Lehrbuch Arbeitspsychologie - Buch.de
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2. Zum Selbstverständnis <strong>de</strong>r <strong>Arbeitspsychologie</strong> 19<br />
Wie man <strong>de</strong>n Definitionen von Ulich (1994;<br />
2005, S. 137 ff.) o<strong>de</strong>r von Nerdinger, Blickle &<br />
Schaper (2011, S. 4) entnehmen kann, ist arbeitspsychologisches<br />
Han<strong>de</strong>ln bestimmten<br />
Humankriterien verpflichtet. Arbeitstätigkeiten<br />
müssen – so die Konvention – ausführbar,<br />
schädigungslos, belastungsarm und persönlichkeitsför<strong>de</strong>rlich<br />
sein. Arbeitstätigkeiten dürfen<br />
also die physische und psychische Gesundheit<br />
<strong>de</strong>s Arbeiten<strong>de</strong>n nicht schädigen und <strong>de</strong>ssen<br />
Wohlbefin<strong>de</strong>n nicht – allenfalls vorübergehend<br />
– beeinträchtigen; sie sollen <strong>de</strong>n Mitarbeiterbedürfnissen<br />
und -qualifikationen angemessen<br />
sein, individuelle und kollektive<br />
Einflussnahme auf Arbeitsbedingungen und<br />
-inhalte ermöglichen sowie zur För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
Persönlichkeit im Sinne <strong>de</strong>r Potenzial- und<br />
Kompetenzentwicklung beitragen.<br />
Damit ist eine anspruchsvolle normative<br />
Setzung vorgegeben, <strong>de</strong>ren Umsetzung ein<br />
ambitioniertes, verantwortungsvolles Han<strong>de</strong>ln<br />
von Wissenschaftlern und Praktikern in diesem<br />
gesellschaftlich be<strong>de</strong>utsamen Feld <strong>de</strong>r Arbeitstätigkeit<br />
voraussetzt. Die geschichtliche<br />
Entwicklung zeigt (s. Teil I, Kap. 2.2), dass es<br />
<strong>de</strong>r <strong>Arbeitspsychologie</strong> lange Zeit an solchen<br />
verpflichten<strong>de</strong>n Kriterien für die in Forschung<br />
und Praxis tätigen Psychologen (bzw. Arbeitswissenschaftler)<br />
mangelte, mit entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Konsequenzen für die Entwicklung und das<br />
Selbstverständnis dieser Disziplin.<br />
Um einen vertieften Zugang zum Selbstverständnis<br />
<strong>de</strong>r <strong>Arbeitspsychologie</strong> zu schaffen,<br />
thematisieren wir im Folgen<strong>de</strong>n<br />
●<br />
●<br />
●<br />
das zwischen Grundlagenforschung und<br />
Praxisbezug angesie<strong>de</strong>lte Erkenntnisinteresse,<br />
die Stellung innerhalb <strong>de</strong>r Psychologie (intradisziplinär)<br />
und<br />
die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Nachbardisziplinen (interdisziplinär).<br />
Abbildung I-2 ver<strong>de</strong>utlicht diese Zusammenhänge.<br />
Erkenntnisinteresse und Nutzen <strong>de</strong>r<br />
<strong>Arbeitspsychologie</strong><br />
Psychologie zu betreiben, um konkrete praktische<br />
Probleme in realen Arbeitssituationen zu<br />
lösen, ist ohne Grundlagenforschung ebenso<br />
wenig sinnvoll, wie anwendungsneutrales<br />
Grundlagenwissen auf aktuelle betriebliche<br />
Probleme zu übertragen. Das Erkenntnisinteresse<br />
<strong>de</strong>r <strong>Arbeitspsychologie</strong> ist dreifach bestimmt:<br />
Es ist grundlagen-, anwendungs- und<br />
praxisbezogen. Zur Charakterisierung dieser<br />
Bereiche ziehen wir «i<strong>de</strong>altypische Merkmale»<br />
psychologischer Grundlagenforschung, Angewandter<br />
Psychologie und Praktischer Psychologie<br />
heran (vgl. etwa Hoyos, Frey & Stahlberg,<br />
1988; Kleinbeck & Przygodda, 1993; v. Rosenstiel,<br />
2007a; o<strong>de</strong>r Nerdinger et al., 2011):<br />
1. Psychologische Grundlagenforschung formuliert<br />
allgemeingültige, raum-zeitlich unabhängige<br />
Gesetzesaussagen (bzw. Theorien)<br />
und überprüft daraus abgeleitete Hypothesen<br />
anhand systematisch angelegter Labor-<br />
und Felduntersuchungen. Psychologieintern<br />
ist das Problem, das es zu erklären<br />
und zu beobachten gilt, als ein Ausschnitt<br />
<strong>de</strong>r Wirklichkeit (bzw. nachempfun<strong>de</strong>ner<br />
Wirklichkeit) vorgegeben.<br />
2. Angewandte Psychologie entwickelt Mo<strong>de</strong>lle<br />
zur Problemlösung unter Bezug auf eine<br />
o<strong>de</strong>r mehrere Theorien und Disziplinen.<br />
Dadurch wer<strong>de</strong>n eine «neue Wirklichkeit»<br />
und Handlungsregeln entwickelt, <strong>de</strong>ren Effektivität<br />
kontextspezifisch (in Feldstudien)<br />
zu überprüfen ist: Das vorgegebene Problem<br />
ist psychologieintern und durch <strong>de</strong>n<br />
Einbezug situativer Variablen komplexer.<br />
3. Praktische Psychologie stellt die unmittelbare<br />
Analyse und Intervention an konkreten<br />
Einzelfällen dar. Gegenstand ist die<br />
optimale Umsetzung und spezifische Anwendung<br />
von Wissen und Techniken, um<br />
Gestaltungsbedürfnissen <strong>de</strong>r Praxis zu genügen,<br />
zum Beispiel bei <strong>de</strong>r Arbeitsstrukturierung<br />
o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Verhaltensmodifikation.<br />
© 2013 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern<br />
Dieses Dokument ist nur für <strong>de</strong>n persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben wer<strong>de</strong>n.<br />
Aus: Sonntag/Frieling/Stegmaier, <strong>Lehrbuch</strong> <strong>Arbeitspsychologie</strong>, 3. Auflage.