23.01.2014 Aufrufe

Leben in Literatur zwischen Orient und Okzident. Else Lasker ...

Leben in Literatur zwischen Orient und Okzident. Else Lasker ...

Leben in Literatur zwischen Orient und Okzident. Else Lasker ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Leben</strong> <strong>in</strong> <strong>Literatur</strong> <strong>zwischen</strong> <strong>Orient</strong> <strong>und</strong> <strong>Okzident</strong><br />

für <strong>Else</strong> <strong>Lasker</strong>- Schüler darstellt. Die Welt der Imag<strong>in</strong>ation, der Dichtung <strong>und</strong><br />

der literarischen Schöpfung ist ihr eigentlicher Besitz <strong>und</strong> Reichtum.<br />

In e<strong>in</strong>em Brief an Karl Kraus gibt sie ihren <strong>in</strong>nersten Gefühlen Ausdruck:<br />

Ich dichte jetzt schon zwei Tage <strong>und</strong> zwei Nächte, ich b<strong>in</strong> doch eigentlich<br />

e<strong>in</strong> Mensch der lauter Paläste hat. Ich kann e<strong>in</strong>gehn <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong> Dichttum, wie groß ist me<strong>in</strong> Dichttum, tausend Morgen <strong>und</strong><br />

Nächte groß - <strong>und</strong> ich kann es nicht verlieren <strong>und</strong> gerade, daß<br />

man nur mit Blut bezahlen kann se<strong>in</strong>e Steuer, das ist Besitz. 5<br />

<strong>Else</strong> <strong>Lasker</strong>- Schüler nutzt die reichhaltige Palette der orientalischen Stereotype,<br />

z. B. S<strong>in</strong>nlichkeit, Grausamkeit, Geschlechterkampf, Verrat, Luxus, Armut,<br />

Kunst, Macht um e<strong>in</strong>en Ort zu entwerfen, <strong>in</strong> dem weder Historie, Geographie<br />

<strong>und</strong> Nation genau bestimmbar s<strong>in</strong>d, außer das sie nicht europäisch s<strong>in</strong>d.<br />

Bagdad ist ihre Stadt, aber auch, e<strong>in</strong> Ort, der aus ihrem Selbst Gestaltung f<strong>in</strong>det<br />

<strong>und</strong> daher auch nicht def<strong>in</strong>ierbar <strong>und</strong> feststellbar se<strong>in</strong>, sondern allgeme<strong>in</strong> wirken<br />

soll. Die Unbestimmtheit der Geographie dieser Stadt führt, so N<strong>in</strong>a Bernam, zu<br />

e<strong>in</strong>er „Mystifizierung <strong>und</strong> Fiktionalisierung des asiatischen <strong>und</strong> nordafrikanischen<br />

Raumes“ (Berman 1997: 295). <strong>Else</strong> <strong>Lasker</strong>- Schüler schreibt nicht nur,<br />

sie koloriert auch ihre Werke <strong>und</strong> errichtet sich e<strong>in</strong>e „buntwuchernde morgenländisch-<br />

orientalisierende Traum- <strong>und</strong> Gegenwelt“ (Ebd.).<br />

Der Übergang von der Wirklichkeit zur Illusion, vom Realen <strong>in</strong>s Surreale, vom<br />

Märchen zum Wahns<strong>in</strong>n zeichnen sich <strong>in</strong> den Werken der Dichter<strong>in</strong> ab. Sie<br />

br<strong>in</strong>gt das Ungewöhnliche <strong>und</strong> Fremde ihrer Imag<strong>in</strong>ation <strong>in</strong> e<strong>in</strong> ganz neues<br />

Licht- e<strong>in</strong>e neu geschaffene Welt der freien, schöpferischen Phantasie des Dichters.<br />

Leopold Auer sieht <strong>in</strong> den Texten <strong>Lasker</strong>- Schülers e<strong>in</strong>e „schwärmerische<br />

H<strong>in</strong>gabe an das Poetische selbst, <strong>in</strong> der sich ihre geistige Verwurzelung <strong>in</strong> der<br />

späten Romantik erweist“ (Auer 1970: 113f.). Aber sie konnotiert den <strong>Orient</strong> <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en sakralen Raum, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e Vermischung der Religionen beabsichtigt ist.<br />

Religion dient ihr als stimmungserzeugende sakrale Erhöhung ohne e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

konkrete Religion zu me<strong>in</strong>en.<br />

Diese Welt der Imag<strong>in</strong>ation kann auch als e<strong>in</strong> Versuch, so Gellner, „e<strong>in</strong>er gewaltsamen<br />

Rückkehr <strong>in</strong> das verlorengegangene Paradies der K<strong>in</strong>dheit mit se<strong>in</strong>en<br />

W<strong>und</strong>ern <strong>und</strong> Rätseln bedeuten, e<strong>in</strong>e Zuflucht vor allen Enttäuschungen“ (Gellner<br />

2004: 114) gesehen werden. Dieses Paradies ihrer Imag<strong>in</strong>ation ist der von<br />

ihr kreierte Raum, <strong>in</strong> dem Grenzen <strong>und</strong> Konventionen religiöser Art aufgehoben<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

<strong>Lasker</strong>- Schülers <strong>Orient</strong> entwickelt sich zum „Ort der Verwerfung“ (He<strong>in</strong>richs<br />

2011: 253), <strong>in</strong> der der europäische Blick das Andere/ Fremde als Projektionsfläche<br />

des Eigenen erlebt. Äußere Kulissen dieser Projektionsflächen s<strong>in</strong>d der<br />

5 Brief an Karl Kraus vom 8.2. 1910.<br />

49

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!