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Mai 2013 - Falkensee - Falkenseer Stadtjournal

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Portrait<br />

„Ich habe<br />

einfach Pech gehabt“<br />

Wenn sich in den nächsten Monaten in <strong>Falkensee</strong> der erste<br />

Behindertenbeirat formiert und von der Stadtpolitik gegründet wird, dann<br />

wird sehr wahrscheinlich eine zierliche, 55-jährige Frau mit graubraunen<br />

widerspenstigen Locken und grünlichen Augen dabei sein: Martina Dahms<br />

ist schwerbehindert, auch wenn man es ihr auf den ersten Blick nicht<br />

ansieht – und sie hat einen Vorteil als Mitglied in einem solchen Gremium:<br />

Sie kennt beide Leben – das mit und das ohne Handicap.<br />

Bis 2008 lebte sie das erste Leben. Ohne<br />

Behinderung. Aufgewachsen als<br />

Einzelkind in Tempelhof, studierte sie<br />

an der evangelischen Hochschule Sozialarbeit<br />

und bekam ihren ersten festen<br />

Job in der Nervenklinik Spandau. „Ich<br />

habe dort angefangen zu arbeiten und<br />

hatte die Perspektive, mir meinen Job<br />

regelrecht formen zu können“. Eine Definition<br />

dessen, was sie dort tun sollte,<br />

gab es zunächst nicht, aber im Laufe<br />

der ersten Monate war klar, was sie als<br />

Sozialarbeiterin tun konnte: Zunächst<br />

Patienten in Sprechstunden soziotherapeutisch<br />

behandeln, beraten und begleiten,<br />

in späteren Jahren auch Entlassungen<br />

zuvor stationär behandelter Patienten<br />

vorbereiten. Ein Teil der Tätigkeit<br />

war in der Beteiligung am Aufbau<br />

der bezirklichen außerstationären psychiatrischen<br />

Versorgungsstrukturen<br />

(z.B. betreutes Wohnen und Arbeiten)<br />

sowie Gremienarbeit (z.B. Psychiatriebeirat).<br />

„Eine sehr schöne Tätigkeit“,<br />

sagt sie. Eine Arbeit, die sie gerne tat<br />

und die sie vollends ausfüllte.<br />

Dort lernte sie auch ihren späteren<br />

Ehemann Konrad kennen; Psychologe,<br />

etwas älter als sie. Mit ihm verband sie<br />

von Anfang an nicht nur das Berufliche:<br />

„Ich bewundere seine Fähigkeit, mit herausfordernden<br />

Klienten umzugehen“,<br />

sagt sie stolz. Beide lieben die heimische<br />

Vogelwelt, Gärten, Pflanzen und<br />

Bäume. Diese Liebe leben beide seit<br />

vielen Jahren in einem Haus mit großem<br />

Garten an der Taubenstraße in<br />

Finkenkrug aus. Üppiger Wuchs überall,<br />

ein mehr als zwei Meter hoher<br />

Schneeball, Schilf wächst an einem<br />

großen Teich, Schafsgabe sprießt in<br />

den Beeten, alte knorrige Obstbäume,<br />

viel Wiese, ein Pavillon und eine Holzbank,<br />

auf der sie gern sitzt und über<br />

den Teich hinweg Tiere beobachtet.<br />

Ein Leben, das so gleichmäßig ablief,<br />

dass es eigentlich kaum berichtenswert<br />

wäre. Der Job, die Ehe, das Haus, der<br />

Garten, alles im Lauf, wie man so schön<br />

sagt. Keine schweren Probleme, keine<br />

großen Sorgen, wenig Änderungen und<br />

Überraschungen. Bis an diesem Sonntagmorgen<br />

im September des Jahres<br />

2008. Martina Dahms kniet vor der<br />

Martina Dahms an ihrem Teich.<br />

Wanne im Bad und will sich die Haare<br />

waschen, als sie ein Schlaganfall in die<br />

Bewusstlosigkeit treibt: „Ich war richtig<br />

weg, weiß kaum noch etwas von dem<br />

Vorfall“. Ihr Mann bemerkte durch Zufall,<br />

dass sie nicht ansprechbar war und<br />

rief die 112 an. Als der Notarzt kam,<br />

war Martina Dahms wieder halbwegs<br />

bei Bewusstsein, der gesamte linke<br />

Körperbereich gelähmt, taube Ohren,<br />

Sehstörungen.<br />

Martina Dahms<br />

Dabei war sie nie eine Risikopatientin:<br />

Nichtraucherin, kaum Alkohol, 58 Kilo<br />

bei einer Größe von 1,65 m, genügend<br />

Bewegung, gesunder Blutdruck, wenig<br />

fettes Essen: „Ich habe einfach Pech<br />

gehabt.“ Ursache für den Schlaganfall<br />

war eine geknickte Arterie im Kopfbereich,<br />

die sich zufällig an genau diesem<br />

Sonntag verschlossen hatte. Warnzeichen<br />

vorweg: „Ich hatte ein paar Tage<br />

vorher leichte Sehstörungen“, aber da<br />

achtet man ja als Gesunder nicht drauf;<br />

solche Phänomene kommen und gehen<br />

wieder.<br />

Die Monate danach führten sie langsam,<br />

aber unaufhaltsam hinüber in ihr<br />

zweites Leben als Mensch mit Handicap.<br />

Zunächst wochenlang bettlägrig<br />

im Krankenhaus, dann hier und da aufgerichtet,<br />

später sitzend im Rollstuhl,<br />

dann aufrecht an Krücken, heute freigehend;<br />

zwar langsam und konzentriert,<br />

aber wenigstens etwas. „Es ist<br />

wie es ist“, sagt sie langsam in ihrer<br />

etwas schleppenden Sprache, die ist<br />

ihr zum Glück geblieben. Autofahren<br />

und Arbeiten dagegen nicht, beides<br />

geht zur Zeit noch nicht. Trotz jahrelangen<br />

Trainings ist es zum Autofahren<br />

noch zu früh. Und auch in ihrem geliebten<br />

Job durfte sie nicht mehr zurück.<br />

Amtsärzte rieten ihr dringend von einem<br />

weiteren Arbeitsleben ab und die<br />

Rentenversicherer versetzen sie in den<br />

üblichen Ruhestand auf Zeit: „War vielleicht<br />

auch gut so, wer weiß, was ich<br />

eventuell für Fehler gemacht hätte“.<br />

Denn eines wird sich kaum noch ändern:<br />

Jede Bewegung, jede Aktion, jede<br />

Tätigkeit setzen bei Martina Dahms<br />

unbedingte Konzentration darauf voraus…<br />

Und so wurde aus der nichtbehinderten<br />

Frau, die in Spandau arbeitete und ihren<br />

Wohnort nur von der Durchfahrt her<br />

kannte, eine „<strong>Falkensee</strong>rin“. „Ich hatte<br />

ja plötzlich Zeit“, sagt sie, „und konnte<br />

im Garten nur wenig machen.“ Ambulante<br />

Therapien verlegte sie möglichst<br />

nach <strong>Falkensee</strong>. Als sie langsam wieder<br />

mobil wurde, trat sie der Baumschutzgruppe<br />

Finkenkrug bei: „Die machen<br />

eine wichtige Arbeit.“ Dann wurde<br />

ihr das Fahren mit Taxi und Bus lästig<br />

(„immer muss man warten“) und sie<br />

fing an, kleinere und mittlere Wege zu<br />

Fuß zu absolvieren. „Zwei Kilometer<br />

schaffe ich schon.“ Und wenn ihr Mann<br />

abends von der Arbeit kommt, dann<br />

fahren sie immer mal wieder ins Bürgerhaus<br />

Finkenkrug: „Dort gibt es sagenhafte<br />

Konzerte“ lobt sie.<br />

Mit der Mobilität stieg auch das Interesse<br />

am Thema „Barrieren“, nicht zuletzt<br />

aufgrund politischer Äußerungen: „Meinem<br />

Mann hat der Bürgermeister in einem<br />

Gespräch vor Jahren gesagt, zur<br />

Zeit stünden junge Familien und Kitaneubauten<br />

auf der Prioritätenliste“,<br />

erinnert sie sich: „Dabei leben mehrere<br />

tausend Behinderte in <strong>Falkensee</strong>“. Für<br />

sie würde sie sich gern künftig in dem<br />

Behindertenbeirat einsetzen. Eines ihrer<br />

Ziele: „Ich würde wieder Zebrastreifen<br />

einführen“, sagt sie, „da wissen Autofahrer<br />

sofort, dass sie aufpassen<br />

müssen.“ Die schwarzweißen Überquerungen<br />

kombiniert mit Mittelinseln zwischen<br />

den Fahrtrichtungen – aus ihrer<br />

Sicht eine der besten Lösungen, nicht<br />

nur für fü Gehbehinderte. Und die Anliegerstraßen<br />

beschäftigen sie, besonders<br />

die Variante mit dem „angesetzten“<br />

Bürgersteig, der eigentlich keiner<br />

ist: „Dort dürfen Autos parken, Menschen<br />

gehen, Radfahrer fahren. Wie<br />

gehen wohl Blinde damit um…“<br />

bvs<br />

10 FALKENSEER STADT - JOURNAL 5/<strong>2013</strong>

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