Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern
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II<br />
III<br />
III.1<br />
Protokoll<br />
10<br />
Frau Ursula Pöhler<br />
Zunächst wird der grundsätzliche Handlungsbedarf unterstrichen. Nach Ansicht von<br />
Experten sowie wissenschaftlicher Studien findet medikamentöser Freiheitsentzug tagtäglich<br />
in Heimen statt, auf 70 Prozent der Psychopharmaka, die dort zum Einsatz kommen,<br />
könnte schlichtweg verzichtet werden. Jeder fünfte ältere Mensch in Pflege-heimen wird<br />
unzureichend gepflegt. Ähnliches gilt für die häusliche, private Pflege. Daraus folgt die<br />
Forderung nach Qualitätssicherung sowie Etablierung von Qualitäts-standards innerhalb<br />
der Pflege. Kontraproduktiv sind „Ein-Euro-Mitarbeiter“, die völlig unzureichend ausgebildet<br />
sind, aber als billige Arbeitskräfte in kürzester Zeit sämtliche professionellen<br />
Arbeiten übernehmen müssen. Das gesamte Pflegesystem in Deutsch-land muss reformiert<br />
werden. Vernetzung und Bündelung aller gesellschaftlicher Kräfte, umfassende<br />
Informationsvermittlung und Fortbildungen im Pflegedienst werden gefordert.<br />
Der Sozialverband Deutschland hat hierfür die Broschüre „12 Forderungen für eine<br />
würdevolle Pflege“ (Berlin 2005) herausgegeben.<br />
Frau Dr. Bettina Brockhorst<br />
Das Bundesministerium für Familie, <strong>Senioren</strong>, Frauen und Jugend unterstützt an zahlreichen<br />
Stellen die Implementierung neuer Standards in der Altenpflege. Genannt wird<br />
unter anderem der Forschungsauftrag mit dem Titel „Kriminalität und Gewalt im Leben<br />
älterer Menschen“ an das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA) und das Kriminologische<br />
Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN). Dort soll geprüft werden, inwieweit sich<br />
die Häufigkeit von Kriminalitäts- und Gewalterfahrungen für ältere Menschen verändert<br />
hat. Diesen Aufträgen ging die erste Opferbefragung älterer Menschen aus dem Jahre<br />
1992 voraus, welche ebenfalls vom KFN durchgeführt worden ist. Ein weiteres Beispiel für<br />
die ministerielle Arbeit in diesem Bereich ist das Modellprogramm „Selbstbestimmt wohnen<br />
im Alter“ aus dem Jahre 2004.<br />
III. Impulsreferate<br />
III.1 Dr. Thomas Görgen<br />
Nahraumgewalt gegen ältere und pflegebedürftige Menschen<br />
Abstecken des begrifflichen Feldes<br />
Warum? Alter ist nicht gleichzusetzen mit Pflegebedürftigkeit. Mit Ausnahme der allerhöchsten<br />
Altersgruppen sind es stets Minderheiten Älterer, die Pflege benötigen und erhalten.<br />
Ende 2003 bezogen rd. 2 Millionen Pflegebedürftige Leistungen der Pflegeversicherung;<br />
zu zwei Dritteln handelte es sich um ambulante, zu einem Drittel um vollstationäre<br />
Leistungen. Von den Leistungsbeziehern der sozialen Pflegeversicherung waren<br />
im ambulanten Bereich 9,6 % und im stationären Bereich 19,8 % der Pflegestufe III, d. h.<br />
der Gruppe der Schwerstpflegebedürftigen, zugeordnet (BUNDESMINISTERIUM FÜR<br />
GESUNDHEIT UND SOZIALE SICHERUNG, 2004, S. 47ff). Obwohl sich Pflegebedürftigkeit<br />
im hohen Alter konzentriert, ist davon erst jenseits des 90. Lebensjahres die Mehrheit<br />
betroffen; Ende 2003 waren 1,6 % der 60 bis 64-Jährigen pflegebedürftig, 9,8 % der<br />
75 bis 79-Jährigen, aber 60,4 % der 90 bis 94-Jährigen (STATISTISCHES BUNDESAMT,<br />
2005). Kurz: Wenn Pflegebedürftigkeit auftritt, dann vor allem im Alter; die meisten<br />
Menschen, die wir als „alt“ oder „älter“ bezeichnen würden, sind jedoch nicht pflegebedürftig.<br />
Wenn wir davon ausgehen, dass das Risiko von Menschen, Opfer von Gewalttaten zu<br />
werden, etwas mit der Art und Weise zu tun hat, wie Menschen leben, welche Handlungsmöglichkeiten<br />
sie haben und welche sie wahrnehmen, an welchen Orten sie sich<br />
aufhalten, mit wem sie sich umgeben und von wem sie umgeben sind (und es gibt<br />
wenig Grund zu der Annahme, dass dem nicht so wäre), dann müssen wir zu der Vermutung<br />
gelangen, dass Art und Ausmaß der Gewaltgefährdung der nicht auf Pflege<br />
angewiesenen Mehrheit älterer Menschen sich von den Gefährdungen unterscheiden,<br />
denen pflegebedürftige Ältere ausgesetzt sind. 1<br />
Wir werden also bei den weiteren Betrachtungen danach unterscheiden müssen, ob wir<br />
über ältere Menschen insgesamt oder über die Gruppe der pflegebedürftigen Älteren<br />
sprechen. Damit ist aber das begriffliche Abstecken des Feldes noch nicht abgeschlossen.<br />
Um „Nahraumgewalt“ soll es hier gehen. Der „Nahraum“ eines Menschen kann prinzipiell<br />
sowohl räumlich als auch sozial und interpersonal aufgefasst werden. Hier soll der<br />
Begriff vor allem im Sinne eines Beziehungs-Nahraumes gebraucht werden, d. h., es<br />
geht um Gewalt, die ältere und pflegebedürftige Menschen von ihnen nahe stehenden<br />
Personen erfahren. Diese nahe stehenden Personen können Ehe- oder Lebenspartner<br />
sein, andere Familien- oder Haushaltsmitglieder, Freunde, bei Pflegebedürftigen auch<br />
Personen, die ihnen aufgrund ihrer beruflichen Rolle dauerhaft nahe kommen. Konzentrieren<br />
will ich mich hier auf Gewalterfahrungen durch dem Opfer im Rahmen einer privaten<br />
Beziehung nahe stehende Personen.<br />
Dr. Thomas Görgen<br />
Impulsreferate<br />
11<br />
1<br />
Natürlich beschränkt sich die Notwendigkeit einer differenziellen Betrachtung von Opferwerdungsrisiken nicht auf<br />
eine dichotome Gegenüberstellung Pflegebedürftiger und Nicht-Pflegebedürftiger und so ist etwa die Situation<br />
demenziell Erkrankter nicht ohne Weiteres mit der von durch körperliche Gebrechen pflegebedürftig gewordenen<br />
Personen vergleichbar; doch beeinflussen vor allem schwerere Formen von Pflegebedürftigkeit das Leben einer Person<br />
in nahezu allen Belangen so nachhaltig, dass eine erste Unterscheidung anhand eben dieses Merkmals sinnvoll und<br />
erforderlich erscheint.