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Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern

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Prof. Dr. Michael Walter<br />

Expertenstatements<br />

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IV.9 Prof. Dr. Michael Walter<br />

Ältere und pflegebedürftige Menschen als Opfer<br />

Eine total erfolgreiche Kriminalprävention ist nicht in Sicht und wohl auch nicht gewollt.<br />

Sonst wäre es schwer verständlich, warum fürderhin Staatsanwälte und Richter auf<br />

Lebenszeit ernannt werden. Pointiert könnte man sagen: Wir streben die Kriminalprävention<br />

an, weil wir wissen, dass sie nur sehr begrenzt erreicht wird.<br />

Alle Bestrebungen der kommunalen Kriminalprävention betonen den gesamtgesellschaftlichen<br />

Ansatz. Kriminalität imponiert als der gemeinsame Feind. Zwar können<br />

gemeinsame Feinde nach innen hin einen. Doch erscheint der gemeinsame Feind als solcher<br />

zweifelhaft, solange unsere moderne Gesellschaft in verschiedenen Bereichen durch<br />

Massenkriminalität gekennzeichnet ist. Bekämpft wird vorwiegend die Kriminalität der<br />

jeweils „anderen“. Indessen stellt Kriminalität kein gesellschaftliches Externum dar; sie<br />

gehört vielmehr unausweichlich zu unserer Gesellschaft hinzu, ist selbst ein gesellschaftliches<br />

Phänomen.<br />

Im Zuge einer allgemeinen Sensibilisierung gegenüber Gewalt sind in den letzten Jahren<br />

vor allem Gewalttätigkeiten junger Menschen in den Vordergrund gerückt. Dabei werden<br />

die korrespondierenden Risiken durch „Fremde“ für ältere Menschen tendenziell<br />

überzeichnet. Nachdem die Gefahren, die aus der häuslichen Gewalt gegenüber Kindern<br />

und dem Lebensgefährten, überwiegend der Lebensgefährtin, erwachsen, bereits seit<br />

längerem „entdeckt“ worden sind, erscheint nunmehr die Wahrnehmung der häuslichen<br />

Gewalt alten Menschen gegenüber als geradezu folgerichtiger nächster Schritt.<br />

Präventive Maßnahmen in dieser Richtung gehen von realen Gegebenheiten aus, da<br />

Grund zu der Annahme besteht, insoweit mit einem breiten Dunkelfeld der Gewalt in<br />

häuslicher und institutioneller Pflege konfrontiert zu sein.<br />

Zwar nehmen generell gesehen mit höherem Lebensalter die Viktimisierungsrisiken ab.<br />

Erste Forschungen weisen jedoch auf spezifische Gefährdungen pflegedürftiger und<br />

hochbetagter Menschen hin. Sie können mit schriftlichen Befragungen aus verschiedenen<br />

Gründen, insbesondere wegen ihrer Gebrechlichkeit und der Übermacht der potenziellen<br />

Täter(innen), nur schwer erreicht werden. Schon die Anzeichen, die unterhalb<br />

dieser Schwelle der Benachteiligung liegen, lassen einen erheblichen Gefahrenbereich<br />

erkennen. Gleichsam amtlich anerkannt ist ein Pflegenotstand, bei dem zu wenige und<br />

teilweise nicht gut ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger mit einer Überzahl von<br />

Betreuten zurechtkommen müssen. Praktiker im Feld bestätigen Spannungen und auch<br />

Missstände. Die Problematik kommt ferner indirekt dadurch zum Ausdruck, dass bei den<br />

Pflegern häufig der Wunsch nach einem Berufswechsel geäußert wird. Vor allem große<br />

Pflegeeinrichtungen dürften zu „rationellen“ Vorgehensweisen – mit Gewaltkomponenten<br />

– neigen. Die Öffentlichkeit wurde in der Vergangenheit durch Serientötungen<br />

in Alteneinrichtungen aufgeschreckt, bei denen „Todesengel“ lange Phasen hindurch<br />

unbemerkt tätig sein konnten. Diese Ereignisse betreffen indessen nur Extremfälle,<br />

wohingegen Heimskandale wesentlich häufiger mitgeteilt werden. Durch in der Regel<br />

vermeidbare Liegegeschwüre können tödliche Wunden entstehen, die – wie viele andere<br />

„rechtlich relevante“ Todesursachen – bei der Leichenschau nicht selten unerkannt bleiben.<br />

Die wahren Ausmaße der Gewalt im Kontext institutioneller und häuslicher Pflege<br />

werden sich erst noch schrittweise herausstellen, vergleichbar der Entwicklung beim<br />

sexuellen Kindesmissbrauch, dessen Ausmaße anfangs ebenfalls unterschätzt wurden.<br />

Anders als Kinder senden alte Menschen von ihrer körperlichen Konstitution her keine<br />

Schlüsselreize aus, die in den mit ihnen befassten Pflegern Schutzimpulse wachriefen.<br />

Ganz im Sinne des neueren Präventionsansatzes drängen sich hier situationsbezogene<br />

präventive Ansätze auf. Freilich besteht die generelle Schwierigkeit, überhaupt an die<br />

Tatsituationen heranzukommen. Letztere sind ja durch Intimität und mangelnde Kontrolle<br />

seitens Dritter gekennzeichnet. Das Opfer ist nur sehr eingeschränkt in der Lage,<br />

seine Bedürfnisse zu artikulieren.<br />

Von dieser Ausgangslage aus werden niedrigschwellige Angebote erforderlich, die<br />

relativ leicht den Zugang zu helfenden Dritten eröffnen – wie insbesondere einfache<br />

Notrufnummern. Sie müssen auch für Menschen im Umfeld, zum Beispiel Nachbarn,<br />

zugänglich sein. Ferner braucht man eine „Komm-Struktur“, mithin Möglichkeiten, die<br />

betreffenden Pflegeempfänger aufzusuchen. Da nicht erwartet werden kann, dass die<br />

Hilferufe schon thematisch genauer strukturiert sind, müssen weiter klärungsbedürftige<br />

Ersuchen für erste Schritte der angerufenen Agentur ausreichen. Deren Leistung könnte<br />

gerade darin liegen, frei von Eigeninteressen eine fachgerechte Kanalisierung des Hilfsersuchens<br />

vorzunehmen. Durch derartige Vermittlungen werden einerseits unnötige<br />

neue Initiativen vermieden. Andererseits erfahren die vorhandenen Einrichtungen, in<br />

welchen Hinsichten sie gebraucht werden. So ist beispielsweise beklagt worden, dass<br />

sich Einrichtungen für Frauen mit Gewalterfahrungen oft nur um jüngere Frauen kümmerten,<br />

obwohl sich eine solche Beschränkung aus keiner Regelung ergibt.<br />

Bestrebungen, auch älteren Menschen ein geschütztes und dennoch von sozialer Teilhabe<br />

geprägtes Leben zu vermitteln, gibt es weltweit und mit zunehmender Tendenz.<br />

So sind u. a. Beratungsstellen in der Erprobung, vergleichbar den Erziehungsberatungsstellen.<br />

Die reizvolle Frage, in welchem Maße Einrichtungen und Ansätze der Jugendund<br />

Familienhilfe nicht analog auf den Umgang mit älteren Menschen übertragen werden<br />

könnten und sollten, muss als noch weit gehend ungeklärt angesehen werden.<br />

Eine wirkungsvolle Kriminalprävention ist letztlich von einer viel umfassenderen Lebensgestaltung<br />

nicht abtrennbar. Diese aber kann nicht aus der beschränkten Sicht der<br />

Verbrechensverhütung konzipiert werden. Vielmehr beinhaltet Kriminalprävention im<br />

Ensemble der Gestaltungsgrundsätze nur einen einzelnen Gesichtspunkt: Er trägt dazu<br />

bei, flankierend die soziale Teilhabe zu sichern.<br />

Prof. Dr. Michael Walter<br />

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