Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-01-13 (Vorschau)
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
3<br />
<strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> | Deutschland €5,00<br />
0 3<br />
4 1 98065 805008<br />
Aufpoliert<br />
Claudia Schiff er soll Opel retten<br />
Aufgestiegen<br />
Deutschlands beste Luxusmarken<br />
Brian Wong, 22,<br />
zählt mit seiner<br />
Internet-Werbefi<br />
rma Kiip zur<br />
neuen Garde der<br />
Unternehmer<br />
im Silicon Valley,<br />
die das Web<br />
revolutionieren<br />
Dieser<br />
Typ<br />
greift<br />
nach<br />
Ihrem<br />
Geschäft<br />
Wie das<br />
Internet alle<br />
Branchen<br />
auf den<br />
Kopf stellt<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Einblick<br />
„Mehr Europa“ – so lautet die Heilsformel in der<br />
Euro-Krise. Das Rezept gilt auch für den Arbeitsmarkt<br />
– mit allen Nebenwirkungen. Von Roland Tichy<br />
Jetzt kommt viel Europa<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Wer nur A sagt, aber nicht B,<br />
kriegt die Euro-Krise: Wer<br />
leistungsstarke und -schwache<br />
Länder unter einem Einheits-Währungsdach<br />
zusammensperrt<br />
und Inflationsliebhaber mit Inflationsangsthasen<br />
in einem Raum, darf sich<br />
nicht wundern, wenn es mit der gemeinsamen<br />
Währung knirscht und eiert und<br />
alle verlieren. Ohne mehr Europa wird der<br />
Euro nicht gesund, so lautet das Mantra.<br />
Beim gemeinsamen Arbeitsmarkt sieht<br />
es nicht anders aus – da treffen Länder mit<br />
starker Wirtschaft, hohen Löhnen und satten<br />
Sozialleistungen auf Habenichtse. Der<br />
Durchschnittslohn in Bulgarien beträgt gerade<br />
3,70 Euro pro Stunde; in Rumänien<br />
sind deutsche Hartz-IV-Leistungen ein übliches<br />
Ärztegehalt. Wenn sich jetzt die Europäer<br />
auf den Weg machen, um ihre Lage<br />
zu verbessern, darf man sie dafür nicht so<br />
garstig schelten wie die CSU; das Glück zu<br />
suchen ist aller Menschen Recht. Und<br />
wenn die D-Mark nicht zu uns kommt,<br />
dann kommen wir zur D-Mark – erinnert<br />
uns das an was? Das einzig Überraschende<br />
ist die gespielte Überraschung darüber.<br />
Denn wer in Europa a) Freizügigkeit verspricht,<br />
kann dann b) Europas Bürger nicht<br />
per Fingerabdruck nach Nationalität und<br />
Sozialstatus selektieren.<br />
Wollten nicht alle a) mehr Europa? Jetzt<br />
kommt b) Europa persönlich zum Sozialamt<br />
und wird die europaweite Anpassung<br />
auch in der Sozialpolitik erzwingen, so wie<br />
es die Fiskalunion vormacht. Dabei werden<br />
die Mindeststandards sinken, damit<br />
die Anreize für Sozialtourismus nicht zu<br />
hoch bleiben. Mehr Europa bedeutet mehr<br />
Umverteilung und mehr Gleichmacherei.<br />
Dabei gewinnen eher die da oben. Die<br />
deutsche Industrie jubelt über neue willige,<br />
billige und vor allem junge Arbeitskräfte,<br />
die Rettung vor dem Fachkräftemangel.<br />
Schon steigt die Beschäftigung – und<br />
gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit. Das<br />
passt zusammen, weil die neuen Arbeitsplätze<br />
an Zuwanderer gehen, während die<br />
Langzeitarbeitslosigkeit der Einheimischen<br />
andauert. So verfestigt sich der<br />
Elends-Sockel, denn am „German Trash“<br />
geht der Aufschwung vorbei. Der Mindestlohn<br />
ist auch der Versuch, das eingeborene<br />
Prekariat vor der neuen Schmutz-Konkurrenz<br />
zu schützen, die sich gern auch für<br />
sieben, sechs oder fünf Euro ausbeuten<br />
lässt – für Zuzügler ist das nicht wenig, sondern<br />
schnell verdientes Geld. So hat jede<br />
Partei wieder ihre Klientel in der Wagenburg:<br />
Die CSU hetzt gegen den Zuzug in<br />
Sozialsysteme. Die SPD will den Arbeitsmarkt<br />
gegen die neue Konkurrenz von unten<br />
abschotten – rein ja, aber arbeiten?<br />
Nein. Dann doch gleich Sozialamt?<br />
MENSCHEN FÜR DAS ALTERSHEIM<br />
Uneingeschränkt freuen dürfen sich auch<br />
die Rentner und Pensionäre. Sie gewinnen,<br />
wenn zuzieht, wen sie nicht selbst aufgezogen<br />
haben. Mit Steuern und Beiträgen hält<br />
die wachsende Multikulti-Belegschaft das<br />
Altersheim Deutschland am Laufen. Jedes<br />
Jahr sterben mehr Menschen als nachgeboren<br />
werden; so verschwindet jedes Jahr<br />
eine Stadt von der Größe von Mainz mit<br />
200 000 Menschen. Und Jahr für Jahr vergrößert<br />
sich das graue Volk der Rentner<br />
und Pensionäre dazu. Jedes Jahr eine zusätzliche<br />
Alten-Stadt von der Größe Bonns<br />
will finanziert, versorgt – und irgendwann<br />
gepflegt werden (siehe Seite 18).<br />
Geht das gut? Seit Kriegsende hat<br />
Deutschland immer neue Wanderungswellen<br />
verkraftet; erst Flüchtlinge und Heimatvertriebene,<br />
und wer aus Pommern im<br />
Rheinland strandete, war fast so fremd wie<br />
heute ein Sinto in Schwaben. Dann Italiener,<br />
Griechen, Spanier und Türken; 2000<br />
Moscheen zählt das Land inzwischen. Jetzt<br />
Osteuropäer und Flüchtlinge aus Somalia<br />
und Syrien. Europa wird in Sonntagsreden<br />
gefordert; soziale Konflikte in Duisburg<br />
und Mannheim, Streit vor Flüchtlingsheimen<br />
in Berlin-Marzahn sind der Alltag. Um<br />
die da unten kümmern sich die Sonntagsredner<br />
nicht, sie wohnen ja auch woanders.<br />
Bei den Mai-Wahlen zum Europaparlament<br />
wird sich zeigen, ob die kühnen<br />
Entwürfe von den Wählern bestätigt werden<br />
– oder das Konstrukt die Menschen<br />
überfordert. Jetzt geht es wirklich um mehr<br />
oder weniger Europa.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 3<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Venedig begrenzt Kreuzfahrten<br />
8 Pharma: Warnungen vor Medikamenten<br />
9 EU-Forschung: Israel soll zahlen |<br />
Finanztransaktionsteuer: Neuer Streit<br />
10 Interview: Der Chef des Beamtenbundes<br />
will vor das Verfassungsgericht ziehen<br />
11 Tourismus: Öger kommt zurück | Energiewende:<br />
Zweiklassen-Strom | SEPA: Bundesregierung<br />
gegen Fristverlängerung |<br />
Drei Fragen zum Outing schwuler Manager<br />
12 Franz Koch: Ex-Puma-Chef steigt bei Startup<br />
ein | BayernLB: Umstrittene Werbeshow<br />
14 Chefsessel | Startup Panono<br />
16 Chefbüro Dirk Graber und Mirko Caspar<br />
<strong>vom</strong> Online-Brillenhändler Mister Spex<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
18 Europa Bedroht die Armutswanderung die<br />
soziale Sicherung in Deutschland? | Wie sich<br />
Großbritannien vor Sozialtouristen schützt<br />
24 Kommunen Aus Geldmangel erfinden<br />
Städte neue Steuern und Gebühren<br />
28 Einkommen Die kalte Progression schlägt<br />
auch <strong>2<strong>01</strong>4</strong> wieder zu<br />
30 Iran Dem Abbau der Sanktionen folgt noch<br />
lange kein wirtschaftlicher Aufschwung<br />
33 Forum Rafael Seligmann über die neue<br />
Bedrohung der Sicherheit im Nahen Osten<br />
35 Berlin intern<br />
Titel Die digitalen Wilden<br />
Ein 22-jähriger Hochbegabter, ein<br />
Ex-Medienunternehmer, ein aggressiver<br />
Studienabbrecher – im kalifornischen<br />
Silicon Valley setzen Pioniere, Rosinenpicker<br />
und Enfants terribles neue<br />
Trends im Internet und greifen nach dem<br />
Geschäft etablierter Firmen. Seite 42<br />
Auf Wanderschaft in Europa<br />
Arbeitskräfte aus Bulgarien und Rumänien sind bei uns willkommen,<br />
Armutsflüchtlinge nicht. Lässt sich diese Trennung in<br />
einem Europa der Freizügigkeit aufrechterhalten? Seite 18<br />
Der Volkswirt<br />
36 Kommentar | Nachgefragt<br />
37 Konjunktur Deutschland<br />
38 Der Rohstoff-Radar<br />
39 Nachgefragt: Michael Bordo Der US-<br />
Ökonom warnt vor einem Börsen-Crash<br />
40 Denkfabrik DIW-Präsident Marcel<br />
Fratzscher hält Deutschland nicht für<br />
ein Opfer der Euro-Krise – eine Replik<br />
auf ifo-Chef Hans-Werner Sinn<br />
Unternehmen&Märkte<br />
42 Internet Die wichtigsten Trends und<br />
die neuesten Player, die etablierten Unternehmen<br />
nach dem Geschäft trachten |<br />
Interview: Wie Uber-Chef Travis Kalanick<br />
der deutschen Taxibranche zusetzen will<br />
50 Banken Neue Vorschriften zu Gehältern<br />
haben vor allem zu mehr Bürokratie geführt<br />
52 Luxus Uhren- und Autohersteller sind die<br />
Gewinner beim Luxusmarkenranking<br />
56 Autoindustrie In den USA könnte sich <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
der Kampf um die Weltspitze entscheiden<br />
60 Windreich Warum Gründer Willi Balz wieder<br />
beim Windpark-Projektierer auftaucht<br />
61 Frankreich Berater schulen Manager für<br />
Geiselnahmen durch erboste Arbeiter<br />
62 Interview: Jean-François Decaux Der Chef<br />
des weltgrößten Außenwerbers JC Decaux<br />
macht Werbetafeln internetfähig<br />
Viel mehr als<br />
nur heiße Luft<br />
Warum Anleger jetzt die Aktien<br />
von Unternehmen kaufen sollten,<br />
die im Visier von Aufkäufern<br />
stehen, in welchen Branchen das<br />
Übernahmefieber steigt. Seite 80<br />
TITELILLUSTRATION: MELLY LEE - HTTP://MELLYLEE.COM<br />
4 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Nr. 3, <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
Technik&Wissen<br />
64 Auto Eine neue Norm soll realistische Angaben<br />
über den Kraftstoffverbrauch liefern |<br />
VDA-Geschäftsführer Ulrich Eichhorn<br />
warnt vor einer Verschärfung der Klimaziele<br />
70 Genfood Dogmatismus und Arroganz<br />
brachten Deutschland um den Vorsprung in<br />
der grünen Biotechnik<br />
73 Valley Talk<br />
Management&Erfolg<br />
74 Serie Spurwechsel (II) Claudia Schiffer soll<br />
das angekratzte Opel-Image aufpolieren<br />
78 Sprengers Spitzen Warum eine Quote für<br />
Minderleister keinen Sinn macht<br />
Abgedreht<br />
Wie Marketingvorstand<br />
Tina Müller mithilfe von<br />
Top-Model Claudia Schiffer<br />
das angekratzte Image des Autobauers<br />
Opel aufpolieren will. Seite 74<br />
Geld&Börse<br />
80 Aktien Warum Anleger jetzt Papiere von<br />
Unternehmen kaufen sollten, die im Visier<br />
von Aufkäufern stehen<br />
86 Anleihen Dubiose Geschäftemacher tricksen<br />
mit Minibonds<br />
90 Prokon Der Windpark-Betreiber hat<br />
schlechte Zahlen vorgelegt, Investoren wollen<br />
vermehrt Genussrechte loswerden<br />
92 Steuern und Recht Riester gefährdet | Kirchensteuer<br />
| Einspruchsfrist Steuerbescheid<br />
94 Geldwoche Kommentar: Lebensversicherung<br />
| Trend: Leitzinsen | Dax-Aktien: Deutsche<br />
Bank | Hitliste: Börsen und BIP | Aktien:<br />
Bilfinger, Eldorado Gold | Anleihe: General<br />
Electric | Zertifikate: Fiat | Fonds: Scherrer<br />
Europa Small Cap | Chartsignal: US-Staatsanleihen<br />
| Relative Stärke: Commerzbank<br />
Perspektiven&Debatte<br />
100 Interview Leonardo DiCaprio Der „Wolf of<br />
Wall Street“ über den bösen Dollar<br />
103 Kost-Bar<br />
FOTOS: LAIF/HOLLANDSE HOOGTE/PETER VAN BEEK, KURT FUCHS, OPEL, LAIF/DANIEL PILAR<br />
Glasnost im Tank<br />
Neue Messverfahren liefern Autokäufern bald realistischere<br />
Verbrauchsangaben als bisher. Doch den Herstellern droht durch die<br />
weltweit gültige Norm eine Verschärfung der Klimaziele. Seite 64<br />
Purer Luxus<br />
Feinste Technik in Uhren, Autos,<br />
Kameras und Hi-Fi-Geräten wie<br />
denen von Dieter Burmester (Foto)<br />
prägt das Ranking der 30 besten<br />
deutschen Luxusmarken. Möbelhersteller<br />
landeten ebenfalls weit<br />
vorn, zu den Verlierern zählten die<br />
Modelabels. Seite 52<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 104 Leserforum,<br />
105 Firmenindex | Impressum, 106 Ausblick<br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diese Woche mit einem Video<br />
über den Wandel im Iran.<br />
Zudem gibt es Fotoseiten<br />
über die besten deutschen<br />
Luxusgüter und<br />
die neuesten Kreationen<br />
der Automobilbranche.<br />
wiwo.de/apps<br />
n AfD Auf dem Landesparteitag<br />
werden die Führungsquerelen der<br />
Alternative für Deutschland zur<br />
Sprache kommen. Wir berichten am<br />
Sonntag unter wiwo.de/afd<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 5<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Seitenblick<br />
KREUZFAHRTEN<br />
Limits am Lido<br />
Venedig schränkt den Kreuzfahrttourismus ein. Denn<br />
die Zahl der Schiffsurlauber ist stark gestiegen, sie<br />
lassen aber vergleichsweise wenig Geld in der Stadt.<br />
5Kreuzfahrtschiffe dürfen seit Jahresbeginn nur<br />
noch gleichzeitig in Venedig anlegen. Bis dahin gab<br />
es keine Beschränkung. Zudem wird der Verkehr von<br />
Schiffen mit mehr 40 000 Bruttoregistertonnen durch<br />
den Kanal Giudecca um 20 Prozent reduziert, zum<br />
Jahresende wird er Schiffen mit mehr als 96 000 Bruttoregistertonnen<br />
untersagt. Damit reagiert die Stadt<br />
auf Proteste gegen den stark gestiegenen Touristenstrom.<br />
In der Hochsaison fuhren wöchentlich mehr als<br />
70 Riesenschiffe direkt am Markusplatz vorbei.<br />
80 000Touristen kommen<br />
täglich in die Stadt, in deren historischem Zentrum<br />
nur 58 000 Einwohner leben. Von den jährlich<br />
30 Millionen Touristen reisen 1,7 Millionen per Kreuzfahrt<br />
an, 2002 waren das erst 500 000. Nicht nur in<br />
Venedig, auch in Dubrovnik oder Santorin löst die<br />
insgesamt wachsende Zahl an Kreuzfahrten Proteste<br />
aus – zumal diese Urlauber nur kurz Station machen<br />
und am Ort vergleichsweise wenig Geld ausgeben.<br />
25Euro lassen Tagestouristen durchschnittlich<br />
in Venedig. Betrachtet man alle Urlauber, also<br />
Tagestouristen und Hotelgäste, liegt der Schnitt bei<br />
169 Euro pro Tag. Venedig nimmt durch Kreuzfahrten<br />
290 Millionen Euro pro Jahr ein, insgesamt bringt der<br />
Tourismus 1,5 Milliarden Euro ein.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
6 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Eine Frage der Größe<br />
Die MSC Divina hat 1751<br />
Kabinen und misst<br />
<strong>13</strong>9 400 BRT. Damit fällt<br />
sie unter die neuen<br />
Restriktionen in Venedig<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 7<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
Höhere Anforderungen<br />
Institutspräsident<br />
Schwerdtfeger<br />
PHARMAINDUSTRIE<br />
Mehr Arznei-Warnungen<br />
Pharmakonzerne mahnen Ärzte immer<br />
häufiger wegen negativer Folgen ihrer<br />
Medikamente. Im vergangenen Jahr stieg<br />
die Zahl solcher Fälle sprunghaft an.<br />
Die Briefe sind mit dem Symbol einer roten Hand<br />
gekennzeichnet. „Wichtige Mitteilung über ein<br />
Arzneimittel“, beginnt der Text. Mit den sogenannten<br />
„Rote-Hand-Briefen“ warnen Medikamentenhersteller<br />
seit 1969 Ärzte über neue Risiken von<br />
Arzneimitten oder über fehlerhafte Chargen. Die<br />
Unternehmen verschicken die Briefe selbst – in Absprache<br />
mit den zuständigen Bundesbehörden wie<br />
dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />
in Bonn sowie dem Paul-Ehrlich-Institut<br />
in Langen bei Frankfurt. Die Ärzte sind dann gehalten,<br />
die entsprechenden Medikamente vorsichtiger<br />
zu verordnen oder bei bestimmten Patientengruppen<br />
einzuschränken.<br />
Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Rote-<br />
Hand-Brief überraschend stark an. Für mehr als 50<br />
Medikamente versandten die Hersteller Alarmschreiben;<br />
2<strong>01</strong>2 waren es nur 35 (siehe Grafik). Dies<br />
geht aus einer Auflistung der Arzneimittelkommission<br />
der deutschen Ärzteschaft hervor. Betroffen<br />
sind namhafte Hersteller wie Boehringer Ingelheim,<br />
Roche, GlaxoSmithKline und Novartis. In<br />
den Briefen warnen die Unternehmen etwa vor<br />
Infektionen oder Leberschäden.<br />
„Der Anstieg ist deutlich“, sagt Walter<br />
Schwerdtfeger, Präsident des Bundesinstituts.<br />
„Rote-Hand-Briefe werden allerdings heute viel<br />
häufiger eingesetzt als früher, da das Risikobewusstsein<br />
und die gesetzlichen Anforderungen,<br />
auch von europäischen Behörden, gestiegen sind.“<br />
Der Verband Forschender Arzneimittel-Hersteller<br />
(vfa) argumentiert:„In früheren Jahren wäre vielleicht<br />
die eine oder andere Information einfach nur<br />
über aktualisierte Packungsbeilagen und den Außendienst<br />
verbreitet worden; 2<strong>01</strong>3 wurde dafür ein<br />
Rote-Hand-Brief verschickt.“ Im Klartext:Viele Risiken<br />
wurden früher weniger ernst genommen. Laut<br />
vfa sei die Qualität der Medikamente nicht gesunken.<br />
Es gebe aber neue, schärfere Vorschriften für<br />
die Sicherheitsüberwachung von Arzneimitteln.<br />
Allein acht Rote-Hand-Briefe betrafen im<br />
vergangenen Jahr Medikamente des Schweizer<br />
Pharmariesen Roche. Als Innovationstreiber bringe<br />
Roche im Vergleich zur Branche viele neue Produkte<br />
auf den Markt, erklärt das Unternehmen auf<br />
Anfrage. Bei „sicherheitsrelevanten Aspekten“ gehe<br />
man in enger Abstimmung mit den Behörden „den<br />
Weg weitestmöglicher Transparenz“. Roche nutze<br />
zudem Rote-Hand-Briefe, um Ärzte über „Medikamentenfälschungen<br />
durch Dritte“ zu informieren.<br />
Dies galt 2<strong>01</strong>3 für eine Charge des Hepatitismittel<br />
Pegasys. Insgesamt erhalten in Deutschland rund<br />
5000 Patienten das Mittel.<br />
juergen.salz@wiwo.de<br />
Häufiger Alarm<br />
Zahl der Arzneimittel-<br />
Warnbriefe<br />
5<br />
23<br />
24<br />
21<br />
16<br />
44<br />
35<br />
54<br />
06 07 08 09 10 11 12 <strong>13</strong><br />
Quelle:Arzneimittelkommission der<br />
deutschen Ärzteschaft<br />
8 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: LAIF/DAVID KLAMMER, AP PHOTO/MICHEL EULER, BENDYWORKS INC., PHOTOTHEK.NET/UTE GRABOWSKY<br />
FINANZTRANSAKTIONSTEUER<br />
Berlin und Paris zerstritten<br />
Die Verhandlungen über die<br />
Einführung einer europäischen<br />
Finanztransaktionsteuer (FTT)<br />
gestalten sich schwierig. Ausgerechnet<br />
zwischen Paris und<br />
Berlin, den treibenden Kräften,<br />
entzündet sich ein Streit. Die<br />
Franzosen wollen nur den Aktienhandel<br />
besteuern, so wie sie<br />
es seit ihrem nationalen Alleingang<br />
im Jahr 2<strong>01</strong>3 tun. Bundesfinanzminister<br />
Wolfgang<br />
Schäuble (CDU) möchte dagegen<br />
weitere Finanzprodukte<br />
einbeziehen. So steht es auch<br />
im Koalitionsvertrag. Da sich<br />
die Delegationen nicht einigen<br />
können, sollen nun Schäuble<br />
und sein französischer Kollege<br />
Pierre Moscovici entscheiden.<br />
Auch die Umsetzung gilt in<br />
der Verhandlungsdelegation als<br />
Der 1,2-Millionen-Euro-Jobber<br />
Brauchtdie Bahn einen so teuren Lobbyisten wie Roland Pofalla, während anderswo Züge aus Personalmangel ausfallen?<br />
Ein Pofalla-<br />
Vorstandsgehalt<br />
entspricht<br />
problematisch. Zweifel bestehen<br />
am weltweiten Durchgriff<br />
einer europäischen FTT. Dass<br />
etwa die Börse in Singapur<br />
beim Verkauf von Dax-Aktien<br />
die FTT erhebe und an den<br />
deutschen Fiskus überweise, sei<br />
eher unwahrscheinlich, heißt<br />
es aus dem Bundesfinanzministerium.<br />
Entsprechende Erfahrungen<br />
machen derzeit die<br />
Franzosen mit ihrer nationalen<br />
Transaktionsteuer.<br />
Bei einer lückenhaften FTT<br />
„drängen sich aber Wettbewerbsverzerrungen<br />
für die<br />
deutsche Wirtschaft geradezu<br />
auf“, kritisiert Malte Weisshaar<br />
<strong>vom</strong> Deutschen Industrie- und<br />
Handelskammertag (DIHK).<br />
Der lehnt die FTT ab.<br />
36 39<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
Jetzt müssen die Chefs ran Finanzminister Schäuble und Moscovici<br />
oder<br />
Aufgeschnappt<br />
Auto-Karton Eine gigantische<br />
Amazon-Kiste löste im Städtchen<br />
Madison im US-Bundesstaat<br />
Wisconsin Verwunderung<br />
aus. Der Online-Händler lieferte<br />
darin einen Nissan Versa Note<br />
aus. Im Rahmen einer Werbeaktion<br />
konnten Interessierte das<br />
Auto bei Amazon bestellen. Insgesamt<br />
wurden drei Fahrzeuge<br />
in Kartons ausgeliefert.<br />
Google-Maut In San Francisco<br />
wächst der Protest gegen Unternehmen<br />
wie Google, die ihre<br />
Mitarbeiter täglich mit eigenen<br />
Luxusbussen aus der Stadt ins<br />
Silicon Valley bringen. Demonstranten<br />
befürchten, dass so<br />
noch mehr gut bezahlte IT-Experten<br />
nach San Francisco ziehen<br />
und die Mieten hoch treiben.<br />
Jetzt hat die Stadtverwaltung<br />
reagiert: Sie fordert von<br />
den Konzernen eine Verkehrsabgabe,<br />
weil sie städtische Haltestellen<br />
anfahren. 1,5 Millionen<br />
Dollar soll das in den nächsten<br />
anderthalb Jahren einbringen.<br />
oder<br />
EU-FORSCHUNG<br />
Israel soll<br />
mehr zahlen<br />
Die EU fördert auch Forscher<br />
außerhalb Europas. Insgesamt<br />
investierte sie seit 2007 rund 55<br />
Milliarden Euro in die Wissenschaft.<br />
Doch wenn Forscher außerhalb<br />
der EU Geld in Brüssel<br />
beantragen, zahlen in der Regel<br />
ihre Heimatländer Eigenbeiträge<br />
in gleicher Höhe – mit einer Ausnahme:<br />
Israel. Teilnehmer aus<br />
dem Land wurden seit 2007<br />
durch das Siebte EU-Rahmenprogramm<br />
mit 741 Millionen<br />
Euro gefördert, etwa bei der Erforschung<br />
neuer Wege, Lebensmittel<br />
sicherer zu machen und<br />
Krebs zu bekämpfen. Im Gegenzug<br />
steuerte Tel Aviv allerdings<br />
nur 534 Millionen Euro bei. Unterm<br />
Strich zahlten europäische<br />
Steuerzahler den Forschern also<br />
rund 200 Millionen Euro mehr<br />
als die israelischen.<br />
EU-Kommissarin Máire<br />
Geoghegan-Quinn will das<br />
Ungleichgewicht nun beseitigen.<br />
Die Irin verhandelt mit<br />
Israel über die Details des Ende<br />
2<strong>01</strong>3 gestarteten Nachfolgeprogramms<br />
Horizont 2020. In dessen<br />
Rahmen will die EU weltweit<br />
79 Milliarden Euro an Forscher<br />
auszahlen.<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />
40<br />
Lokführergehältern*<br />
Zugbegleitergehältern*<br />
Stellwerkergehältern*<br />
*Berufseinsteiger<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 9<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Sozial schwach<br />
Mag eine Frau sechs<br />
Kinder von fünf Männern<br />
geboren oder ein<br />
Mann acht Kinder mit<br />
sieben Frauen gezeugt<br />
haben, so gelten beide<br />
bei eingeschränkter<br />
Kaufkraft trotz augenscheinlich<br />
erwiesener<br />
Kontaktfreudigkeit stets<br />
als sozial schwach.<br />
Kinderlose Multimillionäre<br />
und Milliardäre<br />
werden gleichwohl als<br />
sozial stark bezeichnet –<br />
auch dann, wenn sie im<br />
gesellschaftlichen<br />
Umgang wiederholt<br />
dezidiert eigenbrötlerisch<br />
gehandelt haben.<br />
Ein zunehmende<br />
Akzentuierung des<br />
Monetären im Sozialen<br />
ist mithin kaum mehr<br />
zu leugnen.<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Carlos A. Gebauer, 49,<br />
arbeitet als Rechtsanwalt in<br />
Düsseldorf, wurde auch als<br />
Fernsehanwalt von RTL und<br />
SAT.1 bekannt.<br />
INTERVIEW Klaus Dauderstädt<br />
»Vernichtungswettbewerb<br />
der Gewerkschaften«<br />
Der Chef des Deutschen Beamtenbundes will die<br />
tarifpolitischen Pläne der großen Koalition vor das<br />
Bundesverfassungsgericht bringen.<br />
Herr Dauderstädt, nach dem<br />
Willen der neuen Bundesregierung<br />
soll künftig in einem Betrieb<br />
nur noch ein Tarifvertrag<br />
gelten. So will sie verhindern,<br />
dass sich konkurrierende<br />
Gewerkschaften in einem Unternehmen<br />
hochschaukeln...<br />
...nein, in Wahrheit geht es darum,<br />
das Recht des Stärkeren in<br />
der Tarifpolitik einzuführen!<br />
Dies verstößt klar gegen die im<br />
Grundgesetz garantierte Koalitionsfreiheit<br />
und kann zu einem<br />
Vernichtungswettbewerb zwischen<br />
Gewerkschaften führen.<br />
Wenn eine kleinere Gewerkschaft<br />
in einem Betrieb keine<br />
Möglichkeit mehr hat, Einfluss<br />
auf die Arbeitsbedingungen ihrer<br />
Mitglieder zu nehmen, kann<br />
sie sich doch gleich auflösen.<br />
Bundesinnenminister Thomas<br />
de Maizière sieht das anders<br />
und hat in der vergangenen<br />
Woche die Pläne noch einmal<br />
bekräftigt. Wie wird Ihre<br />
Organisation auf ein entsprechendes<br />
Gesetz reagieren?<br />
Wir werden ein Gesetz zur Tarifeinheit<br />
umgehend vor das Bundesverfassungsgericht<br />
bringen.<br />
Wie denn? Als Gewerkschaft<br />
steht Ihnen kein Recht auf<br />
abstrakte Normenkontrollklagen<br />
in Karlsruhe zu.<br />
Richtig, aber wir können den<br />
Umweg über den Tarifkonflikt<br />
nehmen und den Tatbestand<br />
für eine Verfassungsklage schaffen.<br />
Dies ginge besonders gut<br />
bei der Bahn. Die zum Beamtenbund<br />
gehörende Gewerkschaft<br />
der Lokomotivführer<br />
(GDL) etwa organisiert zwar 80<br />
Prozent der Lokführer, ist aber<br />
konzernweit unstreitig kleiner<br />
als die Bahngewerkschaft EVG,<br />
die zum Deutschen Gewerk-<br />
schaftsbund gehört. Sollte sich<br />
die Bahn mit Verweis auf ein<br />
Gesetz zur Tarifeinheit weigern,<br />
mit der GDL zu verhandeln,<br />
könnte die GDL schlicht streiken.<br />
Die Bahn würde versuchen,<br />
dies juristisch zu unterbinden<br />
– und schon wären wir<br />
vor Gericht. Ich gehe davon aus,<br />
dass jedes deutsche Arbeitsgericht<br />
den Fall dann direkt nach<br />
Karlsruhe durchreicht.<br />
Stimmen Sie Ihr Vorgehen mit<br />
anderen Spartengewerkschaften<br />
wie dem Marburger Bund<br />
oder Cockpit ab?<br />
AUF KONFRONTATIONSKURS<br />
Klaus Dauderstädt, 65, ist seit<br />
2<strong>01</strong>2 Vorsitzender des Deutschen<br />
Beamtenbunds (DBB).<br />
DBB Die Organisation ist längst<br />
keine reine Staatsdienervertretung<br />
mehr, sondern zunehmend<br />
auch Tarifpartei. Unter dem Dach<br />
des DBB sind 43 Mitgliedsgewerkschaften<br />
organisiert. Sie<br />
vertreten knapp 1,3 Millionen<br />
Beschäftigte, darunter knapp<br />
370 000 Angestellte. Eigene<br />
Tarifverträge handeln zum Beispiel<br />
die Lokführergewerkschaft<br />
(GDL) und die Gewerkschaft der<br />
Sozialversicherung (GdS) aus.<br />
Bisher ist die Kooperation eher<br />
lose. Aber wir wollen uns bald<br />
zusammensetzen.<br />
Völlig von der Hand zu weisen<br />
sind die Regulierungsargumente<br />
der Politik nicht. Seit das<br />
Bundesarbeitsgericht die<br />
Tarifeinheit 2<strong>01</strong>0 gekippt hat,<br />
ist die Zahl der Streiktage<br />
gestiegen. An Flughäfen etwa<br />
dürfte inzwischen so ziemlich<br />
jede Berufsgruppe für ihre spezifischen<br />
Ziele gestreikt haben.<br />
Das hat nichts mit der Debatte<br />
um Tarifeinheit zu tun. Und da<br />
Sie die Flughäfen ansprechen:<br />
Hier gingen die jüngsten Streikaktionen<br />
meist nicht von Spartengewerkschaften<br />
aus. Sondern<br />
von Verdi.<br />
Würden Sie eine Tarifeinheit<br />
light akzeptieren, bei der die<br />
größere Gewerkschaft im Betrieb<br />
zum Zuge kommt – aber<br />
die Konkurrenz per Kooperationsvertrag<br />
einbinden muss?<br />
Ich weiß, dass es derartige<br />
Überlegungen im Bundesarbeitsministerium<br />
gab. Aber das<br />
ist Augenwischerei; das kann<br />
man sich schenken. Ein solcher<br />
Deal würde ja nicht verhindern,<br />
dass es Koch und Kellner gibt.<br />
Solche formal vorgeschriebenen<br />
Gespräche scheitern, bevor<br />
das Sprudelwasser serviert ist.<br />
Was passiert in Betrieben mit<br />
mehreren Gewerkschaften, wo<br />
nicht klar ist, welche vor Ort<br />
die meisten Mitglieder hat?<br />
Wer die stärkste Gewerkschaft<br />
ist, müsste ein Notar ermitteln –<br />
ein bürokratisches Horrorszenario.<br />
Stellen wir uns eine Krankenkasse<br />
mit 200 Beschäftigten<br />
vor. 14 Mitarbeiter sind bei Verdi<br />
und 15 bei der konkurrierenden<br />
Gewerkschaft der Sozialversicherung<br />
(GdS) organisiert.<br />
Was wird passieren? Verdi wirbt<br />
dann zwei neue Mitglieder an,<br />
lässt das ebenfalls notariell beglaubigen<br />
und fordert den Arbeitgeber<br />
zu Tarifverhandlungen<br />
auf. Die GdS wird dann<br />
ihrerseits versuchen, neue Mitglieder<br />
zu akquirieren. So läuft<br />
das Spielchen immer weiter.<br />
Das soll Betriebsfrieden sein?<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
FOTO: PHOTOTHEK.NET/THOMAS TRUTSCHEL; ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
10 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: PRESSEBILD.DE/BERTOLD FABRICIUS, PR<br />
TOURISMUS<br />
Ögers zweite<br />
Karriere<br />
Vural Öger, einst Deutschlands<br />
siebtgrößter Reiseveranstalter,<br />
kommt nicht zur Ruhe. Vor drei<br />
Jahren erst verkaufte er Öger<br />
Tours, den größten Anbieter<br />
von Türkei-Reisen, für rund 30<br />
Millionen Euro an den Touristikkonzern<br />
Thomas Cook. Jetzt,<br />
mit 71 Jahren, gründet er wieder<br />
ein Unternehmen: Vural Öger<br />
Touristik. Unter der Marke V.Ö.<br />
Travel bietet es – Pauschalurlaub<br />
in der Türkei an.<br />
„Vielleicht brauche ich den<br />
Nervenkitzel“, sagt Öger. Zumal<br />
auch seine politische Karriere<br />
beendet ist. Von 2004 bis 2009<br />
saß er für die SPD im Europäischen<br />
Parlament. Vielleicht<br />
bangt Öger aber auch um seine<br />
Incoming-Agentur, die er nicht<br />
an Thomas Cook abgegeben<br />
ENERGIEWENDE<br />
Sicherer<br />
Strom teurer<br />
Eine sichere Stromversorgung<br />
ist einer Studie zufolge ohne<br />
weitere Subventionen möglich,<br />
selbst wenn erneuerbare Energien<br />
zunehmend klassische<br />
Kraftwerke ersetzen. In dem<br />
noch unveröffentlichten Papier<br />
schlägt das Institut der deutschen<br />
Wirtschaft (IW) eine<br />
Lösung für eines der drängendsten<br />
Probleme der Energiewende<br />
vor: Es muss eine<br />
verlässliche Reserve geben,<br />
falls es mal windstill ist oder<br />
Wolken die Sonne verdecken.<br />
„Die meisten Vorschläge bisher<br />
zielen nur darauf, wie genug<br />
Angebot bereitgestellt werden<br />
kann“, sagt Hubertus Bardt,<br />
einer der Autoren. So gibt es die<br />
Forderung, Betreiber klassischer<br />
Kraftwerke zu subventionieren,<br />
damit diese am Netz<br />
Nervenkitzel gesucht Startup-Senior Öger<br />
hat, die aber im Auftrag des<br />
Konzerns dessen Touristen in<br />
der Türkei betreut. Der Vertrag<br />
läuft 2<strong>01</strong>5 aus, Thomas Cook<br />
will ihn nicht verlängern.<br />
Schon Ende Januar erscheint<br />
Ögers neuer 288 Seiten starker<br />
Reisekatalog, 270 Hotels bietet<br />
er an – auch online. Mit rund<br />
100 000 Gästen rechnet er im<br />
ersten Jahr. „Wenn so viele<br />
bleiben, selbst wenn sie kaum<br />
noch gebraucht werden.<br />
Bardt dagegen geht das Problem<br />
von der Nachfrage an:<br />
Stromkunden sollen je nach garantierter<br />
Versorgungssicherheit<br />
unterschiedliche Preise<br />
zahlen. Chiphersteller oder<br />
Aluminiumhütten, für die<br />
Stromausfälle gravierend sind,<br />
zahlen mehr. Wen ein kurzer<br />
Stromausfall weniger stört,<br />
zahlt einen niedrigeren Preis.<br />
An der Leipziger Strombörse<br />
entstünde ein neues Segment,<br />
sagt Bardt. Dort würde garantierter<br />
Strom für die Zukunft gehandelt.<br />
Liefert ein Erzeuger<br />
nicht, wären hohe Strafen fällig.<br />
Viel billiger würde die Energiewende<br />
zwar nicht. Zahlen<br />
würde am Ende aber vor allem,<br />
wer garantierten Strom<br />
braucht. Der Branchenverband<br />
BDEW und der Bundesverband<br />
der Deutschen Industrie fordern<br />
wie das IW mehr Wettbewerb<br />
statt Subventionen.<br />
cordula.tutt@wiwo.de | Berlin<br />
kommen, mache ich schon<br />
Gewinn“, sagt Öger. Denn er<br />
will Synergien nutzen: In der<br />
Türkei besitzt er acht Hotels, in<br />
Hamburg das Unternehmen<br />
Öger Türk Tur, das Flüge vermittelt.<br />
Bisher war dem Mann,<br />
der 1961 aus der Türkei nach<br />
Deutschland einwanderte,<br />
Erfolg beschieden.<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
SEPA-ÜBERWEISUNG<br />
Berlin kontert<br />
Die Bundesregierung lehnt den<br />
Plan der EU-Kommission ab,<br />
die Frist für die Umstellung des<br />
Zahlungsverkehrs auf europaweite<br />
Standards um sechs Monate<br />
zu verlängern. „Die Bundesregierung<br />
hat sich mit<br />
Nachdruck dafür eingesetzt,<br />
dass Deutschland die Sepa-<br />
Umstellung rechtzeitig zum<br />
1. Februar schafft, und wird dies<br />
auch weiter tun“, bekräftigt das<br />
Bundesfinanzministerium.<br />
Laut Bundesbank werden in<br />
Deutschland erst 32 Prozent aller<br />
Überweisungen im neuen<br />
Standard ausgeführt. Die Bank<br />
für Sozialwirtschaft in Köln rät<br />
ihren Kunden, sie sollten an der<br />
Februar-Frist festhalten, denn<br />
das EU-Parlament und der EU-<br />
Ministerrat hätten der Fristverlängerung<br />
noch gar nicht zugestimmt.<br />
mark.fehr | Frankfurt, julia leendertse<br />
DREI FRAGEN...<br />
...zum Outing<br />
homosexueller Manager<br />
Bernd<br />
Schachtsiek<br />
64, Chef des<br />
Bundesverbandes<br />
schwuler<br />
Führungskräfte<br />
n Ist das Outing des ehemaligen<br />
Fußballstars Thomas<br />
Hitzlsperger auch ein Signal<br />
für schwule Manager?<br />
Das glaube ich nicht. Natürlich<br />
gibt es auch schwule Dax-<br />
Vorstände. Die wollen sich<br />
aber nicht outen, weil sie mit<br />
ihrer beruflichen Leistung in<br />
der Öffentlichkeit stehen wollen<br />
und nicht mit ihrem Privatleben.<br />
Manchmal weihen sie<br />
ihre engsten Mitarbeiter ein.<br />
n In deutschen Chefetagen<br />
gibt es also weniger Homophobie<br />
als in der Kabine?<br />
Schwulenwitze gibt es überall,<br />
genauso wie Blondinenwitze.<br />
Ich kann da auch drüber<br />
lachen – wenn sie gut sind.<br />
Wichtig ist nur: Handelt es sich<br />
dabei um einen Gag oder eine<br />
Geisteshaltung? Oft ist es nur<br />
Gedankenlosigkeit, keine Diskriminierung.<br />
Bei Beförderungen<br />
sieht das anders aus:<br />
Da wird häufig der bevorzugt,<br />
der dem Chef ähnlich ist.<br />
Außerdem gehen Studien davon<br />
aus, dass zehn Prozent der<br />
Arbeitsleistung verloren gehen,<br />
wenn sich ein Mitarbeiter<br />
permanent verstellen muss.<br />
n Was raten Sie schwulen<br />
Managern?<br />
Je länger Sie mit Ihrem Outing<br />
warten, je eher können sich<br />
Kollegen hintergangen fühlen.<br />
Klären Sie aber vorher, wie<br />
Ihr Arbeitgeber generell zu<br />
Homosexualität steht. Suchen<br />
Sie sich Unterstützer, im Unternehmen<br />
und außerhalb. Es<br />
kommen auf jeden Fall Reaktionen<br />
– aber sie sind in der<br />
Regel positiver als befürchtet.<br />
lin.freitag@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 11<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
WIRTSCHAFTSWOCHE I<br />
Erneut vorn<br />
Die WirtschaftsWoche ist auch<br />
2<strong>01</strong>3 das meistzitierte Wirtschaftsmagazin<br />
in Deutschland.<br />
396 Mal griffen andere<br />
Medien deren Meldungen auf.<br />
Das geht aus der jüngsten<br />
Untersuchung von Media Tenor<br />
hervor. Das „ManagerMagazin“<br />
kommt auf 129 Zitate und „Capital“<br />
auf 14. Unter allen Wirtschaftsmedien<br />
inklusive der<br />
börsentäglich erscheinenden<br />
Zeitungen erreicht die WirtschaftsWoche<br />
Platz drei hinter<br />
„Handelsblatt“ (672 Zitate) und<br />
„Wall Street Journal“ (531).<br />
WIRTSCHAFTSWOCHE II<br />
Geehrt<br />
WirtschaftsWoche-Reporterin<br />
Melanie Bergermann wurde<br />
zur „Wirtschaftsjournalistin des<br />
Jahres 2<strong>01</strong>3“ gekürt. Sie beeindruckte<br />
die Jury durch viele<br />
Enthüllungen, darunter die zur<br />
S&K-Gruppe. Für diese Arbeit<br />
hatte Bergermann zuvor schon<br />
den Georg von Holtzbrinck-<br />
Preis bekommen. Wirtschafts-<br />
Woche-Chefredakteur Roland<br />
Tichy gewann in der Kategorie<br />
„Wirtschaftspolitik und Gesellschaft“.<br />
Die Preise verleiht das<br />
Magazin „Wirtschaftsjournalist“<br />
am 18. März in Frankfurt.<br />
BAYERNLB<br />
Auftritt<br />
irritiert<br />
Der Auftritt der BayernLB auf<br />
der Tagung des Weltbankenverbandes<br />
IIF im Oktober in Washington<br />
hat jetzt ein politisches<br />
Nachspiel. Dort präsentierte<br />
sich die Landesbank unter<br />
Führung ihres Vorstandsvorsitzenden<br />
Gerd Häusler als<br />
„Bank mit Herz“. Das Institut<br />
trat neben internationalen<br />
<strong>13</strong>. <strong>01</strong>. Euro-Scheine In Frankfurt präsentiert die Europäische<br />
Zentralbank (EZB) am Montag die neuen<br />
Zehn-Euro-Scheine. Sie sind besser vor Fälschungen<br />
geschützt und kommen im Herbst heraus.<br />
Im vergangenen Jahr gab die EZB bereits neue<br />
Fünf-Euro-Banknoten aus.<br />
Schoko-Streit Das Landgericht München verkündet<br />
sein Urteil im Streit zwischen dem Schokoladenhersteller<br />
Ritter und der Stiftung Warentest. Sie<br />
wirft dem Unternehmen vor, den Ritter Sport-Nuss-<br />
Tafeln chemisch hergestelltes Aroma beigemischt<br />
zu haben, obwohl auf der Verpackung<br />
„natürliches Aroma“ deklariert<br />
ist. Ritter besteht darauf,<br />
nur natürliches Aroma zu<br />
verwenden.<br />
15. <strong>01</strong>. Konjunktur Das Statistische Bundesamt gibt am<br />
Mittwoch bekannt, wie sich Bruttoinlandsprodukt<br />
(BIP) und Staatsdefizit 2<strong>01</strong>3 entwickelt haben.<br />
Chemie-Tarifrunde Nach dem Auftakt in den<br />
Regionen verhandeln die Gewerkschaft IG BCE<br />
und der Bundesarbeitgeberverband Chemie nun<br />
auf Bundesebene. Die Gewerkschaft fordert<br />
5,5 Prozent mehr Lohn, die Arbeitgeber verlangen<br />
hingegen eine „Kostenbremse“.<br />
17. <strong>01</strong>. ThyssenKrupp Auf der Hauptversammlung in<br />
Bochum müssen Vorstandschef Heinrich Hiesinger<br />
und Aufsichtsratsvorsitzender Ulrich Lehner<br />
den Aktionären am Freitag erklären, wie sie den<br />
angeschlagenen Konzern wieder auf Kurs bringen.<br />
19. <strong>01</strong>. FDP Die Liberalen stimmen am Sonntag auf ihrem<br />
Parteitag in Bonn über den Spitzenkandidaten<br />
für die Europawahl ab. Als Favorit gilt Alexander<br />
Graf Lambsdorff. Der 47-Jährige sitzt seit 2004 im<br />
Europäischen Parlament.<br />
Großbanken als Sponsor auf, an<br />
einem eigenen Stand buken<br />
Mitarbeiter Lebkuchen und verteilten<br />
Werbebroschüren.<br />
Der weltläufige Auftritt irritiert<br />
nun die Landespolitik.<br />
Schließlich musste der Steuerzahler<br />
die Bank 2009 mit zehn<br />
Milliarden Euro retten, im Gegenzug<br />
zieht sie sich weitgehend<br />
aus dem internationalen<br />
Geschäft zurück.<br />
Auf eine Anfrage der Landtags-Vizepräsidentin<br />
Inge Aures<br />
(SPD) erklärt die Bank, der Ausflug<br />
in die USA habe bezweckt,<br />
TOP-TERMINE VOM <strong>13</strong>.<strong>01</strong>. BIS 19.<strong>01</strong>.<br />
„international für die Geschäftspartner<br />
sichtbar zu unterstreichen,<br />
dass die Bank wieder<br />
da ist“. Die Kosten für die<br />
„wertvolle Kommunikationsmaßnahme“<br />
seien „angemessen<br />
und marktüblich“. Aures<br />
überzeugt das nicht:„Das großspurige<br />
Sponsoring einer internationalen<br />
Bankentagung ist<br />
ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiter<br />
der Bank.“<br />
Die BayernLB hat angekündigt,<br />
in den kommenden Jahren<br />
bis zu 500 Stellen abzubauen.<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
LESARA<br />
Ex-Puma-Chef<br />
investiert<br />
Nach seinem Abgang als Chef<br />
von Puma im vergangenen<br />
März war Franz Koch abgetaucht.<br />
Nun meldet er sich als<br />
Investor zurück:Koch beteiligt<br />
sich am Berliner Internet-Händler<br />
Lesara. „Was Tchibo, Aldi<br />
und Lidl seit Jahren machen,<br />
überträgt Lesara ins Internet“,<br />
sagt Koch. Das Unternehmen<br />
bietet auf seiner Online-Seite<br />
Uhren, Kleidung oder Haushaltsgeräte<br />
zu Sonderpreisen<br />
an. „Es gibt zwar viele Online-<br />
Geld für Online-Discounter<br />
Pumas früherer Chef Koch<br />
Shops, aber keinen Discount-<br />
Spezialisten“, sagt Koch. „Das ist<br />
für mich ein Erfolg versprechendes<br />
Geschäftsmodell.“<br />
An der Finanzierungsrunde<br />
über mehrere Millionen Euro<br />
beteiligten sich auch der frühere<br />
StudiVZ-Chef Michael<br />
Brehm und mehrere Risikokapitalgeber<br />
wie Partech Ventures<br />
aus Frankreich.<br />
Lesara war im November<br />
gestartet, nachdem Gründer<br />
Roman Kirsch den von ihm<br />
aufgebauten Shoppingclub<br />
Casacanda an den US-Online-<br />
Händler Fab.com verkauft hatte.<br />
„Ich werde Roman Kirsch<br />
auch als Mentor beistehen“,<br />
verspricht Koch. Ob er sich an<br />
weiteren Startups als Business<br />
Angel beteiligt, will der 34-Jährige<br />
auch <strong>vom</strong> Erfolg des Lesara-<br />
Investments abhängig machen.<br />
Er sucht derzeit noch nach einer<br />
neuen operativen Tätigkeit,<br />
es gebe noch nichts Konkretes.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTO: DDP IMAGES/JÖRG KOCH<br />
12 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
STARTUP<br />
HEWLETT-PACKARD<br />
Angelika Gifford, 48, leitet<br />
jetzt den Geschäftsbereich<br />
HP Software für Deutschland,<br />
Österreich und die<br />
Schweiz – ein Segment, mit<br />
dem sie bestens vertraut ist:<br />
Sie kommt <strong>vom</strong> Softwareriesen<br />
Microsoft, wo sie 21 Jahre<br />
auf verschiedenen Positionen<br />
gearbeitet hat. Zuletzt<br />
verantwortete die Bankbetriebswirtin<br />
in der Geschäftsleitung<br />
den Bereich Public<br />
Sector.<br />
MICROSOFT<br />
SAP<br />
Stefan Ries, 47, wird spätestens<br />
zum 1. April weltweit<br />
zuständiger Personalchef<br />
des Softwarekonzerns. Arbeitsdirektor<br />
und Vorstandsmitglied<br />
wird er vorerst aber<br />
nicht. Bisher kümmerte sich<br />
Finanzvorstand Werner<br />
Brandt ums Personalwesen.<br />
Er scheidet im Juni aus. Mit<br />
Ries heuert SAP einen Altbekannten<br />
an. Er war bereits<br />
zwischen 2002 und 2<strong>01</strong>0 im<br />
Personalwesen von SAP tätig.<br />
Derzeit arbeitet der Betriebswirt<br />
als Principal Consultant<br />
bei der Personalberatung<br />
Egon Zehnder.<br />
ADIDAS<br />
Eric Liedtke, 47, steigt im<br />
März in den Vorstand des<br />
Sportartikelkonzerns auf, für<br />
den er schon seit 20 Jahren<br />
arbeitet. Der Amerikaner übernimmt<br />
den Posten von Markenvorstand<br />
Erich Stamminger,<br />
56, der seinen Vertrag nicht<br />
mehr verlängert. Bevor er geht,<br />
baut Stamminger noch firmeneigene<br />
Redaktionen auf. „Bei<br />
Adidas wird es künftig Marken-<br />
Journalisten geben. Wir richten<br />
an verschiedenen Standorten<br />
in der Welt regelrechte Newsrooms<br />
ein“, kündigt er an. „Wir<br />
werden investieren und diesen<br />
Bereich stark ausbauen, weil<br />
wir so unsere Zielgruppen<br />
direkt und schnell ansprechen<br />
können.“<br />
MEDIA-SATURN<br />
Georg Mehring-Schlegel, 47,<br />
ist in die Geschäftsführung des<br />
Elektronikhändlers Media-Saturn<br />
zurückgekehrt. Dem Vernehmen<br />
nach soll er sich mit<br />
strategischen Fragen befassen.<br />
2<strong>01</strong>2 war er zum kommissarischen<br />
Finanzchef von Media-<br />
Saturn ernannt worden, hatte<br />
jedoch bereits nach zwei Monaten<br />
seinen Posten wieder geräumt.<br />
Hintergrund war der<br />
Streit zwischen Media-Markt-<br />
Minderheitsgesellschafter<br />
Erich Kellerhals und Mehrheitseigner<br />
Metro.<br />
8 Unternehmen<br />
unter den 500 größten börsennotierten US-Firmen haben zwei Ex-<br />
Chefs im Aufsichtsrat. Dazu zählt bald auch Microsoft. Doch der<br />
mögliche Wechsel von Konzernchef Steve Ballmer in das Gremium<br />
erschwert die Kür eines Nachfolgers. Kandidaten befürchten, dass<br />
Ballmer und dessen Vorgänger Bill Gates mitregieren.<br />
PANONO<br />
Kameraball zum Werfen<br />
Fakten zum Start<br />
Preis vorab 499 Dollar, danach<br />
599 Dollar, also etwa 530 Euro<br />
Kunden Zahl der ersten Bestellungen<br />
etwa 1500–2000<br />
Auflösung beträgt insgesamt<br />
108 Megapixel<br />
Die meisten Diplomarbeiten liest nach den Gutachtern niemand<br />
mehr, Jonas Pfeils (rechts) Abschlussarbeit an der TU Berlin haben<br />
dagegen schon mehr als 3,5 Millionen Menschen bewundert.<br />
So viele sahen sich das 2<strong>01</strong>1 gedrehte Video seiner Wurfkamera<br />
an. Der grüne Ball kann mit 36 eingebauten Kameras komplette<br />
Rundumbilder erstellen. „Das sind Fotos, in denen man sich umgucken<br />
und in die man sich hereinzoomen kann“, schwärmt Pfeil.<br />
Viele Interessenten wünschten sich so ein Gerät, nun ist das von<br />
Pfeil gegründete Startup Panono so weit. Mit seinen Mitstreitern<br />
Björn Bollensdorff und Qian Qin (von links) hat er die Kamera<br />
von der Größe eines Handballs auf die eines Tennisballs geschrumpft.<br />
Vor allem haben sie ausgetüftelt, wie man sie in Serie<br />
bauen kann. Tipps gibt der frühere Leica-Chef Ralf Coenen.<br />
Bis zu diesem Wochenende konnten Interessenten das Gerät<br />
zum Vorzugspreis von 499 Dollar vorbestellen, im Juli sollen die<br />
ersten Kameras geliefert werden. Mehr als 1,1 Millionen Dollar hat<br />
Panono so auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo eingesammelt.<br />
Inzwischen arbeiten auch andere Unternehmen an runden<br />
Panorama-Kameras, etwa<br />
Bublcam aus Kanada<br />
oder Serveball aus den<br />
USA. Trotzdem gibt sich<br />
Pfeil sehr gelassen.<br />
„Keine andere Kamera“,<br />
verspricht er, „hat eine<br />
annähernd vergleichbare<br />
Auflösung.“<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE/DARREN JACKLIN, PR, LAIF/POLARIS/ROBERT SORBO, ACTION PRESS/JOCHEN ZICK<br />
14 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Dirk Graber, Mirko Caspar<br />
Chefs des Online-Brillenhändlers Mister Spex<br />
Knapp zwei Meter misst die<br />
überdimensionierte Brille im<br />
Büro von Dirk Graber, 36, und<br />
Mirko Caspar, 40 (von links).<br />
Sie symbolisiert den Aufstieg<br />
des Berliner Startups Mister<br />
Spex zum größten Online-<br />
Brillenhändler in Deutschland.<br />
Gemeinsam mit drei Gleichgesinnten<br />
gründete Graber das<br />
Unternehmen, 2008 startete es<br />
im Netz, 2<strong>01</strong>1 stieß Marketingexperte<br />
Caspar hinzu und wurde<br />
zweiter Geschäftsführer neben<br />
Graber. Knapp 50 Millionen<br />
Euro haben die beiden 2<strong>01</strong>3<br />
umgesetzt, mehr als das<br />
Zehnfache des ersten vollen<br />
Geschäftsjahres. Über 250 Beschäftigte<br />
arbeiten inzwischen<br />
für Mister Spex. Im Chefbüro<br />
am Prenzlauer Berg<br />
herrscht immer noch<br />
Aufbruchstimmung.<br />
Denn zusammen<br />
kommen alle Internet-Brillenhändler<br />
in<br />
der deutschen Optikerbranche<br />
erst auf<br />
einen Marktanteil<br />
360 Grad<br />
In unserer iPad-<br />
<strong>Ausgabe</strong> finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
von drei Prozent – und das bei<br />
einem Marktvolumen von fünf<br />
Milliarden Euro. Von ihrem Büro<br />
in der dritten Etage blicken<br />
Graber und Caspar auf die Fassade<br />
einer ehemaligen Lederfabrik.<br />
„Vergangenheit und Zukunft<br />
liegen manchmal dicht<br />
beieinander“, sagt Graber. Wie<br />
Caspar hat er Betriebswirtschaft<br />
studiert. „Nur der hat noch den<br />
Doktor draufgesetzt“,<br />
fügt Graber lächelnd<br />
hinzu. Dafür ist das<br />
Büro Gemeingut.<br />
Auf 20 Quadratmetern<br />
verteilen sich<br />
Schreibtische, Computer,<br />
Telefone, Branchenzeitschriften<br />
–<br />
„und viel Arbeit“, betont Caspar.<br />
Aus einer Kollektion von über<br />
7000 Brillen, darunter Marken<br />
wie Calvin Klein, Gucci oder<br />
Prada, können die mittlerweile<br />
rund 600 000 Kunden wählen.<br />
Lifestyle ist angesagt, wissen die<br />
beiden, die zuvor als Unternehmensberater<br />
gearbeitet haben,<br />
Graber bei der Boston Consulting<br />
Group (BCG) und Caspar<br />
bei McKinsey. Dass Augenmaß<br />
nicht nur im Job zählt, zeigt<br />
Mister-Spex-Gründer Graber<br />
auch bei seinem Hobby. „Ich<br />
mag Kartfahren, sofern ich Zeit<br />
habe“, erzählt er, „und wie im<br />
Job lasse ich mich auch da nicht<br />
gerne ausbremsen.“<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
16 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Auch das ist Europa<br />
ZUWANDERUNG | Als Arbeitskräfte sind uns die Menschen aus Bulgarien und Rumänien<br />
willkommen – als Armutsflüchtlinge nicht. Droht unserem Sozialstaat der Stresstest?<br />
Weit weg und doch so nah<br />
Die Menschen im rumänischen<br />
Baia Mare fristen ein<br />
karges Leben – kein Wunder,<br />
dass sie sich nach einem<br />
besseren sehnen<br />
FOTO: LAIF/HOLLANDSE HOOGTE/PETER VAN BEEK<br />
18 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Wer wissen will, wie weit es<br />
ist <strong>vom</strong> Stammtisch in die<br />
Wirklichkeit, der sollte einen<br />
kurzen Blick nach Bayern<br />
richten und dann mit<br />
Franziska Giffey sprechen. Als die letzten<br />
Hürden für Bulgaren und Rumänen auf<br />
dem europäischen Arbeitsmarkt an Neujahr<br />
fielen, hielt es die CSU für angezeigt,<br />
vor „fortgesetztem Missbrauch“ der Freizügigkeit<br />
zu warnen. „Falsche Anreize zur Zuwanderung“<br />
müssten deshalb schleunigst<br />
verringert werden. Ein Papier für die Klausurtagung<br />
in Wildbad Kreuth, das vergangene<br />
Woche beschlossen wurde, enthielt<br />
dann noch diesen griffigen Satz: „Wer betrügt,<br />
der fliegt.“ Franziska Giffey atmet erst<br />
einmal tief durch, wenn sie so etwas hört.<br />
Dann sagt sie: „Die allermeisten, die hierher<br />
kommen, tun das nicht mit dem Vorsatz,<br />
unser Sozialsystem auszunutzen. Die<br />
wollen arbeiten, wollen klarkommen.“<br />
EIN BISSCHEN HOFFNUNG<br />
Hierher, das heißt: Berlin-Neukölln. Giffey<br />
ist dort SPD-Bezirksstadträtin, ihr braucht<br />
niemand etwas über Probleme mit Einwanderern<br />
zu erzählen. Der Ausländeranteil<br />
liegt bei 40 Prozent, davon 5000 Bulgaren<br />
und Rumänen, und das ist nur die offizielle<br />
Zahl. Allein im vergangenen Jahr hat<br />
Giffey 31 Willkommensklassen für Kinder<br />
eingerichtet, die kein Deutsch sprechen.<br />
Mehr als zwei Dutzend heruntergekommene<br />
Mietshäuser gibt es allein bei ihr im<br />
Viertel, in denen Einwanderer – nicht selten<br />
Roma – zusammengepfercht auf Matratzenlagern<br />
hausen, angeblich für 200<br />
oder 300 Euro pro Kopf und Monat. „Wir<br />
haben es zum großen Teil mit Menschen<br />
zu tun, die es schon in ihrer Heimat extrem<br />
schwer hatten“, sagt Giffey. „Aber sie kommen<br />
hierher in der Hoffnung, es überhaupt<br />
mal ein bisschen besser zu haben.“<br />
Sie kann nicht verstehen, wenn in diesen<br />
Tagen politische Scharfmacher vor einer<br />
Welle warnen, die angeblich über Deutschland<br />
hereinbrechen wird. Giffey spürt keinen<br />
Dammbruch. Was sie sieht, ist ein steter<br />
Zustrom von Osteuropäern – und das<br />
seit Jahren. Natürlich gibt es Kriminalität,<br />
und selbstverständlich kennt sie die Fakten:<br />
Alleine in Neukölln bezieht schon jetzt<br />
etwa jeder dritte Bulgare und Rumäne als<br />
Selbstständiger Hartz IV, die Gewerbeanmeldung<br />
ist lax. Und das Kindergeld, das<br />
ab dem ersten Tag und auch für die Familie<br />
in der Heimat gezahlt wird, wäre eben für<br />
viele dort eine unerreichbare Summe. Aber<br />
trotz alldem erlebt Giffey in ihrem Viertel<br />
Große Kluft<br />
Einkommen, Bildungund soziale Sicherung<br />
in Deutschland, Bulgarien und Rumänien<br />
Durschnittseinkommen 1<br />
Deutschland<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
4599 €<br />
Anteil der Arbeitskräfte 2 ...<br />
...ohne abgeschlossene Ausbildung<br />
Deutschland<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
...mit Abitur oder Berufsausbildung<br />
Deutschland<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
42900 €<br />
18,2%<br />
23,0%<br />
28,6%<br />
57,8%<br />
24,8%<br />
<strong>Ausgabe</strong>n für soziale Sicherung pro Einwohner<br />
715 €<br />
883 €<br />
Arbeitslosenquoten 3<br />
5869 €<br />
...mit Hochschulabschluss<br />
Deutschland<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
Deutschland<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
Deutschland<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
5,2%<br />
<strong>13</strong>,6%<br />
7,3%<br />
1Industrie, Bau und Dienstleistung; 2inProzent der<br />
erwerbsfähigen Bevölkerung; 3November 2<strong>01</strong>3;<br />
Quelle: Eurostat<br />
57,0%<br />
56,4%<br />
20,7%<br />
8662 €<br />
12,9%<br />
vor allem Menschen, die die harten Jobs<br />
machen, für die sich kaum ein Deutscher<br />
mehr findet: als Putzkraft oder am Bau, als<br />
Schrott-Schlepper oder Handlanger bei<br />
Entrümpelungen. Weit jenseits irgendwelcher<br />
Mindestlöhne oder Tarifverträge.<br />
Populisten und Nationalisten überall in<br />
Europa schauen darüber gerne hinweg: Sie<br />
fürchten bei Einwanderern gleich Sozialmissbrauch.<br />
Die nahezu vollendete Freizügigkeit<br />
aller EU-Bürger im Binnenmarkt,<br />
eine liberale Errungenschaft des Kontinents,<br />
verkommt bei Marine Le Pen in<br />
Frankreich oder Geert Wilders in den Niederlanden<br />
zum Freifahrtschein für Halunken<br />
in die üppigen Sozialsysteme Westeuropas.<br />
Auch in Belgien, Österreich oder Italien:<br />
Überall wollen rechte Parteien wie Lega<br />
Nord oder FPÖ mit Ressentiments Stimmen<br />
bei der Europawahl Ende Mai sammeln.<br />
In Großbritannien treibt die europaskeptische<br />
UKIP den konservativen Premier<br />
David Cameron mit platten Parolen<br />
vor sich her (siehe Seite 23).<br />
Die Euro-Krise, drückende Rezessionen<br />
und Massenarbeitslosigkeit haben die europäische<br />
Solidarität brüchig und anfällig<br />
werden lassen. „Man muss die Sorgen der<br />
Menschen ernst nehmen und darüber rational,<br />
offen und ehrlich reden“, sagt Martin<br />
Schulz, der Präsident des Europäischen<br />
Parlamentes, „gerade um sie den Rechten<br />
und Populisten mit ihrer Panikmache, den<br />
bewussten Übertreibungen, den fremdenfeindlichen<br />
Untertönen und der offensichtlichen<br />
Wahltaktik nicht zu überlassen.“<br />
Auch Schulz sagt deshalb offen: „Wir<br />
können nicht leugnen, dass es in manchen<br />
Städten Probleme gibt mit einer kleinen<br />
Minderheit, die nicht oder schwer integrierbar<br />
ist und sich nicht verantwortungsbewusst<br />
verhält.“<br />
Seit vergangener Woche gibt es eigens eine<br />
Staatssekretärsrunde des Bundes, die<br />
das deutsche Sozialrecht auf missbrauchsanfällige<br />
Schlupflöcher durchleuchten soll.<br />
„Freizügigkeit heißt freier Zugang zum Arbeitsmarkt,<br />
nicht freier Zugang zu Sozialleistungen“,<br />
sagt Hans-Peter Uhl (CSU), innenpolitischer<br />
Sprecher der CDU/CSU-<br />
Bundestagsfraktion. „Wir wollen die Probleme<br />
nicht mit Geld zukleistern, sondern<br />
durch eine Rechtsänderung lösen.“<br />
Die CSU will baldmöglichst konkrete<br />
Maßnahmen auf allen staatlichen Ebenen.<br />
In den Städten und Kreisen könnten die<br />
Behörden enger zusammenarbeiten. Das<br />
Sozialamt, das Stütze auszahlt, sollte sich<br />
mit der Familienkasse abstimmen, von der<br />
das Kindergeld kommt. Die Gewerbeaufsicht<br />
müsse die (Schein-)Selbstständigkeit<br />
prüfen, so wie das Einwohnermeldeamt<br />
kontrollieren solle, wie viele Menschen<br />
oder Firmen in einer Drei-Zimmer-Wohnung<br />
angemeldet seien. Und schließlich<br />
solle die Polizei ihre Erkenntnisse über<br />
Straßenprostitution und den sogenannten<br />
Arbeiterstrich für billige Leihkräfte beisteuern.<br />
Die meisten Informationen, so<br />
Uhl, könnten problemlos ausgetauscht<br />
werden. Wo dies bisher aus Gründen des<br />
Datenschutzes nicht möglich sei, müssten<br />
die Vorschriften geändert werden. Auch<br />
20 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
ARBEITSMARKT<br />
Gut integriert<br />
EU-Ausländer finden vermehrt<br />
Jobs in Deutschland.<br />
FOTO: CARO FOTOAGENTUR/MARKUS WÄCHTER<br />
Neue Heimat?<br />
Wohnprojekt für<br />
Zuwanderer in<br />
Berlin-Neukölln<br />
Es werden immer mehr...<br />
Saldo aus Zu- und Fortzügen von Staatsbürgern<br />
aus Bulgarien und Rumänien<br />
50 000<br />
40 000<br />
30 000<br />
20 000<br />
10 000<br />
0<br />
Bulgarien<br />
Rumänien<br />
2008<br />
2009<br />
2<strong>01</strong>0<br />
2<strong>01</strong>1<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, Statistische Landesämter<br />
2<strong>01</strong>2<br />
die Ergebnisse der Finanzkontrolle<br />
Schwarzarbeit, für die der Zoll Razzien<br />
durchführt, sollten ebenfalls einfließen.<br />
Allerdings: Schon im vergangenen<br />
Herbst hatte sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe<br />
intensiv über die Themen gebeugt.<br />
Das Ergebnis waren viele Bedenken<br />
und Fallstricke.<br />
...und sie bleibenzusammen<br />
Gemeldete Bulgaren und Rumänen<br />
(Stand 30. Juni 2<strong>01</strong>3)<br />
Berlin<br />
München<br />
Hamburg<br />
Duisburg<br />
Dortmund<br />
3483<br />
8352<br />
<strong>13</strong> 781<br />
23 297<br />
27 093<br />
WENDE ZUM GUTEN<br />
Dass Horrorszenarien vor überbordender<br />
Einwanderung aus Osteuropa schon in früheren<br />
Jahren stets überzeichnet waren;<br />
dass sich handfeste Belege für großflächigen<br />
Missbrauch der Wohlfahrtssysteme bis<br />
heute nicht finden lassen – diese Wahrheit<br />
geht in der erhitzten Debatte schnell verloren.<br />
„Die Zuwanderung nach Deutschland<br />
ist eine Erfolgsstory“, urteilt Herbert Brücker<br />
<strong>vom</strong> Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.<br />
„Wir erleben eine Wende:<br />
Die Zahl der gut Ausgebildeten wächst, die<br />
der Ungebildeten sinkt.“ Der krisenresistente<br />
deutsche Arbeitsmarkt ist so attraktiv<br />
wie seit Jahrzehnten nicht, Zuwanderer haben<br />
einen immer größeren Anteil am Jobboom.<br />
Die Ausnahmen von dieser Erfolgsgeschichte<br />
betreffen in der Tat vor allem<br />
Rumänen und Bulgaren. „Sie sind im<br />
Schnitt schlechter qualifiziert als die Einwanderergenerationen<br />
vor ihnen“, hat Brücker<br />
herausgefunden.<br />
Die EU steht deshalb – Populismus hin<br />
oder her – an einer entscheidenden Wegmarke:<br />
Hält das krisengeschüttelte Europa<br />
und halten seine Bürger stand, wenn die<br />
Integration der Abgehängten vielerorts<br />
scheitert? Wenn Rechte die Probleme nutzen<br />
wollen, um an den freiheitlichen Prinzipien<br />
zu sägen? Und, mindestens ebenso<br />
wichtig: Können Europas Sozialsysteme in<br />
Zeiten der Freizügigkeit tatsächlich im vollen<br />
Umfang erhalten bleiben?<br />
Der Europäische Gerichtshof (EuGH)<br />
wird über diese letzte Frage entscheiden<br />
müssen – nicht zuletzt auf Bitten des Bundessozialgerichts.<br />
Denn noch ist die<br />
Rechtslage reichlich unklar. Einerseits fordert<br />
die EU-Verordnung zur Koordinierung<br />
der Systeme der sozialen Sicherheit aus<br />
dem Jahr 2004, dass alle EU-Bürger gleich<br />
behandelt werden müssen. Anderseits hat<br />
der EuGH im Juni 2009 geurteilt, dass es<br />
durchaus rechtens ist, wenn Sozialhilfe erst<br />
gewährt wird, sobald der Arbeitssuchende<br />
eine Verbindung mit dem Arbeitsmarkt des<br />
Aufenthaltslandes hergestellt hat. Die Gefahr,<br />
dass Einwanderer nur von Sozialleistungen<br />
leben könnten, haben die Richter<br />
erkannt – und Schutzklauseln erlaubt.<br />
»<br />
Offene Stellen auf dem deutschen<br />
Arbeitsmarkt werden zunehmend mit<br />
Fachkräften aus dem europäischen<br />
Ausland besetzt. Deutsche Langzeitarbeitslose,<br />
die meist gering qualifiziert<br />
sind, haben das Nachsehen. Am deutlichsten<br />
stieg im vergangenen Jahr die<br />
Zahl der Bulgaren und Rumänen mit<br />
festem Job. Laut Bundesagentur für Arbeit<br />
(BA) waren im Oktober 2<strong>01</strong>3 rund<br />
156 000 Bürger der zwei ärmsten<br />
EU-Mitgliedstaaten in Deutschland<br />
beschäftigt. Das ist ein Plus von 25 Prozent<br />
gegenüber 2<strong>01</strong>2.<br />
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />
(IAB) der BA schätzt,<br />
dass dieses Jahr weitere 100 000 bis<br />
180 000 Bulgaren und Rumänen nach<br />
Deutschland kommen werden; die<br />
meisten der Arbeit wegen. Die Erwerbstätigenquote<br />
dieser Gruppe lag im Juni<br />
2<strong>01</strong>3 bei 60 Prozent. Die Arbeitslosenquote<br />
lag bei 7,4 Prozent und somit unter<br />
der Quote der ausländischen Bevölkerung<br />
insgesamt (14,7 Prozent).<br />
ACHT PROZENT MEHR<br />
Auch Europas krisengebeutelter Süden<br />
treibt Arbeitskräfte nach Deutschland.<br />
Laut BA gewann der hiesige Arbeitsmarkt<br />
im vergangenen Jahr rund<br />
38 000 Arbeitskräfte aus Spanien, Griechenland,<br />
Portugal und Italien hinzu.<br />
Das sind acht Prozent mehr als noch<br />
ein Jahr zuvor. Insgesamt arbeiteten im<br />
Oktober 2<strong>01</strong>3 rund 503 000 Südeuropäer<br />
in Deutschland.<br />
Seit der deutsche Arbeitsmarkt 2<strong>01</strong>1<br />
auch für Polen und sieben weitere osteuropäische<br />
Länder geöffnet wurde,<br />
stieg die Zahl der Beschäftigten aus<br />
dem Osten auf derzeit rund 452 000 an,<br />
wobei die Polen mit 297 000 Beschäftigten<br />
die größte Gruppe stellen. Das<br />
deutsche Sozialsystem hat das bislang<br />
nicht ins Wanken gebracht. Tatsächlich<br />
seien Arbeitskräfte aus dem Osten<br />
meist gut in den Arbeitsmarkt integriert<br />
und zahlten in die Sozialsysteme ein,<br />
sagt Andreas Hauptmann <strong>vom</strong> IAB.<br />
anja stehle | politik@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 21<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Rechtsgläubig<br />
Politiker Le Pen (links), Wilders<br />
Deutschland schließt deshalb arbeitsuchende<br />
Einwanderer von der Grundsicherung<br />
aus – theoretisch. Praktisch haben<br />
deutsche Sozialgerichte schon gegenteilig<br />
geurteilt. Steht also der Gleichheitsgrundsatz<br />
der EU über allem? Bis die Richter in<br />
Luxemburg diese Frage abschließend klären,<br />
wird Zeit vergehen.<br />
EU-Sozialrechtsexperten können sich<br />
aber kaum vorstellen, dass die Richter keinerlei<br />
Zugeständnisse an nationale Akzeptanzgrenzen<br />
machen: „Vermutlich wird der<br />
EuGH Einschränkungen beim Anspruchserwerb<br />
von Hartz IV akzeptieren – das ist in<br />
Hinblick auf seine frühere Rechtsprechung<br />
jedenfalls anzunehmen“, analysiert Maximilian<br />
Fuchs, Professor an der Katholischen<br />
Universität Eichstätt-Ingolstadt.<br />
Sollte der Ausschluss von Leistungen jedoch<br />
keinen Bestand haben, warnt der<br />
Sachverständigenrat für Integration und<br />
Migration vor gravierenden Folgen: Jede<br />
weitere Expansion der „Solidarität unabhängig<br />
von jeder Erwerbstätigkeit, die über<br />
das ohnehin schon etablierte Maß hinausgeht,<br />
kann ihre Akzeptanz auf eine schwere<br />
Probe stellen“, heißt es im aktuellen Jahresgutachten.<br />
Es bestehe das Risiko, dass „in<br />
Staaten mit einem hohen sozialen Schutz<br />
die nationalen Mindeststandards sinken“,<br />
wenn das Leistungsniveau für eine steigende<br />
Zahl von Empfängern irgendwann nicht<br />
mehr finanziert werden könnte.<br />
Die Freizügigkeit erhöht ohne Zweifel<br />
den Druck auf die westlichen Sozialsysteme<br />
– weil diese Sehnsüchte in den EU-Ostländern<br />
wecken, deren Wohlstand etwa<br />
das Niveau Kasachstans oder Costa Ricas<br />
hat. Es sind Städte wie das bulgarische Varna,<br />
von wo aus sich Roma aufmachen<br />
Richtung Deutschland. Jeder fünfte der<br />
340 000 Einwohner in der Hafenstadt am<br />
Schwarzen Meer ist ein Roma. Die meisten<br />
von ihnen leben in sogenannten Mahalas,<br />
Slums weit weg <strong>vom</strong> Stadtzentrum.<br />
Eine der größten dieser Siedlungen klebt<br />
an einem Berghang oberhalb einer viel befahrenen<br />
Schnellstraße. Eine Schlaglochpiste<br />
schlängelt sich hoch zu halb verfallenen<br />
Hütten aus Brettern, Blech und alten<br />
Ziegelsteinen. Manche der Dächer sind mit<br />
Plastiktüten abgedichtet. In den Gassen<br />
hocken bärtige Männer in zerrissenen<br />
T-Shirts. Zwischen Müllbergen liegt ein<br />
ausgebranntes Auto; ein Esel wühlt im<br />
Müll. Dazwischen rennen nackte Kinder<br />
einem alten Fußball hinterher.<br />
Die meisten Roma in Varna sprechen<br />
kein Bulgarisch. Kaum jemand kann lesen<br />
und schreiben. Einige der Bewohner sammeln<br />
Schrott und verdienen damit ein paar<br />
Cent am Tag. Lokale Mafiabanden dagegen<br />
verdienen an den Ärmsten der Armen viel.<br />
In den Hütten machen Geschichten von<br />
Roma, denen Organe entnommen wurden,<br />
die Runde. Drogen- und Babyhandel<br />
seien üblich, berichten Hilfsorganisationen.<br />
Die Hoffnung auf ein besseres Leben<br />
in der Heimat haben die meisten längst<br />
aufgegeben. Zustände wie in Varna treiben<br />
viele in den Westen. „Auswandern nach<br />
Deutschland lohnt auf jeden Fall“, sagt der<br />
16-jährige Isis, „das Geld dort ist gut, und<br />
es ist schnell verdient.“<br />
GEN WESTEN<br />
Die volle Freizügigkeit für alle Bulgaren<br />
und Rumänen wird die EU deshalb in Zukunft<br />
vor weit größere Anpassungsprobleme<br />
stellen, als dies bisher der Fall war. Wie<br />
sehr Deutschland aber bisher von Arbeitskräften<br />
aus dem Osten profitiert hat, wird<br />
nahe der Grenze deutlich. In Pasewalk zum<br />
Beispiel: Straßenschilder auf Deutsch und<br />
Polnisch, polnische Ärzte im örtlichen<br />
StarkerUmschwung<br />
Wanderung aus und<br />
nach Deutschland<br />
(in Tausend)*<br />
-55,8 -12,8<br />
127,7 279,3 369 400<br />
2008 2009 2<strong>01</strong>0 2<strong>01</strong>1 2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3**<br />
* Saldo von Zu- und Fortzügen; ** Schätzung;<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt, IAB<br />
Krankenhaus. Vor zehn Jahren hat die EU-<br />
Osterweiterung das Leben in der Region<br />
verändert. Seither zogen Tausende Polen<br />
nach Vorpommern oder in die Grenzregionen<br />
Brandenburgs. Sie füllten leer stehende<br />
Plattenbauten als Mieter, kauften Häuser<br />
in Schrumpfgemeinden oder machten<br />
sich als Kleinunternehmer selbstständig.<br />
„Natürlich gab es da auch eine Sozialneiddebatte“,<br />
sagt die Landtagsabgeordnete<br />
Beate Schlupp (CDU) aus dem grenznahen<br />
Uecker-Randow heute. Gerüchte hätten die<br />
Runde gemacht, dass ganze Wohnblöcke<br />
nun von Polen bewohnt seien und diese<br />
Wohngeld <strong>vom</strong> deutschen Staat bezögen.<br />
Doch vor allem gewinnt die einst abgelegene<br />
Gegend: „Ohne Stettin hätten wir keine<br />
eigene Kraft zu wachsen“, sagt Schlupp.<br />
Die Grenzgemeinde Löcknitz lässt sogar<br />
neue Baugebiete ausweisen – in einer ehedem<br />
abgehängten Region. Ein Kindergarten<br />
wurde neu gebaut, die Schule erweitert.<br />
Jeder zehnte der rund 3000 Einwohner<br />
kommt aus dem Nachbarland, etliche arbeiten<br />
in Deutschland. Die Älteren auf<br />
dem Land sind aus Sicht Schlupps auch für<br />
die Neuen. „Sie merken, dass sie jetzt im<br />
Dorf nicht mehr die Letzten der Bastion<br />
sind, wenn polnische Familien zuziehen.“<br />
Doch die Reibung, die durch das Fremde<br />
und durch einsatzfreudige Neulinge entsteht,<br />
ruft in Mecklenburg-Vorpommern<br />
und anderswo auch immer wieder die<br />
rechtsextreme NPD auf den Plan. Leider,<br />
sagt Schlupp, verfange diese „undifferenzierte<br />
Stimmungsmache“ bei manchen. In<br />
einigen Örtchen holt die NPD bei Wahlen<br />
deshalb bis zu einem Drittel der Stimmen.<br />
Für die Europawahl ist das alles andere<br />
als ein gutes Zeichen.<br />
n<br />
max.haerder@wiwo.de | Berlin, matthias kamp | München,<br />
henning krumrey | Berlin, cordula tutt | Berlin,<br />
silke wettach | Brüssel<br />
22 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: ACTION PRESS/ANP PHOTO, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
GROSSBRITANNIEN<br />
Rolle rückwärts<br />
Premierminister David Cameron will die Freizügigkeit beschneiden.<br />
„Meine Frau hat gerade die britische<br />
Staatsbürgerschaft angenommen, man<br />
weiß ja nie“, sagt Lukas Szczepanski.<br />
Schon vor rund zehn Jahren zogen er<br />
und seine Frau von Polen nach Großbritannien;<br />
inzwischen hat er eine Firma<br />
gegründet, die Alarmanlagen für Baugerüste<br />
vermietet, seine Frau studiert<br />
englische Literatur.<br />
Die Szczepanskis reagieren auf die heftige<br />
Debatte über den Sozialtourismus innerhalb<br />
der Europäischen Union, die die<br />
Briten seit Monaten aufregt. Die europakritische<br />
Splitterpartei United Kingdom<br />
Independence Party (UKIP) und eine zunehmend<br />
fremdenfeindliche Presse machen<br />
der konservativ-liberalen Koalition<br />
unter Premierminister David Cameron<br />
mächtig Druck. Die Angst vor einem Ansturm<br />
von Rumänen und Bulgaren – die<br />
Lobbyorganisation Migration Watch<br />
schätzt ihre Zahl auf 50 000 pro Jahr –<br />
und vor allem die Sorge vor dem Missbrauch<br />
der britischen Sozialkassen durch<br />
arbeitsunwillige Einwanderer aus Osteuropa<br />
hat die britische Regierung dazu veranlasst,<br />
die Notbremse zu ziehen.<br />
DREI MONATE WARTEN<br />
Noch im Dezember hat das Parlament eilig<br />
ein Gesetz verabschiedet, das die Sozialleistungen<br />
für Zuwanderer aus anderen<br />
EU-Staaten einschränkt. Bis dahin hatten<br />
Neubürger <strong>vom</strong> ersten Tag ihrer Einreise<br />
an das Recht auf alle Sozialleistungen,<br />
die den Briten zustehen. Auch das staatliche<br />
Gesundheitssystem NHS konnten sie<br />
kostenfrei nutzen. Nun müssen sie nach<br />
ihrer Ankunft drei Monate warten, bis sie<br />
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, Wohngeld<br />
und andere Sozialleistungen haben. Bewilligt<br />
werden diese außerdem nur noch<br />
für sechs Monate, sofern der Antragsteller<br />
nicht beweisen kann, dass er Aussicht<br />
auf einen Arbeitsplatz hat. „Wir müssen<br />
die Freizügigkeit auf das zurückführen,<br />
was sie ursprünglich sein sollte: das<br />
Recht, in einem anderen Staat Arbeit zu<br />
suchen. Es gibt kein Recht, sich die besten<br />
Sozialleistungen auszusuchen“, sagt<br />
Cameron.<br />
Für Großbritannien ist das eine radikale<br />
Abkehr von einer bislang liberalen Einwanderungspolitik.<br />
Bei der Osterweiterung<br />
2004 hatten Großbritannien, Schweden<br />
und Irland im Gegensatz zu den meisten<br />
anderen EU-Staaten keine Übergangsfristen<br />
für die Freizügigkeit von Arbeitskräften<br />
aus den neuen Mitgliedsländern beschlossen.<br />
Doch jetzt wachsen die Ressentiments<br />
Leitet die<br />
Wende ein<br />
Premierminister<br />
Cameron<br />
»Es gibt kein<br />
Recht, die besten<br />
Sozialleistungen<br />
auszuwählen«<br />
gegen die rund 683 000 auf der Insel lebenden<br />
Migranten aus Osteuropa. Selbst die<br />
Labour-Partei reagiert auf Klagen über<br />
überfüllte Schulen und überlastete Arztpraxen.<br />
UKIP hofft, bei den Europawahlen im<br />
Mai stärkste Partei zu werden. Einer neuen<br />
Umfrage zufolge, haben sich bereits knapp<br />
40 Prozent der Wähler, die 2<strong>01</strong>0 für die Tories<br />
stimmten, von den Konservativen abgewandt.<br />
Mehr als die Hälfte von ihnen unterstützt<br />
jetzt UKIP.<br />
Die hastig durchs Parlament gepaukte<br />
Reform passt nun das bislang großzügige<br />
britische Sozialsystem an die Norm in den<br />
meisten anderen Mitgliedstaaten an. Doch<br />
die Einschränkungen könnten noch weitergehen.<br />
Vorschläge für eine Beschränkung<br />
der kostenlosen medizinischen Versorgung<br />
von Ausländern werden bereits<br />
diskutiert. 77 Prozent der Briten sprechen<br />
sich darüber hinaus auch für Einwanderungsbeschränkungen<br />
aus.<br />
UKIP-Chef Nigel Farage verlangt, dass<br />
Neubürger erst nach fünf Jahren Anspruch<br />
auf Sozialleistungen haben sollten,<br />
und Londons Bürgermeister Boris Johnson<br />
fordert eine Frist von zwei Jahren.<br />
NICHT MEHR EINREISEN<br />
Cameron selbst war im November vorgeprescht<br />
und hatte in der „Financial<br />
Times“ einen eigenen Maßnahmenkatalog<br />
veröffentlicht. Darin hieß es unter anderem,<br />
obdachlose EU-Ausländer, die beim<br />
Betteln auf der Straße erwischt würden,<br />
sollten in ihr Heimatland abgeschoben<br />
werden und danach ein Jahr lang nicht<br />
mehr nach Großbritannien einreisen dürfen.<br />
Ferner solle Kindergeld nicht mehr<br />
ausgezahlt werden, wenn die Nachkommen<br />
außerhalb Großbritanniens leben.<br />
Mit den übrigen EU-Ländern will Cameron<br />
aushandeln, dass die vollständige<br />
Freizügigkeit künftig <strong>vom</strong> Pro-Kopf-Einkommen<br />
neuer Beitrittsländer abhängig<br />
gemacht wird. Damit nicht genug: Ein<br />
Papier des Innenministeriums schlägt vor,<br />
die Einwanderung von EU-Bürgern generell<br />
auf maximal 75 000 im Jahr zu beschränken.<br />
Die Vorstöße haben nun bereits zum<br />
handfesten Krach mit Polen und der EU-<br />
Kommission sowie zu einem heftigen Koalitionszwist<br />
geführt. „Polen wird keine<br />
Änderung der EU-Bestimmungen dulden,<br />
die zu einer Diskriminierung und Stigmatisierung<br />
seiner Bürger führt“, kritisierte<br />
der polnische Ministerpräsident Donald<br />
Tusk. Außenminister Radoslaw Sikorski,<br />
Ex-Kommilitone Camerons in Oxford, empörte<br />
sich, wenn Polen in Großbritannien<br />
Steuern zahlten, dann müssten britische<br />
Steuerzahler auch für deren Kindergeld<br />
aufkommen. Der liberaldemokratische<br />
Wirtschaftsminister Vince Cable wiederum<br />
hält eine Beschränkung der Einwanderungszahlen<br />
für schädlich und nicht<br />
praktikabel. „Ich will nicht das Wort Blödsinn<br />
verwenden... aber wir Liberaldemokraten<br />
haben Derartiges nie unterschrieben,<br />
weil wir es einfach nicht für<br />
realistisch halten.“<br />
n<br />
yvonne.esterhazy@wiwo.de | London<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 23<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Kreative Schöpfung<br />
KOMMUNEN | Die Städte müssen sparen, wissen aber nicht wo.<br />
Also heben sie Gebühren und Steuern an – oder erfinden neue.<br />
Auch Sterben<br />
bringt Geld<br />
Ein Friedhof in<br />
Sachsen<br />
Die Idee war nicht schlecht, zumindest<br />
wenn man die Sache aus der Sicht eines<br />
Kämmerers betrachtet. Im vergangenen<br />
Frühjahr entschied sich der Remscheider<br />
Stadtrat, eine neue Steuer einzuführen.<br />
Auf Handymasten. Das hätte ein<br />
paar ziemlich große Telekommunikationskonzerne<br />
relativ wenig gekostet und die völlig<br />
verarmte Stadt zumindest symbolisch auf<br />
Kurs gebracht. Immerhin knapp eine Million<br />
Euro im Jahr sollte die Steuer bringen, so<br />
die grobe Berechnung. Daraus wurde nichts,<br />
noch vor der ersten Steuererhebung stoppte<br />
das Düsseldorfer Innenministerium die Pläne.<br />
Auch wenn er Sanierungsbemühungen<br />
der Kommunen grundsätzlich gutheiße, so<br />
Minister Ralf Jäger (SPD), „der Erfindungsreichtum<br />
darf nicht übertrieben werden“.<br />
1 Million Euro sollte<br />
die Steuer auf Handymasten<br />
im Jahr bringen<br />
KÖNIGSRECHT DER KOMMUNEN<br />
Im nordhessischen Bad Sooden-Allendorf<br />
lief die Sache besser. Anfang 2<strong>01</strong>3 hatte die<br />
Verwaltung eine Pferdesteuer eingeführt,<br />
die seitdem allen gerichtlichen Überprüfungen<br />
standgehalten hat. Wer ein Pferd<br />
besitzt, bezahlt jetzt pro Jahr 200 Euro.<br />
Egal, wo er damit reitet und ob das Tier<br />
überhaupt sein Grundstück verlässt.<br />
Handymasten? Pferde? Wer hinter diesen<br />
skurril klingenden Abgaben den bürokratischen<br />
Wahnsinn vermutet, irrt gewaltig.<br />
Denn hier geht es um das Königsrecht<br />
der deutschen Gemeinden, das „Steuerfindungsrecht“,<br />
Kern der kommunalen Selbstverwaltung.<br />
Bei Hunde-, Pferde-, Sex- oder<br />
Bettensteuer dürfen sich die Städte als eigene<br />
kleine Staaten fühlen, die selbst entscheiden,<br />
wo sie ihr Geld herbekommen.<br />
So zeichnet sich trotz historischer Einnahmenrekorde<br />
bei der Einkommensteuer<br />
und Gewerbesteuer auch <strong>2<strong>01</strong>4</strong> ein klarer<br />
Trend ab: Viele Gemeinden drehen an der<br />
Steuerschraube. Teils aus eigenem Antrieb,<br />
teils auf Druck von anderer Stelle.<br />
Zwar gelten solche Trends im föderalen<br />
Deutschland nie für alle Regionen gleichermaßen.<br />
In auffällig vielen Orten steigen<br />
jetzt aber die Grundsteuern, bei der<br />
Gewerbesteuer wird hingegen nur hier<br />
und da stärker zugelangt. Fast flächendeckend<br />
werden zudem einige Gebühren erhöht.<br />
„Bei den Friedhofsgebühren haben<br />
viele Städte die Preise erhöht“, heißt es<br />
beim Bund der Steuerzahler. Die Gemeinden<br />
leiden unter der sinkenden Auslastung<br />
ihrer Grabfelder, da immer mehr<br />
Menschen Urnengräber bevorzugen. Aber<br />
auch die Gebühren für Wasser steigen vielerorts.<br />
Diese Preiserhöhungen lassen sich<br />
nur selten inhaltlich begründen.<br />
Stattdessen<br />
vermuten viele, dass es<br />
hier um reine Einnahmenerzielung<br />
geht.<br />
Doch die Befugnisse der<br />
Städte wurden hier zuletzt<br />
deutlich ausgebaut,<br />
das Kartellamt ist<br />
nahezu machtlos.<br />
Dennoch ist es zu kurz<br />
gegriffen, wenn man<br />
hinter den Erhöhungen<br />
allein den Wunsch der<br />
Kämmerer nach mehr<br />
Städte<br />
Serie<br />
Städte in Not<br />
Nächste Folge:<br />
Lernen von<br />
Lüttich? Strukturwandel<br />
im<br />
Vergleich<br />
Geld vermutet. Teilweise bleibt ihnen<br />
schlicht nichts anderes übrig. Zum einen<br />
haben die im vergangenen Jahr veröffentlichten<br />
Ergebnisse des Zensus 2<strong>01</strong>1 viele<br />
Städte aus der Bahn geworfen. Vor allem in<br />
ländlichen Gemeinden hatte die Zählung<br />
zum Teil Einwohnerkorrekturen im hohen<br />
einstelligen Prozentbereich ergeben – nach<br />
unten. Viele Gemeinden klagen jetzt gegen<br />
die Ergebnisse, doch der Ausgang dieser<br />
Verfahren ist ungewiss, sodass sie kurzfristig<br />
nach anderen Möglichkeiten suchen,<br />
die Ausfälle aufzufangen.<br />
Gerade den hoch verschuldeten Kommunen<br />
in Hessen, Rheinland-Pfalz oder<br />
NRW bleibt zudem oft nichts anderes übrig,<br />
als ihre Steuern zu erhöhen. Denn sobald<br />
sie auf finanzielle Zuwendungen des<br />
Landes angewiesen sind (Nothaushalte),<br />
sind sie verpflichtet, ihre Grundsteuern zumindest<br />
auf den Landesdurchschnitt anzuheben.<br />
Wenn viele Gemeinden das tun,<br />
entfacht es jedoch eine Dynamik, die die<br />
Steuersätze insgesamt nach oben treibt.<br />
Hinter der Erschließung neuer eigener<br />
Steuerquellen steckt zudem eine Art sportlicher<br />
Ehrgeiz. Denn die bringen selten viel<br />
Geld ein und sind zudem in der Umsetzung<br />
extrem kompliziert. Zum einen dürfen<br />
die Gemeinden nur Dinge besteuern,<br />
auf die nicht bereits von Bund oder Land<br />
eine Steuer erhoben wird. Hinzu kommt,<br />
dass eine kommunale Steuer sich auf einen<br />
kommunalen Gegenstand beziehen muss,<br />
der eindeutig dem Gemeindegebiet zuzuordnen<br />
ist. An dieser Stelle wäre die<br />
FOTO: EPD-BILD/RAINER OETTEL; ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
24 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Handymastensteuer spätestens vor Gericht<br />
gescheitert:Was wäre mit den Masten<br />
gewesen, die zwar auf dem Gebiet der<br />
Stadt Remscheid stehen, aber fröhlich<br />
nach Solingen funken?<br />
Und damit nicht genug: Kommunale<br />
Steuern sind sogenannte „Aufwandsteuern“.<br />
Laut Rechtsprechung müssen sie die<br />
„wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ erfassen.<br />
Das heißt: Besteuert werden darf nur,<br />
was Spaß macht. Oder in Rechtssprech: alles,<br />
was über die Befriedigung des allgemeinen<br />
Lebensbedarfs hinausgeht.<br />
STEUERN MACHEN KARRIERE<br />
Dadurch sind die Möglichkeiten so stark<br />
eingeengt, dass die Aufwandsteuern nur<br />
einen geringen einstelligen Anteil an der<br />
gesamten Steuerkraft der Gemeinden ausmachen.<br />
Doch diese Relation verzerrt die<br />
Bedeutung der eigenen Steuern ein Stück<br />
weit. Die meisten Einnahmen der Gemeinden<br />
sind bereits für Pflichtaufgaben<br />
verplant. Alles Geld, was frei verplant werden<br />
kann, ist daher für Kämmerer Gold<br />
wert.<br />
Kein Wunder, dass fast jede erfolgreiche<br />
Kommunalsteuer schnell Nachahmer findet.<br />
Die gerade ein Jahr alte Pferdesteuer<br />
wird bereits an zwei Orten kopiert. Steuern<br />
auf Handymasten hatte neben Remscheid<br />
eine Handvoll weiterer Städte in Planung.<br />
Der absolute Renner aber ist die Bettensteuer,<br />
2009 in Köln zum ersten Mal erhoben.<br />
Dabei werden Hoteliers nach Gästeaufkommen<br />
besteuert. Die Anforderungen<br />
der Aufwandbesteuerung machen hier allerdings<br />
einige Verrenkungen notwendig.<br />
Da nur private Reisen besteuert werden<br />
dürfen, muss jeder Hotelgast ein zusätzliches<br />
Formular ausfüllen, wenn er in einem<br />
Hotel eincheckt. Trotzdem hat die Steuer<br />
landesweit Nachahmer gefunden, in touristischen<br />
Gebieten, die nicht auf die Kurtaxe<br />
zurückgreifen können, ist sie inzwischen<br />
fast Standard. Doch seit kurzer Zeit<br />
herrscht Verwirrung. Im Oktober kippte<br />
das Oberverwaltungsgericht Münster die<br />
Bettensteuer in Dortmund, der Aufwand<br />
der Erhebung sei den Gastwirten nicht zuzumuten.<br />
Jetzt setzen reihenweise Hoteliers<br />
die Zahlung aus und hoffen auf ähnliche<br />
Richtersprüche.<br />
Dennoch beweist der Erfolg der Kölner<br />
Bettensteuer, dass sich der Erfindungsreichtum<br />
auch für die Kämmerer persönlich<br />
lohnen kann. Der damalige Kölner<br />
Kämmerer Norbert Walter-Borjans ist heute<br />
Finanzminister in NRW.<br />
n<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 25<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Wir Zahlmeister<br />
EINKOMMEN | Die kalte Progression schlägt auch <strong>2<strong>01</strong>4</strong> wieder zu –<br />
für viele steigen auch die Beiträge zur Sozialversicherung.<br />
Bei wenigen Themen waren sich Union<br />
und SPD so schnell einig. Eigentlich<br />
müsste <strong>2<strong>01</strong>4</strong> wegen der üppigen<br />
Finanzpolster der Rentenversicherung der<br />
Beitragssatz fallen; so will es Paragraf 158 des<br />
Sozialgesetzbuches VI. Doch wenn die Arbeitnehmer<br />
in Kürze ihre erste Gehaltsabrechnung<br />
des neuen Jahres erhalten, dürfte<br />
es lange Gesichter geben. Die große Koalition<br />
verweigert Beschäftigten und Betrieben<br />
die Entlastung von rund 7,5 Milliarden Euro<br />
– und hat den Beitragsautomatismus in einem<br />
rechtlich umstrittenen Eilverfahren<br />
ausgehebelt. Grund: Schwarz-Rot braucht<br />
das Geld, um damit Wahlgeschenke wie die<br />
Mütterrente zu finanzieren.<br />
Dabei hätten die Bürger eine Entlastung<br />
gut gebrauchen können. Ihre Steuer- und<br />
Abgabenlast bleibt <strong>2<strong>01</strong>4</strong> auf unerfreulich hohem<br />
Niveau. Das zeigen Berechnungen, die<br />
Volker Stern, Ökonom beim Bund der Steuerzahler<br />
(BdSt), exklusiv für die Wirtschafts-<br />
Woche angefertigt hat. Für drei Musterhaushalte<br />
errechnete Stern, wie sich die Änderungen<br />
bei Steuern und Abgaben <strong>2<strong>01</strong>4</strong> auf<br />
das verfügbare Einkommen auswirken –<br />
und wie sich die Gesamtbelastung im Vergleich<br />
zu Januar 2<strong>01</strong>3 darstellt (siehe Tabelle).<br />
Das Besondere der Analyse: Stern berücksichtigte<br />
auch versteckte Steuern wie<br />
die auf Konsumprodukte zu zahlende Mehrwertsteuer,<br />
spezielle Verbrauchsteuern (auf<br />
Benzin, Zigaretten, Strom, Heizöl) sowie<br />
Kommunalabgaben, etwa für Müll und Abwasser.<br />
Grundlage waren haushaltstypische<br />
Verbrauchs- und Konsummengen. Auch die<br />
EEG-Umlage und der Zwangsbeitrag fürs öffentlich-rechtliche<br />
Fernsehen flossen ein.<br />
Ergebnis: Inklusive der Arbeitgeberbeiträge<br />
zur Sozialversicherung, die methodisch<br />
zu den Lohnkosten hinzugerechnet werden,<br />
überweist ein gut situiertes Kölner Doppelverdiener-Ehepaar<br />
(zwei Kinder, Eigenheim)<br />
in diesem Jahr 56,4 Prozent des Bruttoeinkommens<br />
an Staat und Sozialkassen –<br />
exakt so viel wie 2<strong>01</strong>3. Beim Dresdner Mittelschicht-Ehepaar<br />
(zwei Kinder) steigt die Last<br />
um 0,1 Punkte auf 48,4 Prozent. Der Gutverdiener-Singlehaushalt<br />
in Göttingen wird mit<br />
unverändert 62,4 Prozent abkassiert.<br />
Die Ergebnisse sind umso ernüchternder,<br />
als dass Stern für <strong>2<strong>01</strong>4</strong> bei allen Haushalten<br />
In die Knie Junge<br />
Beschäftigte in<br />
Auf niedrigere<br />
Rentenbeiträge<br />
hoffen Arbeitnehmer<br />
vergebens<br />
eine Lohnerhöhung von 1,8 Prozent einkalkuliert<br />
hat. Wegen des progressiven Einkommensteuertarifs<br />
aber erhöht sich bei steigenden<br />
Löhnen die abzuführende Lohnsteuer<br />
überproportional. Eine Entschärfung der<br />
kalten Progression hatte die SPD in der vergangenen<br />
Legislaturperiode verhindert.<br />
„Dass die große Koalition das Thema nun<br />
komplett ignoriert, ist eine Brüskierung der<br />
Steuerzahler. Das Versprechen, keine Steuern<br />
zu erhöhen, wird dadurch glatt gebrochen“,<br />
kritisiert Stern. Laut Bundesfinanzministerium<br />
kassiert der Fiskus allein aufgrund<br />
der Progression in den nächsten vier Jahren<br />
rund 17,5 Milliarden Euro mehr.<br />
Konkret ändert sich <strong>2<strong>01</strong>4</strong> bei Steuern und<br />
Abgaben Folgendes:<br />
n Trotz konstanter Beitragssätze müssen<br />
viele Arbeitnehmer mehr an die Sozialkassen<br />
überweisen. Die Beitragsbemessungsgrenze,<br />
also der Maximalbetrag des Bruttoeinkommens,<br />
bis zu dem Beiträge erhoben<br />
werden, klettert in der Renten- und Arbeitslosenversicherung<br />
in Westdeutschland um<br />
150 Euro auf den neuen Rekordwert von<br />
5950 Euro. In den neuen Bundesländern beträgt<br />
der Anstieg 100 Euro (auf 5000 Euro). In<br />
der Kranken- und Pflegeversicherung erhöht<br />
sich der versicherungspflichtige Bruttolohn<br />
einheitlich um 112,50 Euro auf 4050<br />
Euro. Unter dem Strich ergeben sich für Besserverdiener<br />
Mehrbelastungen bis zu 251<br />
Euro jährlich.<br />
n Der Beitragssatz der gesetzlichen Krankenkassen<br />
ist zwar festgeschrieben. Die große<br />
Koalition will aber die Finanzautonomie<br />
der Kassen erhöhen, sodass Beitragsänderungen<br />
<strong>2<strong>01</strong>4</strong> nicht ausgeschlossen sind. Darauf<br />
müssen die privaten Krankenversicherungen<br />
nicht warten: Gleich 17 von ihnen<br />
haben steigende Beiträge angekündigt.<br />
n Die Tabaksteuer steigt weiter an: Reichen<br />
die Hersteller die Erhöhung an die Kunden<br />
durch, verteuert sich eine Packung Zigaretten<br />
(19 Stück) um vier bis acht Cent.<br />
n Die EEG-Umlage für Strom schießt um 18<br />
Prozent nach oben – von 5,28 auf 6,24 Cent<br />
pro Kilowattstunde.<br />
n Beiträge zur Alterssicherung sind <strong>2<strong>01</strong>4</strong> zu<br />
78 Prozent abzugsfähig (2<strong>01</strong>3: 76 Prozent).<br />
Auf lange Sicht ist dies aber ein Nullsummenspiel,<br />
denn im Gegenzug steigt der steuerpflichtige<br />
Anteil der späteren Rente.<br />
n Der Grundfreibetrag steigt von 8<strong>13</strong>0 auf<br />
8354 Euro. Um das Existenzminimum für<br />
Kinder steuerlich freizustellen, muss die Regierung<br />
zudem wohl im Laufe des Jahres den<br />
Kinderfreibetrag um 72 Euro erhöhen.<br />
GEBÜHRENSCHRAUBE DREHT SICH<br />
Entlastung vonseiten ihrer Kommune dürfen<br />
die Bürger unter dem Strich nicht erwarten.<br />
Die Unternehmensberatung EY hat im<br />
Sommer 300 größere Städte und Gemeinden<br />
nach ihren Plänen befragt. Ergebnis:<br />
Gut 75 Prozent wollen an der Gebührenschraube<br />
drehen. 28 Prozent planen etwa eine<br />
höhere Grundsteuer, 30 Prozent kassieren<br />
mehr für Kitas und Ganztagsangebote.<br />
Weitgehend stabil dürften indes die Entsorgungskosten<br />
für Müll und Abwasser bleiben.<br />
„Wenn überhaupt, gibt es einen Anstieg unterhalb<br />
der Inflationsrate“, prognostiziert<br />
Bernd Düsterdiek, Abgabenexperte beim<br />
Deutschen Städte- und Gemeindebund. In<br />
Köln etwa sinkt die Müllgebühr sogar.<br />
Allerdings sorgt die Kommunen nun ein<br />
Passus im Koalitionsvertrag, wonach<br />
Schwarz-Rot den „Schutz der Gewässer vor<br />
Nährstoffeinträgen sowie Schadstoffen“ verstärken<br />
will. Sollte den Kläranlagen eine zusätzliche<br />
Reinigungsstufe vorgeschrieben<br />
werden, was nicht wenige Kommunalvertreter<br />
befürchten, würde das Millionensummen<br />
kosten. Und dann, warnt Düsterdiek,<br />
„werden die Abwassergebühren drastisch<br />
nach oben schießen“.<br />
n<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS TRUTSCHEL; ILLUSTRATIONEN: KRISTINA DÜLLMANN<br />
28 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Was Staat und Sozialversicherung kassieren<br />
Ehepaar (Doppelverdiener im Eigenheim, zwei Kinder, Köln)<br />
Ehepaar (Alleinverdiener, zwei Kinder, Dresden)<br />
Single (Göttingen)<br />
Bruttogehalt<br />
mit Arbeitgeberbeiträgen<br />
ohne Arbeitgeberbeiträge<br />
zur Sozialversicherung<br />
Direkte Abzüge<br />
Lohnsteuer (Klasse 3/2 und 5)<br />
Solidaritätszuschlag<br />
Kirchensteuer (9 Prozent)<br />
Kindergeld<br />
Rentenversicherung 1<br />
Arbeitslosenversicherung 1<br />
Krankenversicherung 1<br />
Pflegeversicherung 1<br />
Abzüge insgesamt<br />
in Prozent <strong>vom</strong> Bruttogehalt<br />
Nettogehalt<br />
Spezielle Verbrauchsteuern<br />
auf<br />
Mineralöl (400 Liter Benzin)<br />
Zigaretten (30 Packungen)<br />
Heizöl (300 Liter)<br />
Strom (450 Kilowattstunden)<br />
EEG-Umlage auf Strom<br />
GEZ-Gebühr/Haushaltsabgabe<br />
Mehrwertsteuer<br />
auf Konsum<br />
19 Prozent (von 47 Prozent<br />
des Nettoeinkommens)<br />
7 Prozent (von 10 Prozent des<br />
Nettoeinkommens)<br />
Kfz-Steuer<br />
(2 Pkws: Mercedes, VW Golf)<br />
Versicherungsteuer 2<br />
Kommunale Steuern und<br />
Gebühren<br />
Grundsteuer<br />
(Einheitswert 45000 Euro)<br />
Hundesteuer<br />
Wasser (15 m 3 , inkl. Zähler)<br />
Abwassergebühr<br />
(15 Kubikmeter)<br />
Niederschlagsgebühr<br />
(250 Quadratmeter bebaut)<br />
Straßenreinigung (25 Meter)<br />
Müllabfuhr/Biotonne (120 l)<br />
Gesamtbelastung mit direkten<br />
und indirekten Abgaben 3<br />
in Prozent <strong>vom</strong> Bruttogehalt 3<br />
Er<br />
Sie<br />
Januar<br />
2<strong>01</strong>3<br />
15494,47<br />
8390,00<br />
5240,00<br />
<strong>13</strong> 630,00<br />
–3518,43<br />
–169,57<br />
–277,49<br />
+368,00<br />
–1043,28<br />
–165,60<br />
–645,76<br />
– 80,72<br />
5 532,84<br />
40,6<br />
8 097,16<br />
Januar<br />
<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
(in Euro)<br />
261,80<br />
94,80<br />
18,40<br />
9,23<br />
23,76<br />
17,98<br />
607,63<br />
52,97<br />
19,<strong>13</strong><br />
19,00<br />
54,31<br />
<strong>13</strong>,00<br />
33,72<br />
23,40<br />
27,08<br />
19,60<br />
42,32<br />
8 735,44<br />
56,4<br />
1 Arbeitnehmeranteil; 2 gängiger Versicherungsmix;<br />
3 inklusive Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung.<br />
+1,8 %<br />
15787,03<br />
8542,00<br />
5335,00<br />
<strong>13</strong> 877,00<br />
–3576,24<br />
–172,56<br />
–282,38<br />
+368,00<br />
–1066,44<br />
–169,28<br />
–664,20<br />
–83,02<br />
5 646,11<br />
40,7<br />
8 230,89<br />
261,80<br />
95,91<br />
18,40<br />
9,23<br />
28,08<br />
17,98<br />
617,66<br />
53,85<br />
19,<strong>13</strong><br />
19,00<br />
54,31<br />
<strong>13</strong>,00<br />
35,54<br />
23,40<br />
27,08<br />
19,44<br />
41,73<br />
8 911,69<br />
56,4<br />
Bruttogehalt<br />
mit Arbeitgeberbeiträgen<br />
ohne Arbeitgeberbeiträge<br />
zur Sozialversicherung<br />
Direkte Abzüge<br />
Lohnsteuer (Klasse 3/2)<br />
Solidaritätszuschlag<br />
Kirchensteuer (konfessionslos)<br />
Kindergeld<br />
Rentenversicherung 1<br />
Arbeitslosenversicherung 1<br />
Krankenversicherung 1<br />
Pflegeversicherung 2<br />
Abzüge insgesamt<br />
in Prozent <strong>vom</strong> Bruttogehalt<br />
Nettogehalt<br />
Spezielle Verbrauchsteuern<br />
auf<br />
Mineralöl (150 Liter Benzin)<br />
Zigaretten (30 Packungen)<br />
Heizöl (200 Liter)<br />
Strom (400 Kilowattstunden)<br />
EEG-Umlage auf Strom<br />
GEZ-Gebühr/Haushaltsabgabe<br />
Mehrwertsteuer<br />
auf Konsum<br />
19 Prozent (von 47 Prozent des<br />
Nettoeinkommens)<br />
7 Prozent (von 12 Prozent des<br />
Nettoeinkommens)<br />
Kfz-Steuer<br />
(Ford Focus)<br />
Versicherungsteuer³<br />
Kommunale Steuern und<br />
Gebühren<br />
Grundsteuer (auf die Miete umgelegt,<br />
Wohnung 95 m 2 )<br />
Hundesteuer<br />
Wasser (10 m 3 , inkl. Zähler )<br />
Abwassergebühr<br />
(10 Kubikmeter)<br />
Müllabfuhr/Biotonne (120 l)<br />
Gesamtbelastung mit direkten<br />
und indirekten Abgaben 4<br />
in Prozent <strong>vom</strong> Bruttogehalt 4<br />
Januar Januar<br />
2<strong>01</strong>3 <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
(in Euro)<br />
4956,91<br />
4 190,00<br />
–502,66<br />
–7,66<br />
–<br />
+368,00<br />
–395,96<br />
–62,85<br />
–322,88<br />
–60,05<br />
984,05<br />
23,5<br />
3 205,95<br />
98,18<br />
94,80<br />
12,27<br />
8,20<br />
21,12<br />
17,98<br />
240,58<br />
25,17<br />
9,00<br />
15,20<br />
22,62<br />
9,00<br />
29,59<br />
17,60<br />
22,<strong>13</strong><br />
2 394,40<br />
48,3<br />
+1,8 %<br />
5050,04<br />
4 266,00<br />
–504,16<br />
–7,66<br />
–<br />
+368,00<br />
–403,14<br />
–63,99<br />
–332,10<br />
–61,76<br />
1 004,81<br />
23,6<br />
3 261,19<br />
98,18<br />
95,91<br />
12,27<br />
8,20<br />
24,96<br />
17,98<br />
244,73<br />
25,60<br />
9,00<br />
15,20<br />
22,62<br />
9,00<br />
29,59<br />
17,60<br />
22,<strong>13</strong><br />
2 441,82<br />
48,4<br />
1 Arbeitnehmeranteil; 2 Arbeitnehmeranteil in Sachsen<br />
1,475/1,525Prozent (Arbeitgeberanteil 0,475/0,525 Prozent);<br />
3 gängiger Versicherungsmix; 4 inklusiveArbeitgeberbeiträge<br />
zur Sozialversicherung<br />
Bruttogehalt<br />
mit Arbeitgeberbeiträgen<br />
ohne Arbeitgeberbeiträge<br />
zur Sozialversicherung<br />
Direkte Abzüge<br />
Lohnsteuer (Klasse 1)<br />
Solidaritätszuschlag<br />
Kirchensteuer (9 Prozent)<br />
Rentenversicherung 1<br />
Arbeitslosenversicherung 1<br />
Krankenversicherung 1<br />
Pflegeversicherung 1<br />
Abzüge insgesamt<br />
in Prozent <strong>vom</strong> Bruttogehalt<br />
Nettogehalt<br />
Spezielle Verbrauchsteuern<br />
auf<br />
Mineralöl (200 Liter Benzin)<br />
Zigaretten (30 Packungen)<br />
Heizöl (150 Liter)<br />
Strom (150 Kilowattstunden)<br />
EEG-Umlage auf Strom<br />
GEZ-Gebühr/Haushaltsabgabe<br />
Mehrwertsteuer<br />
auf Konsum<br />
19 Prozent (von 47 Prozent des<br />
Nettoeinkommens)<br />
7 Prozent (von 6 Prozent des<br />
Nettoeinkommens)<br />
Kfz-Steuer<br />
(BMW)<br />
Versicherungsteuer²<br />
Kommunale Steuern und<br />
Gebühren<br />
Grundsteuer (auf die Miete umgelegt,<br />
Wohnung 70 m 2 )<br />
Hundesteuer<br />
Wasser (5 m 3 , inkl. Zähler)<br />
Abwassergebühr<br />
(5 Kubikmeter)<br />
Müll/Biotonne (120 l, 14-tägig)<br />
Gesamtbelastung mit direkten<br />
und indirekten Abgaben³<br />
in Prozent <strong>vom</strong> Bruttogehalt³<br />
Januar<br />
2<strong>01</strong>3<br />
6718,52<br />
5 760,00<br />
–1431,25<br />
–78,72<br />
–128,81<br />
–544,32<br />
–86,40<br />
–322,88<br />
–50,20<br />
2 642,58<br />
45,9<br />
3 117,42<br />
<strong>13</strong>0,90<br />
94,80<br />
9,20<br />
3,08<br />
7,92<br />
17,98<br />
233,94<br />
12,24<br />
11,25<br />
Januar<br />
<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
(in Euro)<br />
9,50<br />
18,55<br />
–<br />
<strong>13</strong>,16<br />
11,70<br />
18,98<br />
4 194,29<br />
62,4<br />
+1,8 %<br />
6843,27<br />
5 864,00<br />
–1453,58<br />
–79,95<br />
–<strong>13</strong>0,82<br />
–554,15<br />
–87,96<br />
–332,10<br />
–51,64<br />
2 690,19<br />
45,9<br />
3 173,81<br />
<strong>13</strong>0,90<br />
95,91<br />
9,20<br />
3,08<br />
9,36<br />
17,98<br />
238,17<br />
12,46<br />
11,25<br />
9,50<br />
20,65<br />
–<br />
<strong>13</strong>,16<br />
11,70<br />
18,98<br />
4 271,77<br />
62,4<br />
1 Arbeitnehmeranteil; 2 gängiger Versicherungsmix;<br />
3 inklusive Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung<br />
Für <strong>2<strong>01</strong>4</strong> wurde für alle Haushalte eine Lohnerhöhung<br />
von 1,8 Prozent unterstellt. Quelle: Volker Stern<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 29<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
Neue Zeiten<br />
Revolutionsführer<br />
Khamenei (links),<br />
Reformer Rowhani<br />
„bin ich der einzige Vertreter eines europäischen<br />
Wirtschaftsverbandes im Iran“.<br />
Deutschland, zusammen mit den fünf<br />
ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates<br />
Kontrahent der Iraner bei den Genfer<br />
Verhandlungen, hat offenbar einen Startvorteil,<br />
falls der Iran wieder zum normalen<br />
Akteur auf der weltwirtschaftlichen Bühne<br />
werden sollte.<br />
Bis dahin ist freilich noch ein weiter Weg.<br />
Das Genfer Abkommen mit seinen vertrackten<br />
Klauseln ist nur eine auf ein halbes<br />
Jahr begrenzte Zwischenlösung. In dieser<br />
Zeit soll der Iran seine Nuklearpläne<br />
einschränken, die USA im Gegenzug eingefrorene<br />
iranische Bankguthaben im Wert<br />
von mehreren Milliarden Dollar freigeben.<br />
„Juristisch ist nichts Greifbares passiert,<br />
aber die Stimmung hat sich seit Genf radikal<br />
geändert“, sagt ein deutscher Ge-<br />
Bei einem Comeback<br />
des Iran hat<br />
Deutschland<br />
einen Startvorteil<br />
Sensible Zeit<br />
IRAN | Ein Ende der wirtschaftlichen Isolation gerät in Sicht. Doch<br />
die Probleme des Landes sind damit noch lange nicht gelöst.<br />
Keine einzige Absage bekam Daniel<br />
Bernbeck, Geschäftsführer der<br />
Deutsch-Iranischen Industrie- und<br />
Handelskammer (DIIHK), als er vor ein<br />
paar Tagen in Teheran die für Wirtschaftsfragen<br />
zuständigen Diplomaten aller europäischer<br />
Vertretungen zum Frühstück einlud.<br />
So etwas wäre vor drei Monaten noch<br />
eine triste Zusammenkunft gewesen, bei<br />
der es allenfalls um Einzelheiten des internationalen<br />
Sanktionsregimes gegen die<br />
iranische Nuklearpolitik gegangen wäre.<br />
Jetzt aber geht es um neue Chancen: Seit<br />
dem Genfer Abkommen zwischen dem<br />
Teheraner Regime und den internationalen<br />
Mächten Ende November sieht es<br />
so aus, als könnte der Iran schon bald<br />
wieder als respektables und finanzstarkes<br />
Schwellenland in die Weltwirtschaft zurückkehren.<br />
Kein EU-Land will da als<br />
Handelspartner fehlen, und alle wollen<br />
von dem Erfahrungsvorsprung der Deutschen<br />
profitieren.<br />
Die deutsche Kammer hat in den Jahren<br />
der zunehmenden Sanktionen in Teheran<br />
ausgehalten, „und heute“, sagt Bernbeck,<br />
schäftsmann, der in Teheran aufgewachsen<br />
ist und seit vielen Jahren deutsche Unternehmen<br />
im Iran berät. Konsumgüter<br />
wurden auch nach Verschärfung der Sanktionen<br />
legal in den Iran exportiert, und die<br />
ebenso wichtige wie marode iranische Ölund<br />
Gasindustrie bezog immer noch Ersatzteile<br />
aus Deutschland. So etwas allerdings<br />
wurde auf Umwegen ins Land geschmuggelt:<br />
wahrscheinlich über China,<br />
auch wenn die Volksrepublik als Sicherheitsratsmitglied<br />
zu den Urhebern der<br />
Sanktionen gehörte, und ganz bestimmt<br />
über Dubai, obwohl die Vereinigten Arabischen<br />
Emirate jetzt über die angeblich<br />
wachsende militärische Bedrohung durch<br />
den Iran klagen.<br />
Jedes Geschäft mit dem Iran muss immer<br />
noch mit der Schwierigkeit fertig werden,<br />
dass keine europäische Bank mitmachen<br />
will oder darf. Und die iranischen<br />
Banken, samt und sonders staatlich oder<br />
Funktionären des Regimes eng verbunden,<br />
stehen alle auf den Sanktionslisten der USA<br />
und der EU-Kommission. „Die Sanktionsarchitektur<br />
bleibt erhalten“, heißt das in der<br />
offiziellen Sprache der Bundesregierung.<br />
Umgekehrt bleibt auf der iranischen Sei-»<br />
FOTO: SIPA/AY-COLLECTION<br />
30 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
te das Drohpotenzial erhalten: Teheran<br />
hat sich nur verpflichtet, sein Atomprogramm<br />
einzufrieren. Von Abbau der Reaktoren<br />
und Zentrifugen, von Zerstörung des<br />
radioaktiven Materials ist vorerst keine Rede.<br />
Im Teheraner Parlament hat die starke<br />
Gruppe der konservativen Gegner des Präsidenten<br />
Hassan Rowhani einen Gesetzentwurf<br />
eingebracht, der die Regierung zur<br />
Herstellung von zu 60 Prozent angereichertem<br />
Uran – also praktisch von Atomwaffen<br />
– verpflichtet. Kommt das durch, würde<br />
das Genfer Abkommen zur Fata Morgana.<br />
NEUER PLURALISMUS<br />
Aber selbst das lässt sich auch optimistisch<br />
interpretieren: In der Teheraner Mullah-<br />
Diktatur ist der Pluralismus offen ausgebrochen,<br />
und ganz offensichtlich hat der<br />
gemäßigte Präsident Rowhani die Oberhand<br />
gegenüber seinen konservativen und<br />
rabiat antiwestlichen Gegnern. Alles<br />
spricht dafür, dass die oberste Instanz des<br />
islamistischen Staates, der Revolutionsführer<br />
Ali Khamenei, Rowhani stützt: nicht<br />
aus plötzlicher Begeisterung für Mäßigung<br />
und Vernunft, sondern aus Angst vor einem<br />
Aufstand der Bevölkerung als Folge<br />
weiterer Isolation und Verarmung.<br />
Bei allem Konservativismus will<br />
Rowhani den Iran „lieber zu einem persischen<br />
China als zu einem islamischen<br />
Nordkorea machen“, wie das der amerikanische<br />
Publizist und Nahostkenner Milton<br />
Friedman formuliert. „Der Wandel ist doch<br />
erdbebenartig“, sagt ein deutsch-iranischer<br />
Unternehmensberater, der freilich immer<br />
noch aus Angst vor den konservativen Anhängern<br />
des früheren Präsidenten Mahmud<br />
Ahmadinedschad seinen Namen in<br />
diesem Zusammenhang nicht lesen will –<br />
„wir haben hier noch eine zu sensible Zeit“.<br />
Was er meint:Die Konservativen beherrschen<br />
nach wie vor die staatliche Öl- und<br />
Gasindustrie und die meisten iranischen<br />
Banken, oft über religiöse Stiftungen, die so<br />
etwas wie staatlich gestützte Megaholdings<br />
sind: ökonomisch ineffizient, eher auf<br />
Ideologie als auf rationales Wirtschaften<br />
gepolt, eng vernetzt mit der Atomrüstungsindustrie<br />
und zumeist korrupt.<br />
Bei der Korruption hat Präsident Rowhani<br />
angesetzt: Prominente Wirtschaftsfunktionäre<br />
der Ahmadinedschad-Zeit sind in<br />
den vergangenen Wochen gefeuert worden,<br />
und jetzt ermitteln die Staatsanwälte<br />
gegen sie. Ein Paradebeispiel ist nach<br />
einem Bericht des in Teheran gut vernetzten<br />
Internet-Portals „Al-Monitor“ der bisherige<br />
Chef der iranischen Sozialversicherungsanstalt<br />
SSO: Saeed Mortazavi, der<br />
sich als grausamer Richter über Oppositionelle<br />
für seinen Job qualifiziert hatte, verwandelte<br />
seine Behörde in eine heimliche<br />
In Brüssel wird<br />
über den Abbau<br />
von Sanktionen<br />
entschieden<br />
Megaholding mit Beteiligung an Banken,<br />
Stahlwerken, Versicherungen, Reedereien<br />
wie der National Iranian Tanker Company<br />
und natürlich dem Ölhandel.<br />
Für die iranische Wirtschaft ist diese<br />
Säuberungswelle aus zwei Gründen wichtig:<br />
Erst einmal werden unfähige und korrupte<br />
Wirtschaftsfunktionäre durch unbelastete<br />
Leute ersetzt, das lässt zumindest<br />
auf effizienteres Wirtschaften hoffen. Und<br />
zweitens erfasst diese Hoffnung die iranische<br />
Bevölkerung – und das stabilisiert das<br />
Land. Sicheres Zeichen dafür: Die Flucht<br />
aus der Landeswährung ist gestoppt. 2007,<br />
vor Beginn der großen Krise, mussten Iraner<br />
<strong>13</strong> 000 Rial für einen Euro bezahlen;<br />
vergangenen Sommer, zur Zeit der Wahl<br />
Rowhanis, waren es 50 000; jetzt sind es nur<br />
noch 40 000 Rial – eine Aufwertung von 20<br />
Prozent, die nicht auf realwirtschaftlichen<br />
Veränderungen basiert, sondern auf neuem<br />
Vertrauen in die iranische Führung.<br />
Fragt sich jetzt, ob die Industriestaaten<br />
dieses Vertrauen teilen. Deutsche Unternehmen,<br />
die auf neue Geschäfte mit dem<br />
Iran setzen, schauen jetzt nach Brüssel, sagt<br />
Michael Tockuss, Geschäftsführer eines Vereins<br />
namens Deutsch-Iranische Handelskammer<br />
in Hamburg. Tockuss und seine<br />
Klienten hoffen darauf, dass die EU-Kommission<br />
sie am 20. Januar aus der bisherigen<br />
rechtlichen Grauzone befreit, indem sie die<br />
amerikanischen Zugeständnisse gegenüber<br />
Teheran auf die europäischen Bestimmungen<br />
überträgt. Dabei geht es Tockuss zufolge<br />
im Wesentlichen um drei Fragen:<br />
n Freigabe der blockierten iranischen Guthaben<br />
von europäischen Banken: Vor allem<br />
in Italien ist viel iranisches Geld aus<br />
italienischen Ölimporten eingefroren.<br />
n Wegfall der Sanktionen gegen den iranischen<br />
Automobilsektor: Staatseigene iranische<br />
Unternehmen bauen seit Langem<br />
Peugeots und Citroëns in Lizenz, deutsche<br />
Zulieferer wollen diese Fabriken wieder<br />
beliefern.<br />
n Aufhebung der Sanktionen gegen Irans<br />
Petrochemie: Die Anlagen sind ähnlich<br />
veraltet wie die Ölfelder und Pipelines im<br />
Reich der Mullahs; für Reparaturen und<br />
Neubauten bieten sich deutsche Unternehmen<br />
geradezu an.<br />
Ob daraus etwas wird, bleibt natürlich<br />
offenen. Viel hängt an der immer noch<br />
wackeligen Glaubwürdigkeit der Herrscher<br />
in Teheran. Auch darum plädiert Präsident<br />
Rowhani inzwischen für eine radikale<br />
Umwandlung seiner Islamischen Republik<br />
in einen Mehrparteienstaat – mit legaler<br />
Opposition.<br />
n<br />
hansjakob.ginsburg@wiwo.de<br />
WIE DIE SANKTIONEN WIRKTEN Irans Wirtschaft in Zahlen<br />
77,1<br />
Millionen<br />
Einwohner<br />
9,4%<br />
hat das Land:<br />
44 Prozent sind<br />
jünger als 25,<br />
acht Prozent<br />
Analphabeten<br />
16% Rückgang<br />
bei der Ölproduktion 2<strong>01</strong>2 –<br />
aber immer noch 4,2 Prozent<br />
der Weltproduktion<br />
der weltweiten Ölreserven<br />
liegen im Iran – und 18 Prozent<br />
der Erdgasreserven<br />
5039<br />
Dollar<br />
66 Prozent<br />
des Exports 2<strong>01</strong>2 war Öl –<br />
wichtigste Abnehmer:<br />
China, Indien, Türkei, Südkorea<br />
betrug das Bruttoinlandsprodukt<br />
pro Kopf 2<strong>01</strong>3, ein Rückgang<br />
um 30 Prozent in einem Jahr<br />
1,6<br />
Milliarden<br />
Euro<br />
zahlte der Iran<br />
für deutsche<br />
Importe 2<strong>01</strong>3<br />
– Tendenz:<br />
stark fallend<br />
32 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Wankende Ölmächte<br />
FORUM | Die Großmächte und Deutschland sind dem Iran bei den Atomverhandlungen weit entgegengekommen<br />
– zum eigenen Schaden: Das Mullah-Regime bedroht jetzt die Stabilität am Persischen<br />
Golf, auf die die Weltwirtschaft wegen des Erdöls angewiesen ist. Von Rafael Seligmann<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/AFP, LAIF/MARTIN LENGEMANN<br />
Politik und Außenwirtschaftsbeziehungen<br />
gelten als Ergebnis<br />
nüchterner Machtabwägung.<br />
Stattdessen regieren<br />
hier oftmals Emotionen. Etwa in<br />
der deutschen Nahostpolitik, die<br />
vergangenheitsbedingt weitgehend<br />
durch die israelische Brille<br />
betrachtet wird. Dies wird bei der<br />
Beurteilung des Interimsabkommens<br />
über die zeitweilige Begrenzung<br />
des Nuklearprogramms Irans<br />
zwischen den fünf ständigen<br />
Mächten des UNO-Sicherheitsrates<br />
plus Deutschland (5 + 1-Staaten)<br />
mit Teheran sichtbar. Fakten<br />
und Zahlen legen nahe, dabei alle entscheidenden globalen und<br />
regionalen Aspekte zu berücksichtigen, die für Deutschlands<br />
Volkswirtschaft, aber auch die internationale Stellung Berlins von<br />
entscheidender Relevanz sind.<br />
Die Arabische Liga umfasst 22 Staaten, auf einer Fläche von elf<br />
Millionen Quadratkilometern leben dort 300 Millionen Menschen.<br />
Israel hat eine Fläche von gerade 20 000 Quadratkilometern und<br />
eine Bevölkerung von 7,5 Millionen Menschen. Saudi-Arabien<br />
liegt mit einer jährlichen Erdölproduktion von 547 Millionen Tonnen<br />
an erster Stelle. Weitere internationale Spitzenplätze nehmen<br />
Iran (175 Millionen Tonnen), Vereinigte Arabische Emirate (154<br />
Millionen Tonnen), Kuwait (153 Millionen Tonnen), Irak (152<br />
Millionen Tonnen) ein. Arabische Staaten fördern 45 Prozent der<br />
globalen Ölproduktion, Saudi-Arabien allein 15,7 Prozent. Die<br />
wirtschaftliche Potenz von Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait,<br />
Bahrain, Katar, den Emiraten nimmt ständig zu. Arabische Investoren<br />
besitzen erhebliche Anteile an führenden deutschen Unternehmen<br />
wie Volkswagen, Ferrostahl, MAN, Daimler<br />
etc. Die Öl exportierenden Staaten sind wichtige<br />
Importeure deutscher Qualitätserzeugnisse.<br />
Deutschland wiederum bezieht von dort strategische<br />
Rohstoffe wie Erdöl.<br />
Ein Kontrast zur wirtschaftlichen Macht der arabischen<br />
Länder ist deren militärische Schwäche.<br />
Dabei darf man sich nicht von den modernen Waffensystemen,<br />
die aus den USA und den Staaten des<br />
Westens, unter anderem aus Deutschland, eingeführt<br />
wurden, täuschen lassen. Die Armeen der<br />
Golfstaaten wie Saudi-Arabien verfügen über keine<br />
Kampferfahrung, ihre Schlagkraft ist niedrig. So<br />
mussten französische Einheiten 1979 den Überfall<br />
bewaffneter Islamisten auf die Große Moschee in<br />
Mekka niederschlagen, da die saudi-arabische<br />
Rafael Seligmann, 66, ist<br />
Herausgeber der „Jewish<br />
Voice from Germany“.<br />
Der Historiker lebt als<br />
freier Publizist in Berlin.<br />
Verschleierte Gefahr<br />
Iranische Pro-Atom-Demo<br />
Armee dazu nicht in der Lage war.<br />
1990 leisteten Kuwaits Streitkräfte<br />
der Invasionsarmee Iraks keinen<br />
Widerstand. Zuletzt waren die Sicherheitskräfte<br />
Bahrains unfähig,<br />
Ausschreitungen regierungsfeindlicher<br />
Schiiten zu beenden.<br />
Die Schiiten in Nahost, etwa in<br />
Irak, Libanon, Syrien, Bahrain,<br />
werden von Iran unterstützt. Das<br />
bereitet den sunnitischen Herrscherhäusern<br />
in Saudi-Arabien<br />
und den Golfemiraten Sorge. Das<br />
Zugeständnis der 5 + 1-Staaten,<br />
Iran faktisch die Uranreicherung<br />
zu erlauben und damit anzuerkennen,<br />
dass Teheran an der Schwelle zur Kernwaffenmacht steht und<br />
in der Lage bleiben wird, in kurzer Zeit zur Atommacht aufzusteigen,<br />
wird von den Golfstaaten ebenso wie von Israel als existenzielle<br />
Bedrohung empfunden. Doch während Jerusalem als erstrangige<br />
Militärmacht der Region die militärische Potenz besitzt,<br />
mit einer schlagkräftigen Armee und einer bestehenden Nuklearmacht<br />
den feindseligen Iran von einem atomaren Angriff abzuschrecken,<br />
bleiben die sunnitischen Länder dieser Gefahr zumindest<br />
politisch und militärisch ausgesetzt.<br />
Iran hat nicht die Absicht, ein muslimisches Land atomar zu<br />
attackieren. Doch das Prestige, von den Weltmächten als atomares<br />
Schwellenland anerkannt zu werden, verleiht Teheran eine regionale<br />
Vormachtstellung. Unterhalb der nuklearen Ebene kann das<br />
schiitische Mullah-Regime seine strategischen Trümpfe ausspielen.<br />
Eine gebildete Bevölkerung von annähernd 80 Millionen Menschen,<br />
kampferfahrene Streitkräfte aus Armee und Revolutionären<br />
Garden von mehr als einer halben Million Mann sowie eine expansive<br />
religiös-politische Ideologie üben per se Druck<br />
aus. Die militärische Intervention Teherans in<br />
Syrien und die Unterstützung der schiitischen Hisbollah<br />
in Libanon zeigen, dass Iran diese offensive<br />
Politik fortsetzt.<br />
Anders als der israelische Premier Benjamin Netanjahu,<br />
der lautstark gegen ein Ende der antiiranischen<br />
Sanktionen protestiert, setzen Saudi-Arabien<br />
und die Golfstaaten auf stille Diplomatie. Sie werden<br />
in Washington und der EU vor allem ihr wirtschaftliches<br />
Gewicht nutzen, um den Westen zu<br />
überzeugen, dass ein gestärkter Iran eine Gefahr<br />
für die konservativen Regime darstellt und die gesamte<br />
Region zu destabilisieren droht. Wir sollten<br />
die Warnung sehr ernst nehmen. Denn damit werden<br />
auch deutsche Interessen massiv tangiert. n<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 33<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
BERLIN INTERN | Sigmar Gabriel probiert schon mal<br />
die ganz große Koalition. Seine Führungsriege<br />
im Bundeswirtschaftsministerium ist ein Vielfarben-<br />
Potpourri. Von Henning Krumrey<br />
Buntesministerium<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BUNDESREGIERUNG/ERIKSSON<br />
Wer einen Radikahlschlag erwartet<br />
hatte, darf sich wundern:<br />
Der SPD-Vorsitzende<br />
Sigmar Gabriel macht aus<br />
seinem neuen Superressort für Wirtschaft<br />
und Energie kein knallrotes Vizekanzleramt,<br />
sondern eine bunte Mischung. In der<br />
Spitze und bei den Abteilungsleitern sind<br />
Anhänger aller politischen Richtungen an<br />
Bord – bis auf die Linkspartei.<br />
Auf Staatssekretärsebene regiert eine<br />
Ampel. Gabriel beließ Stefan Kapferer im<br />
Vizekanzleramtschef Staatssekretär<br />
Sontowski mit seinem Dienstherrn Gabriel<br />
Amt, den nüchtern-klugen, aber im letzten<br />
Jahr oft unerhörten Kopf hinter dem bisherigen<br />
Amtsinhaber Philipp Rösler. Kapferer<br />
hatte dessen Aufstieg schon im niedersächsischen<br />
Wirtschaftsministerium unterstützt<br />
und arbeitete zuvor in der FDP-Parteizentrale.<br />
Ebenso überraschend kam die Nominierung<br />
von Rainer Baake, seit 30 Jahren<br />
Mitglied der Grünen. Der war schon Staatssekretär<br />
– jeweils sieben Jahre in Umweltministerien<br />
im Bund unter Jürgen Trittin<br />
und in Hessen unter Joschka Fischer. Baake<br />
übernimmt die Energiepolitik und ist in<br />
der Wirtschaft respektiert und gefürchtet,<br />
weil er sich mit der Materie auskennt.<br />
Gerade mal einen Sozialdemokraten macht<br />
der neue Hausherr zum beamteten Staatssekretär:<br />
Rainer Sontowski. Er führte bisher<br />
das Büro des SPD-Vorsitzenden im<br />
Willy-Brandt-Haus, hat aber langjährige<br />
Verwaltungserfahrung im Bundesumweltministerium,<br />
im Presseamt und in der<br />
niedersächsischen Landesregierung. Sontowski<br />
ist das personifizierte Vizekanzleramt;<br />
er koordiniert die Arbeit der SPD-Ministerien<br />
und ist Verbindungsmann zur<br />
Regierungszentrale.<br />
Ebenso bunt ist Gabriels Abteilungsleiterriege.<br />
Aus Brüssel holt er sich Sabine<br />
Hepperle, die dort seit dem 1. Juli 2<strong>01</strong>1 das<br />
Büro des Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />
(DIHK) leitete. Sie übernimmt<br />
die Abteilung II, die sich um die Mittelstandspolitik<br />
kümmert.<br />
Oliver Schmolke wird künftig die Planungsabteilung<br />
des Ministeriums führen.<br />
Bisher diente der promovierte Politikwissenschaftler<br />
in ähnlicher Funktion in der<br />
SPD-Bundestagsfraktion. Die Zentralabteilung,<br />
die für die personalpolitische Führung<br />
des Hauses von großer Bedeutung ist,<br />
besetzt Gabriel intern mit dem bisherigen<br />
Unterabteilungsleiter Harald Kuhne. Auch<br />
er gilt im Haus als Genosse.<br />
Fünf der derzeit zehn Spitzenbeamten<br />
bleiben, aber einzig die Chefs der Grundsatzund<br />
der Europaabteilung, Alexander Groß<br />
und Claudia Dörr-Voß, bleiben auch auf ihren<br />
Positionen. Der bisherige Industrie-Mann<br />
Eckhard Franz wechselt zur Außenwirtschaft.<br />
Die Stelle war vakant, seit der Vorgänger<br />
zur Welthandelsorganisation WTO nach<br />
Genf abgewandert war. Auf die frei werdende<br />
Industrie-Position geht der bisherige Mittelstandsexperte<br />
Sven Halldorn. Als Streichkandidat<br />
galt Detlef Dauke, weil er eine dunkle<br />
Vergangenheit hat, genau genommen: eine<br />
schwarze. Denn der Leiter der Energieabteilung<br />
kam einst mit dem CSU-Mann Michael<br />
Glos ins Ministerium, dessen Büro er schon<br />
in der CSU-Landesgruppe geführt hatte. Andererseits:<br />
Pflichtbewusste Spitzenbeamte<br />
kann Gabriel brauchen. Dauke übernimmt<br />
die Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
sowie Technologiepolitik. Diese Felder<br />
werden zusammengelegt, um eine Leitungsposition<br />
frei zu bekommen.<br />
Denn durch die Bündelung der Energiepolitik<br />
im BMWi kommt eine Abteilung aus<br />
dem Umweltressort ins Haus, an ihrer Spitze<br />
Urban Rid. Das für Gabriel entscheidende<br />
Thema der Energiepolitik wird also künftig<br />
von zwei Abteilungen organisiert. Für die<br />
angestammte Energietruppe sucht der<br />
neue Minister noch den führenden Kopf.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 35<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Der Arbeitsmarkt<br />
brummt, doch eine Gruppe hat davon<br />
so gut wie nichts: die Langzeitarbeitslosen.<br />
Von Bert Losse<br />
Multiple Hürden<br />
In der vergangenen Woche<br />
meldete das Statistische<br />
Bundesamt einen neuen<br />
Jobrekord für Deutschland.<br />
Die Zahl der Erwerbstätigen<br />
ist 2<strong>01</strong>3 auf 41,78 Millionen<br />
gestiegen – ein Zuwachs um<br />
250 000. Und es waren mitnichten<br />
unsichere Elendsjobs,<br />
die die Zahlen nach oben trieben.<br />
„Von der positiven Entwicklung<br />
profitierten vor allem<br />
sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte, deren Anzahl<br />
überproportional gestiegen ist“,<br />
schreiben die Statistiker.<br />
Keine Frage: Der deutsche Arbeitsmarkt<br />
ist weiter in guter<br />
Verfassung; daran ändern auch<br />
die 2<strong>01</strong>3 im Schnitt leicht gestiegenen<br />
Arbeitslosenzahlen<br />
nichts. Und glaubt man Frank-<br />
Jürgen Weise, dem Chef der<br />
Bundesagentur für Arbeit (BA),<br />
müssen wir uns auch <strong>2<strong>01</strong>4</strong> nicht<br />
sorgen. Für das Gesamtjahr<br />
rechnet der BA-Chef mit im<br />
Schnitt 2,9 Millionen Erwerbslosen<br />
– das wären immerhin<br />
50 000 weniger als 2<strong>01</strong>3.<br />
Wenn da nur nicht das Kleingedruckte<br />
in der Statistik wäre.<br />
Eine große Gruppe profitiert <strong>vom</strong><br />
Aufschwung leider kaum, und<br />
das sind die Langzeitarbeitslosen.<br />
Weise drückt das so aus:<br />
„Die Profile der Arbeitslosen<br />
passen oftmals nur unzureichend<br />
zur Arbeitskräftenachfrage.“<br />
Fakt ist: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen,<br />
die länger als zwölf<br />
Monate ohne Job sind, ist in den<br />
vergangenen vier Jahren nie unter<br />
die Millionengrenze gesunken.<br />
Im Dezember erhöhte sich<br />
die Zahl um vier Prozent gegenüber<br />
dem Vorjahresmonat. Der<br />
Anteil der Langzeitarbeitslosen<br />
an den Jobsuchenden insgesamt<br />
ist auf über 36 Prozent gestiegen,<br />
ein auch im EU-Vergleich indiskutabler<br />
Wert. Rund 400 000<br />
Menschen gelten wegen „multipler<br />
Vermittlungshindernisse“,<br />
wie es im Amtsjargon heißt, sogar<br />
als komplett unvermittelbar.<br />
Wenn sie neue Stellen besetzen,<br />
greifen viele Unternehmen mittlerweile<br />
lieber auf qualifizierte<br />
Zuwanderer und weibliche Wiedereinsteiger<br />
aus der sogenannten<br />
stillen Reserve zurück.<br />
Deshalb ist es zwar gut gemeint,<br />
wenn die neue Bundesarbeitsministerin<br />
Andrea Nahles<br />
(SPD) darüber nachdenkt, die<br />
Aus- und Weiterbildungsangebote<br />
für Langzeitarbeitslose zu<br />
erhöhen. Doch zugleich schickt<br />
sich die große Koalition an, auch<br />
noch die letzten Jobchancen für<br />
Ungelernte und gering Qualifizierte<br />
auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />
zu zerdeppern. Sollte der<br />
vereinbarte gesetzliche Mindestlohn<br />
tatsächlich ohne eine<br />
Differenzierung nach Region,<br />
Alter und Qualifikation kommen<br />
(was nach dem Stand der Dinge<br />
zu befürchten ist), schafft die<br />
Politik endgültig ein Heer der<br />
Hoffnungslosen. Dann helfen<br />
auch keine Bewerbungs- und<br />
Bastelkurse bei einem der unzähligen<br />
staatlich alimentierten<br />
Weiterbildungsträger mehr.<br />
Gespaltener Markt<br />
Zahl derArbeitslosen und<br />
Langzeitarbeitslosen (in Mio.)<br />
3,4<br />
3,2<br />
3,0<br />
2,8<br />
.<br />
1,2<br />
1,0<br />
2<strong>01</strong>0 2<strong>01</strong>1<br />
Arbeitslose<br />
insgesamt*<br />
*saisonbereinigte Zahlen;<br />
** länger als zwölf Monate<br />
ohne Job; Quelle: BA<br />
Langzeitarbeitslose**<br />
2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3<br />
NACHGEFRAGT Dimitris Tsitsiragos<br />
»75 Millionen Jobs nötig«<br />
Der Weltbankexperte sieht Wohlstand als Triebfeder<br />
der Demokratie an und unterstützt deswegen private<br />
Unternehmen – gerade auch in autoritären Staaten.<br />
DER FIRMENKÜMMERER<br />
Tsitsiragos, 50, ist Vizepräsident<br />
bei der Weltbank und zuständig<br />
für die Förderung privaten Unternehmertums.<br />
Der Grieche arbeitet<br />
<strong>vom</strong> türkischen Istanbul aus.<br />
Herr Tsitsiragos, Sie fördern im<br />
Auftrag der Weltbank privates<br />
Unternehmertum in Europa,<br />
Zentralasien, dem Mittleren<br />
Osten und Afrika. Lässt sich<br />
dadurch in autoritären Staaten<br />
der Demokratisierungsprozess<br />
beschleunigen?<br />
Ja – über Umwege. Uns geht es<br />
zunächst darum, den Wohlstand<br />
in ökonomisch zurückliegenden<br />
Ländern zu steigern.<br />
Die Erfahrung zeigt:Verbessert<br />
sich die soziale und wirtschaftliche<br />
Lage der Mittelschicht,<br />
wächst dort auch der Wunsch,<br />
bei politischen Entscheidungen<br />
einbezogen zu werden. Der<br />
Schlüssel für mehr Wohlstand<br />
als Vorstufe der Demokratie<br />
sind Jobs – und über 90 Prozent<br />
der Stellen weltweit stellen private<br />
Arbeitgeber zur Verfügung.<br />
Daher setzt unsere Förderung<br />
bei Privatunternehmen an.<br />
Welche Rolle spielt der arabische<br />
Frühling?<br />
Der Erfolg der Freiheitsbewegung<br />
in Ländern wie Ägypten<br />
hängt davon ab, ob die hohe Arbeitslosigkeit<br />
insbesondere bei<br />
Jugendlichen bekämpft werden<br />
kann. Im Mittleren Osten und<br />
Nordafrika sind nach Schätzung<br />
der Internationalen Arbeitsorganisation<br />
bis zu 75 Millionen<br />
neue Jobs nötig, um die<br />
Arbeitslosigkeit auf ein erträgliches<br />
Maß zu senken.<br />
Wo müssen Sie besonders aktiv<br />
werden?<br />
Armut grassiert besonders in<br />
Afrika, Südamerika oder südasiatischen<br />
Ländern wie Indien,<br />
Pakistan oder Bangladesch. Ziel<br />
ist, die Infrastruktur zu entwickeln,<br />
wobei es nicht nur um<br />
Transportwege geht. Auch ein<br />
Finanzsektor muss aufgebaut<br />
werden, der die Wirtschaft am<br />
Laufen hält. In Kenia etwa haben<br />
nur wenige Menschen Zugang<br />
zum Bankensektor. Sie<br />
nutzen daher die lokale Mobilfunkgesellschaft<br />
als Bank und<br />
überweisen Geld per Handy.<br />
Welche neuen Projekte haben<br />
Sie in Vorbereitung?<br />
Ein Beispiel ist die Förderung<br />
von Kleinunternehmen im Internet-Handel.<br />
Der E-Commerce<br />
ist eine Schlüsselbranche, weil er<br />
zum Ausbau der Logistik und<br />
damit der Infrastruktur beiträgt.<br />
Und mit welchen deutschen<br />
Unternehmen arbeitet die<br />
Weltbank zusammen?<br />
Viele Unternehmen erhalten<br />
Geld für Auslandsprojekte, die<br />
das wirtschaftliche Niveau in<br />
den Zielmärkten heben. Unsere<br />
Kredite an deutsche Unternehmen<br />
erreichen ein Volumen von<br />
1,3 Milliarden Euro. So haben<br />
wir den Aufbau eines VW-Werks<br />
im indischen Pune unterstützt<br />
oder das Engagement von Bayer<br />
in der Ukraine. Ebenso internationale<br />
Bauprojekte von HeidelbergCement<br />
und Fraport. Deutsche<br />
Banken haben sich zudem<br />
mit 1,2 Milliarden Euro an von<br />
der Weltbank herausgegebenen<br />
Kreditpaketen beteiligt.<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PR<br />
36 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
DEUTSCHE KONJUNKTUR<br />
Die Wirtschaft bleibt<br />
auf Kurs<br />
Schon lange nicht mehr hat ein<br />
neues Jahr konjunkturell mit einer<br />
solchen Flut guter Nachrichten<br />
begonnen. In der vergangenen<br />
Woche meldete das<br />
Bundeswirtschaftsministerium,<br />
dass die Auftragseingänge<br />
der Industrie im November<br />
überraschend deutlich um 2,1<br />
Prozent gegenüber dem Vormonat<br />
gestiegen sind. Während<br />
inländische Kunden 1,9 Prozent<br />
mehr Güter und Dienstleistungen<br />
orderten, kletterten<br />
die Bestellungen aus dem Ausland<br />
sogar um 2,2 Prozent. Die<br />
Exporte stiegen nach einem<br />
eher schwachen Gesamtjahr im<br />
November wieder an; für <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
rechnet der Außenhandelsverband<br />
BGA mit einem starken<br />
Plus von drei Prozent auf den<br />
neuen Rekordstand von 1,142<br />
Billionen Euro. Der <strong>vom</strong><br />
Londoner Forschungsinstitut<br />
Markit vorgelegte Einkaufsmanagerindex<br />
für die deutsche<br />
Industrie legte ebenfalls weiter<br />
zu – im Dezember um 1,6 auf<br />
54,3 Punkte. Der Indikator liegt<br />
nun deutlich über der 50-Punkte-Marke,<br />
ab der gemeinhin<br />
Wachstum einsetzt.<br />
Ungeachtet der weiter schwelenden<br />
Euro-Krise bleiben die<br />
ökonomischen Perspektiven<br />
auch für die kommenden<br />
Monate positiv: Der Earlybird-<br />
Frühindikator, den die Commerzbank<br />
exklusiv für die WirtschaftsWoche<br />
ermittelt, hat im<br />
Dezember sein im Vormonat erreichtes<br />
Allzeithoch von 2,56<br />
Zählern nahezu gehalten (siehe<br />
Grafik). Das Barometer hat<br />
einen Vorlauf gegenüber der<br />
Realwirtschaft von sechs bis<br />
neun Monaten. Der Indikator<br />
erfasst den Außenwert des<br />
Euro, die kurzfristigen Realzinsen<br />
sowie (als Messgröße für<br />
Rekordwert gehalten<br />
die Lage der Weltwirtschaft)<br />
den Einkaufsmanagerindex für<br />
die US-Industrie.<br />
Allerdings: Damit die aktuelle<br />
Erholung nachhaltig ist, müssen<br />
endlich auch die Investitionen<br />
der Unternehmen anspringen.<br />
Sonst könnten die guten<br />
Nachrichten schnell wieder abbrechen.<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
Bruttoinlandsprodukt undEarlybird-Konjunkturbarometer<br />
4,0<br />
3,0<br />
2,0<br />
1,0<br />
0<br />
–1,0<br />
–2,0<br />
–3,0<br />
Bruttoinlandsprodukt 1 Earlybird 2<br />
–4,0<br />
2008 2009 2<strong>01</strong>0 2<strong>01</strong>1 2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3<br />
1<br />
zum Vorquartal (in Prozent); 2 gewichtete Summe aus kurzfristigem realem Zins, effektivem<br />
realem Außenwertdes Euro und US-Einkaufsmanagerindex; Quelle: Commerzbank<br />
4,0<br />
3,0<br />
2,0<br />
1,0<br />
0<br />
–1,0<br />
–2,0<br />
–3,0<br />
–4,0<br />
Inflation legt<br />
leicht zu<br />
Die Inflationsrate in Deutschland<br />
ist im Dezember den dritten<br />
Monat in Folge leicht gestiegen.<br />
Die Verbraucherpreise<br />
legten auf Jahressicht um 1,4<br />
Prozent zu – nach 1,3 Prozent<br />
im November und 1,2 Prozent<br />
im Oktober. Vor allem für Nahrungsmittel<br />
mussten die Bürger<br />
tiefer in die Tasche greifen (plus<br />
3,8 Prozent). Im Durchschnitt<br />
des Jahres 2<strong>01</strong>3 lag die Teuerungsrate<br />
nach vorläufigen Berechnungen<br />
des Statistischen<br />
Bundesamtes allerdings nur bei<br />
1,5 Prozent (2<strong>01</strong>2: 2,0 Prozent).<br />
Die weitgehend stabilen Preise<br />
kurbeln offenbar die Kauflust<br />
der Bürger an: Im November<br />
stieg der Umsatz im deutschen<br />
Einzelhandel um real 1,5 Prozent<br />
gegenüber dem Vormonat<br />
– das stärkste Plus binnen<br />
Monatsfrist seit Januar 2<strong>01</strong>3.<br />
Gegenüber dem Vorjahr nahmen<br />
die Händler 1,6 Prozent<br />
mehr ein.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
2<strong>01</strong>1 2<strong>01</strong>2<br />
Durchschnitt<br />
3,3<br />
2,3<br />
1,0<br />
5,8<br />
7,8<br />
5,1<br />
8,0<br />
7,4<br />
2<strong>01</strong>1 2<strong>01</strong>2<br />
Durchschnitt<br />
6,6<br />
7,5<br />
1,1<br />
11,5<br />
111,3<br />
54,8<br />
5,6<br />
2,1<br />
5,6<br />
8,0<br />
2974<br />
466<br />
28460<br />
0,7<br />
0,8<br />
1,0<br />
–4,0<br />
–1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,2<br />
3,4<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
2,0<br />
2,1<br />
2897<br />
478<br />
29004<br />
III/12 IV/12 I/<strong>13</strong> II/<strong>13</strong> III/<strong>13</strong><br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
0,2<br />
0,3<br />
0,6<br />
–0,7<br />
0,5<br />
1,4<br />
0,5<br />
0,1<br />
Sept.<br />
2<strong>01</strong>3<br />
–0,7<br />
3,1<br />
–0,1<br />
1,6<br />
107,7<br />
51,1<br />
7,0<br />
1,4<br />
–0,5<br />
–2,8<br />
2970<br />
429<br />
29427<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
–0,5<br />
0,1<br />
0,1<br />
–0,3<br />
–1,0<br />
1,1<br />
–1,6<br />
–0,9<br />
Okt.<br />
2<strong>01</strong>3<br />
–1,3<br />
–2,1<br />
–0,8<br />
0,3<br />
107,4<br />
51,7<br />
7,1<br />
1,2<br />
–0,7<br />
–3,0<br />
2971<br />
432<br />
29464<br />
0,0<br />
0,3<br />
0,1<br />
–1,6<br />
–2,3<br />
–0,9<br />
–1,0<br />
–0,6<br />
Nov.<br />
2<strong>01</strong>3<br />
1,9<br />
2,1<br />
1,5<br />
0,3<br />
109,3<br />
52,7<br />
7,1<br />
1,3<br />
–0,8<br />
–2,9<br />
2980<br />
436<br />
–<br />
0,7<br />
0,6<br />
–0,2<br />
1,2<br />
1,9<br />
1,5<br />
2,4<br />
1,9<br />
Dez.<br />
2<strong>01</strong>3<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
109,5<br />
54,3<br />
7,4<br />
1,4<br />
–<br />
–<br />
2965<br />
443<br />
–<br />
0,3<br />
0,1<br />
0,5<br />
0,5<br />
2,4<br />
1,5<br />
0,1<br />
0,8<br />
Jan.<br />
<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
7,6<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
1,1<br />
1,5<br />
0,4<br />
1,0<br />
2,2<br />
3,3<br />
0,7<br />
1,9<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
0,1<br />
3,7<br />
1,6<br />
1,0<br />
6,8<br />
18,0<br />
33,3<br />
–<br />
–<br />
–<br />
1,1<br />
–1,8<br />
1,2<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 37<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Volkswirt<br />
ROHSTOFFE<br />
Zittrige Hände<br />
Die Volatilität und die Preise am Rohstoffmarkt sind<br />
2<strong>01</strong>3 gesunken. Bei manchen Rohstoffen könnte sich<br />
das in diesem Jahr wieder ändern.<br />
Für eine bestimmte Anlegergruppe<br />
war 2<strong>01</strong>3 ein<br />
fürchterliches Jahr –<br />
nämlich für all jene, die analog<br />
zum Feuerwerk an den Börsen<br />
auf generell steigende Rohstoffpreise<br />
gesetzt hatten. Während<br />
sich der Ölpreis überwiegend<br />
seitwärts bewegte, verbilligten<br />
sich Industriemetalle – vor allem<br />
wegen der Konjunkturprobleme<br />
vieler Schwellenländer –<br />
um rund zehn Prozent. Am härtesten<br />
traf es die Edelmetalle:<br />
Bei Gold und Silber brachen die<br />
Notierungen um rund 30 Prozent<br />
ein. Viele Goldinvestoren<br />
hätten „zittrige Hände“ bekommen<br />
und insgesamt 870 Tonnen<br />
auf den Markt geworfen,<br />
berichtet Eugen<br />
Weinberg, Chef-Rohstoffanalyst<br />
der Commerzbank.<br />
Es gibt jedoch noch<br />
einen anderen Befund:<br />
Trotz der sinkenden<br />
Preise ist die<br />
Volatilität am früher<br />
so hektischen Rohstoffmarkt<br />
spürbar<br />
gesunken. Spekulanten<br />
ziehen sich zunehmend<br />
zurück, erratische<br />
Ausschläge<br />
nach oben und unten<br />
sind heute weit seltener<br />
als noch vor zwei Jahren.<br />
Das zeigt der Rohstoffradar,<br />
den die Commerzbank dreimal<br />
jährlich exklusiv für die WirtschaftsWoche<br />
ermittelt. Der Indikator<br />
gibt Aufschluss darüber,<br />
Energie<br />
wie heftig die Notierungen nach<br />
oben und unten schwanken<br />
und die Kalkulation der Unternehmen<br />
erschweren.<br />
Die größten Schwankungen<br />
gab es in den vergangenen<br />
zwölf Monaten demnach bei<br />
Erdöl<br />
(Brent)<br />
Diesel<br />
Zucker<br />
Weizen<br />
Gasöl<br />
Raps<br />
Kohle<br />
Landwirtschaftsprodukte<br />
Mais<br />
Volatilitäten im Zeitraum<br />
<strong>vom</strong> 1.1.2<strong>01</strong>3 bis 27.12.2<strong>01</strong>3<br />
Strom<br />
Kakao<br />
Baumwolle<br />
Flugbenzin<br />
Emissionsrechte<br />
15,7<br />
16,4<br />
16,3<br />
17,1<br />
17,4<br />
18,8<br />
48,8<br />
22,5<br />
19,1<br />
Vergleichswerte<br />
in<br />
%<br />
100<br />
88,5<br />
50<br />
30<br />
0<br />
10<br />
23,4 18,2 20<br />
21,7<br />
Palladium<br />
Palladium und Silber (siehe<br />
Grafik). Der Silberpreis, der in<br />
der Regel alle Kapriolen des<br />
Goldpreises nachvollzieht, pendelte<br />
um durchschnittlich 32,6<br />
Prozent um seinen Mittelwert.<br />
Bei Palladium, das vor allem die<br />
Automobilindustrie nachfragt,<br />
waren es 24,8 Prozent. Danach<br />
folgen Mais (23,4 Prozent) und<br />
Weizen (22,5 Prozent).<br />
Wie sich der Markt beruhigt<br />
hat, zeigt der Vergleich mit Januar<br />
2<strong>01</strong>1. Damals lag die Volatilität<br />
bei <strong>13</strong> Rohstoffarten über<br />
30 Prozent. Aktuell ist dies nur<br />
noch bei Silber der Fall.<br />
EDELMETALLE ZIEHEN AN<br />
Und wie wird <strong>2<strong>01</strong>4</strong>? „Die Preise<br />
für Edelmetalle dürften dank<br />
der starken physischen Nachfrage<br />
aus Asien wieder deutlich<br />
anziehen“, prognostiziert Analyst<br />
Weinberg. Der Goldpreis etwa<br />
werde von aktuell rund 1220<br />
Dollar je Feinunze bis zum<br />
Jahresende auf knapp 1400 Dollar<br />
steigen. Bei den Industriemetallen<br />
sei „ein Anstieg knapp<br />
unter zehn Prozent zu erwarten“.<br />
Grund ist das von Ökonomen<br />
erwartete stärkere Wachstum<br />
in Schwellenländern wie<br />
China und Brasilien, wo die<br />
Wirtschaft spätestens ab der<br />
3032,6<br />
50<br />
100<br />
Euro-/<br />
Dollar-<br />
Kurs<br />
Silber<br />
Zinsen<br />
20<br />
18,4<br />
7,3 16,0<br />
19,8<br />
10<br />
19,1<br />
20,1<br />
24,8<br />
Platin<br />
17,7<br />
21,8<br />
19,2<br />
21,2<br />
22,0<br />
Eisenfeinerz<br />
Edelmetalle<br />
Quelle:<br />
Commerzbank<br />
Gold<br />
Blei<br />
Aluminium<br />
n Der Rohstoffradar misst die Volatilität ausgewählter Preise<br />
und ist damit ein wichtiger Indikator für Unternehmen und Anleger.<br />
Er stellt die durchschnittliche prozentuale Abweichung <strong>vom</strong> Mittelwert<br />
der vergangenen zwölf Monate grafisch dar. Hohe Schwankungsbreiten<br />
signalisieren steigende Preis- und Planungsrisiken. Der Rohstoffradar<br />
erscheint dreimal jährlich exklusiv in der WirtschaftsWoche.<br />
Zinn<br />
Kupfer<br />
Nickel<br />
Zink<br />
Meist im Minus<br />
Preisentwicklung ausgewählter<br />
Rohstoffe in den vergangenen<br />
zwölf Monaten (in Prozent)<br />
zweiten Jahreshälfte wieder den<br />
Turbo einschalten soll. Dies<br />
würde die Nachfrage nach Rohstoffen<br />
wie Kupfer treiben.<br />
Mehr oder weniger stabil<br />
dürfte hingegen der Ölpreis<br />
bleiben. Hier bewegen sich die<br />
Notierungen seit gut drei Jahren<br />
in einem vergleichsweise engen<br />
Korridor von 100 bis 120 Dollar.<br />
Dies sei „sehr ungewöhnlich“,<br />
konstatiert<br />
Weinberg. Und <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
dürfte sich daran kaum<br />
etwas ändern: In der<br />
vergangenen Woche<br />
veröffentlichte die US-<br />
Energiebehörde EIA<br />
eine neue Prognose,<br />
nach der sich die globale<br />
Ölnachfrage <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
zwar um 1,2 Millionen<br />
Barrel pro Tag erhöht,<br />
gleichzeitig aber das Angebot<br />
außerhalb der<br />
Opec um 1,9 Millionen<br />
Barrel steigt (und den Nachfrageanstieg<br />
preislich neutralisiert).<br />
Die Hälfte des zusätzlichen<br />
Angebots kommt aus den<br />
USA. Preisdämpfend wirkt zudem,<br />
dass die geopolitischen<br />
Risiken etwas gesunken sind.<br />
Nicht zuletzt die Aussicht, dass<br />
der Iran unter seiner neuen<br />
Führung mittelfristig als großer<br />
Player an den Ölmarkt zurückkehren<br />
könnte (siehe Seite 30),<br />
setzt den Ölpreis unter Druck.<br />
Industriemetalle<br />
–35<br />
–38<br />
–26<br />
–20<br />
Baumwolle<br />
–14<br />
Palladium<br />
–9<br />
–4<br />
–5<br />
*Brent;Quelle:Commerzbank;<br />
Stand 8.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
Erdöl*<br />
Benzin<br />
Kupfer<br />
Aluminium<br />
Weizen<br />
Gold<br />
Silber<br />
Mais<br />
10<br />
<strong>13</strong><br />
bert.losse@wiwo.de<br />
38 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
NACHGEFRAGT Michael Bordo<br />
»Kein gutes Ende«<br />
Der US-Wirtschaftshistoriker warnt vor Preisblasen am Aktienmarkt und empfiehlt den Notenbanken,<br />
zu einer regelgebundenen Geldpolitik zurückzukehren.<br />
FOTO: PR<br />
Professor Bordo, die Aussichten<br />
für die Weltwirtschaft<br />
hellen sich auf. Wie nachhaltig<br />
ist der Aufschwung?<br />
Die Gefahr ist groß, dass wir auf<br />
einen neuen Boom-Bust-Zyklus<br />
zusteuern. Die lockere Geldpolitik<br />
der Zentralbanken hat die<br />
Basis für neue Blasen an den<br />
Vermögensmärkten gelegt.<br />
Diesmal dürften es allerdings<br />
nicht die Häusermärkte, sondern<br />
die Aktienmärkte sein, die<br />
uns Probleme bereiten. Eine<br />
Korrektur scheint mir unausweichlich.<br />
Dann droht uns also bald die<br />
nächste schwere Krise?<br />
Nicht unbedingt. Die Erfahrung<br />
zeigt, dass Kurseinbrüche an<br />
den Aktienmärkten meist weniger<br />
schädliche Folgen für die<br />
Realwirtschaft haben als Einbrüche<br />
am Immobilienmarkt.<br />
Was macht Sie so sicher, dass<br />
wir nicht auf eine neue Hauspreisblase<br />
zusteuern? Immerhin<br />
steigen die Immobilienpreise<br />
in den USA, der Schweiz,<br />
Deutschland und Großbritannien<br />
schon wieder sehr kräftig.<br />
In den USA war der Preissturz<br />
der vergangenen Jahre so stark,<br />
dass die aktuelle Erholung eher<br />
als eine Korrektur denn als der<br />
Beginn einer neuen Blase zu<br />
werten ist. In Deutschland sind<br />
die Häuserpreise in Relation zu<br />
den Pro-Kopf-Einkommen noch<br />
immer vergleichsweise niedrig.<br />
Die Preise dürften daher noch<br />
Spielraum nach oben haben.<br />
Dagegen könnte Großbritannien<br />
vor einer neuen Preisblase<br />
stehen, zumal das Land eine gewisse<br />
Tradition in der Entwicklung<br />
von Boom-Bust-Zyklen hat.<br />
Am Markt für Staatsanleihen<br />
haben die Notenbanken ebenfalls<br />
eine Blase erzeugt...<br />
...aus der die Luft bald entweichen<br />
wird. Ich rechne damit,<br />
dass die Kurse im Trend<br />
weiter sinken und die Renditen<br />
steigen. Allerdings: Ein Bust,<br />
bei dem die Kurse ebenso stark<br />
sinken, wie sie zuvor gestiegen<br />
sind, ist unwahrscheinlich. Die<br />
Luft wird eher in kontrollierten<br />
Dosen aus der Blase weichen.<br />
Seit das Papiergeld Anfang der<br />
Siebzigerjahre seine Bindung<br />
an Gold verloren hat, reiht<br />
sich eine Finanzkrise an die<br />
nächste. Ist das Fiat-Geldsystem<br />
ein Krisengenerator?<br />
Die Krisen der vergangenen<br />
Jahrzehnte wie die Asien- und<br />
Mexiko-Krise haben mehrere<br />
Ursachen. Zum einen haben<br />
die Notenbanken zu viel Geld<br />
in Umlauf gebracht, nachdem<br />
das Papiergeld seinen Goldanker<br />
verloren hat. Ein Teil der<br />
Liquidität trieb die Güterpreise<br />
in die Höhe, ein anderer Teil<br />
strömte in die Finanzmärkte.<br />
Dazu kam, dass die Industrieund<br />
Schwellenländer im Zuge<br />
der Globalisierung ihre Kapitalmärkte<br />
liberalisiert haben.<br />
Dadurch konnte das Geld leichter<br />
zwischen ihnen hin und<br />
her fließen. Plötzliche Kapitalabflüsse<br />
haben dann die<br />
Schwellenländer in schwere<br />
Krisen gestürzt.<br />
Sollten wir unser Geld nicht<br />
besser wieder an einen Anker<br />
wie Gold binden, um uns vor<br />
Finanzkrisen zu schützen?<br />
»Man kann<br />
keine Geldpolitik<br />
ohne Geld<br />
betreiben«<br />
DER GELDHISTORIKER<br />
Bordo, 72, ist Professor an der<br />
Rutgers-Universität im US-Bundesstaat<br />
New York und zählt zu<br />
den weltweit führenden Experten<br />
für Geld- und Wirtschaftsgeschichte.<br />
Bordo promovierte an<br />
der Uni in Chicago, wo er Schüler<br />
des Nobelpreisträgers Milton<br />
Friedman war.<br />
Ich halte es für zielführender,<br />
beim Papiergeldstandard zu<br />
bleiben und zu einer regelgebundenen<br />
Geldpolitik zurückzukehren,<br />
wie sie in den Achtziger-<br />
und Neunzigerjahren<br />
betrieben wurde. Dass die Wirtschaft<br />
bei niedriger Inflation<br />
kräftig wuchs, war vor allem das<br />
Ergebnis einer stabilitätsorientierten<br />
und verlässlichen Geldpolitik,<br />
wie sie die großen<br />
Notenbanken, darunter die<br />
Deutsche Bundesbank,<br />
betrieben. Seit Beginn dieses<br />
Jahrtausends haben sich die<br />
Notenbanken jedoch von geldpolitischen<br />
Regeln verabschiedet.<br />
Zur Krisenbekämpfung<br />
stellten sie sich zunehmend in<br />
den Dienst ihrer Regierungen.<br />
Das hat sie Vertrauen und<br />
Glaubwürdigkeit gekostet.<br />
Die geldpolitischen Regeln der<br />
Achtzigerjahre fokussierten auf<br />
die Steuerung von Geldmengen.<br />
Heute wollen die Zentralbanken<br />
von Geldmengen nichts<br />
mehr wissen...<br />
...was ein Riesenfehler ist. Man<br />
kann doch keine Geldpolitik<br />
ohne Geld betreiben! Durch Finanzinnovationen<br />
ist es zwar<br />
schwierig geworden, konkrete<br />
Geldmengenziele zu verfolgen.<br />
Auch die Bundesbank hat ihre<br />
Geldmengenziele in der Vergangenheit<br />
häufig verfehlt.<br />
Aber sie hat die Geldmenge nie<br />
ganz aus den Augen verloren.<br />
Das erklärte ihre Erfolge bei der<br />
Inflationsbekämpfung. Geldmengen<br />
enthalten wichtige<br />
Informationen über die langfristigen<br />
Inflationsgefahren,<br />
gerade auch mit Blick auf die<br />
Vermögenspreise.<br />
Wäre es nicht besser, künftig<br />
stärker auf die Kredit- als auf<br />
die Geldmenge zu schauen?<br />
Wie viel Kredite die Banken<br />
vergeben, hängt nicht zuletzt<br />
von der Kreditnachfrage ab.<br />
Diese können die Zentralbanken<br />
nicht direkt steuern.<br />
Entsprechende Versuche in den<br />
Vierziger- und Fünfzigerjahren<br />
sind grandios gescheitert. Nun<br />
drohen wir die Fehler von damals<br />
zu wiederholen. Indem<br />
wir die Notenbanken mit der<br />
Aufsicht über die Banken und<br />
die Kreditvergabe beauftragen,<br />
lenken wir sie von ihrer eigentlichen<br />
Aufgabe ab, den Geldwert<br />
durch die Kontrolle der Geldmenge<br />
stabil zu halten. Das<br />
kann kein gutes Ende nehmen.<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 39<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Der Volkswirt<br />
DENKFABRIK | Die hohen Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz sind keineswegs<br />
die Folge der milliardenschweren Rettungsaktionen für EU-Krisenstaaten und der<br />
damit verbundenen Kapitalabflüsse. Viel entscheidender ist die hausgemachte Investitionsschwäche<br />
im Inland. Eine Replik auf Hans-Werner Sinn. Von Marcel Fratzscher<br />
Deutschland ist kein Opfer!<br />
Ist Deutschland ein Opfer<br />
der europäischen Krisenpolitik<br />
und der Rettungsmaßnahmen<br />
der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB)? ifo-<br />
Präsident Hans-Werner Sinn<br />
hat in einem Beitrag für die<br />
WirtschaftsWoche die These<br />
vertreten, unsere Exportüberschüsse<br />
seien „das Spiegelbild<br />
der milliardenschweren<br />
Rettungsmaßnahmen für<br />
die Krisenländer, zu denen<br />
Deutschland gedrängt wurde“.<br />
Deutschland tilge „die Schulden<br />
Südeuropas mit seinen<br />
Autos“. Diese Behauptungen<br />
stellen die Fakten auf den Kopf;<br />
die Realität ist eine andere.<br />
NICHT GUT GENUG<br />
Die deutschen Überschüsse sind<br />
nicht das Resultat von erzwungenen<br />
Kapitalflüssen nach Südeuropa<br />
während der Krise. Auch<br />
sind sie nicht ursächlich für die<br />
schwachen Investitionen in<br />
Deutschland seit Ende der<br />
Neunzigerjahre. Wie auch Hans-<br />
Werner Sinn betont, bewerteten<br />
deutsche Unternehmen, Banken<br />
und andere Finanzdienstleister<br />
damals die Investitionsbedingungen<br />
in Deutschland als nicht<br />
gut genug. Dabei überschätzten<br />
sie jedoch die Bedingungen im<br />
Ausland und machten weltweit<br />
massive Verluste von mehr als<br />
400 Milliarden Euro.<br />
Deutsche Investoren<br />
sind demnach<br />
Opfer ihrer eigenen<br />
Entscheidungen<br />
und Fehleinschätzungen<br />
geworden,<br />
für die sie nun die<br />
Verantwortung tragen<br />
müssen.<br />
Es ist irreführend,<br />
die Leistungsbilanz<br />
online<br />
Den Beitrag von ifo-<br />
Chef Hans-Werner<br />
Sinn, auf den sich<br />
Marcel Fratzscher<br />
bezieht, können Sie<br />
unter wiwo.de/exporte<br />
abrufen<br />
kausal zu interpretieren, also bestimmte<br />
Positionen in einen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang<br />
zu<br />
stellen. Sinn schreibt richtigerweise,<br />
dass ein Land nur per saldo<br />
Forderungen gegenüber dem Ausland<br />
haben kann, wenn es auch in<br />
entsprechendem Umfang Waren<br />
geliefert hat. Aber das ist nur eine<br />
buchhalterische Identität und lässt<br />
keinen Schluss darüber zu, welche<br />
Gründe dies verursacht haben!<br />
So haben die Rettungsmaßnahmen<br />
für Krisenländer nicht zum<br />
deutschen Leistungsbilanzüberschuss<br />
geführt. Die erhöhte Liquiditätsvergabe<br />
der EZB an Banken<br />
in den Krisenländern spiegelt sich<br />
»Deutsche<br />
Investoren<br />
müssen für Fehlentscheidungen<br />
Verantwortung<br />
tragen«<br />
in den sogenannten Targetforderungen<br />
der Bundesbank wider. Sie<br />
könnten dort jedoch genauso gut<br />
auftauchen, wenn Deutschland<br />
per saldo mehr importieren als exportieren<br />
würde. Die Liquidität<br />
wurde von Krisenländern eben<br />
nicht dafür genutzt,<br />
deutsche Autos zu<br />
kaufen, sondern in<br />
erster Linie, um die<br />
Kreditvergabe an Unternehmen<br />
und private<br />
Haushalte aufrechterhalten<br />
zu<br />
können – und damit<br />
einen wirtschaftlichen<br />
Kollaps zu verhindern.<br />
Dies zeigt sich auch in den<br />
Zahlen: Die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse<br />
liegen bereits<br />
seit 2007, also vor Beginn der<br />
Krise, bei über sechs Prozent der<br />
Wirtschaftsleistung. Seit 2008<br />
fallen die Überschüsse gegenüber<br />
den Krisenländern und steigen<br />
gegenüber dem Rest der Welt.<br />
Hingegen sind die Targetforderungen<br />
der Bundesbank stark angestiegen.<br />
Das heißt, es besteht<br />
sogar eine negative Korrelation<br />
zwischen den Rettungsmaßnahmen<br />
und den deutschen Überschüssen.<br />
Hans-Werner Sinn stellt zur<br />
Debatte, man könne die Rettungskredite<br />
reduzieren und stattdessen<br />
Investitionen in Deutschland<br />
erhöhen. Wie oben ausgeführt, besteht<br />
keine Kausalität zwischen<br />
Rettungskrediten und Exportüberschüssen.<br />
Darüber hinaus sollte<br />
man sich auch die dramatischen<br />
Konsequenzen einer solchen Maßnahme<br />
bewusst machen. Sie würde<br />
die Kreditklemme in den Krisenländern<br />
deutlich verschärfen,<br />
Unternehmen die Chance nehmen,<br />
zu investieren und Arbeitsplätze<br />
zu schaffen, und Unternehmen<br />
und private Haushalte in die<br />
Insolvenz treiben. Das Resultat<br />
wäre eine Depression – nicht nur<br />
in Südeuropa, sondern auch in<br />
Deutschland.<br />
Das alternative Szenario ist für<br />
alle ungleich vorteilhafter. Die<br />
erhöhte Liquiditäts- und Kreditvergabe<br />
an die Krisenländer ermöglicht<br />
es, dass dort die Unternehmen<br />
weiter investieren und<br />
die Regierungen notwendige<br />
Strukturreformen durchführen.<br />
So verbessert sich die Wettbewerbsfähigkeit,<br />
und es entsteht<br />
Wachstum – was wiederum die<br />
Exporte dieser Länder erhöhen<br />
und mittelfristig helfen könnte,<br />
Deutschlands Überschüsse zu<br />
reduzieren. Sicher, dieser Weg<br />
ist lang und steinig. Aber wir sehen<br />
bereits erste Erfolge der Krisenpolitik:<br />
Länder wie Spanien<br />
erzielen wieder Exportüberschüsse,<br />
die Handelsungleichgewichte<br />
zwischen Deutschland<br />
und Spanien sind deutlich geringer<br />
geworden.<br />
FAKTISCH FALSCH<br />
Kurzum, unsere Exportüberschüsse<br />
sind das Resultat sowohl<br />
Deutschlands hoher globaler<br />
Wettbewerbsfähigkeit als<br />
auch einer hausgemachten Investitionsschwäche.<br />
Diese Überschüsse<br />
sind nicht durch Rettungsmaßnahmen<br />
für die<br />
europäischen Krisenländer oder<br />
durch Targetungleichgewichte<br />
entstanden. Deutschland ist somit<br />
nicht das Opfer der Krisenpolitik<br />
– und wir sollten der Versuchung<br />
widerstehen, uns selbst<br />
auf diese Opferrolle festzulegen.<br />
Dies wäre nicht nur faktisch<br />
falsch, sondern würde weiter<br />
Ressentiments gegen Europa<br />
schüren. Und die helfen weder<br />
Deutschland noch Europa.<br />
Marcel Fratzscher, 42, ist seit<br />
Februar 2<strong>01</strong>3 Präsident des<br />
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
in Berlin.<br />
FOTOS: PR, DDP IMAGES, MARTIN OESER<br />
40 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Pioniere, Rosinenpicker<br />
und Enfants terribles<br />
INTERNET | Kaum erwachsen, wird das Web bald jede noch so kleine Nische des<br />
persönlichen und wirtschaftlichen Lebens erobern: die wichtigsten Trends bis 2020<br />
und die neuesten Player, die den etablierten Unternehmen nach dem Geschäft trachten.<br />
Er war gerade 22, pausbäckig, mit<br />
vollem dunkelblondem Haar,<br />
liebte Shorts, T-Shirts und Sandalen<br />
und hatte sein Informatikstudium<br />
frisch beendet. Die<br />
Idee, die er von dort mitbrachte, sollte<br />
dem Internet endgültig zum Durchbruch<br />
verhelfen: ein sogenannter Browser, der es<br />
Computerbesitzern ermöglichte, im seinerzeit<br />
noch rudimentären Netz komfortabel<br />
zu surfen und Web-Sites aufzurufen.<br />
Die Erfindung stempelte ihn und seine<br />
Firma Netscape zum Pionier des World<br />
Wide Web.<br />
Das war vor 20 Jahren. Lange Haare hat<br />
Marc Andreessen heute längst keine mehr.<br />
Und in der IT-Hochburg Silicon Valley im<br />
US-Bundesstaat Kalifornien gilt der 1,93<br />
Meter große Hüne, der auch Facebook und<br />
Twitter mit hoch brachte, inzwischen als<br />
einer der einflussreichsten Wagniskapitalgeber<br />
und Ikone.<br />
Doch fertig mit dem Internet ist der heute<br />
42-Jährige allerdings noch lange nicht.<br />
„Wir stehen immer noch am Anfang“, sagt<br />
Andreessen und gerät ins Schwärmen. Jedermann<br />
werde künftig mit einer Art Supercomputer<br />
in der Jackentasche unterwegs<br />
jederzeit im Internet sein – und dies<br />
bis Ende dieses Jahrzehnts und überall auf<br />
der Welt.<br />
Wo dies hinführt und wer die neuen<br />
Player sind, die mithilfe des Internets die<br />
Wirtschaft über alle Branchen hinweg verändern<br />
und viele der heute etablierten Unternehmen<br />
künftig angreifen werden,<br />
schildert die WirtschaftsWoche anhand<br />
der fünf großen Trends, die sich im Online-<br />
Geschäft für die kommenden fünf Jahre<br />
abzeichnen.<br />
1. Das Internet revolutioniert<br />
die Werbung.<br />
Brian Wong ist dünn, schlaksig und wirkt<br />
trotz seiner 22 Jahre wie ein Teenager, der<br />
gerade der Pubertät entwachsen ist.<br />
Doch sobald der gebürtige Kanadier die<br />
Bühne betritt und über sein Lieblingsthema,<br />
die Zukunft der Werbung, doziert, begeistert<br />
er alle Anwesenden mit Charisma,<br />
Witz und Schlagfertigkeit. „Brian ist nicht<br />
Die Treiber der Trends<br />
Wieso das Internet in neue<br />
Dimensionen vorstößt.<br />
PREISWERTE CHIPS<br />
Die Kosten für Speicherplatz fallen.<br />
Gleichzeitig können Daten durch leistungsstärkere<br />
Prozessoren schneller<br />
abgerufen und verarbeitet werden.<br />
STARKE MOBILNETZE<br />
Die drahtlose Datenübertragung wird<br />
weltweit so aufgerüstet, dass sie nicht<br />
nur schneller, sondern auch besser in<br />
Gebäuden funktioniert.<br />
GÜNSTIGE SENSOREN<br />
Fühltechnik jeder Art wird so preiswert,<br />
dass sich immer mehr Daten von<br />
Gegenständen, Apparaten und Geräten<br />
über das Web verbreiten lassen.<br />
STÄNDIGE ORTUNG<br />
Die Möglichkeit zur Lokalisierung von<br />
Kunden via Smartphone und soziale<br />
Netzwerke erlaubt Firmen die direkte<br />
Ansprache über das Internet.<br />
nur einer der jüngsten, sondern auch einer<br />
der ambitioniertesten Gründer des Silicon<br />
Valley“, sagt High-Tech-Konferenzveranstalter<br />
und Autor Tony Perkins, bekannt als<br />
Schöpfer des Begriffs der „Internet-Blase“.<br />
Wong übersprang mehrere Schulklassen<br />
und schaffte mit 18 Jahren den Uni-Abschluss<br />
in Politik und Marketing in seiner<br />
Heimatstadt Vancouver. Dann ging er ins<br />
Silicon Valley, wo er nach einer Station<br />
beim Startup Digg mit 19 Jahren als einer<br />
der jüngsten Unternehmer des Tals Risikokapital<br />
für ein eigenes Unternehmen einwarb.<br />
Seit drei Jahren führt er den Anzeigendienstleister<br />
Kiip, für den er bislang 15<br />
Millionen Dollar Investorengelder erhielt.<br />
Kiip platziert bereits für Konzerne wie<br />
Amazon, Pepsi, Procter & Gamble und<br />
Walt Disney Werbung in Smartphone-<br />
Spielen. Allerdings schaltet das Unternehmen<br />
keine ordinäre Online-Bannerwerbung,<br />
sondern Gutscheine, die je nach<br />
Fortschritt in den Spielen erst nach und<br />
nach freigeschaltet werden. Das können<br />
fünf Dollar Rabatt bei Amazon sein oder<br />
ein Coupon für eine Gratisbrause. „Ich bin<br />
überzeugt, dass wir Kunden für ihre Aufmerksamkeit<br />
entlohnen müssen“, sagt<br />
Wong. Ihn stört generell, dass Werbung so<br />
einen schlechten Ruf hat. „Wenn wir hinnehmen,<br />
dass unsere Dienstleistung als<br />
lästiges Übel empfunden wird, haben wir<br />
als Branche ein Problem.“<br />
Wongs Unternehmen gilt als eines der<br />
heißesten Startups im Silicon Valley, vor<br />
allem weil Werbung auf Mobilgeräten im<br />
Vergleich etwa zum stationären Internet<br />
und anderen Anzeigenträgern am stärksten<br />
wächst. Das Unternehmen will zudem<br />
helfen, die Wirksamkeit von Werbung<br />
»<br />
FOTO: MELLY LEE – HTTP://MELLYLEE.COM<br />
42 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
1Trend<br />
BRIAN WONG<br />
Kiip<br />
Der 22-jährige gebürtige Kanadier ist einer der<br />
jüngsten Internet-Unternehmer des Silicon<br />
Valley. Sein Startup Kiip klinkt Gutscheine in<br />
Reklame auf Smartphones. Damit will Wong<br />
die Werbung im Internet revolutionieren.<br />
Die Idee sorgt für den Unternehmenswert von<br />
100 Millionen Dollar<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 43<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
besser alles bisher nachzuweisen. Das<br />
soll gelingen, indem sich die Nutzer nach<br />
der Lektüre einer Online-Annonce notgedrungen<br />
zu erkennen geben müssen, um<br />
einen der Rabattgutscheine zu erhalten.<br />
Das Modell mit Gutscheinen im Internet<br />
gilt als bewährt, spätestens seit das<br />
Schnäppchen-Portal Groupon im November<br />
2<strong>01</strong>1 an die Börse ging. Dass der Weg<br />
der Werbung im Internet in diese Richtung<br />
gehen könnte, zeigt sich auch daran, dass<br />
im Sommer ein prominenter Finanzier bei<br />
Kiip eingestiegen ist: die Kreditkartengesellschaft<br />
American Express.<br />
2. Das Internet wird zur<br />
gewaltigen Datensammelmaschine,<br />
die völlig neue<br />
IT-Dienstleistungen ermöglicht.<br />
Getönte Fenster, grüne Markisen, weiß verkleidete<br />
Fassaden, schräg gegenüber die<br />
Bahnstation und zwei Minuten entfernt die<br />
Eliteuni Stanford – das Gebäude ist so unscheinbar<br />
wie seine Adresse renommiert.<br />
Hier, in der University Avenue, der Flaniermeile<br />
der kalifornischen Stadt Palo Alto,<br />
war bis 2004 das Hauptquartier des sozialen<br />
Netzwerks Facebook, das quasi aus<br />
dem Nichts zu einem der wertvollsten Unternehmen<br />
der Internet-Branche aufstieg.<br />
Heute beherbergt die ehrwürdige Stätte<br />
im Silicon Valley wieder einen Senkrechtstarter,<br />
geheimnisumwittert, streng von der<br />
Außenwelt abgeschirmt, mit Namen Palantir.<br />
So heißen auch die magischen Steine<br />
aus der Fabelwelt des britischen Schriftstellers<br />
John Ronald Reuel Tolkien („Der Herr<br />
der Ringe”), die ihre Besitzer unter anderem<br />
in die Lage versetzen, Gefahren zu erkennen<br />
oder zumindest einzuschätzen.<br />
Das Startup und seine neue IT-Dienstleistung<br />
versetzen Geldgeber so in Ekstase,<br />
dass sie den Unternehmenswert bei der<br />
jüngsten Finanzierungsrunde auf einen<br />
Wert von bis zu neun Milliarden Dollar<br />
hochgejazzt haben. Palantir steht für jene<br />
Internet-Firmen der nächsten Generation,<br />
die Software herstellen, um große Mengen<br />
an Daten aus dem Internet aufzubereiten,<br />
zu verknüpfen und zu visualisieren. Die<br />
Dienste des Unternehmens nutzen US-Behörden<br />
bereits zur Terrorbekämpfung, die<br />
US-Armee und die Polizei, aber auch Banken<br />
wie JP Morgan, Bank of America, Citibank<br />
und der Ölmulti Shell.<br />
Und wieder hat die Internet-Spürnase<br />
Peter Thiel die Hand im Spiel. Der deutschstämmige<br />
Milliardär finanzierte vor zehn<br />
Jahren Facebook, das von auf seine weltweit<br />
gut eine Milliarde Nutzer zugeschnittener<br />
Werbung lebt. Dabei bekam Thiel bereits<br />
eine Ahnung, welche Wachstumschancen<br />
Programme haben, die all die gewaltigen<br />
Datenschätze aus dem Web ausbeuten<br />
können. Erste Erfahrungen sammelte<br />
er als Chef des Online-Bezahldienstes<br />
PayPal. Die heutige Tochter des Internet-Händlers<br />
Ebay steckte pro Jahr Millionen<br />
in die Früherkennung betrügerischer<br />
Transaktionen.<br />
Der erste Förderer von Palantir war der<br />
US-Geheimdienst CIA, dessen Risikokapitalfonds<br />
Geld in das Unternehmen steckte.<br />
Das hat Palantir-Chef und Mitbegründer<br />
Alex Karp, der unter anderem an der Universität<br />
Frankfurt Philosophie studierte,<br />
2<strong>01</strong>3 etliche Male in die Bredouille gebracht.<br />
Erzkonkurrent IBM forcierte Anhörungen<br />
des US-Parlaments zu den Vermarktungsmethoden<br />
von Palantir bei der<br />
US-Army. Auch die Enthüllungen von Edward<br />
Snowden über die Praktiken des US-<br />
Geheimdienstes NSA brachten Palantir<br />
ungewollt in die Schlagzeilen. Denn eins<br />
der Datenmanagement-Programme des<br />
Unternehmens heißt Prism, genau wie das<br />
berüchtigte Spähprogramm der NSA.<br />
„Wir haben damit nichts zu tun“, sagt<br />
Karp. Trotzdem gilt die Nähe zu Sicherheitsbehörden,<br />
früher der Stolz von Palantir,<br />
mittlerweile im Silicon Valley als ambivalent.<br />
Denn die Spähprogramme der US-<br />
Regierung bauen nicht nur auf abgehörte<br />
Telefonate, sondern auch auf Bewegungsprofile<br />
der Smartphone-Nutzer, Mails und<br />
weitere Informationen aus dem Internet.<br />
Facebook, Google und andere IT-Größen<br />
wie Microsoft und Amazon befürchten<br />
deshalb geschäftlichen Schaden und gesetzliche<br />
Auflagen bei der Auswertung von<br />
Informationen, besonders in Europa.<br />
Fest steht: Mit dem Boom der Smartphones<br />
und sozialer Netzwerke wabert ein<br />
explodierender Schatz an Informationen<br />
durch das Web. Die großen Profite kommen<br />
aber erst noch. Thiels Studienfreund<br />
Karp hat den Palantir-Umsatz seit Gründung<br />
jedes Jahr ausgebaut und wird <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
wohl die halbe Milliarde Dollar knacken.<br />
Thiel und seine Mitinvestoren hoffen<br />
nun, dass viele Unternehmen mithilfe von<br />
Computerprogrammen Kunden durchleuchten,<br />
Markttrends frühzeitig aufspüren<br />
sowie Gefahren in der Lieferkette finden<br />
wollen – wie Procter & Gamble. Alan Lafley,<br />
der Chef des US-Konsumgüterkonzerns,<br />
investierte Hunderte Millionen Dollar<br />
in die Analyse von Daten aus dem Internet,<br />
um etwa über die Bedürfnisse der<br />
Kunden Marktnischen zu erkennen.<br />
3. Die totale Mobilmachung<br />
macht das Internet zum allgegenwärtigen<br />
Problemlöser und<br />
persönlichen Assistenten.<br />
Der Vorstandsvorsitz bei Microsoft ist einer<br />
der herausragenden Jobs der Welt. Trotzdem<br />
hat Steve Mollenkopf die historische<br />
Chance, Nachfolger von Steve Ballmer zu<br />
werden, gerade ausgeschlagen. Stattdessen<br />
steigt der 44-jährige Elektroingenieur<br />
im März zum Chef des US-Halbleiterkonzerns<br />
Qualcomm auf, wo er seit 20 Jahren<br />
wirkt, zuletzt als Operativchef.<br />
Doch der neue Posten ist nicht weniger<br />
prestigeträchtig und einflussreich. Denn<br />
Qualcomm gilt als das neue Intel. Der Börsenwert<br />
ist nur noch wenige Milliarden<br />
Dollar von dem Halbleitergiganten aus<br />
dem Silicon Valley entfernt. Wie kaum ein<br />
anderes Unternehmen, Apple und Samsung<br />
ausgenommen, profitiert der Konzern<br />
aus San Diego <strong>vom</strong> allgegenwärtigen<br />
Web aus dem Äther, das jedermann stets<br />
zur Verfügung steht. Mit High Tech für die<br />
drahtlose elektronische Rundumversorgung<br />
der Web-Gemeinde nahm Qualcomm<br />
im vorigen Geschäftsjahr 25 Milliarden<br />
Dollar ein, bei 6,8 Milliarden Profit.<br />
Möglich werden solche Geschäfte durch<br />
die totale Mobilmachung des Internets mithilfe<br />
von Geräten wie Smartphones und<br />
Tablets – dem wohl wichtigsten Megatrend<br />
im Netz bis 2020. In fast allen dieser und<br />
anderer Gadgets stecken Mobilfunkprozessoren<br />
von Qualcomm. Während der Absatz<br />
im traditionellem PC-Geschäft im vergangenen<br />
Jahr laut dem Beratungsunternehmen<br />
IDC um zehn Prozent einbrach, legten<br />
Smartphones um 40 Prozent zu.<br />
Was die Mobilmachung des Internets<br />
künftig bewirkt, deuten die heutigen Beispiele<br />
allenfalls an. Datenbrillen, Kontaktlinsen<br />
oder Smartwatches zeigen Informationen<br />
im Gesichtsfeld ihres Trägers oder<br />
auf dem Handgelenk. Fitness-Messgeräte<br />
oder mit dem Internet verbundene Waagen<br />
visualisieren jede sportliche Betätigung<br />
ihres Besitzers und den gewünschten<br />
Gewichtsverlust. Ein neuartiges Thermometer<br />
des Silicon-Valley-Startups Scanadu<br />
misst per Schläfendruck nicht nur die Körpertemperatur,<br />
sondern auch Puls sowie<br />
den Sauerstoffgehalt des Blutes und dokumentiert<br />
alles automatisch mit Datumund<br />
Zeitstempel.<br />
Die Idee stammt <strong>vom</strong> dem belgischen<br />
Internet-Unternehmer Walter de Brouwer,<br />
der für ihre Verwirklichung extra ins Silicon<br />
Valley übersiedelte. Auslöser war sein damals<br />
sechsjähriger Sohn Nelson, der vor<br />
»<br />
44 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
2Trend<br />
ALEX KARP<br />
Palantir<br />
Der 45-jährige Amerikaner entwickelt<br />
Software, um Informationen aus Internet und<br />
Datenbanken auszuwerten. Behörden und<br />
Unternehmen nutzen dies, um Gefahren einzuschätzen.<br />
Damit begibt sich Palantir in<br />
Geschäfte, die theoretisch auch für Anbieter<br />
wie SAP oder Oracle infrage kommen.<br />
Jüngster Unternehmenswert<br />
9 Mrd. Dollar<br />
FOTOS: ERIC MILLETTE; CORBIS/KIM KULISH; BLOOMBERG/GETTY IMAGES/DAVID PAUL MORRIS<br />
3Trend<br />
WALTER DE BROUWER<br />
Scanadu<br />
Der ehemalige belgische Medienunternehmer<br />
entwickelte ein internetfähiges Diagnosegerät<br />
für Fieber, Puls und Blut – und grätscht damit<br />
in das Geschäft von Konzernen wie Philips.<br />
Der Unternehmenswert liegt bereits bei<br />
200 Mio. Dollar<br />
4Trend<br />
TONY FADELL<br />
Nest Labs<br />
Der 44-jährige Miterfinder<br />
des iPod bringt die Wohnung<br />
ins Web. Sein per<br />
Smartphone steuerbarer,<br />
lernender Thermostat ist<br />
in den USA ein Bestseller<br />
und könnte etablierten<br />
Anbietern wie Bosch in die<br />
Quere kommen.<br />
Sein Startup Nest Labs hat<br />
den Unternehmenswert<br />
2 Mrd. Dollar<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 45<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
neun Jahren beim Spielen gestürzt war,<br />
sich schwere Kopfverletzungen zugezogen<br />
und wochenlang im Koma gelegen hatte.<br />
Die einzigen Lebenszeichen für seine Eltern<br />
bestanden aus Kurven auf den Überwachungsmonitoren,<br />
deren Verlauf für<br />
Laien schwer zu interpretieren waren.<br />
De Brouwer entwickelte daraus die Idee<br />
eines simplen, persönlichen Messgerätes<br />
für jedermann. Für die Produktion sammelte<br />
er auf der Finanzierungsplattform<br />
Indiegogo die Rekordsumme von 1,7 Millionen<br />
Dollar an Wagniskapital ein. Im<br />
Frühjahr sollen die ersten Exemplare des<br />
200 Dollar teuren Geräts zunächst an die<br />
Frühbesteller ausgeliefert werden und<br />
dann in die Massenproduktion gehen. Dafür<br />
bekam de Brouwer von Investoren gerade<br />
weitere 10,5 Millionen Dollar.<br />
Die totale Datenmobilisierung wird die<br />
Internet-Industrie zwingen, sich neu auszurichten.<br />
Branchenführer Intel etwa will<br />
sich nicht auf die Verliererstraße abdrängen<br />
lassen. Der neue Vorstandchef Brian<br />
Krzanich treibt die Entwicklung winziger,<br />
superbilliger und stromsparender Mikroprozesssoren<br />
namens Quark voran, die<br />
künftig in allen möglichen Dingen stecken<br />
könnten, bis hin zur internetfähigen Zahnbürste.<br />
„Wir werden eine neue Woge von<br />
mobilen Geräten sehen, die wir uns heute<br />
noch gar nicht richtig vorstellen können“,<br />
prognostiziert Internet-Expertin Mary<br />
Meeker, Partnerin beim Silicon-Valley-<br />
Wagnisfinanzierer Kleiner Perkins.<br />
4. Das Internet verbindet<br />
künftig nicht nur Menschen,<br />
sondern auch Dinge.<br />
Was kann jemand noch erreichen, der mit<br />
dem verstorbenen Apple-Gründer Steve<br />
Jobs den Kultklassiker iPod aus der Taufe<br />
gehoben hat, eines der erfolgreichsten Unterhaltungselektronikgeräte<br />
aller Zeiten?<br />
Tony Fadell ist mit 44 Jahren viel zu jung,<br />
um seine Hände in den Schoß zu legen.<br />
Der Ingenieur und Designer hat nicht nur<br />
viele Ideen, die Technik im iPod bedienungsfreundlich<br />
zu machen. Er hat im Mai<br />
2<strong>01</strong>0, eineinhalb Jahre nach dem Weggang<br />
bei Apple, ein Unternehmen namens Nest<br />
Labs gegründet – natürlich zünftig in einer<br />
Garage in Palo Alto, mit seinem Ex-Apple-<br />
Kollegen Matt Rogers als Mitstreiter.<br />
Fadell will mit Nest Labs das Internet der<br />
Dinge aufbauen helfen, in dem Gegenstände<br />
und Geräte wie Menschen, Unternehmen<br />
und Organisationen eine Internet-<br />
Adresse haben und miteinander kommunizieren<br />
können. Seine bisher bekannteste<br />
Erfindung ist ein selbstlernender Thermostat,<br />
der sich an die Temperatur-Vorlieben<br />
seiner Besitzer anpasst. Statt einer Armada<br />
von Knöpfen hat das Gerät von Nest Labs<br />
lediglich einen Ring, mit dem sich die Temperatur<br />
über ein Display regeln lässt. Das<br />
Design wirkt wie von Apple, und auch der<br />
Preis von 250 Dollar für die neueste Generation<br />
erinnert an Fadells ehemaligen Arbeitgeber.<br />
In den USA ist das Gerät ein<br />
Bestseller, genau wie ein jüngst vorgestellter<br />
Rauchmelder von Nest Labs.<br />
Schon wird das Startup mit zwei Milliarden<br />
Dollar bewertet. Der amerikanische<br />
Heimautomatisierungsgigant Honeywell<br />
ist von Fadells Erfolg schon so beunruhigt,<br />
dass er Klage wegen angeblicher Verletzung<br />
von Patenten eingereicht hat.<br />
Nest Labs ist nicht die einzige Firma, die<br />
die Wohnung ins Internet tragen will. Auch<br />
in Deutschland arbeiten Startups daran.<br />
Tado in München etwa bietet eine Box, die<br />
den Heizungsthermostat via Smartphone<br />
steuert. Sie merkt, wenn der letzte Bewohner<br />
das Haus verlassen hat, und regelt<br />
dann automatisch die Temperatur herunter.<br />
Das Gerät gibt es seit vergangenem November<br />
und kostet einmalig 299 Euro oder<br />
99 Euro im Jahr Miete. „Seitdem haben wir<br />
gut 10 000 Boxen verkauft”, sagt Tado-Chef<br />
Christian Deilmann, der drei deutsche<br />
Geldgeber im Rücken hat.<br />
Aus der Ferne ansteuerbare Lampen,<br />
Steckdosen und Heizungen sind Vorläufer<br />
des Internets der Dinge, die das Web in eine<br />
neue Qualität katapultieren werden.<br />
Künftig wird jeder Gegenstand via Sensoren<br />
und Mikrochip mit dem Internet verknüpft<br />
sein, um Daten auszuwerten und<br />
das Gerät zu steuern: ob Auto, Waschmaschine,<br />
Verkehrsampel oder Maschinenpark.<br />
Das Internet der Dinge gilt als der<br />
große Jungbrunnen für die High-Tech-Industrie<br />
in den nächsten 20 Jahren.<br />
„Es ist die nächste große Wachstumsphase<br />
des Web“, schwärmt John Chambers,<br />
Chef des Telekommunikationsausrüsters<br />
Cisco. Das Beratungsunternehmen IDC<br />
schätzt, dass im Jahr 2020 rund neun Billionen<br />
Dollar weltweit umgesetzt werden, die<br />
mit dem Internet der Dinge verknüpft sind.<br />
Vor allem Unternehmen außerhalb der<br />
klassischen IT- und Internet-Branche positionieren<br />
sich neu, um nicht von ungeahnten<br />
Konkurrenten überrascht zu werden.<br />
Neben IBM, Honeywell und Siemens hat<br />
sich besonders General Electric in Stellung<br />
gebracht, dessen Chef Jeffrey Immelt das<br />
Wort <strong>vom</strong> „industriellen Internet“ zu etablieren<br />
versucht. Der Lenker des Industriegiganten<br />
(Kraftwerke, Aufzüge, Medizintechnik)<br />
hat dazu extra ein Labor im Silicon<br />
Valley eingerichtet und heuert Softwareentwickler<br />
aus dem High-Tech-Tal an.<br />
Was dabei herauskommt, ist offen. Denn<br />
die Gefahr ist groß, dass Cyberkriminelle<br />
oder Terroristen bei total miteinander verknüpften<br />
Anlagen es noch leichter haben<br />
könnten, Infrastruktur wie beispielsweise<br />
Stromnetze lahmzulegen. Marco Annunziata,<br />
Chefökonom von General Electric,<br />
sieht das pragmatisch. Das Potenzial, alles<br />
via Internet messbar zu machen, sei viel zu<br />
hoch, um es nicht voranzutreiben. Gleiches<br />
gelte für den Anreiz, dafür Sicherheitslösungen<br />
zu entwickeln.<br />
5. Das Internet wird zum<br />
Jahrmarkt für alles und jeden.<br />
San Francisco, Flughafen. Ein Fingertipp<br />
auf das Smartphone, warten, bis der Standort<br />
überprüft ist, dann per Fingertipp die<br />
Bestellung bestätigen – schon klingelt das<br />
Handy. „Ich bin in sechs Minuten vor Ort“,<br />
sagt eine Stimme, die sich als Fahrer mit<br />
Namen Khos Od ausgibt. Nach nur vier Minuten<br />
trifft eine schwarze Limousine ein,<br />
Od öffnet die Türen, hilft, den Koffer einzuladen,<br />
und bittet um Eile.<br />
Der Mann möchte so schnell wie möglich<br />
los, weil sein Arbeitgeber bei Taxifahrern<br />
verhasst ist. Denn sein Chef, der Silicon-Valley-Unternehmer<br />
Travis Kalanick<br />
und sein Startup mit der gleichnamigen<br />
App Uber, gelten als „Taxi-Killer“ (siehe Interview<br />
Seite 48). Wer mit Uber irgendwo<br />
hin will, bucht bequem über das<br />
Smartphone eine Limousine. Am Ziel gibt<br />
es kein Gefeilsche um Trinkgeld, plötzliche<br />
Zusatzkosten pro Gepäckstück und auch<br />
kein Gejammer, weil der Fahrgast mit Kreditkarte<br />
zahlen will. Die Abwicklung übernimmt<br />
Uber automatisch via Kreditkarte,<br />
sofort nach Fahrtende kommt per E-Mail<br />
die Quittung, verbunden mit der Bitte, den<br />
Fahrer zu bewerten. Wer den Service weiterempfiehlt,<br />
bekommt zehn Dollar für die<br />
nächste Fahrt gutgeschrieben.<br />
Mit solchem Service hat Studienabbrecher<br />
Kalanick ein kleines, global operierendes<br />
Imperium geschaffen. Seine Flotte<br />
besteht aus selbstständigen Fahrern, die<br />
für die Vermittlung der Fahrten rund 20<br />
Prozent des Preises an Uber zahlen.<br />
Uber ist mittlerweile in 67 Städten präsent,<br />
darunter auch in Berlin und München.<br />
In der jüngsten Finanzierungsrunde<br />
hat Kalanick 258 Millionen Dollar eingesammelt.<br />
Größter Investor ist der Internet-<br />
Konzern Google, dessen Chef Larry Page<br />
46 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTO: DDP IMAGES/SIPA USA/WINNI WINTERMEYER<br />
5Trend<br />
SEBASTIAN THRUN<br />
Udacity<br />
Der 46-jährige ehemalige Stanford-Professor<br />
aus Deutschland<br />
will das Studium via Internet<br />
revolutionieren. Seine Online-<br />
Kurse, die gleichwertig zum<br />
regulären Studium sind und in<br />
Kooperationen mit renommierten<br />
Hochschulen laufen, attackieren<br />
langfristig teure Universtäten.<br />
Der Unternehmenswert ist rund<br />
250 Mio. Dollar<br />
nach einem Treffen mit Kalanick seine Risikokapitalmanager<br />
höchstpersönlich anwies,<br />
in Uber zu investieren. Auch Amazon-Gründer<br />
Jeff Bezos ist beteiligt.<br />
Nun werden seit Jahrzehnten Fahrdienste<br />
vermittelt. Doch was Page und<br />
Bezos so begeistert, ist Kalanicks Plan, aus<br />
dem Limousinenservice einen globalen<br />
Beförderungsriesen zu formen, der möglichst<br />
auch weitere Dienstleistungen rund<br />
um den Transport anbietet. Hat ein Kunde<br />
erst einmal seine Kreditkarte bei Uber hinterlegt,<br />
so das Kalkül des 37-Jährigen, ist er<br />
auch für andere Dienstleistungen offen,<br />
zum Beispiel für das Anliefern von Essen<br />
oder Waren.<br />
Damit wird das Internet in den kommenden<br />
Jahren eine florierende neue Dienstleistungswirtschaft<br />
hervorbringen mit Online-<br />
Marktplätzen für alle möglichen Angebote,<br />
deren Betreiber dafür Gebühren kassieren.<br />
Datenspeicher, wie Amazon und Microsoft<br />
sie offerieren, Fahrdienste wie Lyft oder<br />
SideCar, neuartige Privatautoverleiher wie<br />
Relay Rides oder Getaround, Modeverleiher<br />
wie Rent the Runway oder Parkflächenvermieter<br />
wie Parking Panda: Die Liste ließe<br />
sich lange fortsetzen. Der Zimmervermittler<br />
AirBnB aus San Francisco brachte es 2<strong>01</strong>3<br />
angeblich auf 250 Millionen Dollar Einnahmen<br />
und will <strong>2<strong>01</strong>4</strong> wohl an die Börse.<br />
Die Internetisierung macht vor so gut<br />
wie nichts halt, auch nicht vor der Vermittlung<br />
von Wissen, wie das Startup Udacity<br />
zeigt. Das Unternehmen aus Mountain<br />
View wird <strong>vom</strong> gebürtigen Deutschen und<br />
Ex-Stanford-Professor Sebastian Thrun geführt,<br />
einer der Miterfinder des selbstfahrenden<br />
Autos von Google. Udacity bietet<br />
Online-Kurse an, mit denen sich Lernwillige<br />
am Computer fortbilden können. Das ist<br />
an sich nichts Neues. Doch Thrun geht einen<br />
Schritt weiter, weil sich herausgestellt<br />
hat, dass die Vermittlung von Wissen über<br />
das Internet in traditionelle Bildungseinrichtungen<br />
eingebunden werden muss.<br />
Thrun will in Kooperation mit Hochschulen<br />
seine Kurse so gestalten, dass sie<br />
offiziell anerkannt einem Studium gleichgestellt<br />
sind. In diesem Jahr will er gemeinsam<br />
mit dem angesehenen Georgia Institute<br />
of Technology einen Online-Abschluss<br />
im Fach Informatik anbieten, der statt der<br />
üblichen bis zu 42 000 Dollar nur 6600 Dollar<br />
kosten soll. Sponsor ist die Telefongesellschaft<br />
AT&T, die Probleme hat, genügend<br />
Fachkräfte zu finden.<br />
Und wie oft, wenn Newcomer langjährige<br />
Pfründen gefährden, stoßen sie auf erbitterten<br />
Widerstand. Uber-Chef Kalanick<br />
und sein AirBnB-Kollege Brian Chesky beschäftigen<br />
eine ganze Armada von Anwälten,<br />
um Strafgelder beziehungsweise Klagen<br />
von Taxiinnungen, Flughafenbetreibern,<br />
Hotels und Kommunen abzuwehren.<br />
Doch die Masche der Enfants terribles,<br />
per Internet alles zur handelbaren Ware zu<br />
machen und sich die Rosinen herauszupicken,<br />
lässt sich nicht stoppen. Findige Unternehmer<br />
finden immer wieder neue<br />
Marktlücken. Rujul Zaparde, Chef des US-<br />
Startups Flightcar, bietet etwa einen Parkund<br />
Mietservice für Vielflieger an den Flughäfen<br />
von Los Angeles, San Francisco und<br />
Boston an. Flightcar nimmt Privatwagen<br />
am Flughafen in Empfang, wäscht sie und<br />
vermietet sie an ankommende Reisende.<br />
Damit hat Zaparde als Erster die vollen<br />
Kosten des bisherigen Parkens kalkuliert<br />
und aus den versteckten Reserven ein Geschäft<br />
kreiert: Mit seinem Angebot spart<br />
der Autobesitzer nicht nur die Parkgebühren,<br />
sondern verdient angeblich bis zu 30<br />
Dollar pro Tag, indem er sein herumstehendes<br />
Fahrzeug verleiht.<br />
n<br />
matthias.hohensee@wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 48 »<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 47<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
INTERVIEW Travis Kalanick<br />
»Ohne Portemonnaie«<br />
Der Gründer des Online-Fahrdienstes Uber will mit schönen Autos,<br />
flexiblen Preisen und Bezahlkomfort das Taxi-Gewerbe ausbremsen.<br />
Mister Kalanick, mit Ihrer App sollen<br />
Kunden in jeder Stadt der Welt Limousinen<br />
mit Chauffeur bestellen können.<br />
Wann erreichen Sie dieses Ziel?<br />
Im Moment kommen etwa fünf bis sechs<br />
Städte im Monat dazu – in allen Teilen der<br />
Welt. Das ist für uns nicht sehr kapitalintensiv.<br />
Wir besitzen keine eigenen Autos,<br />
und die Fahrer sind nicht bei uns angestellt.<br />
In 24 Ländern sind wir bereits aktiv.<br />
In vielen Städten haben Sie Ärger.<br />
Warum?<br />
In Paris beispielsweise gibt es eine Gesetzesinitiative,<br />
nach der der Fahrgast 15<br />
Minuten warten soll, bevor er in eines<br />
unserer Autos steigen darf. Das heißt,<br />
wenn er einen Wagen bestellt und der<br />
nach fünf Minuten da ist, muss er minutenlang<br />
das Auto anstarren. Die Regierung<br />
versucht so, die Taxiindustrie zu<br />
schützen.<br />
In Deutschland sind Sie erst in Berlin<br />
und München vertreten. Wie wollen Sie<br />
hier expandieren?<br />
Wir nutzen Sportevents, Kulturveranstaltungen,<br />
Restaurants und Nachtclubs, um<br />
das Produkt vorzustellen. Viele Berliner<br />
nutzen heute Taxis. Nun stellen Sie sich<br />
Travis Kalanick<br />
Uber<br />
Mit seiner Limousinen-App hat der 37-<br />
jährige Studienabbrecher aus Los Angeles<br />
eine halbe Million Kunden in 67 Städten<br />
weltweit gewonnen, darunter auch in Berlin<br />
und München. Inzwischen macht er rund<br />
100 Millionen Dollar Umsatz im Monat.<br />
Seine Wagen mit Chauffeur sind kaum<br />
teurer als ein Taxi.<br />
Heute liegt der Unternehmenswert bei gut<br />
3,5 Milliarden Dollar<br />
vor, das Auto wäre schön. Das klingt doch<br />
wie ein gutes Angebot.<br />
Deutsche Taxis sind nicht schön?<br />
Sie sind unkomfortabel. Hinzu kommt das<br />
Temperament des Taxifahrers. Er ist nicht<br />
grundsätzlich immer der Allerfreulichste.<br />
Übernachten Deutsche manchmal in guten<br />
Hotels? Ja. Warum sollen sie sich also nicht<br />
auch mal eine schöne Autofahrt gönnen?<br />
Trotzdem ordern die meisten Deutschen<br />
eher ein Taxi als einen Limousinenservice.<br />
Aktuell haben wir in Berlin nur ein Produkt;<br />
das ist sehr hochwertig und funktioniert nur<br />
einigermaßen. Wir wollen deshalb dort<br />
ein billigeres Produkt anbieten. Wir<br />
reduzieren die Klasse der Autos. Statt des<br />
Mercedes-Top-Modells S-Klasse gibt es<br />
dann einen E-Klasse- oder nur einen<br />
C-Klasse-Mercedes. Die Fahrer und<br />
Eigentümer der Limousinen sind ja<br />
unsere Partner. Wenn wir in eine Stadt gehen,<br />
versuchen wir mit ihnen gemeinsam,<br />
den idealen Preis für den Markt zu finden.<br />
Die Hamburger Taxi-App mytaxi ähnelt<br />
Ihrem Geschäftsmodell, nur dass sie<br />
Taxis statt Limousinen vermittelt. Jetzt<br />
expandiert mytaxi in die USA. Stört Sie<br />
der neue Konkurrent?<br />
Das Problem mit Taxis ist, sie haben einen<br />
fixen Preis und eine fixe Zahl an Autos.<br />
Wenn man dringend ein Taxi braucht,<br />
bekommt man meist keines. Uber hat<br />
einen flexiblen Preis und eine flexible<br />
Fahrzeugzahl.<br />
In New York bieten Sie doch auch eine<br />
Taxi-App an.<br />
Ja, das Produkt funktioniert ganz okay,<br />
aber eben nicht sehr gut.<br />
Wollen Sie auch ins Carsharing<br />
einsteigen?<br />
Wir fokussieren uns auf Dienste, wo der<br />
Kunde gefahren wird. Alles andere ist<br />
nicht Uber.<br />
Daimler hat sich gerade am Berliner<br />
Startup Blacklane beteiligt, das auch<br />
eine Limousinen-App anbietet.<br />
In meinen Augen ist die Anziehungskraft<br />
zu klein.<br />
Sie haben kürzlich 258 Millionen Dollar<br />
Kapital eingesammelt, unter anderem<br />
auch von Google. Wofür?<br />
Neben dem finanziellen Engagement<br />
haben wir eine Partnerschaft mit Google<br />
und suchen Wege zusammenzuarbeiten.<br />
Planen Sie einen Börsengang?<br />
Ich kann nicht behaupten, dass wir<br />
solche Pläne gar nicht hätten. Aber wir<br />
haben keine konkreten.<br />
Sie kooperieren mit dem Online-Bezahldienst<br />
PayPal. Was steckt dahinter?<br />
Das ist besonders für Deutschland wichtig.<br />
Die Deutschen mögen keine Kreditkarten.<br />
PayPal ist eine Alternative, die<br />
die Möglichkeit bietet, mit dem Bankkonto<br />
zu bezahlen. Wir wollen, dass die<br />
Menschen bei uns ein nahtloses Zahlungserlebnis<br />
haben. Man steigt in ein<br />
Auto, fährt irgendwo hin, steigt aus.<br />
Dabei soll der Fahrgast nicht einmal sein<br />
Portemonnaie zücken müssen.<br />
n<br />
thomas.stoelzel@wiwo.de<br />
FOTO: REDUX/LAIF/JEFFERY A. SALTER<br />
48 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Risiken und Nebenwirkungen<br />
BANKENGEHÄLTER | Neue Vorschriften haben vor allem zu mehr Bürokratie und rechtlicher<br />
Unsicherheit geführt. Ein Lehrstück über gut gemeinte, aber schlecht gemachte Regulierung.<br />
Jürgen Hambrecht hatte<br />
viel gesucht, aber wenig<br />
gefunden. Als Leiter einer<br />
von der Deutschen Bank eingerichteten<br />
Kommission sollte<br />
der Ex-BASF-Chef das System<br />
der Vergütung bei Deutschlands<br />
größtem Geldhaus überprüfen.<br />
Schließlich stand es –<br />
wie bei anderen Investmentbanken<br />
auch – im Verdacht,<br />
Angestellte zu gleichermaßen<br />
bonusträchtigen wie riskanten<br />
Geschäften zu verleiten. Zu Unrecht,<br />
wie Hambrecht im März<br />
2<strong>01</strong>3 bei der Vorstellung seiner<br />
Erkenntnisse erklärte: Das<br />
überarbeitete Vergütungsprogramm<br />
sei „vollständig regelkonform“,<br />
teilweise gehe es gar<br />
„über die regulatorischen Anforderungen<br />
hinaus“. Zwar gebe<br />
es hier und da noch etwas zu<br />
verbessern, aber insgesamt sei<br />
die Bank ein gelehriger Schüler:<br />
Sie habe eher zu viel als zu<br />
wenig geändert, um Fehlanreize<br />
auszuschließen.<br />
HARSCHE RÜFFEL<br />
Das kann man auch ganz anders<br />
sehen. Jedenfalls, wenn<br />
man Frauke Menke heißt und<br />
bei der Finanzaufsicht BaFin<br />
die Abteilung zur Kontrolle von<br />
Großbanken leitet. Vor einigen Wochen<br />
schickte die resolute Dame einen ihrer für<br />
ihren bissigen Ton gefürchteten Briefe in<br />
die Frankfurter Zwillingstürme. Das<br />
Schreiben, so heißt es, listete zahlreiche,<br />
zum Teil gravierende Mängel bei der Entlohnung<br />
auf. Der Aufsichtsrat, so Menkes<br />
Forderung, solle bitte dringend seiner<br />
Pflicht nachkommen und dafür sorgen,<br />
dass alles künftig so laufe, wie es sich die<br />
Behörde wünsche. Die Deutsche Bank<br />
wollte das nicht kommentieren.<br />
Ähnlich harsche Rüffel trudelten etwa<br />
zeitgleich bei einer ganzen Reihe von Instituten<br />
ein. Sie sind das Ergebnis einer Sonderprüfung,<br />
mit der die Aufseher im vergangenen<br />
Jahr nachhakten, inwieweit die<br />
Brandbriefe aus Bonn<br />
Bankenaufseherin<br />
Menke vermisst<br />
echte Reformen<br />
Banken ihre Gehaltsstrukturen an die<br />
überarbeiteten gesetzlichen Vorgaben angepasst<br />
haben. Das Ergebnis wird die<br />
BaFin an diesem Montag vorstellen. In Finanzkreisen<br />
ist allerdings bereits zu hören,<br />
dass es „schlecht“ bis „desolat“ ausgefallen<br />
»Viele Regeln sind<br />
eher auf angelsächsische<br />
Institute<br />
zugeschnitten«<br />
Olaf Siebeck, DZ Bank<br />
sei. Kaum eine Bank habe den<br />
Test ohne Beanstandungen gemeistert.<br />
Haben die Banker bewusst<br />
getrickst, um ihren Leuten weiter<br />
fette Boni zu sichern? Oder<br />
haben Aufseher und Regierung<br />
die Vorschriften so schludrig<br />
formuliert, dass sie kaum umsetzbar<br />
waren? Fünf Jahre nach<br />
der Finanzkrise ist die Regulierung<br />
der Gehälter eine Baustelle.<br />
Statt klarer Regeln gibt es ein<br />
immer komplexer werdendes<br />
System von Definitionen, Vermutungen<br />
und Ausnahmen.<br />
Daran zeigt sich, wie schwer<br />
sich ein auf den ersten Blick<br />
nicht allzu komplexes Thema<br />
regeln lässt, wie der Teufel im<br />
Detail steckt, ein gelöstes Problem<br />
neue nach sich zieht, sich<br />
deutsche und internationale<br />
Regeln oft nicht ergänzen, sondern<br />
überlappen und am Ende<br />
vor allem Bürokratie und neue<br />
Unklarheiten stehen.<br />
Davon profitieren spezialisierte<br />
Anwälte und Vergütungsberater<br />
wie Towers Watson und<br />
McLagan. Gemeinsam mit den<br />
aufgestockten Personalabteilungen<br />
mühen sie sich um eine<br />
wettbewerbsfähige und regelkonforme<br />
Praxis. „Bei den Unternehmen<br />
gibt es viel Unsicherheit, weil<br />
die aufsichtsrechtlichen Vorgaben oft nicht<br />
ausreichend klar sind“, sagt Werner Klein,<br />
Partner bei der Beratung Hostettler Kramarsch<br />
und Partner in Frankfurt.<br />
Und die Vorschriftenproduktionsmaschinerie<br />
steht nicht still: Mitte Dezember<br />
spuckte sie eine neue Version der deutschen<br />
Vergütungsverordnung aus, mit 29<br />
Paragrafen doppelt so lang wie ihre Vorgängerin<br />
von 2<strong>01</strong>0. „Die neue Version enthält<br />
vor allem Anpassungen und Detailregelungen,<br />
weniger grundlegende Neuerungen“,<br />
sagt Berater Klein.<br />
Die Änderungen haben es allerdings in<br />
sich. So wird der variable Anteil des Gehalts<br />
auf die Höhe des Fixgehalts begrenzt,<br />
FOTO: LAIF/CHRISTOPH PAPSCH<br />
50 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
nach einem entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss<br />
darf er doppelt so<br />
hoch liegen. Das ist eine Reaktion auf den<br />
bisher ausgebliebenen Wandel. So sind die<br />
Bankerboni zwar leicht gesunken. Das lag<br />
aber vor allem an den geschrumpften Gewinnen<br />
der Banken.<br />
Die neue Grenze trifft vor allem Spitzenverdiener<br />
unter den Investmentbankern.<br />
So zeigt eine Auswertung der europäischen<br />
Aufsicht EBA, dass 2<strong>01</strong>2 bei deutschen Investmentbankern<br />
mit mehr als einer Million<br />
Euro Verdienst rund drei Viertel als Bonus<br />
angefallen sind. Nur bei den wenigen<br />
Top-Verdienern im Privatkundengeschäft<br />
war das Verhältnis fast ausgeglichen.<br />
RÄTSELN UM RISK TAKER<br />
Die Deckelung des Bonus führt allerdings<br />
nicht dazu, dass die Gehälter stark sinken<br />
werden. „Die Banken haben schon reagiert,<br />
indem sie die Fixgehälter anheben“,<br />
sagt der Frankfurter Personalberater Andreas<br />
Halin. Das gilt zumindest für jene<br />
Stars, die glaubhaft machen können, dass<br />
sie sonst anderswo glücklich werden. Deren<br />
Gehälter dürften sich in der Zusammensetzung<br />
ändern, aber kaum absolut.<br />
Die „Eins-zu-eins-Regel“ gilt für alle Beschäftigten<br />
deutscher Banken. Berlin ist<br />
damit über die EU-Vorgaben hinausgegangen,<br />
die nur Banker berücksichtigen, die<br />
extrem viel verdienen oder besonders<br />
wichtige Jobs haben, die sogenannten Risk<br />
Taker. Klar, dass die Branchenverbände<br />
nun Wettbewerbsnachteile wittern.<br />
Tatsächlich führt der Sonderweg zu widersprüchlichen<br />
Ergebnissen, etwa bei in<br />
Deutschland ansässigen ausländischen Investmentbanken.<br />
Sind die rechtlich eine<br />
deutsche Bank mit eigener Lizenz, müssen<br />
sie die Boni sämtlicher Mitarbeiter begrenzen.<br />
Sind sie eine Niederlassung ohne eigene<br />
Banklizenz, gelten nur die EU-Regeln.<br />
Mit anderen Unklarheiten soll jetzt<br />
Schluss sein. Schwammig waren bisher die<br />
Regeln bei der Ermittlung der Risk Taker,<br />
für die seit 2<strong>01</strong>0 zusätzliche Regeln gelten.<br />
Wer dazuzählt, war bislang aber weitgehend<br />
den Banken selbst überlassen.<br />
Entsprechend zurückhaltend waren die<br />
bei der Identifizierung. So sank bei der<br />
Deutschen Bank die Zahl der Risk Taker<br />
2<strong>01</strong>2 sogar um rund 150 auf 1215, darunter<br />
rund 1100 Investmentbanker. Das ist gut<br />
ein Prozent der Gesamtbelegschaft. Nach<br />
EBA-Daten sind Hunderte Banker, die<br />
mehr als eine Million Euro im Jahr verdienen,<br />
nicht als Risk Taker eingestuft. Diese<br />
Zurückhaltung ist der Aufsicht ein Dorn im<br />
Auge und einer der Hauptgründe für ihre<br />
jüngste Bankenschelte.<br />
Die wichtigste Sondervorschrift für Risk<br />
Taker betrifft deren Bonus: Der größte Teil<br />
muss gestaffelt über Jahre einbehalten werden,<br />
an den Erfolg der Bank gekoppelt sein<br />
und teilweise verfallen, wenn das Verhalten<br />
des Bankers zu erheblichen Verlusten<br />
geführt hat. Das klingt einleuchtend, ist<br />
aber in der Praxis schwierig umzusetzen.<br />
„Viele europäische Regeln sind eher auf angelsächsische<br />
Institute zugeschnitten“, sagt<br />
sagt Olaf Siebeck, Leiter Grundsatzfragen<br />
in der Personalabteilung der genossenschaftlichen<br />
DZ Bank. „So müssen nicht<br />
börsennotierte Banken wie wir alternative<br />
Kennzahlen festlegen, um den nachhaltigen<br />
Unternehmenswert zu ermitteln.“<br />
Genauso schwer fällt es den Banken, zu<br />
erkennen, welchen Beitrag ein Einzelner<br />
zu einem Geschäft geleistet hat. Dafür sind<br />
schon die EDV-Systeme oft nicht ausgestattet.<br />
Und es bleiben inhaltliche Fragen: Was<br />
passiert etwa, wenn ein größerer Kredit<br />
ausfällt, dessen Bewilligung die Bankmitarbeiter<br />
aber gründlich geprüft hatten? Wie<br />
Wo die reichen Banker wohnen<br />
Zahl der Hochverdiener beiBanken<br />
nachEU-Land*<br />
Großbritannien<br />
Deutschland<br />
Frankreich<br />
Italien<br />
Spanien<br />
212<br />
100<br />
177<br />
117<br />
109<br />
47<br />
100<br />
37<br />
*mehrals eine Million Euro Jahresgehalt2<strong>01</strong>2;<br />
Quelle:EuropeanBankingAuthority<br />
2714<br />
2188<br />
Anzahl gesamt<br />
es in Finanzkreisen heißt, haben die Banken<br />
die Möglichkeit, Boni zu streichen, bisher<br />
sehr sparsam angewendet.<br />
Nun sollen Risk Taker klarer identifiziert<br />
werden. Die neueste Richtlinie der EBA<br />
sieht für die Einstufung allein 15 qualitative<br />
Kriterien wie „Verantwortung für einen<br />
wichtigen Geschäftsbereich“, etliche quantitative<br />
Kriterien wie die Gehaltshöhe und<br />
eine ganze Reihe von Ausnahmen vor. Was<br />
nach Kuddelmuddel klingt, ist es auch.<br />
Fest steht: „Die Zahl der Risk Taker wird<br />
deutlich steigen“, erwartet Berater Klein.<br />
Das glaubt auch Personaler Siebeck. Bisher<br />
galten dort Mitarbeiter im oberen Management<br />
als Risk Taker, künftig wird sich die<br />
Anzahl spürbar erhöhen. „Da jede Bank<br />
die Einteilung weiterhin auch nach ihren<br />
eigenen Strukturen und ihrem jeweiligen<br />
Geschäftsmodell definieren muss, sind die<br />
neuen Definitionen zwar klarer, aber die<br />
Ergebnisse werden je nach Institut unterschiedlich<br />
sein“, sagt Siebeck.<br />
Das zweifelhafte Vergnügen, sich mit<br />
den Fragen abzuplagen, haben künftig<br />
mehr Institute. Statt ab einer Bilanzsumme<br />
von 40 sind künftig Banken ab 15 Milliarden<br />
Euro betroffen. Dazu gehören auch die<br />
größten Sparkassen, Förderbanken und<br />
die genossenschaftliche Apotheker- und<br />
Ärztebank. Bei der Hamburger Sparkasse<br />
heißt es, dass sich das Institut vorbereitet<br />
habe und sich der Aufwand wohl in Grenzen<br />
halten werde, weil die Regeln vor allem<br />
auf Großbanken zugeschnitten seien. Umsetzen<br />
muss die Sparkasse sie trotzdem.<br />
So muss auch sie komplizierte arbeitsrechtliche<br />
Fragen klären. „Die neuen Regeln<br />
ersetzen nicht automatisch die im Arbeitsvertrag<br />
des einzelnen Bankers oder in<br />
einer Betriebsvereinbarung enthaltenen<br />
Regelungen“, sagt Christian Hoefs, Arbeitsrechtler<br />
bei Hengeler Mueller in Frankfurt.<br />
Over the Top<br />
Gesamtsalärund Anteil der Bonifür<br />
deutsche Spitzenbanker*<br />
1,54<br />
Mio. €<br />
1,53<br />
Mio. €<br />
76% 63%<br />
davon Investmentbanker<br />
Investmentbanking<br />
Vermögensverwaltung<br />
*Durchschnittswerte fürPersonenab<br />
eine Million Euro Jahressalär 2<strong>01</strong>2;<br />
Quelle:EuropeanBankingAuthority<br />
1,17<br />
Mio. €<br />
55%<br />
Filialgeschäft<br />
Die Einzelverträge gehen vor, Änderungen<br />
lassen sich nicht eben mal einfach so verkünden.<br />
So können Banker ihre Ansprüche<br />
auf höhere Zahlungen behalten, wenn ihr<br />
alter Vertrag das vorsieht. Die Banken sind<br />
nur verpflichtet, auf Änderungen hinzuwirken.<br />
Das wird schwierig, denn was das genau<br />
heißt, ist – einmal mehr – unklar.<br />
Die neuen Regeln bringen auch neue<br />
Themen aufs Tapet: etwa den Passus, wonach<br />
Abfindungszahlungen „der Leistung<br />
im Zeitverlauf“ Rechnung tragen müssen.<br />
Ob damit gemeint ist, dass nun bewertet<br />
wird, wie gut ein vorzeitig gehender Banker<br />
den Job gemacht hat, ist vorerst offen. Zeit<br />
für eine Klarstellung der Klarstellung. n<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 51<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Verrückter und wilder<br />
LUXUS | Technische Edelprodukte wie Uhren und Autos sind die größten Gewinner beim fünften<br />
Luxusmarkenranking der WirtschaftsWoche.<br />
Die Stimmgewalt einer Maria Callas<br />
oder das besondere Timbre von Elvis<br />
Presley – „das kann nicht durch<br />
MP3-Player und Stöpsel im Ohr wiedergegeben<br />
werden“, sagt der Ingenieur und Musiker<br />
Dieter Burmester. „Dafür braucht<br />
man eine Anlage, die die Musik unverfälscht<br />
und mit dem gesamten Spektrum<br />
wiedergeben kann.“ Für Musikliebhaber,<br />
die sich diesen Luxus gönnen wollen, fertigen<br />
Burmester und seine 50 Mitarbeiter in<br />
Berlin Musikanlagen und Lautsprecher per<br />
Hand und mit hochwertigsten Bauteilen<br />
für bis zu 150000 Euro. Lautsprecher wiegen<br />
bis zu 80 Kilo, damit sie den Klang voll<br />
entfalten können, alle Komponenten werden<br />
bis zu eine Woche lang getestet.<br />
Mit Erfolg: Burmester steigerte 2<strong>01</strong>3 den<br />
Umsatz um <strong>13</strong> Prozent auf geschätzt mehr<br />
als zehn Millionen Euro. Wie Burmester<br />
profitieren viele Luxusanbieter von den<br />
4<br />
RANG<br />
BURMESTER<br />
Unterhaltungselektronik<br />
Dieter Burmester gründete sein<br />
Unternehmen für Audiosysteme<br />
1978. Er ist selbst seit 50 Jahren<br />
Musiker und spielte einige Jahre als<br />
Gitarrist in der Band Birth Control.<br />
zurzeit niedrigen Zinsen: „Sachwerte sind<br />
nach wie vor gefragt, das fördert den Luxusmarkt“,<br />
sagt Johannes Spannagl, Geschäftsführer<br />
des Münchner Markenbewerters<br />
Brand Networks. Der erstellt zusammen<br />
mit der Münchner Markenberatung<br />
Biesalski & Company seit 2005 für die<br />
WirtschaftsWoche im Zweijahrestakt ein<br />
Ranking der 30 wichtigsten deutschen Luxusmarken.<br />
Die Lust der Deutschen auf Luxus steigt:<br />
Der Konsum von persönlichen Luxusgütern<br />
wie Kosmetik, Mode, Accessoires,<br />
Schreibgeräte und Uhren legte 2<strong>01</strong>3 um<br />
drei Prozent auf 9,9 Milliarden Euro zu,<br />
zeigt eine Studie der Beratung Bain in Mailand.<br />
Davon profitieren auch die deutschen<br />
Hersteller <strong>vom</strong> Uhrenfabrikanten<br />
bis zur Porzellanmanufaktur.<br />
Die Aufsteiger beim diesjährigen Luxusmarkenranking<br />
sind Unternehmen, die<br />
stark sind bei technischen Innovationen<br />
(siehe Tabelle). Stehen französische und<br />
italienische Anbieter für Glamour und<br />
Chic, bestechen die deutschen Edelfabrikanten<br />
durch technische Perfektion, etwa<br />
bei Uhren, Autos oder Möbeln.<br />
So stehen an der Spitze des Rankings die<br />
sächsischen Uhrenhersteller A. Lange &<br />
Söhne (Richemont-Gruppe) und Glashütte<br />
Original (Swatch-Gruppe). Beide fertigen<br />
komplexe Zeitmesser, zum Teil in limitierten<br />
Stückzahlen, für die Handgelenke der<br />
FOTO: LAIF/DANIEL PILAR<br />
52 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Reichen und Erfolgreichen zu Preisen ab<br />
15000 Euro beziehungsweise 5000 Euro.<br />
Zu den stärksten Aufsteigern zählen traditionelle<br />
Unternehmen wie der 100 Jahre<br />
alte Kamerahersteller Leica aus dem hessischen<br />
Solms. Nachdem Leica den Markteintritt<br />
bei der Digitaltechnik verschlafen<br />
hatte und durch einen Investor, den ehemaligen<br />
Waldorflehrer Andreas Kaufmann,<br />
vor der drohenden Pleite gerettet<br />
wurde, besinnt sich das Unternehmen jetzt<br />
auf alte Stärken und punktet bei Modellen<br />
im Retrolook mit neuester Technik.<br />
Ebenfalls Plätze gut machte der<br />
Schmuckhersteller Wellendorff, der seit<br />
1893 in Pforzheim Schmuck wie die Wellendorff-Kordel<br />
herstellt. Die Colliers bestehen<br />
aus 160 Meter Goldfäden in einer<br />
Stärke zwischen einem und vier zehntel<br />
Millimeter. Zwischen 5000 und 30000 Euro<br />
blättern Schmuckliebhaber für Wellendorffs<br />
güldene Preziosen hin.<br />
EDELSOUND IM AUTO<br />
Doch auch junge Unternehmen wie Burmester<br />
punkten bei den Luxusmarkenbewertern.<br />
„Deutscher Luxus steht weniger<br />
für Status und Glamour, sondern eher für<br />
Freiheit und Selbstverwirklichung und ist<br />
damit anders ausgelegt als der klassische<br />
Luxusbegriff in Frankreich oder Italien“,<br />
sagt Klaus Heine, Luxusexperte an der renommierten<br />
französischen Emlyon Business<br />
School. „Während die Luxusmodebranche<br />
klar von Frankreich und Italien<br />
dominiert wird, liegen Deutschlands Stärken<br />
eher in technischen Branchen und bei<br />
Einrichtungsgegenständen, wie zum Beispiel<br />
Küchen und Porzellan.“<br />
Musikliebhaber Dieter Burmester gründete<br />
sein Unternehmen 1978. Vor neun<br />
Jahren fing Burmester an, Musikanlagen<br />
und Lautsprecher auch für Autos zu entwickeln:<br />
zuerst für Bugatti, dann für alle Porsche-Modelle,<br />
inzwischen auch für die<br />
Mercedes S-Klasse. Mittlerweile kommt er<br />
mit den Neuentwicklungen kaum hinterher.<br />
Um nicht von der digitalen Entwicklung<br />
ausgebremst zu werden, hat er zudem<br />
einen Festplattenrekorder entwickelt, der<br />
bis zu 6000 CDs speichern kann – zum<br />
stattlichen Preis von 30 000 Euro. 150 Stück<br />
hat er davon 2<strong>01</strong>3 verkauft.<br />
Konkurrent T+A aus dem ostwestfälischen<br />
Herford gelang in diesem Jahr erstmals<br />
der Sprung unter die Top Ten. 8000<br />
Anlagen stellt das Unternehmen pro Jahr<br />
mit rund 90 Mitarbeitern her. Große Hi-Fi-<br />
Anlagen kosten rund 30000 Euro, Einsteigermodelle<br />
2000 bis 5000 Euro.<br />
»<br />
Das deutsche Luxusranking<br />
Die 30 Top-Marken 2<strong>01</strong>3<br />
Rang<br />
2<strong>01</strong>3<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
<strong>13</strong><br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
27<br />
28<br />
29<br />
30<br />
Rang<br />
2<strong>01</strong>1<br />
1<br />
3<br />
4<br />
12<br />
5<br />
9<br />
–<br />
8<br />
35<br />
10<br />
7<br />
11<br />
17<br />
–<br />
<strong>13</strong><br />
22<br />
14<br />
18<br />
18<br />
20<br />
27<br />
–<br />
–<br />
33<br />
30<br />
–<br />
–<br />
–<br />
25<br />
15<br />
Luxusmarke<br />
Brand Networks<br />
Luxusmarkenindex 1<br />
(max. 300)<br />
244 (239)<br />
214 (204)<br />
212 (195)<br />
206 (156)<br />
191 (184)<br />
190 (163)<br />
183 –<br />
175 (170)<br />
171 (111)<br />
166 (162)<br />
164 (174)<br />
156 (161)<br />
154 (142)<br />
152 –<br />
151 (152)<br />
150 (<strong>13</strong>3)<br />
147 (151)<br />
146 (141)<br />
142 (141)<br />
<strong>13</strong>6 (<strong>13</strong>9<br />
<strong>13</strong>0 (119)<br />
129 –<br />
128 –<br />
126 (114)<br />
125 (118)<br />
120 _<br />
119 –<br />
118 –<br />
117 (121)<br />
116 (144)<br />
Entwicklung<br />
seit 2<strong>01</strong>1 2<br />
DerLuxusmarkenindex basiertauf einer Befragung von163 Branchenexperten zu den drei Kriterien relativerPreisabstand<br />
des Luxusmarkenanbieterszueinem Mainstream-Markenanbieter,absolute Preishöhe und Anziehungskraft einer Marke;<br />
1 in Klammern 2<strong>01</strong>1; 2 Trendanzeige ab 5Punkten; Quelle: Biesalski&Companyund Brand Networks<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
0<br />
Neu<br />
0<br />
0<br />
7<br />
9<br />
9<br />
0<br />
Neu<br />
7<br />
0<br />
7<br />
0<br />
7<br />
7<br />
0<br />
Neu<br />
Neu<br />
0<br />
0<br />
Neu<br />
Neu<br />
Neu<br />
7<br />
9<br />
Marktsegment<br />
Uhren<br />
Uhren<br />
Automobil<br />
Unterhaltungselektronik<br />
Küchenmöbel<br />
Elektrogeräte<br />
Unterhaltungselektronik<br />
Uhren<br />
Foto/Optik<br />
Glas und Porzellan<br />
Küchenmöbel<br />
Küchenmöbel<br />
Wohnmöbel<br />
Gartenmöbel<br />
Wohnmöbel<br />
Schmuck<br />
Damenmode<br />
Besteck<br />
Schreibgeräte<br />
Wohnmöbel<br />
Armaturen<br />
Beleuchtung<br />
Besteck<br />
Wohnmöbel<br />
Schmuck<br />
Hotellerie<br />
Beleuchtung<br />
Glas und Porzellan<br />
Hotellerie<br />
Damenmode<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 53<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
FOTOS: LAIF/DANIEL PILAR, CHRISTIAN BURKERT, MARTIN LEISSL; PR/KLAUS BECKER; FOTOGLORIA/ANNA MUTTER; AGENTUR FOCUS/OSTKREUZ/ MAURICE WEISS<br />
»<br />
Erstmals in die Top 30 des Rankings<br />
geschafft hat es Gartenmöbelproduzent<br />
Dedon aus Lüneburg. Mit seinen luxuriösen<br />
Garten- und Terrassenmöbeln besetzt<br />
Dedon erfolgreich eine Nische: Spezielle<br />
Kunstfasern lassen die Designermöbel<br />
Sonne, Regen oder Salzwasser unbeschadet<br />
überstehen. „Der ehemalige Fußballprofi<br />
Bobby Dekeyser hat sich mit seinen<br />
Möbeln ein eigenes Spielfeld geschaffen<br />
und vermarktet seine Geschichte von den<br />
Anfängen auf einem Lüneburger Bauernhof<br />
bis hin zum Luxusunternehmen perfekt“,<br />
lobt Markenexperte Spannagl.<br />
ATTRAKTIVE NISCHE GESUCHT<br />
Auch der Münchner Designleuchtenhersteller<br />
Occhio erreicht erstmals einen Platz<br />
unter den Top 30. Gründer Axel Meise studierte<br />
bis zum Vordiplom Maschinenbau,<br />
machte dann aus seinem Hobby eine Profession<br />
und entwickelte Leuchten. 1999<br />
gründete er Occhio mit der Idee, für jede<br />
Art der Beleuchtung ein ähnliches Design<br />
zu bieten – <strong>vom</strong> Esstisch bis zur Wandbeleuchtung.<br />
Ursprünglich ließ er in Italien<br />
fertigen, inzwischen kommen die Leuchten<br />
aus dem Reich der Mitte: „Der Hauptgrund<br />
für die Verlagerung nach China waren<br />
tatsächlich unsere hohen Qualitätsanforderungen“,<br />
sagt Meise. In den kommenden<br />
fünf Jahren will er seinen Umsatz auf<br />
mehr als 50 Millionen Euro verdoppeln.<br />
Wer es hingegen nicht schafft, sich in einer<br />
attraktiven Nische zu positionieren, hat<br />
es schwer. Das zeigen die Verlierer im Ranking:<br />
die Modelabel Bogner, Rena Lange,<br />
Baldessarini und Wunderkind, die nicht<br />
mehr im Ranking auftauchen. Aber auch Jil<br />
Sander und Escada haben Plätze eingebüßt.<br />
„Mode hängt oft an dem Designer“,<br />
sagt Luxusexperte Heine. „Wenn nicht<br />
mehr klar ist, wofür die Marke steht, haben<br />
es die Unternehmen schwer.“<br />
Deutscher Technik-Luxus wird indes<br />
weltweit geschätzt. Hier sieht Markenberater<br />
Alexander Biesalski noch Potenzial:<br />
„Erst ein Teil der deutschen Luxusunternehmen<br />
ist schon international unterwegs.<br />
Dabei lässt sich der Marktanteil im Inland<br />
bei den bereits etablierten Luxuslabels fast<br />
nicht mehr steigern.“<br />
Doch während die technische Perfektion<br />
der Deutschen anerkannt ist, haben sie<br />
beim Glamour oft noch Nachholbedarf.<br />
Luxusexperte Heine: „Die Web-Seiten und<br />
einige Geschäfte sind extrem langweilig.<br />
Deutscher Luxus sollte kreativer und etwas<br />
verrückter werden.“<br />
n<br />
nele.hansen@wiwo.de<br />
14<br />
RANG<br />
9<br />
RANG<br />
DEDON<br />
Gartenmöbel<br />
Der ehemalige Fußballprofi Bobby Dekeyser gründete 1990 das Möbelunternehmen<br />
Dedon und hat sich mit seinen strapazierfähigen und designorientierten<br />
Sesseln für Garten, Pool oder Terrasse einen Namen gemacht.<br />
LEICA CAMERA<br />
Foto/Optik<br />
Gut im Geschäft mit Kameras in Retrooptik: Leica-Chef Alfred Schopf. Das Unternehmen<br />
ist seit 2<strong>01</strong>2 nicht mehr börsennotiert und gehört über eine Stiftung dem<br />
Österreicher Andreas Kaufmann und dem Finanzinvestor Blackstone.<br />
54 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
23<br />
RANG<br />
KOCH & BERGFELD<br />
Besteck<br />
Mit seinen silbernen Messern und Gabeln haben<br />
bereits Generationen von Adeligen gegessen: Klaus<br />
Neubauer führt die Bremer Manufaktur seit 2006.<br />
27<br />
RANG<br />
TOBIAS GRAU<br />
Beleuchtung<br />
Betriebswirt und Designer Tobias Grau ist bekannt für seine<br />
Leuchten in Tropfenform. Rund 95 Prozent der Fertigung erfolgt in<br />
Deutschland, die Endmontage in der Nähe von Hamburg.<br />
26<br />
RANG<br />
SCHLOSS ELMAU<br />
Hotellerie<br />
Dietmar Müller-Elmau, Chef des Hotels Schloss<br />
Elmau in Oberbayern, überzeugt seine Gäste nicht<br />
nur mit hochkarätigen Klassikkonzerten.<br />
7<br />
RANG<br />
T+A<br />
Unterhaltungselektronik<br />
Siegfried Amft stellt seit 1978 in Ostwestfalen exklusive Hi-Fi-Anlagen<br />
her. Sein Lehrmeister war Fritz Sennheiser, Gründer des gleichnamigen<br />
Kopfhörerherstellers und Professor für Elektroakustik.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 55<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Die Dampfmaschine<br />
DETROIT MOTOR SHOW | <strong>2<strong>01</strong>4</strong> wird zum Schicksalsjahr für die<br />
großen drei, ihre wiedererstarkten Konkurrenten aus Asien, aber<br />
auch für die Ambitionen der deutschen Autohersteller in den USA.<br />
Ein Autohändler räumt die Christbäume<br />
weg, ein anderer schraubt die<br />
elektrischen Kerzen aus dem neunarmigen<br />
Leuchter, der seit dem jüdischen<br />
Lichterfest Ende November am Eingang<br />
steht. Es geht gemächlich zu bei New Yorks<br />
größtem Chrysler-Händler in Manhattan.<br />
Kunden sind weit und breit nicht in Sicht,<br />
was – so versichert einer der Verkäufer – an<br />
den arktischen Temperaturen liege, die die<br />
Metropole zuletzt erstarren ließen.<br />
Die Verschnaufpause zum Jahresbeginn<br />
hat sich der Chrysler-Dealer redlich verdient.<br />
Denn seit der Insolvenz vor knapp<br />
fünf Jahren wird bei Chrysler rangeklotzt.<br />
Der Dezember war der 48. Monat in Folge,<br />
in dem die Absatzkurve nach oben zeigte.<br />
2<strong>01</strong>3 verkaufte der Autobauer rund 2,6 Millionen<br />
Fahrzeuge der Marken Chrysler,<br />
Jeep, Dodge (Pkws, Geländewagen) und<br />
Ram (Pick-up-Trucks) – neun Prozent mehr<br />
als 2<strong>01</strong>2. Nach vorläufigen Schätzungen erzielte<br />
Chrysler 75 Milliarden Dollar Umsatz,<br />
verbuchte einen operativen Gewinn von<br />
rund 3,5 Milliarden Dollar und steigerte<br />
den Marktanteil in den USA auf 11,8 Prozent.<br />
Mit seinen Profiten rettet Chrysler sogar<br />
die Mutter Fiat, von der die Amerikaner<br />
jetzt komplett geschluckt wurden.<br />
Doch wie lange hält der Höhenflug noch<br />
an? Sind die leeren Verkaufsräume in New<br />
York wirklich nur dem Wetter geschuldet<br />
oder Vorboten neuer Schwierigkeiten, wie<br />
skeptische Wall-Street-Analysten unken?<br />
Das neue Autojahr, das die Branche in der<br />
kommenden Woche bei der Motor Show in<br />
Detroit einläutet, wird spannende Antworten<br />
liefern – für Chrysler, aber auch für andere<br />
große Hersteller. Nachdem die einstigen<br />
Pleitekandidaten Chrysler und General Motors<br />
(GM), aber auch Ford zu alter Stärke zurückgefunden,<br />
die japanischen Konkurrenten<br />
die Folgen des Tsunamis weggesteckt<br />
und die deutschen Angreifer ihre Waffen geschärft<br />
haben, steht der US-Automarkt vor<br />
einer Reihe von Entscheidungsschlachten.<br />
Wegen der enormen Bedeutung des<br />
Marktes kann das Geschehen dort über<br />
Wohl und Wehe ganzer Konzerne entscheiden.<br />
Denn neben China sind die USA<br />
derzeit die einzige Region mit robusten Zuwachsraten<br />
und auch der wichtigste Markt<br />
für Elektroautos. „Die Vereinigten Staaten<br />
sind so etwas wie die Dampfmaschine der<br />
Autoindustrie, mit fast noch mehr Zugkraft<br />
als der chinesische Markt“, urteilt Christoph<br />
Stürmer, Autoanalyst bei PricewaterhouseCoopers<br />
in Frankfurt.<br />
EINE FLUT VON MODELLNEUHEITEN<br />
Entsprechend energiegeladen machen<br />
sich die Spitzen der deutschen Konzerne<br />
auf den Weg, um in der Cobo Hall am Detroit<br />
River ihre Neuheiten zu präsentieren<br />
und die Weichen für ein weiteres Erfolgsjahr<br />
zu stellen. So erleben in Motown City<br />
die neue C-Klasse und der S600 von Mercedes<br />
sowie der neue Targa von Porsche<br />
ihre Weltpremiere. Volkswagen gibt mit<br />
dem Beetle Dune einen Vorgeschmack auf<br />
die Offroad-Version des Beetle und zeigt<br />
den neuen Golf mit Elektroantrieb. BMW<br />
lockt mit dem Elektroauto i3, dem Sportcoupé<br />
M4 und einer über 200 PS starken<br />
Variante des neuen Mini. „Die deutsche<br />
Autoindustrie“, sagt Matthias Wissmann,<br />
Präsident des Branchenverbandes VDA,<br />
„wird <strong>2<strong>01</strong>4</strong> in den USA weiter wachsen.“<br />
Glänzen in Detroit Die interessantesten Modellneuheiten für die USA – und den Rest der Autowelt.<br />
Cadillac CTS-V<br />
GM hat Milliarden<br />
lockergemacht, um<br />
die Edelmarke Cadillac<br />
auch für Kunden<br />
außerhalb der USA<br />
attraktiv zu machen.<br />
Ein Export des neuen,<br />
besonders sportlichen<br />
CTS-V mit einem<br />
556 PS starken<br />
V8 unter der Haube<br />
ist aber vorerst nicht<br />
geplant.<br />
Mercedes<br />
C-Klasse<br />
Den Top-Modellen der<br />
S-Klasse wie aus dem<br />
Gesicht geschnitten<br />
ist die neue Mitteklasse<br />
von Mercedes. Der<br />
Wagen glänzt mit<br />
vielen Luxusfeatures.<br />
Für den Antrieb sorgen<br />
zunächst konventionelle<br />
Motoren. Ein<br />
Bluetec-Hybrid soll<br />
später folgen.<br />
56 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Die rasche Erholung des US-Automarkts<br />
von den Folgen der Finanzkrise hat den<br />
deutschen ebenso wie den japanischen<br />
und südkoreanischen Branchengrößen<br />
Mut gemacht zu Milliardeninvestitionen in<br />
neue Modelle und Fabriken, in den Ausbau<br />
bestehender Produktionsstandorte in den<br />
USA und Mexiko sowie den Ausbau der<br />
Zuliefererstrukturen und Vertriebsnetze.<br />
Die Analysten des Bewertungsdienstes<br />
Kelley Blue Book aus dem kalifornischen<br />
Irvine erwarten <strong>2<strong>01</strong>4</strong> einen Absatz von 16,3<br />
Millionen neuen Pkws, Pick-ups und leichten<br />
Nutzfahrzeugen – das wären rund<br />
200 000 Fahrzeuge mehr als im Rekordjahr<br />
2007. Zum Vergleich: In Westeuropa wurden<br />
2103 nur rund zwölf Millionen Autos<br />
verkauft. Und Experten erwarten für <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
nur einen leichten Nachfrageanstieg.<br />
Kräftiges Wachstum in Nordamerika ist<br />
daher für die Vertriebsstrategen von BMW<br />
und Daimler, Audi, VW und Porsche<br />
Pflicht. Doch ein Spaziergang wird das<br />
nicht. Die Rivalen aus Asien, Toyota, Nissan,<br />
Honda sowie Hyundai, haben ebenfalls<br />
ehrgeizige Wachstumspläne. Vor allem<br />
aber: Die „Big Three“ – GM, Ford und<br />
Chrysler – haben die vergangenen Jahre<br />
dazu genutzt, um sich strategisch, produktionstechnisch<br />
und personell neu aufzustellen.<br />
Alle drei zusammen kamen 2<strong>01</strong>3<br />
auf einen Marktanteil von über 45 Prozent.<br />
Gefragte Deutsche<br />
Autoverkäufe deutscherPremiummarken<br />
in den USA(in Tausend)<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
Gesamtmarkt<br />
(inMillionen)<br />
<strong>13</strong>,2 10,4 11,6 12,8 14,5 15,6<br />
2008<br />
Quelle:IHS/AutomotiveNews<br />
09 10 11 12 <strong>13</strong><br />
Grund dafür ist vor allem die starke<br />
Nachfrage nach SUVs. Allein Ford konnte<br />
in dem dank niedriger Spritpreise immer<br />
noch wichtigen Marktsegment fast 1,4 Millionen<br />
Trucks absetzen, was maßgeblich<br />
zum Gewinn von sechs Milliarden Dollar<br />
in den ersten neun Monaten 2<strong>01</strong>3 beitrug.<br />
In diesem Jahr zündet die traditionsreiche<br />
Motor Company die nächste Stufe ihrer<br />
Weltstrategie „One Ford“. Ziel ist es, mit<br />
möglichst geringem Kostenaufwand möglichst<br />
viele Modelle zu entwickeln und mit<br />
nur geringen Modifikationen Kunden in aller<br />
Welt anzubieten. Ziel ist ein Absatz von<br />
6,2 Millionen Autos weltweit – rund 600000<br />
Autos mehr als 2<strong>01</strong>2.<br />
Die One-Ford-Strategie stärkt nicht nur<br />
die Position auf dem Heimatmarkt, sondern<br />
soll auch in Europa für Wachstum sorgen.<br />
So wird der neue Sportwagen Mustang<br />
wenige Monate nach dem Modellstart<br />
in den USA im ersten Quartal 2<strong>01</strong>5 auch in<br />
Europa angeboten. Als Weltautos sind<br />
auch der Kompakt-SUV Escape und die<br />
Mittelklasselimousine Fusion konzipiert –<br />
mit nur geringen Änderungen werden beide<br />
Modelle in Übersee als Kuga und Mondeo<br />
angeboten.<br />
Auch GM hat sich neu aufgestellt. Mit<br />
Mary Barra wird diese Woche erstmals eine<br />
Frau an die Spitze des immer noch größten<br />
Autoherstellers der Welt treten. Und die<br />
neue Chefin ist nicht nur entschlossen,<br />
„keine beschissenen Autos mehr“ zu bauen,<br />
sondern auch die immer noch sehr<br />
bunte Markenwelt neu zu ordnen. Ende<br />
2<strong>01</strong>5 wird Chevrolet aus Europa abgezogen<br />
– und Cadillac, die dank Milliardeninvestitionen<br />
derzeit am schnellsten wachsende<br />
Premiummarke weltweit, auch in Europa<br />
zum echten Konkurrenten von Audi, BMW<br />
und Mercedes hochgepäppelt. In Detroit<br />
zeigt GM mit dem Cadillac ELR ein luxu-<br />
»<br />
BMW M4<br />
Gewissermaßen als Gegenstück zum klimafreundlichen<br />
Elektroauto i3 präsentiert BMW<br />
in Detroit das neue Sportcoupé M4 mit<br />
Carbondach und einem 430 PS starken Motor.<br />
Ford Mustang<br />
Die sechste Generation des legendären<br />
Ponycars wird Ford nun<br />
auch ganz offiziell in Europa anbieten.<br />
Kunden in den USA kriegen<br />
das Sportcoupé mit 426 PS<br />
starkem Achtzylinder. Für Europa<br />
muss ein Vierzylinder genügen.<br />
VW-Passat<br />
Ein Facelift und<br />
nochmals sparsamere<br />
Motoren sollen<br />
dem in den USA<br />
produzierten Passat<br />
neuen Schwung<br />
geben. Besonders<br />
sparsam kommt das<br />
Modell Bluemotion<br />
daher: Zwei der vier<br />
Zylinder lassen sich<br />
hier abschalten.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 57<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
riöses Schwestermodell des Elektroautos<br />
Opel Ampera, das Ende des Jahres auch<br />
nach Europa kommt.<br />
Im Aufwind ist nach der vollständigen<br />
Übernahme durch Fiat auch Chrysler – gut<br />
sechs Jahre nach der Trennung von Daimler<br />
und fünf Jahre nach der Pleite. Chef Sergio<br />
Marchionne will am 1. April ein neues<br />
Entwicklungsprogramm präsentieren, das<br />
die Modellplanung von Chrysler, Jeep und<br />
Dodge mit der von Fiat, Alfa Romeo und<br />
Lancia abstimmt und die Marken fit machen<br />
soll für eine weltweite Absatzoffensive.<br />
Fiat, so viel sickerte durch, wird sich auf<br />
die Modelle 500 und Punto konzentrieren,<br />
Alfa Romeo technisch mit Chrysler und<br />
Dodge zusammenspannen und weltweit<br />
als Lifestyle-Marke auf Kundenfang gehen.<br />
Der Export des Sportwagens 4C nach den<br />
USA ist nur der Anfang. Selbst eine Produktion<br />
von Alfa-Fahrzeugen in den Staaten<br />
wird diskutiert: 2<strong>01</strong>5 soll in Detroit ein<br />
kompakter SUV von Alfa zu sehen sein, der<br />
eine Plattform von Jeep nutzt.<br />
KAMPF UM DIE FÜHRUNG<br />
In den USA könnte sich dieses Jahr der<br />
Kampf der Konzerne um die Führungspositionen<br />
entscheiden. „Der Markt spielt eine<br />
ganz, ganz wichtige Rolle in unseren Wachstumsplänen“,<br />
sagt ein hochrangiger Daimler-Manager.<br />
Bis 2020 wollen die Stuttgarter<br />
wieder führender Anbieter von Premiumautomobilen<br />
sein und weltweit rund 2,7 Millionen<br />
Autos verkaufen – knapp 1,5 Millionen<br />
Fahrzeuge waren es 2<strong>01</strong>3. Dank des erfolgreichen<br />
Starts des kompakten Coupés<br />
CLA und der starken Nachfrage nach der<br />
neuen S-Klasse konnte Daimler 2<strong>01</strong>3 in den<br />
USA bereits um 14 Prozent wachsen und damit<br />
den Erzrivalen BMW überflügeln.<br />
Erstmals seit 1999 ist Mercedes wieder<br />
die bestverkaufte Premiummarke in den<br />
Staaten – vor BMW und der Toyota-Tochter<br />
Lexus. Die neue C-Klasse – die erste, die<br />
auch made in USA ist – soll helfen, den Vorsprung<br />
weiter auszubauen. Dazu wurden<br />
die Kapazitäten im Werk Tuscaloosa in Alabama<br />
ausgebaut. Rund 60 000 Exemplare<br />
der C-Klasse sollen hier pro Jahr für Kunden<br />
in Nordamerika gebaut werden. Vorbereitet<br />
wird zudem eine gemeinsame Fertigung<br />
mit Nissan in Mexiko: Von 2<strong>01</strong>5 an<br />
könnte hier der kompakte SUV Mercedes<br />
GLA produziert werden.<br />
BMW wird in seinem Werk in Spartanburg,<br />
South Carolina, schon <strong>2<strong>01</strong>4</strong> die Produktion<br />
eines ähnlichen Modells starten.<br />
Rund 900 Millionen Dollar haben die Bayern<br />
in den Ausbau der Fabrik investiert, in<br />
58 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
der künftig alle sechs X-Modelle von BMW<br />
produziert werden – bis zu 350 000 Fahrzeuge<br />
jährlich. BMWs Nordamerika-Chef<br />
Ludwig Willisch ist deshalb zuversichtlich,<br />
die Krone des Premiumkönigs in diesem<br />
Jahr zurückerobern zu können.<br />
Mehr als der Zweikampf mit den deutschen<br />
Kollegen beschäftigt BMW die Frage,<br />
ob die USA dem E-Mobil i3 zum Durchbruch<br />
verhelfen können. Anders als in Europa<br />
oder Asien sind Elektroautos in den<br />
USA bereits ein Massenprodukt mit jährlich<br />
sechsstelligen Verkaufszahlen. Setzt<br />
sich das innovative Carbon-Elektroauto i3<br />
hier nicht durch, könnte BMWs gesamte<br />
E-Auto-Strategie ins Wanken geraten.<br />
NEUBEGINN BEI VOLKSWAGEN<br />
Und Volkswagen? Europas größter Autobauer<br />
hatte 2<strong>01</strong>1 mit einem Werk in Chattanooga,<br />
Tennessee, einen Neustart hingelegt<br />
– 25 Jahre nach der Schließung des<br />
Golf-Werks Westmoreland in Pennsylvania.<br />
Die Ziele der Wolfsburger sind ambitioniert:<br />
Bis 2<strong>01</strong>8 will VW rund 800 000 Autos<br />
jährlich in den USA absetzen. Doch davon<br />
ist man noch meilenweit entfernt. 2<strong>01</strong>3<br />
wurden in den USA erst halb so viele Autos<br />
verkauft. Trotz neuem Werk und US-Passat<br />
blieb der Marktanteil unter drei Prozent.<br />
VW-Lenker Martin Winterkorn fackelte<br />
nicht lange. Er feuerte den glücklosen US-<br />
Chef Jonathan Browning und ersetzte ihn<br />
durch den deutschen Vertriebsexperten<br />
Michael Horn. Nun soll die Aufholjagd beginnen.<br />
Der US-Passat bekommt ein Facelift<br />
und mit dem neuen Diesel Blue Motion<br />
eine besonders spritsparende Antriebsvariante.<br />
Dem Passat wird im Sommer der<br />
neue Golf an die Seite gestellt – mehr als<br />
ein Jahr nach dem Start in Europa. Produziert<br />
wird er im mexikanischen Puebla. Mit<br />
Rücksicht auf die US-Kunden wird das Modell<br />
statt mit elektrischer Parkbremse mit<br />
einer klassischen Handbremse angeboten.<br />
Doch ob das reichen wird, um Volkswagen<br />
of America wieder auf Erfolgskurs zu<br />
bringen? Mit Blick auf die insgesamt 37<br />
neuen Modelle, die in diesem Jahr auf den<br />
US-Markt geworfen werden, warnen Experten<br />
vor einem Preiskrieg. Den muss VW<br />
mehr fürchten als die Asiaten. Denn sie<br />
produzieren effizienter als VW, was ihnen<br />
mehr Spielraum beim Prizing gibt. Durch<br />
Preissenkungen schaffte es 2<strong>01</strong>3 sogar der<br />
Autozwerg Subaru, den US-Passat im Verkauf<br />
zu überholen. Deutsche Ingenieurkunst,<br />
auf die VW als Verkaufsargument<br />
setzt, genügt in den USA nicht mehr. n<br />
franz.rother@wiwo.de, martin seiwert | New York<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 59<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
Balz reloaded<br />
WINDREICH | Willi Balz, der Gründer und Eigentümer des Windpark-Projektierers,<br />
ist wieder aufgetaucht. Was steckt dahinter?<br />
Grub derzeit nicht die Gewissheit zu, die<br />
hier in den Raum gestellt werde.<br />
Doch das kümmert Balz nicht. Angriffslustig<br />
wie eh und je drischt er nebenbei in<br />
dem Brief an die Anleihezeichner auf alles<br />
und alle ein. Denn wie gehabt: Bei Balz<br />
sind immer die anderen schuld.<br />
Erstmals bestätigt Balz in dem Schreiben<br />
Informationen der WirtschaftsWoche (Heft<br />
38/2<strong>01</strong>3), dass es die Schweizer Privatbank<br />
J. Safra Sarasin gewesen sei, die überraschend<br />
den Insolvenzantrag beim Amtsgericht<br />
Esslingen gestellt hatte. Balz behauptet,<br />
der Antrag habe verhindert, dass eine<br />
von ihm beschaffte Brückenfinanzierung<br />
zur Auszahlung gekommen sei. Diese hätte<br />
den Geschäftsbetrieb von Windreich bis<br />
Ende <strong>2<strong>01</strong>4</strong> sicherstellen können. Zudem<br />
sei der für Windreich überlebenswichtige<br />
Verkaufsprozess des geplanten Nordseewindparks<br />
MEG 1, für den die Investmentbank<br />
Macquarie mandatiert ist, erneut gestoppt<br />
worden. Safra Sarasin wollte zu<br />
Balz’ Vorwürfen keine Stellung nehmen.<br />
Aus dem Windreich-Umfeld werden Balz’<br />
Behauptungen klar zurückgewiesen.<br />
Knapp vier Monate lang war Willi Balz<br />
wie <strong>vom</strong> Winde verweht. Jetzt steigt<br />
der Gründer und Alleingesellschafter<br />
des Windpark-Projektierers Windreich<br />
aus Wolfschlugen bei Stuttgart erneut in<br />
den Kampf um sein insolventes Unternehmen<br />
ein – mit einem prominenten Verbündeten:<br />
Der anerkannte Stuttgarter Insolvenzexperte<br />
Volker Grub, dessen Sozietät<br />
Grub Brugger Erfahrung bei Fällen wie<br />
Schlecker, Schiesser oder Hess mitbringt,<br />
wird auf der Gläubigerversammlung Anfang<br />
der Woche Balz’ Interessen vertreten.<br />
Grub will mit einem eigenen Kandidaten<br />
für die Vertretung der Anleihegläubiger,<br />
dem Insolvenzspezialisten Joachim Illig<br />
von der Stuttgarter Kanzlei Illig Braun<br />
Kirschnek, um deren Gunst buhlen. Mit<br />
Forderungen von 120 Millionen Euro sind<br />
die Inhaber von zwei Anleihen die größte<br />
Gläubigergruppe.<br />
Was bezweckt Balz damit? Mit einem eigenen<br />
Vertreter der Anleihegläubiger, der<br />
wohl auch im Gläubigerausschuss sitzen<br />
wird, wäre er indirekt über zentrale Entscheidungen<br />
des Insolvenzverwalters informiert<br />
und könnte diese, wenn auch im<br />
engen Rahmen, versuchen zu beeinflussen<br />
– mit dem Ziel, Windreich fortzuführen<br />
und dabei möglichst viel für sich rauszuholen.<br />
Zudem, betont Grub „wollen wir einen<br />
Eins, zwei, drei, ich bin wieder dabei Für<br />
Windreich-Macher Balz geht es um alles<br />
Insolvenzspezialisten mit am Tisch sitzen<br />
haben“. Grub deutet an, dass alle anderen<br />
Kandidaten diese Expertise nicht einbrächten.<br />
Zur Erinnerung: Balz hatte Anfang September<br />
zeitgleich mit dem Antrag auf Insolvenz<br />
in Eigenverwaltung die Geschäftsführung<br />
niedergelegt. Nachfolger wurde<br />
Werner Heer, zuvor als Berater an Bord.<br />
„VOLLE BEFRIEDIGUNG“<br />
Jetzt ist Balz wieder aufgetaucht. Zwar übt<br />
er keine operative Funktion aus, kämpft<br />
aber umso vehementer um sein Lebenswerk.<br />
Balz und Grub versprechen in einem<br />
Schreiben an die Anleiheinhaber vollmundig,<br />
dass „eine volle Befriedigung aller Insolvenzgläubiger,<br />
auch der Anleihegläubiger,<br />
möglich ist“ und dass „durch Fortführung<br />
des Unternehmens jeglicher Schaden<br />
abgewendet werden kann“.<br />
Woher das Duo nun diese Überzeugung<br />
nimmt, kann kaum jemand einschätzen.<br />
Klaus Nieding, Anwalt bei der Frankfurter<br />
Kanzlei Nieding + Barth, kandidiert ebenfalls<br />
für das Amt des gemeinsamen Vertreters<br />
der Anleihegläubiger. Er sagt, er spreche<br />
den Ankündigungen von Balz und<br />
BEFREMDLICHES VORGEHEN<br />
Schwere Geschütze fährt Balz auch gegen<br />
Geschäftsführer Heer auf. Der habe drei Tage<br />
vor Fristablauf der Eigenverwaltung ohne<br />
Abstimmung mit ihm als Gesellschafter den<br />
Antrag zurückgezogen. Damit sei Windreich<br />
unnötig früh in die Regelinsolvenz geraten<br />
und ein Verlustvortrag von 40 Millionen Euro<br />
vernichtet worden. Heer habe zudem für<br />
vier Windreich-Töchter Insolvenzanträge<br />
gestellt, obwohl drei davon schuldenfrei gewesen<br />
seien, behauptet Balz. Heer möchte<br />
die Vorwürfe nicht kommentieren.<br />
Das Aufpoppen des großen Zampano<br />
verunsichert. Anlegerschützer Nieding hält<br />
Balz’ Vorgehen für „befremdlich“: „Dass er<br />
sich wenige Tage vor der Anleihegläubigerversammlung<br />
auf diese Weise in den Prozess<br />
einbringen möchte, schafft eher Verunsicherung<br />
als Vertrauen.“ Deutlicher<br />
wird die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger<br />
(SdK). In einer Infomail heißt es:<br />
„Aus unserer Sicht sollte man die Worte<br />
von Herrn Dr. Grub als Vertreter eines Gesellschafters<br />
stets mit Vorsicht genießen.“<br />
Insgesamt bezeichnet die SdK die Situation<br />
bei Windreich als „völlig unklar“. Daher<br />
könne sie keine klare Empfehlung geben<br />
(zur Anleihe siehe auch Seite 86).<br />
Und weiter heißt es: „Die Ermittlungen<br />
der Staatsanwaltschaft gegen Herrn Balz<br />
sollten eher zur Vorsicht mahnen.“ n<br />
mario.brueck@wiwo.de<br />
FOTO: VISUM/ANDY RIDDER<br />
60 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTOS: GETTY IMAGES/AFP/DENIS CHARLET; DPA PICTURE ALLIANCE/ABACA/MICHAEL BUNEL<br />
Bespuckt, beleidigt,<br />
angerempelt<br />
FRANKREICH | Unternehmensberatungen schulen Manager für den<br />
Fall, dass aufgebrachte Arbeiter sie in Geiselhaft nehmen.<br />
Michel Dheilly war fix und fertig, als<br />
er am Dienstag voriger Woche<br />
nach fast 30 Stunden Geiselhaft<br />
das Gelände der Reifenfabrik Goodyear im<br />
nordfranzösischen Amiens verließ. Aber<br />
nein, von einer traumatischen Erfahrung<br />
wolle er nicht sprechen, sagte der Produktionsleiter.<br />
Die Arbeiter, die ihn festhielten,<br />
hätten ihn nicht misshandelt. „Das war eine<br />
Bewährungsprobe“, meinte er, allerdings<br />
„keine angenehme“.<br />
Was hätte der Manager auch anderes<br />
sagen sollen? In Frankreich gehört Freiheitsberaubung<br />
seit Jahren zu den Kampfmitteln<br />
von Gewerkschaftern, um wie<br />
bei Goodyear in Amiens höhere Abfindungen<br />
für die Mitarbeiter eines von Schließung<br />
bedrohten Werks zu erzwingen.<br />
Zwar sind die Strafen für die Geiselnehmer<br />
nach französischem Recht eindeutig: fünf<br />
Jahre Gefängnis und 75000 Euro Geldstrafe<br />
für eine Freiheitsberaubung bis zu sieben<br />
Tage, 20 Jahre Knast, wenn die Aktion<br />
länger dauert.<br />
Auf die abschreckende Wirkung der Paragrafen<br />
zu setzen bringt betroffenen Unternehmen<br />
nichts. Noch kein Geiselnehmer<br />
im Arbeitskampf hat je die harte Hand<br />
des Staates gespürt. Er sei Bürger und könne<br />
die Wut der Beschäftigten verstehen,<br />
druckste Innenminister Manuel Valls vorige<br />
Woche. Selbst die Kündigung der Geiselnehmer<br />
lässt sich kaum durchsetzen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist jenseits des<br />
Rheins ein kleiner kurioser Geschäftszweig<br />
entstanden: Unternehmensberatungen,<br />
die Manager auf Freiheitsberaubung durch<br />
erboste Arbeiter vorbereiten. Auslöser der<br />
Geschäftsidee war das Jahr 2009, der Höhepunkt<br />
der Finanzkrise, als in Frankreich<br />
Unternehmen wie Caterpillar, Molex, 3M,<br />
Sony und Heuliez Schauplatz von Geiselnahmen<br />
durch Gewerkschafter waren.<br />
NOTFALLPAKET MIT SCHOKOLADE<br />
In dieser Zeit stieg auch Arnaud Dupui-<br />
Castérès, Chef der auf Krisenkommunikation<br />
spezialisierten Unternehmensberatung<br />
Vae Solis, in Paris in das Geschäft ein.<br />
Seitdem bietet sein Haus Seminare für Manager,<br />
deren Unternehmen vor Umstrukturierungen<br />
oder der Schließung stehen.<br />
„Das Wichtigste ist, nicht die Nerven zu<br />
verlieren“, sagt Dupui-Castérès. Er rät Managern,<br />
wenn sich Arbeitskämpfe abzeichnen,<br />
zum persönlichen Notfallplan: frische<br />
Wäsche im Kleiderschrank im Büro, Zahnbürste<br />
und Zahnpasta im Schreibtisch, ein<br />
Ladekabel fürs Handy und Nervennahrung<br />
wie Schokolade oder Kaubonbons.<br />
Goodyear-Manager Dheilly und seinem<br />
Leidensgefährten, Personalchef Bernard<br />
Glesser, hätte das allein wenig geholfen.<br />
Denn eine Geiselnahme belastet auch die<br />
Psyche. Ein erboster Mitarbeiter zog Glesser<br />
etwa provozierend am Ohr. Die Aufnahmen<br />
schockierten die US-Konzernzentrale.<br />
Um dies seelisch durchzustehen, bietet<br />
Consulter Dupui-Castérès Managern Trainings<br />
mit dem französischen Sondereinsatzkommandos<br />
GIGN, dem Pendant zur<br />
deutschen GSG9. Dabei müssen sich die<br />
Chefs im Rollenspiel beleidigen, bespucken<br />
und anrempeln lassen. Die Demütigungen<br />
seien für Manager schwer zu verkraften,<br />
sagt Dupui-Castérès. „Wichtig ist,<br />
den Dialog aufrechtzuerhalten, trotz des<br />
verständlichen Ärgers sachlich zu diskutieren<br />
und Lösungen anzubieten.“<br />
Es helfe Geiseln nicht, so der Geiselberater,<br />
„sich in die Schmollecke zurückzuziehen<br />
oder gar aggressiv zu reagieren“. Das<br />
verlängere nur die Haft. Mehr Erfolg verspreche,<br />
Klartext zu reden und Geiselnehmern<br />
klarzumachen, dass sie eine rote Linie<br />
überschritten hätten. Gleichzeitig sollte<br />
die Führungskraft aber einen möglichen<br />
Ausweg aus der Situation aufzeigen. „So<br />
schwer das auch fällt, am Ende zählt, dass<br />
beide Seiten meinen, mit erhobenem Kopf<br />
aus der Situation herauszukommen.“<br />
Vor allem Außenstellen ausländischer<br />
Unternehmen in Frankreich sind Opfer<br />
von Geiselnahmen wie jetzt bei Goodyear.<br />
Hoffnungen, dass sich dies ändert, können<br />
sie sich offenbar kaum machen. „Die Richter<br />
in Frankreich zögern häufig, einen<br />
Rechtsbruch festzustellen“, kritisiert Arnaud<br />
Tessier, Arbeitsrechtler bei der Anwaltssozietät<br />
Capstan in Paris. Und die<br />
Staatsanwaltschaft halte das Kräftemessen<br />
gar für einen „Ausdruck französischer Sozialkultur“<br />
und drücke beide Augen zu. n<br />
karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris<br />
Ausdruck französischer Sozialkultur<br />
Aufgebrachte Arbeiter, Goodyear-Manager<br />
Glesser (Rücken vorne links) und Dheilly<br />
(Rücken vorne rechts) bei der Geiselnahme<br />
Ende einer Bewährungsprobe<br />
Polizei-Eskorte für Glesser (vorne) und Dheilly<br />
(gestreifter Pullover) nach der Freilassung<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 61<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»Wir reißen alles Überalterte ab«<br />
INTERVIEW | Jean-François Decaux Der Chef des weltgrößten Außenwerbekonzerns JC Decaux will in<br />
Deutschland weiter wachsen und verknüpft Reklametafeln mit dem Internet.<br />
Monsieur Decaux, wann haben Sie zuletzt<br />
in den Kleistereimer gegriffen und ein<br />
Werbeplakat an eine Hauswand geklebt?<br />
Decaux (schaut entgeistert): Ich habe noch<br />
nie Plakate geklebt.<br />
Sie sind Chef des größten Außenwerbers<br />
der Welt und haben nie gekleistert?<br />
Genau, und ich bin stolz darauf. Denn<br />
mein Vater hat 1964 ein neues Geschäftsmodell<br />
erfunden: Er fing weltweit als Erster<br />
damit an, Plakate hinter Glas aufzuhängen,<br />
und erfand das Konzept der Stadtmöblierung.<br />
Wir schließen mehrjährige Pachtverträge<br />
mit Städten, Flughäfen und Bahnhöfen<br />
für öffentliche Flächen ab, stellen dort<br />
Bushaltestellen und Werbeträger auf und<br />
vermarkten sie an Werbekunden. Dieses<br />
Geschäft habe ich von der Pike auf gelernt.<br />
Und Plakate kleben war für meinen Vater<br />
damals schon „old fashioned“.<br />
Bei Ihren Wettbewerbern wird aber noch<br />
munter geklebt...<br />
Ja, aber unser Konzept setzt sich durch. In<br />
Wiesbaden, wo wir vor zwei Jahren den Zuschlag<br />
von der Stadt bekommen haben,<br />
haben wir im öffentlichen Raum alle traditionellen<br />
Plakatwände abgebaut – obwohl<br />
die Hälfte noch Klebeflächen waren. Weil<br />
das bundesweit passiert und viele unansehnliche<br />
Flächen verschwinden, steht<br />
Stadtmöblierung mittlerweile für 40 Prozent<br />
der Außenwerbung in Deutschland,<br />
Tendenz weiter wachsend.<br />
JC Decaux behauptet, weltweit eine halbe<br />
Milliarde Menschen mit Werbung zu<br />
erreichen. Was bringt das eigentlich, wo<br />
Werbemärkte doch lokal funktionieren?<br />
Das eine schließt das andere ja nicht aus:<br />
Einerseits können wir sehr kleinteilig<br />
Märkte bedienen und sogar einzelne Werbetafeln<br />
stundenweise vermieten. Andererseits<br />
bringt uns diese Reichweite Vorteile<br />
bei Kunden, die global in Außenwerbung<br />
investieren wollen, aber am liebsten<br />
alles aus einer Hand bekommen. Außerdem<br />
spüren wir durch unsere Präsenz in<br />
mehr als 60 Ländern schneller neue<br />
Trends an der Schnittstelle zwischen Mobilität<br />
und Werbung auf. In Paris, Berlin<br />
und Singapur betreiben wir Entwicklungslabors<br />
mit mehr als 250 Ingenieuren, deren<br />
Job es ist, Wege zu finden, Straßenland-<br />
WELTWEITER WERBER<br />
Decaux, 54, führt mit seinem jüngeren Bruder Jean-Charles den an der Pariser Börse notierten<br />
Außenwerbekonzern JC Decaux. Vater Jean-Claude ist Chef des Aufsichtsrats. Bis heute<br />
hält die Familie die Mehrheit der Anteile. Die Decaux-Gruppe, zu der auch die Berliner Wall AG<br />
gehört, vermarktet weltweit Werbeflächen etwa auf Plätzen, Flughäfen, Haltestellen und Mietfahrrädern<br />
und erzielte zuletzt mehr als 2,6 Milliarden Euro Umsatz.<br />
62 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
schaften, Flughäfen oder U-Bahnhöfe<br />
noch besser für Werbung zu nutzen.<br />
Was kommt dabei heraus?<br />
Im vergangenen Herbst hat beispielsweise<br />
das Modelabel Burberrys in London unsere<br />
digitalen Werbeschirme auf der Hauptverkehrsachse<br />
zum Flughafen Heathrow<br />
während der London Fashion Week drei<br />
Tage lang belegt. Wir haben dazu Bilder<br />
<strong>vom</strong> Laufsteg und Tweets von Menschen,<br />
die in der Schau saßen, live auf den Werbeflächen<br />
eingespielt. Und in Frankfurt hat<br />
unser Joint Venture mit der Fraport AG im<br />
vergangenen Jahr ein LED-Konzept mit<br />
sechs großen Bildschirmen in einer Reihe<br />
auf der Vorfahrt des Flughafens installiert.<br />
Wir können dort flexibel im Tagesablauf<br />
Sprachen oder Werbebotschaften ändern.<br />
Wird das denn gebucht?<br />
Bei Werbekunden kommt das sehr gut an,<br />
wir liegen bereits nach einem halben Jahr<br />
über unseren Planzahlen. Deshalb werden<br />
wir das Konzept auch auf anderen Flughäfen<br />
anbieten. Insgesamt haben wir in<br />
Frankfurt im Vergleich zum Vorjahr bislang<br />
unseren Umsatz um 26 Prozent steigern<br />
können. Damit gehört Frankfurt unter den<br />
mehr als 150 Flughäfen, die wir weltweit<br />
vermarkten, zu den Top Fünf mit den<br />
höchsten Werbeeinnahmen pro Passagier.<br />
Nerven Sie mit Werbung die Fluggäste,<br />
die zum Flieger hetzen, nicht noch mehr?<br />
Nein, im Gegenteil haben wir in weltweiten<br />
Studien selbst bei Vielfliegern festgestellt,<br />
dass diese am Flughafen Werbung regelrecht<br />
erwarten und sich auf sie einlassen –<br />
viel mehr als an anderen Orten.<br />
Schmackhaft machen müssen Sie Ihre<br />
Angebote nicht nur Werbekunden, sondern<br />
vor allem den Mediaagenturen, die<br />
im Auftrag Werbung kaufen. Wie stark<br />
wächst der Druck auf Ihre Preise?<br />
Wie alle Medien spüren auch wir immens<br />
wachsenden Druck vonseiten der Agenturen.<br />
Wenn beispielsweise <strong>2<strong>01</strong>4</strong> die Fusion<br />
von Publicis und Omnicom erlaubt wird,<br />
kauft allein dieses neue Unternehmen 40<br />
Prozent der gesamten TV-Werbung in den<br />
USA ein. Und natürlich wollen die auch<br />
von uns immer höhere Rabatte – die wir<br />
aber nicht gewähren wollen. Wir müssen<br />
weiter wachsen, um dagegenhalten zu<br />
können. Decaux ist Treiber der Konsolidierung<br />
im Außenwerbemarkt: Zuletzt haben<br />
wir uns an Unternehmen in Russland, Brasilien<br />
und der Schweiz beteiligt.<br />
In Deutschland allerdings dürfte kaum<br />
noch etwas für Sie zu kaufen sein?<br />
Nein, wir setzen hier auf organisches<br />
Wachstum. Wir sind zwar an der Börse,<br />
aber immer noch ein Familienunternehmen<br />
mit langfristiger Perspektive. Die Zeit<br />
arbeitet für uns. 2003 etwa wurde der Außenwerber<br />
DSM verkauft, an dem 26 Städte<br />
beteiligt waren. Und obwohl wir ohne<br />
die DSM in keiner dieser Städte Fuß fassen<br />
konnten, haben wir uns gegen ein Angebot<br />
entschieden.<br />
Ihr Konkurrent Ströer aus Köln kaufte die<br />
DSM für 260 Millionen Euro.<br />
Ja, und heute, ein Jahrzehnt nach dem Verkauf,<br />
gibt es in DSM-Städten wie Frankfurt<br />
und Essen die Entscheidung, erstmals die<br />
Werberechte auszuschreiben…<br />
...die Sie sich nun schnappen wollen?<br />
Nun, es spricht einiges für uns. Anders als<br />
mancher Konkurrent sind wir schuldenfrei.<br />
Das ist wichtig in einem Geschäft, bei<br />
dem Sie alle 15 Jahre reinvestieren müssen,<br />
wenn die Konzessionsverträge auslaufen.<br />
Wir können den Städten einen kompletten<br />
Austausch der Werbeflächen bieten. Wir<br />
Das machen auch TV-Sender und einige<br />
Verlage so, die Großagenturen pauschal<br />
einen Teil ihrer Werbeplätze verkaufen,<br />
die diese dann auf eigene Rechnung weiterverkaufen.<br />
Sie machen das nicht mit?<br />
Auf keinen Fall, wir vermarkten unser Portfolio<br />
zu 100 Prozent selbst. Es kommt nicht<br />
infrage, dass Agenturen Flächen von uns<br />
an unsere Kunden verkaufen.<br />
Aber Werbung auf Smartphones wächst.<br />
Ist es nicht clever von Ströer, Online- und<br />
Außenwerbung zusammen anzubieten?<br />
Nein, weil es keinen Mehrwert schafft. Der<br />
Versuch, verschiedene Medien im Paket an<br />
Werbekunden zu verkaufen, ist bisher immer<br />
gescheitert. Konkurrenten wie CBS oder<br />
ClearChannel haben Außenwerbung mit TV<br />
oder Radio kombiniert. Wozu hat das geführt?<br />
Kunden wollten mehr Rabatt. Hinzu<br />
kommt: Warum sollten wir uns im Internet<br />
auf einen Wettlauf mit Google und Apple<br />
einlassen, die diesen Werbemarkt dominie-<br />
»Der Versuch, verschiedene Medien im<br />
Paket zu vermarkten, ist gescheitert«<br />
sagen Frankfurt: Wir reißen alles Überalterte<br />
ab. Dort gibt es Werbeträger, die seit<br />
80 Jahren da stehen. In Wiesbaden war das<br />
genauso. Ströer ist in einer anderen Position,<br />
sie haben damals für diese Werberechte<br />
Millionenbeträge ausgegeben. Entsprechend<br />
bieten sie den Städten nur eine Teilmodernisierung<br />
an. Das ist die Alternative.<br />
In Deutschland bekommt die Außenwerbung<br />
gerade fünf Prozent der Werbeausgaben.<br />
Lohnt sich Ihr Investment überhaupt?<br />
In Frankreich steht Außenwerbung für<br />
zwölf, in Russland sowie in China für 15<br />
Prozent der Werbeausgaben. Deutschland<br />
sollte mindestens auf dem Niveau von<br />
Großbritannien liegen, dort sind es knapp<br />
zehn Prozent. Wir sehen die Chance, den<br />
Anteil spürbar zu steigern.<br />
Ströer kaufte Online-Firmen und setzt auf<br />
die kombinierte Werbung in Internet und<br />
draußen. Hinken Sie da nicht hinterher?<br />
Nein, Online ist nicht unser Kerngeschäft.<br />
Für mich steckt hinter dieser Investition<br />
der Versuch von Ströer, mehr Relevanz bei<br />
Mediaagenturen zu bekommen. Die Zahl<br />
der Werbeflächen in der wirklichen Welt ist<br />
begrenzt; mit den virtuellen Flächen im<br />
Netz setzt Ströer nun offenbar darauf, größere<br />
Mengen verkaufen zu können und sogenannte<br />
Trading-Deals zu verhandeln.<br />
ren? Wir suchen lieber sinnvolle Schnittpunkte<br />
mit Unternehmen wie Google.<br />
Sie setzen zum Beispiel auf ein neues<br />
virtuelles Spiel, das Sie gemeinsam mit<br />
Google gerade in den USA ausprobieren?<br />
Ja, wir beteiligen uns an dem mobilen Spiel<br />
Ingress, das Wirklichkeit und virtuelle Welt<br />
mischt. Leute, die mitspielen, bekommen<br />
an bestimmten Orten Botschaften auf ihr<br />
Mobiltelefon. Eingebunden sind 70 unserer<br />
digitalen Werbeträger auf den Airports<br />
in New York und Los Angeles, die so noch<br />
mehr Aufmerksamkeit bekommen.<br />
Das ist aber doch bloß ein Spiel?<br />
Aber eines, das den Wert unserer Angebote<br />
steigert. Wir gehen auch andere Wege: In<br />
Seoul haben wir mit der Supermarktkette<br />
Tesco digitale Displays getestet, die in Buswartehallen<br />
aufgestellt sind und an denen<br />
Menschen per Smartphone direkt Milch,<br />
Brot und Käse bestellen können. Werbeträger<br />
können Verkaufsstellen werden und<br />
unsere Kunden direkt messen, was ihnen<br />
Reklame in die Kasse bringt.<br />
Zumindest so lange, bis den Menschen<br />
die Werbung auf den Wecker geht?<br />
Da bin ich entspannt, denn wir haben einen<br />
Vorteil gegenüber Radio und TV: Unsere<br />
Werbeträger kann man nicht abschalten. n<br />
peter.steinkirchner@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 63<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
Glasnost im Tank<br />
AUTO | Das kennt jeder: Im Prospekt noch so sparsame Neuwagen schlucken im<br />
Alltag viel mehr Treibstoff. Ein neuer Test soll nun endlich realistischere Verbrauchswerte<br />
liefern. Doch in den Details steckt jede Menge Sprengkraft. Die Industrie fürchtet<br />
die Verschärfung der Klimaziele durch die Hintertüre.<br />
Mit der Freude über den schicken<br />
Neuwagen war es bei<br />
Helge Kondring aus Herne<br />
schnell vorbei. Denn sein<br />
Renault Scénic entpuppte<br />
sich als echter Schluckspecht. Hatte der<br />
Hersteller im Prospekt noch mit einem<br />
Durchschnittsverbrauch von nur 7,7 Liter<br />
pro 100 Kilometer geworben, zeigte der<br />
Bordcomputer von Anfang an Werte bis zu<br />
<strong>13</strong> Liter. Kondring beschwerte sich beim<br />
Händler. Der wimmelte ihn mit dem Hinweis<br />
auf den „strengen Winter“ und später<br />
mit der Bemerkung „das Auto ist noch<br />
nicht eingefahren“ ab. Die Botschaft beim<br />
letzten Kontakt, als der Winter schon vorüber<br />
war: „Das müsse am Fahrer liegen.“<br />
Der hatte daraufhin die Nase voll. Kondring<br />
klagte und siegte auf ganzer Linie:<br />
Anfang 2<strong>01</strong>3 musste Renault den Scénic<br />
zurücknehmen und Kondring die komplette<br />
Kaufsumme von rund 20 000 Euro<br />
plus Zinsen zurückerstatten. Denn der<br />
TÜV-Nord hatte auf dem Prüfstand nachgewiesen,<br />
dass der Verbrauch nicht nur<br />
deutlich höher lag als im Prospekt ausgewiesen.<br />
Er überschritt auch noch die von<br />
den Gerichten als gerade noch tolerabel<br />
angesehenen zehn Prozent Abweichung.<br />
So wie Kondring geht es vielen Neuwagenkäufern<br />
– und nicht wenige klagen. Seit<br />
Jahren diskutieren Verkehrsexperten, Hersteller<br />
und Politiker daher, wie sich der<br />
Normverbrauch endlich praxisnäher ermitteln<br />
lässt. Denn der Mitte der Neunzigerjahre<br />
gesetzlich verordnete „Neue Europäische<br />
Fahrzyklus“ – kurz NEFZ genannt<br />
– wird dem modernen Fahrzeugund<br />
Motorenbau schon lange nicht mehr<br />
gerecht.<br />
Jetzt kommt endlich Bewegung in die<br />
Diskussion: Im März will ein Normierungsgremium<br />
der Vereinten Nationen (UNECE)<br />
in Genf ein neues Testverfahren verabschieden.<br />
Der zugrunde liegende Fahrzyklus<br />
soll den Alltagsbedingungen näher<br />
kommen und unter anderem auch mittlerweile<br />
weitverbreitete Extras wie Klimaanlagen<br />
und Sitzheizungen berücksichtigen,<br />
die den Verbrauch nach oben treiben.<br />
Das alleine mag manchen Verkäufer vergrätzen,<br />
der bisher stolz mit den niedrigen<br />
Verbräuchen seiner Modelle warb. Was<br />
aber die deutschen Autokonzerne bei den<br />
Plänen alarmiert, ist etwas anderes: Ein<br />
Der Streit um die<br />
Klimaschutzziele<br />
beginnt in Brüssel<br />
von vorn<br />
höherer Normverbrauch bedeutet auch einen<br />
höheren Ausstoß an Kohlendioxid<br />
(CO 2 ). Und genau den will die Europäische<br />
Union begrenzen. Ende vergangenen Jahres<br />
hatte sich der EU-Ministerrat nach monatelangem<br />
Streit auf ein Flottenlimit von<br />
95 Gramm CO 2 pro Kilometer geeinigt, das<br />
voraussichtlich ab 2020 für alle Pkw-Hersteller<br />
in Europa gelten soll.<br />
Doch dieses Limit, über das die EU-Abgeordneten<br />
im Februar in Brüssel diskutieren,<br />
fußt auf dem alten Messzyklus. Sollte<br />
stattdessen künftig nach der neuen Norm<br />
gemessen werden, es aber bei den anvisierten<br />
95 Gramm CO 2 pro Kilometer bleiben,<br />
käme das einer „Verschärfung der Klimaziele<br />
durch die Hintertür“ gleich, warnt Ulrich<br />
Eichhorn, Geschäftsführer des Verbandes<br />
der Automobilindustrie (siehe Interview<br />
Seite 68).<br />
AKRIBISCHE VORGABEN<br />
Dies träfe vor allem die deutschen Hersteller<br />
mit ihren schweren und leistungsstarken<br />
Modellen. Und so ist das politische<br />
Tauziehen um die Vorgaben, in das sich<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstpersönlich<br />
zugunsten der deutschen Autoindustrie<br />
eingeschaltet hatte und das gerade<br />
erst beendet schien, schon wieder in<br />
vollem Gange. Kurz vor Weihnachten noch<br />
verhandelten in Brüssel bereits wieder Experten<br />
aus Politik und Industrie in einer<br />
Arbeitsgruppe über die strittigen Details.<br />
Glücklich ist mit der Verbrauchsvorschrift<br />
gut 17 Jahre nach Einführung des<br />
NEFZ inzwischen kaum noch jemand –<br />
auch die Hersteller nicht. Festgeschrieben<br />
hat die EU den NEFZ 1996 mit der Vorschrift<br />
R1<strong>01</strong>. Das Ziel: Schadstoffemissionen und<br />
Kraftstoffverbrauch einzelner Automodelle<br />
unter reproduzierbaren Bedingungen miteinander<br />
vergleichen zu können. Seitdem<br />
muss jedes neue Automodell den Prüfzyklus<br />
durchlaufen, bevor es die Zulassung erhält<br />
– und die Hersteller müssen die auf<br />
dem Prüfstand ermittelten Verbräuche im<br />
Handel und in der Werbung nennen.<br />
Mit dem Alltag hat diese Angabe allerdings<br />
wenig zu tun. Denn der gesetzlich<br />
vorgeschriebene Messzyklus sieht einen<br />
hohen Anteil von Stadtfahrten mit vielen<br />
Stopps, mäßiger Beschleunigung und nur<br />
FOTOS: PR (3),AUTOBILD/TONI BADER, FOTOLIA<br />
64 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Dynamischer Dienstwagen<br />
BMW 520d<br />
Moderner Hybrid<br />
Lexus GS 450h<br />
+36,3 %<br />
Norm:<br />
4,7 Liter<br />
Diesel<br />
Test:<br />
6,4 Liter<br />
Diesel<br />
+61 %<br />
Norm°:<br />
7,9 Liter<br />
Super<br />
Test*:<br />
12,7 Liter<br />
Super<br />
Schwer unter Druck Alltagsnahe Tests zeigen den Trend: Schwere und starke<br />
Autos werden beim neuen Messzyklus überproportional mehr Sprit verbrauchen<br />
Geräumiger Geländewagen<br />
Mercedes GL 350 CDI<br />
Edler Kleinwagen<br />
Audi A1 1.6 TDI<br />
Norm:<br />
7,4 Liter<br />
Diesel<br />
+62 %<br />
Test:<br />
12,2 Liter<br />
Diesel<br />
+26,9 %<br />
Norm:<br />
3,9 Liter<br />
Diesel<br />
Test:<br />
4,9 Liter<br />
Diesel<br />
° Verbrauch nach NEFZ<br />
* Quelle: ADAC, ACE, S<br />
einer kurzen Fahrt über die Autobahn mit<br />
maximal 120 Kilometern pro Stunde vor.<br />
Schaltpunkte und Tempo sind akribisch<br />
vorgegeben, ebenso die Punkte für die<br />
Kupplungsbetätigung bei Autos mit Schaltgetriebe.<br />
Zudem berücksichtigt der NEFZ<br />
weder die Wetterbedingungen noch das<br />
Verhalten des Fahrers – die immer noch<br />
wichtigste Einflussgröße auf den Verbrauch<br />
(siehe Grafik Seite 67).<br />
Das Ergebnis ist eine Art idealer Minimalverbrauch,<br />
der für die meisten Autofahrer<br />
im Alltag ein Zauberwert bleibt. Autokäufern<br />
liefert er allenfalls eine Orientierung:<br />
Das Auto, das auf dem Prüfstand<br />
sparsam unterwegs ist, verspricht auch im<br />
Alltagsverkehr niedrige Verbräuche. Nach<br />
einschlägigen Erfahrungen der Autotester<br />
von Fachmagazinen und des ADAC ist der<br />
Realverbrauch der Wagen aber oft bis zu 25<br />
Prozent höher als auf dem Prüfstand.<br />
Viele Autofahrer vermuten daher hinter<br />
den Normwerten eine systematische Irreführung<br />
durch die Hersteller. Die europäische<br />
Umweltschutzorganisation Transport<br />
& Environment (T&E) in Brüssel bezeichnet<br />
NEFZ schlicht als „veraltet“ und „voller<br />
Schlupflöcher“, die die Hersteller zu nutzen<br />
wissen. In einer Untersuchung von T&E<br />
heißt es: „Diese Studie hat keinen klaren<br />
Beweis gefunden, dass Hersteller Regeln<br />
des NEFZ-Tests brechen. Aber das ist auch<br />
gar nicht nötig, denn der NEFZ-Ablauf ist<br />
lax und bietet umfangreiche Möglichkeiten<br />
zur Manipulation.“<br />
Doch auch die Autoindustrie hadert<br />
längst mit der Norm, weil sich die Antriebstechnik<br />
in den zurückliegenden 17 Jahren<br />
weiterentwickelt hat und sich der tech-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 65<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
VERBRAUCHSMESSUNG<br />
Im Kriechgang<br />
Wie der neue Messzyklus die größten<br />
Schwächen des alten Tests behebt<br />
und realistischere Werte liefert.<br />
1 Ausstattung Getestet werden im aktuellen<br />
Verfahren NEFZ jeweils die Basismodelle<br />
eines Fahrzeugtyps – ohne gefragte<br />
Extras wie Sitzheizungen, Navis oder<br />
Klimaanlagen, die Gewicht und Verbrauch<br />
erhöhen. Der kommende Messzyklus<br />
WLTP fordert dagegen, durchschnittlich<br />
ausgestattete Fahrzeuge zu testen.<br />
2 Elektrik Bisher schicken die Hersteller<br />
ihre Fahrzeuge mit voll geladener Batterie<br />
in den Test und vermeiden, dass die<br />
Lichtmaschine diese im Verlauf der Testfahrt<br />
wieder auflädt und dabei Motorleistung<br />
frisst. Durch den Trick würde der<br />
Wagen im Alltag nach wenigen Kilometern<br />
mit leerer Batterie liegen bleiben; er<br />
soll künftig nicht mehr möglich sein.<br />
3 Tempo Der Testzyklus NEFZ lässt Autos<br />
26 Sekunden Zeit, um im Kriechgang von<br />
null auf 60 Kilometer pro Stunde<br />
zu beschleunigen. Ein<br />
moderner durchschnittlicher<br />
Golf von Volkswagen<br />
ist in weniger als<br />
zehn Sekunden 100 Kilometer<br />
pro Stunde schnell.<br />
Die simulierte Autobahnfahrt<br />
dauert derzeit nur<br />
400 Sekunden lang und endet<br />
bei 120 Kilometern pro<br />
Stunde. Dies entspricht zwar der Höchstgeschwindigkeit<br />
vieler Länder in Europa,<br />
es blendet aber aus, dass Ottomotoren bei<br />
höherem Tempo mit zusätzlichem Kraftstoff<br />
im Zylinder gekühlt werden müssen,<br />
um Motorschäden zu verhindern. Das<br />
treibt den Verbrauch bei schnelleren Autobahnpassagen<br />
steil nach oben. Der neue<br />
WLTP-Zyklus erhöht das Durchschnittstempo<br />
um 38 Prozent und die Spitzengeschwindigkeit<br />
auf <strong>13</strong>1 km/h (siehe Grafik<br />
Seite 67).<br />
4 Fahrdynamik Bisher steht das Messfahrzeug<br />
rund 20 Prozent des Normzyklus<br />
still – dadurch haben Spritspartechniken<br />
wie das Start-Stopp-System<br />
auf dem Prüfstand einen überproportionalen<br />
Effekt. Umso mehr, weil der städtische<br />
Fahrmodus mit viel Stop-and-go-<br />
Verkehr gegenüber anderen<br />
Hybride<br />
profitieren überproportional<br />
Fahrsituationen übergewichtet ist. In Zukunft<br />
geht der Verbrauch bei Fahrten auf<br />
Land- und Schnellstraßen sowie Autobahn<br />
gleichberechtigt in die Messung ein.<br />
5 Antriebstechnik Heute begünstigt das<br />
Messverfahren Hybridfahrzeuge doppelt.<br />
Zum einen, weil sie einen kürzeren Messzyklus<br />
durchlaufen müssen – eine gut elf<br />
Kilometer lange Kombination aus Stadtund<br />
Überlandfahrt, die sie je einmal mit<br />
Elektro- und dann mit Verbrennerantrieb<br />
durchfahren. Zum anderen, weil die elektrische<br />
Runde, in der kein Sprit verbraucht<br />
wird, mit einem Verbrauch von null Liter in<br />
die Formel eingeht. Und das, obwohl für<br />
die Produktion jeder Kilowattstunde<br />
Strom, die in der Batterie gespeichert ist,<br />
Energie aufgewandt und CO 2 produziert<br />
wird. Aufgrund solcher Messmethoden<br />
schafft etwa BMWs Sportwagen i8 einen<br />
Normverbrauch von nur 2,7 Liter auf 100<br />
Kilometer – bei 354 PS Leistung. Noch<br />
ringen Hersteller und Experten darum, wie<br />
ein realistischerer WLTP-Fahrzyklus für<br />
Hybride aussehen könnte.<br />
6 Tuning Derzeit ist der Einsatz spezieller,<br />
sehr teurer Öle erlaubt, welche die Reibung<br />
und damit den Verbrauch<br />
senken. Die Hersteller nutzen sie<br />
wegen der hohen Kosten meist<br />
nicht in den Serienwagen. Auch<br />
ein besonders hoher, aber im<br />
Alltag unrealistischer Reifendruck<br />
sowie schmale Leichtlaufreifen,<br />
die den Verbrauch<br />
senken, sind zugelassen. Der<br />
WLTP-Zyklus schreibt künftig vor,<br />
den Messzyklus mit den zweitbreitesten<br />
für den Autotyp zugelassenen Reifen zu<br />
durchfahren.<br />
7 Temperatur Im bisherigen Testzyklus<br />
sind Temperaturen von bis zu 30 Grad auf<br />
dem Rollenprüfstand möglich. Die haben<br />
zwar wenig mit der europäischen Durchschnittstemperatur<br />
von unter zehn Grad<br />
zu tun, lassen aber die Motoren viel<br />
schneller warm werden und so weniger<br />
verbrauchen. Das für niedrige Normverbräuche<br />
günstige Hochsommerklima wird<br />
im neuen Zyklus zumindest auf maximal<br />
23 Grad begrenzt.<br />
8 Messtoleranz Bisher können die Hersteller<br />
die im Test ermittelten CO 2 -Werte<br />
pauschal um vier Prozent Messtoleranz<br />
kürzen, bevor sie diese der Zulassungsbehörde<br />
melden. Auch das wird sich im<br />
neuen Zyklus ändern.<br />
»<br />
nische Fortschritt etwa in Form von<br />
Hybrid- und Elektroantrieben in dem Prüfzyklus<br />
nur teilweise abbilden lässt.<br />
UNERWÜNSCHTER NEBENEFFEKT<br />
Für Glasnost im Tank soll daher der neue<br />
Prüfzyklus sorgen, nicht nur in Europa. Seit<br />
2009 debattieren Industrievertreter, Politiker<br />
und Umweltschützer das „World Harmonized<br />
Light Duty Vehicles Test Procedure“<br />
genannte Verfahren, kurz: WLTP.<br />
Es soll die Typprüfung weltweit einheitlich<br />
regeln sowie Verbrauchs- und Abgaswerte<br />
liefern, die den Verhältnissen im Alltagsverkehr<br />
näher als bisher kommen. Der<br />
Testlauf auf dem Rollenprüfstand wird<br />
nach dem neuen Zyklus deutlich länger<br />
dauern als heute üblich, es wird stärker beschleunigt<br />
und mit einer Spitzengeschwindigkeit<br />
von <strong>13</strong>1 Kilometern pro Stunde gefahren<br />
(siehe Grafik Seite 67).<br />
Sollte sich die EU-Kommission durchsetzen,<br />
müssten die deutschen Hersteller<br />
von oftmals PS-starken Premiumautos den<br />
CO 2 -Ausstoß noch stärker reduzieren als<br />
bisher gefordert. Schätzungen zufolge wird<br />
der Verbrauch im WLTP nicht nur zwischen<br />
15 und 25 Prozent höher ausfallen<br />
als beim NEFZ. Der Mehrverbrauch liegt<br />
bei größeren Autos wie SUVs und schweren<br />
Limousinen auch noch höher als bei<br />
Kleinwagen.<br />
DROHENDE STRAFEN<br />
Und wenn die Verbräuche im neuen Testzyklus<br />
steigen, nimmt natürlich auch der<br />
Ausstoß des Klimagases CO 2 zu. Gilt dann<br />
ab 2020 immer noch der Grenzwert von 95<br />
Gramm CO 2 nach der alten Norm? Genau<br />
das ist der Knackpunkt für die Autobauer:<br />
Wenn WLTP schnell eingeführt wird,<br />
müssten sie den Verbrauch noch stärker<br />
senken, um empfindliche Strafen zu vermeiden.<br />
Aus Sicht der Industrie sind daher<br />
Regeln für den „Spurwechsel“ zum neuen<br />
Zyklus nötig.<br />
Auch der Europäische Automobilverband<br />
Acea warnt daher vor einer zu raschen<br />
Einführung von WLTP. Die neue<br />
Norm soll erst nach 2021 gelten, damit die<br />
bisherigen Ziele unverändert blieben, argumentierte<br />
denn auch ein Acea-Vertreter<br />
beim jüngsten Treffen der Expertengruppe<br />
in Brüssel kurz vor Weihnachten. „Die<br />
Branche kann keine zusätzliche Belastung<br />
bei den künftigen CO 2 -Zielen akzeptieren“,<br />
sagte Acea-Lobbyist Simon Godwin.<br />
Die Gretchenfrage ist: Wie wird das Ziel<br />
von 95 Gramm CO 2 pro Kilometer von der<br />
aktuellen Norm auf WLTP umgerechnet?<br />
FOTO: FOTOLIA<br />
66 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Schneller, höher, weiter<br />
Künftigwirdder Normverbrauch vonNeuwagen beihöheremTempo undlängeren<br />
Strecken vermittelt.Sounterscheiden sichdie Messzyklen aufdem Prüfstand<br />
Alter<br />
Zyklus<br />
NEFZ<br />
Neuer<br />
Zyklus<br />
WLTP<br />
Vier Mal Stadtzyklus durchfahren<br />
1. Phase<br />
Langsam<br />
Stadt<br />
2. Phase<br />
Mittel<br />
max. 50 km/h max. 75 km/h max. 100km/h max.<strong>13</strong>1 km/h<br />
Landstraße<br />
Stadt<br />
Mit einem einfachen Dreisatz ist es nicht<br />
getan, dafür sind beide Verfahren zu unterschiedlich.<br />
Bei der Umrechnung drohten<br />
zusätzlich „massive Wettbewerbsverzerrungen“,<br />
da nicht gewährleistet sei, dass alle<br />
Hersteller gleich behandelt würden, befürchtete<br />
der Acea-Vertreter Godwin.<br />
Deutsche Autobauer, die überwiegend<br />
große, leistungsstarke und schwere Fahrzeuge<br />
herstellen, hätten Nachteile, Produzenten<br />
von Kleinwagen beispielsweise in<br />
Italien und Frankreich Vorteile.<br />
Die EU-Kommission lässt sich von solchen<br />
Argumenten bisher nicht beeindrucken<br />
und will WLTP ab 2<strong>01</strong>7 für alle neu<br />
eingeführten Modelle und ab 2<strong>01</strong>8 für alle<br />
Neuwagen verpflichtend machen. Die<br />
Bundesregierung stellt sich dagegen, sie<br />
unterstützt die Argumentation der deutschen<br />
Autoindustrie.<br />
VERWIRRENDER ZAHLENFRIEDHOF<br />
Allenfalls ein Nebeneinander beider Verbrauchsangaben<br />
ist nach den Vorstellungen<br />
des Branchenverbandes VDA denkbar.<br />
Der Autokäufer würde dann an seinem<br />
Wunschmodell zwei Verbrauchsangaben<br />
vorfinden, die alte nach NEFZ und die<br />
neue höhere nach WLTP. Aber nur für den<br />
alten Wert wäre auch ein CO 2 -Ausstoß mit<br />
angegeben, für den WLTP-Wert käme der<br />
erst nach 2021.<br />
Ob das sinnvoll ist, ist eher zweifelhaft.<br />
Denn der Käufer fände am Ausstellungs-<br />
3. Phase<br />
Schnell<br />
Bundesstraße<br />
Ein Malaußerortsfahren<br />
4. Phase<br />
Sehr schnell<br />
Autobahn<br />
Stadt<br />
Maximal:<br />
120km/h<br />
Mittleres Tempo:<br />
33,6 km/h<br />
Dauer:<br />
ca.20Minuten<br />
Maximal:<br />
<strong>13</strong>1km/h<br />
Mittleres Tempo:<br />
46,5 km/h<br />
Dauer:<br />
30 Minuten<br />
fahrzeug eine Art Zahlenfriedhof vor, der<br />
mehr verwirrt als informiert.<br />
Andere Länder sind schon weiter: Die<br />
Messverfahren in den USA sind schon heute<br />
weitaus dynamischer und ergeben daher<br />
in der Regel um bis zu 15 Prozent höhere<br />
Verbrauchswerte als der NEFZ-Wert. Die<br />
Amerikaner sind mittlerweile aus dem<br />
WLTP -Verfahren ausgestiegen, obwohl sie<br />
bei Verhandlungsbeginn 2009 den neuen<br />
Weltstandard noch unterstützt hatten. Bei<br />
den 765 000 Autokilometern, die zu dessen<br />
Entwicklung ausgewertet wurden, waren<br />
neben Strecken aus Europa und Asien deshalb<br />
auch Fahrten in Nordamerika dabei.<br />
Die USA gehen übrigens sehr viel strenger<br />
gegen Hersteller vor, wenn diese den<br />
Verbrauch ihrer Autos schönen. Der koreanische<br />
Autobauer Hyundai und dessen<br />
Konzernmarke Kia mussten Ende 2<strong>01</strong>2 einräumen,<br />
dass bei rund 900 000 in Amerika<br />
verkauften Wagen der angegebene Verbrauch<br />
nicht stimmte. Der US-Umweltbehörde<br />
zufolge schluckten einzelne Modelle<br />
im Extremfall bis zu 1,5 Liter auf 100 Kilometer<br />
mehr als im Prospekt angegeben.<br />
Kia und Hyundai müssen nun jedem Autofahrer<br />
die Mehrkosten für den Sprit bezahlen<br />
– bis die Autos verschrottet werden.<br />
Auf den Deal hätte sich wohl auch Renault-<br />
Käufer Kondring eingelassen.<br />
n<br />
juergen.rees@wiwo.de, silke wettach | Brüssel<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 68 »<br />
SIEBEN SPARTIPPS<br />
Wenig bremsen<br />
Nichts beeinflusst den Verbrauch<br />
mehr als der Fahrstil. So schonen<br />
Sie Geldbeutel und Umwelt.<br />
Das Ziel ist, flott zu beschleunigen,<br />
möglichst rasch hochzuschalten und<br />
dann mit niedrigen Drehzahlen die gewählte<br />
Geschwindigkeit beizubehalten.<br />
Nach den Erfahrungen des ADAC lassen<br />
sich mit den folgenden Tipps bis zu<br />
30 Prozent Treibstoff sparen:<br />
n Nicht mehr benötigte Getränkekisten,<br />
Dachboxen oder Fahrradträger sollten<br />
Sie aus dem Auto verbannen. Denn 100<br />
Kilogramm Gewicht verursachen bis zu<br />
0,3 Liter Mehrverbrauch pro 100 Kilometer,<br />
Dachgepäckträger erhöhen den<br />
Luftwiderstand.<br />
n Den Motor starten, ohne das Gaspedal<br />
zu betätigen, und sofort losfahren.<br />
Im Leerlauf verbraucht das Auto bis zu<br />
einem Liter Sprit pro Stunde. Das –<br />
verbotene – Warmlaufen schadet der<br />
Umwelt; zudem erwärmt sich das Auto<br />
nach Tests des ADAC auch gar nicht.<br />
n Nach dem Anfahren sofort in den<br />
zweiten Gang schalten. Mit Dreiviertelgas<br />
zügig beschleunigen und früh hochschalten.<br />
n Zurückschalten ist nicht erforderlich,<br />
solange der Motor, ohne zu ruckeln,<br />
Gas annimmt. Nach jedem Schaltvorgang<br />
ist wieder ein Tritt aufs Gaspedal<br />
notwendig – das kostet jedes Mal Sprit.<br />
n Vorausschauend fahren – jedes<br />
Bremsen vergeudet Energie. So lange<br />
wie möglich die Motorbremswirkung<br />
nutzen. Im Schiebebetrieb, etwa beim<br />
Heranrollen an eine Ampel, nicht auskuppeln.<br />
Die meisten Autos sind mit<br />
einer Schubabschaltung ausgerüstet,<br />
welche die Kraftstoffzufuhr in dieser<br />
Situation unterbricht.<br />
n Die Gangwahl beeinflusst unmittelbar<br />
den Kraftstoffverbrauch. Daher sollten<br />
Sie stets im höchstmöglichen Gang<br />
fahren. Einsparungen bis zu 20 Prozent<br />
und mehr sind nach Messreihen des<br />
ADAC möglich.<br />
n Sitz-, Fensterheizung oder Klimaanlagen<br />
ausschalten, wenn Sie sie nicht<br />
mehr benötigen. Klimaanlagen erhöhen<br />
den Verbrauch um bis zu zwei Liter pro<br />
100 Kilometer.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 67<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
INTERVIEW Ulrich Eichhorn<br />
»Wie im Fußball«<br />
Deutsche Autobauer fürchten, durch neue Verbrauchsangaben<br />
ins Abseits zu geraten. Der VDA-Geschäftsführer erklärt, warum.<br />
Herr Eichhorn, haben Sie sich in letzter<br />
Zeit selbst ein Auto gekauft und darauf<br />
geachtet, was der Wagen verbraucht?<br />
Ich habe mir privat ein Elektroauto bestellt.<br />
Das verbraucht gar keinen Sprit.<br />
Zumindest nach dem aktuellen europäischen<br />
Fahrzyklus NEFZ. Aber Strom<br />
kommt auch aus Kohle- oder Gaskraftwerken.<br />
Die verbrauchen reichlich<br />
Energie und stoßen CO 2 aus. Führt der<br />
NEFZ da nicht in die Irre?<br />
Die meisten Besitzer von Elektroautos<br />
haben einen Grünstromvertrag, auch<br />
ich. Das heißt, der Strom wird nachhaltig<br />
mit Wind, Wasser oder Sonne erzeugt.<br />
Zudem ist der CO 2 -Ausstoß von Elektrizität<br />
aus Kraftwerken bereits komplett über<br />
Emissionsrechte geregelt. Sie können das<br />
nicht zwei Mal regulieren – beim Kraftwerk<br />
und beim Auto.<br />
Was aber nichts an den alltagsfernen<br />
Ergebnissen des Messzyklus ändert.<br />
Warum liefert der teils so unrealistisch<br />
niedrige Werte – egal, ob bei Elektro-,<br />
Hybrid- oder Verbrennungsmotoren?<br />
Der Wert dient in erster Linie dem Vergleich<br />
der Autos unter standardisierten<br />
Messbedingungen. Bei Überlandfahrten<br />
lassen sich die NEFZ-Werte auch unterschreiten.<br />
Aber klar ist:Vor 17 Jahren,<br />
als die Norm eingeführt wurde, waren<br />
Sitzheizungen oder Klimaanlagen<br />
kaum verbreitet, die den Verbrauch<br />
nach oben treiben.<br />
Trotzdem schmückt sich auch<br />
mancher Autobauer gerne mit<br />
dem so ermittelten niedrigen<br />
Verbrauch. Ist das nicht<br />
Verbrauchertäuschung?<br />
Nein, die NEFZ-Werte anzugeben<br />
ist gesetzlich<br />
vorgeschrieben, da haben<br />
die Hersteller<br />
keinen Ermessensspielraum.<br />
Es ist<br />
allseits bekannt,<br />
dass der Realverbrauch zum großen Teil<br />
<strong>vom</strong> persönlichen Fahrstil und der Fahrstrecke<br />
abhängt. Sie können leistungsstarke<br />
Achtzylinder, die im Schnitt zehn Liter<br />
auf 100 Kilometer brauchen, bei zurückhaltender<br />
Fahrt über Land auf sieben Liter<br />
drücken – im Stadtverkehr hingegen geht<br />
es auch mal auf 14 Liter. Das ändert nichts<br />
daran, dass auch wir die Messmethodik für<br />
überholt halten und schon lange auf einen<br />
neuen, realistischeren Zyklus drängen, der<br />
auch weltweit gültig sein soll.<br />
Lange ist gut. Über den neuen Standard<br />
namens WLTP wird seit 2009 gerungen.<br />
Es war schon schwierig, sich auf eine<br />
Norm für Europa zu einigen. Zu unterschiedlich<br />
sind die Fahrbedingungen von<br />
Land zu Land. Und jetzt versuchen wir das<br />
weltweit, da sind Unterschiede noch größer.<br />
In Indien heißt es, ihr fahrt den Zyklus<br />
mit bis zu <strong>13</strong>0 Kilometern pro Stunde. Das<br />
nützt uns gar nichts. Denn in Indien ist so<br />
ein Tempo gar nicht erlaubt, es gibt auch<br />
kaum Straßen, auf denen das möglich<br />
wäre. Die Franzosen monieren, es gäbe zu<br />
viel Autobahnpassagen und zu wenig<br />
Stadtverkehr, und die Deutschen sehen es<br />
genau umgekehrt.<br />
DER TECHNIKER<br />
Eichhorn, 52, ist seit Anfang<br />
2<strong>01</strong>2 Geschäftsführer des Verbandes<br />
der Automobilindustrie<br />
(VDA). Zuvor arbeitete der<br />
Maschinenbau-Ingenieur bei Ford,<br />
VW und Bentley.<br />
Die nächste Norm hat also mit dem<br />
Alltag genauso wenig zu tun wie die alte?<br />
Auch die nächste Norm wird auf dem<br />
Rollenprüfstand ermittelt, auch sie dient<br />
vor allem der Vergleichbarkeit von Marken<br />
und Modellen – unter zeitgemäßen<br />
Rahmenbedingungen und Berücksichtigung<br />
des heutigen Autofahreralltags.<br />
Wie werden sich denn die Verbrauchswerte<br />
im neuen Messzyklus entwickeln?<br />
Die Durchschnittsverbräuche werden je<br />
nach Fahrzeugklasse vermutlich etwas<br />
höher liegen als bisher. Das liegt vor allem<br />
daran, dass der neue Zyklus in einem<br />
höheren Tempo gefahren wird.<br />
Wenn der WLTP den Verbrauch hochtreibt,<br />
ist dann der ab 2020 maximal<br />
zulässige Ausstoß von 95 Gramm CO 2<br />
pro Kilometer noch zu schaffen?<br />
Für die deutsche Autoindustrie ist das definitiv<br />
ein wichtiger Punkt. Das geplante<br />
95-Gramm-Ziel für 2020 basiert auf dem<br />
NEFZ-Zyklus. Man kann jetzt nicht mitten<br />
im Spiel die Regeln verschärfen.<br />
Weshalb nicht?<br />
Weil alle Hersteller klare Regeln brauchen<br />
– wie im Fußball. Wenn sich die<br />
Messvorgaben ändern, müssten auch die<br />
CO 2 -Grenzwerte, also das 95-Gramm-<br />
Ziel, angepasst werden. Das ist sehr komplex,<br />
von Fahrzeug zu Fahrzeug unterschiedlich<br />
und kein einfacher Dreisatz.<br />
Einerseits fordern Sie neue Messvorgaben,<br />
andererseits lehnen Sie eine<br />
schnelle Einführung ab. Was denn nun?<br />
Wir sind für einen neuen Zyklus. Aber für<br />
den muss eine korrekte Umrechnung für<br />
jedes Fahrzeug und jede Motorisierung<br />
gefunden werden, die den Wert von 95<br />
Gramm CO 2 nicht durch die Hintertür<br />
verschärft. Auch darf es keine Wettbewerbsverzerrung<br />
geben. Da geht es auch<br />
um Industriepolitik und den Produktionsstandort<br />
Deutschland.<br />
Wann kriegen wir denn mehr Klarheit?<br />
Wenn der neue Zyklus feststeht, könnten<br />
die Verbrauchswerte nach WLTP durchaus<br />
im Ausstellungsraum bei neuen<br />
Autos angegeben werden. Für die CO 2 -<br />
Regulierung in Europa – Stichwort 95<br />
Gramm-Ziel – muss hingegen weiterhin<br />
der NEFZ die Grundlage sein. Ich<br />
könnte mir vorstellen, dass wir für eine<br />
Übergangszeit mit beiden Werten<br />
arbeiten, bis das komplizierte Umrechnungsverfahren<br />
abgeschlossen ist. Das<br />
aber erfordert noch Zeit.<br />
n<br />
juergen.rees@wiwo.de<br />
FOTO: PR/ELKE A.JUNG-WOLFF<br />
68 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
Zukunftstechnik mit Angstpotenzial<br />
Beim Genfood kollidiert die<br />
Freiheit des Bürgerprotests mit<br />
der Freiheit der Forschung<br />
Ramponierter Standort<br />
GENFOOD | Massiver Verbraucherwiderstand auf der einen – Arroganz und Übertreibung auf der<br />
anderen Seite: Ein dogmatischer Grabenkrieg hat Deutschland um die grüne Biotechnik gebracht.<br />
Petunien waren die ersten Opfer. Als<br />
Forscher <strong>vom</strong> Kölner Max-Planck-<br />
Institut für Pflanzenzüchtungsforschung<br />
(MPIPZ) im Frühsommer 1990 gut<br />
30 000 Exemplare dieser lachsroten, weil<br />
gentechnisch veränderten Balkonpflanzen<br />
unter freiem Himmel anbauten, erkoren<br />
Gentechnikgegner Köln zu ihrem Lieblingsziel:<br />
Mehrfach buddelten sie die Blumen<br />
aus und verwüsteten Versuchsfelder.<br />
Keinen Deut besser erging es in den Jahren<br />
danach Kartoffeln, Zuckerrüben und<br />
Mais in Deutschland, wenn Forscher deren<br />
Erbgut verändert hatten. Daneben demonstrierten<br />
Verbraucher und Umweltschutzverbände<br />
auf legale Weise ihren Unmut.<br />
Und auch Politiker wie die ehemalige<br />
CSU-Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin<br />
Ilse Aigner stellten sich<br />
gegen Gentechnik auf dem Teller.<br />
So viel ist klar: Die meisten Deutschen<br />
und Europäer wollen (siehe Grafik rechts)<br />
die vermeintlich beängstigenden Biotech-<br />
Produkte nicht haben. Auch wenn Beweise<br />
für konkrete Gefahren fehlen, ist den meisten<br />
Menschen nicht geheuer, wie Forscher<br />
munter Erbanlagen aus dem einen Organismus<br />
in den nächsten bugsieren – etwa<br />
Quallengene im Weizen.<br />
INTERNATIONAL ABGESCHLAGEN<br />
Die Folgen dieser Ablehnung reichen aber<br />
viel weiter als die Frage, ob eine Sorte Kartoffeln<br />
mehr oder weniger auf den Märkten<br />
landet: Die Freiheit zum Verbraucherwiderstand<br />
bremste die Freiheit der Forscher<br />
aus. Diffuse Ängste auf der einen und Unfähigkeit<br />
zur Kommunikation in Teilen der<br />
Industrie auf der anderen Seite ramponierten<br />
den Forschungsstandort Deutschland.<br />
Waren gerade die Kölner Forscher in den<br />
Achtzigerjahren weltweit hoch angesehen,<br />
weil sie viele der Methoden zum Verschieben<br />
der Gene entwickelten, ist Deutschland<br />
durch die Ablehnung der Verbraucher<br />
und strenge Gentechnikgesetze bei der<br />
Forschung heute abgeschlagen. Die industrielle<br />
Forschung bei der Pflanzenbiotechnologie<br />
ist sogar fast ganz gestoppt.<br />
Während Vertreter der sogenannten „roten“,<br />
der medizinischen Biotechnologie<br />
mit hochwirksamen Gentech-Medikamenten<br />
etwa gegen Krebs Ängste der Verbraucher<br />
verscheuchen konnten, ist das<br />
den „grünen“ Forschern mit ihren genoptimierten<br />
Gewächsen nie gelungen. Als Folge<br />
davon haben die großen Agrarchemiekonzerne<br />
Bayer und BASF ihre Entwicklungsaktivitäten<br />
in Sachen grüner Gentechnik<br />
komplett ins Ausland verlegt.<br />
FOTO: IMAGO/ENGELHARDT<br />
70 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Transgene Pflanzen sind nun in<br />
Deutschland tabu – sowohl an den BASF-<br />
Standorten Limburgerhof und Gatersleben<br />
als auch auf dem 200 Hektar großen Bayer-<br />
Versuchsgut Laacher Hof bei Monheim.<br />
Mehr als 100 Stellen verlegte die BASF<br />
Plant Science (BPS) Anfang 2<strong>01</strong>2 in die<br />
USA und ins benachbarte Belgien nach<br />
Gent, zusammen mit Forschungssummen<br />
von jährlich rund 150 Millionen Euro.<br />
Weil parallel dazu kleine, vielversprechende<br />
deutsche Biotech-Gründungen<br />
von großen Konzernen geschluckt wurden<br />
– zum Beispiel Plantec von Bayer, Metanomics<br />
und Sungene von BASF –, wandern<br />
deren Forscher gleich mit ab. „Sungene<br />
schließt Ende 2<strong>01</strong>3 die Pforten“, sagt etwa<br />
deren Mitgründer Uwe Sonnewald. Er hat<br />
sich in Erlangen wieder auf die Grundlagenforschung<br />
verlegt. Aber selbst da falle<br />
es schwer, sehr gute Studenten für Pflanzenwissenschaften<br />
zu begeistern.<br />
Umso mehr als auch der Europäische<br />
Gerichtshof Mitte Dezember wegen Verfahrensfehlern<br />
die Zulassung der gentechnisch<br />
veränderten Amflora-Kartoffel gekippt<br />
hat. Auf deren Zulassung hatte BASF<br />
<strong>13</strong> Jahre lang gewartet.<br />
Besserung ist nicht in Sicht – schon gar<br />
nicht in Deutschland. „Weit ab von jeder<br />
rationalen Begründung wird der Forschungsstandort<br />
Deutschland auf diesem<br />
wichtigen Zukunftsfeld ausgebremst“, sagt<br />
Ulrich Wobus. Er leitete bis 2007 das Leibniz-Institut<br />
für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung<br />
in Gatersleben in<br />
Sachsen-Anhalt – neben Köln und Potsdam<br />
das deutsche Zentrum für die Anwendungsforschung<br />
transgener Pflanzen.<br />
Dabei verfolgten die Gen-Ingenieure<br />
hehre Ziele: Sie wollten per Gentransfer<br />
Pflanzen leistungsfähiger und robuster gegen<br />
Schädlinge und Klimaschwankungen<br />
machen – und so auch die Ernährung für<br />
immer mehr Erdenbewohner sichern.<br />
Warum gerade die Europäer bei Gentechnik<br />
im Essen so misstrauisch sind, hat<br />
mehrere Gründe. Angst ist einer davon. Die<br />
Enthüllungen rund um die BSE-Krise in<br />
den Neunzigerjahren haben das Vertrauen<br />
der Verbraucher in die Lebensmittelindustrie<br />
nachhaltig erschüttert. Übertreibung<br />
ist ein weiterer: Anfangs habe die Branche<br />
grüne Gentechnik viel zu positiv dargestellt,<br />
räumt Philip von dem Bussche ein,<br />
der Chef des Saatgutherstellers KWS: „Da<br />
müssen wir uns als Branche an die eigene<br />
Nase fassen.“ Auf Genfood gegen Herzinfarkt<br />
und Falten etwa können die Verbraucher<br />
wohl noch lange warten.<br />
Verbraucher sehen<br />
keinen Nutzen<br />
beim Genfood<br />
Das passt zum grundlegenden Marketingproblem<br />
der grünen Gentechnik: Anders<br />
als bei Biotech-Medikamenten haben<br />
die Verbraucher bisher keinen erfahrbaren<br />
Nutzen <strong>vom</strong> Genfood. Und die Landwirte,<br />
die von ertragreicheren Sorten profitieren<br />
könnten, setzen in Europa mit seiner landwirtschaftlichen<br />
Überproduktion ohnehin<br />
eher auf Klasse statt Masse.<br />
ULTRAPLUMPER LOBBYISMUS<br />
Hinzu kommt, dass auch bei der Vermittlung<br />
des Themas allerhand schiefging: So<br />
brachte etwa der US-Saatgut- und -Spritzmittelkonzern<br />
Monsanto, den Gentech-<br />
Gegner nur „Monsatan“ nennen, 1996 gentechnisch<br />
veränderte Sojabohnen in Europa<br />
auf den Markt – ohne Kennzeichnung.<br />
Die wurde damals zwar von den Verbrauchern<br />
gefordert, war aber in der EU noch<br />
nicht vorgeschrieben. In quasikolonialistischer<br />
Manier versuchte Monsanto die<br />
vermeintlich technophoben Europäer zu<br />
belehren, was gut für sie sei. Gezielte Fehlinformationen<br />
und ultraplumper Lobbyismus<br />
gehörten dabei zum Repertoire.<br />
Der Streit eskalierte über die Jahre, sodass<br />
heute kaum noch eine sachliche Debatte<br />
möglich ist. Und dieser Dogmatismus<br />
hat längst beide Seiten befallen.<br />
Skeptisches Europa<br />
Einziger Hoffnungsschimmer scheint in<br />
diesen trüben Zeiten Einbeck in Südniedersachsen<br />
zu sein. Dort hält der Weltmarktführer<br />
für Zuckerrübensaatgut – die<br />
3500 Mitarbeiter starke KWS – die Fahne<br />
grüner Gentechnik made in Germany<br />
hoch: „Wir bleiben hier“, sagte KWS-Chef<br />
von dem Bussche, als BASF den Rückzug<br />
aus Deutschland bekannt gab. Er baut keine<br />
Arbeitsplätze ab, sondern 70 neue Stellen<br />
in der Forschung und Züchtung auf.<br />
„Wir wollen, dass unsere Molekularbiologen<br />
eng mit unseren Pflanzenzüchtern<br />
zusammenarbeiten, damit wir weltweit<br />
immer besseres Saatgut für die Landwirte<br />
anbieten können“, sagt von dem Bussche.<br />
Allerdings verkauft auch er in Europa nur<br />
noch konventionell hergestelltes Saatgut.<br />
Die Gentech-Ware geht ausschließlich<br />
nach USA, Südamerika und Asien<br />
Um das Ruder hier noch einmal herumzureißen,<br />
sind vielleicht ganz neue Ansätze<br />
nötig. Etwa Aquarienfische, die dank eines<br />
Fluoreszenzgens aus einer Qualle knallgrün<br />
oder neonorange aufleuchten, wenn<br />
das Aquarienlicht einen hohen Blauanteil<br />
enthält. Yorktown Technologies aus Texas<br />
verkauft die Fische unter dem Namen Glofish<br />
seit 2003. Während die Zierfische in<br />
Europa nicht vertrieben werden dürfen,<br />
hat der US-Künstler Zack Denfeld sie bereits<br />
in einem Koch-Video zu Sushi-Rollen<br />
verarbeitet. Beim Essen darf die UV-Lampe<br />
nicht fehlen, damit der Leuchteffekt auf<br />
dem Teller zur Geltung kommt.<br />
Ob solche Partygags europäische Genfood-Gegner<br />
auf den Geschmack bringen<br />
werden, bleibt allerdings abzuwarten. n<br />
susanne.kutter@wiwo.de<br />
Wieviel Prozent der Landwirteund Verbraucher gentechnischveränderte Pflanzenfür<br />
notwendighalten, um genügend Lebensmittelzuproduzieren<br />
Akzeptanzbei...<br />
...Landwirten<br />
...Konsumenten<br />
25 53<br />
USA<br />
15<br />
10<br />
Brasilien<br />
Quelle:BASF-Umfrage unter 1802 Landwirten und6023 Verbrauchern, 2<strong>01</strong>1<br />
35<br />
29<br />
14<br />
78<br />
15<br />
9<br />
Indien<br />
62<br />
76<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 71<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Technik&Wissen<br />
VALLEY TALK | Lange galt T-Mobile USA als unrettbar.<br />
Dann gelang dem neuen Chef die Trendwende: Mit<br />
Offerten, von denen deutsche Telekom-Kunden nur<br />
träumen können. Von Matthias Hohensee<br />
Riskante Wende<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Der Kauf der US-Telefongesellschaft<br />
Voicestream im Jahr 20<strong>01</strong><br />
für überteuerte 39,4 Milliarden<br />
Dollar ebnete einst die Karriere<br />
des damaligen Mobilfunkchefs René Obermann<br />
im Telekom-Konzern. Doch die Kraft<br />
der viel gelobten Wachstumslokomotive<br />
hielt nicht lange. Stattdessen bremste die<br />
US-Tochter wegen hoher Investitionen für<br />
den Netzausbau den ganzen Konzern.<br />
Später, als Telekom-Chef, versuchte Obermann<br />
jahrelang, die lästige Tochter wieder<br />
loszuwerden. Doch auch der letzte Verkaufsversuch<br />
an den Mobilfunkriesen AT&T scheiterte.<br />
Die US-Wettbewerbshüter stoppten<br />
2<strong>01</strong>1 den Verkauf. Für die Aktionäre der<br />
Deutschen Telekom AG war das eine bittere<br />
Pille. T-Mobile USA galt als unrettbar.<br />
Für die US-Konsumenten war das Verkaufsverbot<br />
ein Segen, wie sich mittlerweile<br />
zeigt. Vielleicht sogar für die Telekom. Denn<br />
seit der soeben von der Konzernspitze abgetretene<br />
Obermann den kreativen Freigeist<br />
John Legere im September 2<strong>01</strong>2 als Chef<br />
von T-Mobile USA installierte, hat sich die<br />
Telekom-Tochter <strong>vom</strong> Nachzügler zum Tarifinnovator<br />
und Preisbrecher gewandelt.<br />
Legere, der am liebsten in Turnschuhen,<br />
Jeans und T-Shirts in der Konzernfarbe Magenta<br />
auftritt (auf der Computermesse CES<br />
in Las Vegas wurde er in dem Outfit gerade<br />
von der AT&T-Messeparty verwiesen), entkoppelte<br />
Handy und Tarif. Wer von der Konkurrenz<br />
zu T-Mobile wechselt, den belohnt<br />
der Ex-Chef des Breitbandanbieters Global<br />
Crossing mit markant günstigeren Tarifen.<br />
ROAMING-KOSTEN GEKAPPT<br />
Alternativ gewährt Legere Preisnachlässe für<br />
populäre Smartphones wie Apples iPhone<br />
und Samsungs Galaxy S4. Schließlich kappte<br />
er die absurd hohen Kosten für Telefonate im<br />
Ausland und das Surfen im Netz. Seit Ende<br />
Oktober bezahlen US-Kunden von T-Mobile<br />
im Ausland nur noch 20 Cent pro Gesprächsminute<br />
– im Gegensatz zu AT&Ts 1,50 Dollar.<br />
Internationales Surfen ist sogar kostenlos,<br />
wobei die Geschwindigkeit im Gastland auf<br />
Schmalband gedrosselt wird. Doch für den<br />
Abruf von E-Mails und die Navigation reicht<br />
das völlig, wie ich beim Weihnachtsurlaub in<br />
Deutschland feststellen konnte. Umgekehrt<br />
zahlt, wer als deutscher Telekom-Privatkunde<br />
im Standardtarif in den USA online geht,<br />
pro Megabyte immerhin zehn Euro.<br />
Auch ich bin nach sechs Jahren AT&T zurück<br />
zu T-Mobile USA gewechselt. In Kalifornien<br />
ist die Netzabdeckung vergleichbar,<br />
vielerorts nutzt T-Mobile die Funktürme des<br />
Konkurrenten, ein Relikt aus der gescheiterten<br />
Übernahme. Die Sprachqualität ist um<br />
Längen besser. Vergangene Woche kaufte<br />
T-Mobile für 2,4 Milliarden Dollar zusätzliche<br />
Frequenzen, um das Netz weiter auszubauen.<br />
Und nicht zuletzt spare ich mindestens<br />
100 Dollar monatlich gegenüber AT&T.<br />
Weil sich das rumspricht, wächst T-Mobile<br />
wieder: 672 000 Neukunden kamen im<br />
dritten Quartal 2<strong>01</strong>3 dazu. Im ersten Quartal<br />
waren es 3000. Und obwohl das Unternehmen<br />
mit 45 Millionen Kunden noch weit<br />
hinter AT&T (110 Millionen) und Verizon<br />
(119 Millionen) liegt, sind die beunruhigt.<br />
AT&T bietet T-Mobile-Kunden bis zu 450<br />
Dollar, wenn die in sein Netz zurückkehren;<br />
die Telekom-Tochter dagegen bis 650 Dollar<br />
Wechselbonus für Kunden der Konkurrenz.<br />
Die Frage ist, ob die Rabatte und damit<br />
geringeren Umsätze pro Kunde auf die Telekom<br />
zurückfallen? Oder ob Legeres Kalkül<br />
aufgeht, den Marktwert hochzutreiben und<br />
T-Mobile dann an Interessenten wie den <strong>vom</strong><br />
japanischen Internet-Tycoon Masayoshi Son<br />
kontrollierten US-Mobilfunker Sprint zu verkaufen.<br />
Immerhin hat die T-Mobile-Aktie, die<br />
durch den Zusammenschluss mit dem Konkurrenten<br />
MetroPCS im Mai 2<strong>01</strong>3 an die Börse<br />
kam, seither 60 Prozent zugelegt.<br />
Wobei noch offen ist, ob sich Legere mit<br />
seiner Strategie nicht vielleicht selbst ein<br />
Bein gestellt hat.Denn er hat ja gerade erst<br />
eindrucksvoll die Segnungen des Wettbewerbs<br />
für die Kunden bewiesen.Gut möglich<br />
also, dass die US-Wettbewerbshüter auch einen<br />
erneuten Verkaufsversuch torpedieren.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 73<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Management&Erfolg<br />
Schein und Wirklichkeit<br />
SERIE SPURWECHSEL (II) | Mit Superstars wie Claudia Schiffer und Bryan Adams<br />
will Opel-Marketingvorstand Tina Müller das angekratzte Image des Autobauers<br />
aufpolieren. Doch wie gut passt die Glamourwelt zu Opel?<br />
Als sich die Tür des anthrazitfarbenen<br />
Autos öffnet, klickt und<br />
blitzt es 100-fach, innerhalb<br />
weniger Sekunden, aus allen<br />
Richtungen. Dutzende Fotografen<br />
richten Augen und Kameras auf das<br />
Objekt ihrer Begierde – jeder auf der Jagd<br />
nach dem perfekten Bild von Claudia<br />
Schiffer. Schwarzes Abendkleid, hohe<br />
Schuhe, knallrote Lippen: Die blonde<br />
Schönheit stolziert ein paar Mal auf dem<br />
roten Teppich, der eigens ausgerollt wurde<br />
– vor dem Auto und einer atemberaubenden<br />
nächtlichen Kulisse, dem für die Weltausstellung<br />
1929 erbauten Palast zu Füßen<br />
des Montjuic, dem Stadthügel vor den Toren<br />
Barcelonas. In Schiffers Rücken funkeln<br />
die Lichter der katalanischen Hauptstadt,<br />
das Top-Model strahlt in die Kameras,<br />
wirft mit einer Kopfbewegung ihre<br />
blonde Mähne über die Schulter nach hinten.<br />
Doch nach ein paar Sekunden unterbricht<br />
der Regisseur die Szene, dreht sich<br />
um und sucht mit seinem Blick die wichtigste<br />
Frau des Abends – Tina Müller.<br />
„Nicht schlecht“, kommentiert die Opel-<br />
Marketingchefin die Szene, die sie ein paar<br />
Meter entfernt auf einem Bildschirm verfolgt<br />
hat. „Aber sie soll mal etwas langsamer<br />
aus dem Wagen aussteigen.“<br />
LIPPENSTIFT STATT KINDERAUGEN<br />
Was im ersten Moment nach einem Werbedreh<br />
für Lippenstift, Haarspray oder teuren<br />
Schmuck aussieht, ist in Wirklichkeit<br />
Werbung für ein kreuzbraves Familienauto:<br />
den Meriva von Opel.<br />
Die Szenerie erweckt den Anschein, die<br />
ehemalige Kosmetikmanagerin hätte vergessen,<br />
dass sie seit August nicht mehr<br />
Haarpflege von Henkel<br />
ins rechte Licht<br />
setzt, sondern für die<br />
Vermarktung von<br />
Blech, Mechanik und<br />
vier Rädern aus dem<br />
Hause Opel zuständig ist. Doch die 45-<br />
Jährige ist überzeugt, dass Glamour, Top-<br />
Models und prächtige Kulissen nicht für<br />
das Geschäft mit der Schönheit reserviert<br />
sind. Schließlich soll sie dem angestaubten<br />
Markenimage des Autobauers aus Rüsselsheim<br />
zu neuem Glanz verhelfen.<br />
Und das ist auch bitter nötig: Hat Opel<br />
doch seit Jahren ein Problem mit der<br />
Attraktivität seines Images. Selbst Opel-<br />
Fahrer stehen der eigenen Marke reserviert<br />
gegenüber, wie ein Langzeitvergleich des<br />
Markenrankings Best Cars der Fachzeitschrift<br />
„Auto Motor und Sport“ mit der<br />
Konkurrenz von Volkswagen und Ford<br />
zeigt (siehe Grafik). Zwar hat Opel von den<br />
neuen Modellen Adam und Mokka 2<strong>01</strong>3<br />
Unzufriedene Opelaner<br />
Wiesehr Fahrer die Marke ihres<br />
Wagens mögen (in Prozent)<br />
80<br />
VW<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
Ford<br />
20<br />
2006 05 06 07 08 09 10 11 12 <strong>13</strong><br />
Quelle:Motor Presse Stuttgart<br />
Opel<br />
mehr als 110 000 Stück<br />
verkauft. „Aber das Image<br />
der Marke“, bestätigt<br />
Müller, „hinkt noch hinterher.“<br />
Daran konnte zuletzt<br />
auch die Verpflichtung von Promi-Sternchen<br />
wie Sängerin Lena Meyer-Landrut<br />
oder Lovelyn Enebechi, Siegerin der Model-<br />
Castingshow „Germany’s Next Topmodel“<br />
kaum was ändern. Mit Claudia Schiffer<br />
holte Opel nun einen Weltstar an Bord und<br />
versucht so an die glamourösen Fünfzigerjahre<br />
anzuknüpfen, als Schauspielerin<br />
Hildegard Knef sich mit dem Opel Olympia<br />
ablichten ließ (siehe Seite 76).<br />
Für klassische Autospots scheint Müller<br />
dagegen eher wenig übrig zu haben: Statt<br />
auf die Inszenierung kurvenreicher Fahrten<br />
durch schöne Landschaften oder leuchtender<br />
Kinderaugen beim ersten Anblick von<br />
Papas neuem Wagen zu vertrauen, versucht<br />
sie, das offensichtliche Imageproblem<br />
ihres neuen Arbeitgebers nicht mühsam<br />
unterm Deckel zu halten, sondern es<br />
offensiv zu thematisieren und mittelfristig<br />
zu verbessern. „Wir werden Opel stärker im<br />
Lifestyle-Bereich positionieren“, hatte Müller<br />
vor wenigen Wochen im WirtschaftsWoche-Interview<br />
angekündigt. „Das bringt<br />
uns jüngere Kunden, mehr Frauen und<br />
wird die Marke mit ihrer Sozialstruktur upgraden“<br />
(WirtschaftsWoche 47/2<strong>01</strong>3).<br />
Dafür engagiert sie zum Beispiel Rocksänger<br />
und Fotograf Bryan Adams. Der hat<br />
seinen Namensvetter – den Opel Adam –<br />
für einen Kalender abgelichtet. Der Musiker,<br />
inzwischen als ernsthafter Fotograf<br />
etabliert, hat das Opel-Modell in seinen<br />
Farb- und Schwarz-Weiß-Aufnahmen so»<br />
SERIE<br />
SPURWECHSEL (II)<br />
Tina Müllers Start<br />
in der Autobranche<br />
FOTOS: OPEL<br />
74 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Abgedreht Mit Topmodel Claudia<br />
Schiffer will Marketing-Vorstand Tina<br />
Müller (Bild unten rechts, Mitte)<br />
das Opel-Image aufpolieren. Schiffer<br />
wirbt in der gerade produzierten<br />
Europa-Kampagne für den Opel Meriva.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 75<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Management&Erfolg<br />
»<br />
abgelichtet, dass es mitunter eher an eine<br />
Kunstskulptur denn einen klassischen<br />
Kleinwagen erinnert. Da scheint es nur<br />
konsequent, dass die Bilder nicht nur auf<br />
klassischen Werbestrecken in Magazinen<br />
gedruckt werden, sondern bald auch im<br />
Museum zu sehen sein werden – im Haus<br />
der Kunst in München, einem der renommiertesten<br />
Museen Europas, erwartet der<br />
Autokonzern zahlreiche geladene Gäste<br />
zur Vernissage mit anschließendem exklusivem<br />
Dinner. Und bei der Modemesse<br />
Bread & Butter, die Mitte Januar in Berlin<br />
stattfindet, stellt Opel den Shuttleservice.<br />
ZWISCHEN GENIAL UND FATAL<br />
Was auf den ersten Blick innovativ und hip<br />
erscheint, ist nicht unumstritten: Im Internet<br />
etwa ist die Diskussion um Claudia<br />
Schiffer als neue Werbebotschafterin längst<br />
entbrannt, zum Beispiel in dem Internet-<br />
Portal Autohaus online. Was Autofans wie<br />
der Nutzer mit dem Pseudonym Wayne<br />
Rooney als „geniale Idee“ feiern, ist für Kritiker<br />
wie Melanie eine „fatale Fehlentscheidung“.<br />
Ob Autofans, Kunden oder Angestellte:<br />
Fragen zu Müllers Strategie dürften sich<br />
viele stellen. Interessieren sich Opel Stammkunden<br />
wirklich für Mode und Fotografie?<br />
Wie passt das neue Hochglanz-Image zu<br />
den Erlebnissen beim Autokauf, der nicht so<br />
sehr von Model-Glamour und Blitzlichtgewitter<br />
geprägt ist, sondern von tristen Autohäusern?<br />
Wie groß ist die Glaubwürdigkeit,<br />
wenn Superstars von den neuen Modellen<br />
schwärmen, obwohl sie privat lieber Nobelkarossen<br />
aus Ingolstadt oder Sportwagen<br />
aus Zuffenhausen fahren? Und würde Opel<br />
Flottes Modell Kalenderbild des Opel<br />
Adam, inszeniert von Bryan Adams<br />
sein Geld nicht besser in innovative Technologien<br />
und Design investieren, als teuren<br />
Weltstars hohe Gagen zu zahlen?<br />
Fragen, die durchaus ihre Berechtigung<br />
haben – Tina Müller aber keinesfalls bange<br />
machen: Schiffer hin oder her – ein höherer<br />
Marketingetat steht der Managerin jedenfalls<br />
nicht zur Verfügung, aber dafür eine<br />
große Portion Entschlossenheit.<br />
Die demonstriert sie auch beim Videodreh<br />
in Barcelona: Gerade mal von acht<br />
Uhr bis halb zehn hat das Team beim<br />
abendlichen Dreh Zeit, um alle Szenen mit<br />
Claudia Schiffer zu filmen. Müller weiß,<br />
dass es nach wochenlangen Vorbereitungen<br />
genau diese anderthalb Stunden sind,<br />
die über den Erfolg der Kampagne entscheiden.<br />
Um sicher zu gehen, dass alles schnell<br />
genug geht, mahnt sie schon im Vorfeld,<br />
nicht zu viel Zeit beim Umbau von Licht<br />
und Kamera zwischen den verschiedenen<br />
Einstellungen zu verlieren. „Das ging gestern<br />
viel zu langsam“, sagt sie in der<br />
Schlussbesprechung mit der Produktionsfirma<br />
in der Eingangshalle des Museums<br />
zwischen Säulen aus Marmor und goldfarbenen<br />
Stehleuchten. Was ihr Gegenüber<br />
manchmal als zu hart empfindet, hält<br />
Opels Vorstandsmitglied für notwendig.<br />
„Wir haben oftmals keine Zeit, noch fünf<br />
Schleifen zu drehen“, sagt Müller.<br />
Denn die 45-Jährige hat es eilig. Bis 2<strong>01</strong>5<br />
will sie das Ansehen der Marke deutlich<br />
verbessern, sich an diesem Ziel auch messen<br />
lassen.<br />
„Sie ändert endlich wirklich mal etwas“,<br />
heißt es von einem ihrer direkten Mitarbeiter.<br />
Auch Müllers Vorgänger hätten zwar<br />
stets angekündigt, was sie alles umstellen<br />
wollen – wirklich getraut habe sich aber<br />
niemand.<br />
Müllers Mut wird auch durch die Konstruktion<br />
ihres Postens begünstigt: Einen<br />
Vorstand, der wie jetzt Müller ausschließlich<br />
für Marketing zuständig ist, hat es bei<br />
Opel noch nicht gegeben. Ihre Vorgänger<br />
vereinten die Ressorts Marketing und Vertrieb<br />
– diese Zwangsbindung hat der neue<br />
Vorstandsvorsitzende Karl-Thomas Neumann<br />
jetzt aufgehoben. Er hat Müller gezielt<br />
für die Kreativabteilung verpflichtet<br />
und den Vertrieb dem erfahrenen Automobilmanager<br />
Peter Christian Küspert unterstellt.<br />
Müller kann so gewagtere Entscheidungen<br />
treffen, ohne ständig die unmittelbaren<br />
Auswirkungen auf den Vertrieb be-<br />
FOTOS: OPEL<br />
Immer wieder bieder<br />
Von der Knef bis zur Graf: Mit welchen Promis Opel geworben hat<br />
1988<br />
Steffi Graf<br />
Nach dem Tennis-As<br />
wurde sogar eine<br />
Sonderedition des<br />
Modells Corsa benannt.<br />
Warb auch für das<br />
Sportcoupé Calibra<br />
1951<br />
Hildegard Knef<br />
Die Schauspielerin<br />
posiert vor einem<br />
Opel Olympia<br />
1979<br />
Max Schmeling<br />
Der ehemalige Boxweltmeister<br />
ließ sich für<br />
eine Postkarte mit dem<br />
Opel Senator ablichten<br />
76 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
ücksichtigen zu müssen. „Über den Glamour-Faktor<br />
ist ein positiver Imagetransfer<br />
möglich“, kommentiert Thomas Bieling,<br />
Sprecher des Vorstandes beim Verband<br />
Deutscher Opel-Händler, Müllers Marketingstrategie.<br />
Hinzu kommt: Während früher meist<br />
Manager aus der zweiten oder dritten Reihe<br />
die Verhandlungen mit der Werbeagentur<br />
und den Produktionsfirmen führten,<br />
übernimmt Müller diese Aufgaben oftmals<br />
selbst. Sie ist sich nicht zu schade, über Details<br />
zu befinden, die ihre Vorgänger längst<br />
delegiert hätten. Damit verprellt sie einerseits<br />
zwar lang gediente Manager, die sich<br />
in ihrer Macht beschnitten fühlen, wie man<br />
sich hinter vorgehaltener Hand erzählt.<br />
Andererseits beschleunigt sie Abläufe und<br />
Prozesse.<br />
So wie an diesem Abend in Barcelona, in<br />
einem schwarzen Pavillon hinter dem Nationalmuseum,<br />
Müllers temporärer Schaltzentrale.<br />
Schon einige Stunden bevor die<br />
erste Klappe fällt, prasseln pausenlos Fragen<br />
auf sie ein. „Welche französische Übersetzung<br />
finden Sie für den Schlusssatz am<br />
treffendsten?“, „Wie gefallen Ihnen die Outfits<br />
der Models?“, „Können wir uns kurz die<br />
neueste Version des Spots für den Opel<br />
Adam anschauen?“– kaum einer am Set,<br />
der Müller nicht zu einer schnellen Entscheidung<br />
drängt.<br />
Und sie ist keine, die Dinge einfach<br />
durchwinkt. Das eine Model soll etwas wilder<br />
gestylt werden, der eine Schnitt im Video<br />
ist ihr zu unruhig. Sie stellt Nachfragen,<br />
fällt dabei schon mal ihrem Gegenüber ins<br />
Wort. Blitzschnell wechselt sie zwischen<br />
verschiedenen Ansprechpartnern und<br />
Themen. Selbst wenn es hektisch wird, behält<br />
sie den Überblick – auch als der Dreh<br />
mit La Schiffer zu platzen drohte. Denn eine<br />
Woche bevor es losgehen sollte in Barcelona,<br />
war noch nicht klar, ob das Top-Model<br />
auf Opels Konditionen überhaupt eingeht<br />
und zusagt. Obwohl die Statisten längst angefragt,<br />
die Stylistin gebucht und die anderen<br />
Models ausgewählt waren.<br />
„Jemand anders hätte so eine knappe<br />
Kiste wahrscheinlich abgeblasen“, sagt einer<br />
der am Projekt Beteiligten. Doch Müller<br />
zieht es durch, riskiert höhere Kosten<br />
und gewinnt letztlich.<br />
ERFOLG UND ELEGANZ<br />
Warum sie ausgerechnet Claudia Schiffer<br />
für Opels neue Europa-Kampagne haben<br />
wollte? „Schiffer steht für Erfolg, Perfektion<br />
und Eleganz“, sagt Müller. Und Qualität aus<br />
deutschen Landen – die Kernbotschaft dieser<br />
internationalen Kampagne, die auf<br />
mehrere Spots ausgelegt ist. „It’s a German“,<br />
sagt Schiffer am Ende eines jeden<br />
Kurzfilms, ob auf dem roten Teppich oder<br />
in der Tiefgarage. „Tina Müller hat diesen<br />
roten Faden in unsere Europa-Kampagne<br />
gebracht“, sagt der lang gediente Opel-Marketingmanager<br />
Tamás Bátor, „das hatten<br />
wir vorher nicht.“ Genauso wenig wie Erfahrung<br />
im Umgang mit Weltstars. „Das<br />
sind Tina Müllers Kontakte und ihre Expertise.“<br />
Schließlich hat sie bei Henkel schon<br />
mit Heidi Klum, Eva Padberg und Cindy<br />
Crawford gedreht.<br />
Nun also mit Claudia Schiffer. Deren Managerin<br />
sitzt auf einem Stuhl neben Müller.<br />
Beide schauen auf den Monitor, der das<br />
Bild von der Filmkamera überträgt, die einige<br />
Meter entfernt die Szenen einfängt.<br />
Ob sie mit den Aufnahmen glücklich sei,<br />
will Müller nach jeder Einstellung wissen.<br />
Denn die neue Opel-Frau weiß, wie<br />
schwierig es ist, unzufriedene Superstars<br />
zu besänftigen.<br />
In Barcelona dreht Müller schon die<br />
Spots Nummer vier und fünf in ihrer nicht<br />
mal fünfmonatigen Amtszeit. „So viel haben<br />
wir in so kurzer Zeit noch mit keinem<br />
Kunden geschafft“, sagt ein Mitarbeiter von<br />
der Werbeagentur Scholz & Friends.<br />
Diese Betriebsamkeit ist anstrengend,<br />
auch für Müller selbst: Gegen 23 Uhr<br />
schnappt sie sich ihre Handtasche, verabschiedet<br />
sich, denn um 6.50 Uhr am nächsten<br />
Morgen geht ihr Flug nach Paris zur Tagung<br />
der französischen Opel-Händler.<br />
„Morgen soll es den ganzen Tag regnen“,<br />
sagt ein Mitarbeiter der Produktionsfirma,<br />
der sie kurz vor der Tür abfängt. Der zweite<br />
Drehtag wäre damit komplett hinüber. Also<br />
nimmt Müller noch mal auf einer Ledercouch<br />
im Foyer Platz. Und statt auf etwaige<br />
Regenpausen am nächsten Tag zu hoffen,<br />
verdonnert sie Statisten, Models, Produktionshelfer,<br />
Kameramann und Regisseur<br />
kurzerhand zu einer Nachtschicht. Alle<br />
Szenen müssen bis zum Morgengrauen<br />
abgedreht sein.<br />
Um Viertel nach elf verabschiedet sie<br />
sich schließlich endgültig ins Hotel. Am<br />
nächsten Vormittag setzt der Regen ein, für<br />
24 Stunden. Einer von zwei Regentagen im<br />
Dezember.<br />
n<br />
kristin.schmidt@wiwo.de<br />
2<strong>01</strong>3 Jürgen Klopp<br />
Der Trainer von Borussia Dortmund ist derzeit das Gesicht von<br />
Opel in Deutschland. Die Spots liefen auch in Polen – dort<br />
hat der Fussballverein aus dem Ruhrpott viele Fans, weil mehrere<br />
polnische Nationalspieler in seinem Kader stehen<br />
2<strong>01</strong>0 Lena Meyer-Landrut<br />
Die Gewinnerin des Eurovision Song Contests 2<strong>01</strong>0 sollte Opels<br />
Image verjüngen – mit wenig Erfolg<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 77<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Management&Erfolg<br />
SPRENGERS SPITZEN<br />
Nur noch den Hintern retten<br />
Warum eine Minderleister-Quote gegen schwache Mitarbeiter Unternehmen schadet.<br />
Erst die Inszenierung als sich<br />
rekelndes Modepüppchen in<br />
einem Hochglanzmagazin, dann<br />
die publikumswirksame Abschaffung<br />
des Home Office, zuletzt eine jährliche<br />
Quote für Minderleister: Yahoo-Chefin<br />
Marissa Mayer ist nicht nur Vorgesetzte<br />
von mehr als 10000 Mitarbeitern – sie ist<br />
vor allem begnadete Selbstdarstellerin. Jedes<br />
Marketingmittel ist ihr recht, um den<br />
Kampf um Aufmerksamkeit gegen mächtige<br />
Wettbewerber zu gewinnen.<br />
Bei genauem Hinsehen aber wird klar:<br />
Vor dem Hintergrund des amerikanischen<br />
Arbeitsrechts ist der Versuch nicht<br />
neu, jedes Jahr die schlechtesten Mitarbeiter<br />
zu identifizieren. Seit der damalige<br />
General-Electric-Chef Jack Welch in den<br />
Neunzigerjahren damit hantierte, verhalten<br />
sich viele Unternehmen ähnlich –<br />
offen oder heimlich. Hierzulande aber ist<br />
die Empörung groß.<br />
Dabei hat Frau Mayer mit ihrer Aussage<br />
durchaus einen wunden Punkt getroffen:<br />
Statistisch schleppt jedes Unternehmen<br />
mindestens zehn Prozent leistungsschwache<br />
Mitarbeiter mit. Leute, die nur<br />
noch da sind, aber nicht mehr dabei. In<br />
Branchen mit strengem Kündigungsschutz<br />
liegt der Prozentsatz höher. Zudem<br />
haben wir ein massives Konsequenzproblem<br />
in den Unternehmen.<br />
Verantwortlich dafür ist die geradezu absurd<br />
arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung.<br />
Aber auch viele Führungskräfte sind Schönwetterkapitäne.<br />
Als Bonbon-Onkel finden die sich prima, lassen aber jede<br />
Konsequenz vermissen, wenn Geben und Nehmen nicht mehr<br />
ausgeglichen sind.<br />
Reinhard Sprenger, 60, Ex-Manager bei 3M<br />
und Adecco, zählt zu den renommiertesten<br />
deutschsprachigen Managementautoren.<br />
»Statt Verantwortung<br />
zu übernehmen,<br />
versteckt sich der Chef<br />
hinter der Scheinobjektivität<br />
von Zahlen«<br />
TOTALITÄR UND DÜMMLICH<br />
Aber löst eine Minderleister-Quote diese Probleme? Eindeutig<br />
nein. Wie jede Quote ist sie totalitär und dümmlich. Totalitär, weil<br />
wir nicht vergessen sollten, wer die großen Quotierer waren: Hitler,<br />
Stalin, Mao. Dümmlich, weil sie nur neue Probleme schafft: Sie<br />
schädigt das Image des Unternehmens auf den Personalmärkten.<br />
Wer mit Knappheit zu kämpfen hat, gar Suchanzeigen aufgeben<br />
muss, den sollte das kümmern. Geschwächt wird auch die Kernidee<br />
eines jeden Unternehmens: die Zusammenarbeit. Dass es nicht um<br />
persönliche Exzellenz geht, sondern das passgenaue Zusammenspiel<br />
unterschiedlicher Menschen. Frau<br />
Mayers Quote dagegen ist der Triumph<br />
des alten personenzentrischen Denkens<br />
über das Primat der Kooperation.<br />
MEIN GEWINN, SEIN VERLUST<br />
Drittens: Die Bürokratie wird explodieren.<br />
Wird der Wettbewerb innerhalb des Unternehmens<br />
angeheizt, werden alle das<br />
Vernünftige tun: versuchen, den eigenen<br />
Hintern zu retten. Denn Misstrauen ist<br />
unter Wettbewerbsbedingungen eine kluge<br />
Strategie. Und dann ist das Einzige, was<br />
einen Mitarbeiter an seinem Teampartner<br />
interessiert, sein Versagen: Mein Gewinn<br />
ist sein Verlust. Das wird das Arbeitsklima<br />
vergiften. Und es bringt uns auch beim<br />
Kunden keinen Meter weiter: Die Energie<br />
wird innen gebunden, statt sie auf die<br />
Wünsche der Klienten zu lenken.<br />
Hauptverlierer aber ist die Qualität:<br />
1. Hat ein Chef das Personal in seiner<br />
Abteilung hervorragend entwickelt, ein<br />
anderer aber nicht, vergleichen Prozente<br />
Unvergleichliches. Denn wer in jedem<br />
Team stur die Schwächsten aussortiert,<br />
muss sich auch von Mitarbeitern trennen,<br />
die im Vergleich zu Kollegen anderer<br />
Teams Top-Leister sind.<br />
2. Es ist ratsam, schlechte Leute einzustellen,<br />
weil sie die eigene Position verbessern.<br />
Ebenso, sich schwachen Teams<br />
anzuschließen, in denen man als Einäugiger<br />
König ist. Man muss ja nicht wirklich<br />
gut sein, nur besser als die anderen. Das Ergebnis aus Unternehmensperspektive:<br />
eine Abwärtsspirale.<br />
3. Eine Minderleister-Quote verschärft die Tendenz zum Messen<br />
von Quantitäten. Bewerten? Unwichtig. Angemessenheit? Papperlapapp.<br />
Statt Verantwortung zu übernehmen, versteckt man sich<br />
hinter der Scheinobjektivität von Zahlen. Führungskräfte spielen<br />
die Pontius-Pilatus-Nummer, verweisen auf die Quote und sind<br />
aus dem Schneider. Kann man würdeloser managen? Kann man<br />
inkonsequenter sein – Führungskräfte in ihren Jobs belassen, die<br />
da nicht hingehören? Dabei wusste schon Albert Einstein: „Nicht<br />
alles, was zählt, kann gezählt werden. Und nicht alles, was gezählt<br />
werden kann, zählt.“<br />
Bleibt zu hoffen, dass Frau Mayer Yahoo mit Karacho an die<br />
Wand fährt. Die Aktionäre wird das ärgern. Die wirklich guten Leute<br />
aber sind dann schon längst gegangen. Freiwillig.<br />
n<br />
FOTO: LITERATURTEST/SABINE FELBER<br />
78 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
Abheben mit<br />
Übernahmekandidaten<br />
AKTIEN | Der Dax tastet sich an die 10 000-Punkte-Marke heran, die Luft an der Börse<br />
wird dünner. Warum Anleger jetzt die Aktien von Unternehmen kaufen sollten, die<br />
im Visier von Firmenjägern stehen, in welchen Branchen das Übernahmefieber steigt.<br />
Fressen oder gefressen werden?<br />
Kaum einem europäischen Unternehmenslenker<br />
stellt sich<br />
diese Frage so massiv wie Vodafone-Chef<br />
Vittorio Colao. Im<br />
September hatte er angekündigt, seine 45<br />
Prozent am US-Mobilfunker Verizon Wireless<br />
für <strong>13</strong>0 Milliarden Dollar an den Partner<br />
Verizon zu verkaufen. Vor einem Monat<br />
genehmigten die Kartellbehörden den<br />
Deal. Nun steht Colao unter Zugzwang, er<br />
muss fressen, die Milliarden wie geplant<br />
für Zukäufe im Kernmarkt Europa einsetzen.<br />
Denn mit seiner prall gefüllten Kasse<br />
könnte Vodafone sonst selbst gefressen<br />
werden. US-Gigant AT&T soll ein Auge auf<br />
die Briten geworfen haben. Ein Zusammenschluss<br />
würde einen Giganten mit<br />
knapp 380 Milliarden Dollar Marktwert<br />
schaffen. Seit Ende August hat die Vodafone-Aktie<br />
fast 30 Prozent zugelegt, fast<br />
doppelt so viel wie der Index Eurostoxx 50.<br />
Noch aber ist der Markt<br />
nicht heiß gelaufen. Übernahmen<br />
deutscher Unternehmen<br />
im Gesamtwert<br />
von 82 Milliarden Euro hat<br />
der Dienstleister Dealogic<br />
in seiner Datenbank, 37<br />
Prozent mehr als 2<strong>01</strong>2,<br />
aber deutlich weniger als<br />
die <strong>13</strong>7 Milliarden aus dem<br />
Rekordjahr 2007. Für Anleger<br />
ein gutes Zeichen: Der<br />
Markt für Fusionen und<br />
Übernahmen signalisiert<br />
noch nicht, dass die Börse<br />
übertreibt. „Nach einem<br />
Plus von 25 Prozent im Dax<br />
2<strong>01</strong>3 suchen Anleger Sondersituationen.<br />
Im reifen Haussezyklus<br />
tritt das Thema Übernahmen so in den<br />
Vordergrund“, beobachtet Michael Kollenda,<br />
Vorstand von Salutaris Capital Management<br />
in München.<br />
Übernahmefantasie und bereits laufende<br />
Aufkäufe stützen die Kurse begehrter<br />
Unternehmen. Selbst wenn die Börse einbricht,<br />
verliert ein Aufkäufer nicht schlagartig<br />
das Interesse an seinem Zielobjekt. Er<br />
wird eher weiter Stücke einsammeln. Gerade<br />
bei heiß laufenden Börsen bieten<br />
Übernahmeaktien deshalb Kurschancen<br />
und Sicherheit. Was spricht dafür, dass es<br />
<strong>2<strong>01</strong>4</strong> mehr Übernahmen geben wird?<br />
n Historisch niedrige Zinsen ermöglichen<br />
günstige Finanzierungen.<br />
n Unternehmen sind noch nicht zu teuer.<br />
„Die Bewertungen sind im Durchschnitt<br />
noch attraktiv“, urteilt Alexander Roos, Leiter<br />
des Geschäfts mit Übernahmen bei<br />
Boston Consulting. Unternehmen suchten<br />
Kabel Deutschland und Celesio an der Spitze<br />
Die größten Übernahmen 1 und Aktienpaket-Verkäufe 2<strong>01</strong>3<br />
Ziel<br />
Kabel Deutschland<br />
Celesio<br />
GSW Immobilien<br />
MAN (24,97 Prozent)<br />
GBWAG (91,92 Prozent)<br />
Sky DE (9,09 Prozent)<br />
Evonik (4,6 Prozent)<br />
Prime Office<br />
Generali DE (6,98 Prozent)<br />
Käufer<br />
Vodafone<br />
McKesson<br />
Deutsche Wohnen<br />
Volkswagen<br />
Patrizia Immobilien<br />
Twenty-First Century Fox<br />
Temasek<br />
German Acorn Real Estate<br />
Assicurazioni Generali<br />
Branche<br />
Telekommunikation<br />
Pharmahandel<br />
Immobilien<br />
Industrie<br />
Immobilien<br />
Funk und Fernsehen<br />
Industrie<br />
Immobilien<br />
Versicherer<br />
1 nur börsennotierte Unternehmen; Quelle: Mergermarket, eigene Recherchen<br />
Kaufpreis<br />
(in Mrd. Euro)<br />
8,6<br />
5,5<br />
3,9<br />
2,8<br />
2,5<br />
0,9<br />
0,6<br />
0,5<br />
0,4<br />
bei Übernahmezielen Wachstum und Innovationen.<br />
„Allerdings sind viele aus<br />
Angst vor volkswirtschaftlichen Schocks<br />
immer noch zurückhaltend“, sagt Roos.<br />
n Doch diese Ängste lassen offenbar nach.<br />
„Das Umfeld hat sich stabilisiert, die Unternehmen<br />
haben viel Bargeld und stehen<br />
unter Druck, für Wachstum zu sorgen“, sagt<br />
Alexander Doll, Co-Deutschland-Chef von<br />
Barclays. In stagnierenden Branchen, etwa<br />
der Telekomindustrie, könnten Firmen nur<br />
noch durch Übernahmen wachsen.<br />
n „Viele der potenziellen Übernahmeziele<br />
haben sich schlankgespart und lupenreine<br />
Bilanzen, was sie noch attraktiver macht“,<br />
sagt Tim Schmiel, auf Übernahmen spezialisierter<br />
Manager von VM Vermögen in<br />
Düsseldorf. Potenzielle Ziele könnten dank<br />
hoher Cash-Flows Zinsen für Kredite aus<br />
Übernahmefinanzierungen selbst tragen.<br />
n Auch der Kursaufschwung dürfte helfen.<br />
„Börsennotierte Unternehmen können<br />
den Weg der Kapitalerhöhung<br />
nutzen oder ihre Aktien<br />
als Währung einsetzen“,<br />
sagt Jens Maurer, Leiter<br />
des deutschen Übernahmegeschäfts<br />
bei Morgan<br />
Stanley.<br />
n Ein Treiber sind aktivistische<br />
Investoren. Fonds<br />
wie Cevian und Finanzhaie<br />
wie Carl Icahn kaufen sich<br />
bei Unternehmen ein und<br />
drängen das Management<br />
zu Verkäufen von Teilen<br />
oder Zukäufen. „Sie haben<br />
mehr Geld eingesammelt<br />
als je zuvor und sind bereit,<br />
sogar die weltgrößten<br />
»<br />
FOTO: KURT FUCHS<br />
80 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
<strong>13</strong>0 Milliarden<br />
Dollar brachte Vodafone der<br />
Verkauf von Verizon<br />
Wireless, die Kasse lockt<br />
Aufkäufer wie AT&T<br />
30 Prozent<br />
legte die Vodafone-Aktie<br />
seit Ende August zu,<br />
mehr als doppelt so viel wie<br />
der Euro Stoxx 50<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
Übernahmekandidat Vossloh<br />
Der Bahntechniker könnte seine<br />
Transportsparte abstoßen<br />
Wer ist dran?<br />
Thiele (Knorr-Bremse, hält 25 Prozent)<br />
Unternehmen anzugreifen“, sagt Wolfgang<br />
Fink, Chef des deutschen Investmentbankings<br />
bei Goldman Sachs.<br />
Andere Aktivisten wie der Hedgefonds<br />
Elliott steigen in laufende Übernahmen<br />
ein. Als der US-Konzern McKesson den<br />
Pharmahändler Celesio schlucken wollte,<br />
kaufte Elliott 25 Prozent der Celesio-Aktien<br />
und hätte den Deal blockieren können.<br />
Am Mittwoch sickerte durch,<br />
McKesson und Elliott würden sich einigen,<br />
Celesio stiegen um gut acht Prozent.<br />
Letztlich konnte Elliott einen um 50 Cent<br />
erhöhten Preis erzwingen. Wer sich bei<br />
den Übernahmen von Kabel Deutschland,<br />
Demag oder Techem in Elliotts Kielwasser<br />
hängte, verdiente in den vergangenen<br />
Jahren gut.<br />
n Noch mehr Feuerkraft haben Finanzinvestoren.<br />
In Private-Equity-Fonds schlummern<br />
weltweit 384 Milliarden Dollar, die<br />
investiert werden wollen. Der Druck auf<br />
die Fondsmanager, das Geld in Unternehmen<br />
zu stecken, steigt mit jeder Kursrally.<br />
2<strong>01</strong>3 verkauften sie vor allem Unternehmen,<br />
die sie in den Jahren vor der Finanzkrise<br />
erworben hatten. „Aber der Druck<br />
wächst, auch mehr Neugeschäft zu machen“,<br />
sagt Barclays-Banker Doll. Bei nicht<br />
börsennotierten Unternehmen kommen<br />
die Heuschrecken laut einer Studie des<br />
Wirtschaftsprüfers Ernst & Young (EY) immer<br />
seltener zum Zug, die Bereitschaft der<br />
Mittelständler, „für ihre Entwicklung mit<br />
Finanzinvestoren zusammenzuarbeiten,<br />
ist eher gering“, sagt EY-Partner Wolfgang<br />
Taudte. Fonds, die in Deutschland einsteigen<br />
wollen, könnten vermehrt börsennotierte<br />
Unternehmen mit breit gestreutem<br />
Aktienkapital ins Visier nehmen.<br />
Die wohl heißesten Gerüchte drehen<br />
sich um Telekomunternehmen. „Das Potenzial<br />
für Übernahmen und Fusionen in<br />
dem Sektor ist in Europa groß“, sagt Gabriel<br />
Bartholdi, Aktienstratege bei J. Safra Sarasin<br />
in Basel. Die Börsen sehen das genauso.<br />
Selbst in der üblicherweise ruhigen Zeit um<br />
den Jahreswechsel lösten Berichte über Finanzierungspläne<br />
des japanischen Mobilfunkers<br />
Softbank für den Kauf der Telekom-<br />
Tochter T-Mobile US starke Kursbewegungen<br />
aus. T-Mobile-US-Aktien legten in 14<br />
Tagen um gut ein Fünftel zu; Titel der Mutter<br />
Deutsche Telekom (Anteil rund 70 Prozent)<br />
stiegen auf ein Sechs-Jahres-Hoch.<br />
TELEKOMUNTERNEHMEN IM VISIER<br />
Schon seit dem Sommer ist der Kurs des<br />
Bonner Konzerns wachgeküsst: Weil sich<br />
seither eine Konsolidierungswelle in der<br />
Branche ankündigt, gewannen T-Aktien<br />
rund 40 Prozent. Berichte über Interessenten<br />
für T-Mobile US brachten Mitte Dezember<br />
noch mal Schwung in den Kurs. Als<br />
Interessent wird neben Softbank der Satelliten-TV-Anbieter<br />
Dish gehandelt.<br />
Sollte die Telekom ihr US-Abenteuer beenden,<br />
stünden ihr endlich die Mittel für<br />
einen großen Wurf in Europa zu Verfügung.<br />
Das Objekt der Begierde könnte die<br />
französische Orange (Ex-France-Télécom)<br />
sein. Das große Konsolidierungsspiel kann<br />
nur gewinnen, wer in Großbritannien,<br />
Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland<br />
signifikante Marktanteile hält oder erwirbt.<br />
Lukrativ, nicht wegen ihrer Größe,<br />
aber wegen kaufkräftiger Kundschaft, sind<br />
zudem die skandinavischen Märkte und<br />
Anbieter, die teils in Osteuropa, teils in<br />
Asien gut unterwegs sind.<br />
Ein großes Stück <strong>vom</strong> Kuchen versucht<br />
sich Telefónica zu sichern. Bisher sind die<br />
Spanier Minderheitsaktionär der Holding<br />
Telco, die zwar nur 22,45 Prozent der Anteile<br />
an Telecom Italia hält, damit aber den<br />
gesamten Konzern kontrolliert. Die Spanier<br />
wollen schrittweise die Großaktionäre<br />
Mediobanca, Intesa und Generali herauskaufen,<br />
um als neuer Mehrheitseigner Telco<br />
steuern zu können.<br />
Bei der deutschen E-Plus, Tochter der<br />
niederländischen KPN, sind die Spanier<br />
schon wesentlich weiter. Die Aktionäre der<br />
niederländischen Muttergesellschaft von<br />
E-Plus, KPN, stimmten im Herbst dem Verkauf<br />
an Telefónica Deutschland (bekannt<br />
als O2) für 8,55 Milliarden Euro zu. Das Geschäft<br />
ist noch nicht durch: Die Kartellbehörden<br />
nehmen die Übernahme kritisch<br />
unter die Lupe. Ein zweiter Interessent für<br />
E-Plus und die Mutter steht schon parat.<br />
Der mexikanische Milliardär Carlos Slim<br />
könnte über sein Unternehmen América<br />
Móvil schnell zuschlagen, falls die Kartellbehörden<br />
O2 absagen. Schon im Herbst<br />
legte América Móvil ein Angebot für KPN<br />
vor, zog dann aber zurück.<br />
Ebenfalls mit attraktiver Dividende, aber<br />
mit noch mehr Übernahmefantasie ausgestattet,<br />
ist die Teliasonera-Aktie. France<br />
Télécom wollte den schwedisch-finnischen<br />
Telekomkonzern schon kaufen. 2008<br />
wehrte Teliasonera das Angebot noch ab.<br />
Wer die nordeuropäischen und baltischen<br />
Märkte erobern will, kommt aber an Teliasonera<br />
nicht vorbei. Der aktuelle Börsenwert<br />
liegt sogar unter dem ehemaligen<br />
Kaufangebot von France Télécom. Da dürfte<br />
also noch was gehen.<br />
Daran gemessen ist Telekom Austria ein<br />
kleiner Fisch. Die Österreicher sind in der<br />
Zange zwischen Staat (28,4 Prozent Anteil)<br />
und América Móvil (22,8) geraten. Letztere<br />
würde gern aufstocken. Wie die Deutsche<br />
Telekom kaufte Telekom Austria insbesondere<br />
im Südosten Europas zu. Wegen des<br />
schon hohen Anteils von América Móvil an<br />
Telekom Austria forderten Gewerkschafter<br />
zuletzt eine „vollständige Rückverstaatli-<br />
FOTO: LAIF/REA/FREDERIC MAIGROT<br />
82 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
chung“. Auch in diesem Fall dürfte es einen<br />
Aufschlag für Aktionäre geben.<br />
Die Vodafone-Aktie ist mit einem Kurs-<br />
Gewinn-Verhältnis von 18 nicht mehr billig.<br />
Eine Alternative ist, auf Unternehmen<br />
zu wetten, die von Vodafone gefressen werden<br />
könnten. Nach der Übernahme von<br />
Kabel Deutschland könnten die Briten das<br />
Kabelimperium von John Malone ins Visier<br />
nehmen. Malone hält über seine Holding<br />
Liberty Global Kabelnetzbetreiber in zwölf<br />
europäischen Ländern. Wer seinen Kunden<br />
ein Bündel aus Festnetz, Internet, Mobilfunk<br />
und TV bieten will, kommt an Liberty<br />
Global nicht vorbei. Auch die BT<br />
Group könnte ein Opfer von Vodafone werden.<br />
Seit der Trennung von der Mobilfunksparte<br />
hat sich die ehemalige British Telecom<br />
auf Internet-Anschlüsse für Privathaushalte<br />
beschränkt. Attraktiv für Käufer<br />
wären neben der Kundenkartei die Festnetzinfrastruktur<br />
sowie das Firmenkundengeschäft,<br />
das BT Global global betreibt.<br />
CHANCENREICHE INDUSTRIEWERTE<br />
„Auch in der Industrie gibt es Konsolidierungsbedarf“,<br />
sagt Doll. Im Spätsommer<br />
2<strong>01</strong>3 erhöhte die schwedische AB Volvo ihren<br />
Anteil am Motorenbauer Deutz von 6,7<br />
auf knapp 25 Prozent. Da der zweite ehemalige<br />
Deutz-Großaktionär, Same Deutz-<br />
Fahr aus Italien, inzwischen ausgestiegen<br />
ist, wäre der Weg für eine Übernahme frei.<br />
Schuler-Aktien bieten ebenfalls Potenzial,<br />
trotz 60 Prozent Wertzuwachs in 14 Monaten.<br />
Am Pressenhersteller hält die österreichische<br />
Andritz 93,6 Prozent und müsste<br />
nach derzeitigen Kursen nur gut 50 Millionen<br />
Euro in die Hand nehmen, um Altaktionäre<br />
abzufinden. Mit 20 Prozent Aufschlag<br />
kostete der Komplettkauf 60 Millionen Euro<br />
– für die Grazer mit 5,2 Milliarden Euro Jahresumsatz<br />
ein Pappenstiel. Deutlich tiefer in<br />
die Tasche greifen müsste Knauf. Der Gipshersteller<br />
hat sich in einem ersten Anlauf 7,8<br />
Prozent an Klöckner & Co gesichert. Der<br />
Stahl- und Metallhändler ist an der Börse<br />
eine Milliarde Euro wert. Vorstellbar ist,<br />
dass Knauf sukzessive seine Anteile aufstockt,<br />
nachdem der Klöckner-Kurs 2<strong>01</strong>3 in<br />
etwa mit dem Markt gelaufen ist und damit<br />
keine überhitzte Aufkaufprämie hat.<br />
Fantasie ist auch in der Aktie des Bahntechnikers<br />
Vossloh. Nachdem die Familie<br />
nur noch etwas weniger als zehn Prozent<br />
hält, ist unklar, was mit dem Unternehmen<br />
passiert. Heinz Hermann Thiele, Inhaber<br />
des Autozulieferers Knorr Bremse, hat<br />
zwar dementiert, dass er sein 25-Prozent-<br />
Paket an Vossloh aufstocken oder gar<br />
»Es gibt keinen<br />
solchen Plan<br />
für die absehbare<br />
Zukunft«<br />
Aktionär Thiele über eine Vossloh-Übernahme<br />
Knorr-Bremse mit Vossloh verschmelzen<br />
und Vossloh von der Börse nehmen wolle.<br />
Besäße Thiele mehr als 30 Prozent der<br />
Vossloh-Aktien, müsste er den restlichen<br />
Aktionären ein Übernahmeangebot machen.<br />
Es gebe aber keinen solchen Plan<br />
„auf absehbare Zeit“, sagte Thiele im Dezember<br />
der WirtschaftsWoche.<br />
Als Optionen bleiben ihm aber eine Verschmelzung<br />
mit anderen Unternehmen<br />
Im Visier der Aufkäufer<br />
Kennzahlen der Kandidaten, wie wahrscheinlich eine Übernahme ist<br />
Unternehmen/Land/Branche<br />
Vodafone/GB/Telekom<br />
T-Mobile US/US/Mobilfunk<br />
Orange/FR/Telekom<br />
Telecom Italia/IT/Telekom<br />
Teliasonera/SE/Telekom<br />
Telekom Austria/A/Telekommunik.<br />
Liberty Global/GB/Kabelnetz<br />
BT Group/GB/Festnetz<br />
Deutz/DE/Industriemotoren<br />
Schuler/DE/Maschinen<br />
Klöckner & Co/DE/Stahlhandel<br />
Vossloh/DE/Bahntechnik<br />
Elexis/DE/Maschinenbau<br />
Mifa/DE/Fahrradhersteller<br />
Nanofocus/DE/Messtechnik<br />
SGL Carbon/DE/Spezialchemie<br />
Nordex/DE/Maschinenbau<br />
Tod’s /IT/Ledermode<br />
Puma/DE/Sportartikel<br />
GK Software/DE/Software<br />
Pironet/DE/Software<br />
P&I/DE/Software-Service<br />
Synaptics/US/Software<br />
Tibco/US/Software<br />
Teradata/US/Software-Service<br />
Yelp/US/Software<br />
OpenTable/US/Software-Service<br />
potenzielle Aufkäufer<br />
AT & T<br />
Softbank, Dish<br />
Deutsche Telekom<br />
Telefónica<br />
Orange<br />
América Móvil<br />
Vodafone<br />
Vodafone<br />
AB Volvo<br />
Andritz<br />
Knauf<br />
Knorr-Bremse<br />
SMS Gruppe<br />
Hero Cycles<br />
VW, BMW<br />
BMW, VW, Voith<br />
Wettbew. aus China<br />
LVMH<br />
Kering<br />
SAP<br />
Cancom<br />
Edge Holding<br />
Samsung<br />
SAP, HP<br />
Oracle<br />
Yahoo<br />
Yahoo, Google<br />
oder der Verkauf von Teilen. Laut Finanzdienst<br />
Bloomberg plant Vossloh, seine<br />
Transportsparte an China Railway abzustoßen.<br />
Analysten sehen das als Chance für<br />
die Chinesen, in Europa Fuß zu fassen.<br />
Noch nicht gefruchtet hat die Spekulation,<br />
dass die SMS Gruppe als Großaktionär<br />
bei der Technologieholding Elexis aufstocken<br />
könnte. Auch deshalb hat sich der Elexis-Kurs<br />
2<strong>01</strong>3 kaum nach oben bewegt,<br />
nachdem er sich seit 2009 binnen knapp<br />
vier Jahren vervierfacht hatte. Eine Investition<br />
in die Aktie sollte sich aber auf längere<br />
Sicht lohnen. Denn neben der Übernahmespekulation<br />
überzeugt Elexis mit einer hohen<br />
Eigenkapitalquote von 59 Prozent, soliden<br />
Cash-Flows und guten Gewinnen.<br />
Viel Musik ist in der Aktie des ostdeutschen<br />
Fahrradherstellers Mifa. Im Juli kündigte<br />
der eine strategische Partnerschaft<br />
mit dem größten indischen Fahrradher-<br />
1 = in Mio. Euro; 2 = Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis des Gewinns 2<strong>01</strong>2; l = Übernahme läuft oder sehr<br />
wahrscheinlich; l = Übernahme mittelfristig wahrscheinlich; l Übernahme möglich; Quelle: Bloomberg,<br />
eigene Recherchen<br />
ISIN<br />
GB00B16GWD56<br />
US87259<strong>01</strong>040<br />
FR000<strong>01</strong>33308<br />
IT0003497168<br />
SE0000667925<br />
AT0000720008<br />
GB00B8W67662<br />
GB00309<strong>13</strong>577<br />
DE0006305006<br />
DE000A0V9A22<br />
DE000KC<strong>01</strong>000<br />
DE0007667107<br />
DE0005085005<br />
DE000A0B95Y8<br />
DE0005400667<br />
DE00072353<strong>01</strong><br />
DE000A0D6554<br />
IT0003007728<br />
DE0006969603<br />
DE0007571424<br />
DE0006916406<br />
DE00069<strong>13</strong>403<br />
US87157D1090<br />
US88632Q1031<br />
US88076W1036<br />
US9858171054<br />
US68372A1043<br />
Kurs<br />
(in Euro)<br />
2,86<br />
24,70<br />
9,09<br />
0,80<br />
5,92<br />
6,14<br />
64,32<br />
4,60<br />
6,68<br />
26,62<br />
10,40<br />
69,80<br />
24,<strong>01</strong><br />
6,70<br />
3,50<br />
29,55<br />
11,32<br />
109,80<br />
225,95<br />
48,50<br />
4,87<br />
51,<strong>01</strong><br />
39,92<br />
16,75<br />
33,72<br />
53,91<br />
61,<strong>13</strong><br />
Börsenwert<br />
1<br />
<strong>13</strong>8758<br />
19780<br />
24089<br />
14460<br />
25647<br />
2721<br />
25547<br />
36397<br />
807<br />
796<br />
1037<br />
930<br />
221<br />
66<br />
10<br />
2098<br />
916<br />
3367<br />
3408<br />
92<br />
71<br />
393<br />
<strong>13</strong>21<br />
2731<br />
5499<br />
3762<br />
1422<br />
KGV<br />
<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
12,3<br />
52,2<br />
9,5<br />
9,7<br />
11,8<br />
17,8<br />
73,5<br />
16,8<br />
<strong>13</strong>,8<br />
12,9 2<br />
32,3<br />
16,5<br />
16,2<br />
23,1<br />
25,0<br />
73,3<br />
29,8<br />
20,2<br />
20,4<br />
17,8<br />
23,8 2<br />
18,9 2<br />
19,3<br />
36,2<br />
17,4<br />
414,7<br />
52,3<br />
Status<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
l<br />
»<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 83<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
steller Hero Cycles an. Es sei vorgesehen,<br />
dass Hero eine Minderheitsbeteiligung<br />
an Mifa kauft. Details soll es geben,<br />
sobald „diesbezügliche Verhandlungen<br />
fortgeschritten sind“. Seither ist Funkstille,<br />
das Unternehmen sagt, man verhandle<br />
noch. In einer (von Mifa bezahlten) Studie<br />
schreibt Montega Research, dass sie, wenn<br />
es zu einer Kooperation und Minderheitsbeteiligung<br />
komme, „eine spätere Übernahme<br />
von Mifa nicht für unwahrscheinlich<br />
erachten“. AWD-Gründer Carsten<br />
Maschmeyer kontrolliert rund 28 Prozent<br />
der Mifa. Interessiert könnte auch die Cycleurope<br />
sein, einer der größten europäischen<br />
Fahrradkonzerne, mit dem Mifa bei<br />
der Entwicklung und Produktion hochwertiger<br />
Fahrräder und E-Bikes kooperieren<br />
will. Investoren haben das Schicksal des<br />
Wettbewerbers Derby Cycle vor Augen, der<br />
nach einem gescheiterten Übernahmeversuch<br />
durch die niederländische Accell<br />
Group 2<strong>01</strong>2 von der niederländischen Pon<br />
Holdings übernommen wurde.<br />
Kollenda sieht Kandidaten derzeit vor<br />
allem im High-Tech-Bereich. Nanofocus<br />
entwickelt optische 3-D-Oberflächen-<br />
Messtechnik und will in die Produktionsüberwachung<br />
einsteigen. Interessant wäre<br />
das vor allem für die Automobilbranche.<br />
Die muss bei neuen Motoren den Spritverbrauch<br />
senken; dazu ist es notwendig,<br />
die Reibung innerhalb des Motors zu verringern.<br />
Nanofocus hat Überwachungssysteme<br />
entwickelt, die Motorblöcke aus der laufenden<br />
Produktion zerstörungsfrei vermessen<br />
können. Früher musste man den<br />
Block zersägen, um genaue Stichproben zu<br />
Übernahmekandidat Mifa<br />
Der Fahrradbauer profitiert <strong>vom</strong><br />
boomenden Markt für E-Bikes<br />
Wer ist dran?<br />
Hero Cycles (Indien)<br />
nehmen. „Ein Unternehmen wie VW oder<br />
BMW könnte versuchen, sich diese Technologie<br />
exklusiv zu sichern und Nanofocus<br />
zu kaufen, um die Belieferung von Mitbewerbern<br />
zu verhindern“, hofft Kollenda.<br />
Er verweist auf den Bieterkampf in der<br />
Carbon-Industrie, der Werkstoff wird für<br />
leichte Bauteile benötigt. BMW-Erbin Susanne<br />
Klatten hat sich über ihr Investmentbüro<br />
SKion, das 26,9 Prozent an SGL Carbon<br />
hält, und indirekt als Hauptaktionärin<br />
von BMW (der Autobauer besitzt weitere<br />
16 Prozent an SGL) schon fast die Aktienmehrheit<br />
gesichert. Weitere Zukäufe werden<br />
aber von anderen Investoren blockiert;<br />
so hält VW knapp zehn Prozent, der<br />
Maschinenbaukonzern Voith rund neun.<br />
Mit im Spiel ist Klatten auch beim Windanlagenbauer<br />
Nordex. Dessen Vorstandschef<br />
katapultierte am Dienstag den Aktienkurs<br />
um gut neun Prozent nach oben, als er<br />
»Eine spätere<br />
Übernahme halten<br />
wir nicht für<br />
unwahrscheinlich«<br />
Montega Research in einer Mifa-Auftragsstudie<br />
in einem Interview die Aktie als Übernahmeziel<br />
chinesischer Branchengrößen ins<br />
Spiel brachte.<br />
Im Juli hatte der französische Luxuskonzern<br />
LVMH für zwei Milliarden Euro den<br />
Kaschmirweber Loro Piana übernommen.<br />
„Der Trend zu Übernahmen in der Luxusbranche<br />
beschleunigt sich“, sagte damals<br />
Milton Pedraza, Chef des New Yorker Beraters<br />
Luxury Institute LLC, gegenüber<br />
Bloomberg. Mit dem Kauf des italienischen<br />
Familienunternehmens könnte LVMH den<br />
Grundstein für weitere Übernahmen legen.<br />
Gelingen könnten die, wenn LVMH<br />
den bisherigen Piana-Inhaber Pier Luigi<br />
Loro Piana in der Geschäftsführung seines<br />
Unternehmens lässt. Dann könnten sich<br />
weitere Unternehmer dazu entschließen,<br />
ihre Marken LVMH zum Kauf anzubieten –<br />
wenn sie weiter die Möglichkeit haben,<br />
mitzuentscheiden. So gilt auch Diego Della<br />
Valle mit seinem Konzern Tod’s als Kandidat<br />
für eine Übernahme. Das Unternehmen<br />
ist vor allem für seine Mokassins bekannt.<br />
Della Valle sitzt im Aufsichtsrat von<br />
LVMH; außerdem hält eine LVMH-Tochter<br />
3,5 Prozent an Tod’s. Potenzial hat Tod’s auf<br />
aktuellem Kursniveau noch: Mit einem geschätzten<br />
KGV von gut 20 für <strong>2<strong>01</strong>4</strong> ist Tod’s<br />
günstiger als europäische Modeaktien, die<br />
im Schnitt gut 15 Prozent teurer sind.<br />
Ein weiterer Luxusriese, die französische<br />
Kering (vormals PPR), zieht bei Puma die<br />
Strippen. Als die Ergebnisse des nach Adidas<br />
zweitgrößten deutschen Sportartikelherstellers<br />
zu wünschen übrig ließen, setzte<br />
Kering 2<strong>01</strong>3 einen Chefwechsel durch.<br />
Kering hatte 2007 von den Tchibo-Erben 27<br />
Prozent übernommen und relativ schnell<br />
auf 60 Prozent aufgestockt. Seither sammelte<br />
man weiter fleißig Puma-Anteile ein<br />
und hält inzwischen 83 Prozent. Gut möglich,<br />
dass dies noch nicht das Ende ist.<br />
HARTE GEWINNE MIT SOFTWARE<br />
Über 80 Prozent seit Empfehlung zugelegt<br />
hat das Papier des Softwareunternehmens<br />
IBS. Allerdings dürfte das Beste jetzt gelaufen<br />
sein. Anleger sollten die üppigen Gewinne<br />
mitnehmen. Stecken könnte man<br />
sie zum Beispiel in die kleine (knapp 40<br />
Millionen Euro Umsatz), aber hochprofitable<br />
GK Software. Das Unternehmen ist auf<br />
Softwarelösungen für den Einzelhandel<br />
spezialisiert. Zu den Kunden zählen Hornbach,<br />
Tchibo, Netto, Kaufhof und Douglas.<br />
Aufträge, wie zuletzt von Migros, werden<br />
oft zusammen mit SAP reingeholt. SAP beteiligte<br />
sich zum Jahresende mit gut fünf<br />
Prozent und hat ein bis Ende 2020 laufen-<br />
FOTOS: DDP IMAGES/CANDY WELZ, BLOOMBERG NEWS/ALESSIA PIERDOMENICO<br />
84 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
des Vorkaufsrecht an den faktisch gut 52<br />
Prozent, die noch in der Hand der Gründer<br />
sind. Die wollten auf dem aktuellen Kursniveau<br />
keine Aktien abgeben. Bei höheren<br />
Kursen könnte sich das ändern.<br />
Heiß begehrt sind Unternehmen, die<br />
über Cloud-Technologie verfügen, also<br />
Programme und Daten auf große Rechner<br />
im Internet auslagern. Der TecDax-Wert<br />
Cancom übernahm deshalb Pironet, die<br />
vor allem Mittelständler wie die Kulmbacher<br />
Brauerei oder den 1. FC Köln mit Softwaredienstleistungen<br />
beliefert. Ein Angebot<br />
von Cancom an die Aktionäre von Pironet<br />
von Mitte Dezember über 4,50 Euro pro<br />
Aktie wurde noch einmal auf 4,80 Euro erhöht.<br />
Cancom hält fast 75 Prozent, dürfte<br />
aber noch aufstocken. Schon jetzt plant<br />
Cancom Gewinnbeiträge von Pironet ein.<br />
Dass auch nach einer Mehrheitsübernahme<br />
durchaus noch Kursgewinne drin<br />
sind, beweist P&I Personal & Informatik.<br />
Das Unternehmen bietet Cloud-basierte<br />
Software für Personalmanagement. P&I<br />
wurde von der Carlyle Group an den Finanzinvestor<br />
Edge Holding weitergereicht.<br />
Der meldete zuletzt knapp 92 Prozent der<br />
Stimmrechte und bietet den Aktionären 50<br />
Euro je Aktie, P&I notiert darüber.<br />
»Der Trend zu<br />
Übernahmen in<br />
der Luxusbranche<br />
gewinnt an Fahrt«<br />
Milton Pedraza, Luxury Institute LLC, New York<br />
US-GIGANTEN MIT VOLLEN KASSEN<br />
Auch für die US-Technologieriesen bleibt<br />
der Aufkauf von Unternehmen eine wichtige<br />
Wachstumsstrategie, vor allem in den<br />
Boommärkten Internet, Tablets und<br />
Smartphones, Online-Werbung, Cloud<br />
Computing und Datenanalyse.<br />
Synaptics aus dem Silicon Valley liefert<br />
die Software für die Steuerung von Displays<br />
in Notebooks, Smartphones und<br />
Tablets, beispielsweise Amazons Kindle<br />
und Googles Nexus 5. Während Apple<br />
selbstentwickelte Technologie für die<br />
Steuerung seiner iPhones und iPads verwendet,<br />
setzt die Konkurrenz auf die Lösungen<br />
von Synaptics. Das Unternehmen<br />
ist relativ unbekannt und nicht teuer. Für<br />
Giganten wie Samsung und Lenovo könnten<br />
die Kalifornier zum Ziel werden; die<br />
Asiaten wollen sich stärker im Silicon Valley<br />
einkaufen.<br />
Auch Softwareanbieter Tibco könnte für<br />
Wettbewerber – Oracle, SAP, EMC, IBM –<br />
attraktiv sein. Tibco ist Spezialist für das<br />
Zusammenführen und Verwalten von Daten.<br />
Seine Produkte haben einen guten Ruf,<br />
sind in der Regel aber teurer als die der<br />
Konkurrenz. Tibco-Chef Vivek Ranadive<br />
hatte deshalb zuletzt Probleme, Wachstum<br />
vorzuweisen, was die Aktie unter Druck<br />
Übernahmekandidat Tod’s<br />
Der italienische Schuhhersteller ist für<br />
globale Luxuskonzerne interessant<br />
Wer ist dran?<br />
LVMH (hält 3,5 Prozent)<br />
Tabelle<br />
brachte. Tibco ist deshalb mit einem Börsenwert<br />
<strong>vom</strong> 3,6-fachen Jahresumsatz relativ<br />
billig. Seine Spotfire-Sparte, die große<br />
Datenmengen visualisiert, ist sehr erfolgreich<br />
im Wachstumsmarkt Datenanalyse.<br />
Der direkte Wettbewerber Tableau Software<br />
setzt nur knapp 200 Millionen Dollar<br />
um, wird aber mit dem 20-fachen Jahresumsatz<br />
bewertet.<br />
Als weitere Perle im Wachstumsmarkt<br />
Big Data gilt Teradata. Das Unternehmen<br />
ist ein Pionier bei Data-Warehousing (Zusammenführen<br />
und Auswerten von großen<br />
Datenmengen). Kunden sind Telekom-<br />
und Handelsriesen. 2<strong>01</strong>2 zog Teradata<br />
aus 2,7 Milliarden Dollar Umsatz 419<br />
Millionen Dollar Gewinn. Doch das<br />
Wachstum hat sich 2<strong>01</strong>3 abgeschwächt,<br />
vor allem wegen des Preisdrucks der Wettbewerber:<br />
Oracle, SAP, IBM, EMC und<br />
auch Amazon investieren stärker in Data-<br />
Warehousing. Die Aktie ist 2<strong>01</strong>3 von 64 auf<br />
45 Dollar gefallen. Teradata könnte mit<br />
seinem Umsatz von unter drei Milliarden<br />
Dollar zu klein sein, um in diesem Markt<br />
auf Dauer gegen die Großen zu bestehen.<br />
Zumindest einer der Top-Manager eines<br />
Wettbewerbers kennt das Unternehmen<br />
bestens: Mark Hurd, der frühere HP-Chef<br />
und jetzige Stellvertreter von Oracle-CEO<br />
Larry Ellison, führte früher Teradata.<br />
Internet-Größen wie Google, Yahoo<br />
oder Facebook kaufen in der Regel noch<br />
nicht börsennotierte Wachstumsunternehmen.<br />
Jetzt fordert die Börse, dass sie<br />
ihren Umsatz signifikant ausbauen, deshalb<br />
könnten sie vermehrt börsennotierte<br />
Unternehmen kaufen, deren Geschäftsmodelle<br />
ausgereift sind. Zum Beispiel die<br />
Vermarkter Yelp und OpenTable, die beide<br />
mit dem Vermitteln von Dienstleistungen,<br />
vorrangig von Restaurantbuchungen,<br />
gut Umsatz machen. Die Aktien sind<br />
schon teuer, was jedoch einen Aufkauf<br />
nicht ausschließt.<br />
Für Größen wie Yahoo oder Google würde<br />
eine Übernahme Sinn machen. Yahoo<br />
wollte Yelp schon vor dem Börsengang<br />
schlucken, scheiterte aber. Der erwartete<br />
Börsengang der chinesischen Yahoo-Beteiligung<br />
Alibaba aber dürfte Milliarden in<br />
die Kassen von Yahoo spülen. Chefin Marissa<br />
Mayer steht unter dem Druck, in Bereiche<br />
mit bewährten Geschäftsmodellen<br />
zu expandieren, und könnte deshalb einen<br />
Aufpreis für Yelp oder OpenTable akzeptieren.<br />
n<br />
stefan hajek, matthias hohensee | Silicon Valley,<br />
sebastian kirsch, hauke reimer | Frankfurt, christof<br />
schürmann, cornelius welp | Frankfurt, geld@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 85<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
In die roten Zahlen gelotst ZDF-Traumschiff<br />
MS Deutschland<br />
Licht ins Dunkel<br />
ANLEIHEN | Im Minibondmarkt tauchen zweifelhafte<br />
Geschäftemacher auf. Immer mehr Anleihen fallen aus.<br />
Warum es noch mehr Pleiten geben könnte.<br />
Das Traumschiff MS Deutschland<br />
schippert aktuell in Vietnam herum.<br />
Die thailändische Insel Ko Samui<br />
haben die Passagiere bereits hinter sich gelassen,<br />
sie haben den königlichen Palast in<br />
Bangkok und die Tempelanlagen von Angkor<br />
Wat bestaunt. Zwischen 3995 („Kabine<br />
Fortuna innen“) und 15 740 Euro („Eigner-<br />
Suite“) kostet der 17-tägige Spaß. Offenbar<br />
reicht das nicht: Im ersten Halbjahr 2<strong>01</strong>3<br />
fuhr der in die Jahre gekommene Dampfer<br />
einen Fehlbetrag von 4,8 Millionen Euro<br />
ein – er hält sich nur über Wasser, weil der<br />
bisherige Gesellschafter Aurelius einen<br />
Millionenkredit zur Zahlung von Anleihezinsen<br />
gegeben hat. Anleger haben der MS<br />
Deutschland Beteiligungsgesellschaft 50<br />
Millionen Euro geliehen, an der Börse sind<br />
die Bonds nur noch 33 wert. Die Agentur<br />
Scope hat ihr Rating zurückgezogen, begleitet<br />
<strong>vom</strong> Protest des Unternehmens.<br />
Mitte der Woche meldete Aurelius den<br />
Verkauf der MS Deutschland an Finanzinvestor<br />
Callista. Er wirbt damit, binnen<br />
sechs Monaten die Sanierung seiner Käufe<br />
einzuleiten. Die Anleihe stieg. Anleger<br />
könnten sich zu früh freuen: Callista wurde<br />
neu gegründet, das Schiff ist ihr erster Kauf.<br />
Und Sanierung heißt bisweilen Pleite: Das<br />
schuldenfreie Unternehmen wirtschaftet<br />
weiter, Anleger werden mies abgefunden.<br />
Zwar ist der Traumschiff-Bond mit dem<br />
Schiff besichert. Doch ob ein Verkauf die 50<br />
Millionen bringen würde, ist ungewiss. Für<br />
Anleger sei es am besten, lästerte ein Investor,<br />
wenn der Kahn im Hafen absaufe und<br />
die Versicherung zahlen müsse.<br />
440 MILLIONEN EURO PERDU<br />
Schlechte Nachrichten von Mittelstandsanleihen<br />
kamen zuletzt Schlag auf Schlag:<br />
Im September rutschte der Windpark-Projektierer<br />
Windreich in die Pleite (siehe Seite<br />
60). Abfallverwerter FFK Environment<br />
beantragte im Oktober Insolvenz. Mitte<br />
November folgte die börsennotierte Getgoods.<br />
Eine Farce – keine vier Wochen zuvor<br />
hatte der Online-Händler verkündet,<br />
eine 60 Millionen schwere Anleihe erfolgreich<br />
platziert zu haben. Am 10. Dezember<br />
bereitete der Münchner Personalvermittler<br />
HKW Personalkonzepte seinen Insolvenzantrag<br />
vor. Drei Tage später war es bei der<br />
börsennotierten S.A.G. Solarstrom so weit.<br />
Der Anlagenbauer befindet sich nun im Insolvenzverfahren<br />
in Eigenverwaltung.<br />
Jetzt ist klar: Ausfälle im Mittelstand treffen<br />
nicht mehr bloß Emittenten aus den<br />
gebeutelten erneuerbaren Energien. Mittelständler<br />
haben seit 2<strong>01</strong>0 mit gut 100<br />
Bonds fast fünf Milliarden Euro bei Anlegern<br />
gepumpt. Doch Zinsen von bis zu 11,5<br />
Prozent können viele nicht erwirtschaften,<br />
rund 440 Millionen Euro sind schon perdu.<br />
Ausfälle sind das eine Problem – doch<br />
immer häufiger treten nun auch zweifelhafte<br />
Geschäfte ans Tageslicht. Mehrere<br />
Staatsanwaltschaften ermitteln.<br />
n Die Staatsanwaltschaft Schwerin verdächtigt<br />
German-Pellets-Geschäftsführer<br />
Peter Leibold des Kreditbetruges, Betruges<br />
und der unrichtigen Darstellung von Bilanzen.<br />
German Pellets und Leibold weisen<br />
Vorwürfe zurück und gehen davon aus,<br />
dass das Verfahren eingestellt wird.<br />
n Bei Windreich vermutet die Staatsanwaltschaft<br />
Stuttgart Insolvenzverschleppung,<br />
Bilanzmanipulation und Kreditbetrug. Ex-<br />
Chef Willi Balz widerspricht: Er habe „korrekt<br />
bilanziert“, schrieb er der Redaktion.<br />
n Die Akte von Getgoods hat die Staatsanwaltschaft<br />
Frankfurt/Oder nun an die Abteilung<br />
für Wirtschaftskriminalität in Potsdam<br />
geschickt. Die Frankfurter hatten Unternehmen<br />
und Privaträume des Geschäftsführers<br />
Markus Rockstädt-Mies<br />
durchsucht. Verdacht:Unterschlagung von<br />
Ware im Wert von 50 Millionen Euro und<br />
ein möglicher Verstoß gegen das Aktienrecht.<br />
Getgoods soll Handys verkauft haben,<br />
die eine Firma nur gelagert hatte. Hätte<br />
er Verkäufe als Umsatz ausgewiesen, wären<br />
Finanzberichte falsch. Getgoods und<br />
Röckstädt-Mies wollten sich nicht äußern.<br />
n Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden<br />
geht gegen Mitarbeiter des Internet-Unternehmens<br />
Unister vor, dem Anteile am<br />
Online-Vermittler Travel24 gehören. Travel24<br />
wurde im Dezember durchsucht.<br />
Verdacht: Computerbetrug. Als Beschuldigte<br />
werden auch Vorstand und der Aufsichtsratschef<br />
der Travel24.com AG geführt.<br />
Das zu Travel24 gehörende Flugportal<br />
flug24.de soll Preisvorteile nicht an<br />
Kunden weitergegeben haben. Ermittelt<br />
wird auch wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung.<br />
Travel24 weist Vorwürfe zurück.<br />
Leidtragende sind Sparer, der Bondkurs<br />
sackte auf rund 72 Prozent.<br />
ALTER BEKANNTER<br />
Den Markt geentert hat Axel Sartingen. Er<br />
ist Aufsichtsratschef beim Online-Spiele-<br />
Vermarkter Gamigo und hat bisher als klagefreudiger<br />
Aktionär von sich reden gemacht,<br />
der Vergleiche mit Unternehmen<br />
schließt. Das Landgericht Düsseldorf hat<br />
ihn 2<strong>01</strong>2 wegen Marktmanipulation zu 60<br />
Tagessätzen verurteilt. Das sei bekannt ge-<br />
FOTO: FLASHMEDIA BILD/HAUSER<br />
86 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Anleger haben<br />
fünf Milliarden<br />
Euro verliehen<br />
wesen, sagt Sartingen. Er sei „unbestraft“.<br />
Gamigo hat zwölf Millionen eingesammelt.<br />
Doch die Zahlen überzeugen nicht: In den<br />
ersten neun Monaten summierte sich der<br />
Nettoverlust auf 3,5 Millionen Euro.<br />
Mit Interessenkonflikten belastet ist die<br />
Konstruktion bei German Pellets, die Holzpellets<br />
zum Heizen verkaufen. Geschäftsführer<br />
Peter Leibold und Ehefrau Anna Kathrin<br />
gehört der Laden. Anleger leihen der<br />
German Pellets GmbH Geld. Ein Teil ist in<br />
US-Pelletwerke geflossen. Damit fängt das<br />
Problem an: Bei einer Pleite haben Sparer<br />
keinen Zugriff, da die Werke einer Stiftung<br />
in Österreich gehören, deren Begünstigte<br />
Frau Leibold ist.<br />
Das erste US-Werk der Stiftung, Texas<br />
Pellets, wird von der Emittentin nur betrieben.<br />
Das zweite Leibold-Werk, Louisiana<br />
Pellets, soll bis zum Frühjahr laufen. Die<br />
Ratingagentur Creditreform taxiert die Investitionen<br />
der Emittentin in US-Projekte<br />
auf 75,7 Millionen Euro.<br />
Die US-Werke, so die Emittentin, würden<br />
„grundsätzlich“ über Bonds der US-<br />
Gesellschaften finanziert. Das Wort grundsätzlich<br />
benutzen Juristen, um ein Hintertürchen<br />
offenzulassen. Es ist ein Scheunentor:<br />
Zwar hat die Stiftung Bonds begeben,<br />
aber die Emittentin haftet für einen<br />
Teil der Schulden, bei Texas Pellets 23,3<br />
Millionen Euro. Einen Teil des Eigenkapitals<br />
der Stiftung hat die Emittentin laut Prospekt<br />
„darlehensweise“ überwiesen.<br />
Geht bei dem komplizierten Projekt etwas<br />
schief, könnte eine Kettenreaktion die<br />
Emittentin ins Trudeln bringen. Creditreform<br />
rechnet mit „einer starken Ausweitung“<br />
der Haftungsverpflichtungen für die<br />
Emittentin. Die wiederum wiegelt ab:<br />
Chancen lägen bei German Pellets, Risiken<br />
bei einer US-Investitionsgesellschaft.<br />
Undurchsichtig ist, wer Gewinne einstreicht.<br />
Wieso darf etwa Texas Pellets, die<br />
der Stiftung gehört, Rohstoffe kaufen, nur<br />
um das Holz an die German Pellets Texas<br />
LLC zu verkaufen, die das Werk betreibt<br />
und eine mittelbare Tochter der Emittentin<br />
ist? Und warum verkauft LLC fertige Pellets<br />
nicht an Endkunden, sondern wieder an<br />
Texas Pellets, welche dann – endlich! – Ware<br />
verkauft? Die Margen, beteuert German<br />
Pellets, streiche selbstredend LLC ein und<br />
damit mittelbar die Anleiheemittentin.<br />
Hohe Gewinnmargen hat die bitter nötig,<br />
sie hat sich sportlich verschuldet:<br />
Bonds über 152 Millionen Euro kosten elf<br />
Millionen Euro Zinsen jährlich, dazu kommen<br />
Genussrechte, Mezzaninekapital,<br />
Kredite. German Pellets hat mit Banken<br />
Covenants vereinbart – Kennzahlen, die erreicht<br />
werden müssen, damit Banken kein<br />
Geld einfordern. Teilweise wurden Covenants<br />
verletzt. Banken hätten aber keine<br />
Kredite gekündigt, die Linien bestünden<br />
weiter und würden „vertragsgemäß bedient“,<br />
so German Pellets.<br />
Trotzdem hat Creditreform German Pellets<br />
im November mit der mittelguten Note<br />
BBB bewertet. Heißt:Die Bonität ist okay.<br />
Verlass ist auf ein solches Rating nicht.<br />
Das letzte Rating des Personalvermittlers<br />
HKW Personalkonzepte vor der Insolvenz<br />
lag bei BBB- unter Beobachtung, immer<br />
noch eine stark befriedigende Bonität.<br />
»<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
»<br />
Erst drei Wochen vor der Insolvenz setzte<br />
Creditreform das Rating aus, nachdem HKW<br />
angekündigt hat, Zinsen später zu zahlen.<br />
Doch das Geld ist nicht weg – es hat nur<br />
ein anderer. Schuldner der Emittentin hätten<br />
„nicht fristgerecht“ gezahlt, der Emittentin<br />
fehle Liquidität zur Zinszahlung, begründete<br />
HKW. Merkwürdig, hatte man einen<br />
Teil des Geldes doch an sich selbst verliehen:<br />
Laut Creditreform sind Mittel im<br />
Konzernverbund weitergereicht worden.<br />
Im Gegenzug hätten Patronatserklärungen<br />
für die Emittentin bestanden. Es waren Finanzanlagen<br />
ausgewiesen, die die Zinsen<br />
„bei weitem überstiegen“.<br />
Forderungen von 5,54 Millionen Euro<br />
stehen zum Halbjahr Ende Juni im Finanzbericht.<br />
Schuldner war die nun ebenso insolvente<br />
HKW Holding GmbH, Mutter der<br />
Emittentin. Sie gehört je zur Hälfte den damaligen<br />
geschäftsführenden HKW-Gesellschaftern<br />
Dieter Kick und Gerrit Brunsveld.<br />
Weder Kick noch der vorläufige Insolvenzverwalter<br />
Axel Bierbach wollten sich<br />
Gut Holz! Bagger schaufelt bei German<br />
Pellets in Wismar Späne<br />
äußern. Brunsveld war nicht erreichbar.<br />
Schade, denn ein Bericht von Creditreform<br />
wirft Fragen über seine Rolle auf. Zukäufe,<br />
schreibt die Agentur, seien „nicht durch die<br />
operativ tätige HKW Personalkonzepte“<br />
getätigt worden, sondern unter dem Dach<br />
der niederländischen Kosinus Investments,<br />
die Brunsveld gehört. Angeblich<br />
sollte die Gruppe so umgebaut werden,<br />
dass die Emittentin von Gewinnen der<br />
Käufe profitiert hätte. Creditreform hielt<br />
dies „für dringend erforderlich, um die<br />
Transparenz gegenüber Dritten zu verbessern“.<br />
Dem Plan kam die Insolvenz zuvor.<br />
Die nächsten Verluste deuten sich an:<br />
3W Power, die das Geschäft des Elektrotechnikers<br />
AEG Power Solutions führt,<br />
konnte 9,25 Millionen Euro Zinsen für die<br />
100-Millionen-Anleihe zunächst nicht zahlen.<br />
Und bevor bekannt wurde, dass neue<br />
Investoren einspringen und Zinsen zahlen<br />
würden, schnellten Anleihe- und Aktienkurs<br />
in die Höhe. Die Finanzaufsicht BaFin<br />
nimmt nun eine „routinemäßige Vorprüfung“<br />
auf möglichen Insiderhandel vor.<br />
Hoffnung setzen Anleger nun auf den<br />
neuen Aufsichtsratschef Dirk Wolfertz, der<br />
einst die aus AEG-Töchtern gebaute Elexis<br />
aus der Krise holte. „Ich rechne damit, dass<br />
wir schon in wenigen Wochen auf die Anleihegläubiger<br />
und Aktionäre zugehen und<br />
ihnen einen Vorschlag zur Neupositionierung<br />
von 3W Power präsentieren können“,<br />
sagt Wolfertz. Anleger werden wohl nicht<br />
100 Prozent zurückerhalten. Ob der Abschlag<br />
bei 68 Prozent liegt, wie der Kurs signalisiert,<br />
bleibt abzuwarten. Mutige wetten<br />
mit kleiner Position auf den Turn-around.<br />
JEDER FÜNFTE BOND ABGESTÜRZT<br />
Laut Geschäftsbericht von Dezember war<br />
die Liquiditätssituation beim Tütensuppenhersteller<br />
Zamek schon zum Stichtag<br />
im Sommer angespannt und hat sich „im<br />
weiteren Verlauf noch nicht entspannt“.<br />
Der Fortbestand berge „nicht unerhebliche<br />
Gefahren“. Wer Bonds hält, kann überlegen,<br />
zum jüngst gestiegenen Kurs auszusteigen,<br />
bevor im Mai Zinsen anstehen.<br />
Laut Ratingagentur Scope notierte am 6.<br />
Januar fast jeder fünfte Minibond unter 65<br />
Prozent. Je niedriger der Kurs, umso höher<br />
die Rendite – und umso höhere Zinsen<br />
muss ein Mittelständler bieten, wenn er eine<br />
neue Anleihe auflegt. Ein mächtiges<br />
Problem, denn in den nächsten drei Jahren<br />
werden Minibonds über zwei Milliarden<br />
Euro fällig. Angeschlagene Unternehmen<br />
werden weder ihre Anleihe zurückzahlen<br />
noch eine neue begeben können – bei Kursen<br />
unter 100 ist das schlicht zu teuer. n<br />
annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />
Hier ist Vorsicht angesagt<br />
Wessen Anleihekurse bereits unter Wasser sind, wer noch in schwieriges Fahrwasser geraten könnte<br />
Unternehmen (Branche)<br />
Air Berlin (Luftfahrt)<br />
Alno (Küchenbau)<br />
Gamigo (Online-Spiele)<br />
German Pellets (Energie)<br />
More & More (Mode)<br />
MS Deutschland (Schifffahrt)<br />
MT-Energie (Biogas)<br />
Rena (Maschinenbau)<br />
3W Power (Elektrotechnik)<br />
Zamek (Nahrungsmittel)<br />
Bondvolumen 1<br />
(in Mio. Euro)<br />
Bond I-III: 500<br />
45<br />
12<br />
Bond I-II: 152<br />
8<br />
50<br />
<strong>13</strong>,6<br />
Bond I-II: 77,4<br />
100<br />
45<br />
Kurs/Rendite 2<br />
(in Prozent)<br />
105/4,6<br />
80,6/14,9<br />
83,5/14,3<br />
104,3/4,7<br />
81/14,8<br />
67/19,2<br />
34/55,4<br />
75/24,2<br />
31,8/106,8<br />
33,5/49,1<br />
Kommentar<br />
überlebt dank Aktionär Etihad; negatives Eigenkapital; Netto-Cash-Flow der ersten neun Monate 2<strong>01</strong>3 negativ<br />
negativer operativer Cash-Flow: –30,9 Mio. Euro (09/2<strong>01</strong>3); Eigenkapital negativ, zuletzt mit –11,9 Mio. Euro<br />
schreibt Verlust, zuletzt lag das Nettoergebnis der ersten neun Monate bei –3,5 Mio. Euro<br />
schwaches Eigenkapital: 14,4% (06/2<strong>01</strong>3); Achtung: Emittentin haftet für hohe externe Millionenschulden<br />
negatives Halbjahresergebnis: –1,3 Mio Euro, Finanzierungssituation laut Unternehmen teilweise angespannt<br />
Fehlbetrag zum 1. Halbjahr 2<strong>01</strong>3: –4,8 Mio. Euro; ehemaliger Mehrheitsgesellschafter finanzierte die Zinsen<br />
in Restrukturierung; hat Mitarbeiter entlassen; Halbjahresfehlbetrag 2<strong>01</strong>3: –20,3 Mio. Euro<br />
im 3. Quartal 2<strong>01</strong>3 negatives Ebitda: –5,5 Mio.Euro; Projekte verzögern sich; Rating wurde auf B gesenkt<br />
Zinszahlung verzögert; erwartet Verlust für 2<strong>01</strong>3; Restrukturierung der Anleihe wird vermutlich vorbereitet<br />
Verlust ausgeweitet; negativer Cash-Flow; Geschäftsbericht: Fortbestand birgt „nicht unerhebliche Gefahren“<br />
1 berücksichtigt sind Bonds in Mittelstandsanleihesegmenten der Börsen; 2 bei mehreren Bonds kürzeste Restlaufzeit; Quelle: Börsen, Finanzberichte, eigene Recherche; Stand: 9.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
FOTO: LAIF/ZENIT/LANGROCK<br />
88 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse<br />
Flott zum Ausgang<br />
PROKON | Der Windpark-Betreiber hat schockierend schlechte<br />
Zahlen vorgelegt. Nun wollen vermehrt Anleger ihre Genussrechte<br />
loswerden. Das könnte Prokon in die Knie zwingen.<br />
Die Mitarbeiter von Prokon haben<br />
durchaus kreative Argumente zur<br />
Hand, wenn sie ihren Anlegern erklären<br />
müssen, dass sie pro Jahr mehr Zinsen<br />
ausschütten, als sie verdienen:<br />
„Wenn das Steueraufkommen der Bundesrepublik<br />
nicht genügt“, schreibt ein Mitarbeiter,<br />
wie es seit Jahrzehnten üblich sei,<br />
dann würden im Grunde die Zinsen für<br />
deutsche Staatsanleihen nicht aus Gewinnen<br />
bezahlt, sondern mit Geld, das man<br />
neu aufnehme. „Warum vertraut man der<br />
Bundesrepublik sein Geld an, obwohl sie<br />
die Zinsen nur aus neuen Krediten zahlen<br />
kann? Weil angenommen wird, dass die<br />
Rückzahlungen nicht gefährdet sind.“<br />
Dieses Prinzip soll auch für Prokon gelten.<br />
Der Ökospezialist aus Itzehoe hat bei<br />
74 832 Anlegern knapp 1,4 Milliarden Euro<br />
in Form von Genussrechten eingesammelt,<br />
die er unter anderem in Windparks<br />
investiert. Die Zeichner erhielten hierfür in<br />
den vergangenen Jahren bis zu acht Prozent<br />
Zinsen, obwohl Prokon mit seinen<br />
Unternehmen operativ so viel gar nicht<br />
erwirtschaftet hat (WirtschaftsWoche<br />
05/2<strong>01</strong>3). Wie Prokon das macht, lässt die<br />
Mail des Vertriebsmitarbeiters erahnen: Er<br />
weist darauf hin, dass die langfristige Ertragserwartung<br />
dazu berechtige, „aktuell<br />
Zinsen aus frisch aufgenommenem Kapital<br />
Gegen Windmühlen Genussrechte-Anbieter<br />
führt mühsamen Abwehrkampf<br />
»Leider lassen<br />
sich Anleger<br />
von Medien<br />
verängstigen«<br />
Aus einem Prokon-Brief an Anleger<br />
zu bezahlen, wenn der operative Gewinn<br />
zurzeit dazu nicht ausreicht“.<br />
Im Klartext: Die Anleger müssen darauf<br />
hoffen, dass die mit ihrem Geld finanzierten<br />
Investitionen irgendwann mal so viel<br />
Geld abwerfen, dass nicht nur die dann<br />
laufend fälligen Zinsen, sondern auch die<br />
zuvor ausgeschütteten wieder hereingeholt<br />
werden.<br />
Prokon lässt keinen Zweifel daran, dass<br />
das gelingt. Der konzernweite Verlust in<br />
Höhe von 171 Millionen Euro im vorvergangenen<br />
Jahr sei kein Grund zur Sorge,<br />
lässt Prokon seine Anleger wissen. Vielmehr<br />
sei es normal, dass ein Unternehmen<br />
in der Investitionsphase erst einmal Verluste<br />
mache, so wie die Hausfrau ja auch<br />
erst einmal investieren müsse, wenn sie<br />
Kekse backt (siehe Schaubild).<br />
Damit hat Prokon auch völlig recht. Verluste<br />
in der Investitionsphase sind weder<br />
schlimm noch außergewöhnlich, sofern<br />
das von Anlegern eingesetzte Kapital zuzüglich<br />
Zinsen später tatsächlich eingefahren<br />
wird. Genau das ist aber keineswegs so<br />
sicher, wie Prokon behauptet.<br />
Zum einen schüttet das Unternehmen<br />
schon seit Jahren mehr aus, als es operativ<br />
verdient, obwohl viele Windparks in Betrieb<br />
sind und laufend Geld reinkommt.<br />
2<strong>01</strong>3 wird sich das wohl nicht ändern: Prokon<br />
weist für die ersten zehn Monate ein<br />
Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen<br />
in Höhe von 33,5 Millionen<br />
Euro aus. Die Zinszahlungen an Anleger<br />
waren im selben Zeitraum mit 67 Millionen<br />
Euro doppelt so hoch. Das soll – behauptet<br />
Prokon – nicht so bleiben. 2020 plant das<br />
Unternehmen mit einem Gewinn in Höhe<br />
von 110 Millionen Euro und <strong>Ausgabe</strong>n für<br />
Zinsen von 95,7 Millionen Euro. 2040 soll<br />
das Genussrechtskapital vollständig zurückgezahlt<br />
sein.<br />
Das könnte bei der aktuellen Zinslast – je<br />
nach Tilgungsgeschwindigkeit – jedoch<br />
schwierig werden.<br />
DAS GELD DER ANLEGER IST TEUER<br />
Modell 1: Prokon hat etwa für seinen<br />
Windpark Bornstedt-Rottmersleben laut<br />
einer Übersicht aus dem Jahr 2<strong>01</strong>2 43,2<br />
Millionen Euro ausgegeben. 31,5 Millionen<br />
Euro davon waren Genussrechtskapital,<br />
weitere 11,7 Millionen Euro kamen von<br />
Banken.<br />
Angenommen, der Park erhält den Bankkredit<br />
für drei Prozent Zinsen pro Jahr und<br />
tilgt ihn innerhalb von zehn Jahren, dann<br />
würden 3,51 Millionen Euro Zinskosten<br />
anfallen. Für das Genussrechtskapital werden<br />
mindestens sechs Prozent pro Jahr fällig.<br />
Diese Annahmen sind für Prokon äußerst<br />
vorteilhaft, da die Zinslast in der Vergangenheit<br />
deutlich höher war.<br />
Hinzu kommen noch Verwaltungskosten<br />
in Höhe von zwei Prozent pro Jahr, bezogen<br />
auf das Genussrechtskapital. Mit<br />
dieser Kostenquote rechnete Prokon intern<br />
selbst, wie aus dem Geschäftsbericht einer<br />
anderen Konzerngesellschaft hervorgeht.<br />
Tilgt der Windpark das Genussrechtskapital<br />
erst nach 25 Jahren, entstehen Zinskosten<br />
in Höhe von 63 Millionen Euro. Unberücksichtigt<br />
bleiben Zinskosten in der Bauund<br />
Planungsphase. Der Park müsste bis<br />
zu seinem Lebensende folglich knapp 110<br />
FOTO: MAURITIUS IMAGES/AGE<br />
90 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Millionen Euro verdienen. Laut Prokons eigenen<br />
Prognosen wird der Park aber wohl<br />
nur auf einen Überschuss von 86 Millionen<br />
kommen. Die Rechnung ginge folglich<br />
nicht auf.<br />
Andere Parks verdienen zwar deutlich<br />
mehr, als sie müssen. Das reicht allerdings<br />
nicht. Für 20 typische Prokon-Windparks,<br />
die zwischen 1999 und 2<strong>01</strong>1 errichtet wurden,<br />
ist die Differenz zwischen Soll- und<br />
Ist-Rendite 95 Millionen Euro hoch.<br />
Die Rechnung ist auf die wesentlichen<br />
Kosten- und Ertragskomponenten reduziert<br />
und enthält einige Unbekannte. Sie<br />
zeigt aber, wie sehr die hohen Genussrechtszinsen<br />
das Geschäft belasten.<br />
PROBLEME MIT PALETTEN<br />
Modell 2: Prokons Rechnung geht hingegen<br />
auf, wenn die Windparks gleich ab<br />
dem ersten Lebensjahr beginnen, die<br />
Bankkredite und das hoch verzinste Genussrechtskapital<br />
zu tilgen. Das würde bei<br />
den 20 Windparks der ersten Modellrechnung<br />
die Zinslast – ausschließlich für die<br />
Parks – um knapp 40 Prozent drücken.<br />
Damit die Rechnung dann auch für den<br />
gesamten Konzern aufgeht, müsste das<br />
Unternehmen die von den Parks getilgten<br />
Genussrechte gleich wieder gewinnbringend<br />
investieren. Denn der Anleger will ja<br />
weiterhin mindestens sechs Prozent Zinsen<br />
auf sein eingesetztes Kapital haben.<br />
Dass das gelingt, ist höchst zweifelhaft.<br />
Denn bei Prokon läuft vieles nicht rund.<br />
Der Holzpalettenhersteller HIT Holzindustrie<br />
Torgau, an dem Prokon beteiligt ist,<br />
machte im vorvergangenen Jahr 6,8 Millionen<br />
Euro Verlust. Die Prokon Pflanzenöl<br />
GmbH, die etwa Biodiesel herstellt,<br />
steckt schon länger in Schwierigkeiten.<br />
2<strong>01</strong>2 lag das Minus bei 36,9 Millionen<br />
Euro.<br />
Die hohen Verluste müssen die<br />
Anleger – glaubt man Prokon – aber<br />
nicht weiter stören. Das Kapital sei<br />
durch Sachwerte, etwa durch Windparks<br />
abgesichert, die im Oktober<br />
2<strong>01</strong>3 knapp 1,8 Milliarden Euro wert<br />
gewesen sein sollen. Das wären 30<br />
Prozent mehr, als Anleger bis dahin<br />
eingezahlt haben. Ob die angesetzten<br />
Werte realistisch sind, ist nur schwer<br />
überprüfbar.<br />
Um „Stille Reserven“ zu ermitteln,<br />
wird ein Verkaufspreis für die Vermögenswerte<br />
geschätzt. Da es keinen re-<br />
»Lassen Sie uns<br />
gemeinsam den<br />
Großkonzernen<br />
die Stirn bieten«<br />
Aus einem Prokon-Brief an Anleger<br />
gen Handel mit gebrauchten Windparks<br />
gibt und auch die zukünftigen Einnahmen<br />
nicht genau vorherzusehen sind, ist das<br />
schwierig – bei jedem Unternehmen, nicht<br />
nur bei Prokon.<br />
Obwohl die Probleme nicht neu sind, geraten<br />
Anleger nun offenbar in Panik. So<br />
schreibt Prokon-Chef Carsten Rodbertus<br />
an einen Genussrechtsinhaber: „Leider lassen<br />
sich Anleger von Medien verängstigen<br />
und manipulieren, kündigen überstürzt ihre<br />
Genussrechte und entziehen uns damit<br />
Kapital.“ Der Brief liegt der WirtschaftsWoche<br />
vor. Rodbertus bittet den Anleger darin,<br />
auf eine Auszahlung der Zinsen „abweichend<br />
von seinen bisherigen Plänen“ zu<br />
verzichten, und geht einfach pauschal<br />
davon aus, dass das für den Genussrechtsinhaber<br />
in Ordnung ist. Bei „dringendem<br />
Kapitalbedarf“solle der Anleger sich innerhalb<br />
von acht Wochen melden.<br />
„Das widerspricht den Genussrechtsbedingungen“,<br />
sagt Marc Gericke, Kapitalmarktrechtler<br />
bei der Kanzlei Göddecke,<br />
„weil das Schweigen der Anleger unzulässigerweise<br />
als Zustimmung gewertet wird.“<br />
Die Anleger sollten sich genau überlegen,<br />
ob sie das wollten. „Sie tauschen ihren Anspruch<br />
auf Auszahlung in Genussrechtskapital.“<br />
Wenn der Anleger die Zinsen auf seinem<br />
Konto habe, sei das deutlich sicherer.<br />
Bei Prokon laufen nun die Leitungen<br />
heiß: „Es ist uns zurzeit leider nicht möglich,<br />
alle Anrufe sofort entgegenzunehmen“,<br />
heißt es auf der Homepage.<br />
Die Lage ist brandgefährlich. „Sollten<br />
sich weiterhin Anleger verängstigen lassen“,<br />
warnt Rodbertus in dem Brief, bestehe<br />
die Gefahr, dass nicht alle Auszahlungen<br />
fristgerecht geleistet werden können.<br />
„Schlimmstenfalls kommt es zur selbsterfüllenden<br />
Prophezeiung: Wir werden gezwungen“<br />
unter anderem die Windparks<br />
zu verkaufen. In einem anderen Brief an einen<br />
Anleger, der seine Genussrechte gekündigt<br />
hat, bittet Rodbertus bereits um<br />
Ratenzahlung.<br />
Wenn zu viele Anleger zum Ausgang<br />
drängen, drohen Notverkäufe. Bei solchen<br />
sind die Preise oft mies. Das wiederum hat<br />
schwerwiegende Folgen für all diejenigen,<br />
die investiert bleiben, weil möglicherweise<br />
kein Vermögen mehr vorhanden ist, wenn<br />
ihre Genussrechte fällig werden.<br />
Im Sinne aller Anleger wäre es, wenn zumindest<br />
der Großteil von ihnen die Ruhe<br />
behielte und Prokon-Chef Rodbertus die<br />
Zeit nutzt, um sein Unternehmen auf eine<br />
solide Finanzbasis zu stellen. So wie die<br />
Hausfrau auf günstigere Zutaten umsteigt,<br />
wenn sie ihre Luxuskekse nicht los wird. n<br />
melanie.bergermann@wiwo.de | Frankfurt<br />
Auf den Keks gegangen Prokon erklärt<br />
verunsicherten Investoren die Wirtschaft<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 91<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
DOPPELTER HAUSHALT<br />
Besser ohne<br />
die Tochter<br />
LEBENSVERSICHERUNG<br />
Kein Riester über 50?<br />
2<strong>01</strong>5 könnte der Garantiezins auf 1,25 Prozent fallen – mit überraschenden Folgen.<br />
Für Sparer über 50 dürfte es <strong>vom</strong> kommenden<br />
Jahr an schwer werden, eine Riester-Rentenpolice<br />
zu bekommen. Grund: Die Lebensversicherer<br />
werden voraussichtlich ihren Garantiezins für<br />
Neukunden auf 1,25 Prozent senken. Aktuell liegt<br />
er bei 1,75 Prozent. Der Garantiezins gilt zwar für<br />
Neukunden in allen Lebens- und Rentenversicherungen<br />
(abgesehen von Fondspolicen und<br />
neuen Policen ohne Garantien), doch bei Riester<br />
bereitet er besondere Probleme. Die Anbieter<br />
müssen Riester-Sparern garantieren, dass zum<br />
Rentenbeginn wenigstens die Summe aus Einzahlungen<br />
und staatlichen Zulagen als Guthaben<br />
vorliegt. Bevor Versicherer Kunden den Garantiezins<br />
gutschreiben, dürfen sie aber Kosten in<br />
Rechnung stellen. Somit verzinst sich nur ein Teil<br />
der Einzahlungen. Ist der Garantiezins niedrig,<br />
gleichen die garantierten Kapitalerträge die Kosten<br />
zu spät aus. Bei 1,25 Prozent Garantiezins<br />
und moderaten Kosten braucht dies etwa 17 Jahre.<br />
Wollten Kunden über 50 dann eine Riester-<br />
Police abschließen, würde der Garantiezins nicht<br />
mehr ausreichen, um den Kapitalerhalt zum<br />
Rentenbeginn zu erfüllen. Der Garantiezins gilt<br />
nach Abschluss für die Vertragslaufzeit. Altkunden<br />
haben daher höhere Garantien, bis zu 4,0<br />
Prozent. Die Deutsche Aktuarvereinigung hat der<br />
Bundesregierung die Absenkung empfohlen.<br />
Meist folgt die Regierung den Experten. Sollten<br />
die Renditen sicherer Anleihen im Jahresverlauf<br />
weiter steigen, könnte aber auch eine Absenkung<br />
um 0,25 Punkte auf 1,5 Prozent ausreichen.<br />
Ein Ehepaar setzte rund 9000<br />
Euro Kosten für eine Zweitwohnung<br />
als Kosten doppelter<br />
Haushaltsführung von der Steuer<br />
ab. Der Mann, ein Diplom-<br />
Ingenieur, nutzte die Wohnung<br />
aus beruflichen Gründen.<br />
Gleichzeitig lebte in der Zweitwohnung<br />
auch die Tochter des<br />
Paares. Diese war Anfang 30<br />
und hatte keine eigenen Einkünfte.<br />
Das Finanzamt wollte<br />
die Wohnungskosten nicht<br />
anerkennen und bekam vor<br />
dem Finanzgericht Münster<br />
recht (14 K 1196/10 E, Revision<br />
möglich). Werde eine Zweitwohnung<br />
auch einem Angehörigen<br />
überlassen, der Anspruch<br />
auf Unterhalt habe, überlagerten<br />
private Gründe die beruflichen<br />
Gründe, die für die Zweitwohnung<br />
sprechen, urteilten<br />
die Richter. Damit ließe sich<br />
nicht mehr ermitteln, welcher<br />
Anteil der Kosten beruflich entstanden<br />
ist. Da das Paar den an<br />
die Tochter geleisteten Unterhalt,<br />
zu dem auch die Kosten<br />
der Wohnungsüberlassung<br />
zählten, selbst steuerlich geltend<br />
gemacht hatte, würde eine<br />
zusätzliche Berücksichtigung<br />
als Kosten doppelter Haushaltsführung<br />
zu einer, zumindest<br />
teilweisen, doppelten Steuerermäßigung<br />
führen. Auch das sei<br />
nicht zulässig.<br />
RECHT EINFACH | Keller<br />
Das Souterrain gehört nicht zu<br />
den beliebtesten Etagen. Dennoch<br />
kann man sich deswegen<br />
böse in die Haare geraten – bis<br />
hin zum Gerichtstermin.<br />
§<br />
Schnorchel. Eine Berlinerin<br />
kaufte sich für 14 831 Euro<br />
eine Tauchausrüstung. Die<br />
Dame verstaute das Equipment<br />
in ihrem Keller. Kurz vor<br />
Weihnachten räumten Einbrecher<br />
den nur mit einem Vorhängeschloss<br />
gesicherten Kellerraum<br />
leer. Die Hausratversicherung<br />
wollte nur einen Bruchteil des Schadens<br />
erstatten, schließlich handele<br />
es sich um grobe Fahrlässigkeit. Das<br />
Gericht sah das ähnlich und sprach<br />
der Taucherin nur 11 877 Euro zu<br />
(Landgericht Berlin, 23 O 438/11).<br />
Altbau. Ein Mann aus Franken mietete<br />
eine Altbauwohnung. Nach Einzug<br />
bemerkte er, dass der Keller<br />
feucht war. Der Altbauliebhaber verlangte<br />
Mietminderung. Als sich der<br />
Hauseigentümer querlegte, zog der<br />
Mieter vor Gericht. Erfolg hatte er<br />
damit nicht. In Altbauten, so der<br />
Richter, sei mit einer „gewissen<br />
Feuchtigkeit“ im Untergeschoss zu<br />
rechnen. Empfindliche Gegenstände<br />
müssten eben in der Wohnung oder<br />
einem Depot untergebracht werden<br />
(Amtsgericht Ansbach, 2 C<br />
2268/11).<br />
Winterschlaf. Ein Hannoveraner<br />
lagerte im Keller Küchenutensilien,<br />
Reisetaschen und eine Schildkröte<br />
im Winterschlaf. Da die Tür zum<br />
Keller unverschlossen war, nahm<br />
der Vermieter an, dass der Raum<br />
als Müllhalde zweckentfremdet<br />
wurde. Kurzerhand ließ der Hauseigentümer<br />
den Verschlag räumen.<br />
Das Tier landete samt Transportbox<br />
auf einer Deponie. 560<br />
Euro musste der Eigentümer für<br />
seine eigenmächtige Aktion zahlen:<br />
260 Euro für die Gegenstände<br />
und 300 Euro für die Schildkröte<br />
(Amtsgericht Hannover, 502 C<br />
7971/<strong>13</strong>).<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/SODAPIX AG, FOTOLIA, PR<br />
92 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
KIRCHENSTEUER<br />
Automatisch in den Klingelbeutel<br />
Anleger zahlen auf Kapitalerträge<br />
25 Prozent Abgeltungsteuer.<br />
Oben drauf kommt als Zuschlag<br />
die Kirchensteuer. Der Kirchensteuersatz<br />
liegt in Bayern und<br />
Baden-Württemberg bei acht<br />
Prozent, in allen übrigen Bundesländern<br />
bei neun Prozent.<br />
Bisher werden nur die 25 Prozent<br />
Abgeltungsteuer automatisch<br />
abgeführt – unabhängig<br />
davon, ob die Anleger Kirchenmitglieder<br />
sind oder nicht. Wer<br />
nicht kirchensteuerpflichtig ist,<br />
muss Kapitalerträge seit 2009<br />
nicht mehr bei der Steuererklärung<br />
angeben. Vom 1. Januar<br />
kommenden Jahres an führen<br />
die Banken auch automatisch<br />
STEUERBESCHEID<br />
Einspruchsfrist beachten<br />
Finanzämter sind nach einem<br />
Urteil des Bundesfinanzhofs<br />
nicht verpflichtet, bei Steuerbescheiden<br />
darauf hinzuweisen,<br />
dass Einsprüche auch per<br />
E-Mail möglich sind (X R 2/12).<br />
Es genüge, die Steuerzahler darüber<br />
aufzuklären, dass Einsprüche<br />
schriftlich einzureichen<br />
sind. Laut Gesetz müssen<br />
Steuerzahler innerhalb eines<br />
Monats nach Eingang des Steuerbescheids<br />
Einspruch einlegen.<br />
Die Frist beginnt drei Tage<br />
nachdem das Finanzamt den<br />
Bescheid abgeschickt hat. Nach<br />
einem Einspruch muss das Finanzamt<br />
das Steuerverfahren<br />
neu aufrollen. Lehnt es den Einspruch<br />
ab, haben die Steuerzahler<br />
einen Monat Zeit, gegen<br />
das Finanzamt zu klagen. Fehlt<br />
im Steuerbescheid die Belehrung<br />
über die Rechtsmittel der<br />
Steuerzahler oder ist diese unverständlich<br />
formuliert, gilt<br />
nicht die kurze Frist von einem<br />
Monat, sondern eine längere<br />
Frist von einem Jahr, für den<br />
Einspruch und für die Klage.<br />
die Kirchensteuer auf abgeltungsteuerpflichtige<br />
Kapitalerträge<br />
ab.<br />
In diesem Jahr müssen die<br />
Anleger allerdings noch bei ihrer<br />
Bank, Versicherung oder<br />
Sparkasse ein Formular ausfüllen,<br />
mit dem das Finanzinstitut<br />
angewiesen wird, die Kirchensteuer<br />
abzuziehen und ans Finanzamt<br />
weiterzuleiten. Alternativ<br />
können sie Kapitalerträge<br />
in der Steuererklärung angeben,<br />
damit das Finanzamt die<br />
Kirchensteuer einzieht.<br />
Wer aus der Kirche ausgetreten<br />
ist, muss Bank und Finanzamt<br />
darüber informieren. Beim<br />
von 2<strong>01</strong>5 an geltenden automatisierten<br />
Verfahren müssen die<br />
Steuerzahler selbst nicht mehr<br />
aktiv werden. Bereits in diesem<br />
Jahr können die Kreditinstitute<br />
die Daten zur Religionszugehörigkeit<br />
der Anleger beim Bundeszentralamt<br />
für Steuern abrufen.<br />
Von 2<strong>01</strong>5 an sind Banken<br />
und Sparkassen gesetzlich dazu<br />
verpflichtet, einmal jährlich<br />
beim Bundeszentralamt nachzufragen,<br />
ob und in welchem<br />
Ausmaß die Anleger kirchensteuerpflichtig<br />
sind. Für Anleger,<br />
die keiner Religionsgemeinschaft<br />
angehören, die<br />
Kirchensteuer erhebt, ändert<br />
sich mit dem neuen Verfahren<br />
nichts.<br />
URHEBERRECHT<br />
Volljährige<br />
haften selbst<br />
Eltern, die Inhaber eines Internet-Anschlusses<br />
sind, haften<br />
nicht für illegale Downloads eines<br />
volljährigen Kindes, soweit<br />
sie keine Anhaltspunkte dafür<br />
hatten, dass gegen Gesetze verstoßen<br />
wird (Bundesgerichtshof<br />
I ZR 169/12). Volljährige<br />
Kinder seien eigenverantwortlich<br />
und müssten daher weder<br />
über illegale Downloads aufgeklärt<br />
noch überwacht werden,<br />
so die Richter.<br />
UNTERMIETER<br />
JENS KLARMANN<br />
ist Partner der<br />
Kanzlei Pasau<br />
Niemeyer<br />
Dorsch Klarmann<br />
David<br />
in Kiel.<br />
n Herr Klarmann, bei Untervermietungen<br />
kommt es<br />
immer wieder zu Streit zwischen<br />
Hauptmieter und<br />
Eigentümer. Was raten Sie<br />
den Vertragsparteien?<br />
Zwischen Hauptmieter und<br />
Eigentümer sollte klar geregelt<br />
sein, ob und unter welchen<br />
Bedingungen die Erlaubnis<br />
zur Untervermietung widerrufen<br />
werden kann. Zudem<br />
sollte im Mietvertrag stehen,<br />
innerhalb welcher Frist der<br />
Untermieter ausziehen muss.<br />
So schützt sich der Eigentümer<br />
vor unerwünschten Untermietern,<br />
und der Hauptmieter<br />
schafft Rechtssicherheit<br />
für seinen Untermieter.<br />
n Was gilt für das Verhältnis<br />
zwischen Hauptmieter und<br />
Untermieter?<br />
Hauptmieter und Untermieter<br />
sollten vereinbaren, dass das<br />
Mietverhältnis mit der Kündigung<br />
des Hauptmieters endet.<br />
Anderenfalls könnte sich der<br />
Hauptmieter gegenüber dem<br />
Eigentümer schadensersatzpflichtig<br />
machen, weil der<br />
nicht die komplette Wohnung<br />
vermieten kann und dadurch<br />
Einnahmeausfälle hat.<br />
SCHNELLGERICHT<br />
UNZULÄSSIGE KUNDENGUTSCHEINE<br />
§<br />
Autowerkstätten dürfen Kunden, die auf Kosten<br />
ihrer Versicherung das Auto reparieren lassen,<br />
keine Gutscheine für Folgeaufträge geben. Kunden<br />
hätten sonst einen Anreiz, die Werkstatt trotz eventuell<br />
überhöhter Reparaturpreise zu beauftragen (Oberlandesgericht<br />
Hamm, 4 U 31/<strong>13</strong>).<br />
GELDBUSSE WEGEN KLEINKIND OHNE GURT<br />
§<br />
Autofahrer müssen eine Geldbuße zahlen, wenn<br />
sich ein vierjähriges Kleinkind während der Fahrt<br />
abgeschnallt hat. Sie sind verpflichtet, das Tragen<br />
des Gurts laufend zu kontrollieren und eventuell stark<br />
befahrene Strecken ohne Kontrollmöglichkeit zu<br />
meiden (Oberlandesgericht Hamm, 5 RBs 153/<strong>13</strong>).<br />
STÜRZENDE LEHRERIN IM PECH<br />
§<br />
Stürzt eine Lehrerin beim Mittagessen in einem<br />
benachbarten Sparkassengebäude mit Kantine<br />
und verletzt sich, muss die gesetzliche Unfallversicherung<br />
dafür nicht aufkommen. Erst mit Durchschreiten<br />
der Außentür des Sparkassengebäudes<br />
hätte der Versicherungsschutz gegriffen (Landessozialgericht<br />
Baden-Württemberg, L 8 U 1506/<strong>13</strong>).<br />
KORREKTUR SCHIFFSFONDS HEFT 1/2/<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
§<br />
Das Emissionshaus MPC hat, anders als im Artikel<br />
genannt, den Schiffsfonds MS Santa Giovanna<br />
und nicht den MS Navalia 3 aufgelegt. Bei Auflage<br />
wurden 18,6 Millionen Euro investiert. MPC geht von<br />
3,5 Millionen Euro Verkaufserlös aus.<br />
n Kann ein neuer Eigentümer<br />
eine bestehende Erlaubnis<br />
zur Untervermietung<br />
einfach kündigen?<br />
Solange der alte Mietvertrag<br />
besteht, lässt sich die Erlaubnis<br />
nicht einseitig kündigen.<br />
Ein Widerruf wäre nur möglich,<br />
wenn eine der im Mietvertrag<br />
genannten Bedingungen<br />
erfüllt wäre. Eine Untervermietung<br />
wäre in diesem Fall nur<br />
auszuschließen, wenn beide<br />
Parteien dem einvernehmlich<br />
zustimmten.<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, niklas hoyer<br />
93<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Eine Versicherung<br />
brauchen Anleger nur, wenn sie<br />
etwas absichert. Alles andere ist<br />
überflüssig. Von Niklas Hoyer<br />
Das spar ich mir<br />
Wie wär es damit?<br />
Eine Geldanlage,<br />
in die Sie auf Jahrzehnte<br />
einzahlen<br />
und die Ihnen weniger als 0,5<br />
Prozent Zins auf Ihren Beitrag<br />
garantiert. Je nach Erfolg des<br />
Anbieters haben Sie außerdem<br />
die Chance, etwas mehr einzustreichen.<br />
Sollten Sie den Vertrag<br />
nicht durchhalten, hätten<br />
Sie allerdings Geld verloren.<br />
Kein Interesse? Verständlich.<br />
Genau damit werden Lebensund<br />
Rentenversicherer <strong>vom</strong><br />
kommenden Jahr an zu kämpfen<br />
haben, wenn der Garantiezins<br />
voraussichtlich sinkt (siehe<br />
Seite 92). Neukunden bekommen<br />
dann wohl nur noch 1,25<br />
Prozent Garantiezins vor Kosten<br />
in Aussicht gestellt, nach Kosten<br />
bleibt als echte Beitragsrendite<br />
– je nach Laufzeit – nicht mal<br />
halb so viel übrig. Schon bei aktuell<br />
1,75 Prozent Garantiezins<br />
wenden Kunden sich ab. Das<br />
Neugeschäft der Lebensversicherer<br />
ist binnen zehn Jahren<br />
um 40 Prozent eingebrochen.<br />
RISIKO BESSER TEILEN<br />
Zu Recht, die Kosten für eine<br />
derart ertragsschwache Geldanlage<br />
können Anleger sich getrost<br />
sparen. Schon eine simple Depotaufteilung<br />
mit je 30 Prozent<br />
Aktien und Anleihen, 25 Prozent<br />
Gold, 15 Prozent Tagesgeld und<br />
jährlicher Anpassung der Depotanteile<br />
hätte ihnen bei Sparbeginn<br />
zwischen 2000 und 2<strong>01</strong>2<br />
vier bis neun Prozent Rendite<br />
gebracht (WirtschaftsWoche<br />
1/2/<strong>2<strong>01</strong>4</strong>). Das Risiko dieses<br />
Mischdepots ist überschaubar.<br />
Überflüssig sind Versicherungen<br />
dennoch nicht. Anleger<br />
brauchen sie – als Versicherung,<br />
nicht als Anlage. Versicherte<br />
zahlen dafür, dass eine<br />
Gruppe Risiken trägt, die sie<br />
allein nicht schultern könnten.<br />
Dass ein solches Risiko eintritt,<br />
ist nicht sehr wahrscheinlich. Ist<br />
der Schaden beim Eintritt groß<br />
und würde den Einzelnen in den<br />
Ruin treiben, macht es dennoch<br />
Sinn, für Schutz zu zahlen.<br />
Das Geschäft der Lebensversicherer<br />
hat damit wenig zu tun.<br />
Die meisten Versicherten sollen<br />
laut Vertrag 20 oder 30 Jahre<br />
einzahlen und bekommen zum<br />
Schluss Geld auf einen Schlag.<br />
Risikokomponenten, etwa Auszahlungen<br />
im Todesfall an Angehörige<br />
oder Renten bei Berufsunfähigkeit,<br />
sind nur mit<br />
Kleinbeträgen enthalten. Meist<br />
sind die Leistungen viel zu gering,<br />
um Schutz zu bieten.<br />
Allenfalls Rentenpolicen sichern<br />
auch etwas ab. Aus ihnen<br />
fließt das Geld später lebenslang<br />
in monatlichen Raten. Sie schützen<br />
Versicherte so davor, dass<br />
sie, wenn sie lange leben, in Altersarmut<br />
rutschen. Noch lassen<br />
sich laut Bund der Versicherten<br />
aber 90 Prozent aller<br />
Rentenversicherten später<br />
keine Rente auszahlen, sondern<br />
doch alles auf einen Schlag.<br />
Grund: Versicherte mit vor 2005<br />
abgeschlossenen Policen profitieren<br />
bei Einmalauszahlung von<br />
Steuerfreiheit. In Zukunft, wenn<br />
nach 2005 abgeschlossene Policen<br />
auslaufen, dürften sich<br />
mehr Versicherte für eine Rente<br />
entscheiden. Fakt ist aber auch,<br />
dass die Versicherer so hohe Lebenserwartungen<br />
ansetzen, teils<br />
über 110 Jahre, dass die Verrentung<br />
nicht attraktiv ist. Angesichts<br />
der Niedrigzinsen müssen<br />
Versicherer sich jetzt entscheiden:<br />
Nur wer sich auf seine Stärken<br />
besinnt und wesentliche<br />
Risiken fair absichert, hat Anlegern<br />
noch etwas zu bieten.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Basisarbeit für die Kurse<br />
Mit Rücksicht auf die Märkte werden sich die<br />
Notenbanken hüten, die Zinsen zu früh anzuheben.<br />
Am 1. Februar wird die Führung<br />
der US-Notenbank von Ben<br />
Bernanke auf Janet Yellen übergehen.<br />
Ändern wird sich an der<br />
expansiven Geldpolitik nichts.<br />
Die monatlichen Anleihekäufe<br />
werden zwar von 85 Milliarden<br />
Dollar auf 75 Milliarden zurückgefahren.<br />
Im jüngsten Fed-<br />
Protokoll aber ist zu lesen, dass<br />
der Nutzen der Kaufprogramme<br />
für die Stabilisierung der<br />
Anleihemärkte zuletzt kaum<br />
noch spürbar war (siehe Chartsignal<br />
Seite 99). Die Notenbanker<br />
erwarten bei dieser Rücknahme<br />
bisher keine negativen<br />
Folgen für die Märkte. Dass die<br />
US-Wirtschaft langsam in die<br />
Gänge kommt und etwa IWF-<br />
Chefin Christine Lagarde für die<br />
Konjunktur in Amerika „<strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
viel mehr Sicherheit“ sieht,<br />
Die zwei von der Stütze<br />
Noch-Fed-Chef Bernanke<br />
und Nachfolgerin Yellen<br />
muss nicht automatisch den<br />
großen Zinsanstieg einleiten.<br />
IWF und Fed rechnen mit zunehmenden<br />
Risiken in den<br />
Schwellenländern – ein weiterer<br />
Grund, warum die Geldpolitik<br />
großzügig bleiben dürfte.<br />
Auch in Europa bleiben die<br />
Leitzinsen auf niedrigem Niveau,<br />
verspricht EZB-Chef Mario<br />
Draghi. Bei weniger als einem<br />
Prozent Inflation besteht<br />
auf absehbare Zeit kein Bedarf,<br />
den Leitzins (derzeit 0,25 Prozent)<br />
anzuheben. Dabei will<br />
Draghi in Zukunft stärker dafür<br />
sorgen, dass die Geldspritzen<br />
der EZB nicht überwiegend in<br />
den Banken bleiben, sondern<br />
(über Kreditvergabe) an die Unternehmen<br />
gehen. Das kommt<br />
der Konjunktur zugute – und<br />
damit auch den Aktienkursen.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 9.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> / 18.03 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9421,61 +0,2 +22,0<br />
MDax 16543,03 +0,2 +33,8<br />
Euro Stoxx 50 3090,26 +1,0 +14,2<br />
S&P 500 1833,65 +0,1 +25,5<br />
Euro in Dollar 1,3612 –0,3 +4,3<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,90 –0,04 2 +0,43 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,99 ±0 2 +1,12 2<br />
Rohöl (Brent) 3 107,11 –1,4 –5,0<br />
Gold 4 1226,00 +0,1 –26,0<br />
Kupfer 5 7282,00 –2,1 –9,6<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 903,46 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, GETTY IMAGES/ALEX WONG, CORBIS/REUTERS/BRENDAN MCDERMID<br />
94 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
DAX-AKTIEN<br />
Keine Angst vor der EU<br />
Trotz vieler Probleme hat die Aktie der Deutschen<br />
Bank die Chance auf eine Erholung.<br />
HITLISTE<br />
35 Milliarden Euro ist die<br />
Deutsche Bank nur noch an<br />
der Börse wert, etwa halb so<br />
viel wie die französische<br />
Großbank BNP Paribas oder<br />
die amerikanische Investmentbank<br />
Goldman Sachs.<br />
Grund sind die vielen Problemfälle<br />
der Deutschen<br />
Bank (Zinsmanipulation, Derivate-Bilanzierung,<br />
Hypothekengeschäfte<br />
in den USA), die<br />
ihr derzeit besonders von der<br />
Aufsichtsbehörde BaFin vorgehalten<br />
werden. Dennoch<br />
hat die Aktie die Chance auf<br />
eine Zwischenerholung. Auslöser<br />
ist die Regulierungspolitik<br />
der EU, die nach den neuesten<br />
Entwürfen nicht so scharf wird,<br />
wie ursprünglich geplant. Vor<br />
allem die Drohung, dass die<br />
Banken ihr Geschäft rund um<br />
Wertpapiere (Investmentbanking)<br />
<strong>vom</strong> klassischen Bankgeschäft<br />
mit Spareinlagen komplett<br />
abspalten müssten, ist<br />
abgeschwächt. Für die Bank ist<br />
das besonders wichtig, da sie in<br />
normalen Jahren hier weit mehr<br />
als die Hälfte ihrer Gewinne hereinholt.<br />
Nur noch nach oben?<br />
Händler an der New<br />
Yorker Börse<br />
BÖRSEN<br />
Vorweggelaufen<br />
Die Kurse an Wall Street haben sich von den ökonomischen<br />
Realitäten abgekoppelt.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2<strong>01</strong>3 <strong>2<strong>01</strong>4</strong> <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9421,61 +0,2 +22,0<br />
Aktie<br />
Stand: 9.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> / 18.02 Uhr<br />
Adidas 88,63 –3,0 +31,8 4,03 4,96 18 18543 1,52<br />
Allianz 127,95 –0,2 +21,7 <strong>13</strong>,33 <strong>13</strong>,58 9 58339 3,52<br />
BASF NA 76,72 +0,4 +7,4 5,44 6,<strong>01</strong> <strong>13</strong> 70466 3,39<br />
Bayer NA 98,82 –1,2 +36,6 5,74 6,47 15 81719 1,92<br />
Beiersdorf 72,88 –0,3 +16,7 2,37 2,67 27 18366 0,96<br />
BMW St 83,86 +0,4 +16,2 7,95 8,16 10 53753 2,98<br />
Commerzbank 12,89 +12,3 +4,7 0,31 0,75 17 14670 -<br />
Continental 158,30 +0,5 +82,0 11,06 12,49 <strong>13</strong> 31661 1,42<br />
Daimler 62,15 +0,8 +45,5 5,40 5,73 11 66465 3,54<br />
Deutsche Bank 36,17 +6,1 –1,5 3,02 4,12 9 36867 2,07<br />
Deutsche Börse 61,62 +3,1 +31,0 3,39 3,95 16 11893 3,73<br />
Deutsche Post 25,69 –0,8 +54,0 1,51 1,65 16 31060 2,72<br />
Deutsche Telekom 12,25 +1,0 +34,1 0,67 0,70 18 54527 5,71<br />
E.ON 12,93 –1,0 –10,2 1,19 1,02 <strong>13</strong> 25873 8,51<br />
Fresenius Med.C. St 52,45 +3,6 +4,5 3,59 3,94 <strong>13</strong> 16<strong>13</strong>1 1,43<br />
Fresenius SE&Co 115,05 +3,7 +34,0 5,77 6,55 18 25965 0,83<br />
Heidelberg Cement St 56,05 +1,4 +17,7 3,66 4,21 <strong>13</strong> 10509 0,84<br />
Henkel Vz 81,61 –1,4 +34,4 4,05 4,43 18 33861 1,16<br />
Infineon 7,50 –2,2 +16,1 0,26 0,39 19 8102 1,60<br />
K+S NA 22,90 +5,9 –33,3 2,<strong>13</strong> 1,15 20 4382 6,11<br />
Lanxess 46,82 –1,7 –24,4 1,49 3,49 <strong>13</strong> 3896 2,14<br />
Linde 147,00 –2,3 +12,4 7,92 8,94 16 27290 1,84<br />
Lufthansa 15,94 +5,1 +7,7 0,89 1,49 11 7332 -<br />
Merck <strong>13</strong>0,55 +1,2 +27,1 8,82 9,22 14 8436 1,30<br />
Münchener Rückv. 152,45 –2,5 +12,6 16,77 16,75 9 27341 4,59<br />
RWE St 24,95 –2,7 –20,3 3,91 2,46 10 15221 8,02<br />
SAP 61,75 +0,1 +1,2 3,31 3,64 17 75860 1,78<br />
Siemens 97,76 –1,2 +21,3 4,80 6,73 15 86127 3,07<br />
ThyssenKrupp 17,61 +3,0 –4,8 -0,55 0,60 29 9060 -<br />
Volkswagen Vz. 199,45 –0,5 +16,2 20,39 23,53 8 90888 1,78<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Die größte Volkswirtschaft der<br />
Welt sind immer noch die<br />
USA, und die wichtigste Börse<br />
ist immer noch Wall Street.<br />
Dort starteten die beiden säkularen<br />
Aufwärtstrends der<br />
Nachkriegszeit, als der Marktwert<br />
der börsennotierten Unternehmen<br />
bei 23 (1948) und<br />
30 Prozent (1982) der US-<br />
Land<br />
USA<br />
Japan<br />
Großbritannien<br />
Hongkong<br />
China<br />
Kanada<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Schweiz<br />
Australien<br />
Südkorea<br />
Indien<br />
Brasilien<br />
Taiwan<br />
Russland<br />
Spanien<br />
Schweden<br />
Italien<br />
Singapur<br />
Mexiko<br />
Malaysia<br />
Aktienmarktkapitalisiserung<br />
in Milliarden<br />
Dollar<br />
22<strong>13</strong>2<br />
4623<br />
4002<br />
3494<br />
3348<br />
2128<br />
2100<br />
1990<br />
1515<br />
<strong>13</strong>51<br />
1163<br />
1117<br />
951<br />
918<br />
765<br />
751<br />
715<br />
627<br />
569<br />
495<br />
492<br />
in Prozent<br />
des BIPs 1<br />
<strong>13</strong>2<br />
92<br />
161<br />
1249<br />
37<br />
117<br />
77<br />
55<br />
234<br />
91<br />
97<br />
64<br />
43<br />
189<br />
36<br />
55<br />
129<br />
30<br />
198<br />
37<br />
157<br />
Wirtschaftsleistung lag. Damals<br />
legten vor allem Investitionen<br />
die Basis für Prosperität in der<br />
Zukunft und für steigende Preise<br />
von Unternehmensanteilen,<br />
heute steigen vor allem die Aktienpreise.<br />
Das Verhältnis von<br />
Marktwert zur Wirtschaftsleistung<br />
erreicht inzwischen <strong>13</strong>0<br />
Prozent.<br />
* Bruttoinlandsprodukt 2<strong>01</strong>3 gemäß Schätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF);<br />
Quelle: Bloomberg, IWF<br />
Land<br />
Saudi-Arabien<br />
Südafrika<br />
Niederlande<br />
Belgien<br />
Indonesien<br />
Dänemark<br />
Thailand<br />
Norwegen<br />
Chile<br />
Türkei<br />
Finnland<br />
Philippinen<br />
Kolumbien<br />
Polen<br />
VAE<br />
Irland<br />
Katar<br />
Israel<br />
Österreich<br />
Argentinien<br />
Welt<br />
Aktienmarktkapitalisiserung<br />
in Milliarden<br />
Dollar<br />
471<br />
470<br />
386<br />
360<br />
346<br />
322<br />
322<br />
307<br />
264<br />
219<br />
216<br />
214<br />
205<br />
202<br />
192<br />
169<br />
155<br />
155<br />
120<br />
47<br />
61561<br />
in Prozent<br />
des BIPs 1<br />
66<br />
<strong>13</strong>3<br />
48<br />
71<br />
40<br />
91<br />
80<br />
60<br />
94<br />
27<br />
83<br />
79<br />
55<br />
39<br />
49<br />
77<br />
78<br />
57<br />
29<br />
10<br />
84<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 95<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE Eldorado Gold<br />
Durststrecke beim<br />
Goldpreis überstehen<br />
Tunnelblick Eldorado ist einer<br />
der kostengünstigsten Förderer<br />
Goldaktien, selbst jene mit<br />
sehr soliden Fundamentaldaten,<br />
sind nichts für Anleger<br />
mit schwachen Nerven. Bei<br />
der Aktie von Eldorado Gold<br />
etwa sorgte die sommerliche<br />
Erholungsrally zunächst für<br />
ein hübsches Kursplus von<br />
gut 30 Prozent (Wirtschafts-<br />
Woche 23/2<strong>01</strong>3). Bis zum<br />
Jahresende allerdings hatte<br />
sich das Plus in ein Minus von<br />
über 20 Prozent verwandelt.<br />
Diesen neuerlichen Rückschlag<br />
können nervenstarke<br />
Anleger jetzt zum Nachfassen<br />
nutzen. Der an der Börse aktuell<br />
mit 4,2 Milliarden Dollar<br />
bewertete Goldförderer betreibt<br />
drei Minen in China,<br />
zwei in der Türkei und eine in<br />
Brasilien. In Griechenland<br />
bauen die Kanadier in einer<br />
Mine Silber, Blei und Zink ab,<br />
zwei Goldbergwerke sind in<br />
der Bauphase und eines in<br />
Planung. In der Entwicklungsphase<br />
stecken außerhalb<br />
Griechenlands je ein Projekt<br />
in Brasilien, Rumänien und<br />
China. Die wirtschaftlich<br />
abbaubaren Goldreserven<br />
umfassen gut 28 Millionen<br />
Unzen. 2<strong>01</strong>3 dürfte die Jahresproduktion<br />
um rund <strong>13</strong> Prozent<br />
auf 745 000 Unzen Gold<br />
gestiegen sein, bei Produktionskosten<br />
von etwa 550 Dollar<br />
pro Unze. Unter Einrechnung<br />
der Aufwendungen für<br />
Erhaltung, Exploration und<br />
Verwaltung erhöhen sich die<br />
Kosten je Unze auf 980 Dollar.<br />
Eldorado ist damit einer der<br />
kostengünstigsten Goldförderer,<br />
die Branche produziert im<br />
Schnitt gut 20 Prozent teurer.<br />
Nicht eingerechnet sind hier die<br />
Kosten für den Bau neuer und<br />
die Erweiterung bestehender<br />
Minen. Dafür dürfte Eldorado<br />
2<strong>01</strong>3 rund 430 Millionen Dollar<br />
eingesetzt haben. Werden diese<br />
aufgeschlagen, dann liegen die<br />
Gesamtkosten je geförderter<br />
Unze bei 1500 Dollar. Die Gewinnschwelle<br />
liegt damit über<br />
dem Goldpreis. Doch Eldorado<br />
ist gerüstet, auch eine längere<br />
Durststrecke zu überstehen.<br />
Die Nettoliquidität liegt bei<br />
124,6 Millionen Dollar, in der<br />
Kasse liegen Barmittel von<br />
725,4 Millionen Dollar, und es<br />
besteht eine nicht ausgeschöpfte<br />
Kreditlinie von 375 Millionen<br />
Dollar. Zudem könnte der Investitionsplan<br />
weiter gestutzt<br />
werden. Damit würden sich die<br />
Produktionsziele nach hinten<br />
verschieben. Allerdings versprechen<br />
die Minen, die in den<br />
nächsten Jahren in Betrieb gehen<br />
sollen, einen Rückgang der<br />
Produktionskosten um ein Drittel<br />
und einen Förderanstieg auf<br />
über 1,5 Millionen Unzen.<br />
Eldorado Gold<br />
ISIN: CA2849021035<br />
20<br />
16<br />
12<br />
10<br />
8<br />
50-Tage-Linie<br />
6<br />
200-Tage-Linie<br />
4<br />
2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3 14<br />
Kurs/Stoppkurs(in Dollar): 5,87/4,66<br />
KGV 2<strong>01</strong>3/<strong>2<strong>01</strong>4</strong>: 36,2/21,2<br />
Dividendenrendite(in Prozent):0,6<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle:FactSet<br />
AKTIE Bilfinger<br />
8125 Euro Kursgewinn<br />
für Roland Koch<br />
Bilfinger<br />
ISIN: DE0005909006<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
2<strong>01</strong>0<br />
Volles Rohr<br />
Anlage zur Verflüssigung<br />
von Erdgas in Norwegen<br />
Als Hessens Ex-Ministerpräsident<br />
Roland Koch im<br />
Juli 2<strong>01</strong>1 die Führung des<br />
MDax-Unternehmens Bilfinger<br />
übernahm, kaufte er für<br />
knapp 50 000 Euro 730 Aktien<br />
zum Kurs von 68,27 Euro. Bei<br />
aktuell 79,40 Euro steht Koch<br />
8125 Euro im Plus – und es<br />
können noch ein paar Euro<br />
mehr werden.<br />
Der von Koch forcierte<br />
Ausbau spezieller Ingenieurdienstleistungen<br />
(etwa<br />
Kühlsysteme für Gasverflüssigungsanlagen)<br />
und des Immobilien-Services<br />
lohnt sich:<br />
Vor zehn Jahren holte Bilfinger<br />
Berger (damals reiner<br />
Baukonzern) aus 5,4 Milliarden<br />
Euro Geschäftsvolumen<br />
57 Millionen Euro Nettogewinn,<br />
gut ein Prozent Marge.<br />
In diesem Jahr dürften es bei<br />
8,9 Milliarden Euro Gesamtleistung<br />
rund 260 Millionen<br />
Reingewinn werden – fast die<br />
dreifache Marge.<br />
Und der Ausbau des Geschäfts<br />
mit Dienstleistungen<br />
rund um Industrieanlagen<br />
und Gebäude geht weiter. In<br />
Großbritannien hat Bilfinger<br />
soeben den Immobilienspezialisten<br />
Europa Support<br />
Services aus Manchester<br />
übernommen. Damit versechsfachen<br />
die Mannheimer<br />
ihr lukratives Servicegeschäft<br />
auf der Insel.<br />
Natürlich, auch das Dienstleistungsgeschäft<br />
leidet unter<br />
Wirtschaftsschwankungen. Bis<br />
Herbst vergangenen Jahres lag<br />
Bilfinger bei den Erträgen etwa<br />
zehn Prozent unter Vorjahr.<br />
Doch die Auftragseingänge steigen.<br />
Meilensteine sind hier der<br />
mit der polnischen Regierung<br />
vor Kurzem in Angriff genommene<br />
Bau von Offshore-Windkraftanlagen<br />
in der Ostsee und<br />
ein verlängerter Wartungsvertrag<br />
mit Norwegens Statoil für<br />
Öl- und Gasplattformen in der<br />
Nordsee.<br />
11<br />
Quelle:FactSet, Bloomberg<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
12 <strong>13</strong><br />
Kurs/Stoppkurs(in Euro): 79,40/67,50<br />
KGV2<strong>01</strong>3/<strong>2<strong>01</strong>4</strong>:15,6/12,9<br />
Dividendenrendite(in Prozent):3,8<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
FOTOS: CORBIS/ROBERT GARVEY, PR, BLOOMBERG NEWS (2)<br />
96 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
ZERTIFIKATE Fiat<br />
Rasante Aufholjagd mit<br />
Sergio Marchionne<br />
Stark mit Chrysler Zugriff auf<br />
11,5 Milliarden Dollar Cash<br />
Mit dem jüngsten Kurssprung<br />
nach der Komplettübernahme<br />
der amerikanischen Tochter<br />
Chrysler dürfte die Fiat-Aktie<br />
ihren Anstieg noch nicht<br />
beendet haben – im Gegenteil:<br />
Wahrscheinlich ist dies nur<br />
die Initialzündung, die den<br />
Kurs langfristig noch viel weiter<br />
treiben kann.<br />
2009, als Chrysler am Boden<br />
lag, stieg Fiat unter seinem<br />
Chef Sergio Marchionne bei<br />
dem US-Konkurrenten ein.<br />
Seitdem ging es mit Chrysler<br />
aufwärts. Der US-Marktanteil<br />
wuchs von neun auf elf Prozent,<br />
gegen die ebenfalls erstarkte<br />
Konkurrenz von General<br />
Motors und Ford.<br />
Nur sieben Milliarden Dollar<br />
kostet Fiat nun die Übernahme<br />
von Chrysler insgesamt. Das ist<br />
extrem günstig (Daimler zahlte<br />
1998 das Fünffache) und kann<br />
Fiat auf ein völlig neues Niveau<br />
bringen: Einkauf, Produktion,<br />
Absatz, Modellpolitik und Entwicklung<br />
können in großem Stil<br />
vereinheitlicht werden. Dabei<br />
ist Chrysler nicht nur rentabel,<br />
die US-Tochter verfügt auch<br />
über 11,5 Milliarden Dollar<br />
Barmittel, die nun zum Teil<br />
der angeschlagenen Mutter Fiat<br />
zugutekommen dürften.<br />
Bis 2<strong>01</strong>5 will Fiat-Chrysler die<br />
Hauptnotierung seiner Aktie in<br />
die USA verlegen. 33 Cent ist<br />
den Amerikanern ein Dollar<br />
Jahresumsatz von GM derzeit<br />
wert, Ford kommt auf 44 Cent.<br />
Fiat-Chrysler dagegen bringt es<br />
gerade mal auf 10 Cent. Natürlich,<br />
die Rendite des neuen<br />
US-italienischen Autoriesen<br />
(weltweit Nummer sieben)<br />
hängt noch weit hinterher.<br />
Doch die Aufholjagd läuft – und<br />
mit Zertifikaten lässt sich dieser<br />
Anstieg feinsteuern.<br />
Rabattaktion oder einen Gang hochschalten<br />
Anlagezertifikat und Hebelpapier auf die Fiat-Aktie<br />
(Kurs aktuell 6,76 Euro)<br />
Kurs (Euro)<br />
Stoppkurs<br />
(Euro)<br />
Funktion<br />
Kauf-Verkauf-<br />
Spanne<br />
Emittentin<br />
(Ausfallprämie)<br />
ISIN<br />
Chance/Risiko<br />
Discount für Anleger<br />
5,40<br />
4,59<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Bietet 20,1 Prozent Rabatt auf den<br />
Aktienkurs, begrenzt aber den Maximalgewinn<br />
auf 11,1 Prozent; dafür<br />
genügt es, wenn die Aktie bis Fälligkeit<br />
(19. Dezember <strong>2<strong>01</strong>4</strong>) bei 6,00<br />
Euro notiert; Aktienkurse unter 6,00<br />
Euro schmälern den Gewinn, Verluste<br />
entstehen unter Einstiegsniveau bei<br />
5,40 Euro<br />
0,2 Prozent<br />
BNP Paribas<br />
(0,8 Prozent = geringes Risiko)<br />
DE000BP91C16<br />
5/4<br />
Longzertifikat für Spekulanten<br />
2,33<br />
1,86<br />
Verstärkt die Kursbewegung der<br />
Aktie derzeit etwa mit dreifachem<br />
Hebel: Steigt die Aktie um zwei Prozent,<br />
gewinnt das Zertifikat ungefähr<br />
sechs Prozent; Achtung: Sinkt Aktie<br />
unter Knock-out-Schwelle (derzeit<br />
4,5<strong>01</strong>5 Euro), entsteht Totalverlust;<br />
keine feste Laufzeitgrenze<br />
0,4 Prozent<br />
Commerzbank<br />
(1,1 Prozent = mittleres Risiko)<br />
DE000CZ71H61<br />
10/9<br />
ANLEIHE General Electric<br />
Rentabler<br />
Einschnitt<br />
Der Ausstieg aus dem Geschäft<br />
mit Konsumentenkrediten<br />
läuft. In diesem Jahr will<br />
der amerikanische Mischkonzern<br />
General Electric (GE)<br />
20 Prozent dieser Sparte an<br />
die Börse bringen, 2<strong>01</strong>5 dann<br />
die restlichen Anteile. Das<br />
weltweite Geschäft mit Konsumentenkrediten<br />
ist bisher<br />
ein Schwerpunkt der Finanzgeschäfte<br />
von GE. Die jedoch<br />
hatten den Industrieriesen in<br />
der Finanzkrise mächtig nach<br />
unten gezogen. Von 2007 bis<br />
2009 halbierte sich der gesamte<br />
Nettogewinn auf elf<br />
Milliarden Dollar. In der Erfolgsstory<br />
von GE war das ein<br />
so tiefer Einschnitt, dass seitdem<br />
die Finanzgeschäfte<br />
schrittweise verkauft und das<br />
Industriegeschäft wieder ausgebaut<br />
wird.<br />
Das industrielle Kerngeschäft<br />
(mit Flugzeugmotoren,<br />
Wind- und Gasturbinen,<br />
Kraftwerksgeneratoren, Wassertechnik,<br />
Medizintechnik)<br />
erzielt in den meisten Teilbereichen<br />
derzeit zweistellige<br />
Wachstumsraten. In den USA<br />
profitiert GE davon, dass sich<br />
– befeuert von billigem Gas<br />
aus Schiefergestein – eine<br />
neue Industrialisierung vollzieht.<br />
Das internationale Geschäft<br />
wird <strong>vom</strong> Nachholbedarf<br />
in den Schwellenländern<br />
und der leichten konjunkturellen<br />
Erholung in Europa angetrieben.<br />
Großaufträge kamen<br />
zuletzt aus Algerien für<br />
Gaskraftwerke im Wert von<br />
1,9 Milliarden Dollar, von der<br />
Lufthansa für Flugzeugtriebwerke<br />
im Wert von 2,5 Milliarden<br />
Dollar, aus Russland für<br />
Gasverflüssigungstechnik<br />
über 600 Millionen Dollar. Mit<br />
229 Milliarden Dollar (Stand<br />
Ende September) ist das Auftragspolster<br />
so dick wie nie.<br />
Kraftwerke statt Kredite Turbinenproduktion<br />
GE Frankreich<br />
GE sollte damit in der Lage<br />
sein, den Umsatz von 146 Milliarden<br />
Dollar (2<strong>01</strong>3) in diesem<br />
Jahr auf mehr als 150 Milliarden<br />
Dollar zu erhöhen. Das ist zwar<br />
noch weit entfernt <strong>vom</strong> bisherigen<br />
Spitzenwert von 182 Milliarden<br />
kurz vor der Finanzkrise;<br />
damals jedoch war das Zahlenwerk<br />
durch die Finanzgeschäfte<br />
aufgebläht. Jetzt ist das Wachstum<br />
besser fundiert. Das zeigt<br />
sich vor allem an der Nettomarge<br />
(Reingewinn <strong>vom</strong> Umsatz):<br />
Sie schrumpfte in den<br />
Krisenjahren auf sieben Prozent,<br />
dürfte <strong>2<strong>01</strong>4</strong> aber wieder<br />
bei über elf Prozent liegen. Zugleich<br />
sollte das Eigenkapital<br />
mit 125 Milliarden Dollar einen<br />
neuen Spitzenwert erreichen.<br />
Die Finanztochter GE Capital ist<br />
mit 11,3 Prozent Kernkapitalquote<br />
gut finanziert.<br />
General Electric, 1890 gegründet<br />
von Glühbirnen-Erfinder<br />
Thomas Alva Edison, ist als<br />
einziges Unternehmen von Anfang<br />
an im Dow Jones vertreten.<br />
Mit dem S&P-Rating AA+ (nur<br />
eine Stufe unter dem begehrten<br />
AAA) ist GE eine Top-Adresse.<br />
Für Anleger hierzulande sind in<br />
Euro notierte GE-Anleihen ein<br />
Basisinvestment.<br />
Kurs (%) 112,12<br />
Kupon (%) 4,35<br />
Rendite (%) 2,62<br />
Laufzeit bis 3. November 2021<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
XS0273570241<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 97<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Geld&Börse | Geldwoche<br />
FONDS Scherrer Small Caps Europe<br />
Gefallene Engel rein,<br />
teure Überflieger raus<br />
Lackautomat Süss Microtec<br />
hofft auf Wende bei Halbleitern<br />
Der Schweizer Fondsberater<br />
Josef Scherrer aus Eschlikon<br />
wählt seine Aktien aus etwa<br />
300 Titeln mit weniger als 300<br />
Millionen Euro Börsenwert,<br />
vorzugsweise deutsche Nebenwerte.<br />
„Auch wenn kleinere<br />
deutsche Unternehmen<br />
noch günstiger sind als vergleichbare<br />
aus der Schweiz,<br />
wird es doch zunehmend<br />
schwerer, unterbewertete<br />
Titel zu finden“, sagt Scherrer.<br />
Ob ein Titel günstig ist oder<br />
nicht, misst Scherrer vor allem<br />
am Verhältnis von Unternehmenswert<br />
(Marktkapitalisierung<br />
plus Nettoschulden)<br />
zum Ergebnis vor Zinsen<br />
und Steuern (Ebit). Vor etwa<br />
einem Jahr habe der Faktor<br />
dieses Verhältnisses bei den<br />
meisten deutschen Nebenwerten<br />
noch bei vier bis fünf<br />
gelegen, inzwischen liege die<br />
Spanne bei sieben bis acht.<br />
Scherrer hat sich daher von<br />
einigen gut gelaufenen Aktien<br />
getrennt, darunter der Maschinenbauer<br />
LPKF Laser &<br />
Electronics (2<strong>01</strong>3: plus <strong>13</strong>4<br />
Prozent) und das IT-Unternehmen<br />
GFT (2<strong>01</strong>3: plus 117<br />
Prozent).<br />
Scherrer weicht jetzt auf Aktien<br />
aus, die im vergangenen<br />
Jahr in Schwierigkeiten steckten,<br />
aber seiner Meinung<br />
nach das Potenzial haben, in<br />
den kommenden Monaten<br />
die Wende zu schaffen. Dazu<br />
zählt der Schweizer Vermögensverwalter<br />
unter anderem<br />
den deutschen Maschinenbauer<br />
Süss Microtec. „Auf dem<br />
Markt für Halbleiter schrumpfen<br />
derzeit die Überkapazitäten,<br />
die Hersteller aus China und<br />
Taiwan werden daher ihren Maschinenpark<br />
ausbauen oder<br />
modernisieren“, sagt Scherrer.<br />
Noch allerdings ist Süss Microtec<br />
ein Hoffnungswert. Trotz<br />
Aktienrally hat sich die Aktie<br />
seit März 2<strong>01</strong>1 in etwa halbiert.<br />
Langweiliger, aber weniger<br />
riskant ist das Logistikunternehmen<br />
Nordwest Handel, ein<br />
weiterer von Scherrers Favoriten.<br />
Nordwest übernimmt für<br />
mittelständische Unternehmen<br />
den Einkauf und Transport von<br />
Waren, vor allem Stahl, Haustechnik<br />
und Baubedarf. Weil<br />
Stahl zuletzt nicht so stark<br />
gefragt war, lief die Aktie im vergangenen<br />
Jahr dem SDax weitgehend<br />
hinterher. Erst seit November<br />
läuft Nordwest Handel<br />
besser als der Index. Scherrer<br />
macht dafür das derzeit gut<br />
laufende Lagergeschäft verantwortlich.<br />
Die Margen fürs<br />
Lagergeschäft lägen deutlich<br />
höher als beim Einkauf und<br />
Transport, so der Schweizer<br />
Vermögensverwalter.<br />
ScherrerSmall Caps Europe<br />
ISIN: LI0<strong>01</strong>8448063<br />
150<br />
140<br />
<strong>13</strong>0<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Auf100 umbasiert;<br />
Quelle:Thomson Reuters<br />
SDax<br />
2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3 14<br />
Hoch<br />
Die besten deutschen Aktienfonds<br />
Wie die erfolgreichsten Portfolio-Manager abgeschnitten haben<br />
Fondsname<br />
Die Gewinner unter den volumenstärksten Fonds<br />
iShares TecDax (DE)<br />
Allianz Nebenwerte Deutschland<br />
DWS German Small/Mid Cap<br />
DWS Aktien Strategie Deutschl.<br />
CS Small & Mid Cap Germany<br />
iShares MDax<br />
UBS Small Caps Germany<br />
FPM Stockp. Germany All Cap<br />
UniDeutschland XS<br />
DWS Investa<br />
Fidelity Germany<br />
DWS German Equities Typ O<br />
Acatis Aktien Deutschland<br />
UBS German High Dividend<br />
Baring German Growth<br />
DWS Deutschland<br />
DWS Invest German Equities<br />
iShares DivDax<br />
JPM Germany Eq.<br />
Pioneer German Equity<br />
Allianz Thesaurus<br />
Allianz Vermögensbildung<br />
JB EF German Value<br />
Deka Daxplus Max Div.<br />
Metzler Aktien Deutschland<br />
Hansasecur<br />
Allianz German Equity<br />
Concentra<br />
Deka Dax<br />
iShares Dax<br />
Deka Dax (ausschütt.)<br />
DekaLux-Deutschland<br />
Lyxor ETF Dax<br />
Fondak<br />
ComStage Dax<br />
UBS Aktienf. Special Deutschl.<br />
DekaFonds CF<br />
db x-trackers Dax<br />
Allianz Adifonds<br />
Akrobat Europa<br />
Die Sieger bei den kleinen Portfolios<br />
Scherrer Small Caps Europe<br />
FPM Stockp. Germany Small/Mid Cap<br />
Lux-Euro-Stocks TecDax<br />
DB Platinum III Platow I1<br />
Lupus Alpha Sm. German Champs<br />
Monega Innovation<br />
UBS Mid Caps Germany<br />
Warburg Small&Midcaps Deutschl.<br />
ComStage SDax®<br />
HAIG MB Max Value<br />
ISIN<br />
DE0005933972<br />
DE0008481763<br />
DE0005152409<br />
DE0009769869<br />
LU0052265898<br />
DE0005933923<br />
DE0009751651<br />
LU<strong>01</strong>24167924<br />
DE0009750497<br />
DE0008474008<br />
LU0048580004<br />
DE0008474289<br />
LU<strong>01</strong>58903558<br />
LU0775052292<br />
GB0000822576<br />
DE0008490962<br />
LU0740822621<br />
DE0002635273<br />
LU<strong>01</strong>11753843<br />
DE0009752303<br />
DE0008475<strong>01</strong>3<br />
DE0008475062<br />
LU0048167570<br />
DE000ETFL235<br />
DE0009752238<br />
DE0008479023<br />
LU0840617350<br />
DE0008475005<br />
DE000ETFL<strong>01</strong>1<br />
DE0005933931<br />
DE000ETFL060<br />
LU0062624902<br />
LU0252633754<br />
DE0008471<strong>01</strong>2<br />
LU0378438732<br />
DE0008488206<br />
DE0008474503<br />
LU0274211480<br />
DE0008471038<br />
LU<strong>01</strong>38526776<br />
LI0<strong>01</strong>8448063<br />
LU0207947044<br />
LU<strong>01</strong>08712554<br />
LU0247468878<br />
LU<strong>01</strong>29233093<br />
DE0005321020<br />
DE0009751750<br />
DE000A0RHE28<br />
LU0603942888<br />
LU<strong>01</strong>21803570<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3<br />
Jahren 1<br />
11,3<br />
15,0<br />
16,0<br />
14,1<br />
16,0<br />
17,0<br />
10,2<br />
1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />
(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />
Quelle: Morningstar; Stand: 6. Januar <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
9,5<br />
9,0<br />
11,9<br />
<strong>13</strong>,0<br />
12,1<br />
14,2<br />
–<br />
12,6<br />
<strong>13</strong>,3<br />
12,7<br />
11,8<br />
10,6<br />
11,3<br />
10,5<br />
10,6<br />
10,2<br />
6,7<br />
10,7<br />
9,4<br />
<strong>13</strong>,6<br />
<strong>13</strong>,1<br />
10,4<br />
10,3<br />
10,5<br />
7,2<br />
10,2<br />
7,5<br />
10,6<br />
9,8<br />
8,1<br />
10,5<br />
9,8<br />
12,9<br />
14,5<br />
16,3<br />
10,4<br />
16,3<br />
<strong>13</strong>,9<br />
10,1<br />
15,0<br />
–<br />
–<br />
7,8<br />
seit 1<br />
Jahr<br />
37,8<br />
37,6<br />
37,1<br />
35,6<br />
35,3<br />
35,3<br />
34,1<br />
33,2<br />
31,9<br />
31,1<br />
29,0<br />
28,7<br />
28,1<br />
27,7<br />
27,6<br />
26,8<br />
25,8<br />
25,6<br />
25,4<br />
24,2<br />
23,7<br />
23,6<br />
23,6<br />
23,5<br />
23,3<br />
22,3<br />
22,1<br />
21,8<br />
21,5<br />
21,5<br />
21,3<br />
21,3<br />
21,3<br />
21,0<br />
20,6<br />
20,5<br />
20,5<br />
20,4<br />
19,9<br />
19,9<br />
37,3<br />
35,5<br />
35,1<br />
33,9<br />
33,6<br />
32,9<br />
32,6<br />
27,6<br />
27,1<br />
26,7<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
15,3<br />
16,5<br />
17,1<br />
20,7<br />
15,6<br />
15,8<br />
16,0<br />
16,8<br />
15,9<br />
21,8<br />
18,1<br />
20,5<br />
12,5<br />
–<br />
18,9<br />
21,5<br />
21,6<br />
18,9<br />
18,2<br />
18,5<br />
19,2<br />
19,7<br />
17,2<br />
15,0<br />
17,8<br />
19,5<br />
18,5<br />
18,8<br />
18,6<br />
18,6<br />
18,5<br />
21,0<br />
18,6<br />
19,5<br />
18,6<br />
17,7<br />
20,1<br />
18,6<br />
18,4<br />
11,8<br />
14,5<br />
14,9<br />
14,2<br />
12,7<br />
14,6<br />
14,6<br />
15,4<br />
–<br />
–<br />
18,5<br />
FOTO: PR<br />
98 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
CHARTSIGNAL<br />
Kontrollverlust<br />
Die Anleihekäufe der US-Notenbank können den<br />
Anstieg der Zinsen nicht stoppen.<br />
Seit 2008 laufen die Renditen<br />
zehnjähriger US-Staatsanleihen<br />
in einem Abwärtstrendkanal<br />
nach unten. Die<br />
Bewegungen innerhalb dieses<br />
Trendkanals wurden maßgeblich<br />
beeinflusst von den drei<br />
Anleihekaufprogrammen der<br />
US-Notenbank Fed (Quantitative<br />
Easing, QE). Nur sind die<br />
Renditen während der Laufzeiten<br />
von QE1, QE2 und QE3<br />
nicht gefallen, sondern gestiegen<br />
(Strecken A–B, C–D, E–F).<br />
Dafür gesorgt haben dürften<br />
Umschichtungen von Staatsanleihen<br />
in riskantere Vermögensklassen<br />
wie Aktien<br />
oder Hochzinsanleihen. Umgekehrt<br />
sind die Renditen mit<br />
dem Auslaufen von QE1 und<br />
QE2 und vor dem Hintergrund<br />
einer anhaltend schwachen<br />
Weltwirtschaft jeweils<br />
gefallen (Strecken B–C, D–E).<br />
Zugleich sind die Aktienkurse<br />
eingebrochen. Diese Bewegungen<br />
sind der Beleg für das<br />
Versagen von QE als Mittel zur<br />
Stimulierung der Wirtschaft.<br />
Am 25. Juli 2<strong>01</strong>2 erreichten<br />
die Renditen mit 1,379 Prozent<br />
ihr zyklisches Tief (1). Wenige<br />
Zinswende<br />
Der 30-jährige Abwärtstrend bei den US-Zinsen ist gebrochen<br />
5,5<br />
4,5<br />
3,5<br />
2,5<br />
1,5<br />
1,0<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Abwärtstrendkanal<br />
A<br />
Wochen später rechtfertigte<br />
Fed-Chef Ben Bernanke die Auflage<br />
von QE3 damit, die Zinsen<br />
tief halten zu wollen (E). Nur haben<br />
sich die Renditen seither<br />
fast verdoppelt. Charttechniker<br />
hat das nicht überrascht. Denn<br />
der vorherige Absturz der Renditen<br />
auf 1,379 Prozent erfüllte<br />
alle Kriterien einer Trendbeschleunigung.<br />
Trendbeschleunigungen<br />
legen spekulative<br />
Blasen offen und laufen einem<br />
Nachfragevakuum voraus. Der<br />
Renditeanstieg über die Abwärtstrendlinie<br />
T1 ( 2) markierte<br />
sehr wahrscheinlich das Ende<br />
des mehr als 30-jährigen Abwärtstrends<br />
bei den US-Zinsen.<br />
Der jüngste Ausbruch aus dem<br />
Abwärtstrendkanal nach oben<br />
(3) dokumentiert diese strukturelle<br />
Veränderung. Eine erneute<br />
Schwäche der US-Wirtschaft<br />
dürfte eine massive und dauerhafte<br />
Ausweitung der monetären<br />
Staatsfinanzierung nach<br />
sich ziehen. Für die Fed wäre<br />
dies mit Blick auf ihren unlängst<br />
angekündigten Ausstieg aus<br />
QE3 der Offenbarungseid. Dollar<br />
und Bonds könnten unter<br />
starken Abgabedruck geraten.<br />
B<br />
2006 2007 2008 2009 2<strong>01</strong>0 2<strong>01</strong>1 2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>3 14<br />
C<br />
D<br />
T1<br />
2<br />
E<br />
1<br />
Untertasse<br />
F<br />
3<br />
RELATIVE STÄRKE<br />
Und sie überlebt doch<br />
Nach 100 Prozent Kursgewinn ist die Commerzbank-<br />
Spekulation noch immer nicht ausgereizt.<br />
Die Commerzbank ist fast bis<br />
an die Spitze der starken europäischen<br />
Aktien vorgedrungen<br />
(Tabelle Rang 2). Seit der<br />
Empfehlung als „hochriskante<br />
Spekulation“ (Wirtschafts-<br />
Woche 32/2<strong>01</strong>3) hat sich das<br />
Papier verdoppelt. Und die<br />
Rally kann weitergehen. Entscheidend<br />
dafür ist, dass die<br />
Commerzbank als systemrelevante<br />
Bank wohl überleben<br />
dürfte. Angesichts von 1200 Filialen<br />
und 600 Milliarden Euro<br />
Bilanzsumme ist der aktuelle<br />
Börsenwert von 15 Milliarden<br />
Euro keineswegs zu hoch. Auch<br />
institutionelle Investoren sehen<br />
bei der Cobank deutlich weniger<br />
Risiken: Die Prämien für<br />
Kreditausfallversicherungen<br />
betragen nur noch 1,1 Prozent.<br />
In den Krisenjahren waren sie<br />
mehr als dreimal so hoch.<br />
Wer schlägt den Index?<br />
Die innerhalb der vergangenen drei Monate am stärksten<br />
gestiegenen und gefallenen Aktien 1<br />
Rang Aktie Index Kurs 2 Kursentwicklung Relative Trend 3<br />
(€) (in Prozent) Stärke<br />
3 Monate 1 Jahr<br />
(in Prozent)<br />
Gewinner<br />
1 Cancom TecDax 33,95 +47,34 +147,07 42,2<br />
2 Commerzbank Dax <strong>13</strong>,18 +40,77 +7,02 37,2<br />
3 LPKF Laser&El. TecDax 20,41 +41,64 +142,18 31,2<br />
4 Tui MDax 12,53 +36,04 +66,11 29,9<br />
5 Bechtle TecDax 56,60 +37,65 +83,05 28,9<br />
6 Fresenius SE&Co Dax 115,90 +29,70 +35,00 21,2<br />
7 Osram Licht MDax 43,14 +25,19 - 20,2 4<br />
8 RTL Group (LU) MDax 96,37 +25,81 - 16,7<br />
9 K+S NA Dax 23,19 +22,80 -32,41 16,4 4<br />
10 Continental Dax 161,85 +22,75 +86,03 15,4<br />
11 Fuchs Petrolub Vz MDax 71,54 +20,74 +21,60 15,1<br />
12 Wacker Chemie MDax 90,59 +19,73 +57,55 <strong>13</strong>,8 4<br />
<strong>13</strong> Evotec TecDax 4,06 +18,91 +42,91 <strong>13</strong>,7 4<br />
14 Aareal Bank MDax 29,70 +22,73 +67,99 <strong>13</strong>,6<br />
15 Freenet TecDax 21,85 +19,53 +45,47 <strong>13</strong>,4<br />
16 PSI NA TecDax 14,30 +20,17 -8,39 <strong>13</strong>,4 4<br />
17 ING Groep (NL) Stoxx50 10,64 +19,03 +38,91 <strong>13</strong>,1<br />
18 Celesio MDax 23,77 +17,32 +76,47 <strong>13</strong>,0 5<br />
19 Wincor Nixdorf MDax 53,37 +17,34 +38,26 11,9 4<br />
20 Drillisch TecDax 21,35 +20,76 +79,37 11,6 5<br />
21 Leoni MDax 54,83 +18,55 +89,26 11,0 5<br />
22 Gerresheimer MDax 50,73 +17,98 +30,78 10,9 4<br />
23 Nemetschek TecDax 52,26 +<strong>13</strong>,73 +53,71 10,9 4<br />
24 BB Biotech (CH) TecDax 118,85 +17,27 +53,93 10,6 4<br />
Verlierer<br />
152 Stand. Chartered (GB) Stoxx50 1253,00 -14,73 -24,40 -20,6 5<br />
151 LVMH (FR) Stoxx50 124,45 -14,05 -9,85 -20,0 5<br />
150 Südzucker MDax 19,44 -12,12 -37,19 -18,1 5<br />
149 ADVA Optical Net. TecDax 4,09 -11,43 -7,84 -16,2 5<br />
148 Tesco (GB) Stoxx50 324,50 -10,25 -7,06 -16,1 5<br />
147 Elringklinger Na MDax 30,18 -6,72 +19,55 -<strong>13</strong>,2 5<br />
146 Richemont (CH) Stoxx50 85,10 -4,33 +9,59 -<strong>13</strong>,0<br />
145 RWE St Dax 25,29 -7,58 -19,20 -12,7 5<br />
144 Salzgitter MDax 30,00 -5,12 -25,88 -12,4 5<br />
1<br />
aus Dax, MDax, TecDax und Stoxx Europe 50 im Vergleich zum Stoxx Europe 600;<br />
2<br />
bei GB in Pence, bei CH in Franken; 3 Änderung um mindestens fünf Ränge; 9.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong>,<br />
<strong>13</strong>:00 Uhr<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 99<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Perspektiven&Debatte<br />
»Der allmächtige Dollar<br />
ist unser Gott«<br />
INTERVIEW | Leonardo DiCaprio Der Hauptdarsteller des Films „Wolf of the Wall Street“ über<br />
die Betrügereien an den Börsen und die Unterwelt Finanzmarkt.<br />
Herr DiCaprio, wie gut kennen Sie sich an<br />
der Wall Street und den internationalen<br />
Finanzmärkten aus?<br />
Null. Ich verfolge nicht die Entwicklungen<br />
auf den Aktienmärkten; offen gestanden<br />
ergeben sie für mich keinen Sinn.<br />
Trotzdem machen Sie einen Film über<br />
einen der größten Brokerunternehmer der<br />
USA, dessen Firma vor seiner Verurteilung<br />
wegen Betruges ein Milliardenvermögen<br />
verwaltete.<br />
Meine Kenntnisse sind dafür egal. Wir haben<br />
ja auch bewusst Szenen eingebaut, wo<br />
ich in die Kamera spreche und erkläre:<br />
„Das klingt alles verwirrend für Sie, aber<br />
darauf kommt es nicht an. Die Frage ist:<br />
Geschieht hier etwas Illegales?“ Und genau<br />
das war der Fall. Wenn wir einen Film gemacht<br />
hätten, der sich mit den Feinheiten<br />
der Finanzwelt beschäftigt, wären die Leute<br />
geistig ausgestiegen. Es war ohnehin<br />
schon Risiko genug, einen Film mit dem<br />
Wort „Wall Street“ im Titel zu machen. Unsere<br />
Geldgeber waren etwas besorgt, dass<br />
wir damit das Publikum abschrecken.<br />
Was war dann das Motiv, dieses Projekt<br />
anzustoßen? Sie versuchten schließlich<br />
sechs Jahre lang, den Film auf die Beine<br />
zu stellen.<br />
Auch wenn der Film eine Komödie ist, so<br />
sind seine Protagonisten im Endeffekt<br />
ziemlich destruktive, abstoßende Personen.<br />
Sie stehen auf der gleichen Ebene wie<br />
die Leute, die die amerikanische Wirtschaft<br />
zerstörten. Und es ist notwendig, dass wir<br />
Filme machen, die sich mit der dunklen<br />
Seite der menschlichen Natur beschäftigen.<br />
Regisseur Martin Scorsese hat das in<br />
seinen verschiedenen Filmen über die Mafia<br />
getan. Und Finanzmakler Jordan Belfort<br />
BÖRSENFIGUREN<br />
Echte Haie<br />
FLORIAN HOMM<br />
Sein Hedgefonds ACM<br />
verwaltete drei Milliarden<br />
Euro, 2007 tauchte Homm<br />
unter und sitzt nun in<br />
Italien in Auslieferungshaft.<br />
In den USA läuft eine Klage gegen ihn.<br />
CARL ICAHN<br />
Großinvestor. Und „Corporate<br />
Raider“ – Firmenjäger,<br />
diese Bezeichnung<br />
hat sich Icahn neben<br />
Milliarden Dollar erarbeitet.<br />
Vorbild für die Filmfigur „Gordon Gekko“.<br />
HENRY KRAVIS<br />
„Geläuterter Barbar“ wird<br />
der Gründer der Investmentfirma<br />
KKR genannt,<br />
er gilt als Mitbegründer der<br />
Private-Equity-Branche.<br />
Seine Geschäftsmodelle waren Vorbild<br />
für Oliver Stones Film „Wall Street“.<br />
MICHAEL MILKEN<br />
Galt als „Junk Bond King“,<br />
1989 wegen Finanzbetrugs<br />
inhaftiert. Saß<br />
22 Monate von 10 Jahren<br />
Haft ab. Lebenslang für<br />
Börsenhandel gesperrt. Nennt sich heute<br />
„Philantropist“ und Medizinförderer.<br />
war auf seine Weise Teil der Unterwelt.<br />
Aber er war dabei letztlich nur ein kleiner<br />
Fisch in einem Meer voller Wale. Leuten,<br />
die die Schlupflöcher im Finanzsystem<br />
fanden und somit unsere Volkswirtschaft<br />
um Trilliarden von Dollar beraubten.<br />
Gleichzeitig verkörperte er mit seiner Einstellung<br />
die Mentalität dieser Gruppe.<br />
Worin besteht sie?<br />
Hedonismus und Egoismus. Dieser Mann<br />
dachte an niemand außer sich selbst und<br />
gab jeder seiner Schwächen nach. Und diese<br />
Haltung findet sich allerorten. Der allmächtige<br />
Dollar ist der Gott unserer Zeit –<br />
was ich zutiefst deprimierend finde. Es ist ja<br />
auch nicht so, dass diese Leute kriminalisiert<br />
werden. Ein Jordan Belfort war immerhin<br />
22 Monate in Haft, aber die CEOs der<br />
Großunternehmen, die unsere Ökonomie<br />
kaputt gemacht haben, die erhalten weiterhin<br />
ihre Bonuszahlungen statt knallharter<br />
Strafen. So können sie mit ihren Manipulationen<br />
und Raubzügen unbehelligt weitermachen.<br />
Das ist ekelhaft. Aus diesem<br />
Grund hatten wir die Finanzkrise in den<br />
Dreißigern, und aus den gleichen Gründen<br />
hat sie sich unlängst wiederholt. Aber obwohl<br />
wir angeblich einen Abschwung erlebt<br />
haben, ziehen die Preise an. Wenn ich<br />
mir Apartments in New York ansehe, die<br />
kosten jetzt viermal so viel wie früher.<br />
Was wäre Ihre Lösung?<br />
Wir müssten einen „Reset“-Knopf für das<br />
ganze System drücken. Wenn man diesen<br />
Finanzmarktjongleuren nicht auf die Finger<br />
schaut und sie den Preis für ihr Handeln<br />
nicht zahlen lässt, wird sich dieser Zyklus<br />
wiederholen. Wir brauchen Regeln. Und<br />
zwar auch deshalb, weil dieses Handeln<br />
dem menschlichen Überlebensinstinkt<br />
FOTOS: NELE BENDGENS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BLOOMBERG NEWS (3), © 2<strong>01</strong>3 PARAMOUNT PICTURES<br />
100 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
entspricht. Wir wollen expandieren, wir MR. UNTERGANG<br />
Wie hoffnungsvoll sind Sie da?<br />
wollen ständig mehr konsumieren. Was ist<br />
Ein bisschen zynisch kann ich schon<br />
denn die Vorstellung <strong>vom</strong> amerikanischen Er war der Posterboy der „Titanic“, doch werden, wenn ich mir den Zustand der<br />
Traum, die heutzutage bei Jung und Alt längst hat sich Leonardo DiCaprio zum Menschheit ansehe. Andererseits gibt<br />
grassiert? – „Werde immer reicher! Tue, was<br />
seriösen Schauspieler entwickelt, der in<br />
es immer wieder auch hoffnungsvolle<br />
„Wolf of Wall Street“ (ab 16. Januar im Kino)<br />
für dich richtig ist.“ Diese Haltung ist nicht<br />
Signale. Nehmen Sie Jordan Belfort selbst.<br />
den Exzessen der Finanzbranche nachspürt.<br />
nur absurd, sondern auch gefährlich. Der 39-Jährige, der dafür eine Golden-Globe- Er distanziert sich von dem, was er getan<br />
Wovor fürchten Sie sich? Der nächsten Nominierung erhielt, hat dazu dezidierte hat, für ihn war das ein dunkler Pfad,<br />
Finanzkrise?<br />
Ansichten, die nicht zu einem Multimillionenstar<br />
aber auch eine lehrreiche Erfahrung.<br />
Ich fürchte um unsere Zukunft. Wir können<br />
diesen Expansionskurs nicht einfach so fortsetzen,<br />
weil auch die Weltbevölkerung<br />
wächst. Es gibt keine endlosen Ressourcen zu passen scheinen.<br />
te intakt zu halten, während die jeweiligen<br />
Jetzt gibt er Motivationsseminare und<br />
erzählt ganz offen von den Fehlern, die er<br />
gemacht hat.<br />
Sie haben den Dokumentarfilm „11th<br />
auf diesem Planeten. Aus der Sicht der Umweltschützer<br />
Volkswirtschaften weiter auf dem Vor-<br />
Hour“ produziert, der sich mit ökologibiet.<br />
ist die Erde wie ein Kriegsgemarsch<br />
sind. Wir müssen ein paar Alternatischen<br />
Problemen beschäftigt. Können Sie<br />
Sie kämpfen darum, unberührte Gebie- ven zu diesem „Business as usual“ finden. mit Ihren Mitteln etwas bewirken? »<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 1<strong>01</strong><br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Perspektiven&Debatte<br />
»<br />
Wer weiß, wer weiß. Auf der einen Seite<br />
darfst du solche Themen nicht zu schulmeisterlich<br />
aufbereiten. In unserem Fall<br />
haben wir das Mittel der Satire gewählt.<br />
Aber andererseits ist die Frage, wie die<br />
Leute darauf reagieren. Nehmen Sie das<br />
Beispiel des alten „Wall Street“. Ich habe<br />
mit so vielen Brokern gesprochen, und die<br />
meinten: „Ich wollte so sein wie Gordon<br />
Gekko, und deshalb habe ich diesen Beruf<br />
gewählt.“ Moment mal, das war eine<br />
Schauergeschichte über die Gier an der<br />
Wall Street, und dieser Typ erlebte eine absolute<br />
Bruchlandung. Du kannst also die<br />
Wirkung nicht vorherbestimmen. Abgesehen<br />
davon sind ernsthafte Filme<br />
immer schwieriger zu finanzieren.<br />
Hollywood ist Teil des ganzen<br />
Wirtschaftssystems, also verhält<br />
es sich nach den gleichen Regeln.<br />
Wie sehen die in diesem Falle<br />
aus?<br />
Wir leben im Zeitalter des Blockbusters.<br />
Das heißt, sobald ein<br />
Film ein bestimmtes Budget<br />
überschreitet, muss er irgendwelche<br />
Explosionen, Roboter und<br />
solche Sache haben, sonst wollen<br />
ihn die Studios nicht finanzieren.<br />
Wenn du eine ernsthafte Geschichte<br />
erzählen willst, dann<br />
musst du unter einem bestimmten<br />
Budget bleiben. Aufwendige<br />
epische Projekte, wie ich sie<br />
immer gemacht habe – zum Beispiel<br />
„Aviator“ oder „Blood<br />
Diamond“, wären heute kaum<br />
noch zu machen. Die Ära, wo die<br />
Regisseure das Sagen hatten, ist<br />
vorbei.<br />
Aber Sie haben ja „Wolf of Wall Street“<br />
mit großem Aufwand und Starregisseur<br />
Scorsese auf die Beine gestellt. Das ist<br />
doch ein Widerspruch.<br />
Nein, denn es war ja auch extrem schwierig.<br />
Jahrelang habe ich versucht, es ganz<br />
traditionell im Studiosystem finanzieren zu<br />
lassen, aber es hat einfach nicht funktioniert.<br />
Die Leute wollten ein alternatives<br />
Ende, wo wir für die Handlungen der Protagonisten<br />
irgendeine Entschuldigung anhängen.<br />
Aber sinnigerweise gibt es Finanziers,<br />
die Kinoliebhaber sind. Die haben<br />
wir gefunden. Sie waren der Ansicht, dass<br />
es einen Markt für derart erwachsene Unterhaltungsfilme<br />
gibt. Und dass dieser Film<br />
wirklich Erfolg haben wird, wenn wir dabei<br />
die Grenzen des Machbaren ausreizen und<br />
ihn so verrückt und verrucht erzählen wie<br />
nur irgend möglich.<br />
Eigentlich verbindet man die Vorstellung<br />
eines verruchten Lebens auch mit dem<br />
Dasein eines Stars.<br />
Sie können mir glauben, dass ich selbst<br />
keine solche Exzesse wie ein Jordan Belfort<br />
erlebt habe. Und ich beneide ihn auch<br />
nicht. Der Mann war süchtig – nach Drogen,<br />
Sex und Geld. Und er konnte nicht stoppen.<br />
Wofür geben Sie eigentlich Ihr Geld aus?<br />
Sie wollen das wirklich wissen?<br />
Warum nicht?<br />
Ich möchte jetzt keinen Einblick in meinen<br />
Finanzhaushalt geben. Aber nur so viel: Ich<br />
finde, es ist wichtig, dass man der Gesellschaft<br />
etwas zurückgibt. Wer immer sich in<br />
»Für viele Broker ist Gordon<br />
Gekko ein Vorbild«<br />
einer Position mit Macht und Geld befindet,<br />
sollte etwas für die Welt tun. Ich habe<br />
auch persönlich nichts gegen Leute mit<br />
Reichtum, solange sie verantwortungsvoll<br />
damit umgehen. Es gibt auch sehr viele, die<br />
das tun, aber es gibt noch mehr, die völlig<br />
rücksichtslos mit Geld um sich werfen.<br />
Aber was war Ihre Motivation, die<br />
potenziell lukrative Laufbahn eines<br />
Schauspielers einzuschlagen?<br />
Lukrativ ist sie nur in ganz wenigen Fällen.<br />
Ich hatte einfach als Kind das Verlangen<br />
danach, das war rein instinktiv. Zum Glück<br />
wurde ich im Stadtteil Hollywood groß –<br />
keiner besonders gediegenen Gegend übrigens.<br />
Und gerade weil ich hier lebte,<br />
konnte ich meinen Eltern sagen, dass sie<br />
mich zu Vorsprechterminen bringen und<br />
mir einen Agenten besorgen sollen. Ich<br />
komme aus der unteren Mittelschicht, und<br />
hätten wir irgendwo anders gelebt, wäre<br />
das alles nicht möglich gewesen. Wobei ich<br />
erst mal gar nicht begriff, dass man mit der<br />
Schauspielerei Geld verdienen kann. Ich<br />
dachte, das sei nur zum Spaß.<br />
Wie war es dann, als Sie mit „Titanic“<br />
zum weltweiten Medienphänomen wurden?<br />
War das Teil einer Strategie?<br />
Absolut nicht. Ich begann meine Karriere<br />
mit kleineren unabhängigen Produktionen,<br />
und mit „Titanic“ wich ich dann von<br />
diesem Muster ab, weil ich etwas Neues<br />
ausprobieren wollte. Und das entwickelte<br />
sich zufälligerweise zum – damals – erfolgreichsten<br />
Film aller Zeiten. Auf einmal zirkulierte<br />
mein Bild um die ganze Welt, was<br />
ich sehr surreal fand. Und es<br />
erschien diese andere Person<br />
– diese Medienkreation<br />
von Leonardo DiCaprio. Für<br />
mich war sie nur ein Witz.<br />
Aber ich habe sie dann langsam<br />
sterben lassen, indem<br />
ich mich aus der Öffentlichkeit<br />
zurückgezogen und nur<br />
auf meine ökologischen Interessen<br />
und auf die Arbeit<br />
konzentriert habe.<br />
Gab es Phasen, wo Sie<br />
diesen Film bereuten?<br />
Ganz ehrlich. Es gibt so viele<br />
Leute auf der ganzen Welt,<br />
die Unglaubliches durchmachen.<br />
Und da soll ich<br />
mich über „Titanic“ beklagen?<br />
Ich war immer froh darüber.<br />
Aus meiner Sicht sind<br />
Filme als Kunstform so relevant<br />
wie Gemälde oder<br />
Skulpturen. Und in 100 Jahren<br />
werden die Leute sich noch diesen<br />
Film anschauen. Ich bin also Teil eines historischen<br />
Phänomens. Und gerade dadurch<br />
habe ich so viele Gelegenheiten erhalten,<br />
meine berufliche Karriere nach<br />
meinen Vorstellungen zu steuern.<br />
Woher nehmen Sie diese Einstellung zum<br />
eigenen Erfolg?<br />
Weil ich ihn realistisch sehe. Wenn du die<br />
Chance hast, mit diesem Job deinen Lebensunterhalt<br />
zu verdienen, ist das ein verdammter<br />
Glücksfall. Natürlich spürst du die Versuchung,<br />
dich über die Begleiterscheinungen<br />
deines Erfolgs zu beklagen. Aber du solltest<br />
deine Grenzen kennen. Sei dankbar. Es gibt<br />
unzählige Leute, die würden töten, um in der<br />
gleichen Position zu sein wie ich. Und wer<br />
bin ich schon? Ich treffe keine politischen<br />
Entscheidungen. Ich bin ein Entertainer,<br />
nichts weiter als ein besserer Entertainer. n<br />
rüdiger sturm | perspektiven@wiwo.de<br />
FOTO: © 2<strong>01</strong>3 PARAMOUNT PICTURES<br />
102 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Kost-Bar<br />
FOTOS: PR, PASCALE MARTHINE TAYOU: CLOTH PAINTINGS 2<strong>01</strong>3; CARTOON: PAUL NOTH/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
AUSSTELLUNG IN BREGENZ<br />
Kunst der Verwandlung<br />
Der 1966 geborene,<br />
in Gent lebende<br />
Kameruner Pascale<br />
Marthine Tayou ist<br />
bekannt geworden<br />
durch seine Teilnahme<br />
an der<br />
Documenta 11 und<br />
der Biennale<br />
von Venedig 2005<br />
und 2009. Das<br />
Kunsthaus Bregenz<br />
zeigt nun <strong>vom</strong><br />
24. Januar bis 27.<br />
April unter dem<br />
Titel „I love you!“<br />
einen speziell<br />
für das Museum konzipierten Überblick über sein Werk, das von erstaunlicher<br />
stilistischer Vielfalt und Vitalität geprägt ist, Zitate afrikanischer Stammeskunst<br />
spielerisch mit europäischem Kunsthandwerk kreuzt und unterschiedlichste<br />
Genres, von der Zeichnung bis zu Installationeen aus Neonlicht und Eisen, miteinander<br />
verbindet. Dabei werden oft Fundstücke des Alltags zum Material<br />
für Objekte: So türmt Tayou einfache Kochtöpfe zu einem an Constantin Brancusis<br />
„endlose Säule“ erinnernden Turm übereinander, bildet aus mehreren Hundert<br />
Vogelhäusern eine Favela nach oder collagiert farbige Stoffreste zu abstrakten<br />
Kompositionen (Bild). kunsthaus-bregenz.at<br />
AUKTION IN LONDON<br />
Tafelkultur<br />
Es ist die wohl bekannteste<br />
Suppendose der Welt: die<br />
Campbell’s Soup, die Pop-Art-<br />
Künstler Andy Warhol im Bild<br />
zeigte. Nun kommt am 16. Januar<br />
eine von Warhol signierte<br />
Dose (Schätzpreis 1800 bis 2400<br />
Euro) im Londoner Auktionshaus<br />
Christie’s unter den Hammer.<br />
Bei der Auktion „Die<br />
Kunst des Essens und Trinkens“<br />
werden mehr als 180 Objekte<br />
versteigert. Die Auswahl reicht<br />
von Stillleben alter Meister über<br />
Werbeplakate der Jahrhundertwende<br />
bis zu Porzellan, wie<br />
einem Kaffeeservice von Keith<br />
Haring. christies.com<br />
THE NEW YORKER<br />
„We want to register a domestic partnership.“<br />
ALLES ODER NICHTS<br />
JAN KATH<br />
Teppichdesigner und<br />
Geschäftsführer der Jan Kath<br />
Design GmbH<br />
Aktien oder Gold?<br />
Keins von beidem, ich bin kein<br />
spekulativer Mensch.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
SUV – ich mag es, den<br />
Überblick zu behalten. Meine<br />
Kollegen sagen, ich bin ein<br />
Kontrollfreak.<br />
Schaltung oder Automatik?<br />
Egal, kann ich beides.<br />
Paris oder London?<br />
London – allein schon wegen<br />
der guten französischen<br />
Restaurants.<br />
Dusche oder Wanne?<br />
Dusche. Ich relaxe beim<br />
Kochen.<br />
Maßschuhe oder Sneakers?<br />
Am liebsten Maß-Sneakers.<br />
Schuhe sind mir sehr wichtig.<br />
Ich habe drei Schuhschränke.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Gin Tonic – gerne The Duke<br />
von einer kleinen Münchner<br />
Brennerei und dann: viel Gin,<br />
wenig Tonic.<br />
Mountainbike oder Rennrad?<br />
Mountainbike – ich bestimme<br />
lieber selber, wo ich langfahre.<br />
Berge oder Meer?<br />
Ich bin regelmäßig in den<br />
Teppichmanufakturen in meiner<br />
zweiten Heimat Nepal<br />
unterwegs. Wann immer Zeit<br />
ist, fahre ich von Kathmandu<br />
nach Nagarkot – der Blick auf<br />
den Himalaja ist einzigartig!<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />
103<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | Großbritannien GBP5,40 | Italien €6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
Leserforum<br />
Berlin DeralternativeKoalitionsvertragder siebenTop-Ökonomen<br />
Gadgets<br />
Diebesten<br />
High-Tech-Spielzeuge<br />
desJahres<br />
Gründer<br />
Wieaus Studenten<br />
Unternehmer<br />
werden<br />
Kostenfalle Internet<br />
Wie teuer werden TV, Videos und Computerspiele?<br />
Unternehmen&Märkte<br />
Wie teuer wird das Surfen, wenn die<br />
Deutsche Telekom ihr Netz ausbaut.<br />
Heft 51/2<strong>01</strong>3<br />
Einblick<br />
Chefredakteur Roland Tichy über Angela<br />
Merkel und was uns die große<br />
Koalition bringen wird. Heft 51/2<strong>01</strong>3<br />
Unverantwortlich<br />
Ich kenne niemanden, der so<br />
abgebrüht ist wie die Machtpolitikerin<br />
Angela Merkel. Was ihr<br />
im Wege stand, hat sie eliminiert.<br />
Politiker mit Wirtschaftskompetenz,<br />
die über mehr als<br />
eine Wahlperiode nachdenken,<br />
sind alle weg. Wofür das C in der<br />
CDU steht, weiß auch keiner<br />
mehr. Rente war eigentlich:<br />
Menschen, die altersbedingt<br />
nicht mehr arbeiten können,<br />
vor dem Verhungern zu bewahren.<br />
Heute ist das ein weiterer<br />
Lebensabschnitt mit Kreuzfahrten,<br />
an den sich vielleicht irgendwann<br />
nach Jahrzehnten<br />
ein paar Jahre Pflegebedürftigkeit<br />
anschließen. Dumm nur: Irgendjemand<br />
muss dafür bezahlen<br />
und Steuern entrichten.<br />
Heute die Reserven der Rentenversicherungen<br />
plündern ist<br />
unverantwortlich.<br />
Winfried Sühling<br />
via E-Mail<br />
51<br />
16.12.2<strong>01</strong>3|Deutschland €5,00<br />
5 1<br />
4 1 98065 805008<br />
In den Markt pressen<br />
In Ihrem Artikel haben Sie sehr<br />
schön aufgedröselt, in welcher<br />
Zwickmühle der einstige Monopolist<br />
steckt. Wenn die Deutsche<br />
Telekom ihr Netz nicht modernisiert<br />
und auf superschnell<br />
trimmt, wird sie ihre Position als<br />
Marktführer einbüßen. Das ganze<br />
Hickhack um die Flatrate und<br />
die Diskussion um die Orientierung<br />
an Volumen zeigt nur, dass<br />
man in der Konzernspitze nach<br />
Lösungen sucht, die möglichst<br />
schmerzfrei in den Markt gepresst<br />
werden sollen. Dass das<br />
nicht funktionieren wird, dafür<br />
sorgt die Konkurrenz. Die ist oft<br />
nicht nur billiger, sondern auch<br />
noch servicebewusster. Die<br />
Flatrate, das scheint die Telekom<br />
zu vergessen, ist eine echte<br />
Orientierungsgröße für den<br />
Verbraucher geworden, um die<br />
Angebote zu vergleichen. Und<br />
da schneidet die Telekom häufig<br />
schlechter ab. Ein Zurück zur<br />
Volumenberechnung würde die<br />
Telekom noch mehr Kunden<br />
kosten.<br />
Werner Holst<br />
via E-Mail<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Parteichef Sigmar Gabriel setzt mit<br />
dem Mitgliederentscheid alles auf<br />
eine Karte. Heft 50/2<strong>01</strong>3<br />
Alles abnicken<br />
Die große Koalition (GroKo) bedeutet<br />
nicht vier Jahre Stillstand.<br />
Die GroKo bedeutet die<br />
absolute Mehrheit im Bundestag<br />
bei allen Abstimmungen zu<br />
Sparreformen, die auf Deutschland<br />
zukommen werden. Eine<br />
minimale Opposition, die nicht<br />
in der Lage ist, die GroKo an<br />
jedweder Entscheidung zu hindern.<br />
Es dürfte klar sein, zulasten<br />
welcher Bevölkerungsgruppe<br />
diese Sparreformen gehen<br />
werden.<br />
Sylvia Hartmann<br />
wiwo facebook<br />
Der Volkswirt/Denkfabrik<br />
Hans-Werner Sinn widerspricht<br />
der Kritik an den deutschen Exportüberschüssen.<br />
Heft 50/2<strong>01</strong>3<br />
Passiver Reflex<br />
Die buchhalterische Saldenlogik<br />
Leistungsbilanzüberschuss<br />
gleich Kapitalexport, die Hans-<br />
Werner Sinn den Kritikern wie<br />
den Verteidigern der deutschen<br />
Überschüsse entgegenhält, besagt<br />
leider so gut wie nichts<br />
über die kausalen Zusammenhänge<br />
zwischen beiden Größen.<br />
Sinn suggeriert recht deutlich,<br />
dass die deutschen Kredite<br />
an das Ausland, zu denen in<br />
den letzten Jahren vor allem öffentliche<br />
Institutionen gedrängt<br />
wurden, die Ursache der Leistungsbilanzüberschüsse<br />
waren.<br />
Das ist vor allem vor dem Hintergrund<br />
wenig überzeugend,<br />
dass rund drei Viertel dieser<br />
Kredite in Form von Target-Forderungen<br />
der Bundesbank anfielen.<br />
Diese Kredite werden<br />
dem Ausland ja nicht aktiv angedient,<br />
sondern sie ergeben<br />
sich als passiver Reflex aus<br />
deutschen Überschüssen, die<br />
mit im Ausland geschaffenem<br />
Geld bezahlt wurden. Ursache<br />
also ist der Wunsch nach deutschen<br />
Waren und nicht umgekehrt<br />
der Kredit selbst. Auch die<br />
Gelder der übrigen Kredite<br />
mussten nicht zwangsläufig<br />
nach Deutschland zurückfließen.<br />
Das geschah, weil man<br />
deutsche Waren wollte. Als Ursache<br />
der Überschüsse gerät<br />
damit das Kernproblem wieder<br />
in den Vordergrund: die mangelnde<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Krisenländer. Für sie bleibt<br />
als Ausweg aus der Euro-Krise<br />
nur die Rückkehr zu neuen nationalen<br />
Währungen und deren<br />
Abwertung. So sollte allmählich<br />
der Kommentar angesehener<br />
deutscher Ökonomen zur Leistungsbilanzproblematik<br />
enden.<br />
Dr. Gernot Müller<br />
Düsseldorf<br />
Nur keine Illusionen<br />
Deutschland sollte endlich zur<br />
Kenntnis nehmen, dass ausländische<br />
Politiker an ihre nächste<br />
Wahl und an ihr Land denken,<br />
und (vielleicht) erst dann an andere<br />
Dinge wie zum Beispiel die<br />
Logik. Griechenland hat den<br />
Euro doch nicht deshalb übernommen,<br />
weil es Europa „dienen“<br />
oder den deutschen Export<br />
stärken wollte, sondern<br />
weil es sich davon die Stabilität<br />
des Euro und die damit verbundenen<br />
niedrigen Zinsen versprach.<br />
Würde es sich für gewisse<br />
Länder lohnen, den Euro zu<br />
verlassen, dann würden sie es<br />
tun. Nur keine Illusionen.<br />
Wolfram Wiesel<br />
Rösrath (Nordrhein-Westfalen)<br />
Der Volkswirt<br />
Eine Lösung der Schuldenkrise ist<br />
nicht in Sicht, also sollen Anleger<br />
bluten. Heft 50/2<strong>01</strong>3<br />
Leeres Versprechen<br />
Warum muss man sich mit einem<br />
solchen Horrorszenario,<br />
dem Frontalangriff auf unser<br />
Geld, beschäftigen? Konnte<br />
man im vorigen Jahrhundert in<br />
Europa noch Kriege für die Zerrüttung<br />
der Finanzen und des<br />
Geldes verantwortlich machen,<br />
so ist es jetzt das Unvermögen<br />
der Politiker. Hauptursachen<br />
sind die von ihnen tolerierten<br />
ungezügelten Machenschaften<br />
der Banken, die übermäßige<br />
Staatsverschuldung und vor allem<br />
die Einführung des Euro.<br />
Den Deutschen wurde damit<br />
ein Garant der Stabilität, die<br />
Bundesbank, genommen. Dies<br />
geschah unter der Vortäuschung,<br />
dass die Europäische<br />
Zentralbank (EZB) genauso<br />
konstituiert und stabilitätsbewusst<br />
sei wie die Bundesbank.<br />
Dies stellte sich als leeres<br />
Versprechen heraus. Die Lasten<br />
dieser ungebremsten Verschuldung<br />
und vor allem der Einführung<br />
des Euro werden nun ausgerechnet<br />
denen aufgeladen,<br />
die die schwächsten Schultern<br />
haben: den Sparern und den<br />
Rentnern.<br />
Josef Kneip<br />
Wackernheim (Rheinland-Pfalz)<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
Postfach 10 54 65<br />
40045 Düsseldorf<br />
E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />
Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />
um Angabe Ihrer Postadresse.<br />
TITELILLUSTRATION: CHRISTOPH NIEMANN, DMITRI BROIDO; FOTO: FOTOLIA<br />
104 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Firmenindex<br />
Leitung Franziska Bluhm<br />
ONLINE<br />
Chefin <strong>vom</strong> Dienst Dr. Silke Fredrich<br />
Redaktion Rebecca Eisert, Ferdinand Knauß, Saskia Littmann,<br />
Meike Lorenzen, Tim Roman Rahmann, Andreas Toller<br />
E-Mail online@wiwo.de<br />
BÜROS<br />
Hervorgegangen aus<br />
DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />
Gegründet 1926<br />
Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />
Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />
40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />
(für Briefe)<br />
402<strong>13</strong> Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />
(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />
REDAKTION<br />
Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />
Chefredakteur Roland Tichy<br />
Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />
Franz W. Rother<br />
Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />
Angela Kürzdörfer<br />
Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />
Chefreporter Dieter Schnaas<br />
Chefreporter international Florian Willershausen<br />
Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />
Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />
Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />
Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />
Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />
Jürgen Berke, Mario Brück, Nele Hansen, Henryk Hielscher,<br />
Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />
Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />
Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,Management:<br />
Julia Leendertse*<br />
Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />
(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />
Andreas Menn, Jürgen Rees<br />
Management & Erfolg Manfred Engeser; Daniel Rettig,<br />
Kristin Schmidt, Claudia Tödtmann<br />
Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />
Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Dr. Anton Riedl<br />
Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />
Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />
Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />
Claudia Immig, Horst Mügge<br />
Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />
Syndication wiwo-foto.de<br />
Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />
Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />
Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />
Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />
Produktion Markus Berg, Petra Jeanette Schmitz<br />
Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />
Christian Schlesiger, Dieter Schnaas, Cordula Tutt (Autorin)<br />
Askanischer Platz 3, 10963 Berlin,<br />
Fon (030) 61686–121, Fax (030) 61686–170<br />
Brüssel Silke Wettach*, <strong>13</strong>b, Av. de Tervuren, B-1040 Bruxelles,<br />
Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />
E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />
Frankfurt<br />
Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />
Unternehmen + Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp<br />
Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />
Eschersheimer Landstraße 50, 60322 Frankfurt<br />
Fon (069) 2424–4903, Fax (069) 2424594903<br />
London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />
London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />
E-Mail yvonne.esterhazy@wiwo.de<br />
München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />
80335 München, Fon (089) 545907–28, Fax (0211) 887–978718<br />
New York Angela Hennersdorf, Martin Seiwert, 44 Wall Street, 7 th floor,<br />
Suite 702, New York, NY 10005, Fon (0<strong>01</strong>) 6465900672<br />
E-Mail angela.hennersdorf@wiwo.de, martin.seiwert@wiwo.de<br />
Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />
75<strong>01</strong>0 Paris, Fon (0033) 695929240<br />
E-Mail karin.finkenzeller@wiwo.de<br />
São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />
Dantas, N.° 15, apto. 04 – Vila Marina, CEP 04<strong>01</strong>2–110<br />
São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112 ,<br />
E-Mail alexander.busch@wiwo.de<br />
Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />
200040 Shanghai,<br />
Fon (0086<strong>13</strong>7) 64118414,<br />
E-Mail philipp.mattheis@wiwo.de<br />
Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />
Mountain View, CA 94040,<br />
Fon (0<strong>01</strong>650) 9629110,<br />
E-Mail matthias.hohensee@wiwo.de<br />
Tokio Martin Fritz*, c/o Foreign Correspondents’ Club of Japan<br />
Yurakucho Denki North Building 20F, Yurakucho 1–7–1, Chiyoda-ku,<br />
100–0006 Tokyo, Japan<br />
Fon/Fax (008150) 36435446,<br />
E-Mail martin.fritz@wiwo.de<br />
(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />
Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong> i.S.d.P.<br />
Konrad Handschuch (Politik&Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />
Reinhold Böhmer (Unternehmen&Märkte), Hauke Reimer<br />
(Geld&Börse), Manfred Engeser (Management&Erfolg),<br />
Thorsten Firlus (Perspektiven&Debatte), Hermann J. Olbermann<br />
(Menschen der Wirtschaft), Thomas Kuhn (Technik&Wissen)<br />
VERLAG<br />
Handelsblatt GmbH<br />
(Verleger im Sinne des Presserechts)<br />
Geschäftsführung Jörg Mertens, Claudia Michalski, Gabor Steingart<br />
Abonnement/Vertriebsservice<br />
Kundenservice WirtschaftsWoche<br />
Postfach 9245, 97092 Würzburg<br />
Fon 08000002054<br />
Fax (0211) 887–3642<br />
E-Mail vertriebsservice@wiwo.de<br />
Jahresabonnement Inland 238,80 Euro, bei vierteljährlicher Zahlung<br />
63,00 Euro. Vorzugspreis für Schüler und Studenten Inland (gegen<br />
Nachweis) 169,00 Euro, bei vierteljährlicher Zahlung 45,90 Euro.<br />
Abopreis Ausland 302,70 Euro, für Schüler und Studenten<br />
(gegen Nachweis) 232,90 Euro, zuzüglich MwSt. in den EU-Ländern.<br />
Luftpostzuschläge auf Anfrage.<br />
Zahlungen für Abonnements bitte ausschließlich auf folgendes Konto:<br />
Commerzbank AG, Düsseldorf, Nr. 211884100 (BLZ 30080000)<br />
Mitglieder des Bundesverbands deutscher Volks- und Betriebswirte<br />
e.V. (bdvb) erhalten die WirtschaftsWoche im Rahmen Ihres Mitgliedsbeitrags<br />
geliefert.<br />
Mitglieder des BDIVWA erhalten die WirtschaftsWoche zum Mitglieds-<br />
Sonderpreis.<br />
Studentische Mitglieder des Bundesverbandes der Börsenvereine<br />
an Deutschen Hochschulen (BVH) erhalten die WirtschaftsWoche im<br />
Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />
Mitglieder der Landesarchitektenkammern erhalten die Wirtschafts-<br />
Woche zum Mitglieds-Sonderpreis.<br />
Mitglieder des VDE – Verband der Elektrotechnik, Elektronik,<br />
Informationstechnik e.V. erhalten die WirtschaftsWoche zum Mitglieds-<br />
Sonderpreis.<br />
Young Professionals des BME – Bundesverband Materialwirtschaft,<br />
Einkauf und Logistik e.V. erhalten das Wirtschafts-Woche eMagazin im<br />
Rahmen ihrer Mitgliedschaft<br />
Mitglieder des b.b.h. – Bundesverband selbständiger Buchhalter und<br />
Bilanzbuchhalter erhalten die WirtschaftsWoche im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />
Heft-Nachbestellung<br />
Fon (0211) 887–3640, Fax (0211) 887–3642<br />
E-Mail shop@vhb.de<br />
Anzeigenleitung Patrick Priesmann<br />
Verantwortlich für Anzeigen Peter Diesner<br />
Anzeigenverkauf<br />
iq media marketing gmbh<br />
Kasernenstraße 67, Postfach 102663,<br />
40<strong>01</strong>7 Düsseldorf,<br />
Fon (0211) 887–2315, Fax (0211) 374955<br />
Anzeigenservice<br />
Fon (0211) 887–2339<br />
Anzeigentarife<br />
Fon (0211) 887–<strong>13</strong>76, Fax (0211) 887–2330<br />
E-Mail wiwo@iqm.de<br />
Mediainformationen www.iqm.de<br />
Zurzeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 55<br />
Zahlungen für Anzeigen<br />
bitte ausschließlich auf folgendes Konto:<br />
Dresdner Bank AG, Düsseldorf,<br />
Nr. 211455000 (BLZ 30080000)<br />
Werbung in wiwo.de<br />
Fon (0211) 887–2653, Fax (0211) 887–2656<br />
E-Mail iqdigital@iqm.de<br />
Artikelanfragen<br />
Fon (0211) 887–1888 (Mo.–Fr. 9–12 Uhr)<br />
Fax (0211) 887–972820<br />
E-Mail artikelanfragen@vhb.de<br />
Nutzungsrechte<br />
Fon (069) 7591–2930 (Mo.–Fr. 9–16 Uhr)<br />
E-Mail nutzungsrechte@vhb.de<br />
Druck Prinovis Nürnberg GmbH, Breslauer Straße 300,<br />
90471 Nürnberg<br />
Vertrieb DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH,<br />
www.dpv.de<br />
Die WirtschaftsWoche wird ganz oder in Teilen im Print und digital<br />
vertrieben. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift<br />
darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt<br />
oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fällt insbesondere<br />
die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in<br />
elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM.<br />
Für die Übernahme von Artikeln in interne elektronische<br />
Pressespiegel erhalten Sie die erforderlichen Rechte über<br />
PMG Presse-Monitor GmbH, Berlin,<br />
Fon (030) 284930 oder www.presse-monitor.de.<br />
Printed in Germany.<br />
ISSN 0042–8582.<br />
Für unverlangt eingeschickte Manuskripte, Fotos und Illustrationen<br />
keine Gewähr.<br />
Internationale Partner<br />
<strong>Wirtschaftswoche</strong> (USPS no 0009592) is published weekly by Handelsblatt GmbH. Subscription price for USA is $270 per annum.<br />
K.O.P.: German Language Pub., 153 S Dean St, Englewood NJ 07631. Periodicals Postage is paid at Englewood NJ 07631 and additional<br />
mailing offices. Postmaster: Send Address changes to: <strong>Wirtschaftswoche</strong>, GLP, PO Box 9868, Englewood NJ 07631.<br />
Die Angaben bezeichnen den<br />
Anfang des jeweiligen Artikels<br />
A<br />
AB Volvo...............................................................................................80<br />
Accell Group.........................................................................................80<br />
ADAC................................................................................................... 64<br />
Adidas..................................................................................................14<br />
AirBnB................................................................................................. 42<br />
Alfa Romeo...........................................................................................56<br />
Alibaba.................................................................................................80<br />
Amazon...................................................................................... 9, 42, 80<br />
América Móvil.......................................................................................80<br />
Andritz................................................................................................. 80<br />
Apotheker- und Ärztebank.....................................................................50<br />
Apple........................................................................................62, 73, 80<br />
AT&T.........................................................................................42, 73, 80<br />
Audi..................................................................................................... 56<br />
Aurelius................................................................................................86<br />
B<br />
Bain..................................................................................................... 52<br />
Bank of America................................................................................... 42<br />
Bank für Sozialwirtschaft...................................................................... 11<br />
Barclays............................................................................................... 80<br />
BASF..............................................................................................50, 70<br />
BASF Plant Science...............................................................................70<br />
Bayer................................................................................................... 70<br />
BayernLB............................................................................................. 12<br />
Bilfinger............................................................................................... 96<br />
Blacklane............................................................................................. 48<br />
BMW.............................................................................................. 56, 80<br />
BNP Paribas......................................................................................... 95<br />
Boehringer Ingelheim.............................................................................. 8<br />
Bogner................................................................................................. 52<br />
Boston Consulting.................................................................................80<br />
Brand Networks....................................................................................52<br />
BT Group.............................................................................................. 80<br />
Bublcam...............................................................................................14<br />
Bugatti................................................................................................. 52<br />
Burmester............................................................................................ 52<br />
C<br />
Cadillac................................................................................................ 56<br />
Callista.................................................................................................86<br />
Cancom................................................................................................80<br />
Capstan................................................................................................61<br />
Carlyle Group........................................................................................80<br />
Caterpillar............................................................................................ 61<br />
CBS......................................................................................................62<br />
Celesio................................................................................................. 80<br />
Chevrolet..............................................................................................56<br />
China Railway....................................................................................... 80<br />
Chrysler..........................................................................................56, 97<br />
Cisco....................................................................................................42<br />
Citibank................................................................................................42<br />
ClearChannel........................................................................................62<br />
Commerzbank................................................................................ 37, 99<br />
Thomas Cook........................................................................................11<br />
Creditreform.........................................................................................86<br />
Cycleurope........................................................................................... 80<br />
D<br />
Daimler...........................................................................................48, 97<br />
Dealogic............................................................................................... 80<br />
Dedon.................................................................................................. 52<br />
Demag..................................................................................................80<br />
Derby Cycle.......................................................................................... 80<br />
Deutsche Bank............................................................................... 50, 95<br />
Deutz................................................................................................... 80<br />
Digg..................................................................................................... 42<br />
Dish..................................................................................................... 80<br />
Walt Disney...........................................................................................42<br />
Dodge.................................................................................................. 56<br />
Douglas................................................................................................80<br />
3M................................................................................................. 61, 78<br />
3W Power.............................................................................................86<br />
DSM.....................................................................................................62<br />
Dupui-Castérès.....................................................................................61<br />
DZ Bank............................................................................................... 50<br />
E<br />
Ebay.....................................................................................................42<br />
Edge Holding........................................................................................ 80<br />
Eldorado Gold....................................................................................... 96<br />
Elexis..............................................................................................80, 86<br />
Elliott................................................................................................... 80<br />
EMC..................................................................................................... 80<br />
E-Plus...................................................................................................80<br />
Escada................................................................................................. 52<br />
EY........................................................................................................ 80<br />
F<br />
Fab.com............................................................................................... 12<br />
Facebook........................................................................................42, 80<br />
FFK Environment.................................................................................. 86<br />
Fiat.................................................................................................56, 97<br />
flug24.................................................................................................. 86<br />
Ford................................................................................................56, 97<br />
France Télécom.................................................................................... 80<br />
G<br />
Gamigo.................................................................................................86<br />
General Electric.............................................................................. 42, 97<br />
General Motors............................................................................... 56, 97<br />
Generali................................................................................................80<br />
German Pellets..................................................................................... 86<br />
Getaround............................................................................................ 42<br />
Getgoods..............................................................................................86<br />
GK Software......................................................................................... 80<br />
Glashütte Original................................................................................. 52<br />
GlaxoSmithKline......................................................................................8<br />
Goldman Sachs...............................................................................80, 95<br />
Goodyear..............................................................................................61<br />
Google............................................................................ 9, 42, 48, 62, 80<br />
Groupon............................................................................................... 42<br />
Grub Brugger........................................................................................60<br />
H<br />
Hamburger Sparkasse...........................................................................50<br />
Hengeler Mueller.................................................................................. 50<br />
Henkel..................................................................................................74<br />
Hero Cycles.......................................................................................... 80<br />
Hess.....................................................................................................60<br />
Heuliez.................................................................................................61<br />
Hewlett-Packard...................................................................................14<br />
HIT Holzindustrie Torgau....................................................................... 90<br />
HKW Personalkonzepte.........................................................................86<br />
Honda.................................................................................................. 56<br />
Honeywell.............................................................................................42<br />
Hornbach............................................................................................. 80<br />
Hostettler Kramarsch und Partner......................................................... 50<br />
Hyundai..........................................................................................56, 64<br />
I<br />
IBM................................................................................................ 42, 80<br />
IBS.......................................................................................................80<br />
IDC.......................................................................................................42<br />
Illig Braun Kirschnek............................................................................. 60<br />
Indiegogo....................................................................................... 14, 42<br />
Intel..................................................................................................... 42<br />
Intesa...................................................................................................80<br />
J<br />
J. Safra Sarasin............................................................................... 60, 80<br />
JC Decaux............................................................................................ 62<br />
Jeep.....................................................................................................56<br />
JP Morgan............................................................................................ 42<br />
K<br />
Kabel Deutschland................................................................................80<br />
Kering.................................................................................................. 80<br />
Kia....................................................................................................... 64<br />
Kiip...................................................................................................... 42<br />
Kleiner Perkins..................................................................................... 42<br />
Klöckner & Co.......................................................................................80<br />
Knorr Bremse....................................................................................... 80<br />
KPN..................................................................................................... 80<br />
KWS..................................................................................................... 70<br />
L<br />
Lancia.................................................................................................. 56<br />
Rena Lange...........................................................................................52<br />
Lange & Söhne......................................................................................52<br />
Leica.............................................................................................. 14, 52<br />
Lenovo................................................................................................. 80<br />
Lesara.................................................................................................. 12<br />
Liberty Global....................................................................................... 80<br />
Lightcar................................................................................................42<br />
Loro Piana............................................................................................ 80<br />
LVMH................................................................................................... 80<br />
Lyft...................................................................................................... 42<br />
M<br />
Macquarie............................................................................................ 60<br />
Markit.................................................................................................. 37<br />
McKesson.............................................................................................80<br />
McLagan.............................................................................................. 50<br />
Media Tenor......................................................................................... 12<br />
Media-Saturn........................................................................................14<br />
Mediobanca..........................................................................................80<br />
Mercedes....................................................................................... 52, 56<br />
Metanomics..........................................................................................70<br />
Metro................................................................................................... 14<br />
Microsoft........................................................................................14, 42<br />
Mifa..................................................................................................... 80<br />
Migros..................................................................................................80<br />
Mini......................................................................................................56<br />
Mister Spex.......................................................................................4, 16<br />
Molex................................................................................................... 61<br />
Morgan Stanley.....................................................................................80<br />
mytaxi.................................................................................................. 48<br />
N<br />
Nanofocus............................................................................................80<br />
Nest Labs............................................................................................. 42<br />
Netto....................................................................................................80<br />
Nieding + Barth.................................................................................... 60<br />
Nissan.............................................................................................. 9, 56<br />
Nordex................................................................................................. 80<br />
Novartis..................................................................................................8<br />
O<br />
O2........................................................................................................80<br />
Occhio..................................................................................................52<br />
Öger Tours............................................................................................ 11<br />
Opel............................................................................................... 56, 74<br />
OpenTable............................................................................................ 80<br />
Oracle.................................................................................................. 80<br />
Orange................................................................................................. 80<br />
P<br />
P&I Personal & Informatik..................................................................... 80<br />
Palantir.................................................................................................42<br />
Panono.................................................................................................14<br />
Parking Panda.......................................................................................42<br />
Partech Ventures.................................................................................. 12<br />
PayPal............................................................................................ 42, 48<br />
Pepsi....................................................................................................42<br />
Pironet................................................................................................. 80<br />
Plantec.................................................................................................70<br />
Porsche.......................................................................................... 52, 56<br />
Procter & Gamble................................................................................. 42<br />
Prokon................................................................................................. 90<br />
Puma..............................................................................................12, 80<br />
Q<br />
Qualcomm............................................................................................42<br />
R<br />
Ram..................................................................................................... 56<br />
Renault................................................................................................ 64<br />
Rent the Runway...................................................................................42<br />
Richemont............................................................................................52<br />
Ritter....................................................................................................12<br />
Roche.....................................................................................................8<br />
S<br />
S&K-Gruppe......................................................................................... 12<br />
S.A.G. Solarstrom..................................................................................86<br />
Salutaris Capital Management...............................................................80<br />
Samsung...................................................................................42, 73, 80<br />
Jil Sander............................................................................................. 52<br />
SAP................................................................................................14, 80<br />
Scanada............................................................................................... 42<br />
Scanadu............................................................................................... 45<br />
Schiesser..............................................................................................60<br />
Schlecker............................................................................................. 60<br />
Schuler.................................................................................................80<br />
Scope...................................................................................................86<br />
Serveball.............................................................................................. 14<br />
SGL Carbon.......................................................................................... 80<br />
Shell.....................................................................................................42<br />
SideCar................................................................................................ 42<br />
Siemens............................................................................................... 42<br />
SKion................................................................................................... 80<br />
Softbank.............................................................................................. 80<br />
Sony.....................................................................................................61<br />
Sprint................................................................................................... 73<br />
Statoil.................................................................................................. 96<br />
Ströer...................................................................................................62<br />
Subaru................................................................................................. 56<br />
Sungene............................................................................................... 70<br />
Swatch................................................................................................. 52<br />
Synaptics............................................................................................. 80<br />
T<br />
T+A......................................................................................................52<br />
Tado.....................................................................................................42<br />
Tchibo..................................................................................................80<br />
Techem................................................................................................ 80<br />
Telco....................................................................................................80<br />
Telecom Italia.......................................................................................80<br />
Telefónica............................................................................................ 80<br />
Telekom Austria....................................................................................80<br />
Teliasonera...........................................................................................80<br />
Teradata...............................................................................................80<br />
Tesco................................................................................................... 62<br />
Tibco....................................................................................................80<br />
T-Mobile............................................................................................... 73<br />
T-Mobile US..........................................................................................80<br />
Tod’s.................................................................................................... 80<br />
Towers Watson......................................................................................50<br />
Toyota.................................................................................................. 56<br />
Travel24...............................................................................................86<br />
TÜV-Nord............................................................................................. 64<br />
Twitter..................................................................................................42<br />
U<br />
Uber...............................................................................................42, 48<br />
Udacity.................................................................................................42<br />
Unister................................................................................................. 86<br />
V<br />
Vae Solis...............................................................................................61<br />
VM Vermögen....................................................................................... 80<br />
Vodafone..............................................................................................80<br />
Voith.................................................................................................... 80<br />
Volkswagen.....................................................................................56, 80<br />
Vossloh.................................................................................................80<br />
Vural Öger Touristik...............................................................................11<br />
W<br />
Wellendorff...........................................................................................52<br />
Windreich.......................................................................................60, 86<br />
Wunderkind..........................................................................................52<br />
Y<br />
Yahoo............................................................................................. 78, 80<br />
Yelp......................................................................................................80<br />
Yorktown Technologies..........................................................................70<br />
Z<br />
Zamek..................................................................................................86<br />
Egon Zehnder....................................................................................... 14<br />
WirtschaftsWoche <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> Nr. 3 105<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Ausblick<br />
„Ich könnte mir eine Art<br />
Selbstverpflichtung<br />
von Regierungsmitgliedern<br />
vorstellen, für die Zeit<br />
nach Ausscheiden aus dem<br />
Amt sich geschäftliche<br />
Rücksicht aufzuerlegen. Auch<br />
Karenzzeiten halte ich für<br />
vorstellbar.“<br />
„Geld allein macht<br />
echt nicht glücklich.“<br />
Jörg Asmussen<br />
Staatssekretär (SPD), zu seiner<br />
Entscheidung zugunsten des<br />
Privatlebens von der Europäischen<br />
Zentralbank ins Bundesarbeitsministerium<br />
zu wechseln, obwohl er nun<br />
150 000 Euro im Jahr weniger verdient<br />
Ronald Pofalla<br />
Ex-Kanzleramtschef (CDU), der einen<br />
Wechsel in den Bahn-Vorstand<br />
anstrebt, am 15. Dezember 2005<br />
über das Engagement von Altkanzler<br />
Gerhard Schröder (SPD) bei der<br />
Gaspipeline-Gesellschaft Nord Stream<br />
„Es gibt keinen Bereich,<br />
in dem Ausnahmen <strong>vom</strong><br />
Mindestlohn gerechtfertigt sind<br />
– außer den der Auszubildenden<br />
und der studienbegleitenden<br />
Praktikanten.“<br />
„Uns muss man nicht<br />
sagen, wie man<br />
mit Ausländern umgeht.“<br />
Horst Seehofer<br />
CSU-Chef und bayrischer<br />
Ministerpräsident, zur Kritik an<br />
seiner Einwanderungspolitik<br />
„Wer betrügt, der fliegt.“<br />
Frank Bsirske<br />
Chef der Gewerkschaft Verdi<br />
„Das Instrument liegt<br />
für mich vorerst auf Eis.“<br />
Heiko Maas<br />
Bundesjustizminister (SPD), über die<br />
Einführung der Datenvorratsspeicherung,<br />
bevor ein Urteil des<br />
Europäischen Gerichtshofs vorliegt<br />
CSU<br />
zu Einwanderern, die das<br />
Sozialsystem missbrauchen<br />
„Wir können in der Pflege seit<br />
Jahren nur bestehen,<br />
weil es auch qualifizierte<br />
Zuwanderung gibt.“<br />
Hermann Gröhe<br />
Bundesgesundheitsminister (CDU)<br />
„Wir wollen und wir brauchen<br />
keine neuen Gesetze, um die<br />
Freizügigkeit einzuschränken.“<br />
László Andor<br />
EU-Sozialkommissar, über die<br />
Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
„Digitale Magazine sind<br />
ein Kernbestandteil unserer<br />
langfristigen Vision.“<br />
Marissa Mayer<br />
Chefin des Internet-Konzerns Yahoo<br />
„Der Flughafen kann <strong>2<strong>01</strong>4</strong><br />
nicht eröffnet werden.“<br />
Klaus Wowereit<br />
Berlins Regierender Bürgermeister<br />
„Ich denke, wir werden<br />
das Turnier zwischen<br />
dem 15. November und dem<br />
15. Januar austragen.“<br />
„Die Vorstellung, wir können<br />
mit billigem Geld die Ursachen<br />
der Krise bekämpfen, ist<br />
gefährlich. Geldpolitik wirkt<br />
wie ein Schmerzmittel; nachlassende<br />
Symptome dürfen<br />
nicht davon ablenken,<br />
die Ursachen zu therapieren.“<br />
Jens Weidmann<br />
Bundesbank-Präsident<br />
„Als Anleger lebt man im<br />
Moment mit einem Leidzins,<br />
mit ,d‘ geschrieben,<br />
unter dem alle leiden.“<br />
Carsten Maschmeyer<br />
Ex-Gesellschafter und Ex-Chef des<br />
Finanzvertriebs AWD<br />
»Solange jeder Bürgermeister in<br />
diesem Land die Bahn als sein Eigentum<br />
betrachtet, braucht der Konzern<br />
einen starken hauptamtlichen Lobbyisten.<br />
Pofalla ist die perfekte Wahl.«<br />
Hartmut Mehdorn<br />
Geschäftsführer des Großflughafens BER und Ex-Chef der<br />
Deutschen Bahn, über den angestrebten Wechsel des früheren<br />
Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) in den Bahn-Vorstand<br />
Jérome Valcke<br />
Generalsekretär des Weltfußballverbandes<br />
Fifa, zur Verlegung der<br />
Weltmeisterschaft 2022 in Katar <strong>vom</strong><br />
Sommer in den Winter<br />
„Stand jetzt bleibt das<br />
Turnier im Sommer.“<br />
Jim Boyce<br />
Fifa-Vizepräsident, kurz nach der<br />
Ankündigung seines Generalsekretärs,<br />
die Fußball-WM 2022 <strong>vom</strong><br />
Sommer in den Winter zu verlegen<br />
„Live is Life.“<br />
Thomas de Maizière<br />
Ex-Verteidigungsminister (CDU),<br />
wünscht sich, dass die Bundeswehr<br />
beim Großen Zapfenstreich zu seinem<br />
Abschied den Hit der österreichischen<br />
Popgruppe Opus spielt<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
106 Nr. 3 <strong>13</strong>.1.<strong>2<strong>01</strong>4</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.