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jüdisches leben in bayern - Landesverband der Israelitischen ...

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Die Provenienze<strong>in</strong>träge gewähren immer wie<strong>der</strong><br />

aufschlussreiche und bewegende E<strong>in</strong>blicke<br />

<strong>in</strong> Lebensumstände und Schicksale von<br />

Menschen und Institutionen, die vertrieben<br />

o<strong>der</strong> vernichtet wurden. Die Sammlung birgt<br />

Er<strong>in</strong>nerungen, manchmal auch e<strong>in</strong> letztes Lebenszeichen<br />

und kann deshalb <strong>in</strong> mancherlei<br />

H<strong>in</strong>sicht als historisches Dokument gelesen<br />

werden.<br />

An die Dokumentation aller Besitze<strong>in</strong>träge<br />

schließen sich, wo immer möglich, aktive Recherchen<br />

zur Identifikation <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Eigentümer und zur E<strong>in</strong>leitung von Restitutionsverhandlungen<br />

mit den Vorbesitzern,<br />

ihren Nachkommen o<strong>der</strong> Nachfolge<strong>in</strong>stitutionen<br />

an. Diese Bemühungen stoßen lei<strong>der</strong><br />

häufig an Grenzen. Charakteristisch für die<br />

ehemalige „Bücherei <strong>der</strong> Schriftleitung bzw. <strong>der</strong><br />

Hauptschriftleitung des Stürmer“ ist die breite<br />

geographische Streuung <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Besitze<strong>in</strong>trägen<br />

genannten Orte. Dem „Stürmer“ wurden<br />

nicht nur Bücher aus Nürnberg, Franken<br />

o<strong>der</strong> dem Gebiet des Deutschen Reiches zugesandt;<br />

mit den Annektionen und Besetzungen<br />

seit 1938 fielen Bücherbestände auch aus<br />

diesen Gebieten an. Detaillierte Recherchen<br />

können aber nicht an allen Orten vorgenommen<br />

werden.<br />

Wie kamen diese Bücher nach Nürnberg? Im<br />

„Stürmer“ konnte man jahrelang lesen:<br />

„Stürmerleser! Viele unserer Stürmerleser s<strong>in</strong>d<br />

im Besitze jüdischer und antijüdischer Bücher,<br />

Dokumente, Bil<strong>der</strong>, Zeitschriften usw., die für sie<br />

wenig Bedeutung haben. Für das Stürmer-<br />

Archiv s<strong>in</strong>d diese D<strong>in</strong>ge jedoch sehr wichtig. Wir<br />

ersuchen daher un sere Stürmerfreunde, unsere<br />

Sammlung durch Zusendung solcher Gegenstände<br />

ausbauen zu helfen. Die Schriftleitung<br />

des Stürmers / Nürnberg = A, Pfannenschmiedsgasse<br />

19.“<br />

Mit diesem Aufruf warb Julius Streicher viele<br />

Jahre <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wochenblatt um Material<br />

für se<strong>in</strong>e publizistischen Zwecke. Er warb<br />

nicht vergeblich. Es lässt sich heute nicht<br />

mehr rekonstruieren, welche und wie viele<br />

Schriften, Dokumente und Archivalien <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

„Bücherei <strong>der</strong> Schriftleitung und <strong>der</strong> Hauptschriftleitung<br />

des Stürmer“ aufbewahrt wurden.<br />

Auch <strong>in</strong>wieweit diese Materialien <strong>in</strong> die<br />

Redaktionsarbeit des „Stürmers“ e<strong>in</strong>flossen,<br />

ist weitgehend unerforscht.<br />

Die „Bücherei <strong>der</strong> Schriftleitung des Stürmer“ erhielt<br />

spätestens am 1. Juli 1942 e<strong>in</strong>e bedeutende<br />

„Bereicherung“. An diesem Tag wurden alle<br />

jüdischen Schulen <strong>in</strong> Deutschland geschlossen.<br />

Die Israelitische Volksschule Nürnberg war auf<br />

Befehl <strong>der</strong> NS-Behörden im März 1934 <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Oberen Kanal Straße 25 eröffnet worden. Ihr<br />

Vorläufer war die Schule <strong>der</strong> Adas Israel gewesen,<br />

was an Hand <strong>der</strong> Buchbesitzer leicht verifiziert<br />

werden kann. Zu dieser Schule gehörte<br />

auch e<strong>in</strong>e Schulbibliothek, die durch die mitgebrachten<br />

Lehrmaterialien vieler neuer Schüler<br />

erweitert wurde. Am 10. 6. 1943, dem zweiten<br />

Tag des jüdischen Schawuot-Festes, drangen<br />

Gestapo-Beamte <strong>in</strong> die Synagoge e<strong>in</strong> und verkündeten<br />

den dort gerade Gottesdienst abhaltenden<br />

Geme<strong>in</strong>demitglie<strong>der</strong>n die Auflösung<br />

<strong>der</strong> Reichsvere<strong>in</strong>igung <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> Deutschland<br />

und die Beschlagnahmung des noch vorhandenen<br />

Geme<strong>in</strong>debesitzes, e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Reste<br />

<strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>debibliothek.<br />

Der Rückerstattung verfolgungsbed<strong>in</strong>gt entzogenem<br />

Kulturguts an se<strong>in</strong>e Vorbesitzer bzw.<br />

an <strong>der</strong>en Rechtsnachfolger ist weit mehr als<br />

nur e<strong>in</strong>e juristische Auflage, sie ist e<strong>in</strong>e ethischmoralische<br />

Verpflichtung, die trotz immenser<br />

sachbed<strong>in</strong>gter Hürden e<strong>in</strong>e Daueraufgabe ist<br />

und wohl auch bleiben wird. Die Feststellung<br />

<strong>der</strong> tatsächlichen Besitzverhältnisse alle<strong>in</strong>e ist<br />

schon problematisch genug, mit den jeweiligen<br />

Familien o<strong>der</strong> den Nachfolgern <strong>der</strong> zerstörten<br />

Institutionen <strong>in</strong> Kontakt zu kommen,<br />

fällt noch viel schwerer.<br />

Manche Restitutionsvorgänge können sich<br />

über Jahre h<strong>in</strong>ziehen. Das hat nicht nur mit<br />

<strong>der</strong> geographischen Distanz zu den Familien<br />

und Rechtsnachfolgern <strong>der</strong> Vorbesitzer zu<br />

tun. So manche persönliche und psychologische<br />

Bef<strong>in</strong>dlichkeiten treten zutage. Geduld<br />

und Verständnis auf beiden Seiten s<strong>in</strong>d gefragt.<br />

Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt<br />

bleiben, dass die Reaktionen <strong>der</strong> Familien<br />

auf die Funde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sammlung IKG durchwegs<br />

sehr positiv waren. Mit Dankbarkeit<br />

und Zufriedenheit wird die Arbeit <strong>der</strong> Stadt<br />

Nürnberg auf diesem Gebiet registriert.<br />

Um die enorme und komplexe Menge an Informationen<br />

nutzbar zu machen, wurde e<strong>in</strong>e<br />

Datenbank aufgebaut, die ständig ergänzt und<br />

optimiert wird. Der größte Teil <strong>der</strong> Provenienze<strong>in</strong>träge<br />

wurde e<strong>in</strong>gescannt. Diese Bilddateien<br />

stehen <strong>in</strong>teressierten Familien und<br />

Rechtsnachfolgern auf Anfrage zur Verfügung.<br />

Leibl Rosenberg<br />

Die aktuelle Suchliste <strong>der</strong> Vorbesitzer sortiert<br />

nach Namen:<br />

http://www.nuernberg.de/imperia/md/stadtbib<br />

liothek/dokumente/suchliste_name-2013.pdf<br />

Die aktuelle Suchliste <strong>der</strong> Vorbesitzer sortiert<br />

nach Orten:<br />

http://www.nuernberg.de/imperia/md/stadtbib<br />

liothek/dokumente/suchliste_ort-2013.pdf<br />

Weitere Informationen zur Sammlung <strong>der</strong><br />

<strong>Israelitischen</strong> Kultusgeme<strong>in</strong>de unter<br />

http://www.nuernberg.de/<strong>in</strong>ternet/stadtbiblio<br />

thek/sammlungikg.html?pk_campaign=stadt<br />

bibliothek&pk_kwd=altbestaende_sammlung<br />

ikg.html<br />

12 Jüdisches Leben <strong>in</strong> Bayern · Nr. 123/2013

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