01.02.2014 Aufrufe

Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern

Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern

Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

IV<br />

IV<br />

IV.7<br />

IV.7<br />

Christine Schröder<br />

Expertenstatements<br />

78<br />

IV.7 Christine Schröder<br />

Ältere Frauen und Gewalterfahrungen<br />

Im Rahmen meiner fast 15-jährigen Arbeit in Frauenberatungsstellen, konnte ich immer<br />

wieder feststellen, wie schwierig es für ältere Frauen (ab 60 Jahre) ist, sich im Falle von<br />

Gewalterfahrungen Hilfe zu holen.<br />

Da über diesen Personenkreis sehr wenig fundierte Erfahrungswerte vorliegen, und das<br />

Dunkelfeld sehr groß zu sein scheint, habe ich an der Studie des KFN teilgenommen<br />

„Jetzt bin ich so alt und das hört nicht auf“. Sexuelle Viktimisierung im Alter, 2005 veröffentlicht.<br />

Viele Erkenntnisse dieser Studie decken sich mit unseren Erfahrungen.<br />

Die Frauenberatungsstelle Verden bietet für verschiedene frauenspezifische Themen<br />

Beratung und Unterstützung an. Trennung/Scheidung und individuelle wie strukturelle<br />

Gewalterfahrungen gehören mit dazu.<br />

Durch meine praktische Beratungserfahrung lässt sich Folgendes feststellen:<br />

Die geschlechtsspezifische Rollenverteilung greift in der Generation der ab 60-jährigen<br />

Frauen noch massiv. Hier zählt nicht die Selbstbestimmung, sondern die Verantwortung<br />

für die Familie, das Ertragen und Aushalten. Der Ehemann übt Macht und Kontrolle<br />

durch eine starke finanzielle Abhängigkeit. Die meisten Frauen in dieser Generation sind<br />

nicht selbst berufstätig gewesen. Für diese Frauen gehört die eheliche Pflichterfüllung<br />

als sexuelle Verfügbarkeit einfach dazu. Ihre Rechte sind ihnen oft unbekannt.<br />

Körperliche Gewalterfahrungen in der Ehe werden erduldet. Das Private in der Familie<br />

geht niemanden etwas an. Durch Krieg und Nachkriegszeit haben viele Frauen Vergewaltigung<br />

und Gewalt schon früh erfahren. Sich bei akuter psychischer und physischer<br />

Gewalt nach außen zu wenden, erfordert viel Mut.<br />

Unterstützung und Beratung muss in Richtung langfristiger Begleitung gehen und es<br />

müssen Modelle entwickelt werden, wie sich diese älteren Frauen auch in den Beziehungen<br />

stabilisieren können.<br />

Der erste Schritt ist es, sich Menschen anzuvertrauen, die das Vertrauen der älteren<br />

Frauen genießen. Dies sind oft HausärztInnen, PastorInnen o. Ä.<br />

Der nächste Schritt wäre dann, dass diese Vertrauenspersonen die Hilfe von niedrigschwelligen<br />

Angeboten wie Frauenberatungsstellen oder Lebensberatungsstellen vermitteln<br />

und eventuell diese Frauen bei der ersten Kontaktaufnahme unterstützen.<br />

Der dritte Schritt wäre dann, Beratung und Begleitung als Selbstbewusstseinstraining in<br />

Alltagsdingen anzubieten, sei es in finanziellen Dingen oder bürokratischen Herausforderungen,<br />

in die diese Frauen oft erst eingeführt werden müssen. Ein Ziel wäre es<br />

dann auch, Grenzen setzen zu lernen innerhalb der Beziehung, bevor der Weg eventuell<br />

bereitet ist für eine Trennung und die Herausforderungen des Alleinlebens.<br />

Ein Fallbeispiel dazu aus der Praxis:<br />

Eine 62-jährige Frau kam zu einem ersten Kontaktgespräch zu uns in die Frauenberatungsstelle.<br />

Sie lebte seit über 28 Jahren in einer Gewaltbeziehung. Ihre drei Kinder<br />

waren erwachsen und trotzdem blieb sie in dieser Gewaltehe. Ihr Hausarzt hatte schon<br />

mehrfach bei kleineren und größeren Verletzungen den Verdacht, dass der Ehemann<br />

körperliche Gewalt ausübt. Nach einer themenspezifischen Fortbildung zu Gewalt fand<br />

der Hausarzt einen Ansatz, diese Frau direkt darauf anzusprechen. Über einen längeren<br />

Kontakt mit der Sprechstundenhilfe, fand die Frau dann den Mut einen Termin bei mir<br />

wahrzunehmen. Über ein halbes Jahr kam sie – stets gemeinsam mit der Sprechstundenhilfe<br />

– heimlich zu mir, um über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen, vielfältige Alltagsprobleme<br />

anzugehen und dann endlich den Schritt raus aus der Beziehung vorzubereiten.<br />

Bei dieser Frau ging der Weg über das Frauenhaus, da nicht abzusehen war, wie<br />

brutal der Ehemann sie verfolgen würde bei einer konsequenten Trennung.<br />

Inzwischen lebt sie alleine, kommt sehr gut zurecht und hat den Kontakt zum Ehemann<br />

vollkommen abgebrochen. Die Kinder stehen alle auf ihrer Seite.<br />

Meine Empfehlungen lauten deshalb:<br />

1. Wir benötigen ausführlicheres Forschungsmaterial, um diesen speziellen<br />

Personenkreis näher kennen zu lernen und spezifische Ansätze erarbeiten zu können,<br />

die stärker greifen.<br />

2. Niedrigschwellige Angebote, wie sie in Frauenberatungsstellen auch für ältere Frauen<br />

angeboten werden, müssen längerfristig finanziell abgesichert werden. Nur dann<br />

können spezielle Unterstützungsmodelle entwickelt und durchgeführt werden.<br />

3. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu physischer und psychischer Gewalt muss die<br />

Zielgruppe der älteren Frauen stärker benannt werden. Nur so erfahren ältere Frauen<br />

auch, dass sie gesehen werden und ein Recht auf Hilfe haben.<br />

4. In allen Bereichen von Ausbildung und Studium müssen spezielle Schulungen eingebaut<br />

werden, die ÄrztInnen, Pflegekräfte und die Seelsorge darauf vorbereitet, dass<br />

sie die ersten Anzeichen von Gewalterfahrungen bei älteren Frauen ernst nehmen und<br />

lernen als erste Vertrauensperson darauf einzugehen. Ebenso gehört dieses Thema<br />

auch in alle pädagogische Bereiche, die sich mit <strong>Senioren</strong> auseinander setzen.<br />

Christine Schröder<br />

Expertenstatements<br />

79

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!