Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern
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Gabriele Tammen-Parr<br />
Expertenstatements<br />
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Aber auch:<br />
■ die öffentliche Wertschätzung für Pflegende (Angehörige und Pflegepersonal) zu<br />
fördern und<br />
■ diese gesellschaftlich wichtige Arbeit, die mit hohen Anforderungen an die einzelnen<br />
verknüpft ist, in ihrer Bedeutung anzuerkennen.<br />
Im Laufe unserer fünfjährigen Beratungstätigkeit hat sich unser Profil – auch entsprechend<br />
der Nachfragen – vom „Anwalt“ für Angehörige zu einer Spezialberatungsstelle<br />
für alle Akteure im Bereich Pflege entwickelt. Die zunehmende Inanspruchnahme durch<br />
Pflegeeinrichtungen, Pflegedienste und Pflegekräfte freut uns besonders, da das bedeutet,<br />
dass auch sie unsere Beratung und neutrale/schlichtende Begleitung als Unterstützung<br />
erleben.<br />
Die Empfehlungen unserer Stelle vor allem durch den MDK zeigen, dass wir neben den<br />
offiziellen Beratungs- und Prüforganen als unabhängige Beratungs- und Beschwerdeeinrichtung<br />
einen wichtigen Platz in der Stadt einnehmen. Viele Probleme, die im kommunikativen<br />
und zwischenmenschlichen Bereich liegen, kosten eine Pflegeeinrichtung/<br />
Diakoniestation viel Kraft und Geld. Sie können bei einer Prüfung festgestellt, aber nicht<br />
bearbeitet werden.<br />
Speziell die große Nachfrage nach Fortbildungen und Fallbesprechungen zeigt, dass der<br />
Wunsch nach Schulung und Begleitung durch Pflege in Not und dass sich die Bereitschaft,<br />
sich mit dem Thema auseinander zu setzen, sehr erhöht hat.<br />
Alte pflegebedürftige Menschen sind immer wieder Opfer von psychischer und physischer<br />
Gewalt. Sowohl in den Familien als auch in den Alten- und Pflegeheimen. Die<br />
pflegenden Angehörigen beschreiben starke konflikthafte Situationen in den Familien<br />
bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die Ursachen und Bedingungen, die zur<br />
Eskalation führen, können vielfältig sein: die lange Pflegedauer, das Krankheitsbild, die<br />
finanzielle Ausstattung und vor allem die gemeinsame Beziehungsgeschichte.<br />
Innerfamiliäre Konflikte, die oft über Generationen hinweg die Familiendynamik beeinflussen,<br />
werden in der Pflegesituation aktualisiert. Bei Gewalt zwischen Ehepartnern ist<br />
dies oft eine Fortsetzung des bestehenden Beziehungsverhaltens miteinander, während<br />
bei pflegenden Kindern die alten Verletzungen und Kränkungen durch die Eltern in der<br />
Pflegesituation zum Tragen kommen. Ebenso ist der pflegebedürftige alte Mensch trotz<br />
starker Pflegebedürftigkeit und einem hohen Maß an Abhängigkeit in der Lage, die<br />
Konflikte z. B. durch Verweigerung von Dankbarkeit und Wertschätzung zu verstärken.<br />
Aus diesem Grund sind gerade in der Familienpflege die Stigmatisierungen in „Opfer<br />
und Täter“ völlig unangebracht. Sowohl der pflegende Angehörige als auch der alte<br />
Mensch können Opfer und Täter zugleich sein.<br />
Die Beschwerden von Angehörigen aus den Pflegeheimen reichen von mangelnder<br />
Ernährungs- und Flüssigkeitsversorgung, fehlenden Bewegungsmöglichkeiten (die<br />
Bewohner werden nicht regelmäßig aus dem Bett geholt, Spaziergänge oder Aufenthalt<br />
im Garten sind häufig nicht möglich), Windeln statt Toilettengang, unerlaubter Fixierung,<br />
willkürlicher Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen, unfreundlicher bis<br />
verachtender Umgangston etc.<br />
Neben den Angehörigen wenden sich Pflegekräfte an Pflege in Not, um sich zu schwierigen<br />
Problemen beraten zu lassen. Hierbei kann es sich um pflegerische Defizite bis hin<br />
zu gefährlicher Pflege handeln, Zweifel an der Personalausstattung ihres Wohnbereiches,<br />
Mobbing, Problemen mit Vorgesetzten, die für Problemanzeigen ihrer Mitarbeiterinnen<br />
als auch für Verbesserungen nicht offen sind.<br />
Die institutionellen Bedingungen einer Einrichtung – wie Personalsituation, bauliche<br />
Gegebenheiten, Ausstattung an Hilfsmitteln, Führungsstil der Institution, Angebote an<br />
Fortbildung etc. – spielen beim Entstehen von aggressiven Verhaltensweisen eine nicht<br />
zu unterschätzende Rolle.<br />
Daneben ist die Persönlichkeit der Pflegekraft und ihre Beziehung zum Bewohner eine<br />
wichtige Bedingung im Umgang mit Konflikten. Biographische Faktoren, Kommunikationsfähigkeit,<br />
soziale und fachliche Kompetenz, Umgang mit Macht etc. bestimmen<br />
den pflegerischen Alltag.<br />
Trotz aller Bedingungen stellen wir immer wieder fest, dass die Führungskräfte – als<br />
wichtige Schnittstelle – maßgeblich die Stimmung und den Stil eines Hauses bestimmen.<br />
Ihre Kompetenz und Haltung sind die ausschlaggebenden Faktoren für die Lebensbedingungen<br />
ihrer Bewohner.<br />
Pflege in Not bietet als eine präventive Maßnahme den Pflegeeinrichtungen Fortbildungen<br />
zum Thema Gewalt gegen alte Menschen an, um die Pflegekräfte für das Thema zu<br />
sensibilisieren, sie anzuregen, eigene Verhaltensweisen zu überprüfen und sich zum<br />
„Anwalt“ für sich und die Bewohner zu entwickeln. Ebenso bestärken wir in den<br />
Gesprächen mit den Pflegedienstleiterinnen ihren Wunsch nach Coaching. Dabei geht es<br />
darum einerseits eine Vorstellung zu entwickeln, wie ihre Einrichtung aussehen soll und<br />
eine Haltung als Führungskraft zu einzunehmen, andererseits aber auch darum, Kraft<br />
für Auseinandersetzungen mit dem Träger zu sammeln.<br />
Gabriele Tammen-Parr<br />
Expertenstatements<br />
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Aus diesem Grund erscheint uns eine präventive und begleitende Beratung für die<br />
Betroffenen am sinnvollsten. Strafrechtliche Maßnahmen sind nur in Einzelfällen<br />
geboten. In diesem Zusammenhang sind Professionelle aus dem sozialen Umfeld wie<br />
Sozialarbeiter, Ärzte und Pflegepersonal wichtig, um mit geschulter Aufmerksamkeit<br />
Gefährdungsmomente und ausgeübte Gewalt zu erkennen. Der Boden für jegliche<br />
Veränderung zu diesem Thema ist die öffentliche gesellschaftliche „Akzeptanz“, dass<br />
alte Menschen Gewalt in der Pflege erleben – sowohl in der Familie als auch in<br />
Alten- und Pflegeheimen.