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THEMA DES MONATS dezember 2008 • Ausgabe 11 Fotos: André Illing Unter dem Dach der Kirchen Rostocker Gemeinden mit Angeboten für alle Generationen Zu Weihnachten findet sich kaum ein leerer Platz auf den Bänken der Rostocker Kirchen. Tausende strömen an Heiligabend und den Festtagen in die Gottesdienste, singen die altbekannten Lieder, genießen die festliche Stimmung und die heimelige Atmosphäre unter den hohen Dächern. „Ich freue mich, dass die Menschen zu Weihnachten in den Gottesdienst kommen, auch wenn es das einzige Mal im Jahr ist“, sagt Johannes Wolf, Pastor der Heiligen-Geist-Gemeinde in der Kröpeliner-Tor-Vorstadt. „Es zeigt, dass es ihnen wichtig ist und dass sie eine Kontinuität suchen, die weit über das eigene Leben hinausgeht.“ Das sieht auch Dr. Mathias Kleiminger, Landessuperintendent des Kirchenkreises Rostock, so. „Sie kommen in die Kirchen, um gemeinsam etwas Schönes, Friedliches zu erleben. Aber das allein würde nicht tragen, denn Kerzen anzünden könnten sich die Leute auch allein. Ich glaube, sie kommen auch, um eine tiefere Dimension zu erleben.“ Zahlen im Lauf der Zeiten Aber was ist Kirche im restlichen Jahr? Die Zahl derer, die zu den evangelischen Gottesdiensten kommen, steigt an, weiß der Landessuperintendent. 167 000 waren es im vergangenen Jahr, 17 000 mehr als vier Jahre zuvor. Pastor der Heiligen-Geist Kirche: Johannes Wolf Foto: Dörte Rahming Dabei war die Tendenz zu Aktivitäten in der Kirche lange Jahre rückläufig. Das beweist ein Blick in die Kirchenbücher der 100-jährigen Heiligen-Geist-Gemeinde. „Nach dem Krieg hatte diese Gemeinde 30 000 Mitglieder – es war die größte in ganz Mecklenburg“, erzählt Pastor Johannes Wolf. „Darunter waren natürlich viele Flüchtlinge, und über die Jahre zogen viele wieder weg. Trotzdem gab es 1953 über 800 Konfirmanden.“ Sechs Jahre später waren es nur noch 118, 1960 noch 41, 1978 gar nur fünf. Die Bemühungen der DDR-Führung, Kirche aus dem öffentlichen Bewusstsein und dem Leben der Menschen zu vertreiben, trugen Früchte. Doch inzwischen haben sich die Zahlen wieder erholt. Über 41 000 Menschen gehören heute zu den evangelischen Gemeinden in Rostock und dem Umland. Natürlich treten Menschen aus der Institution Kirche aus, knapp 200 pro Jahr. Demgegenüber stehen aber rund 100 Wiederaufnahmen und 400 Taufen pro Jahr. „Insbesondere die Erwachsenentaufen nehmen stark zu, sie machen inzwischen ungefähr ein Drittel aus“, weiß Mathias Kleiminger. Die Gründe sind vielfältig. „Das Brauchtum, die Tradition trägt kaum noch. Aber die Leute stellen sich Fragen: Wofür lohnt es sich, sich einzusetzen? Was sind wahre Werte? Was trägt mich durch schwere Zeiten?“ Dass die Zahlen insgesamt variieren, liege natürlich auch an demografischen Entwicklungen, sagt Kleiminger. Kirche in der heutigen Zeit In diesem Jahr hat Johannes Wolf 16 junge Menschen konfirmiert, sie also beim Schritt HRO LIVE
Ausgabe 11 • dezember 2008 THEMA DES MONATS Bibel-Fotos: Bernd s., Rebel -fotolia ins kirchliche Erwachsenenalter begleitet. Vor sieben Jahren, bevor er hier anfing, gehörten rund 1500 Menschen zur Gemeinde, inzwischen sind es rund 2000 – der Altersdurchschnitt liegt unter 35 Jahren. „Hier leben viele junge Familien und Studenten, die Fluktuation ist sehr groß, viele bleiben nicht lange“, sagt der Pastor. „Das macht eine kontinuierliche Arbeit etwas schwierig.“ Dennoch gibt es inzwischen zwei Krabbelgruppen, in denen sich Mütter und Väter mit ihren Kleinen treffen – eine reichte nicht mehr aus. Und jetzt im September wurde eine Vorschulgruppe ins Leben gerufen. „Dort geht es dann auch schon ein bisschen um kirchliche Inhalte, die die Katechetin den Kindern vermittelt“, erklärt Wolf. Parallel zum Hauptgottesdienst gibt es in der Heiligen-Geist-Kirche jeden Sonntag auch einen Kindergottesdienst. Immer mehr Kinder kommen zur Christenlehre, die meisten gehen später auch zum Konfirmandenunterricht. In den Veranstaltungsplänen der Gemeinde finden sich Angebote für alle Generationen. Es gibt einen Kinder- und einen Erwachsenenchor. Einmal im Monat wird eine Themenabend organisiert, der mit Kirche, Christentum, Gemeinde – auch im weitesten Sinne - zu Marienkirche in der Innenstadt tun hat. Die Teilnehmerzahl variiert. „Als wir kürzlich den Autor Karl Krüger zu Gast hatten, der ein Stasi-Opfer war und darüber ein Buch geschrieben hat, waren so viele Leute da, dass wir vom Gemeinderaum in die Kirche ausweichen mussten.“ Diese Abende richten sich in erster Linie an junge und erwachsene Gemeindeglieder. Für die Älteren gib es mindestens drei Mal monatlich Seniorennachmittage. Solche Aktivitäten gibt es natürlich auch in den rund 40 anderen Rostocker Kirchgemeinden, Foto: Dörte Rahming Heiligen-Geist-Kirche in der KTV darunter den beiden katholischen. Knapp 7000 Menschen gehören dort dazu. Die katholische Kirche unterhält außerdem einen Kindergarten, eine Gesamtschule mit Hort, ein Mädchenprojekt und eine Studentengemeinde. Daneben gibt es in der Stadt kleinere Glaubensgemeinschaften wie zum Beispiel die Baptistengemeinde, die Evangelisch-methodistische Kirchgemeinde und die Pfingstgemeinde. Hilfe in schwierigen Zeiten Doch Gemeindearbeit hat nicht nur mit kulturellen und bildenden Angeboten zu tun. Pastoren erfüllen auch seelsorgerische Aufgaben. „Die Themen, mit denen die Menschen zu mir kommen, sind so vielfältig wie das Leben“, erzählt Johannes Wolf. Manche begleitet er durch schwere Zeiten oder Krisen. Oder er hilft ganz praktisch: „Eines Abends, es war schon sehr spät, klingelte es an der Haustür – da stand eine junge Frau, die sich in Rostock nicht auskannte. Sie war bei Tageslicht angekommen, aber nun, im Dunkeln, fand sie sich nicht mehr zurecht. Also klingelte sie am Pfarrhaus – in der Gewissheit, hier wird ihr geholfen, und wenn es nur mit einer Wegbeschreibung ist.“ Immer öfter erlebt der Pastor, dass die Menschen in Zeiten der allgemeinen Unsicherheit etwas Bleibendes suchen – und das könne Kirche geben. „Außerdem ist unsere mitteleuropäische Welt auch kulturell sehr stark vom Christentum geprägt. Da ist vieles ohne Kenntnisse biblischer Geschichten schwer einzuordnen. Insofern hat Kirche auch die Aufgabe der Wissensvermittlung.“ Deshalb findet Wolf den Religionsunterricht in Schulen wichtig. Das Verständnis für Kirche und Christentum sei in der DDR nahezu ausgelöscht worden, dem müsse entgegengesteuert werden. Dieser Meinung ist auch Landessuperintendent Kleiminger, wenngleich er mit Bedauern feststellt, dass dieses Fach noch nicht überall angeboten wird. Aber dort, wo es gelehrt wird, nähmen 70 Prozent der Schüler daran teil. Die Kirche leistet also vielfältige Arbeit, auch in der Gefangenenseelsorge, dem Frauenwerk, der Studentengemeinde, der Krankenhausseelsorge oder der Evangelischen Akademie. Ehrenamtliche Helfer Doch nicht nur die Pastoren sind für die Menschen da. In den Rostocker evangelischen Gemeinden sind rund 2500 Menschen regelmäßig ehrenamtlich tätig. Und ihre Aufgaben sind vielfältig. Es beginnt bei der Telefonseelsorge oder der Arbeit mit Sterbenden im Hospiz; es geht weiter mit Hilfe in Kindergärten oder Altenheimen, in letzteren speziell bei der Arbeit mit Demenzkranken; und es endet nicht bei Kirchenführungen und Chören. Die Ehrenamtler wirken zum Beispiel auch bei Gottesdiensten mit, helfen bei der Organisation von Veranstaltungen, besuchen ältere Gemeindeglieder oder betreuen Kleinkinder. Für viele dieser Aufgaben benötigen die Freiwilligen Schulung oder Ausbildung, die sie gern wahrnehmen. „Sie wollen nicht mehr nur das tun, was sie sowieso können, sondern sich zielgerichtet qualifizieren.“ Orgel der Marienkirche Die Zahl der Ehrenamtler bleibt relativ konstant, so Kleiminger. Aber es fänden sich noch verschiedene Aufgaben für weitere Freiwillige, die eine sinnvolle Aufgabe für sich suchen. Pflege und Betrieb des Weidendoms im IGA- Park ist da nur ein Beispiel.Außerdem gibt es eine recht hohe Fluktuation, so Kleiminger weiter. „Das hängt mit Lebenssituationen zusammen. Wer eine Krabbelgruppe organisiert, wird das nur so lange tun, wie seine eigenen Kinder klein sind, und sich dann eine neue Aufgabe suchen. Oder Hospizarbeit - das kann man nicht ewig machen, es ist sehr anstrengend, auch da hört mancher nach einer gewissen Zeit wieder auf.“ Vielleicht findet nach diesem Weihnachtsfest ja mancher für längere Zeit unter das Dach der Kirche. HRO LIVE
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