Es kommt vor allem<br />

darauf an, erst einmal möglichst viele<br />

Ideen zu erzeugen, um aus ihnen dann<br />

die beste(n) und innovativste(n) herauszufiltern.<br />

7. „Jetzt geht’s los“<br />

Bevor es endgültig an die Umsetzung<br />

geht, sollten folgende Punkte durchgearbeitet<br />

werden:<br />

▶ Welchem unternehmerischen Ziel<br />

dient das Konzept?<br />

▶ Konzept mithilfe von Gliederungspunkten<br />

strukturieren!<br />

▶ Gibt es ein persönliches Ziel? Dieses<br />

sollte konkret und kurz formuliert<br />

sein!<br />

▶ Bestenfalls die Ideen, Ziele etc. mit<br />

einer Mind-Map verdeutlichen!<br />

▶ Zeitschienen erarbeiten (z. B. Kostenplanung,<br />

Raumsuche, Recherche)!<br />

▶ Welche organisatorischen Rahmenbedingungen<br />

sind bekannt?<br />

▶ Das Konzept von mindestens einer<br />

kompetenten Person lesen lassen!<br />

▶ Wie soll das Angebot weiterverbreitet<br />

werden? Darüber reden! ■<br />

Wie bringe ich meinen<br />

Kurs an die Frau?<br />

Sich erfolgreich zu präsentieren und bekanntzumachen<br />

ist neben der Ideenfindung<br />

und Umsetzung die wichtigste Voraussetzung<br />

für eine erfolgreiche Selbstständigkeit.<br />

Christiane Münkwitz, selbst<br />

freiberufliche Hebamme aus Lübeck und<br />

Managerin im Sozial- und Gesundheitswesen<br />

berät viele freiberufliche Hebammen<br />

und Hebammengeleitete Einrichtungen.<br />

So konnte sie in ihrem Seminar<br />

auch aus langjähriger Erfahrung sprechen,<br />

welche Möglichkeiten, Methoden<br />

und Marketingideen besonders Erfolg<br />

versprechend sind.<br />

Internet- und Printkommunikation<br />

Laut einer Studie von BITKOM (2011) beginnen<br />

mittlerweile 90 % aller Kaufentscheidungsprozesse<br />

online. Somit kann<br />

die Hebamme über das Internet schon<br />

einen Großteil ihrer Zielgruppe erreichen.<br />

Auf einer professionell gestalteten Homepage<br />

sollte die Hebamme der Interessentin<br />

mithilfe einer einfachen Bedienung<br />

eine eindeutige Orientierung bieten, insbesondere<br />

für die Kontaktaufnahme. Die<br />

Website sollte zudem aussehen wie die<br />

angebotene Dienstleistung und deren<br />

Image widerspiegeln. Darum sollte nur<br />

Bildmaterial bester Qualität dort seinen<br />

Platz finden und bestimmte Farben und<br />

Symbole immer wieder auftauchen. Auf<br />

einem Flyer oder der Visitenkarte ist weniger<br />

mehr: Hier sollte kurz und knackig<br />

die Art der Dienstleistung und der Nutzen<br />

kommuniziert werden. Wenn sich der rote<br />

Faden vom Internetauftritt, über Printmedien<br />

bis hin zum Betreten der Praxis<br />

durchzieht, dann steht dem Erfolg nichts<br />

mehr im Wege.<br />

Finanzen und Qualitätskontrolle<br />

Auch wenn das Hebammenherz sehr<br />

hilfsbereit ist und gerne Gutes tut, so<br />

sollte die Hebamme nicht vergessen, für<br />

ihre Arbeit ein angemessenes Honorar zu<br />

verlangen. Das Geheimnis des finanziellen<br />

Erfolges ist einfach: Mehr Einnehmen<br />

als Ausgeben! Ausgehend von der finanziellen<br />

Situation sollte die Hebamme<br />

überlegen, welche finanziellen Ziele sie<br />

hat und wie sie dorthin kommt. Neben<br />

einer Kooperation mit anderen Kursanbietern<br />

sind die effektive Kursplanung<br />

und die genaue Anwendung der Gebührenordnung<br />

wichtige Möglichkeiten<br />

ebenso wie Ausgaben stabil zu halten und<br />

Einnahmen zu steigern. Münkwitz gab<br />

den Seminar-Teilnehmerinnen folgende<br />

Botschaft mit auf den Weg: „Geben Sie<br />

Ihrem Hebammenherzen einen unternehmerischen<br />

Rahmen, der zu Ihnen passt!“<br />

Das bringt Authentizität und Erfolg! ■<br />

21


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

22<br />

EXKURS – Für die Zeit nach der<br />

Rückbildung: BauchBuggyGo<br />

und BauchBeutelPo<br />

Heike Thierbach, Dipl. Betriebswirtin,<br />

Wirtschaftspädagogin und mehrfach<br />

zertifizierte Fitness- und Pilates-Trainerin<br />

aus Lich, stellte sehr innovative<br />

Kurzkonzepte für die moderne<br />

Hebammenarbeit vor: Das Konzept<br />

BauchBuggyGo und BauchBeutelPo.<br />

Die veränderte Lebenssituation und<br />

der Mangel an Zeit, Schlaf und<br />

Babysittern führt bei vielen Müttern<br />

zu Unwohlsein, Vereinsamung und<br />

bei manchen sogar zu depressiven<br />

Verstimmungen. Ein Fitnesstraining<br />

unter gleichgesinnten Müttern<br />

mitsamt ihren Babys war und ist für<br />

Thierbach die Lösung des Problems.<br />

Sie entwickelte mit einem Team aus<br />

zertifizierten Trainerinnen, Physiotherapeutinnen,<br />

Sportwissenschaftlerinnen<br />

und Hebammen 2 ganzheitliche<br />

Fitnessprogramme. <strong>Der</strong> Kurs<br />

BauchBuggyGo ist ein Outdoortraining,<br />

bei dem der Kinderwagen als<br />

Trainingsgerät fungiert und so das<br />

Baby ebenfalls integriert wird. Beim<br />

BauchBeutelPo wird in einem Raum<br />

trainiert. Pilates-Übungen sind die<br />

Basis. Hier darf das Baby ebenfalls<br />

mitmachen: entweder im Tragetuch<br />

bzw. der Babytrage oder auf einer<br />

Matte bzw. Krabbeldecke. Bei<br />

beiden Kursen wird neben dem<br />

Beckenboden, der im Fokus steht,<br />

auch ausgiebig gedehnt und die<br />

Ausdauer und Kraft trainiert, was<br />

die Gewichtsreduktion fördert. Mit<br />

Flyern, Freikarten/Gutscheinen und<br />

Zeitungsanzeigen wurde für die<br />

Kurse geworben. Laut Thierbach ist<br />

jedoch die persönliche Empfehlung<br />

durch zufriedene Kunden immer<br />

noch am wirksamsten und zudem<br />

umsonst.<br />

Gesundheitsförderung<br />

nach<br />

der Geburt<br />

Welchen Stellenwert die Gesundheits-<br />

förderung nach der Geburt einnimmt,<br />

welche Themen hierbei besonders wichtig<br />

sind und künftig noch mehr Platz einnehmen<br />

sollten, thematisierte und erarbeitete<br />

Melita Grieshop interaktiv mit den<br />

Hebammen in ihrem Seminar. Die gelernte<br />

Hebamme und Dipl. Pflegepädagogin verdeutlichte,<br />

wie Hebammen durch partnerschaftliche<br />

Kommunikation mit den Eltern<br />

Gesundheitsförderungsbedarf identifizieren<br />

und auf einfühlsame Art und Weise<br />

mit den Ressourcen von Mutter und Vater<br />

eine nachhaltige Veränderung des Gesundheitsverhaltens<br />

erreichen können.<br />

Hebammen sollten die sensible<br />

Phase geschickt nutzen<br />

Gesundheitsförderung bedeutet, die körperliche<br />

und psychische Unversehrtheit<br />

bei Eltern und Kind aufrechtzuerhalten,<br />

deren subjektives Wohlbefinden zu verbessern<br />

und Gesundheitsstörungen und<br />

Krankheiten zu vermeiden. Damit ist<br />

auch die Unterlassung von Risikoverhalten<br />

(z. B. Rauchen, Alkohol) verknüpft.<br />

Schwangerschaft und Wochenbett sind<br />

dabei besonders sensible Lebensphasen,<br />

in denen die Frauen/Familien offen für<br />

Verhaltensveränderungen sind. Frauen<br />

bewerten die Hebammenbetreuung im<br />

Wochenbett als unterstützend und nutzen<br />

sie intensiv – mehr und mehr auch für<br />

psychosoziale Fragen. Durch diese hohe<br />

Akzeptanz haben Hebammen in der Wochenbettbetreuung<br />

die Möglichkeit, die<br />

Eltern für die Bedeutung ihres Gesundheitsverhaltens<br />

für ihre persönliche Gesundheit<br />

und für die Familiengesundheit<br />

zu sensibilisieren. Positive Veränderungen<br />

der elterlichen Lebensweise haben auch<br />

langfristige Auswirkungen auf die kindliche<br />

Gesundheit und Entwicklung .<br />

Für eine langfristige Verhaltensänderung<br />

ist es besonders effektiv und nachhaltig,<br />

alle Familienangehörigen, die stark in die<br />

Kindesbetreuung involviert sind, mit einzubeziehen<br />

und dabei vor allem die Eltern<br />

mit ihren Bedürfnissen dort abzuholen,<br />

wo sie „stehen“. Auf den Stärken und<br />

Ressourcen der Familienmitglieder aufbauend<br />

kann die Hebamme dann gemeinsam<br />

mit ihnen individuelle Strategien erarbeiten.<br />

Um eine gesundheitsbezogene Verhaltensänderung<br />

bei den jungen Eltern ins<br />

Rollen zu bringen, kann die „Klientenzentrierte<br />

Gesprächsführung“ bzw. Beratung<br />

(nach Weinberger S, 2004) genutzt<br />

werden. Diese sollte immer klar strukturiert<br />

sein:<br />

Schritt 1: Allgemeine Orientierung<br />

▶ Art des Problems bzw. Risikoverhaltens<br />

klären (Sach-, Beziehungsproblem<br />

…)<br />

▶ Bedeutung des Problems für die Frau<br />

verstehen<br />

▶ Erwartungen der Mutter hinsichtlich<br />

Gespräch/Beratung/Unterstützungsmaßnahmen<br />

klären – ggf. Hebammen-<br />

Handeln modifizieren und daran anpassen<br />

▶ Ressourcen der Mutter identifizieren<br />

(Was kann die Frau gut? Wo erlebt sie<br />

sich kompetent?)<br />

▶ Bisherige Schritte der Frau zur Verhaltensänderung<br />

erkunden<br />

Schritt 2: Problemanalyse und<br />

Zielfindung<br />

▶ Die einzelnen Elemente des Problems<br />

identifizieren<br />

▶ Selbstbild der Frau klären (Wie sieht<br />

sie sich? Wie bewertet sie ihr Selbstbild?)<br />

▶ Klären, wo es das Risikoverhalten nicht<br />

gibt/Suche nach Ausnahmen (Frau mit<br />

ihren „gesunden Anteilen“ in Kontakt<br />

bringen)<br />

▶ Gemeinsam konkretes Ziele und erste<br />

Teilziele definieren (Was ändern? Wie<br />

ändern?)<br />

▶ Die Frau in Kontakt mit ihrem „Veränderungspotenzial“<br />

bringen (Lösungsvision<br />

entwickeln)<br />

Schritt 3: Entwicklung von Alternativen<br />

▶ Alternative Vorgehensweisen zur Lösung<br />

des Problems entwickeln<br />

▶ Vorzeitige Bewertungen der Frau reflektieren<br />

(„Das hilft sowieso nicht“)


<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | Hebammenpraxis<br />

▶ Soziales Umfeld der Mutter in Lösungsprozess<br />

einbeziehen<br />

▶ Evtl. antizipierte Reaktionen der Bezugspersonen<br />

im Rollenspiel bewusst<br />

machen<br />

▶ Alternativen konkretisieren (Was wollen<br />

Sie ganz genau tun?)<br />

Schritt 4: Entscheidungsfindung<br />

▶ Konsequenzen der einzelnen Alternativen<br />

klären<br />

▶ Kriterien:<br />

– persönliche Bedeutung<br />

– persönlicher Nutzen<br />

(kurz-/langfristig)<br />

– Selbstbild in der Zukunft<br />

▶ Weiteres Vorgehen vereinbaren<br />

Schritt 5: Verifikation<br />

▶ Erreichen/ Nichterreichen der gesetzten<br />

Ziele/Teilziele reflektieren<br />

▶ Im Veränderungsprozess die Effektivität<br />

der Maßnahmen bewerten,<br />

Schwierigkeiten und Stärken identifizieren<br />

▶ Alternative oder zusätzlich erforderliche<br />

Schritte erörtern<br />

Gespräche führen durch Fragen<br />

(einige Beispiele nach Bruns C, Christ H, Richter H: Kommunikation im Krankenhaus.<br />

Gespräche sicher und kompetent führen, 2000; Weinberger S, 2004)<br />

Rückkopplungsfragen<br />

Wichtig für den Verständigungsprozess, sie signalisieren bzw. sichern Verstehen,<br />

dienen als Feedback.<br />

Beispiel: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe …? Sie meinen also …?“<br />

Zirkuläre Fragen<br />

Klientin wird gefragt, was eine andere (nahe stehende) Person über ein Thema<br />

denkt.<br />

Beispiel: „Was meinen Sie, denkt ihr Mann darüber?“<br />

Rückführungsfragen<br />

Führen zum Ausgangspunkt zurück, wenn man vom Thema abgedriftet ist.<br />

Beispiel: „Meinen Sie nicht auch, wir sollten jetzt wieder zum Thema X kommen?“<br />

Skalierungsfragen<br />

Die Wichtigkeit eines Themas/Verhaltens klären.<br />

Beispiel: „Wie würden Sie ihr Befinden auf einer Skala von … bis … einstufen?“<br />

Wunderfragen<br />

Machen Vor- und Nachteile einer Lösungsoption deutlich.<br />

Beispiel: „Stellen Sie sich vor, über Nacht ist ein Wunder geschehen und das Problem<br />

ist gelöst. Woran würden Sie das merken?“<br />

Fantasiefragen<br />

Führen ebenso vom Problem weg und eröffnen neuen Handlungsspielraum.<br />

Beispiel: „Wie sieht das in 5 oder 10 Jahren aus?“<br />

„Aktiv sein heißt führen“ –<br />

Gespräche gestalten<br />

Aber nicht nur das WAS, sondern auch<br />

das verbale und nonverbale WIE haben<br />

einen großen Einfluss auf das Feedback<br />

der Familie: Versteht und schätzt die Hebamme<br />

die Mutter auf einfühlsame Weise<br />

(Empathie) und wirkt sie echt und kongruent,<br />

erhält sie wichtige Informationen<br />

für ihre Beratung und kann direkt dort<br />

ansetzen. Durch respektvolle und geschickte<br />

Gesprächsführung der Hebamme<br />

reflektiert sich die Mutter (Selbstexploration)<br />

und kann so mögliche Probleme<br />

und deren Lösungen selbst erkennen.<br />

Dabei kann die Hebamme durch<br />

aktives Zuhören wunderbar Verständnis<br />

signalisieren und mit gezielten Fragen<br />

zudem die Offenheit von Mutter und<br />

Vater fördern und viel über ihr Gesundheitsverhalten<br />

erfahren.<br />

Ungünstig für die Begleitung sind mangelndes<br />

Interesse, Missverständnisse,<br />

ständige Kritik (z. B. der Mutter Inkompetenz<br />

zuschreiben), aggressive oder<br />

stark ironische Äußerungen und Drohungen<br />

(dass z. B. schlimme Dinge passieren,<br />

wenn die Frau nicht ihr Verhalten<br />

ändert). All das kann die Kommunikation<br />

stören oder gar komplett abbrechen<br />

lassen.<br />

Gesundheitsförderung<br />

durch Hebammen<br />

Aufgrund der aktuellen medizinischen Erkenntnisse<br />

erscheint ein frühzeitiges Ansetzen<br />

der Hebammenbetreuung in der<br />

Schwangerschaft immer wichtiger, um<br />

die Gesundheit des Ungeborenen und der<br />

werdenden Mutter frühzeitig zu schützen<br />

und zu fördern. Auch eine Ausnutzung<br />

der laut Gebührenverordnung verfügbaren<br />

Wochenbettbesuche macht<br />

Sinn, um die Frau kontinuierlich über<br />

8 Wochen nach der Geburt zu begleiten,<br />

sie an vereinbarte Ziele zu erinnern und<br />

zum Durchhalten zu motivieren.<br />

Zu folgenden Gesundheitsthemen<br />

wünschten sich die Hebammen weitere<br />

wirksame Strategien zur gesundheitsfördernden<br />

Betreuung der Mutter und ihrer<br />

Familie:<br />

▶ Stress/Erschöpfung/Müdigkeit – vor<br />

allem durch Weinen des Kindes<br />

▶ Langfristige Ernährungsumstellung<br />

▶ Prävention von Rückenschmerzen<br />

▶ Adipositas-Prävention im Kleinkindalter<br />

▶ Wunsch nach Perfektionismus nehmen<br />

▶ Förderung der Eltern-Kind-Bindung<br />

▶ Rollenfindung erleichtern<br />

▶ <strong>Der</strong> Mutter/Familie die Unsicherheit<br />

nehmen<br />

■<br />

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<strong>Hippokrates</strong> <strong>Report</strong> | 2. Soester Bübchen Hebammen Seminarkongress<br />

Bübchen sagt DANKE!<br />

Bübchen war wieder einmal begeistert<br />

von der regen Teilnahme und dem<br />

positiven Feedback durch die Hebammen<br />

– auch im Rahmen der interaktiven<br />

Diskussionsrunden. Dadurch<br />

haben sich zahlreiche neue Ideen und<br />

Wünsche für den Kongress 2014<br />

ergeben.<br />

Nun heißt es: Nach der Tagung ist vor<br />

der Tagung! Die Programmplanung ist<br />

bereits in vollem Gange …<br />

ANKÜNDIGUNG!<br />

3. Soester Bübchen<br />

Hebammen Seminarkongress<br />

2014<br />

Wem die Gestaltung und Themenvielfalt<br />

des 2. Soester Bübchen Hebammen<br />

Seminarkongresses 2013 gut gefallen<br />

hat und wer viel für seine Hebammentätigkeit<br />

errungen hat, der sollte sich<br />

unbedingt schon jetzt diesen Termin<br />

vormerken:<br />

Prävention in Schwangerschaft<br />

und Wochenbett<br />

Bad Sassendorf bei Soest<br />

Donnerstag, 6. März 2014<br />

bis Samstag, 8. März 2014<br />

Informationen und Online-Anmeldung<br />

www.bfg-kray.de,<br />

Bübchen Partnerseite bei B.F.G.<br />

(Bildungsinstitut Fachbereiche<br />

Gesundheitswesen)<br />

Bübchen Wissenschaftlicher Service<br />

E-Mail: service@buebchen.de,<br />

Telefon: 069/66 71- 49 72<br />

Teilnahmegebühr:<br />

75 € bei Zahlung bis zum 15.01.2014<br />

90 € bei Zahlung ab 15.01.2014<br />

und an der Tageskasse<br />

Schülerinnen kostenfrei<br />

Impressum<br />

Die Beilage erscheint außerhalb des Verantwortungsbereiches<br />

von Herausgeber, Schriftleitung<br />

und Redaktion der Zeitschrift die hebamme.<br />

Verlag: <strong>Hippokrates</strong> Verlag in MVS Medizinverlage<br />

Stuttgart GmbH & Co. KG, Oswald-Hesse-<br />

Straße 50, 70469 Stuttgart<br />

Herausgeber: Bübchen Wissenschaftlicher<br />

Service, 59495 Soest<br />

Redaktion: Andrea Pütz, Mönchengladbach<br />

Projektmanagement: MVS Mediaservice, Jacqueline<br />

Schmidt, Telefon: 0711/89 31-882, Fax: -705,<br />

E-Mail: jacqueline.schmidt@medizinverlage.de<br />

Layout und Satz: Christel Idalinya, <strong>Hippokrates</strong><br />

Verlag in MVS Medizinverlage GmbH & Co. KG<br />

Druck: Kliemo AG, Eupen (Belgien)<br />

Eine Sonderpublikation unterstützt von Bübchen.<br />

Titelbild: Bübchen<br />

© MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG,<br />

Bübchen, 2013<br />

Kontakt<br />

Evamaria Wilhelmi<br />

Direktorin Bübchen Wissenschaftlicher Service<br />

Coesterweg 37<br />

59494 Soest<br />

E-Mail: service@buebchen.de<br />

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