Necroscope 5_neue RS.qxd - Festa Verlag
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Totenwache 13<br />
Dolgikh trat neben ihn, hielt den Kopf schief und blickte auf<br />
Cornwells verschwitztes Gesicht herab. »Ihnen ist klar, dass ich nur<br />
beim Flughafen anrufen muss, um Ihre Angaben nachzuprüfen?«<br />
»Selbstverständlich.« Cornwell schluchzte nun. Die Tränen<br />
liefen ihm ganz offen über die Wangen. Er hatte völlig die<br />
Beherrschung verloren. »Bringen Sie mich jetzt rein!«<br />
Der Russe lächelte. »Es ist mir ein Vergnügen.« Er trat aus<br />
Cornwells Sichtbereich. Der Agent spürte, wie er mit seinem<br />
Messer an den Stricken sägte, die seine Handgelenke hinter dem<br />
Rücken fesselten. Die Stricke gaben nach und der Brite ächzte,<br />
als er seine Arme nach vorn zog. Von Krämpfen gepeinigt, konnte<br />
er sie kaum bewegen. Dolgikh befreite auch seine Beine und hob<br />
die durchgeschnittenen Stricke auf. Cornwell begann, sich<br />
mühevoll und unsicher zu erheben – und ohne Vorwarnung<br />
schubste ihn der Russe mit beiden Händen und aller Kraft nach<br />
vorn. Cornwell schrie auf, taumelte vor und brach durch die<br />
lockere Brüstung. Schreiend und um sich schlagend stürzte er in<br />
die Tiefe, begleitet von Gipsstaub und losen Backsteinen.<br />
Dolgikh räusperte sich und spuckte ihm hinterher. Dann<br />
wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab. Von weit<br />
unten ertönten ein dumpfer Aufschlag und das Prasseln des<br />
auftreffenden Schutts.<br />
Augenblicke später zog sich der Russe Cornwells leichten<br />
Sommermantel über, verließ die Zentrale und wischte hinter sich<br />
die Türklinke ab. Er nahm den Fahrstuhl zum Erdgeschoss und<br />
verließ gemächlichen Schrittes das Gebäude. Fünfzig Meter<br />
weiter hielt er ein Taxi an und ließ sich zum Flughafen fahren.<br />
Unterwegs öffnete er kurz das Fenster und ließ ein paar kurze<br />
Stricke auf die Straße fallen. Der Taxifahrer, der auf den lebhaften<br />
Verkehr achtete, bemerkte es nicht.<br />
Gegen elf Uhr nachts hatte Dolgikh bereits seinen unmittelbaren<br />
Vorgesetzten in Moskau verständigt und befand sich auf dem<br />
Weg nach Bukarest. Wäre Dolgikh nicht die letzten vierundzwanzig<br />
Stunden außer Gefecht gewesen und hätte stattdessen die Möglichkeit<br />
gehabt, sich früher mit seiner Dienststelle in Verbindung<br />
zu setzen, hätte er erfahren können, wohin sich Kyle, Krakovic<br />
und die anderen begaben, ohne deshalb Cornwell umbringen zu<br />
müssen. Nicht, dass dies besonders ins Gewicht fiel, denn er hätte<br />
ihn ohnehin getötet.