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Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern

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IV.6<br />

IV.6<br />

Kornelie Rahnema<br />

Expertenstatements<br />

IV.6 Kornelie Rahnema<br />

Ältere und pflegebedürftige Menschen als Opfer<br />

Der Begriff der Gewalt sollte im Pflegebereich mit Vorsicht verwandt werden. Eine<br />

Kriminalisierung der alltäglichen Missstände in der Altenpflege und einer Zuweisung<br />

einer Täter- und Opferrolle sind nicht unbedingt zielführend. Wir möchten andererseits<br />

aber Machtmissbrauch, Vernachlässigung und Qualitätsmängel in der Pflege offen<br />

thematisieren, verantwortliches Handeln aller Beteiligten bei und trotz Überforderung,<br />

Aggressionen, Stress und Hilflosigkeit fördern und Lösungen/Verbesserungen aus<br />

Eskalationen und Gedankenlosigkeit suchen. Dies ist oft nicht einfach angesichts des<br />

schwierigen Zugangs zum familiären Bereich aber auch zu vielen Situationen der professionellen<br />

Pflegebeziehungen.<br />

Seit 8 Jahren hört, prüft und dokumentiert die Beschwerdestelle Probleme und Mängel<br />

in der Altenpflege. Unsere Erkenntnisse sind jedoch begrenzt auf die professionellen<br />

Dienstleister im stationären und ambulanten Bereich. Missstände, auch gravierende<br />

Mängel, sind leider nicht nur Einzelfälle. Einige Beispiele:<br />

Zur Pflege alter Menschen zu Hause durch Angehörige haben wir so gut wie keinen Zugang.<br />

In dieser tabuisierten Grauzone gibt es kaum Ankläger oder Beschwerdeführende.<br />

In einzelnen Fällen erfahren wir indirekt von Problemen aufgrund von Überforderung<br />

der Angehörigen. Hier entstehen aus großer Nähe, viel zwangsweise gemeinsam verbrachter<br />

Zeit, Rollenkonflikten und biographischen Hintergründen oftmals Spannungen<br />

und Aggressionen. Alte Menschen werden dann z. B. in der Folge eingeschlossen,<br />

werden mit Medikamenten zeitweise ruhig gestellt, sind aggressiver Sprache und Handlungen<br />

ausgesetzt, werden finanziell ausgebeutet.<br />

Alte Menschen üben gelegentlich auch Gewalt aus aufgrund von Frustration über<br />

Einschränkungen oder ihre Lebenssituation gegenüber Angehörigen, Pflegenden oder<br />

Mitbewohnern: Vorwürfe, Beschimpfungen, Schlagen, Beißen, sexuelle Übergriffe etc.<br />

Bestehender konkreter Handlungsbedarf<br />

Für Leitungen und Pflegende: grundsätzliche Sensibilisierung für das Thema „Gewalt“<br />

und seine konkreten Formen in der Pflege, Aus-, Fort- und Weiterbildung zu Gewaltprävention,<br />

Aufspüren von alltäglichen Situationen möglichen Machtmissbrauchs in der<br />

Pflegebeziehung, Erkennen eigener Probleme im Umgang mit Stress, Wissen um gewaltfreie<br />

Kommunikation, Nutzung von Möglichkeiten der eigenen Psychohygiene (z. B.<br />

zum Umgang mit Sterben und Tod), Qualitätsentwicklung für die Pflegetätigkeit etc.<br />

Kornelie Rahnema<br />

Expertenstatements<br />

74<br />

■ Verhalten der Pflegenden: sie ignorieren Wünsche von Betroffenen, nehmen wortlos<br />

Pflegehandlungen vor, duzen alte Menschen, ziehen ihnen die Kleidung anderer an,<br />

lassen sie lange verschmutzt, führen sie nicht bei Bedarf auf die Toilette, schimpfen<br />

und schreien mit Demenzkranken, bringen Betroffene in entwürdigende Situationen<br />

ohne Beachtung der Intimsphäre, ignorieren die Klingel, hängen die Notrufglocke<br />

außer Reichweite, verursachen durch Unachtsamkeit blaue Flecken etc.<br />

■ Wissenslücken und Mängel im Qualitätsmanagement bei Leitungen und Pflegenden<br />

führen in nicht wenigen Situationen zu einer nicht fachgerechten Versorgung<br />

(Ernährung, Dekubitus, Schmerz, Sturz), Hilfestellungen sind nicht ausreichend, keine<br />

Prüfung von Notwendigkeit oder Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen,<br />

keine Informationen an Betreuer, Angehörige oder Ärzte etc.<br />

Für Angehörige: Entlastung pflegender Angehöriger durch kompetentes und enges Netz<br />

von Beratungsangeboten, pflegerische Schulungen, Selbsthilfegruppen, Kurzzeitpflege,<br />

Tagespflege, regelmäßig unterstützende Pflegedienste etc. – auch durch ausreichende<br />

Finanzierung (derzeit hohe steigende Eigenanteile).<br />

Für alte/älter werdende Menschen: Erweiterung der Angebote von frühzeitiger und<br />

prophylaktischer Beratung (Risikoeinschätzungen, Einschätzung der vorhandenen<br />

Ressourcen), fachliche Begleitung in Krisensituationen (plötzliche Pflegebedürftigkeit),<br />

fachgerechte Überprüfung ihrer Pflege- und Versorgungssituation unter Nutzung von<br />

geeigneten Instrumenten (z. B. auch „Befragungen“ von Demenzkranken, Zufriedenheitsbefragungen<br />

nach wissenschaftlichen Standards).<br />

75<br />

■ Unangemessene und defizitäre Strukturen in der Altenpflege: In Alten- und Pflegeheimen<br />

können Doppelzimmersituationen psychisch höchst belastend sein, es gibt oft<br />

keine Zeit für Zuwendung und Gespräche, oft wechselnde Pflegepersonen, Türen in<br />

Altenheimen lassen sich nur mit großem Kraftaufwand öffnen, Heimbewohner<br />

werden bei Umbaumaßnahmen unzumutbarem Baulärm ausgesetzt, die ärztliche<br />

Versorgung (Zähne, Brillen, Hörgeräte, psychiatrische Versorgung etc.) ist oft unzureichend.<br />

Im ambulanten Bereich sollen z. B. klein gedruckte und damit für alte<br />

Menschen unleserliche Leistungsnachweise unterschreiben werden, es gibt oftmals<br />

falsche Abrechnungen, ...<br />

Für die Gesellschaft: Thema bewusst machen in allen Alters- und Gesellschaftsschichten<br />

ohne Skandalisierung, Interesse und Möglichkeiten an strafrechtlicher Verfolgung erhöhen,<br />

Kontrollen verbessern (unangemeldet, einheitliche Prüfkriterien) Todesfälle (z. B.<br />

durch falsch angewandte Fixierungen) grundsätzlich rechtsmedizinisch untersuchen.

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