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F a m i l i e n g e f ü g e<br />
Lieber ein Klavier<br />
Annäherung über Erfahrungen des Verlusts: Axel Ranischs<br />
sehenswerter Film „Ich fühl mich Disco“.<br />
Ulrich Kriest<br />
„Kann ich nicht doch lieber ein Klavier haben?“, mault der moppelige Florian,<br />
<strong>als</strong> Vater Hanno nach vielen Jahren sein Simson-Moped reaktiviert hat<br />
und jetzt an seinen Sohn vererben will. Was schmerzhaft schief geht. Wäre<br />
da nicht Mutter Monika, die mit ihrem Sohn ausgelassen die Liebe zum Disco-Schlager<br />
eines Christian Steiffen teilt und auch sonst zwischen den beiden<br />
Männern vermittelt, stünde noch viel mehr Ärger ins Haus. Denn Hanno<br />
ist schon ein harter Brocken, der gerne eine harte Schale um seinen weichen<br />
Kern legt.<br />
Hanno arbeitet <strong>als</strong> Turmspringtrainer mit dem jungen Talent Radu und ist<br />
auch hier eher sparsam mit Lob. Ein Schicks<strong>als</strong>schlag bringt das fragile familiale<br />
Gefüge aus dem Gleichgewicht: Monika erleidet einen Schlaganfall und<br />
fällt ins Koma. Es ist <strong>als</strong>o ganz schön was los in Axel Ranischs („Dicke Mädchen“)<br />
neuem Film, zumal Vater und Sohn jetzt allein damit klarkommen<br />
müssen, dass Florians Pubertät für beide so einige Überraschungen parat<br />
hält. Als der angetrunkene Hanno seinen Sohn schließlich im Bett mit seinem<br />
Sportnachwuchs überrascht, stößt der scheinbar so selbstsichere Macho an<br />
seine Grenzen und braucht dringend Beistand.<br />
„Ich fühl mich Disco“ geht es genau um dieses Spannungsverhältnis zwischen<br />
den Mühen und Enttäuschungen des Alltags und den eskapistischen<br />
Freuden einer trivialen Überhöhung. Ranisch zeigt dieses Spannungsverhältnis<br />
<strong>als</strong> potentiell durchlässig, erweckt die Mutter im Krankenhaus für empathische<br />
Augenblicke zum Leben und macht den Schlagersänger mit dem<br />
viel versprechenden Namen sehr konkret zum Vertrauten des Vaters in Erziehungsfragen.<br />
Trotz solcher Kapriolen überfordert der Film seine schwergewichtigen<br />
Protagonisten nicht, zeigt schmerzhaftes Einander-Verfehlen und<br />
Rückschläge und zeichnet ihre allmähliche Annäherung über Erfahrungen<br />
des Verlusts der vermittelnden Mutter mit größter Zärtlichkeit.<br />
Ohne „Ich fühl mich Disco“ jetzt qua Entdeckerfreude allzu hoch hängen zu<br />
wollen: Es ist einer der schönsten deutschen Filme des Jahres. Am Ende, na klar,<br />
hat Florian sein Klavier in seinem Zimmer stehen – ein Geschenk von Hanno.<br />
„Ich fühl mich Disco“ läuft ab dem<br />
12.12. (22:00 Uhr) im Kino Lumière.<br />
Regie: Axel Ranisch;<br />
Deutschland 2013; 98 Minuten;<br />
mit Frithjof Gawenda, Heiko Pinkowski,<br />
Christina Grosse u. a.<br />
F u S S b a l l g e s e l l s c h a f t<br />
Die lange Nacht vor dem Spiel<br />
Der ehemalige Profi-Schiedsrichter Babak Rafati liest in Göttingen über Depressionen,<br />
den Druck in der Bundesliga und seinen Suizidversuch, der vor zwei Jahren die Fußballwelt<br />
erschütterte.<br />
Babak Rafati liest am 9.12. um 19:00<br />
Uhr im Stadion an der Speckstraße aus<br />
seinem Buch „Ich pfeife auf den Tod.<br />
Wie mich der Fußball fast das Leben<br />
kostete“ (Kösel-Verlag, 2013, 304<br />
Seiten, 17,99 Euro).<br />
Jan Langehein<br />
Es war ein bis heute einmaliger Vorgang in der Bundesligageschichte: Am<br />
19. November 2011 wurde das Spiel des 1. FC Köln gegen Mainz 05 kurzfristig<br />
abgesagt. Zur Begründung hieß es zunächst lapidar, der Schiedsrichter<br />
Babak Rafati sei nicht rechtzeitig im Stadion erschienen. Was die Öffentlichkeit<br />
dam<strong>als</strong> nicht wusste – Rafati stand keineswegs im Stau oder hatte<br />
die Grippe, er kämpfte im Krankenhaus um sein Leben. In der Nacht vor dem<br />
Spiel hatte er sich im Hotel die Pulsadern aufgeschnitten; sein Assistent fand<br />
ihn am Morgen gerade noch rechtzeitig in der Badewanne.<br />
In dieser Nacht habe sich der Druck, der auf ihm lastete, zur Panik gesteigert,<br />
schreibt Rafati in seinem kürzlich erschienen Buch „Ich pfeife auf den<br />
Tod“. Seine Karriere stand dam<strong>als</strong> auf der Kippe: Aus dem FIFA-Kader hatte<br />
der DFB ihn zurückgezogen, zweimal war er vom „Kicker“ zum schlechtesten<br />
Schiedsrichter der Bundesliga gewählt worden, und die Fans von Mainz<br />
05 hassten ihn, weil er dem HSV ein halbes Jahr zuvor ein Tor gegeben hatte,<br />
das keines war – womit er Mainz um einen verdienten Punkt brachte. Der<br />
Satz, der Rafati in seinem Hotelzimmer nicht aus dem Kopf gehen wollte, war<br />
eine Reaktion des DFB-Schiedsrichterchefs Herbert Fandel auf diese Entwicklung:<br />
„Jeder darf einen Fehler machen. Nur Du nicht, Babak.“ Körperlich<br />
erschöpft, von Depressionen geplagt und von Panik überwältigt habe er<br />
nach Stunden des Grübelns keinen Ausweg mehr gesehen, <strong>als</strong> seinem Leben<br />
noch vor dem Spiel ein Ende zu setzen, so Rafati.<br />
Der Fall wirft, wie schon der Tod Robert Enkes, ein Licht auf die Belastung,<br />
der die Darsteller im großen Zirkus Bundesliga ausgesetzt sind. Nur ist<br />
es naiv zu glauben, dieser Zirkus wäre auch ohne den Druck zu haben: „Es ist<br />
ein Rausch, ein Stadion zu erleben, das von den Rufen der über 50.000 Fans<br />
zu vibrieren scheint“, schreibt Rafati. Und es ist ein Alptraum, wenn sich diese<br />
Rufe gegen einen wenden. Es wird sich <strong>als</strong>o wenig ändern. Allerdings gibt<br />
es inzwischen Akteure, die die Notbremse ziehen, bevor es zu spät ist: Zwei<br />
Monate vor Rafatis Suizidversuch hatte Ralf Rangnick <strong>als</strong> Trainer bei Schalke<br />
04 hingeschmissen – wegen eines Burnout-Syndroms.