Sicherheit für Senioren - Polizei Bayern
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Christine Schröder<br />
Expertenstatements<br />
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IV.7 Christine Schröder<br />
Ältere Frauen und Gewalterfahrungen<br />
Im Rahmen meiner fast 15-jährigen Arbeit in Frauenberatungsstellen, konnte ich immer<br />
wieder feststellen, wie schwierig es für ältere Frauen (ab 60 Jahre) ist, sich im Falle von<br />
Gewalterfahrungen Hilfe zu holen.<br />
Da über diesen Personenkreis sehr wenig fundierte Erfahrungswerte vorliegen, und das<br />
Dunkelfeld sehr groß zu sein scheint, habe ich an der Studie des KFN teilgenommen<br />
„Jetzt bin ich so alt und das hört nicht auf“. Sexuelle Viktimisierung im Alter, 2005 veröffentlicht.<br />
Viele Erkenntnisse dieser Studie decken sich mit unseren Erfahrungen.<br />
Die Frauenberatungsstelle Verden bietet für verschiedene frauenspezifische Themen<br />
Beratung und Unterstützung an. Trennung/Scheidung und individuelle wie strukturelle<br />
Gewalterfahrungen gehören mit dazu.<br />
Durch meine praktische Beratungserfahrung lässt sich Folgendes feststellen:<br />
Die geschlechtsspezifische Rollenverteilung greift in der Generation der ab 60-jährigen<br />
Frauen noch massiv. Hier zählt nicht die Selbstbestimmung, sondern die Verantwortung<br />
für die Familie, das Ertragen und Aushalten. Der Ehemann übt Macht und Kontrolle<br />
durch eine starke finanzielle Abhängigkeit. Die meisten Frauen in dieser Generation sind<br />
nicht selbst berufstätig gewesen. Für diese Frauen gehört die eheliche Pflichterfüllung<br />
als sexuelle Verfügbarkeit einfach dazu. Ihre Rechte sind ihnen oft unbekannt.<br />
Körperliche Gewalterfahrungen in der Ehe werden erduldet. Das Private in der Familie<br />
geht niemanden etwas an. Durch Krieg und Nachkriegszeit haben viele Frauen Vergewaltigung<br />
und Gewalt schon früh erfahren. Sich bei akuter psychischer und physischer<br />
Gewalt nach außen zu wenden, erfordert viel Mut.<br />
Unterstützung und Beratung muss in Richtung langfristiger Begleitung gehen und es<br />
müssen Modelle entwickelt werden, wie sich diese älteren Frauen auch in den Beziehungen<br />
stabilisieren können.<br />
Der erste Schritt ist es, sich Menschen anzuvertrauen, die das Vertrauen der älteren<br />
Frauen genießen. Dies sind oft HausärztInnen, PastorInnen o. Ä.<br />
Der nächste Schritt wäre dann, dass diese Vertrauenspersonen die Hilfe von niedrigschwelligen<br />
Angeboten wie Frauenberatungsstellen oder Lebensberatungsstellen vermitteln<br />
und eventuell diese Frauen bei der ersten Kontaktaufnahme unterstützen.<br />
Der dritte Schritt wäre dann, Beratung und Begleitung als Selbstbewusstseinstraining in<br />
Alltagsdingen anzubieten, sei es in finanziellen Dingen oder bürokratischen Herausforderungen,<br />
in die diese Frauen oft erst eingeführt werden müssen. Ein Ziel wäre es<br />
dann auch, Grenzen setzen zu lernen innerhalb der Beziehung, bevor der Weg eventuell<br />
bereitet ist für eine Trennung und die Herausforderungen des Alleinlebens.<br />
Ein Fallbeispiel dazu aus der Praxis:<br />
Eine 62-jährige Frau kam zu einem ersten Kontaktgespräch zu uns in die Frauenberatungsstelle.<br />
Sie lebte seit über 28 Jahren in einer Gewaltbeziehung. Ihre drei Kinder<br />
waren erwachsen und trotzdem blieb sie in dieser Gewaltehe. Ihr Hausarzt hatte schon<br />
mehrfach bei kleineren und größeren Verletzungen den Verdacht, dass der Ehemann<br />
körperliche Gewalt ausübt. Nach einer themenspezifischen Fortbildung zu Gewalt fand<br />
der Hausarzt einen Ansatz, diese Frau direkt darauf anzusprechen. Über einen längeren<br />
Kontakt mit der Sprechstundenhilfe, fand die Frau dann den Mut einen Termin bei mir<br />
wahrzunehmen. Über ein halbes Jahr kam sie – stets gemeinsam mit der Sprechstundenhilfe<br />
– heimlich zu mir, um über ihre Gewalterfahrungen zu sprechen, vielfältige Alltagsprobleme<br />
anzugehen und dann endlich den Schritt raus aus der Beziehung vorzubereiten.<br />
Bei dieser Frau ging der Weg über das Frauenhaus, da nicht abzusehen war, wie<br />
brutal der Ehemann sie verfolgen würde bei einer konsequenten Trennung.<br />
Inzwischen lebt sie alleine, kommt sehr gut zurecht und hat den Kontakt zum Ehemann<br />
vollkommen abgebrochen. Die Kinder stehen alle auf ihrer Seite.<br />
Meine Empfehlungen lauten deshalb:<br />
1. Wir benötigen ausführlicheres Forschungsmaterial, um diesen speziellen<br />
Personenkreis näher kennen zu lernen und spezifische Ansätze erarbeiten zu können,<br />
die stärker greifen.<br />
2. Niedrigschwellige Angebote, wie sie in Frauenberatungsstellen auch für ältere Frauen<br />
angeboten werden, müssen längerfristig finanziell abgesichert werden. Nur dann<br />
können spezielle Unterstützungsmodelle entwickelt und durchgeführt werden.<br />
3. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit zu physischer und psychischer Gewalt muss die<br />
Zielgruppe der älteren Frauen stärker benannt werden. Nur so erfahren ältere Frauen<br />
auch, dass sie gesehen werden und ein Recht auf Hilfe haben.<br />
4. In allen Bereichen von Ausbildung und Studium müssen spezielle Schulungen eingebaut<br />
werden, die ÄrztInnen, Pflegekräfte und die Seelsorge darauf vorbereitet, dass<br />
sie die ersten Anzeichen von Gewalterfahrungen bei älteren Frauen ernst nehmen und<br />
lernen als erste Vertrauensperson darauf einzugehen. Ebenso gehört dieses Thema<br />
auch in alle pädagogische Bereiche, die sich mit <strong>Senioren</strong> auseinander setzen.<br />
Christine Schröder<br />
Expertenstatements<br />
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