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Berline Behindertenzeitung - HSP-Selbsthilfegruppe Deutschland EV

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Aktu e ll<br />

März 2011 BBZ<br />

Bestehende Aufgaben in einer Gesellschaft von<br />

immer mehr chronisch Kranken<br />

In der letzten Ausgabe der BBZ hatten<br />

wir Gedanken von Klaus Dörner,<br />

erschienen unter der Überschrift<br />

„Chronisch kranke Menschen – von<br />

der Medizin in ihrer Eigenart verkannt“<br />

in dem von Sigrid Graumann<br />

und Katrin Grüber herausgegebenen<br />

Buch „Medizin, Ethik und Behinderung“,<br />

zusammengefasst. Mit diesen<br />

geht er mit dem Blick in die Geschichte<br />

der Frage nach, was den Typus der<br />

chronischen Krankheit von dem der<br />

akuten Krankheit unterscheidet. Hier<br />

sollen die seines Erachtens aus dieser<br />

geschichtlichen Entwicklung abgeleiteten<br />

Aufgaben für die gegenwärtige<br />

Gesellschaft hierzulande dargestellt<br />

werden.<br />

Im Hinblick auf die chronischen<br />

Krankheiten hat es seines Erachtens<br />

Bedeutung, dass mit der Entdeckung<br />

der Ursachen der Infektionskrankheiten<br />

von den verschiedenen Tätigkeiten<br />

der Ärztin oder des Arztes das<br />

Heilen an die erste Stelle rückte und<br />

im Zuge dessen das Begleiten, das<br />

Lindern, das Bessern, Tätigkeiten, die<br />

in der Vormoderne auch zur Tätigkeit<br />

der Hausärzte gehörten, eher bedeutungslos<br />

wurden.<br />

Gleichzeitig entstand mit den chronisch<br />

Kranken, Menschen, die in der<br />

Vergangenheit in der akuten Phase<br />

ihrer Erkrankung gestorben wären,<br />

nun aber am Leben geblieben sind,<br />

eine völlig neue, in der Vergangenheit<br />

unbekannte Bevölkerungsgruppe.<br />

Und mit der Zunahme der therapeutischen<br />

Heilserwartung, die der medizinische<br />

Fortschritt mit sich brachte,<br />

sei allmählich der Traum der Aufklärung<br />

von einer leidensfreien Gesellschaft<br />

als herstellbar erlebt worden.<br />

Doch gleichzeitig wurden und werden<br />

wir „faktisch zu einer Gesellschaft<br />

von immer mehr chronisch Kranken“,<br />

in deren Gegenwart für Klaus Dörner<br />

die im Folgenden umrissene Aufgabe<br />

gestellt ist:<br />

- um die chronisch Kranken dort zu<br />

begleiten, wo sie leben, müsse Rehabilitation,<br />

die immer noch in großem<br />

Umfang gemeindefern und stationär<br />

angeboten wird, stattdessen ambulant<br />

und kommunal angeboten werden;<br />

- Rehabilitation müsse statt aus einer<br />

Reihe begrenzter Maßnahmen in<br />

einem Recht auf permanente und<br />

lebensbegleitende Versorgung für die<br />

chronisch Kranken bestehen,<br />

- die Medizin benötige neben ihrer<br />

Akut-Kranken-Medizin eine eigene<br />

Chronisch-Kranken-Medizin, die<br />

vom Letzten her denken und handeln<br />

kann;<br />

- der ärztliche Kern der Medizin ist für<br />

Klaus Dörner nicht das Modell der<br />

Therapie des Akut-Kranken, das als<br />

wirklicher Erfolg des Fortschritts zu<br />

feiern ist, sondern – und so ist es seines<br />

Erachtens immer gewesen – das<br />

biographische Begleiten des chronisch<br />

Kranken, also die Chronisch-<br />

Kranken-Medizin:<br />

Ein solches Begleiten bedeutet für<br />

Dörner unter anderem, dass beim<br />

Arzt – bezahlte – Zeit zur Verfügung<br />

stehen muss, „die Lebensgeschichte<br />

des Patienten sich immer wieder neu<br />

erzählen zu lassen, bis er seine chronische<br />

Erkrankung in seine Lebensgeschichte<br />

integriert hat“, bedeutet,<br />

„dass der Arzt zahllose (…) notwendige<br />

Umwege des Patienten mit ihm<br />

zu gehen hat“, bedeutet auch, dass<br />

„der Patient in seinem Sosein akzeptiert<br />

wird, (…) statt primär als eine zu<br />

verändernde Substanz aufgefasst zu<br />

werden“;<br />

- und auch für die zu Pflegebedürftigen<br />

Werdenden kann, so Dörner,<br />

das Heim immer weniger eine Perspektive<br />

sein: „In vielen Fällen ist<br />

es heute möglich, über die selbst<br />

gewählte Assistenz ein tragfähiges<br />

Netz in der Wohnung und um die<br />

Wohnung herum zu schaffen.“ „Wo<br />

dies aus welchen Gründen auch immer<br />

nicht möglich ist, bietet sich das<br />

Konzept der Hausgemeinschaft an,<br />

(…): Dabei leben pflegebedürftige<br />

Menschen gemeinsam, betreiben soweit<br />

wie möglich den Haushalt und<br />

erfahren im Übrigen die Betreuung,<br />

die sie auch rund um die Uhr benötigen,<br />

ohne dass die Kosten die eines<br />

Heimes übersteigen.“<br />

R. S.<br />

Seltene Erkrankungen sind häufig!<br />

- Auch die „<strong>HSP</strong>“ gehört dazu -<br />

Was ist eigentlich eine seltene<br />

Erkrankung? Der Sprachführer<br />

„Duden“ definiert das Wort „selten“<br />

als „in kleiner Zahl vorkommend“. Die<br />

Medizin in Europa hat festgelegt, dass<br />

eine Krankheit dann selten ist, wenn<br />

nicht mehr als 1 Person von 2000 betroffen<br />

ist. Allerdings sind heute etwa<br />

6000 seltene Erkrankungen bekannt,<br />

die diesen Kriterien entsprechen. In<br />

<strong>Deutschland</strong> leben über 4 Millionen<br />

Menschen mit einer seltenen Erkrankung;<br />

manchmal sind es nur eine<br />

Handvoll Menschen oder gar nur einzelne<br />

Personen, die mit einer der erwähnten<br />

6000 seltenen Erkrankungen<br />

leben.<br />

Manche Erkrankungen beeinträchtigen<br />

die Patienten extrem stark, von<br />

manchen Erkrankungen spürt man<br />

lange Jahre nichts. Doch eines haben<br />

diese Problemfälle der Medizin gemeinsam:<br />

fast alle seltenen Erkrankungen<br />

liegen in den Genen begründet,<br />

die Diagnose gleicht der „Suche<br />

nach der Nadel im Heuhaufen“. Meist<br />

leben die Betroffenen ohne zielgerichtete<br />

Therapie, ohne Medikamente und<br />

in einer ständigen Ungewissheit über<br />

die Folgen ihrer Erkrankung. Falls<br />

vielleicht doch eine Diagnose gestellt<br />

werden kann, ist der Weg zu einer geeigneten<br />

Therapie aufgrund geringer<br />

Erkenntnisse aus Wissenschaft und<br />

Forschung und einem vielfach mangelndem<br />

Expertenwissen oft lang und<br />

beschwerlich.<br />

In <strong>Deutschland</strong> gibt es ca. 90 Erkrankungen,<br />

die man als „selten“<br />

bezeichnen kann. Auch die „<strong>HSP</strong>“<br />

gehört dazu. Nur etwa 2500 Menschen<br />

leben bei uns mit der „Hereditären<br />

Spastischen Spinalparalyse“. Ein Genfehler<br />

verursacht ständig wachsende<br />

Bewegungsstörungen und führt dazu,<br />

dass Betroffene nach einigen Jahren<br />

zwingend auf den Rollstuhl angewiesen<br />

sind. Für diese seltene Krankheit<br />

stehen kaum Forschungsgelder zur<br />

Verfügung. Nur wenige Ärzte können<br />

einen Patienten kompetent zu dieser<br />

Erkrankung beraten. Die <strong>HSP</strong>-<strong>Selbsthilfegruppe</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> e.V. engagiert<br />

sich stark, um diese Defizite<br />

auszugleichen. Bundesweite jährliche<br />

Seminare verhelfen zu detaillierten<br />

Informationen (siehe auch im Internet<br />

unter www.hsp-verein.de) .<br />

In Europa sind fast 20 Millionen<br />

Menschen von einer dieser etwa 6000<br />

seltenen Erkrankungen betroffen. Die<br />

Europäische Union hat für diesen Personenkreis<br />

einen offiziellen Tag der<br />

Seltenen Erkrankungen (TdSE) eingerichtet.<br />

Dieser Tag dient dazu, in<br />

Politik, Gesellschaft, Forschung und<br />

Wissenschaft auf die Anliegen der Betroffenen<br />

einer seltenen chronischen<br />

Erkrankung hinzuweisen und dafür<br />

aufmerksam zu machen. Es ist jeweils<br />

der letzte Tag im Februar, diesmal am<br />

28.02.2011. In vielen Städten finden<br />

durch <strong>Selbsthilfegruppe</strong>n Veranstaltungen<br />

und Publikumsattraktionen<br />

statt, um auf die regionalen seltenen<br />

Erkrankungen hinzuweisen und auf<br />

die Notwendigkeit der Zusammenarbeit<br />

sowohl in ambulanten, stationären<br />

und rehabilitativen Bereichen.<br />

Ebenfalls müssen Physiotherapeuten,<br />

Logopäden, Apotheken und Sanitätshäuser<br />

die Bedürfnisse und Probleme<br />

der Erkrankten erkennen und aufgreifen.<br />

In <strong>Deutschland</strong> haben sich mittlerweile<br />

fast 90 Patientenorganisationen<br />

und Selbsthilfegrupppen unter<br />

dem Dach der Allianz Chronischer<br />

Seltener Erkrankungen (ACHSE)<br />

und unter der Schirmherrschaft von<br />

Eva Luise Köhler, der Frau des ehemaligen<br />

Bundespräsidenten, zusammengeschlossen,<br />

um sich dafür einzusetzen,<br />

Experten und Betroffene zu<br />

vernetzen, Forschung voranzutreiben<br />

und zu fördern und den Patienten<br />

Ratschläge und Tipps zu geben, ihr<br />

Leben mit einer seltenen Erkrankung<br />

so gut wie möglich zu bewältigen.

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