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Fokus<br />
Engagement, Ehrenamt und <strong>Zusammen</strong>leben<br />
hier etwas Sinnvolles tun und fühle mich<br />
auch noch wohl dabei.“ Diese doppelt positive<br />
Wirkung bestätigt der Freiwilligenbericht<br />
des Sozialministeriums: Ehrenamtliches<br />
Engagement sei „nicht nur für<br />
Migrantinnen und Migranten nützlich<br />
und wertvoll, sondern auch die Aufnahmegesellschaft<br />
profitiert nachhaltig davon“,<br />
heißt es da. Einerseits leisten Zuwanderer<br />
in Vereinen einen wertvollen<br />
Beitrag zur Lebensqualität im Land. Feuerwehr<br />
und Rettung etwa sind weitgehend<br />
von Freiwilligen abhängig. Andererseits<br />
können Migranten so Einheimische kennen<br />
lernen: Den Wunsch nach neuen<br />
Kontakten und Freundschaften nennt<br />
eine Mehrzahl der zugewanderten Ehrenamtlichen<br />
als wichtige Motivation für ihr<br />
Engagement (siehe Kasten S. 10).<br />
Gemeinsame Freizeit als ziel<br />
„Freizeit ist der wichtigste Integrationsbereich<br />
überhaupt“, bestätigt Peter Zellmann,<br />
Leiter des Instituts für Freizeit und<br />
Tourismusforschung und Mitglied des<br />
Expertenrats für Integration. Diese These<br />
kann er mit Zahlen untermauern: Langzeitstudien<br />
zeigen, dass der Durchschnitts<br />
Wer engagiert sich ehrenamtlich?<br />
In <strong>Österreich</strong> gebürtige Menschen arbeiten öfter freiwillig<br />
als im Ausland geborene.<br />
<strong>Österreich</strong><br />
Alte eu-staaten vor 2004<br />
neue eu-staaten seit 2004<br />
ex-Jugoslawien<br />
türkei<br />
stAtistik<br />
37,1 %<br />
Er packt gerne an, wo Hilfe<br />
gebraucht wird: sanitäter Paul Yulu<br />
blieb nach dem Zivildienst als<br />
Freiwilliger beim samariterbund.<br />
46,7 %<br />
50,0 %<br />
Quelle: BMAsk/FreiwilligenBericht 2009<br />
56,5 %<br />
61,4 %<br />
0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 %<br />
mensch in <strong>Österreich</strong> nur rund 14 Prozent<br />
seiner Lebenszeit mit Arbeiten oder Ausbildung<br />
verbringt, ein Drittel mit Schlafen.<br />
„Der Rest, also mehr als die Hälfte unserer<br />
Lebenszeit, entfällt auf soziale und familiäre<br />
Tätigkeiten sowie auf Freizeit“, sagt<br />
Zellmann und folgert: „Integrationspolitik,<br />
die ein besseres <strong>Zusammen</strong>leben erreichen<br />
will, muss einen Fokus auf diesen Bereich<br />
legen.“ Die Herausforderung sieht er darin,<br />
dass die Freizeitgewohnheiten sich je<br />
nach Milieu stark unterscheiden. „Gelingt<br />
es aber, die Leute zusammenzubringen, ist<br />
der Effekt umso stärker“, sagt Zellmann,<br />
„denn Menschen werden am besten bewegt,<br />
etwas zu tun, wenn sie es freiwillig<br />
und gerne tun.“ Die Politik solle sich stärker<br />
um ein Miteinander von Menschen<br />
mit und ohne Migrationshintergrund in<br />
der Freizeit bemühen.<br />
miGranten seltener aktiv …<br />
Ein Blick in die Statistik zeigt jedoch: Migrantinnen<br />
und Migranten engagieren<br />
sich im Schnitt seltener als Einheimische<br />
(siehe Diagramm links). Vor allem Menschen,<br />
die im ehemaligen Jugoslawien<br />
geboren wurden, sind deutlich weniger<br />
FOTOS: UniverSiTäT Wien/Franz PFlUegl, WWW.WeinFranz.aT<br />
Ich habe zwar<br />
einen Deutschkurs<br />
gemacht,<br />
aber so richtig<br />
gelernt habe<br />
ich die Sprache<br />
erst durch die<br />
Arbeit beim<br />
Samariterbund.<br />
Rabiaa Abu-Zeid,<br />
ehrenamtlich aktiv.<br />
Auch Personen mit<br />
Geburtsland Türkei<br />
oder einem der „neuen“,<br />
osteuropäischen<br />
EU-Mitgliedstaaten<br />
arbeiten seltener freiwillig.<br />
Im Detail zeigt<br />
sich, dass Migranten<br />
sich vor allem in Organisationen<br />
und Vereinen<br />
seltener beteiligen.<br />
Im Privatbereich<br />
hingegen, etwa beim<br />
Helfen in der Familie oder Nachbarschaft,<br />
liegen Menschen türkischer Herkunft sogar<br />
ganz vorne (Details siehe S. 13).<br />
Sanitäterin und<br />
Rettungsfahrerin<br />
… im Land der VereinsweLtmeister<br />
Lässt sich aus dem geringen Engagement<br />
von Migranten in Vereinen schließen, dass<br />
sie sich weniger um das Gemeinwohl<br />
kümmern? „Nein“, meint Kenan Güngör,<br />
Soziologe und Mitglied des Expertenrats<br />
für Integration, „es ist völlig normal, dass<br />
Migranten sich stärker untereinander unterstützen.“<br />
Schließlich teilen sie eine<br />
ähnliche Lebenssituation und eine gemeinsame<br />
Sprache. Daher dominiere unter<br />
Zuwanderern das Engagement im Privatbereich<br />
und in eigenen Vereinen, etwa<br />
mit religiöser Ausrichtung. „Außerdem<br />
darf man nicht vergessen, dass <strong>Österreich</strong><br />
und der deutschsprachige Raum insgesamt<br />
Vereinsweltmeister sind“, ergänzt<br />
Güngör. Hierzulande wachse man von<br />
klein auf fast selbstverständlich ins<br />
Vereinsleben hinein – anders als in den<br />
Herkunftsländern vieler Zuwanderer.<br />
„Dadurch ist die Distanz zwischen Vereinslandschaft<br />
und Migranten deutlich<br />
höher als bei der Mehrheitsbevölkerung.“<br />
rettungsfahrerin aus Berufung<br />
Eine, die die Distanz zu österreichischen<br />
Organisationen längst überwunden hat, ist<br />
LeitartikeL<br />
Von mehr<br />
Engagement<br />
profitieren alle<br />
Ehrenamtliche Arbeit ist nicht nur Zeichen,<br />
dass jemand in einer Gesellschaft angekommen ist:<br />
Sie beschleunigt dieses Ankommen auch.<br />
TExT<br />
Heinz Faßmann<br />
Engagement für die Gemeinschaft<br />
ist etwas Wünschenswertes, ein<br />
starkes Zeichen von Integration.<br />
Wer bereit ist, sich ohne eine finanzielle<br />
Abgeltung zu engagieren,<br />
fühlt sich als Teil der Gemeinschaft.<br />
Dieses Engagement ist daher typischerweise<br />
im ländlichen Raum, wo<br />
die Stabilität der sozialen Beziehungen<br />
noch dominant ist, sehr viel<br />
stärker ausgeprägt als in der Stadt.<br />
Neuzuwanderer bauen erst Schritt<br />
für Schritt soziale Beziehungen mit<br />
der aufnehmenden Gemeinschaft<br />
auf. Es überrascht daher nicht, dass<br />
sie sich seltener in der formellen<br />
Freiwilligenarbeit einbringen, also<br />
in Organisationen oder Vereinen.<br />
Ihr Engagement liegt eher im informellen<br />
Bereich, also in der Familie<br />
oder der eigenen ethnischen<br />
Community. Die Politik hat diesen<br />
analytischen Befund zur Kenntnis<br />
genommen und instrumentell<br />
umgedreht:<br />
Ehrenamtliches Engagement ist<br />
nicht nur Folge, sondern Ursache<br />
gelungener Integration. Wenn sich<br />
zivilgesellschaftliche Einrichtungen<br />
der aufnehmenden Gesellschaft<br />
öffnen und verstärkt Zugewanderte<br />
in ihre Reihen aufnehmen, stärkt<br />
das die Integration in doppelter Hinsicht:<br />
Die Migranten knüpfen neue<br />
Kontakte mit Menschen außerhalb<br />
der eigenen Community, erlangen<br />
zusätzliche und oft am Arbeitsmarkt<br />
gefragte Qualifikationen und entwickeln<br />
verstärkt ein Gefühl gesellschaftlicher<br />
Akzeptanz und Teilhabe.<br />
Die zivilgesellschaftlichen Organisationen<br />
wiederum profitieren davon,<br />
dass Zuwanderer neue Kompetenzen<br />
einbringen und sie damit ihre Aufgabe<br />
in einer auch ethnisch vielfältigen<br />
Gesellschaft leichter erfüllen können.<br />
Diese politische Strategie ist überzeugend.<br />
Bei einem verstärkten<br />
zivilgesellschaftlichen Engagement<br />
in Einrichtungen wie der Freiwilligen<br />
Feuerwehr, dem Roten Kreuz oder<br />
kirchlichen Organisationen profitieren<br />
alle: die Zugewanderten, die<br />
Organisationen und die Gesellschaft<br />
durch eine gelungene Integration.<br />
Doch bis dahin ist es noch ein weiter<br />
Weg. Erst unlängst meinte der Generalsekretär<br />
des Roten Kreuz: „Hier<br />
liegt noch Arbeit vor uns.“ In Anbetracht<br />
der empirischen Befunde sollte<br />
man wohl ein „viel“ ergänzen.<br />
Heinz Faßmann<br />
ist Vizerektor<br />
der Universität Wien<br />
und Vorsitzender<br />
des Expertenrats für<br />
Integration<br />
008 <strong>Zusammen</strong>:<strong>Österreich</strong><br />
<strong>Zusammen</strong>:<strong>Österreich</strong> 009