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jüdisches leben in bayern - Landesverband der Israelitischen ...

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Ton <strong>in</strong> Ton<br />

Neue Ausstellung im Jüdischen Museum Berl<strong>in</strong><br />

Im Mittelpunkt <strong>der</strong> Ausstellung „Ton <strong>in</strong> Ton.<br />

Jüdische Keramiker<strong>in</strong>nen aus Deutschland<br />

nach 1933“ stehen vier Frauen, die <strong>in</strong> den<br />

1920er-Jahren zur Avantgarde <strong>der</strong> deutschen<br />

Keramikkunst gehörten: Margarete Heymann-<br />

Loebenste<strong>in</strong>, <strong>in</strong> zweiter Ehe Marks (1899–<br />

1990), Hedwig Grossmann (1902–1998), Hanna<br />

Charag-Zuntz (1915–2007) und Eva Samuel<br />

(1904–1989).<br />

Im Rahmen des Berl<strong>in</strong>er Themenjahrs „2013<br />

– Zerstörte Vielfalt“ zeichnet das Jüdische<br />

Museum Berl<strong>in</strong> mit <strong>der</strong> Schau die künstlerische<br />

und berufliche Entwicklung <strong>der</strong> Frauen<br />

im Exil nach: Als jüdische Künstler<strong>in</strong>nen war<br />

es ihnen mit dem Erstarken des Nationalsozialismus<br />

nicht mehr möglich, <strong>in</strong> Deutschland<br />

zu arbeiten. Zwischen 1932 und 1940<br />

emigrierten sie nach Großbritannien und<br />

Paläst<strong>in</strong>a. Im Exil gelang den Künstler<strong>in</strong>nen<br />

zwischen Aufbruchstimmung und Enttäuschung<br />

e<strong>in</strong> Neuanfang. E<strong>in</strong>e Auswahl von<br />

mehr als 60 Keramikarbeiten für den alltäglichen<br />

und rituellen Gebrauch zeigt, wie die<br />

Frauen <strong>in</strong> ihrem R<strong>in</strong>gen um ihre künstlerische<br />

Identität neue Ausdrucksformen im<br />

Keramikdesign entwickelten.<br />

„Mehrere Jahre lang habe ich mich auf die<br />

Suche begeben, um anhand unterschiedlicher<br />

Quellen die Geschichten dieser Frauen nachzuzeichnen.<br />

Die Ausstellung legt daher nicht<br />

alle<strong>in</strong> den Fokus auf die künstlerische Qualität<br />

<strong>der</strong> Arbeiten, vielmehr haben die Stücke<br />

e<strong>in</strong>en historischen Wert und sie verdeutlichen<br />

die Lebenswege <strong>der</strong> Keramiker<strong>in</strong>nen“,<br />

sagt Michal Friedlan<strong>der</strong>, Kurator<strong>in</strong> <strong>der</strong> Ausstellung.<br />

Neuanfang <strong>in</strong> England<br />

Die Kölner<strong>in</strong> Margarete Heymann-Loebenste<strong>in</strong>,<br />

<strong>in</strong> zweiter Ehe Marks, gründete 1923 die<br />

erfolgreichen „Haël-Werkstätten für künstlerische<br />

Keramik“ <strong>in</strong> Velten, etwa 40 Kilometer<br />

nördlich von Berl<strong>in</strong>. Ihre Entwürfe zeichnen<br />

sich durch gewagte, mo<strong>der</strong>ne Formen,<br />

abstrakte Dekorationen und leuchtende<br />

Glasuren aus. Nachdem die Nationalsozialisten<br />

Margarete Heymann-Loebenste<strong>in</strong> 1933<br />

„staats fe<strong>in</strong>dliche Umtriebe“ vorgeworfen hatten,<br />

verkaufte sie ihre Keramikwerkstatt weit<br />

unter Wert an e<strong>in</strong> NSDAP-Mitglied. Neue<br />

künstlerische Leiter<strong>in</strong> wurde die junge Hedwig<br />

Bollhagen. 1935 erschien <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er antisemitischen<br />

Zeitung e<strong>in</strong> Artikel, <strong>der</strong> Entwürfe<br />

von Heymann-Loebenste<strong>in</strong> und Bollhagen<br />

verglich und die bei Haël hergestellten Formen<br />

als „entartet“ diffamierte. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Teekannen,<br />

die den Artikel illustrieren, wird <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ausstellung gezeigt. 1936 emigrierte Margarete<br />

Heymann-Loebenste<strong>in</strong>. Die Ausstellung<br />

folgt ihr nach England. Dort versuchte<br />

sie mit neuen Keramikprodukten unter dem<br />

Namen »Greta-Pottery« wie<strong>der</strong> Fuß zu fassen.<br />

Jedoch konnte sie an ihren großen Erfolg <strong>in</strong><br />

Deutschland nicht anknüpfen.<br />

Neuanfang <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a<br />

Die Berl<strong>in</strong>er<strong>in</strong> Hedwig Grossmann, die Hamburger<strong>in</strong><br />

Hanna Charag-Zuntz und Eva Samuel<br />

aus Essen gelten als Grün<strong>der</strong><strong>in</strong>nen <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>nen israelischen Keramikkunst. Sie kamen<br />

zwischen 1932 und 1940 nach Paläst<strong>in</strong>a.<br />

Ausgebildet <strong>in</strong> Deutschland, brachten sie<br />

hohe technische Fertigkeiten mit. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus verfügten sie über e<strong>in</strong>e ausgeprägte<br />

künstlerische Sensibilität, starke Durchsetzungskraft<br />

und den Willen, sich den neuen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen zu stellen. Als Flüchtl<strong>in</strong>ge<br />

und Pionier<strong>in</strong>nen entwickelten die drei<br />

Künstler<strong>in</strong>nen neue Traditionen <strong>der</strong> Keramikkunst<br />

<strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a und Israel.<br />

Hedwig Grossmann zog nach Haifa und begann<br />

– auf <strong>der</strong> Suche nach Ton und an<strong>der</strong>en<br />

Rohstoffen – geologische Recherchen. Sie arbeitete<br />

ausschließlich mit Materialien aus<br />

<strong>der</strong> Umgebung und brannte ihre Stücke <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em selbst gebauten Holzofen. Dabei verzichtete<br />

sie auf Ornamente und verwendete<br />

nur selten Glasuren. Angelehnt an nahöstliche<br />

Keramikformen und archäologische<br />

Fundstücke suchte sie nach e<strong>in</strong>er neuen<br />

künstlerischen Sprache. Ihre Arbeiten bestechen<br />

durch kraftvolle Silhouetten und makelloses<br />

Handwerk.<br />

Hanna Charag-Zuntz begeisterte sich für das<br />

vergessene römische Töpferverfahren „Terra<br />

Sigillata“. Als Keramiker<strong>in</strong> von herausragendem<br />

technischem Geschick gelang es ihr, die<br />

Hanna Zuntz, 1936.<br />

Foto: Familiennachlass Hanna Charag-Zuntz<br />

Terra-Sigillata-Technik neu zu be<strong>leben</strong>. Sie<br />

verarbeitete dünne Tonschichten und brannte<br />

die Objekte bei großer Hitze. Dadurch erzielte<br />

sie ohne Glanzbrand o<strong>der</strong> Glasur<br />

schimmernde Oberflächen. Doch das genaue<br />

Geheimnis dieser Technik nahm sie mit <strong>in</strong>s<br />

Grab.<br />

Eva Samuel fand <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a zunächst e<strong>in</strong>e<br />

Anstellung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Jerusalemer Keramikmanufaktur.<br />

Dort wurde unter e<strong>in</strong>fachsten<br />

Bed<strong>in</strong>gungen gearbeitet. Die Künstler<strong>in</strong><br />

begann mit folkloristischen Figuren, angelehnt<br />

an die ethnischen Gruppen, die sie <strong>in</strong><br />

Paläst<strong>in</strong>a antraf. Diese Figuren verkauften<br />

sich gut <strong>in</strong> Jerusalemer Kunsthandwerksgeschäften.<br />

Bald eröffnete sie zusammen mit<br />

Paula Ahronson e<strong>in</strong>e eigene Werkstatt <strong>in</strong><br />

Rishon LeZion. Trotz <strong>der</strong> hohen Kosten importierten<br />

sie Glasuren aus Deutschland.<br />

Um besseren Ton zu erwerben, nahmen sie<br />

streckenweise lange Wege mit dem Pferdekarren<br />

<strong>in</strong> Kauf. In <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>samen Werkstatt<br />

fertigten sie Haushaltskeramik wie Kannen,<br />

Vasen und Schüsseln <strong>in</strong> traditionellen<br />

europäischen Formen. Bei <strong>der</strong> Bemalung orientierte<br />

sich Eva Samuel, die ihre Laufbahn<br />

als Maler<strong>in</strong> begann, an den Motiven aus ihrer<br />

neuen Umgebung.<br />

Die Ausstellung wird bis zum 9. Februar<br />

2014 im Jüdischen Museum Berl<strong>in</strong> gezeigt.<br />

Keramikmanufaktur Naaman, Acre.<br />

Foto: Moshe Milner.<br />

Margarete Heymann-Loebenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> England.<br />

Foto: Familiennachlass Marks.<br />

16 Jüdisches Leben <strong>in</strong> Bayern · Nr. 123/2013

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