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Leben in Literatur zwischen Orient und Okzident. Else Lasker ...

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Yücel Aksan<br />

moderriechende fleischlose Hand erstirbt. Der Fakir wendet sich verächtlich<br />

von ihr ab, T<strong>in</strong>o glaubt sich wertlos. Die Erzählung endet wie sie angefangen<br />

hatte, mit Worten des Fremdse<strong>in</strong>s: „Muktagirän! Silika Unu geivuh... Gadivat<strong>in</strong><br />

biwila jai hi!!!“ (TvB: 72). Es ist nicht verständlich, ob es sich um e<strong>in</strong> Segensspruch<br />

oder e<strong>in</strong> Fluch handelt, die Handlung endet ohne e<strong>in</strong> verständliches Ende.<br />

Auch hier versucht die Dichter<strong>in</strong> das Auserwähltse<strong>in</strong> T<strong>in</strong>os zu betonen <strong>und</strong><br />

zu bekräftigen, nie ist sie mit anderen Frauen zu messen oder gar zu vergleichen.<br />

Sie ist e<strong>in</strong>zig <strong>in</strong> ihrer Art <strong>und</strong> Natur. Denn sie gehört weder zu den Frauen<br />

der Stadt noch zu dem Fakir, sie kann nur durch ihre ausgewählte Stellung dem<br />

Schicksal der anderen Frauen entgehen.<br />

In der Geschichte Der Khedive wird T<strong>in</strong>o unter falschem Namen als die Nichte<br />

ihres Vaters <strong>in</strong> den Palast des Khediven von Kairo e<strong>in</strong>geführt. Hier tritt T<strong>in</strong>o als<br />

die Dichter<strong>in</strong> Arabiens <strong>in</strong> den Vordergr<strong>und</strong>. Ihr Vater startet e<strong>in</strong>en Feldzug, als<br />

sie ihm von den Torwächtern des Khediven erzählt, die sie verspotten. Von den<br />

Frauen im Palast wird e<strong>in</strong> Todesbad für T<strong>in</strong>o bereitet, daraufh<strong>in</strong> wird ihr Tod<br />

bekanntgegeben:<br />

Und als die funkelnde Goldhand am Morgen das blühende Kairo<br />

segnete, hatten sie ihren Namen vergessen, <strong>und</strong> alle die wußten<br />

ihn nicht zu nennen, welche gezogen waren mit ihr <strong>und</strong> ihrem Vater<br />

nach Ägypten. Aber die jungen Knospengärten unter ihrem<br />

Fenster füllten sich, wenn sie ihnen zur Märchenst<strong>und</strong>e von Farben<br />

s<strong>in</strong>gender Erde erzählte. (TvB: 73)<br />

In der Metapher der sich füllenden jungen Knospengärten ist vorausgedeutet,<br />

dass T<strong>in</strong>o im Zeichen der Wiedergeburt <strong>und</strong> damit der Unsterblichkeit des<br />

Dichters steht. In diesem Kapitel realisiert die Dichter<strong>in</strong> diese Anschauung mit<br />

selbstverständlicher Folgerichtigkeit: T<strong>in</strong>o lebt weiter.<br />

T<strong>in</strong>o lebt ab, regeneriert sich <strong>und</strong> jeder ihr unangenehmen Konfrontation weicht<br />

sie mit dem Tode <strong>und</strong> dem Sterben aus, das für sie ke<strong>in</strong>e Endgültigkeit darstellt.<br />

Nach ihrem Auferstehen verliebt sich der ägyptische Fürst13 <strong>in</strong> sie <strong>und</strong> ernennt<br />

sie zu se<strong>in</strong>er Liebl<strong>in</strong>gsfrau. Diesmal ist der Schauplatz abermals <strong>in</strong> die Fremde<br />

nach Ägypten verlegt, <strong>in</strong> der T<strong>in</strong>o unter Heimweh leidet.14 Die Fremdheit T<strong>in</strong>os<br />

zeigt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er doppelt gesteigerten Art; erstens stammt sie aus e<strong>in</strong>em anderen<br />

Land, <strong>und</strong> zweitens sie ist nicht die Frau, für die sie gehalten wird. T<strong>in</strong>os<br />

Fremdheit h<strong>in</strong>dert sie daran heimisch zu werden, weil sie nicht sie selbst se<strong>in</strong><br />

darf. Von ihrem Vater wird sie der Gesellschaft als se<strong>in</strong>e Nichte vorgestellt.<br />

Dass sie ihren Namen, somit ihr Persönlichstes, vergisst <strong>und</strong> ihre Identität nicht<br />

wahren kann, führt sie schliesslich abermals zum Tod.<br />

13 Khedive war von 1867 bis 1914 der Titel des Vizekönigs von Ägypten.<br />

14 Ägypten ist das Land, <strong>in</strong> dem <strong>in</strong> biblischer Zeit die Hebräer unter fremder Herrschaft lebten.<br />

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