Mai 2013 - Österreichischer Journalisten Club
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[Medien]<br />
[]<br />
Storytelling im<br />
narrativen Journalismus<br />
© Brown/Interfoto&picturedesk.com<br />
Mitte der 1960er-Jahre entstand in den USA eine neuer Reportagestil, dem Tom Wolfe, einer der<br />
herausragenden Vertreter, 1973 im Vorwort einer Anthologie den Begriff „The New Journalism“<br />
verpasste – der narrative Journalismus war geboren.<br />
VON ARNO ASCHAUER<br />
Mit seinem 1965 erschienenen<br />
Buch „The Kandy Kolored<br />
Tangerine-Flake Streamline<br />
Baby“, einer Sammlung von<br />
22 Reportagen, die Tom Wolfe zwischen<br />
1963 und 1965 für den Magazinteil<br />
des Herald Tribune verfasste,<br />
schuf er auch einen der<br />
Grundsteine für die folgende Entwicklung.<br />
Dieser neue Schreibstil,<br />
beeinflusst von der aufkommenden<br />
Pop-Kultur, ist eine gelungene<br />
Mischung aus Facts & Fiction.<br />
Eine neue Form des<br />
Journalismus wurde<br />
geboren.<br />
In der praktischen Anwendung setzten<br />
die Autoren stark auf literarische<br />
Stilmittel bei korrekter Beibehaltung<br />
aller Fakten. Deswegen wird diese<br />
Art zu schreiben inzwischen auch<br />
als narrativer oder literarischer Journalismus,<br />
im englischen Sprachraum<br />
als Storytelling, bezeichnet. Bekannte<br />
Vertreter waren in der Anfangszeit,<br />
neben Tom Wolfe Norman <strong>Mai</strong>ler<br />
und Truman Capote. Dazu gesellte<br />
sich noch Hunter S. Thompson, der<br />
die persönliche Handschrift im Mix<br />
mit recherchierten Fakten, aus einer<br />
Notsituation heraus, erfolgreich auf<br />
die Spitze trieb. Das Resultat: der sogenannte<br />
Gonzo-Journalismus.<br />
Als Hunter S. Thompson es nicht<br />
schaffte, einen Artikel bis Redaktionsschluss<br />
fertigzustellen, griff er zu<br />
einer radikalen Lösung. Er riss die<br />
handschriftlichen Notizen aus seinem<br />
Block und schickte sie unredigiert<br />
der Redaktion. Sein Kollege Bill<br />
Cardoso kommentierte die Aktion<br />
stilbildend: „I don‘t know what the<br />
fuck you‘re doing, but you‘ve changed<br />
everything. It‘s totally gonzo.“<br />
In dieser wortgewaltigen Männerriege<br />
steht Joan Didion furchtlos<br />
ihre Frau. Obwohl sie sich selbst<br />
dem „New Journalism“ nicht so<br />
nahe sieht, ist sie doch durch<br />
ihre scharfe Beobachtung sowie<br />
schmerzhafte Analyse über das<br />
Amerika der 1960er-Jahre, insbesondere<br />
Kalifornien, Teil dieser Bewegung<br />
und hat heute ihren festen<br />
Platz in der Literaturszene.<br />
Dieser Schreibstil ist eine<br />
gelungene Mischung aus<br />
Facts & Fiction.<br />
Die Wurzeln dieses ‚American<br />
Way of Writing’ liegen diesseits des<br />
großen Teichs, im k.u.k. Vielvölker-<br />
Biotop, vor allem in dessen jüdischer<br />
Intelligenz. Herausragend der<br />
ungarischstämmige Journalist und<br />
Zeitungsverleger Joseph Pulitzer<br />
und der in Prag geborene ‚rasende<br />
Reporter’ Egon Erwin Kisch – beide<br />
praxisbezogene Visionäre, die in der<br />
Verschmelzung von investigativem<br />
Journalismus und literarischer Formensprache<br />
keinen Widerspruch<br />
sahen. Vergleicht man zudem die<br />
beiden Essay-Sammlungen, Egon<br />
Erwin Kischs „Marktplatz der Sensationen“<br />
und Tom Wolfes „Hooking<br />
Up – Neuigkeiten aus dem<br />
Weltdorf“’, so ist die Verwandtschaft<br />
unüberlesbar.<br />
„Da war eine sommersprossige<br />
kleine Beamtin aus dem Städtchen<br />
Podiebrad zum Wochenende nach<br />
Prag gekommen, um sich einmal<br />
unkontrolliert von den Bewohnern<br />
Podiebrads zu amüsieren“, heißt<br />
es bei Kisch. Und bei Wolfe lesen<br />
wir: „Es fing damit an, dass ich eines<br />
Nachmittags zu einer Hot Rod &<br />
Custom Car Show ins New Yorker<br />
‚Coliseum’ ging. Ein seltsamer Nachmittag!“<br />
Beide eröffnen ihre Geschichten<br />
scheinbar belanglos. Dahinter steht<br />
jedoch eine in Worte geronnene,<br />
gemeißelte Wirklichkeit. <br />
<strong>Mai</strong> <strong>2013</strong> [Statement] 25