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jüdisches leben in bayern - Landesverband der Israelitischen ...

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Freundschaft be<strong>in</strong>ahe <strong>in</strong> die Brüche. Dies ist<br />

nicht zuletzt auf die Verleumdungen durch<br />

Claire Goll, <strong>der</strong> Witwe Yvan Golls, zurückzuführen.<br />

Waren Claire und Yvan Goll <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

ersten Pariser Zeit für Celan zunächst e<strong>in</strong><br />

Anker und die e<strong>in</strong>zig wirklichen Freunde, än<strong>der</strong>te<br />

sich die Beziehung zu Claire bald nach<br />

Yvans Tod. Noch am Sterbebett hatte Yvan<br />

Goll verfügt, dass Celan freie Hand bei <strong>der</strong><br />

posthumen Veröffentlichung von Golls Manuskripten,<br />

vor allem <strong>der</strong> Übertragungen se<strong>in</strong>er<br />

Gedichte <strong>in</strong>s Deutsche hatte. Doch je länger<br />

ihr Mann tot war, umso mehr trat Claire Goll<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en eigenen „Dialog“ mit dem verstorbenen<br />

Ehepartner, verwandte Vorschläge von<br />

Celan, baute sie <strong>in</strong> Golls Gedichte e<strong>in</strong>, gab sie<br />

selbst heraus und bezichtigte Celan des Plagiats.<br />

Das Durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong> war für Außenstehende<br />

schwer zu durchschauen und wurde<br />

durch die regelrechte Verleumdung seitens<br />

Claire Golls, Celan gebe den Tod se<strong>in</strong>er Eltern<br />

im KZ nur vor, auf die Spitze getrieben.<br />

In diesem Streit war Walter Jens e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> wenigen,<br />

<strong>der</strong> sich engagiert zu Celan bekannte.<br />

„Vielleicht fühlte sich Celan nicht e<strong>in</strong>mal von<br />

se<strong>in</strong>er jüdischen Freund<strong>in</strong> Hanne Lenz ganz<br />

ernstgenommen“, vermutet Babara Wiedemann,<br />

denn wie viele an<strong>der</strong>e riet Hanne Lenz<br />

von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stweiligen Verfügung gegen Claire<br />

Goll ab. Mit viel H<strong>in</strong>tergrundwissen macht<br />

Wiedemann die verheerende Wirkung <strong>der</strong><br />

Goll’schen Anklagen auf Celan deutlich. Und<br />

sie entfaltet die e<strong>in</strong>zelnen Entwicklungsschritte<br />

<strong>der</strong> Verzweiflung, die Celan gegen Ende se<strong>in</strong>es<br />

Lebens sowohl <strong>in</strong> die Psychiatrie brachte, als<br />

auch zur Trennung von Frau und K<strong>in</strong>d, bis er<br />

sich endlich von niemandem mehr verstanden<br />

sah und <strong>in</strong> die Se<strong>in</strong>e stürzte.<br />

Appell<br />

Celans Satz, er sei „Auf dem Wege zu Weiterem“,<br />

kann vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Lektüre<br />

dieses Buches auch als Appell verstanden<br />

werden, den nachfolgenden Generationen<br />

Zugang zu Celans Lyrik zu ermöglichen. Für<br />

Deutschlehrer stellt dieses Buch erhellende<br />

Zusammenhänge her. Germanistikstudenten<br />

müssten es lesen. Der Liebhaber von Lyrik<br />

bekommt e<strong>in</strong>en übersichtlichen, spannend<br />

geschriebenen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Tragik dieses<br />

Lebens und <strong>in</strong> die Gesellschaft <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />

Am Schluss bleibt das für den Leser sehr<br />

praktische Werk- und Personenregister zu erwähnen,<br />

das dem beim Lesen entstehenden<br />

Bedürfnis nachzuschlagen, Aussagen zu ver-<br />

gleichen, sehr entgegenkommt. E<strong>in</strong> lesenswertes<br />

Buch! Priska Tschan-Wiegelmann<br />

Barbara Wiedemann: „E<strong>in</strong> Faible für Tüb<strong>in</strong>gen“ Paul<br />

Celan <strong>in</strong> Württemberg, Deutschland und Paul Celan,<br />

292 S., Klöpfer und Meyer Verlag, Tüb<strong>in</strong>gen, September<br />

2013.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>tgeschichten<br />

N<strong>in</strong>el Revniaga trägt e<strong>in</strong>en Vornamen, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />

den 1920er-Jahren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion sehr<br />

beliebt war. Liest man ihn vom Ende, ergibt<br />

er Len<strong>in</strong>. N<strong>in</strong>el-Len<strong>in</strong>, geboren 1925, kommt<br />

aus e<strong>in</strong>er armen jüdischen Familie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ukra<strong>in</strong>e.<br />

Ihr Vater arbeitete für die Partei im<br />

Lebensmittelsektor und er war viel unterwegs,<br />

aber N<strong>in</strong>el berichtet, dass sie e<strong>in</strong>e glückliche<br />

K<strong>in</strong>dheit hatte. Das än<strong>der</strong>te sich 1937. „E<strong>in</strong>es<br />

Tages kamen die Leute <strong>in</strong> unser Haus und verhafteten<br />

me<strong>in</strong>en Vater. Er wurde zum Volksfe<strong>in</strong>d<br />

erklärt. In e<strong>in</strong>em Getreidespeicher waren<br />

Kornkäfer aufgetaucht. Man sagte, me<strong>in</strong><br />

Vater sei e<strong>in</strong> Volksfe<strong>in</strong>d, weil er das Getreide<br />

vernichten wolle.“<br />

Im Juni 1941 wurde Kiew bombardiert und<br />

Ende des Jahres musste N<strong>in</strong>els Schwester mit<br />

gerade 18 Jahren mit <strong>der</strong> Roten Armee an die<br />

Front. Nach dem Krieg g<strong>in</strong>g die Familie nach<br />

Kiew zurück und N<strong>in</strong>el wurde Geschichtslehrer<strong>in</strong>.<br />

In <strong>der</strong> Sowjetunion war das Leben nicht<br />

leicht, „<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für Frauen“, erzählt sie.<br />

„Nach <strong>der</strong> Arbeit musste man Lebensmittel<br />

besorgen und Schlange stehen. Wir standen<br />

m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>e Stunde lang, um e<strong>in</strong> Stück<br />

Wurst zu kaufen.“<br />

Im Jahr 1995 entschlossen sich ihre K<strong>in</strong><strong>der</strong>,<br />

nach Deutschland zu gehen und sie kümmerten<br />

sich um die notwendigen Papiere. „Nach<br />

me<strong>in</strong>er Ankunft g<strong>in</strong>g ich sofort <strong>in</strong> die Jüdische<br />

Geme<strong>in</strong>de. Woh<strong>in</strong> denn sonst? Dort s<strong>in</strong>d ja<br />

alle russischsprachig. Mir gefällt es hier und es<br />

kamen bei mir Fähigkeiten zum Vorsche<strong>in</strong>,<br />

die ich nicht geahnt hätte. Ich begann Gedichte<br />

zu schreiben.“<br />

Namen und Gesichter<br />

„Hier machen Fakten und Daten Platz für Namen<br />

und Gesichter“, schreibt NRW-M<strong>in</strong>isterpräsident<strong>in</strong><br />

Hannelore Kraft im Vorwort zu<br />

diesem Buch. Und zu diesen Namen und Gesichtern<br />

gehören auch Geschichten, Lebensgeschichten.<br />

Die Historiker Ursula Reuter<br />

und Thomas Roth haben mit 40 aus <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Sowjetunion nach Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen<br />

zugewan<strong>der</strong>ten Juden „biografisch-narrative“<br />

Interviews geführt, sie sorgfältig redigiert<br />

und jetzt zweisprachig, <strong>in</strong> Deutsch und <strong>in</strong><br />

Russisch, publiziert.<br />

Er<strong>in</strong>nerungen<br />

Grundlage für das spannend zu lesende Buch<br />

war e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Projekt <strong>der</strong> Jüdischen<br />

NRW-Geme<strong>in</strong>den mit dem NS-Dokumentationszentrum<br />

<strong>der</strong> Stadt Köln. Dieses 2009<br />

begonnene Projekt „Lebensgeschichten jüdischer<br />

Zuwan<strong>der</strong>er aus <strong>der</strong> ehemaligen Sowjetunion<br />

<strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen“ wollte die<br />

Men schen nicht abstrakt als soziale Gruppe<br />

beschreiben, son<strong>der</strong>n „beispielhaft auf die<br />

Lebensläufe, Er<strong>in</strong>nerungen und Erzählungen<br />

34 Jüdisches Leben <strong>in</strong> Bayern · Nr. 123/2013

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