Mai 2013 - Österreichischer Journalisten Club

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[Zeitungsgeschichte] längert. Sein Nachfolger ist seither Reinhard Göweil, der davor das Wirtschaftsressort des Kurier geleitet hatte. Seither begreift sich die Wiener Zeitung zumindest inhaltlich als explizit öffentlich-rechtliches Medium, das eine unabhängige und vielfältige Berichterstattung leisten will. Strukturell ist das Blatt inzwischen eine GmbH, die zu 100 Prozent der Republik Österreich gehört. Seit 2009 kann die Wiener Zeitung als besonderes Experimentierfeld für Qualitätsjournalismus begriffen werden. Es hat als einzige Tageszeitung eine tägliche Seite, die sich vielfältig dem Thema „Integration“ widmet. Der Umfang des Feuilletonteils ist größer als bei allen anderen Blättern, ebenso der internationale Teil: Im ersten Buch sind sechs Seiten dem Ressort „Europa@Welt“ gewidmet. Innovativ ist auch die neue Ressortstruktur, die dem Rechnung tragen möchte, Die Wiener Zeitung ist besonders experimentierfreudig. dass vieles miteinander zu tun hat, weshalb es in einer traditionellen Tageszeitungs-Ressortaufteilung nicht angemessen behandelt werden könne. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist die Abteilung „Zeitreisen“, eine Geschichtsbeilage, an deren Gestaltung sich viele Leserinnen und Leser intensiv und akribisch beteiligen. Dennoch ist die Wiener Zeitung – was Verbreitung und Auflage betrifft – eine der kleinsten Tageszeitungen im Land. Wochentags werden 22.000 Stück täglich gedruckt und damit jeweils 57.000 Leser erreicht. Mit der Samstag-Auflage von 50.000 Stück wird das Blatt von 112.000 Menschen gelesen, wovon rund 72 Prozent in Wien und Niederösterreich leben. Bereits 1995 war die Wiener Zeitung erstmals online, womit sie zur Pioniergeneration zählt. Seit 1997 leitet der stellvertretende Chefredakteur, Franz Zauner, des Blattes den innovationsfreudigen Online-Bereich. Dies wird auch vom Publikum belohnt: Laut ÖWA © Wiener Zeitung verzeichnete das Online-Angebot der Wiener Zeitung 2012 im Jahresschnitt 527.000 Visits mit insgesamt 1.206.000 Page Impressions. Als Reaktion auf die Krise der Zeitungen und als Antwort auf die Frage nach der künftigen Finanzierbarkeit von Qualitätsmedien durch den Markt formulierten – beginnend mit Jürgen Habermas 2007 in der Süddeutschen Zeitung – einige Autoren die Idee von öffentlichrechtlichen Printmedien. Die Wiener Zeitung ist dies bereits jetzt mehr oder weniger. Ein genauer Blick in die ältere Geschichte des Blattes lohnt. Die Wiener Zeitung hat ein bewegtes Leben hinter sich. Auf Initiative Kaiser Leopolds I. gegründet, erschien die Wiener Zeitung erstmals am 8. August 1703, zunächst unter dem Namen Wiennerisches Diarium. 1780, im Todesjahr Maria Theresias, erhielt sie den Namen Wiener Zeitung. Zu Beginn des Blattes, im frühen 18. Jahrhundert, war das Lesepublikum nicht nur wegen der hohen Analphabetenrate, sondern auch aufgrund des hohen Zeitungspreises noch sehr klein. In den ersten Jahren dürfte die Auflage des Diariums etwa zwischen 800 und 1.500 Stück gelegen sein. 1714 lag das Blatt in elf Wiener Caféhäusern auf. Alle Blätter waren damals „Hofzeitungen“ in dem Sinne, dass es nur vom jeweiligen Hof sanktionierte („privilegierte“) Gazetten gab. Pressefreiheit war noch Zukunftsmusik. Zeitungsmacher waren von der Gnade des Landesherrn abhängig. Zu unterscheiden ist allerdings zwischen den tatsächlich vom Hof herausgegebenen Zeitungen und denen, die von Privatunternehmen geführt wurden. Der private Drucker konnte dem Blatt doch eine gewisse Eigenständigkeit geben. Denn bei Hof vermochte er immerhin darauf zu verweisen, dass die Zeitung nur mit einer verkauften Mindestauflage rentabel war und daher Rücksicht nicht nur auf die Interessen der Obrigkeit, sondern auch auf das gemeine Publikum zu nehmen war. Das Wiennerische Diarium bzw. die Wiener Zeitung befand sich von 1703 bis 1857 in privater Hand der Gehlenschen Druckerei. Die Alleinherrschaft Josephs II. (1780–1790) brachte Verleger wie Redaktion dann in eine schwierige Lage. Das Blatt durfte als einziges von den neuen Freiheiten des „Volkskaisers“ nicht profitieren. Während der Monarch die Zensurbestimmungen zunächst lockerte, beharrte er darauf, dass die Wiener Zeitung in erster Linie ihm selbst für Veröffentlichungen zur Verfügung stehen müsse. Ein neuer Redakteur, Conrad Dominik Bartsch, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und vom großen Reformer und Gelehrten Joseph von Sonnenfels gefördert worden war, bescherte neue Akzente: Er sorgte für die schnellste Verbreitung der 1789 im revolutionären Frankreich verkündeten Erklärung der Menschenrechte („Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“). Der Text erschien im vollen Wortlaut. Bartsch hatte enge Kontakte zu österreichischen Demokraten, die von Kaiser Franz und dessen Behörden als angebliche Jakobiner verfolgt wurden. Redakteur Bartsch entging im Juli 1794 nur knapp der Verhaftung. Manchmal ist Nicht-Berichten fast ein Kommentar. Am 8. Jänner 1795 wird der führende „Jakobiner“ Franz von Hebenstreit hingerichtet und Kaiser Franz benutzt dies zu intensiver Propaganda gegen die Verfechter der Ideen Josephs II. Doch die Wiener Zeitung, Chronistin aller politisch bedeutsamen Vorgänge im Land, bringt nicht eine Zeile über die Exekution. Manchmal ist Nicht- Berichten fast ein Kommentar. Für Bartsch wurde die Situation in der Redaktion unhaltbar. Wegen eines angeblich revolutionsfreundlichen Artikels aus Holland wird er vom Monarchen persönlich gerügt. Sein Verleger hielt vorerst zu ihm. 1799 musste Bartsch dann für ein Jahrzehnt den Hut nehmen und sich als Textilhändler versuchen. Die Fortsetzung der weiteren wechselvollen Geschichte der Wiener Zeitung bietet „Statement“ in der Juni-Ausgabe. 8 [Statement] <strong>Mai</strong> <strong>2013</strong>
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