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Wirtschaftswoche Ist Ihr Geld dabei? (Vorschau)

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Robert Shiller ■ Garrelt Duin ■ Andreas Renschler ■ Mykola Asarow ■ Reinhold Festge ■ Ferdinand Kirchhof<br />

43<br />

21.10.2013|Deutschland €5,00<br />

4 3<br />

4 1 98065 805008<br />

Von Siegern lernen<br />

Was Weltmarktführer<br />

auszeichnet<br />

Klein schlägt groß<br />

Deutschlands beste<br />

Unternehmensberater<br />

<strong>Ist</strong><br />

<strong>Ihr</strong> <strong>Geld</strong> <strong>dabei</strong>?<br />

Die schmutzigen Tricks der Fonds – und wie<br />

sich Anleger wehren können<br />

Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

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Einblick<br />

Wer seinen Wohlstand bewahren will, muss mehr<br />

über die <strong>Geld</strong>fluten der Notenbanken und deren<br />

Wander-Blasen Bescheid wissen. Von Roland Tichy<br />

Globale Wander-Blasen<br />

FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Wirtschaftliche Blasen sind<br />

höchst angenehm, solange<br />

sie sich aufpumpen: Alles<br />

läuft, Einkommen steigen,<br />

Steuern sprudeln. Blöd nur, wenn Blasen<br />

platzen. Peng! Das Ende der Dotcom-Blase<br />

hat Aktienmillionäre zu Altpapierbesitzern<br />

geschrumpft. Der Knall der US-Immobilienblase<br />

drohte erst die Welt und<br />

jetzt die Sparer zu ruinieren. Pfffffffft! Und<br />

seit dem Ende der Schuldenmacherei<br />

schrumpeln die Wirtschaften der Südländer<br />

wie ein Kaschmirpulli, der in die<br />

Kochwäsche geraten ist: Das teure Stück<br />

ist nicht mehr zu gebrauchen.<br />

Blasen sind schwer zu erkennen: Was ist<br />

ein solider Boom – und was eine schillernde<br />

Seifenblase? Selbst Nobelpreisträger<br />

sind sich da nicht einig (siehe Seite 46). Wir<br />

alle klopfen uns wegen unserer Fähigkeiten<br />

selbst auf die Schulter. Dabei war es<br />

doch nur der Zufallsgenerator im Spielautomaten,<br />

der uns reich gemacht hat: nicht<br />

wiederholbar. Jetzt kommen die globalen<br />

Wander-Blasen – größer, tückischer und<br />

bedrohlicher denn je. Sie entstehen, weil<br />

die US-amerikanische und europäische<br />

Notenbank ungeheure Summen künstlichen<br />

<strong>Geld</strong>es in den Wirtschaftskreislauf<br />

pumpen, immer neues Kunstblut für ihre<br />

ausgemergelten Ökonomien.<br />

Das läuft gar nicht schlecht für die USA,<br />

wenn die vierteljährlich ausbrechende<br />

Kneipenschlägerei um den Schuldendeckel<br />

nicht irgendwann doch noch zum<br />

wirtschaftlichen Schädelbruch führt. Es<br />

läuft sogar so gut, dass die US-Notenbank<br />

Fed aus ihrer <strong>Geld</strong>druckerei aussteigen<br />

und damit die Zinsen erhöhen will. Was<br />

wirtschaftlich vernünftig ist, könnte für den<br />

Euro bedeuten: Peng!!! Denn bei den derzeitigen<br />

Hungerzinsen reicht schon ein<br />

erbarmungswürdiges Zehntel-Prozent für<br />

den großen Run, hin zu den Futtertrögen<br />

mit etwas höherem Zinsnährstoff. Das ist<br />

die größte Bedrohung für den Euro: Höhere<br />

Zinsen in den USA lassen all diese frisch<br />

gedruckten Euro-Scheinchen über den<br />

Atlantik schwimmen. Dann geht die <strong>Geld</strong>druckerei<br />

und Zinsenschinderei erst richtig<br />

los. Denn die Europäische Zentralbank<br />

(EZB) hat sich bislang mit ihrer Zinspolitik<br />

nie, wie sie behauptet, am Durchschnitt<br />

der wirtschaftlichen Notwendigkeit in Europa<br />

orientiert. Sie nährt immer ihren<br />

hungrigsten Notfall und erzeugt Blasen an<br />

anderer Stelle. Das war um 2005 so – damals<br />

war Deutschland der kranke Mann<br />

Europas und wurde mit niedrigen Zinsen<br />

gepflegt. Diese Niedrigzinsen haben die<br />

Verschuldungsblase in Südeuropa aufgepumpt,<br />

weil Kredite so billig waren wie nie.<br />

Heute können Griechenland und Spanien<br />

nur mit Niedrigzinsen überleben, während<br />

Deutschland eigentlich höhere bräuchte,<br />

um einen gefährlichen Selbstbetrug zu verhindern.<br />

Um uns herum, in den Niederlanden<br />

und in Finnland, sind solche Wohlfühlträume<br />

schon geplatzt. Dort haben die<br />

Niedrigzinsen die Immobilienpreise angeheizt.<br />

Paff!!!! Weil diese Preise durch Mieten<br />

nicht erwirtschaftet werden, fallen jetzt die<br />

Häuserpreise. Immobilienkredite platzen,<br />

Firmen gehen bankrott. Das vermeintlich<br />

starke Oranje steht bis zu den Knien im<br />

Schuldenwasser.<br />

BLASEN DER SELBSTTÄUSCHUNG<br />

Jetzt fließt Kapital nach Deutschland –<br />

nach demselben Muster. Die Industrie<br />

wirkt supererfolgreich. Doch zieht man die<br />

wegen der Niedrigzinsen gesunkenen Finanzierungskosten<br />

ab, bleibt nicht mehr<br />

viel von der Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem<br />

steigen die Löhne kräftig. Wenn die<br />

Blase sich aufbläht, erscheint alles möglich.<br />

Das zeigt sich erneut in Deutschland:<br />

höhere Löhne, Mindestlöhne und das Verjubeln<br />

der Steuermehreinnahmen durch<br />

Wählergeschenke. Dieses Berliner Theater<br />

können Sie täglich verfolgen. Die Immobilienpreise<br />

steigen zweistellig, und viele<br />

Anleger berücksichtigen nicht, dass die<br />

Mieten nicht schnell genug mitziehen.<br />

Das geht gut, solange die EZB mitspielt<br />

und die Fed die Zinsen nicht erhöht. Wenn<br />

doch: finales Peng!!! Die großen <strong>Geld</strong>fluten<br />

der Notenbanken reißen alles mit. Arbeitsplätze<br />

futsch, Immobilienpreise treffen im<br />

Keller auf <strong>Ihr</strong> Rest-Vermögen, Steuern versiegen.<br />

Das Peng!!! gehört zur Blase wie das<br />

Wohlgefühl am Anfang.<br />

n<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 5<br />

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Überblick<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

8 Seitenblick Das Vermögen der Kirche<br />

10 SAP: Größter Flop der Firmengeschichte<br />

11 Deutsche Bahn: Verleih für Privatautos |<br />

Touristik: Pleiten befürchtet | Haribo: Goldbären<br />

für Ältere<br />

12 Interview: Mercedes-Produktionschef<br />

Andreas Renschler will Audi und BMW jagen<br />

14 Musikdienste: Chaotische Kooperationen |<br />

Schiffsfracht:Container für Mittelständler |<br />

Drei Fragen zur Chemie-Tarifrunde<br />

16 Zeitarbeit: Ärger bei Manpower | Derivatehandel:<br />

Ermittlungen gegen CMC-Chef |<br />

Vertu: Luxushandys billiger<br />

18 Chefsessel | Startup Inreal Technologies<br />

20 Chefbüro Jochen Homann, Präsident der<br />

Bundesnetzagentur<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

22 Staatsschulden Braucht auch Deutschland<br />

eine Tea Party, um den ewigen Anstieg<br />

des Schuldenbergs zu stoppen? | Interview:<br />

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts,<br />

Ferdinand Kirchhof, will staatliche<br />

Defizite grundsätzlich verbieten<br />

28 Ortstermin Für AfD-Parteichef Bernd Lucke<br />

beginnt das Leben nach der Politik<br />

30 Interview: Garrelt Duin Der NRW-Wirtschaftsminister<br />

will den Ausbau alternativer<br />

Energien drosseln<br />

34 Regierungsbildung Was ein einheitlicher<br />

flächendeckender Mindestlohn brächte<br />

36 Bankenunion Die Bilanzprüfung durch die<br />

EZB verbreitet Angst und Schrecken<br />

38 Ukraine Der Anschluss an die EU soll einen<br />

Modernisierungsschub bringen | Interview:<br />

Der ukrainische Ministerpräsident, Mykola<br />

Asarow, über seine Erwartungen an Europa<br />

43 Berlin intern<br />

Der Volkswirt<br />

44 Kommentar | Nachgefragt<br />

45 Konjunktur Deutschland<br />

46 Nobelpreis Die Auswahl der Preisträger ist<br />

auch eine Mahnung an die Notenbanken<br />

48 Nachgefragt: Raghuram Rajan Indiens<br />

Notenbankchef will die Wirtschaft beleben<br />

Unternehmen&Märkte<br />

50 Marken-Ranking Warum sich deutsche<br />

Weltmarktführer so gut verkaufen<br />

56 Suhrkamp Der Machtkampf wirft ein<br />

Schlaglicht auf das neue Insolvenzrecht<br />

58 China Die Freihandelszone in Shanghai<br />

enttäuscht bisher deutsche Unternehmen<br />

60 Solarindustrie Können auch die Deutschen<br />

vom weltweiten Aufschwung profitieren?<br />

63 Interview: Marcus Schmidt Der neue<br />

Reemtsma-Chef trotzt den drohenden<br />

Restriktionen für die Tabakindustrie<br />

66 VDMA So tickt Reinhold Festge, frischgewählter<br />

Chef des Maschinenbauverbands<br />

Titel Für die Tonne<br />

Anleger, die sich an Immobilien, Windparks<br />

oder Schiffen beteiligt haben,<br />

stehen vielfach vor einem Scherbenhaufen.<br />

Häuser sind mieterlos, Windräder rosten<br />

vor sich hin, und Seefrachtraten stürzen ab.<br />

Wie die Fondsanbieter tricksen, wie sich<br />

Anleger wehren können. Seite 92<br />

Brauchen auch wir<br />

eine Tea Party?<br />

Nicht nur in den USA, auch bei uns<br />

funktioniert Politik nur auf Pump.<br />

Ein Ende des Schuldenmachens ist<br />

nicht in Sicht. Seite 22<br />

Die Marken-Könige<br />

„Die schaffen das“ – Mittelständler wie Philip von dem Bussche,<br />

Chef des Saatgutherstellers KWS, pflegen ihre Marke so gut, dass sie<br />

weltweit spitze sind. Das Ranking der 20 Cleversten. Seite 50<br />

TITELILLUSTRATION: DMITRI BROIDO; FOTOS: MASTERFILE, DDP IMAGES, GETTY IMAGES, SHOTSHOP, MAURITIUS IMAGES<br />

6 Person auf dem Titel erwähnt<br />

Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 43, 21.10.2013<br />

Der Stahl der Zukunft<br />

Extrem stabil, ultraleicht und fast erdbebensicher: Innovative<br />

High-Tech-Textilien revolutionieren die Bauindustrie und verleihen<br />

Brücken, Häusern und Stadien ganz neue Eigenschaften. Seite 72<br />

68 Groupon Nach Boom und Krise steht das<br />

Schnäppchenportal am Scheideweg<br />

Technik&Wissen<br />

72 Bauen High-Tech-Textilien revolutionieren<br />

die Bauindustrie<br />

76 Mobilfunk Die Bezahlung von Waren per<br />

Handy wird alltagstauglich<br />

81 Valley Talk<br />

FOTOS: PR (2), GROTZ BECKERT, DIMO FELDMANN<br />

Deutschlands beste Berater<br />

Klein schlägt groß: Porsche Consulting gewinnt den Wirtschafts-<br />

Woche-Wettbewerb Best of Consulting und lässt <strong>dabei</strong> Branchenriesen<br />

wie McKinsey und Boston Consulting Group hinter sich. Seite 82<br />

Bodenreform<br />

„Make Rugs, not War“,<br />

heißt die pinkfarbene Parole.<br />

Teppichdesigner wie Jan<br />

Kath verbinden traditionelle<br />

Knüpftechniken mit der<br />

Formensprache der Moderne.<br />

Seite 112<br />

Management&Erfolg<br />

82 Spezial Best of Consulting Deutschlands<br />

erfolgreichste Unternehmensberatungen<br />

<strong>Geld</strong>&Börse<br />

92 Geschlossene Fonds Anleger, die sich an<br />

Immobilien oder Schiffen beteiligt haben,<br />

stehen vielfach vor einem Scherbenhaufen.<br />

Wie die Anbieter tricksen, wie sich Anleger<br />

wehren | Welche Signale Investoren warnen |<br />

Welche Rechtsansprüche existieren<br />

100 Aktien Papiere von Batterieherstellern versprechen<br />

hohe Gewinne bei hohem Risiko<br />

104 Steuern und Recht Heizung | Scheidung |<br />

Privatkredit | Telefonvertrag | Zugluft<br />

106 <strong>Geld</strong>woche Kommentar: Börsengang<br />

Twitter | Trend der Woche: US-Schulden |<br />

Dax-Aktien: Deutsche Telekom | Hitliste:<br />

Gold | Aktien: Schaltbau, Sberbank | Chartsignal:<br />

Nikkei | Anleihe: Goldman Sachs |<br />

Fonds: FPM Stockpicker Germany Small<br />

Mid | Nachgefragt:Craton-Capital-Gründer<br />

Markus Bachmann glaubt an Minenaktien<br />

Perspektiven&Debatte<br />

112 Teppiche Alte Muster in neuem Design<br />

116 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

5 Einblick, 118 Leserforum,<br />

120 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick<br />

n Lesen Sie <strong>Ihr</strong>e WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

In dieser Ausgabe finden Sie<br />

Videos zum skurrilen Gebaren<br />

der Tabakhersteller und<br />

zum Weltmarktführer-<br />

Ranking. Außerdem<br />

das Chefbüro in einer<br />

360-Grad-Ansicht.<br />

wiwo.de/apps<br />

n Investment-Punk Gerald Hörhan<br />

berichtet im Interview, warum 70<br />

Prozent der Gesetze unnötig sind<br />

und Weicheier deswegen Karriere<br />

machen. wiwo.de/investment-punk<br />

facebook.com/<br />

wirtschaftswoche<br />

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wiwo<br />

plus.google.com/<br />

+wirtschaftswoche<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 7<br />

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Seitenblick<br />

KIRCHE<br />

Irdische Güter<br />

Die Zahl der Mitglieder sinkt, aber die Einnahmen<br />

der Kirche in Deutschland steigen. Denn auch der<br />

Staat zahlt immer mehr.<br />

Weniger Gläubige<br />

Gesamtzahl derKirchenmitglieder in Millionen<br />

28<br />

26<br />

24<br />

22<br />

20<br />

Katholische Kirche<br />

Evangelische Kirche<br />

2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012<br />

345Milliarden Euro besitzen katholische<br />

und evangelische Kirche in Deutschland, schätzt<br />

Kirchenkritiker Carsten Frerk. Dazu zählt er <strong>Geld</strong> und<br />

Grundbesitz, nicht aber Kirchenhäuser oder Sakralkunst.<br />

Ein Teil des katholischen Vermögens liegt im<br />

Bischöflichen Stuhl eines jeden Bischofs. In Limburg<br />

wird daraus auch die umstrittene Residenz finanziert.<br />

Einige Bistümer haben diese Werte nun offengelegt,<br />

sie zeigen aber nur einen Teil des Besitzes. So gab das<br />

Erzbistum Köln 166 Millionen Euro an, doch allein<br />

jährliche Einnahmen aus Aktien und Immobilien in<br />

Höhe von 46,5 Millionen Euro lassen auf ein Vermögen<br />

von mehr als einer Milliarde Euro schließen.<br />

325 000Hektar Wald<br />

und Äcker besitzen die 16 000 evangelischen Gemeinden.<br />

Die katholische Kirche ist unter anderem an der<br />

Verlagsgruppe Weltbild beteiligt, am Filmproduzenten<br />

Tellux („Tatort“) und an Klosterbetrieben wie der<br />

Brauerei Andechs. Die kirchlichen Hilfswerke Caritas<br />

und Diakonisches Werk betreiben Krankenhäuser<br />

und Kitas. Die Kosten erstattet teils der Staat.<br />

68Bischöfe erhalten monatlich im Schnitt<br />

je 8000 Euro aus Steuermitteln. Als Ruhestandsgeld<br />

bekommt beispielsweise der zurückgetretene Augsburger<br />

Bischof Walter Mixa 5400 Euro. Dass dafür der<br />

Staat aufkommen muss, ist eine Folge der Enteignung<br />

nach dem Sieg Napoleons 1803. Seit 1949 wurden<br />

so 14,8 Milliarden Euro an „Entschädigungen“ gezahlt.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

Mehr Steuern<br />

Kirchensteueraufkommen in Milliarden Euro<br />

6<br />

5<br />

4<br />

*geschätzt<br />

3<br />

2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012<br />

Noch mehr Steuern<br />

Staatsleistungen an die Kirchen in Millionen Euro<br />

1982<br />

1992<br />

2002<br />

2012<br />

247,3<br />

312,2<br />

Kaum Kollekte<br />

Einnahmen der evangelischen Kirche nach Einnahmearten<br />

in Prozent<br />

Kollekten, Opfer und Spenden<br />

Sonstiges<br />

Vermögenseinnahmen<br />

(Mieten, Pachten,<br />

Kapitalerträge)<br />

Entgelte für<br />

kirchliche<br />

Dienstleistungen*<br />

7,6<br />

12,7<br />

Fördermittel und<br />

Zuschüsse von Dritten<br />

6,4<br />

3,1 Staatsleistungen 2,6<br />

9930<br />

Millionen Euro 48,0<br />

19,6<br />

* z. B. Elternbeiträge in Kindereinrichtungen, Schulgeld, Friedhofswesen<br />

2013*<br />

2013*<br />

429,1<br />

474,9<br />

Kirchensteuer und<br />

Gemeindebeitrag<br />

8 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Reiche Kölner, arme Magdeburger<br />

Einnahmen der katholischen Bistümer 2013 und<br />

Vermögen der bischöflichen Stühle<br />

287,5<br />

70,0%<br />

19,0%<br />

8,2<br />

986,3<br />

76,3%<br />

14,1%<br />

166,2<br />

212,6<br />

84,1%<br />

1,6%<br />

100,0<br />

229,1<br />

73,8%<br />

20,3%<br />

2,2<br />

Aachen<br />

304,5<br />

62,2%<br />

1,6%<br />

0<br />

Osnabrück<br />

Essen<br />

356,6<br />

73,5%<br />

18,4%<br />

84,0<br />

139,8<br />

80,2%<br />

9,9%<br />

geheim<br />

Köln<br />

Trier<br />

166,2<br />

87,5%<br />

4,2%<br />

geheim<br />

Speyer<br />

Münster<br />

Limburg<br />

133,8<br />

80,7%<br />

11,8%<br />

46,5<br />

Freiburg<br />

403,6<br />

81,9%<br />

1,3%<br />

2,4<br />

363,0<br />

90,4%<br />

0,4%<br />

geheim<br />

Paderborn<br />

Mainz<br />

491,8<br />

81,4%<br />

8,6%<br />

geheim<br />

Hildesheim*<br />

Fulda<br />

Würzburg<br />

Rottenburg-<br />

Stuttgart<br />

323,7<br />

61,4%<br />

12,6%<br />

geheim<br />

164,6<br />

74,9%<br />

k.A.<br />

geheim<br />

124,9<br />

70,5%<br />

7,2%<br />

geheim<br />

Augsburg<br />

Bamberg<br />

Eichstätt<br />

Hamburg*<br />

Magdeburg<br />

Regensburg<br />

München-<br />

Freising<br />

Quelle:EKD,DeutscheBischofskonferenz,Bistümer, Carsten Frerk, eigeneRecherchen *Zahlen von 2012; ** teils inklusive öffentlicher Zuschüsse und Personalkostenerstattung<br />

Erfurt<br />

54,4<br />

31,3%<br />

k.A.<br />

geheim<br />

316,0<br />

87,7%<br />

5,5%<br />

geheim<br />

101,4<br />

81,1%<br />

2,0%<br />

35,0<br />

28,7<br />

41,8%<br />

18,5%<br />

geheim<br />

664,2<br />

71,4%<br />

16,4%<br />

27,6<br />

Berlin<br />

Dresden-<br />

Meißen<br />

349,1<br />

75,3%<br />

k.A.<br />

geheim<br />

Passau<br />

Einnahmen in Mio.Euro<br />

davon durch:<br />

Kirchensteuer<br />

(in Prozent)<br />

Staatsleistungen**<br />

(in Prozent)<br />

Vermögen des<br />

bischöflichen Stuhls<br />

(in Millionen Euro)<br />

0–100 Mio.Euro<br />

100–300 Mio.Euro<br />

300–500 Mio.Euro<br />

500–1000 Mio.Euro<br />

164,1<br />

50,0%<br />

38,0%<br />

0<br />

Görlitz<br />

148,4<br />

90,3%<br />

6,6%<br />

1,5<br />

keine<br />

Angaben<br />

109,4<br />

82,7%<br />

2,1%<br />

geheim<br />

95,6<br />

80,9%<br />

6,0%<br />

geheim<br />

keine<br />

Angaben<br />

ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

Blitzmail an Mitarbeiter<br />

SAP-Vorstand Sikka<br />

SAP<br />

Aus für Milliardenprojekt<br />

Der deutsche IT-Konzern stoppt die<br />

Weiterentwicklung der Mittelstandssoftware<br />

Business By Design – es ist der<br />

größte Flop der Unternehmensgeschichte.<br />

Am Ende ging alles sehr schnell. Am Morgen des<br />

10. Oktober ruft das SAP-Management seine Beschäftigten<br />

noch für denselben Tag zu einer Mitarbeiterversammlung<br />

zusammen. Dort verkündet<br />

Technik-Vorstand Vishal Sikka knapp, die Mittelstandssoftware<br />

Business By Design werde nicht<br />

mehr weiterentwickelt. Ein kleines Team in Indien<br />

soll sich um die Wartung der Software bei den Bestandskunden<br />

kümmern. Grund für den Schlussstrich:<br />

Misserfolg. Internen Quellen zufolge setzen<br />

bisher nur 785 Kunden die Software produktiv ein,<br />

bis Ende 2013 soll der Umsatz nur 23 Millionen<br />

Euro betragen. Auf Anfrage bestätigte ein SAP-Sprecher<br />

das Ende der Weiterentwicklung, betonte<br />

aber: „Business By Design ist und bleibt Bestandteil<br />

unseres Angebots.“ Die Zahlen wollte SAP nicht<br />

bestätigen und verwies auf angeblich mehr als 1000<br />

Kunden Ende 2011. Entlassungen plant SAP nicht,<br />

die betroffenen Entwickler sollen in andere Bereiche<br />

des Konzerns wechseln.<br />

Das Aus für die weitere Entwicklung von Business<br />

By Design markiert den größten Flop in der<br />

mehr als 40-jährigen Unternehmensgeschichte von<br />

SAP. 2003, also vor gut zehn Jahren, stieß der dama-<br />

lige Vorstandschef Henning Kagermann die Entwicklung<br />

einer komplett neuen Software an. Der<br />

ursprüngliche Anspruch lautete, einen Nachfolger<br />

für das langjährige SAP-Erfolgsprodukt R/3 zu<br />

konzipieren.<br />

Nach mehrmaligen Änderungen und Neustarts<br />

kam Business By Design Mitte 2010 schließlich als<br />

Mittelstandslösung auf den Markt – zwei Jahre<br />

später als zunächst geplant. Und das, obwohl zwischenzeitlich<br />

mehr als 3000 Entwickler an dem<br />

Projekt arbeiteten – damals rund ein Viertel der<br />

gesamten SAP-Entwicklungstruppe. Nach Schätzungen<br />

aus Kreisen der Arbeitnehmer dürften sich<br />

die Gesamtinvestitionen in der vergangenen<br />

Dekade auf inzwischen rund drei Milliarden Euro<br />

summieren.<br />

Trotz dieses enormen Kraftaufwands leidet Business<br />

By Design bis heute unter technischen Problemen.<br />

Hinter vorgehaltener Hand beklagen Nutzer<br />

und Kunden, die Software laufe zu langsam. Das<br />

wiegt umso schwerer, da Business By Design als<br />

Cloud-Lösung konzipiert ist. Das heißt:Die Software<br />

läuft auf Rechnern bei SAP; die Nutzer greifen<br />

via Internet auf sie zu.<br />

Weltweit ist Cloud Computing eines der wichtigsten<br />

Wachstumsfelder der IT-Branche überhaupt<br />

(siehe Grafik). Davon konnte zumindest Business<br />

By Design nicht profitieren. Einen Rückzug aus der<br />

Cloud weist SAP aber von sich.<br />

michael.kroker@wiwo.de<br />

Höhenflug<br />

Weltweite Umsätze mit<br />

Cloud Computing<br />

(in Milliarden Dollar)<br />

111,7<br />

2012<br />

131,8<br />

ab 2013 Prognose;<br />

Quelle:Gartner<br />

154,8<br />

180,4<br />

2013 2014 2015<br />

FOTOS: GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA, MARTIN KROLL<br />

10 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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DEUTSCHE BAHN<br />

Verleih für Privatautos<br />

Die Deutsche Bahn baut ihr<br />

Carsharing-System Flinkster<br />

aus. Anfang 2014 will DB-Rent-<br />

Chef Rolf Lübke Autobesitzer<br />

dazu bringen, ihren Privatwagen<br />

an Flinkster-Nutzer zu verleihen.<br />

Pro Stunde erhalten die<br />

Eigner eine Gebühr, die Bahn-<br />

Tochter kassiert pro Vorgang eine<br />

Provision. Möglicherweise<br />

könnte das Projekt, das unter<br />

dem Namen „Flinkster privat“<br />

läuft, noch dieses Jahr starten,<br />

heißt es aus Konzernkreisen.<br />

Noch sind Rechtsfragen offen.<br />

HARIBO<br />

Goldbärchen<br />

für Senioren<br />

Mit der Erfahrung von Ferrero<br />

Haribo-Manager Theato<br />

Der Bundesverband der Autovermieter<br />

Deutschlands hat<br />

das Unternehmen Autonetzer.de<br />

verklagt. Er will vor dem<br />

Landgericht Berlin durchsetzen,<br />

dass eine private Autovermietung<br />

so behandelt wird wie<br />

eine gewerbliche. Dann müssten<br />

die rund 4000 in der Autonetzer-Kartei<br />

registrierten<br />

Autos etwa jedes Jahr vom TÜV<br />

überprüft werden. Privat gefahrene<br />

Autos müssen in der Regel<br />

nur alle zwei Jahre zum TÜV.<br />

christian.schlesiger@wiwo.de<br />

Felix Theato, nach dem Tod<br />

des Patriarchen Hans Riegel der<br />

starke Mann bei Haribo, will das<br />

Angebot nicht nur auf Kinder<br />

ausrichten. „Auf der To-do-Liste<br />

steht die Ansprache älterer Konsumenten“,<br />

heißt es im Umfeld<br />

des Unternehmens über den zurückhaltenden<br />

Marketingmanager.<br />

Theato kam 2012 zum Goldbärchen-Hersteller<br />

und rückte<br />

erst im August 2013 in die Geschäftsführung<br />

auf. Vor seinem<br />

Wechsel arbeitete er bei Ferrero<br />

und verantwortete dort Marketing<br />

und Werbung in Deutschland,<br />

etwa für Kinder-Schokolade,<br />

Nutella und Mon Cheri.<br />

andreas.wildhagen@wiwo.de<br />

Aufgeschnappt<br />

Ökorock Rockstar Peter Maffay<br />

geht unter die Einzelhändler. In<br />

der Altstadt von Palma de Mallorca<br />

eröffnet er einen<br />

Laden für<br />

Ökolebensmittel.<br />

Die meisten der<br />

rund 80 Produkte<br />

stammen<br />

von seiner<br />

Finca<br />

Can Sureda<br />

und werden<br />

auf Wunsch<br />

auch nach<br />

Deutschland<br />

geliefert. Das<br />

Design des Geschäfts<br />

schrieb<br />

Maffay bis ins<br />

kleinste<br />

Detail vor.<br />

Sendepause Die USA konnten<br />

den Haushaltsstopp zwar aufheben,<br />

aber er wirkt sich noch auf<br />

das deutsche TV-Programm aus.<br />

Der Bayerische Rundfunk muss<br />

den für Anfang November geplanten<br />

Neustart der „Space<br />

Night“ verschieben. Während<br />

des Haushaltsstopps konnte<br />

die US-Weltraumbehörde Nasa<br />

nicht arbeiten und die gewünschten<br />

Weltraumbilder nicht<br />

rechtzeitig liefern. Jetzt soll die<br />

Space-Night-TV-Sendung am<br />

15. November wieder anlaufen.<br />

TOURISTIK<br />

Pleitewelle<br />

befürchtet<br />

Der Deutsche Reise Verband<br />

(DRV) befürchtet eine Pleitewelle<br />

unter Reiseveranstaltern,<br />

da die Finanzämter das Gewerbesteuergesetz<br />

neu auslegen.<br />

„Die Existenz mittelständischer<br />

Reiseveranstalter und damit<br />

Zehntausender Arbeitsplätze<br />

stehen auf dem Spiel“, warnt<br />

DRV-Präsident Jürgen Büchy.<br />

Nach DRV-Berechnungen summieren<br />

sich die Mehrbelastungen<br />

auf 1,4 Milliarden Euro.<br />

Der Streit mit der Finanzverwaltung<br />

resultiert aus der Reform<br />

des Gewerbesteuergesetzes<br />

von 2008. Danach werden<br />

bei der Berechnung der Steuer<br />

auch die Hälfte aller Pacht- und<br />

Mietzahlungen sowie Leasinggebühren<br />

für „unbewegliche<br />

Anlagegüter“ einbezogen.<br />

Betriebsprüfer in Nordrhein-<br />

Westfalen haben das Verfahren<br />

nun auch für den Einkauf von<br />

Hotelkontingenten durch Reiseveranstalter<br />

übernommen,<br />

die Finanzämter der anderen<br />

Bundesländer folgten. Den Firmen<br />

drohten millionenschwere<br />

Nachzahlungen, zumal die Regel<br />

rückwirkend seit 2008 angewendet<br />

werden sollen.<br />

hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />

3000<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

=Erstauflagen<br />

in Deutschland<br />

undFrankreich<br />

(inTausend)*<br />

Quo vadis?<br />

Am Donnerstag erscheint der erste Asterix-Band ohne den Ur-Zeichner Uderzo<br />

0<br />

1961 62 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 79 80 82 83 87 91 96 01 05 13<br />

*Zahlen derdeutschen Auflage zwischen 1972 und1990 nichtveröffentlicht; Quelle: Ehapa-Verlag,Les ÉditionsAlbertRené<br />

Frankreich<br />

130<br />

Deutschland<br />

117<br />

Spanien<br />

24<br />

Großbritannien<br />

23<br />

Griechenland<br />

7<br />

Italien<br />

6<br />

Portugal<br />

5,5<br />

Gesamt<br />

350<br />

Insgesamtverkaufte<br />

Exemplare<br />

(inMillionen)<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 11<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

FLOSKELCHECK<br />

Politik der<br />

Austerität<br />

Haushaltspolitische<br />

Absicht der Regierung,<br />

demnächst (und<br />

dann vielleicht sogar<br />

dauerhaft) weniger<br />

von solchen Äpfeln zu<br />

essen, die noch gar<br />

nicht gewachsen sind,<br />

geschweige denn<br />

geerntet wurden. Gilt<br />

unter international<br />

anerkannten Experten<br />

als sehr riskantes und<br />

völlig unpopuläres<br />

Sparprojekt, weswegen<br />

vorsorglich auf die<br />

deutsche Bezeichnung<br />

verzichtet wurde.<br />

Denn dies hätte das<br />

Publikum tatsächlich<br />

auf die im Kern mit<br />

allem verfolgte Sparabsicht<br />

hinweisen<br />

können.<br />

DER FLOSKELCHECKER<br />

Carlos A. Gebauer, 48,<br />

arbeitet als Rechtsanwalt in<br />

Düsseldorf, wurde auch als<br />

Fernsehanwalt von RTL und<br />

SAT.1 bekannt.<br />

MERCEDES Andreas Renschler<br />

»Entsetzt war ich nicht,<br />

aber überrascht«<br />

Wenn sich der neue Produktionschef bewährt, hat<br />

er gute Chancen, Daimler-Chef Dieter Zetsche zu<br />

beerben. Gerissen hat er sich um den Job nicht.<br />

Herr Renschler, viele waren<br />

überrascht, als Sie im April die<br />

Spitze der Nutzfahrzeugsparte<br />

verließen und Produktionschef<br />

von Mercedes wurden. Sie<br />

selbst auch?<br />

Überraschungen gehören zum<br />

Leben.<br />

...und waren entsetzt, als<br />

der Aufsichtsrat Ihnen den<br />

Wechsel vorschlug?<br />

Nein, entsetzt war ich nicht,<br />

aber eben überrascht.<br />

Warum liegt Ihnen das Lkw-<br />

Geschäft so am Herzen?<br />

Das Lkw-Segment hat für viele<br />

sicher nicht die Faszination unserer<br />

Pkws. Dabei ist das Geschäft<br />

hoch spannend und hat<br />

mir viel Spaß gemacht. Es ist ein<br />

Firmenkundengeschäft mit<br />

ganz anderen Regeln. Kunden<br />

kaufen Lkws nicht, weil ihnen<br />

das Design gefällt. Bei Nutzfahrzeugen<br />

sind harte Fakten wie<br />

der Spritverbrauch die entscheidenden<br />

Kaufkriterien. Für<br />

die Nutzer stehen die Betriebskosten<br />

im Mittelpunkt. Und im<br />

Unterschied zu Pkws werden<br />

Lkws meist da produziert, wo<br />

sie auch verkauft werden. Es<br />

wäre viel zu teuer, sie über weite<br />

Strecken zu transportieren.<br />

Übertragen Sie das Prinzip nun<br />

auf den Pkw-Bereich? Statt<br />

Export aus Deutschland mehr<br />

Produktion im Ausland?<br />

Ab einem bestimmten Absatzvolumen<br />

ist auch bei Pkws eine<br />

Produktion direkt in der Verkaufsregion<br />

sinnvoll. Das ist in<br />

der Tat eine Herausforderung in<br />

der Pkw-Sparte. Ab 2014 wird<br />

zum Beispiel die neue C-Klasse<br />

auch in den USA gebaut. Und<br />

ab 2015 etwa läuft in unserem<br />

US-Werk in Alabama ein sportliches,<br />

völlig neues Geländewagenmodell<br />

vom Band.<br />

Die Beschäftigten in Deutschland<br />

hören das nicht gerne.<br />

Das kann ich mir nicht vorstellen.<br />

Die deutschen Standorte<br />

bilden durch ihr Know-how<br />

und ihre Vorbildrolle für die<br />

Werke in anderen Ländern das<br />

Rückgrat der Produktion. Ohne<br />

sie geht nichts, auch in Zukunft.<br />

DER WECHSLER<br />

Renschler, 55, kam nach seinem<br />

Studium 1988 zu Daimler, 2004<br />

rückte er in den Vorstand auf. Zunächst<br />

war er dort für Lkws und<br />

Busse zuständig, seit April 2013<br />

verantwortet er Produktion und<br />

Einkauf von Mercedes-Benz.<br />

Wir bauen hier keine Beschäftigung<br />

ab. Die deutschen Standorte<br />

tragen massiv Verantwortung<br />

für unser Wachstum –<br />

vielleicht nicht hinsichtlich der<br />

Stückzahlen, aber hinsichtlich<br />

des Know-hows. Neue Produktionstechniken<br />

wird man immer<br />

zuerst in Deutschland einführen<br />

und mit der Erfahrung<br />

von dort dann im Ausland.<br />

Daimler-Chef Dieter Zetsche<br />

versprach, dass Mercedes in<br />

sechs Jahren BMW und Audi<br />

bei Absatz und Gewinn überholt.<br />

Können Sie so schnell die<br />

Produktion ausbauen?<br />

Wir werden das schaffen. Wir<br />

wachsen bereits schneller als<br />

der Wettbewerb. In den USA<br />

zum Beispiel sind wir schon<br />

ganz vorne. In China wachsen<br />

wir zweistellig. Man kann lange<br />

darüber debattieren, warum<br />

wir dort heute noch nicht so<br />

stark sind, wie wir sein wollten.<br />

Aber wichtig ist, dass wir die<br />

Probleme erkannt haben und<br />

entsprechend handeln.<br />

Wie sichern Sie beim schnellen<br />

Wachstum die Qualität?<br />

Wir sind vielleicht teurer als<br />

Wettbewerber. Wir müssen den<br />

Kunden beweisen, dass der<br />

Preis gerechtfertigt ist. Wir<br />

brauchen eine besondere Qualität<br />

der Produkte, der internen<br />

Prozesse und der Mitarbeiter.<br />

Der Kunde muss am Ende ein<br />

Fahrzeug bekommen, das herausragend<br />

ist. Herausragend,<br />

aber nicht unnahbar.<br />

Wie passt dazu, dass der<br />

Mercedes-Transporter Citan<br />

im Crashtest nur drei Sterne<br />

erhielt, faktisch also durchfiel?<br />

Das Auto basiert auf einem<br />

Modell, das vor etlichen Jahren<br />

konzipiert wurde. Inzwischen<br />

haben sich die Crashtest-<br />

Normen weiterentwickelt. Man<br />

muss sich aber auch im Klaren<br />

sein, welche Funktion ein solches<br />

Auto hat. Es ist ein Lieferwagen,<br />

bei dem für den Kunden<br />

das Kosten-Nutzen-Verhältnis<br />

entscheidend ist. Deshalb gab<br />

es auf den Crashtest auch keine<br />

Reaktionen dieser Kunden.<br />

martin.seiwert@wiwo.de<br />

FOTO: AGENTUR FOCUS/ZEITENSPIEGEL<br />

12 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

NAPSTER<br />

Kooperationen verwirrend<br />

Um die Jahrtausendwende galt<br />

die illegale Musiktauschbörse<br />

Napster als Totengräber der<br />

Plattenfirmen. Inzwischen gehört<br />

der Dienst dem US-Unternehmen<br />

Rhapsody und ist an<br />

der nächsten Digitalrevolution<br />

beteiligt. Ganz legal kann man<br />

darüber Musik online hören,<br />

ohne sie herunterladen zu müssen.<br />

Solche Streaminganbieter<br />

boomen. Apple<br />

hat in den USA<br />

jüngst solch ein<br />

Portal gestartet<br />

und reagiert<br />

damit vor<br />

MITTELSTAND<br />

Fracht<br />

gebündelt<br />

Die Nordsee ist 260 Kilometer<br />

entfernt, auch die Schiffe auf<br />

dem Rhein kann Bodo Knop<br />

nicht sehen – und dennoch hat<br />

er von seinem Büro im fünften<br />

Stock in der Düsseldorfer City<br />

einen guten Überblick darüber,<br />

welche Containerschiffe wohin<br />

fahren und welche Frachtraten<br />

sie fordern. Muss er auch haben,<br />

denn genau mit dem Wissen<br />

verdient der 37-Jährige sein<br />

<strong>Geld</strong>. Er bündelt die Fracht von<br />

meist mittelständischen Unternehmen<br />

und schlägt so für sie<br />

bei den Reedern günstigere<br />

Konditionen heraus. So günstig,<br />

wie sie sonst nur größere Imund<br />

Exporteure erhalten.<br />

allem auf den Erfolg des schwedischen<br />

Marktführers Spotify.<br />

Um seine Position in dem umkämpften<br />

Segment zu stärken,<br />

kooperiert Napster mit dem<br />

spanischen Telekomriesen<br />

Telefónica. „Wir haben eine globale<br />

Partnerschaft geschlossen“,<br />

sagt Napsters Europa-Chef<br />

Thorsten Schliesche.<br />

Die Spanier erhalten Anteile<br />

an Rhapsody, im Gegenzug<br />

übernimmt Napster Kunden<br />

des lateinamerikanischen<br />

Telefónica-Musikdienstes Sonora.<br />

Außerdem sind weitere<br />

Kooperationen geplant, damit<br />

beispielsweise den Telefónica-<br />

Kunden nicht die Datenmengen<br />

berechnet werden, wenn<br />

sie Musik übers Smartphone<br />

hören. „Wie viel Datenvolumen<br />

das verbraucht ist die<br />

häufigste Kundenfrage“, so<br />

Globale Partnerschaft mit<br />

Telefónica geschlossen<br />

Napsters Europa-Chef<br />

Schliesche<br />

Erweitert sein Streckennetz<br />

Logistiker und SRTS-Chef Knop<br />

Schliesche. In Deutschland<br />

bietet die Deutsche Telekom<br />

solch einen Tarif gemeinsam<br />

mit Spotify an.<br />

Napster hat jedoch in Europa<br />

noch mehr Konkurrenz. So<br />

arbeitet der deutsche Wettbewerber<br />

Simfy hier schon mit der<br />

Telefónica-Tochter O2 zusammen,<br />

Napster selbst mit E-Plus.<br />

Auch in Spanien sind die Claims<br />

abgesteckt. Dort kooperiert<br />

Telefónica mit Spotify, Napster<br />

wiederum mit Vodafone.<br />

Schliesche rechnet trotzdem<br />

mit weiteren Vereinbarungen<br />

und einer Konsolidierung<br />

in den nächsten Jahren. „Im<br />

Moment redet jeder mit jedem“,<br />

sagt Schliesche.<br />

Napster ist <strong>dabei</strong> in einer<br />

vergleichsweise schlechten<br />

Position. Während die Nutzerzahl<br />

binnen eines Jahres von<br />

einer Million auf 1,2 Millionen<br />

wuchs, kommt Spotify auf fünf<br />

bis sechs Millionen. Die Napster-Mutter<br />

Rhapsody entließ<br />

kürzlich 15 Prozent ihrer Mitarbeiter.<br />

Firmenchef Jon Irwin<br />

trat im vergangenen Monat<br />

zurück.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

bilität und Planungssicherheit<br />

bringt“, sagt der SRTS-Chef. Er<br />

bucht für seine Kunden nicht<br />

nur Schiffscontainer, sondern<br />

kümmert sich um die gesamte<br />

Logistikkette, also auch um<br />

den Transport an Land, um<br />

Genehmigungen und Dokumente.<br />

Alles vom fünften Stock<br />

aus.<br />

hermann.olbermann@wiwo.de<br />

DREI FRAGEN...<br />

...zur Chemie-Tarifrunde<br />

Michael<br />

Vassiliadis<br />

49, Chef der<br />

Gewerkschaft<br />

Bergbau,<br />

Chemie, Energie<br />

(IG BCE)<br />

Im Oktober 2005 hat Knop<br />

das Unternehmen SRTS gegründet,<br />

zuvor hatte er beim<br />

Logistiker Panalpina und bei<br />

der Maersk-Reederei gearbeitet.<br />

Inzwischen beschäftigt der<br />

Speditionskaufmann 18 Mitarbeiter,<br />

kam 2012 auf einen Honorarumsatz<br />

von rund sechs<br />

Millionen Euro und reservierte<br />

für seine Kunden in diesem Jahr<br />

85 000 Container, meist für die<br />

Strecke zwischen Fernost und<br />

Europa. Jetzt will er das Geschäft<br />

auf den innereuropäischen<br />

Routen und auf den Verbindungen<br />

zwischen Fernost<br />

und Nordamerika ausbauen.<br />

Zudem hat Knop ein Preismodell<br />

entwickelt, das seinen<br />

Kunden trotz stark schwankender<br />

Frachtraten „mehr Preisstan<br />

Am Dienstag gibt die IG-<br />

BCE-Spitze ihre Forderungsempfehlung<br />

für die Tarifrunde<br />

in der Chemieindustrie<br />

bekannt. Wie viel mehr soll<br />

es denn sein für die 550 000<br />

Beschäftigten?<br />

Die Lage in der Chemieindustrie<br />

ist sehr robust. Die Unternehmen<br />

sind international<br />

wettbewerbsfähig, die Produktivität<br />

der Beschäftigten<br />

liegt bei 400 000 Euro pro<br />

Kopf und Jahr. Das wird sich in<br />

unserer Forderung widerspiegeln.<br />

Kleinere Probleme hier<br />

und da ändern nichts daran,<br />

dass die Branche insgesamt<br />

gut aufgestellt ist.<br />

n Neben höheren Löhnen<br />

fordert die IG BCE eine<br />

Übernahmegarantie für Azubis.<br />

Bestrafen Sie so nicht<br />

Betriebe, die viel ausbilden?<br />

Wir brauchen eine klare Ansage<br />

zur Übernahme. Es geht<br />

um gute Perspektiven für die<br />

jungen Leute. Eine solche Regelung<br />

liegt auch im Interesse<br />

der Unternehmen – der drohende<br />

Fachkräftemangel ist ja<br />

keine Erfindung. Klar ist aber:<br />

Wir wollen nichts auf den Weg<br />

bringen, was ausbildungsstarke<br />

Unternehmen bestraft.<br />

n Der letzte große Arbeitskampf<br />

in der Chemieindustrie<br />

war 1971. Können Sie<br />

überhaupt noch streiken?<br />

Wir sind organisatorisch und<br />

finanziell uneingeschränkt<br />

streikfähig. Wobei ich klar<br />

sage: Ein Streik ist die Ultima<br />

Ratio. Es gibt keinen Grund,<br />

vor Beginn der Verhandlungen<br />

von Streik zu reden.<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

FOTOS: AGENTUR FOCUS/OSTKREUZ, PR (2)<br />

14 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

MANPOWER<br />

Streit mit<br />

Deutschen<br />

TOP-TERMINE VOM 21.10. BIS 27.10.<br />

21.10. Europa Eurostat veröffentlicht am Montag, wie<br />

stark die EU-Staaten 2012 verschuldet waren und<br />

wie hoch das Defizit war.<br />

PETER CRUDDAS<br />

Ermittlungen<br />

gegen Broker<br />

Der Streit beim Zeitarbeitsriesen<br />

Manpower zwischen der<br />

amerikanischen Konzernzentrale<br />

und der deutschen Tochter<br />

eskaliert. Insider klagen, die<br />

US-Mutter aus Milwaukee<br />

zwinge den Europäern einen<br />

übertriebenen Sparkurs auf und<br />

investiere stattdessen in Asien.<br />

Zweimal schon mussten sperrige<br />

Deutschland-Chefs gehen:<br />

2009 Thomas Reitz und in diesem<br />

Jahr Vera Calasan. Calasans<br />

Nachfolger Herwarth<br />

Brune trat offenbar mit dem<br />

Auftrag an, weitere Köpfe rollen<br />

zu lassen. Eine Woche nach seinem<br />

Amtsantritt Anfang Oktober<br />

setzte der Seiteneinsteiger,<br />

der vom dänischen Gebäude-<br />

Management-Konzern ISS kam,<br />

den erfahrenen Mann für das<br />

operative Geschäft, Michael<br />

Kästner, und den kaufmännischen<br />

Geschäftsführer Claus<br />

Niedworok vor die Tür.<br />

Ex-Chef Reitz blickt im Zorn<br />

zurück:„Entwicklungschancen<br />

in Deutschland aufgrund von<br />

Konzernvorgaben aus Milwaukee<br />

kaputtzusparen kam für<br />

mich nicht infrage.“ Die Zahl<br />

der deutschen Manpower-Niederlassungen<br />

sank in wenigen<br />

Jahren um rund ein Fünftel.<br />

harald.schumacher@wiwo.de<br />

VERTU<br />

Luxushandys<br />

jetzt billiger<br />

Vertu, britischer Hersteller edler<br />

Mobiltelefone, sucht neue<br />

Kunden und kopiert dazu Apple.<br />

Vor wenigen Tagen hat das<br />

Unternehmen ein preiswerteres<br />

Handy vorgestellt. Das Gerät<br />

mit Saphirglas und teurem<br />

Kalbsleder heißt Constellation<br />

und ist für 4900 Euro zu haben –<br />

für Vertu ein Billighandy. Das<br />

22.10. Bundestag Die neu gewählten Abgeordneten kommen<br />

am Dienstag zur konstituierenden Sitzung zusammen.<br />

Sie wählen das Präsidium und den Bundestagspräsidenten.<br />

VW-Gesetz Der Europäische<br />

Gerichtshof entscheidet<br />

über das VW-Gesetz,<br />

das dem Land Niedersachsen<br />

ein Vetorecht im<br />

Aufsichtsrat des Autoherstellers einräumt. Dagegen<br />

hat die EU-Kommission geklagt. Sie fordert<br />

von Deutschland ein Bußgeld in Millionenhöhe.<br />

Chemieindustrie Die Chemiegewerkschaft<br />

IG BCE beschließt ihre Empfehlungen für die<br />

neue Tarifrunde. Die geltenden Verträge für die<br />

550 000 Beschäftigten enden Anfang 2014.<br />

Apple Der IT-Konzern stellt voraussichtlich<br />

neue iPads vor. Gleichzeitig startet Microsoft<br />

den Verkauf seines Tablets Surface 2.<br />

23.10. BER Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft<br />

Berlin Brandenburg berät am Mittwoch den<br />

Baufortschritt.<br />

24.10. EU-Gipfel Die europäischen Staats- und Regierungschefs<br />

treffen sich am Donnerstag in Brüssel.<br />

Der EU-Gipfel geht bis Freitag.<br />

25.10. Konjunktur Das Münchner ifo Institut veröffentlicht<br />

am Freitag den Geschäftsklimaindex für<br />

Oktober.<br />

Neues Billighandy<br />

Luxus für 4900 Euro<br />

Modell TI, das Vertu im Februar<br />

auf den Markt gebracht hatte,<br />

kostete noch 7900 Euro. „Wir<br />

wollen neue Käuferschichten erschließen“,<br />

sagt Massimiliano<br />

Pogliani, der das Unternehmen<br />

seit Juni<br />

leitet. Es gehört<br />

dem schwedischen<br />

Finanzinvestor<br />

EQT, der<br />

es vor einem Jahr<br />

von Nokia übernommen<br />

hat. Der Strategieschwenk<br />

hängt aber offenbar<br />

auch mit dem Druck des Eigentümers<br />

EQT zusammen, der<br />

seine Beteiligungen im Schnitt<br />

4,7 Jahre hält und dann abstößt.<br />

Pogliani schließt nicht aus,<br />

dass er künftig noch günstigere<br />

Modelle auf den Markt<br />

bringt. „Es muss allerdings<br />

eine Untergrenze geben,<br />

die man als Luxushersteller<br />

nicht unterschreitet.“<br />

matthias.kamp@wiwo.de |<br />

München<br />

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt<br />

ermittelt gegen den Gründer<br />

und Chef des Derivatebrokers<br />

CMC Markets, Peter<br />

Cruddas. Das geht aus einem<br />

Brief der Behörde hervor, der<br />

der WirtschaftsWoche vorliegt.<br />

Staatsanwaltschaft und CMC<br />

wollten sich nicht dazu äußern.<br />

Cruddas sagte, er sei nicht an<br />

Zivilprozessen in Deutschland<br />

beteiligt und die Vorwürfe damit<br />

sachlich falsch. Die Ermittlungen<br />

gehen auf die Strafanzeige<br />

eines CMC-Kunden<br />

Weiterer Ärger droht<br />

CMC-Gründer und Chef Cruddas<br />

zurück. Der Anleger hatte zuvor<br />

vor dem Landgericht Frankfurt<br />

Schadensersatz erstritten, CMC<br />

musste mehr als 16 200 Euro an<br />

den Kunden zurückzahlen.<br />

CMC hatte mehrfach Geschäfte<br />

des Kunden „zu fehlerhaften<br />

Kursen“ abgerechnet, heißt es<br />

im Urteil.<br />

Die falschen Kurse sind strafrechtlich<br />

verjährt, jetzt geht es<br />

um den Verdacht auf Prozessbetrug.<br />

CMC soll im Zivilprozess<br />

in einem Schriftsatz unwahr<br />

vorgetragen haben. CMC<br />

droht zudem noch mehr Ärger.<br />

„Wir haben mehrere Klagen<br />

wegen falscher Kursabrechnungen<br />

in Vorbereitung“, sagt<br />

Rechtsanwalt Ralf Pflück, Partner<br />

der Kanzlei Doerr & Partner.<br />

annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA, GETTY IMAGES, INTER TOPICS<br />

16 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

STARTUP<br />

APPLE<br />

Angela Ahrendts, 53, gibt<br />

den Chefposten auf, um<br />

Vize zu werden – und betrachtet<br />

den Schritt dennoch<br />

als Karrieresprung.<br />

Im Frühjahr verlässt sie die<br />

britische Modemarke Burberry<br />

und fängt als Senior<br />

Vice President bei Apple an,<br />

dem wertvollsten Unternehmen<br />

der Welt. Die Amerikanerin<br />

untersteht direkt Konzernchef<br />

Tim Cook, 52, und<br />

soll das weltweite Ladennetz<br />

und den Online-Verkauf des<br />

IT-Konzerns vorantreiben.<br />

Schon seit Längerem suchte<br />

Cook einen Ersatz für den<br />

langjährigen Chefverkäufer<br />

Ron Johnson, 54. Johnsons<br />

Nachfolger John Browett,<br />

49, kam nicht mit der Apple-<br />

Kultur zurecht und hielt sich<br />

nur sechs Monate. Auch<br />

Browetts Nachfolger Jerry<br />

McDougal erklärte im Januar<br />

seinen Rücktritt. Cook hatte<br />

Ahrendt erstmals im Januar<br />

getroffen. „Sie teilt unsere<br />

Werte und unseren Fokus<br />

STROM<br />

auf Innovationen“, schwärmte<br />

Cook schon damals. So viel Vorschusslorbeeren<br />

haben allerdings<br />

wenig zu bedeuten. Auch<br />

Browett bescheinigte der Apple-<br />

Chef einst einmalige Qualitäten.<br />

Ahrendts weiß in der Tat,<br />

Produkte edel zu präsentieren<br />

und teuer zu verkaufen. Seit ihrem<br />

Antritt bei Burberry 2006<br />

verdreifachte sich der Umsatz<br />

auf zuletzt drei Milliarden<br />

Dollar. Sie ist schon die zweite<br />

Überläuferin aus der Modebranche.<br />

Im Juli hatte Apple<br />

Paul Deneve, den ehemaligen<br />

Chef von Yves Saint Laurent, als<br />

Manager für Sonderprojekte<br />

abgeworben. Im Silicon Valley<br />

wird bereits spekuliert, Ahrendts<br />

seien noch höhere Weihen<br />

in Aussicht gestellt.<br />

COMMERZBANK<br />

Martin Blessing, 50, hat die<br />

Zahl der Bereichsvorstände reduziert.<br />

Maria Basler, Gerhard<br />

Kebbel (beide Finanzen), Detlef<br />

Hermann (Mittelstand), Hui-<br />

Sun Kim (Handel), Markus<br />

Lammers (Exzellenz), Thomas<br />

Bley, Thomas Köntgen und<br />

Katrin Stark (alle Hypothekenbank)<br />

haben die Bank verlassen<br />

oder werden gehen. Sicherheitschef<br />

Roland Wolf ist nicht<br />

mehr Bereichsvorstand, sondern<br />

Zentralbereichsleiter.<br />

Osteuropachef Andre Carls<br />

wechselt auf die Position von<br />

Hermann in der Mittelstandsbank.<br />

21 Prozent<br />

der Industrieunternehmen in Deutschland planen ein eigenes<br />

Kraftwerk, 19 Prozent erzeugen ihren Strom schon selbst, 8<br />

Prozent investieren aktuell in eigene Energieanlagen, so eine Umfrage<br />

der Industrie- und Handelskammern. Insgesamt befassen<br />

sich 48 Prozent mit Strom aus eigener Quelle, 2012 waren es 44.<br />

INREAL TECHNOLOGIES<br />

Hausbesichtigung per Cyberbrille<br />

Durch ein Haus laufen, noch ehe der Grundstein gelegt wurde -<br />

das Karlsruher Startup Inreal Technologies macht es möglich, zumindest<br />

virtuell. Die Gründer Moritz Luck (links) und Thomas<br />

Schander haben dafür ein Terminal samt Software entwickelt.<br />

Ferner muss der Nutzer eine spezielle 3-D-Brille aufsetzen, in die<br />

kleine Bildschirme eingebaut sind. Ein Sensor registriert die Kopfbewegungen<br />

und passt die Blickrichtung intuitiv in der virtuellen<br />

Welt an. Gleichzeitig lassen sich über ein Tablet mit ein paar Klicks<br />

Möbel, Bodenbeläge und Lichtverhältnisse verändern. „Unsere<br />

Technologie hilft, Bauprojekte besser zu planen“, erklärt Luck. Er<br />

hat schon namhafte Kunden wie den Baukonzern Bilfinger überzeugt,<br />

der die Renovierung des Jagdschlosses Kranichstein in<br />

Darmstadt mit der Technik vorbereitete. Jetzt hat das junge Unternehmen<br />

potente Investoren gefunden. Der halbstaatliche High-<br />

Tech-Gründerfonds investiert zusammen mit zwei weiteren privaten<br />

<strong>Geld</strong>gebern einen hohen sechsstelligen Betrag.<br />

Inspiriert wurden die Gründer durch Online-Spiele. „Wir wollten<br />

ursprünglich einen Simulator mit Brille und Laufband entwickeln,<br />

die es erlauben, in<br />

Fakten zum Unternehmen<br />

Mitarbeiter fest angestellt 12<br />

Finanzierung durch Privatinvestoren<br />

und Exist-Förderung<br />

bisher etwa 450 000 Euro<br />

Umsatz geplant sind mit 30<br />

Kunden für 2013 2 000 000 Euro<br />

3-D-Welten herumzulaufen“,<br />

sagt Luck. „Auf das<br />

Laufband haben wir inzwischen<br />

verzichtet –<br />

jetzt genügt ein Joystick,<br />

um zu einer virtuellen Erkundungstour<br />

aufzubrechen.“<br />

jens.toennesmann@wiwo.de<br />

FOTOS: LAIF, PR<br />

18 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Jochen Homann<br />

Präsident der Bundesnetzagentur<br />

Punkt acht Uhr drückt Jochen<br />

Homann, 60, auf den Knopf des<br />

Fahrstuhls und fährt in die 13.<br />

Etage. Mit dem Ritual beginnt<br />

ein langer Arbeitstag, an dem er<br />

sich durch Akten und Vorlagen<br />

liest. „Das kostet Zeit“, sagt<br />

Homann. Seit März 2012 leitet<br />

er die Bundesnetzagentur in<br />

Bonn. Sie untersteht dem<br />

Bundeswirtschaftsministerium<br />

und kontrolliert die Märkte für<br />

Strom, Gas, Eisenbahn, Telekommunikation<br />

und Post. Rund<br />

2500 Mitarbeiter kümmern sich<br />

darum, dass in diesen ehemals<br />

staatlich dominierten Bereichen<br />

Wettbewerb herrscht.<br />

„Einer meiner Kunden schaut<br />

mir direkt ins Fenster“, sagt<br />

Homann und zeigt Richtung<br />

Rheinufer auf den<br />

360 Grad<br />

In unserer iPad-<br />

Ausgabe finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

gläsernen Post-Tower.<br />

Knapp 40 Quadratmeter<br />

misst das Chefbüro,<br />

ausgestattet mit<br />

Möbeln des amerikanischen<br />

Herstellers<br />

Herman Miller. Auf<br />

dem Sideboard neben<br />

der Deutschland-Fahne<br />

stehen Bilder, die Homann<br />

mit Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel (CDU), Wirtschaftsminister<br />

Philipp Rösler (FDP)<br />

und Umweltminister Peter<br />

Altmaier (CDU) zeigen. Über<br />

den Fotos hängt eine Weltkarte.<br />

Auf ihr hat Homann seine<br />

Dienstreisen markiert, die er als<br />

beamteter Staatssekretär des<br />

Bundeswirtschaftsministeriums<br />

unternahm.<br />

Nach dem<br />

Studium hatte er als<br />

Wissenschaftlicher<br />

Assistent im Hamburger<br />

HWWA-Institut<br />

für Wirtschaftsforschung<br />

begonnen,<br />

1982 wechselte er ins Bundeswirtschaftsministerium,<br />

von<br />

1991 bis 2000 leitete er die<br />

Grundsatzabteilung im Kanzleramt,<br />

bevor er ins Ministerium<br />

zurückkehrte. Auf seinem<br />

Schreibtisch in der Bundesnetzagentur<br />

steht auch ein kleines<br />

Windrad. Symbol dafür, dass<br />

sich Homann auch als „Anwalt<br />

und Impulsgeber“ der Energiewende<br />

sieht. Direkt neben<br />

dem Rad, im Schatten eines<br />

Drachenbaums, verbirgt sich<br />

eine Urlaubserinnerung. Das<br />

Foto zeigt den dreifachen<br />

Vater zusammen mit seiner<br />

Frau Monika beim Strandlauf<br />

im mexikanischen Cancún.<br />

ulrich.groothuis@wiwo.de<br />

FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

20 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Braucht Deutschland<br />

eine Tea Party?<br />

SCHULDEN | Nicht nur die USA nehmen immer mehr Kredite auf, auch hierzulande<br />

funktioniert Demokratie nur auf Pump. Die große Koalition könnte die Ausgaben<br />

noch weiter hochtreiben. Ein Ende der Schuldenmacherei ist nicht in Sicht.<br />

Das Menetekel jenseits des Atlantiks<br />

verschwand ausgerechnet<br />

vor der letzten Runde<br />

der Berliner Koalitions-Sondierungen:<br />

In der Nacht zum<br />

Donnerstag einigten sich in Washington<br />

Republikaner und Demokraten auf einen<br />

Kompromiss im Haushaltsstreit, auf noch<br />

mehr Kredite für die Schuldensupermacht<br />

USA. Unbeschwert von drohenden Gefahren<br />

für die Weltwirtschaft konnten also in<br />

Berlin die Unterhändler von Union und<br />

SPD ihre Suche nach Gemeinsamkeiten erfolgreich<br />

zu Ende führen.<br />

Für die neue Bundesregierung kamen<br />

selbst mit den Grünen nur Parteien infrage,<br />

die mehr <strong>Geld</strong> ausgeben wollen; auch mit<br />

dem Versprechen weiterer staatlicher<br />

Wohltaten haben sie die Wahlen gewonnen<br />

(obwohl natürlich die Bürger diese<br />

Wohltaten mit Steuern und Sozialabgaben<br />

früher oder später selbst finanzieren müssen).<br />

Jene Gruppierungen, die besonders<br />

vehement für Sparen und gegen weitere<br />

Schulden eingetreten sind – die FDP und<br />

die Alternative für Deutschland –, schafften<br />

mit 4,8 beziehungsweise 4,7 Prozent nicht<br />

mal den Sprung in den Bundestag.<br />

Eine Tea-Party-Bewegung, die rigoros<br />

den Politikbetrieb blockierte, bis der<br />

Marsch in den Schuldenstaat gestoppt wäre,<br />

ist hierzulande nicht in Sicht. Im Gegenteil:<br />

Die finanziellen Verpflichtungen von<br />

Bund, Ländern und Gemeinden wachsen<br />

und wachsen; Ende des Jahres werden es<br />

zweibillionensiebzigmilliarden Euro sein.<br />

Auch wenn der Bund in den vergangenen<br />

Jahren sein laufendes Defizit herunterdrücken<br />

konnte: Er musste zwar weniger neue<br />

Kredite aufnehmen als früher, aber dennoch<br />

häufte er immer mehr Schulden auf.<br />

Sparen bedeutete, bloß weniger <strong>Geld</strong> auszugeben,<br />

das man ohnehin nicht hatte.<br />

Im nächsten Jahr soll es einen „strukturell<br />

ausgeglichenen“ Haushalt geben –<br />

klingt schön, heißt aber nichts anderes, als<br />

dass die Einnahmen immer noch nicht reichen.<br />

Einen Verzicht auf eine Nettoneuverschuldung,<br />

wie der technische Ausdruck<br />

heißt, plant Finanzminister Wolfgang<br />

Schäuble für 2015 – sofern nichts dazwischenkommt:<br />

keine Naturkatastrophen,<br />

keine Bankenpleiten, keine Euro-Krise,<br />

keine Konjunkturdelle. Und keine teuren<br />

Wohltaten der schwarz-roten Regierung.<br />

Denn in den Verhandlungen über eine<br />

neue Koalition stehen die Zeichen nicht auf<br />

weniger, sondern auf mehr Ausgaben. Mehr<br />

für Rentner, mehr für Forschung, mehr für<br />

Schulen, mehr für Straßen und Schienen.<br />

Als Dankeschön für den Mindestlohn<br />

gestand die SPD der Union zu, auf Steuererhöhungen<br />

zu verzichten. CDU und<br />

CSU wollen zudem die kalte Progression<br />

zumindest mildern. Alles sympathische,<br />

teilweise notwendige<br />

Maßnahmen – nur leider ohne Finanzierung.<br />

Es koalieren die <strong>Geld</strong>ausgeber,<br />

die ihre Versprechen in<br />

der Zeit sprudelnder Steuereinnahmen<br />

ersonnen haben. Bricht<br />

schon in den vier Jahren dieser<br />

Legislaturperiode die Konjunktur<br />

ein oder steigen die Zinsen,<br />

fällt das Konstrukt aus<br />

Gönnerpose und Gottvertrauen<br />

in sich zusammen.<br />

Eine Schönwetterkoalition eben.<br />

Zwar hält die Union am Ziel fest, der<br />

Staat müsse bald ohne neue Schulden auskommen.<br />

So steht es im Wahlprogramm,<br />

so beteuern es die Unterhändler. „Keine<br />

neuen Schulden – das ist das Markenzeichen<br />

der Union schlechthin“, sagt der<br />

Thüringer Fraktionschef Mike Mohring,<br />

Doppelvorsitzender der CDU/CSU-<br />

Fraktionsvorsitzendenkonferenz und der<br />

finanzpolitischen Sprecher. „Dabei muss<br />

es bleiben, alles andere wäre töricht.“ Aber<br />

auch er sieht die Gefahr, dass ein politisches<br />

Elefantenbündnis die Stabilität<br />

gefährden könnte. „Eine so dominierende<br />

verfassungsändernde<br />

Mehrheit<br />

ILLUSTRATION: SMETEK<br />

22 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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wie eine große Koalition könnte die Schuldenbremse<br />

natürlich jederzeit wieder<br />

streichen. Wenn in den nächsten Jahren<br />

die Konjunktur wieder schwächer wird,<br />

droht da eine Gefahr. Da müssen wir aufpassen.“<br />

Schon warnt Bundesbank-Präsident Jens<br />

Weidmann die Politik vor Übermut:<br />

„Wichtig ist es, die Haushalte so zu gestalten,<br />

dass ein Sicherheitsabstand zur Neuverschuldungsgrenze<br />

eingehalten wird,<br />

um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.“<br />

Die heimischen Vorschriften hülfen<br />

besser als die amerikanischen, Solidität<br />

der Finanzen und Stabilität der Wirtschaft<br />

zu verknüpfen: „Im Gegensatz zu den USA<br />

hat Deutschland mit der verfassungsrechtlich<br />

verankerten Schuldenbremse eine<br />

Haushaltsregel, die dem Wachstum der<br />

Volkswirtschaft Rechnung trägt.“<br />

ERSTE WOHLTATEN GARANTIERT<br />

Sorgen macht dem Thüringer Mohring der<br />

künftige Koalitionspartner. „Die Sozialdemokraten<br />

neigen immer dazu, mehr <strong>Geld</strong><br />

auszugeben – schon wegen ihrer Konkurrenzsituation<br />

zur Linkspartei.“ Und die<br />

Landesregierungen von SPD und Grünen<br />

in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg<br />

zeigten, wohin die Reise nach deren<br />

Wünschen ginge: „Dort ist die Neuverschuldung<br />

nach dem Regierungswechsel<br />

jeweils stark gestiegen.“ Aber auch die Union<br />

will nicht nur das <strong>Geld</strong> zusammenhalten,<br />

will nicht alles unter einen Finanzierungsvorbehalt<br />

stellen. Die große Koalition<br />

kann teuer werden:<br />

Mütterrente Gleich zu Beginn der Sondierungen<br />

hatte der Unions-Fraktionsvorsitzende<br />

Volker Kauder verkündet, das CDU/<br />

CSU-Wahlversprechen einer Mütterrente<br />

sei nicht verhandelbar. Der Segen für jene<br />

Seniorinnen, die ihre Kinder vor 1992 geboren<br />

haben und bisher schlechter wegkamen<br />

als Mütter mit jüngeren Kindern, soll<br />

aus den Rücklagen der Rentenkasse bezahlt<br />

werden. Erst mal. Für die anfänglichen<br />

Kosten von 6,5 Milliarden Euro, mit<br />

denen Bundesarbeitsministerin Ursula<br />

von der Leyen kalkuliert, reicht das zunächst.<br />

Später wachsen die Kosten nach<br />

unionsinternen Schätzungen auf bis zu<br />

zehn Milliarden Euro. Dann, beziehungsweise<br />

wenn die Rücklage nichts mehr hergibt,<br />

„müsste der entsprechende Steuerzuschuss<br />

wieder angepasst werden“, kalkulierte<br />

der CDU-Haushälter Norbert Barthle<br />

vor der Wahl. „Oder man macht es direkt<br />

über Steuern.“ Sowie sich die Konjunktur<br />

eintrübt und die Beschäftigung sinkt, reichen<br />

die Einnahmen<br />

der Altersversicherung<br />

ohnehin nicht mehr.<br />

Dann müssten die Beiträge<br />

steigen, oder es<br />

müssten weitere <strong>Geld</strong>er<br />

aus dem Bundeshaushalt<br />

als Sonderzuschuss<br />

her.<br />

Mindestrente Wer in<br />

seiner aktiven Zeit nur<br />

wenig verdient hat oder<br />

längere Zeit nur eingeschränkt<br />

tätig oder gar arbeitslos war, soll<br />

850 Euro Rente garantiert bekommen.<br />

Während die Union ihre „Lebensleistungsrente“<br />

aus den Beiträgen finanzieren will,<br />

möchte die SPD für ihr Modell <strong>Geld</strong> aus<br />

dem Staatshaushalt. Die Kosten belaufen<br />

sich auf rund zehn Milliarden Euro pro<br />

Jahr.<br />

Bildung Gleich 20 Milliarden Euro hat die<br />

SPD hier eingeplant, die Bund und Länder<br />

gemeinsam aufbringen sollen. CDU und<br />

CSU geizen in ihrem Wahlprogramm zwar<br />

mit konkreten Zahlen, nicht<br />

aber mit ausgabenintensiven<br />

Ideen für Schulen und<br />

Hochschulen. Bei vielem<br />

waren sich die künftigen<br />

Partner schon vorher einig.<br />

Ausbau der Ganztagsschulen,<br />

mehr <strong>Geld</strong> für Bafög-<br />

Empfänger, Stärkung der<br />

Hochschulen, ein Plus für<br />

Forschung und Unternehmensgründung.<br />

Fehlt nur noch<br />

das <strong>Geld</strong>.<br />

Infrastruktur Verkehrsexperten von SPD<br />

und Union halten rund vier Milliarden Euro<br />

für nötig, Verkehrsminister Peter Ramsauer<br />

(CSU) nennt zwei Milliarden Euro<br />

realistisch.<br />

„Wenn die Einnahmen gut sind, dann<br />

neigt die Politik dazu, Leistungen nicht nur<br />

für ein Jahr, sondern auf Dauer auszuweiten“,<br />

beobachtet Bernd Raffelhüschen, Professor<br />

für Finanzwissenschaften an der<br />

Universität Freiburg und Direktor des Forschungszentrums<br />

Generationenverträ-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 23<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Wer stoppt den Anstieg?<br />

Schulden im öffentlichen Gesamthaushalt Deutschlands (inMilliarden Euro)<br />

unterden jeweiligenBundeskanzlern<br />

»<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

1 2 3 4 5 6 7 8<br />

1 Adenauer 2 Erhard 4 Brandt 5 Schmidt 6 Kohl 7 Schröder 8 Merkel<br />

3 Kiesinger<br />

0<br />

1950 1960<br />

Quelle:destatis<br />

ge. Und Michael Eilfort, Vorstand der<br />

Stiftung Marktwirtschaft, ergänzt: „Je mehr<br />

der Staat hat, desto mehr hat er zu wenig.“<br />

Gerade in den vergangenen Monaten erkannte<br />

er einen „Deichbruch bei der Konsolidierung“<br />

und eine „Flut der Wahlversprechen“.<br />

Alle Parteien schienen sich „einig,<br />

sich in konjunkturell guter Zeit auf<br />

neue strukturelle Ausgaben festzulegen“.<br />

Gefährlicher noch als das Konjunkturrisiko<br />

ist die Zinsentwicklung. Derzeit kann<br />

Deutschland so billig Schulden aufnehmen<br />

wie noch nie. Jedes Jahr werden Anleihen<br />

unterschiedlichster Laufzeiten im<br />

Volumen von rund 250 Milliarden Euro<br />

umgeschuldet. Weil ständig auslaufende<br />

Altanleihen in neue getauscht werden,<br />

sinkt die Zinslast im Bundeshaushalt sogar,<br />

obwohl die Schulden steigen – der Zinsverfall<br />

macht’s möglich. Insgesamt gibt der Finanzminister<br />

in diesem Jahr acht Milliarden<br />

Euro weniger für Zinsen aus als im Jahr<br />

2007, vor Beginn der Banken- und Wirtschaftskrise.<br />

Und das, obwohl in dieser Zeit<br />

der Schuldenstand des Bundes um 300<br />

Milliarden Euro nach oben schoss.<br />

NOCH MEHR DARLEHEN<br />

Aber wehe, wenn der Trend später wieder<br />

dreht! Dann erdrosselt der schnell steigende<br />

Schuldendienst jeden politischen Spielraum<br />

– es sei denn, der Staat nähme noch<br />

mehr Darlehen auf, um zu investieren oder<br />

Bürger und Unternehmen zu fördern.<br />

Aber zum Glück gibt es ja seit ein paar<br />

Jahren in der Verfassung die Schuldenbremse<br />

– argumentiert die Politik und freut<br />

sich der Laie. Aber beendet sie wirklich den<br />

Weg ins Dauerdefizit?<br />

Der Schuldendeckel, den die amerikanischen<br />

Nervenkitzler nun erst mal bis zum<br />

1970 1980 1990 2000 2013<br />

Januar anheben, ist eine absolute Obergrenze.<br />

Die hiesige Verfassungsvorschrift,<br />

auf die deutsche Politiker dieser Tage gern<br />

verweisen, ist ungleich lockerer. Die<br />

Schuldenbremse ist, wie der Name<br />

schon sagt, kein Schuldenstopp.<br />

Zwar bestimmt das Grundgesetz,<br />

die Haushalte von Bund<br />

und Ländern „sind grundsätzlich<br />

ohne Einnahmen<br />

aus Krediten auszugleichen“.<br />

Doch schon im<br />

nächsten Satz des Artikels<br />

115 heißt es lapidar:<br />

„Diesem Grundsatz ist<br />

entsprochen, wenn die<br />

Einnahmen aus Krediten<br />

0,35 vom Hundert<br />

im Verhältnis zum nominalen<br />

Bruttoinlandsprodukt nicht<br />

überschreiten.“ Auch 0,35 gilt als „0“. Anders<br />

ausgedrückt: Schon in konjunkturellen<br />

Hochzeiten darf die Regierung neue,<br />

also zusätzliche Schulden machen. Bezogen<br />

auf die gut 2,7 Billionen Euro, die als<br />

Wirtschaftsleistung für dieses Jahr erwartet<br />

werden, wären jene 0,35 Prozent 9,5 Milliarden<br />

Euro – pro Jahr.<br />

Kommt die Konjunktur ins Schlingern,<br />

darf auch diese Grenze gerissen werden.<br />

Dann darf der Staat bis zu 1,5 Prozent des<br />

BIPs als frisches <strong>Geld</strong> in die Hand nehmen,<br />

um den Abschwung zu bekämpfen. Das<br />

sind dann schon 40 Milliarden Euro. Kehrt<br />

der Aufschwung zurück, ist das neue Defizit<br />

„konjunkturgerecht zurückzuführen“,<br />

also erst mal behutsam.<br />

Und schließlich hat sich die Politik bei<br />

der Einführung der Schuldenbremse noch<br />

eine Art kreditpolitische „Dicke Berta“ zugelegt.<br />

„Im Falle von Naturkatastrophen<br />

oder außergewöhnlichen Notsituationen,<br />

die sich der Kontrolle des Staates entziehen<br />

und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“,<br />

kann das Parlament die<br />

Obergrenzen außer Kraft setzen. Dazu genügt<br />

die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages,<br />

also die Kanzlermehrheit. Die<br />

Rückführung der so aufgenommenen Kredite<br />

hat „binnen eines angemessenen Zeitraums<br />

zu erfolgen“. Lascher geht’s kaum.<br />

Eine Regierung, die mehr lockermachen<br />

will als eigentlich zulässig, müsste also<br />

nicht einmal das Grundgesetz ändern. Es<br />

genügte, eine außergewöhnliche Belastung<br />

zu postulieren. Und das kann vieles<br />

sein, gibt Ferdinand Kirchhof zu bedenken,<br />

Experte für das staatliche Finanzkorsett<br />

und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.<br />

„Irgendein Unglück ereignet<br />

sich doch jedes Jahr: heute die Elbe,<br />

morgen der Arbeitsmarkt, dann kommen<br />

die Lehman Brothers“ (siehe<br />

Seite 26).<br />

Kirchhof empfiehlt deshalb<br />

ein generelles Schuldenverbot.<br />

Dann müsste<br />

die Regierung in guten<br />

Zeiten rechtzeitig ein<br />

Polster anlegen, das bisher<br />

immer nur theoretisch<br />

angemahnt wurde.<br />

Einen Schritt in diese<br />

Richtung hat bereits der<br />

Freistaat Sachsen in seiner<br />

Landesverfassung gemacht.<br />

Zwar gibt es auch<br />

hier – jenseits des apodiktischen<br />

Verbots – Schlupflöcher.<br />

Aber dafür benötigt die<br />

Regierung immerhin eine Zwei-Drittel-<br />

Mehrheit. Im Fall einer großen Koalition<br />

wäre die Hürde allerdings sofort überspringbar,<br />

ohne die Zustimmung der Opposition.<br />

Wenn die Politik wirklich einen Notnagel<br />

für den Bundeshaushalt wolle, plädiert<br />

Kirchhof für eine Regelung, bei der Bundestag<br />

und Bundesrat jeweils mit mindestens<br />

einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Aufnahme<br />

neuer Schulden zustimmen müssten.<br />

„Sie könnten zur Vorsicht auch eine<br />

Drei-Viertel-Mehrheit ansetzen.“ Dann wäre<br />

nicht nur die Hürde höher; sogar nach<br />

einem Regierungswechsel wären dann vermutlich<br />

Politiker in Verantwortung, die<br />

auch für neue Darlehen gestimmt hatten.<br />

Doch selbst diese Zukunftsvorsorge verringert<br />

nicht das enorme Risiko, das bereits<br />

aus den vorhandenen Schulden erwächst.<br />

Zwar konnte die Bundesregierung gerade<br />

ILLUSTRATION: SMETEK<br />

24 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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stolz den Etatkontrolleuren<br />

der EU-<br />

Kommission in<br />

Brüssel melden,<br />

dass das deutsche<br />

Defizit nach 81<br />

Prozent im vergangenen<br />

Jahr auf 77<br />

Prozent im Jahr 2014 sinken werde. Der<br />

Anteil der Schulden geht zurück – nur die<br />

Schulden gehen nicht zurück. Denn abgesehen<br />

davon, dass die Zielmarke von 60<br />

Prozent aus dem Maastricht-Vertrag noch<br />

in weiter Ferne ist, bleibt die Frage: Wie<br />

lange kann eine schrumpfende, alternde<br />

Bevölkerung noch eine stetig steigende<br />

Wirtschaftsleistung erbringen, um die<br />

wachsenden Schulden zu schultern.<br />

ROTE ZAHLEN<br />

Weitaus gefährlicher noch als die offensichtlichen<br />

Defizite ist die sogenannte implizite<br />

Verschuldung, also vor allem jene<br />

langlaufenden Ansprüche gegen die Sozialversicherungen,<br />

die heute aufgebaut werden,<br />

aber erst von künftigen Generationen<br />

bezahlt werden müssen. Auch die Beamtenpensionen<br />

zählen zu diesen vertuschten<br />

Belastungen. Sie tauchen in keiner offiziellen<br />

Statistik auf, aber der Freiburger Finanzwissenschaftler<br />

Raffelhüschen erstellt<br />

regelmäßig eine Bilanz zur Generationengerechtigkeit.<br />

Die größten Risiken sieht Raffelhüschen<br />

für die Rentenkasse – nicht nur aus systematischen<br />

Bedenken gegen die Armutsbekämpfung<br />

durch eine Umlageversicherung.<br />

Dort klafften Ausgabenpläne und<br />

Gegenfinanzierung am stärksten auseinander.<br />

Der Experte sieht vor allem eine<br />

schwer zu bremsende Dynamik: „Jeder<br />

Wahlkampf wird da zu einer Erhöhung<br />

der Mindestrente führen“, fürchtet Raffelhüschen,<br />

„schließlich wollen die Politiker<br />

Wahlgeschenke abliefern.“<br />

Die Wahlprogramme der Parteien hatte<br />

Raffelhüschen daraufhin durchleuchtet, ob<br />

sie den künftigen Steuer- und Beitragszahlern<br />

noch größere Belastungen aufbürden.<br />

Und in der Tat: Während die FDP weder<br />

mehr ausgeben noch mehr einnehmen<br />

wollte und die Grünen auf eine ordentliche<br />

Gegenfinanzierung ihrer Versprechen geachtet<br />

hatten, waren es just die Konzepte<br />

von Union und SPD, die bei Raffelhüschens<br />

Prüfung am schlechtesten abschnitten. Die<br />

Union hatte zwar Steuererhöhungen ausgeschlossen,<br />

möchte aber mit ihrem Rentenfüllhorn<br />

für Mütter und Arbeitnehmer<br />

mit geringem Verdienst höhere Ausgaben<br />

ermöglichen. Nur leider muss das Füllhorn<br />

später von immer weniger Beitragszahlern<br />

gespeist werden, bei stark steigenden Ausgaben.<br />

SCHWARZE ZUKUNFT<br />

Die SPD hatte zwar kräftige Steuererhöhungen<br />

in ihr Programm geschrieben, aber<br />

noch viel größere Wohltaten angekündigt.<br />

Bei ihr war das Verhältnis von Ausgaben<br />

und Gegenfinanzierung noch ungünstiger.<br />

Deshalb graut es Raffelhüschen nun vor<br />

der Kombination Schwarz-Rot: „Wenn<br />

man diese beiden Konzepte zusammennimmt,<br />

wird es bei der Generationenbilanz<br />

richtig teuer.“<br />

In den USA ist der Streit mit der Tea Party<br />

vorerst beendet. Die nächste Mahnung aus<br />

den USA wird kommen – aber erst im Januar.<br />

Da sind die Koalitionsverhandlungen in<br />

Berlin leider schon vorbei.<br />

n<br />

henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

INTERVIEW Ferdinand Kirchhof<br />

»Ein Einfallstor«<br />

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts traut der Schuldenbremse<br />

nicht und will im Grundgesetz neue Schulden verbieten.<br />

Herr Professor Kirchhof, wie verlässlich<br />

ist die deutsche Schuldenbremse?<br />

Die Regelungen im Bund sind nicht<br />

streng. Obwohl eine Schuldenbremse die<br />

Aufnahme von Krediten verhindern soll,<br />

sind 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

jederzeit erlaubt. Weitere 1,5 Prozent<br />

darf man aufnehmen bei Konjunkturschwächen.<br />

Das soll der Staat in<br />

besseren Zeiten ausgleichen, indem er<br />

ein Polster anlegt. Aber wir wissen alle:<br />

Im Boom wird nicht gespart. Und dann<br />

gibt es für weitere Kreditaufnahme noch<br />

„Naturkatastrophen oder außergewöhnliche<br />

Notsituationen, die sich der Kontrolle<br />

des Staates entziehen und die staatliche<br />

Finanzlage erheblich beeinträchtigen“,<br />

wie es im Artikel 115 Grundgesetz heißt.<br />

Das klingt wie ein Freibrief, oder?<br />

Nun, die Regierung muss dann einen<br />

Tilgungsplan vorlegen, wie sie von den<br />

Krediten wieder herunterkommt. Aber<br />

was bedeutet das schon? Ich will nicht<br />

sagen, das wäre pleins pouvoirs, also<br />

eine unbeschränkte Vollmacht. Aber eine<br />

feste nominelle Obergrenze zieht die<br />

deutsche Schuldenbremse nicht.<br />

Wie ist denn „Notsituation“ definiert?<br />

Das ist genau die Frage. Welches simple<br />

Gewitter unterliegt der Kontrolle des<br />

Staates? Ich möchte nicht den guten Willen<br />

des Verfassungsgesetzgebers bezweifeln,<br />

der hier eine Grenze ziehen wollte.<br />

RECHNENDER RICHTER<br />

Kirchhof, 63, urteilt seit 2007 am Bundesverfassungsgericht<br />

in Karlsruhe. Der Experte<br />

für die Finanzverfassung saß als Sachverständiger<br />

in der Föderalismuskommission.<br />

Aber faktisch wirksam ist das nicht. Denn<br />

irgendein Unglück ereignet sich doch jedes<br />

Jahr: heute die Elbe, morgen der Arbeitsmarkt,<br />

dann kommen die Lehman<br />

Brothers. In diese Falle läuft man jedes<br />

Jahr; so wird die Vorschrift ein Einfallstor<br />

für immer weitere Schulden.<br />

Was wäre besser?<br />

Ich plädiere für ein grundsätzliches Verbot<br />

neuer Schulden. Das wäre eine klare Entscheidung.<br />

Denn es gibt in der Regel keine<br />

Krisenlagen, die weitere Schulden rechtfertigen<br />

würden. Wir hatten in der Geschichte<br />

der Bundesrepublik<br />

letztlich nur zwei wirkliche<br />

Notsituationen: Die eine<br />

waren Krieg und Vertreibung<br />

– das haben<br />

wir ohne Schulden<br />

geschafft und sogar<br />

den Juliusturm angelegt,<br />

also einen<br />

Haushaltsüberschuss.<br />

Und die<br />

zweite war die<br />

deutsche Ein-<br />

heit. Beides kommt wohl nicht wieder.<br />

Also müssen wir auch keine Hintertür<br />

für weitere Verschuldung öffnen.<br />

Welche Regierung kann schon ewig<br />

ohne neue Schulden auskommen?<br />

Wenn die Politik wirklich meint, sie<br />

bräuchte eine Notregelung, dann sollte<br />

eine Verschuldung wenigstens nur zulässig<br />

sein, wenn sie dafür eine Zwei-<br />

Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat<br />

bekommt.<br />

Eine große Koalition hätte den Bundestag<br />

schon im Sack!<br />

Deshalb sollte auch der Bundesrat zustimmen<br />

müssen. Denn dass eine Partei<br />

oder eine Koalition in beiden Kammern<br />

über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt,<br />

ist schon sehr selten. Sie könnten auch<br />

zur Vorsicht eine Drei-Viertel-Mehrheit<br />

ansetzen. Mir geht es im Ergebnis darum,<br />

die Schuldenaufnahme möglichst<br />

komplett zu unterbinden.<br />

Dabei kann sich Deutschland derzeit so<br />

billig finanzieren wie noch nie!<br />

Das ist doch gerade das Gefährliche. Wir<br />

wiegen uns in trügerischer Sicherheit.<br />

Wenn die Zinsen mal wieder steigen,<br />

wird der Staat bald handlungsunfähig.<br />

Das funktioniert ja alles nur, solange es<br />

noch Vertrauen gibt. Aber wir sehen unter<br />

anderem bei den südeuropäischen<br />

Ländern, dass sie bereits an die Grenze<br />

ihrer Kreditwürdigkeit gestoßen sind. So<br />

weit dürfen wir es in Deutschland nicht<br />

kommen lassen. Deshalb bin ich für das<br />

Schuldenverbot.<br />

Reicht das langfristig aus?<br />

Angesichts unserer demografischen Entwicklung<br />

müssten wir sogar Schulden abbauen,<br />

weil die immer kleiner werdenden<br />

nachfolgenden Generationen das sonst<br />

nicht schultern können. Außerdem: Eine<br />

Demokratie auf Pump ist nicht die Idee<br />

der demokratischen Verantwortung, auf<br />

der unsere Verfassung gründet. Der Wähler,<br />

der sich heute neue staatliche Ausgaben<br />

wünscht, müsste auch die Rechnung<br />

dafür präsentiert bekommen;<br />

er muss Verantwortung übernehmen<br />

für das, was er mit seinem<br />

Wahlzettel bestellt, und darf<br />

sie nicht an die nächste Generation<br />

weiterreichen. Mit Krediten<br />

wird diese demokratische<br />

Verantwortung ausgehebelt.<br />

henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 28 »<br />

FOTO: LAIF/CIRA MORO; ILLUSTRATION: SMETEK<br />

26 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Keiner hilft<br />

ORTSTERMIN | Nach dem verpassten Parlamentseinzug mit der AfD<br />

ist Professor Bernd Lucke zurück im Hörsaal – und macht Politik.<br />

Funktioniert<br />

wieder nicht<br />

Lucke im<br />

Uni-Hörsaal<br />

Irgendetwas hakt. Vielleicht ist es der<br />

Beamer, der nicht anspringt, vielleicht<br />

liegt es am Übertragungskabel. Bernd<br />

Lucke zumindest kniet unter dem Rednerpult<br />

und fummelt herum. Der Raum im<br />

historischen Hauptgebäude der Universität<br />

Hamburg ist halb voll, die gut 100 Studenten<br />

schauen ihm zumeist ausdruckslos<br />

entgegen, hier und da schmunzelt einer.<br />

Manche nutzen die entstehende Unruhe<br />

für einen kleinen Plausch. Hilfesuchend<br />

lächelt Lucke in den Raum, keiner reagiert.<br />

So wenig Aufmerksamkeit hat Lucke wohl<br />

selten erlebt in den vergangenen Monaten.<br />

Wortlos verlässt er den Saal.<br />

Bernd Lucke, Ökonomieprofessor aus<br />

Hamburg, ist in den vergangenen Monaten<br />

bundesweit bekannt geworden als Anführer<br />

der Protestpartei Alternative für<br />

Deutschland (AfD), die sich mit beißender<br />

Kritik an der Euro-Rettungspolitik<br />

der Bundesregierung<br />

profilierte. Durch<br />

Lucke ist die Partei zum<br />

Hoffnungsträger derer<br />

geworden, die sich so etwas<br />

wie eine deutsche<br />

Tea Party wünschen.<br />

Für den Einzug in den<br />

Bundestag reichte es<br />

nicht, 4,7 Prozent der<br />

Stimmen genügten<br />

für einen Achtungserfolg,<br />

von dem man sich aber erst mal<br />

nichts Beachtenswertes kaufen kann. Jetzt<br />

sind die Semesterferien vorbei, und so<br />

muss Lucke wieder das tun, wofür ihn das<br />

Land Hamburg bezahlt: Bachelor-Studenten<br />

die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre<br />

erläutern.<br />

ZACKEN UND STRICHE<br />

Als Lucke in den Raum zurückkommt, hat<br />

er einen Hausmeister aufgetrieben, zumindest<br />

die Technik funktioniert jetzt. Der Professor<br />

beginnt die Vorlesung „Makroökonomik<br />

II“ mit einem Verlaufsplan. Der aber<br />

klingt reichlich politisch: Bereits in der<br />

zweiten Unterrichtseinheit steht „Target II“<br />

auf dem Programm. Die Salden in der Bundesbankbilanz<br />

sind für die einen bilanzieller<br />

Ausdruck intensiver Handelsbeziehungen<br />

im Euro-Raum, für die anderen<br />

der Knebel, mit dem die hoch<br />

verschuldeten Euro-Länder<br />

Deutschland zu immer neuen<br />

Hilfsgeldern nötigen.<br />

Unpolitisch oder gar Teil<br />

des ökonomischen Grundwissens<br />

sind sie nicht.<br />

Man merkt Lucke an, dass<br />

die universitäre Bühne seine<br />

Heimat ist. Er erscheint im<br />

dunklen Strickpullover, auf der<br />

Vorderseite wechseln sich Zacken-<br />

und Strichmuster ab, dazu<br />

eine graue Stoffhose. Um zur Klausur<br />

zugelassen zu werden, müssen die Studenten<br />

handschriftliche Zusammenfassungen<br />

der Vorlesungen einreichen. Der Mann ist<br />

eindeutig eher aus der D-Mark- als aus der<br />

Euro-Zeit. Seinen Vortrag absolviert er<br />

überlegen, zumindest der Professor kennt<br />

die Materie ausgezeichnet. Die kleinen<br />

Scherze funktionieren selten. Von dem begeisternden<br />

Redner, dem die Menschen im<br />

Wahlkampf zu Tausenden lauschten, ist<br />

hier kaum etwas zu spüren.<br />

Dabei hätte die Partei ohne den charismatischen<br />

Führer, der sich auch in vielen<br />

Talkshows beachtlich schlug, niemals so<br />

viele Stimmen geholt. Auch dass die AfD<br />

bisher von großen Richtungskämpfen verschont<br />

blieb, verdankt sie ihrer Galionsfigur.<br />

Jetzt aber ist unklar, wie es weitergeht.<br />

Lucke hat bisher offengelassen, ob er auch<br />

bei der Europawahl im kommenden Mai<br />

an der Spitze der Partei stehen will. Dabei<br />

befindet Lucke sich als Hochschullehrer in<br />

einer durchaus komfortablen Situation.<br />

Für bis zu sechs Jahre darf er sich beurlauben<br />

lassen. Jeweils zum Anfang eines Semesters<br />

kann er es sich anders überlegen<br />

und auf seinen Lehrstuhl zurückkehren.<br />

Solange er für die Partei nicht mehr als 20<br />

Prozent seiner Arbeitszeit aufwendet, kann<br />

er sie sogar nebenberuflich führen.<br />

Im Hörsaal stößt diese Doppelrolle auf<br />

Skepsis. Lucke referiert über gesunde und<br />

ungesunde Staatsschulden, zitiert die US-<br />

Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen<br />

Reinhart. Da fragt ein Student nach: Hatte<br />

es nicht vor kurzer Zeit eine Debatte über<br />

Rechenfehler in deren Arbeit gegeben?<br />

Und überhaupt, sei das jetzt noch ökonomische<br />

Theorie oder schon politische Position?<br />

Der Professor weist den Studenten<br />

zurecht. Natürlich werde er auch auf Kritik<br />

an der Theorie eingehen, ansonsten sei das<br />

hier aber keine politische Talkshow, sondern<br />

eine Vorlesung. „Das ist Irreführung,<br />

was Sie hier betreiben“, erwidert der Student.<br />

Lucke wendet sich ab, blättert zur<br />

nächsten Folie.<br />

Die Veranstaltung endet mit Handelsbilanzen,<br />

Fragen zum Stoff? Keine. Aber:<br />

Herr Lucke, war es das jetzt mit <strong>Ihr</strong>er politischen<br />

Karriere? „Ich habe mich mit der Uni<br />

auf eine Teilbeurlaubung geeinigt“, sagt er,<br />

„werde aber trotzdem drei Vorlesungen<br />

halten.“ Und dann, zur Europawahl? „Ab<br />

März bin ich für ein Semester beurlaubt.<br />

Falls wir ins Europaparlament einziehen,<br />

natürlich länger.“ Eine gute Nachricht, für<br />

Parteifreunde und Studenten.<br />

n<br />

konrad.fischer@wiwo.de<br />

FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: SMETEK<br />

28 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»Hier ist richtig Alarm«<br />

INTERVIEW | Garrelt Duin Der NRW-Wirtschaftsminister skizziert einen konkreten Plan für die EEG-<br />

Reform: Das Tempo des Ausbaus will er drosseln, der fossile Kraftwerkspark erhält Bestandsschutz.<br />

Herr Minister, Norddeutschland hat den<br />

Wind, Ost- und Süddeutschland die Solarenergie.<br />

NRW ist Kohle-Land. Wird es<br />

deshalb zum Verlierer der Energiewende?<br />

Fakt ist, dass die Energiewende die Stromkunden<br />

aus NRW überproportional belastet.<br />

Sie zahlen über das EEG-Umlagesystem<br />

eine Milliarde Euro mehr ein, als sie herausbekommen.<br />

Das <strong>Geld</strong> fließt vor allem<br />

nach Bayern. Das kann so nicht bleiben.<br />

Glauben Sie, dass die neue Bundesregierung<br />

hier gegensteuern kann – und will?<br />

Welche Koalition künftig in Berlin regiert,<br />

ist für die Energiewende sekundär. Entscheidend<br />

ist, dass die Bundesländer endlich<br />

einen Konsens finden. Selbst dem bayrischen<br />

Ministerpräsidenten Seehofer ist<br />

mittlerweile klar, dass der unkoordinierte<br />

Ausbau bei regenerativen Energien ein Ende<br />

haben muss.<br />

Trotzdem verhindern die unterschiedlichen<br />

Interessen der Länder eine Reform.<br />

Die Länder bewegen sich aufeinander zu,<br />

das merkt man bei allen Gesprächen. Es<br />

gibt in der Energiepolitik ein Zieldreieck:<br />

Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Klimaschutz.<br />

Aus Sicht des Industriestandorts<br />

NRW sage ich: Das entscheidende Kriterium<br />

muss die Wettbewerbsfähigkeit der<br />

Unternehmen sein. Wir dürfen nicht alles<br />

dem Klimaschutz unterordnen. Wir fordern<br />

von Südeuropa eine höhere Wettbewerbsfähigkeit,<br />

die EU entwirft eine Strategie<br />

zur Re-Industrialisierung – und<br />

Deutschland macht eine Energiepolitik,<br />

die das Gegenteil bewirkt.<br />

Sie hätten das ändern können. Die<br />

Strompreisbremse ist aber mit <strong>Ihr</strong>er Hilfe<br />

im Bundesrat gescheitert...<br />

...weil sie handwerklich extrem schlecht<br />

vorbereitet war und für viele energieintensive<br />

Industriebetriebe in NRW eine gefährliche<br />

Mehrbelastung bedeutet hätte. Eine<br />

echte EEG-Reform muss das Ausbautempo<br />

bei regenerativen Energien senken.<br />

Derzeit liegen wir beim Ausbau über Plan,<br />

während der Netzausbau zurückhängt.<br />

Der zweite wichtige Punkt: Wir brauchen<br />

einen Kapazitätsmarkt für konventionelle<br />

Kraftwerke. Energieversorger müssen dafür<br />

entlohnt werden, wenn sie Reserven für<br />

Zeiten vorhalten, in denen die Sonne nicht<br />

scheint und der Wind nicht bläst.<br />

Das könnte teuer werden.<br />

Wir haben dafür einen Zielkorridor definiert.<br />

Dabei landen wir am Ende maximal<br />

bei sechs Milliarden Euro im Jahr. Das ist<br />

viel <strong>Geld</strong>. Man muss das aber im Verhältnis<br />

zu den 20 Milliarden Euro sehen, die momentan<br />

in erneuerbare Energien fließen.<br />

In Hürth bei Köln wurde für Hunderte<br />

Millionen Euro ein Gaskraftwerk gebaut.<br />

Das ist fertig, geht aber nicht ans Netz,<br />

weil es sich nicht lohnt. Wie wollen<br />

Sie solche Investitionsruinen verhindern?<br />

Das Entscheidende ist, dass wir anfangen<br />

müssen, über Kapitalkosten zu reden. Bisher<br />

wird immer nach den Betriebskosten<br />

gefragt:Wie teuer ist die Kohle, wie teuer ist<br />

das Erdgas? Wenn wir die modernsten<br />

Kraftwerke haben wollen, dann muss man<br />

sich klarmachen, dass das mehr kostet.<br />

Sonst mache ich die Betreiber alter Kohle-<br />

»Wir dürfen<br />

nicht alles<br />

dem Klimaschutz<br />

unterordnen«<br />

kraftwerke glücklich – aber nicht die der<br />

modernen, die wir eigentlich wollen.<br />

Wie viele fossile Kraftwerke würden überleben?<br />

Mehr oder weniger die Anzahl, die momentan<br />

existiert. Das klingt nach sehr viel.<br />

Aber wir müssen für den Moment der<br />

„dunklen Flaute“, wo weder Wind noch<br />

Sonne Strom liefern, sicherstellen, dass das<br />

Licht nicht ausgeht.<br />

Steht zu befürchten, dass uns die<br />

EU-Kommission eine Reform aufdrängt?<br />

Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn<br />

Brüssel die Ausnahmen und Härtefallregeln<br />

kippt, aber das EEG als Ganzes weiterlaufen<br />

lässt. Das wäre eine industriepolitische<br />

Katastrophe! Bundesregierung und<br />

Länder müssen in den nächsten Wochen<br />

dringend ein Signal nach Brüssel senden,<br />

dass wir das EEG verändern und dann die<br />

Ausnahmetatbestände.<br />

1700 Unternehmen sind von der Umlage<br />

befreit, 20 Prozent davon aus NRW.<br />

Können Sie Ausnahmeregeln schleifen,<br />

ohne der Industrie zu schaden?<br />

Derzeit gibt es eine starre Grenze: Liegen<br />

die Energiekosten eines Unternehmens bei<br />

14 Prozent des Umsatzes, kann es sich entlasten<br />

lassen. Das hat absurde Folgen: Wer<br />

bei 13,9 Prozent liegt, muss sich überlegen,<br />

die Stromkosten künstlich nach oben zu<br />

treiben. Wer bei 14,1 Prozent liegt, wird den<br />

Teufel tun, weiter in Energieeffizienz zu investieren.<br />

Wir brauchen deshalb einen<br />

gleitenden Übergang, zum Beispiel eine<br />

degressive Staffelung bis etwa fünf Prozent.<br />

Dann würde die Zahl der profitierenden<br />

Betriebe weiter steigen.<br />

Ja, für einen gewissen Zeitraum. Die Gesamtsumme<br />

sollte aber gleich bleiben. Die<br />

Kosten durch die Befreiungen dürfen nur<br />

steigen, wenn wir anderswo reduzieren –<br />

und zum Beispiel die Stromsteuer senken.<br />

Sagten Sie: Stromsteuer senken?<br />

Ja, da schauen Sie, was? Die SPD will auch<br />

mal Steuern senken.<br />

Finden Sie es lobenswert, wenn Unternehmen<br />

eigenen Strom produzieren, um<br />

EEG-Umlage und Netzentgelte zu sparen?<br />

Nein.<br />

Wieso? Davon profitieren die Kunden.<br />

Die energetische Eigenversorgung ist eine<br />

Form von Entsolidarisierung, die die Politik<br />

beschränken muss. Künftig muss es eine<br />

Mindestumlage für alle Stromverbraucher<br />

geben, vom Hausbesitzer bis zum Industriebetrieb.<br />

Sie wollen Unternehmen verbieten, ihren<br />

Strom selber zu erzeugen?<br />

Überhaupt nicht. Nur sollten sie nicht darauf<br />

bauen, auch künftig keine EEG-Umlage<br />

und Netzentgelte zahlen zu müssen.<br />

Wo bleibt in <strong>Ihr</strong>en Szenarien die Kohle?<br />

Die Prognosen zur Versorgungssicherheit<br />

bis 2022 besagen, dass wir alle derzeit vorhandenen<br />

fossilen Kapazitäten brauchen.<br />

Da zudem alte Kraftwerke eingemottet<br />

werden, sind neue nötig. Angesichts der<br />

derzeitigen Investitionsbedingungen ist<br />

der Neubau für Unternehmen aber betriebswirtschaftlicher<br />

Blödsinn.<br />

Der Energiekonzern RWE scheint <strong>Ihr</strong>e<br />

Skepsis zu teilen. Angeblich spielt<br />

das Unternehmen mit dem Gedanken,<br />

FOTO: LAIF/OLIVER TJADEN<br />

30 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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DAS ENERGIEBÜNDEL<br />

Duin, 45, ist seit 2012<br />

Wirtschaftsminister in NRW.<br />

Zuvor war er SPD-Chef<br />

in Niedersachsen und wirtschaftspolitischer<br />

Sprecher<br />

der SPD-Bundestagsfraktion.<br />

schon 2017 den Braunkohle-Tagebau<br />

Garzweiler II einzustellen.<br />

Die Landesregierung geht davon aus, dass<br />

RWE an den Abbauplänen festhält. So hat<br />

es das Unternehmen kommuniziert, und<br />

dies wurde mir in Gesprächen bestätigt.<br />

Der Bürgermeister von Erkelenz hat<br />

vorerst alle Umsiedlungsmaßnahmen<br />

rund um Garzweiler gestoppt.<br />

Womöglich macht sich in den betroffenen<br />

Ortschaften die Hoffnung breit, die Umsiedlung<br />

doch noch stoppen zu können.<br />

Das ist menschlich verständlich. Das Land<br />

ist derzeit in intensiven Gesprächen mit<br />

dem Braunkohlenausschuss bei der Bezirksregierung<br />

Köln, der die Verfahrensentscheidungen<br />

über Umsiedlungen im Rheinischen<br />

Braunkohlerevier trifft, der Stadt<br />

Erkelenz und dem bergbautreibenden Unternehmen<br />

RWE Power.<br />

Baut RWE eine Drohkulisse auf?<br />

Das ist gar nicht nötig. Niemand kann die<br />

Augen davor verschließen, dass den<br />

Stromkonzernen das Wasser bis zum Hals<br />

steht. Hier ist richtig Alarm. Wenn ich sehe,<br />

welche Zahlen hinsichtlich des Stellenabbaus<br />

diskutiert werden, ist das kein Spiel<br />

mehr, wo Lobbyinteressen verfolgt werden.<br />

Wo ist das Problem, wenn Konzerne vom<br />

Markt verschwinden, deren Geschäftsmodell<br />

nicht zur Energiewende passt?<br />

Erstens brauchen wir auch fossile Energien<br />

für einen funktionierenden Mix. Aber denken<br />

Sie auch an die Kommunen, die hängen<br />

über ihre Stadtwerke, Firmenbeteiligungen<br />

und RWE-Anteile mit drin. Wenn<br />

ich darüber mit Kämmerern spreche, da<br />

schlägt mir die nackte Not entgegen.<br />

Das klingt bedrohlich. Auf was müssen<br />

sich die Städte gefasst machen?<br />

Die werden eine Sparorgie hinlegen müssen,<br />

die ihresgleichen sucht. Wenn dort<br />

richtig die Verluste von den Kraftwerken<br />

reinregnen und die Städte Wertberichtigungen<br />

vornehmen müssen, dann wird<br />

das eine Katastrophe. Da schließt dann<br />

auch noch das letzte Hallenbad, weil die<br />

Kraftwerke so hohe Verluste produzieren.<br />

Welche Städte trifft das denn?<br />

Auf jeden Fall das gesamte Ruhrgebiet. Die<br />

meisten Städte dort sind sogar doppelt betroffen,<br />

weil sie nicht nur bei der Steag Anteilseigner<br />

sind, sondern auch bei RWE.<br />

Damit nicht genug: Im Ruhrgebiet häufen<br />

sich gerade die Meldungen über Werksschließungen<br />

und Stellenabbau. <strong>Ist</strong> der<br />

Strukturwandel endgültig gescheitert?<br />

Wir beobachten das mit Sorge. Das sind<br />

aber mit Ausnahme von Opel keine Werksschließungen.<br />

Entscheidend ist, dass man<br />

sich mehr um die Alternativen kümmert.<br />

Im Kuratorium der Krupp-Stiftung hat<br />

das Land Einfluss. Auch die RAG-Stiftung<br />

wäre ein Vehikel, um die NRW-Industrie<br />

zu retten. Drücken Sie sich um die Verantwortung?<br />

Der Fehler war doch, auf die Großen zu setzen.<br />

Aber all die lebensverlängernden oder<br />

gar wiederbelebenden Maßnahmen haben<br />

nur <strong>Geld</strong> gekostet. Ein Beispiel: Die Überkapazitäten<br />

auf dem europäischen Automobilmarkt<br />

sind für jeden offensichtlich.<br />

Wenn daraus das Aus für Opel in Bochum<br />

folgt, sollte man nicht jammern, sondern<br />

schauen, dass man auf den Flächen schnell<br />

etwas anderes machen kann.<br />

Gibt es denn Interessenten?<br />

Allerdings, die rennen uns gerade die Bude<br />

ein. Es ist eine hohe zweistellige Zahl von<br />

Investoren, die Interesse zeigen.<br />

Wie passt diese Strategie damit zusammen,<br />

dass Sie gerade einer verheißungsvollen<br />

Industriefläche im Ruhrgebiet, dem<br />

NewPark, die Bürgschaft verweigern?<br />

Das Geschäftsmodell hat einer kritischen<br />

Überprüfung nicht standgehalten. Die<br />

Hoffnung auf einen einzelnen Großinvestor<br />

hat sich in Deutschland seit zehn Jahren<br />

nicht mehr realisiert. Die Zukunft gehört<br />

den mittelständischen Betrieben, gerade<br />

auch im nördlichen Ruhrgebiet.<br />

Liegt der Fehler bei den Politikern im<br />

Ruhrgebiet? Die kümmern sich aus alter<br />

Verbundenheit nur um die Großkonzerne.<br />

Das war ja auch jahrzehntelang sehr komfortabel.<br />

Wenn Sie früher mit einem Betriebsrat<br />

gesprochen hatten, dann hatten<br />

sie schon mal 10000 Leute erreicht. Das hat<br />

den schleichenden Niedergang aber nicht<br />

verhindert. Deshalb muss man jetzt die<br />

Struktur verändern.<br />

n<br />

konrad.fischer@wiwo.de, bert losse<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 31<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Auf in den Zank<br />

SPD-Verhandlungsteam<br />

Achtung, 8,50!<br />

MINDESTLOHN | Setzt sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen<br />

mit der Union durch, droht ein Schock auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Ach, was würden sie sich gerne zu<br />

Wort melden! Einschalten in die öffentliche<br />

Debatte, in das politische<br />

Gezerre in der Hauptstadt. Aber sie dürfen<br />

nicht. Schweigeperiode. Die Wirtschaftsweisen<br />

legen gerade letzte Hand an ihr Jahresgutachten<br />

und deshalb dürfen sie nichts<br />

sagen. Nicht jetzt. Dabei würde es den einen<br />

oder anderen schon reizen, sehr sogar.<br />

Denn in Berlin stehen die Zeichen auf einen<br />

ökonomischen Großversuch, der gravierende<br />

Folgen befürchten lässt. Dass es<br />

nach der Bundestagswahl eher mehr Mindestlohn<br />

als weniger geben würde, das war<br />

vorher klar. Doch vergangene Woche mussten<br />

die Unterhändler der Union nach den<br />

Sondierungen mit der SPD zur Kenntnis<br />

nehmen, dass die Genossen ernst machen<br />

mit ihrer Maximalforderung. Die grollende<br />

Parteibasis, die am Ende über eine Koalition<br />

mit CDU/CSU entscheiden soll, braucht<br />

ein Opfer. Eines, das die Gemüter besänftigt.<br />

Eines, das die Zustimmung zu der verhassten<br />

großen Koalition überhaupt möglich<br />

machen könnte. Die Parteiführung um<br />

Sigmar Gabriel glaubt, es im gesetzlichen<br />

Mindestlohn gefunden zu haben. Ohne,<br />

sagt jemand aus dem Parteivorstand, könne<br />

man gleich alles abblasen.<br />

Was das hieße? Künftig würde kein Arbeitnehmer<br />

in Deutschland weniger als<br />

8,50 Euro pro Stunde verdienen. Wer also<br />

Vollzeit arbeitet, könnte mit rund 1300 Euro<br />

brutto im Monat rechnen, auch für einfachste<br />

Tätigkeiten. 8,50 Euro wären das<br />

Minimum, das von keinem Unternehmen<br />

in keiner Branche unterschritten werden<br />

dürfte, festgeschrieben vom Staat. Fast jeden<br />

fünften Arbeitnehmer wird das betreffen<br />

(siehe Grafik).<br />

Gesetzlicher Mindestlohn – das klingt<br />

nach Gerechtigkeit, nach der Betonung des<br />

Sozialen in der Marktwirtschaft. Aber die<br />

Untergrenze von 8,50 Euro könnte in einem<br />

Fiasko enden. Die große Mehrheit der<br />

Arbeitsmarktexperten hat zwar in den vergangenen<br />

Jahren ideologisch abgerüstet.<br />

»Die meisten<br />

Betriebe werden mit<br />

Stellenstreichungen<br />

reagieren müssen«<br />

Dominik Groll, IfW Kiel<br />

Mindestlöhne sind nicht mehr per se des<br />

Teufels, weil die Analysen real existierender<br />

Untergrenzen nüchterne Ergebnisse<br />

zutage gefördert haben: Sie können Jobs<br />

kosten, sie müssen es nicht. Gleichzeitig<br />

aber ist die sonst so streitbare Zunft der<br />

Ökonomen in einer Schlussfolgerung weitestgehend<br />

einer Meinung: Die flächendeckende<br />

Anhebung auf das von der SPD gewollte<br />

Mindestniveau ist gefährlich. Und<br />

sie kostet Jobs. Viele Jobs.<br />

DEUTLICHES WARNSCHILD<br />

„Wenn ein hoher, bundesweit wirkender<br />

Mindestlohn eingeführt würde, dann wird<br />

das sehr negative Folgen für den Arbeitsmarkt<br />

haben“, warnt Dominik Groll vom<br />

Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).<br />

„Dort, wo die Löhne am niedrigsten sind,<br />

werden die meisten Betriebe über kurz<br />

oder lang mit Stellenstreichungen reagieren<br />

müssen.“ In Ostdeutschland wäre das<br />

besonders der Fall, bei kleinen Firmen, in<br />

der Gastronomie und in der Dienstleistungsbranche.<br />

Eine aktuelle Studie des<br />

Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) liest sich wie ein großes<br />

Warnschild: „Die abrupte Einführung eines<br />

Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro<br />

pro Stunde“ sei „nicht anzuraten“, heißt es<br />

darin. Und überhaupt: Der Politik müsse<br />

klar sein, dass ein solcher Eingriff „kein geeignetes<br />

Instrument zu einer wesentlichen<br />

Verminderung der Armut und der Ungleichverteilung“<br />

darstelle.<br />

Dabei empfinden die Sozialdemokraten<br />

(genauso wie Grüne, Linke und nicht gera-<br />

FOTO: ACTION PRESS/ZUMA PRESS<br />

34 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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forschung (IAB), Joachim Möller, ein<br />

höchst gemäßigter Mindestlohn-Befürworter,<br />

plädiert genau dafür. 8,50 Euro flächendeckend<br />

und sofort, das „ginge heute<br />

einen Schritt zu weit“, warnt er. „Wir wissen<br />

nicht genau, wo die schädliche Grenze auf<br />

dem Arbeitsmarkt liegt, deshalb muss man<br />

vorsichtig sein und zumindest in Ostdeutschland<br />

niedriger einsteigen.“ Die Briten<br />

hätten es „vorbildlich vermieden, die<br />

rote Linie zu überschreiten“.<br />

Im Detail müsste der minimum wage die<br />

Begeisterung vieler Genossen deshalb<br />

ziemlich trüben. Auch nach mehreren Erhöhungen<br />

entspricht der dortige Tiefstsatz<br />

heute nur knapp der Hälfte des mittleren<br />

Lohns. Der Eingriff fällt im Königreich damit<br />

viel geringer aus, als das in Deutschland<br />

der Fall wäre. Von 8,50 Euro würde allein<br />

in Ostdeutschland jeder Vierte erfasst,<br />

in Großbritannien ist es nur jeder Zwanzigste.<br />

„Beispielhaft ist auch, dass die Bri-<br />

Wer wie viel verdient<br />

Zahl deutscherArbeitnehmer in<br />

einzelnenLohngruppen<br />

(inMillionen undinProzent)*<br />

1,4<br />

(4,0 %)<br />

unter<br />

5€<br />

2,5<br />

(7,4 %)<br />

unter<br />

6€<br />

4,1<br />

(12,0%)<br />

unter<br />

7€<br />

5,7<br />

(16,7%)<br />

unter<br />

8€<br />

*einschließlichSchülern, Studenten,<br />

Rentnern undNebenjobs; Quelle:Institut<br />

Arbeit undQualifikation<br />

6,8<br />

(19,9%)<br />

unter<br />

8,50 €<br />

27,4<br />

(81,1%)<br />

über<br />

8,50 €<br />

de wenige Unions-Politiker) eine strikte<br />

Lohnuntergrenze als eierlegende Wollmilchsau<br />

der Sozialpolitik: Steigende Löhne<br />

gleich steigende Kaufkraft gleich steigende<br />

Steuereinnahmen und auch gleich<br />

weniger Geringverdiener, die mit Hartz-IV-<br />

Leistungen aufstocken müssten. Eine Winwin-win-win-Situation<br />

sozusagen.<br />

Dieser Wunschkatalog ginge allerdings<br />

überhaupt nur dann ein bisschen in Erfüllung,<br />

wenn die fast sieben Millionen Menschen,<br />

die derzeit für Löhne unter 8,50 Euro<br />

arbeiten, sich auch alle über dieses<br />

Lohnplus freuen könnten. Wahrscheinlicher<br />

ist, dass ausgerechnet viele mit sehr<br />

niedrigem Einkommen (und oft magerer<br />

Bildung) vom Markt gedrängt würden. Sie<br />

werden dann dem Staat kein <strong>Geld</strong> sparen,<br />

sondern als Arbeitslose welches kosten.<br />

Die Kernfrage lautet also: Wie viele Jobs<br />

kostet der Mindestlohn? Gleichlautende<br />

Aussagen können Ökonomen dazu nicht<br />

liefern. Berechnungen der letzten Jahre erbrachten<br />

für Deutschland Spannbreiten<br />

zwischen 140 000 und 1,2 Millionen wahrscheinlich<br />

verlorene Arbeitsplätze. Das<br />

Münchner ifo Institut taxiert die Verluste in<br />

einer aktuellen Studie auf bis zu eine Million<br />

Stellen. In ihrem Herbstgutachten warnen<br />

die Wirtschaftsforschungsinstitute<br />

eindringlich, „ein einheitlicher, für alle<br />

Branchen und alle Regionen geltender<br />

Mindestlohn hätte wahrscheinlich deutlich<br />

negativere Folgen für den Arbeitsmarkt<br />

als die bisherigen Branchenverträge“.<br />

Selbst wenn man unterstellte, dass der<br />

Mindestlohn folgenlos bliebe, macht IfW-<br />

Ökonom Groll noch eine andere Rechnung<br />

auf: „Es wird gern übersehen, dass höhere<br />

Löhne zulasten der Unternehmensgewinne<br />

gehen. Unterm Strich könnten die Steuereinnahmen<br />

dann sogar niedriger als vorher<br />

ausfallen.“ Nicht zuletzt, weil die Firmenüberschüsse<br />

höher besteuert werden<br />

dürften als die Niedriglöhne.<br />

An den Berliner Verhandlungstisch dringen<br />

solche Warnungen bislang allenfalls<br />

sehr gedämpft. SPD-Generalsekretärin Andrea<br />

Nahles beispielsweise tut ihre Sympathien<br />

für das britische Mindestlohn-Modell<br />

kund, das vor Ort in der Tat als Erfolg<br />

wahrgenommen wird (siehe Wirtschafts-<br />

Woche 12/2013). Eine seit 1999 tätige<br />

Lohnkommission setzt sich nur aus Arbeitgebern,<br />

Arbeitnehmern und Wissenschaftlern<br />

zusammen und gibt jährlich ihre Empfehlung<br />

an die Politik ab.<br />

Die liberale Insel als Vorbild des Tarifpartnerlandes<br />

Deutschland? Der Direktor<br />

des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsten<br />

für junge Arbeitnehmer Ausnahmen<br />

nach unten geschaffen haben“, lobt IAB-<br />

Forscher Möller. Ohne sie „würden wir den<br />

Fehlanreiz erzeugen, gleich gutes <strong>Geld</strong> verdienen<br />

zu wollen, statt erst einmal eine<br />

Ausbildung zu absolvieren“.<br />

Solche Flexibilisierungen will die SPD<br />

bislang nicht zulassen. Und ob es ihr gefallen<br />

würde, dass eine politisch unabhängige<br />

Runde wie die Low Pay Commission schon<br />

Steigerungen unterhalb der Inflationsrate<br />

vorgeschlagen hat, um die realen Lohnkosten<br />

zu senken? Gewerkschafter wie Michael<br />

Vassiliadis, wiedergewählter Chef der IG<br />

BCE und selbst SPD-Mitglied, fordern in<br />

jedem Fall ein unabhängiges Gremium:<br />

„Wichtig ist, dass der Mindestlohn nicht<br />

von der Politik bestimmt wird, sondern von<br />

einer Kommission aus Gewerkschaftern<br />

und Arbeitgebervertretern.“<br />

Ein behutsamer Umgang mit dem heiklen<br />

Instrument Mindestlohn könnte aus<br />

überzeugten Gegnern sogar Befürworter<br />

machen. Sylke Schulz hat eine solche<br />

Wandlung hinter sich.<br />

Noch zu Beginn des Jahres fürchtete<br />

Schulz um ihre wirtschaftliche Existenz.<br />

Die 48-Jährige betreibt fünf Friseursalons<br />

in Guben, sie ist Chefin von 38 Frauen und<br />

zwei Männern, allesamt gelernte Friseure.<br />

Die Kleinstadt liegt im äußersten Osten<br />

Brandenburgs, die Zwillingsgemeinde Gubin<br />

in Polen ist nur einen Spaziergang entfernt.<br />

Damals verdienten ihre Angestellten<br />

zwischen 5,00 und 5,80 Euro in der Stunde.<br />

DIE KUNDEN BLEIBEN<br />

Seit diesem Sommer gilt ein Mindestlohn<br />

für Friseure in Brandenburg, der schrittweise<br />

noch steigen wird. 6,50 Euro zahlt<br />

Schulz nun ihren Leuten. Die Löhne machen<br />

den Großteil der steigenden Kosten<br />

aus. Doch die Konkurrenz ist nah:Salonbetreiber<br />

im nahen Polen sprechen meist<br />

Deutsch und verlangen nur fünf bis sieben<br />

Euro für einen Herrenschnitt.<br />

Vor der Billigkonkurrenz fürchtete sich<br />

Schulz – bis vor Kurzem. Denn zur Überraschung<br />

der Chefin blieben die Kunden den<br />

Gubener Salons treu, etwa als der Trockenschnitt<br />

für Herren zwei Euro teurer wurde.<br />

„Wir haben mit den Kunden besprochen,<br />

dass die Löhne steigen und wir den Preis<br />

erhöhen müssen“, sagt Schulz. Sie glaubt,<br />

dass der Kundenservice bei ihr den Nachteil<br />

beim Preis wettmacht. „Wir haben im<br />

Moment keinen Grund, Trübsal zu blasen.“<br />

Nächstes Jahr klettert der Mindestlohn<br />

für Friseure im Osten auf 7,50 Euro, 2015<br />

dann bundesweit auf 8,50 Euro. Eine saftige<br />

Erhöhung in gut zwei Jahren. Ob die<br />

Kunden das auch noch mitmachen, wird<br />

sich zeigen. „Wir müssen die Preise eben in<br />

sehr kleinen Schritten erhöhen“, sagt<br />

Schulz. Strom, Lebensmittel, alles werde<br />

halt teurer. „Die Leute dürfen aber nicht<br />

das Gefühl bekommen, sie würden übers<br />

Ohr gehauen.“<br />

In den nächsten zwei Jahren will die Unternehmerin<br />

jüngere Vollzeitkräfte einstellen.<br />

Leicht wird das nicht. „Der Beruf hat in<br />

den letzten Jahren gelitten“, klagt Schulz.<br />

„Eltern sagen ihren Kindern: Lass das, damit<br />

kannst du keine Familie ernähren.“<br />

Nun kann sie dem Mindestlohn, den sie so<br />

lange kritisch sah, sogar noch etwas abgewinnen:<br />

„Mit einem Lohn von 8,50 Euro<br />

werden sich wieder die bewerben, die<br />

wirklich Friseur werden wollen.“<br />

n<br />

max.haerder@wiwo.de | Berlin, bert losse, cordula tutt<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 35<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Bekannte Gesichter<br />

EUROPA | Die Finanzbranche kämpft immer noch mit Problemen.<br />

Ob die Bilanzprüfer der EZB sie alle zutage fördern werden?<br />

Aus und<br />

vorbei<br />

Geschlossene<br />

Laiki-Bank<br />

in Zypern<br />

wendigen Präzision ans Werk gehen werden.<br />

Und die Frage, wer <strong>dabei</strong> auftretende<br />

Kapitallücken schließt, ist offen.<br />

Das Thema ist so komplex, dass Draghi<br />

den europäischen Staats- und Regierungschefs<br />

beim EU-Gipfel am Donnerstag dieser<br />

Woche Sinn und Zweck der Übung<br />

noch einmal erklären wird. Die EZB will sichergehen,<br />

dass sie keine Altlasten übernimmt,<br />

wenn sie ab November 2014 für die<br />

Aufsicht der europäischen Großbanken<br />

zuständig ist. Gleichzeitig will sie sich einen<br />

Ruf als strenger Aufseher erwerben.<br />

Von den Testergebnissen, die erst im<br />

Herbst 2014 veröffentlicht werden, wenn<br />

auch ein Stresstest stattgefunden hat, wird<br />

die globale Glaubwürdigkeit der neuen europäischen<br />

Aufsicht abhängen. „Die Welt<br />

darf sich nicht fragen, was die Europäer da<br />

bloß machen. Das muss sitzen“, sagt Deutsche-Bank-Co-Chef<br />

Jürgen Fitschen in seiner<br />

Funktion als Präsident des Bundesverbands<br />

deutscher Banken.<br />

So viele freundliche Bitten gehen selten<br />

bei der Europäischen Zentralbank<br />

(EZB) ein. In diesen Tagen klingelt<br />

in Frankfurt immer wieder das Telefon<br />

mit der Aufforderung, doch eine Ausnahme<br />

zu machen. Das eigene Haus sei ein<br />

Grenzfall, die EZB möge doch von einer Bilanzprüfung<br />

absehen, so die Ansage von<br />

Vorständen. Und dann erklären die Anrufer,<br />

dass ihr Haus keine Bilanzsumme von<br />

mehr als 30 Milliarden Euro oder 20 Prozent<br />

der nationalen Wirtschaftsleistung<br />

aufweise, um in die Zuständigkeit der europäischen<br />

Bankenaufsicht zu fallen.<br />

Die flehenden Anrufe in Frankfurt illustrieren,<br />

wie nervös die Branche auf die bevorstehende<br />

Überprüfung der rund 130<br />

größten Banken Europas blickt. An diesem<br />

Mittwoch wird EZB-Präsident Mario Draghi<br />

den Zeitplan für die Bilanzprüfung und<br />

die Liste der betroffenen Banken vorlegen.<br />

In Deutschland werden neben den großen<br />

Häusern auch Institute wie die Hamburger<br />

Sparkasse und die Ärzte- und Apothekerbank<br />

<strong>dabei</strong> sein.<br />

Die Kontrolle ist brisant. Ohne eine<br />

schonungslose Durchleuchtung der Branche<br />

droht dem Megaprojekt Bankenunion<br />

ein mieser Start. Doch schon jetzt mehren<br />

sich die Zweifel, ob die Prüfer mit der not-<br />

Risiko Frankreich<br />

Bedarf fürdie Rekapitalisierungeuropäischer<br />

Banken im Fall einererneuten<br />

Finanzkrise(in Prozent desBruttoinlandsproduktsund<br />

in Milliarden Euro)<br />

Frankreich<br />

Zypern<br />

Griechenland<br />

Großbritannien<br />

Niederlande<br />

Schweiz<br />

Schweden<br />

Dänemark<br />

Spanien<br />

Italien<br />

Deutschland<br />

Belgien<br />

Portugal<br />

Österreich<br />

Finnland<br />

11,7 %(239,9)<br />

11,0%(1,8)<br />

8,4%(15,3)<br />

7,9%(146,5)<br />

7,7%(46,2)<br />

7,1%(35,9)<br />

6,1%(26,4)<br />

5,7%(14,3)<br />

5,6%(58,8)<br />

5,0%(78,3)<br />

4,5%(121,3)<br />

4,5%(17,2)<br />

4,2%(6,8)<br />

3,7%(11,7)<br />

0,1%(0,1)<br />

Quelle:IESEG School of Management<br />

PROBLEME VERTUSCHT<br />

Findet die EZB keine Löcher in den Bankbilanzen,<br />

dann entsteht der Verdacht, dass<br />

aus politischen Gründen Probleme vertuscht<br />

werden, wie das bei den Stresstests<br />

bisher passiert ist. Dort haben nationale<br />

Aufseher bewusst weggesehen oder<br />

Schieflagen kleingerechnet.<br />

Die Gefahr besteht allerdings nach wie<br />

vor, denn die nationalen Aufseher werden<br />

eine zentrale Rolle bei der Prüfung spielen.<br />

Pro Großbank dürfte die EZB rund fünf Prüfer<br />

stellen, rund zehn Mal so viele kommen<br />

aber vermutlich aus den Mitgliedstaaten.<br />

Deutsche Banken stellen sich bereits darauf<br />

ein, dass sie auf altbekannte Gesicher stoßen<br />

werden. „Es wird nicht so kommen,<br />

dass auf einmal Portugiesen die deutschen<br />

Banken überwachen“, sagt ein Banker. „Die<br />

Teams werden zum größten Teil aus den<br />

Leuten bestehen, die man schon kennt.“<br />

Der erhoffte Wandel wird also ausbleiben.<br />

Nationale Aufseher haben in der Regel<br />

kein Interesse daran, dass die Kapitallücken<br />

ans Licht kommen. „Wir haben weiterhin<br />

ein Anreizproblem“, beklagt Guntram<br />

Wolff, Direktor des Brüsseler Thinktanks<br />

Bruegel. Schon rein organisatorisch<br />

stellt die Prüfung die EZB vor eine große<br />

Herausforderung. Erst seit vergangenem<br />

Dienstag kann sie Mitarbeiter für die neue<br />

Bankenaufsicht einstellen. Wie sie die geplant<br />

770 Prüfer bis März zu einem Team<br />

zusammenschmieden will, das nach einheitlichen<br />

Standards arbeitet, bleibt ein<br />

Rätsel. Einen Teil der Mitarbeiter wird die<br />

FOTO: GETTY IMAGES/AFP<br />

36 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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EZB bei den nationalen Aufsehern rekrutieren.<br />

Aber wessen Interessen werden die<br />

verfolgen? „Die nationalen Notenbanken<br />

erhoffen sich Kontrolle über die europäische<br />

Notenbank, wenn sie ihre Leute nach<br />

Frankfurt ziehen lassen“, befürchtet Karel<br />

Lannoo vom Brüsseler Thinktank Centre<br />

for European Policy Studies.<br />

Als hochkomplex dürfte sich die Prüfung<br />

auch erweisen, weil die Bilanzen bisher<br />

nur bedingt vergleichbar sind. So grundlegende<br />

Begriffe wie notleidende Kredite<br />

sind in Europa nicht harmonisiert. In Portugal<br />

beispielsweise gilt ein Kredit als notleidend,<br />

wenn die letzte Zahlung seit 30 Tagen<br />

fällig ist. In Italien dagegen legt die<br />

Banca d’Italia eine sehr viel großzügigere<br />

Frist von 180 Tagen fest.<br />

Unstrittig ist dagegen, dass die Prüfer genug<br />

beanstanden könnten, würden sie<br />

denn genau hinsehen. Fünf Jahre nach der<br />

Lehman-Pleite befinden sich die europäischen<br />

Banken in keinem soliden Zustand.<br />

Eine erneute Finanzkrise würde einige von<br />

ihnen in Bedrängnis bringen. Eric Dor von<br />

der Pariser IESEG School of Management<br />

kommt in einer neuen Studie auf einen erschreckend<br />

hohen Rekapitalisierungsbe-<br />

770 Prüfer<br />

muss die EZB<br />

zu einem Team<br />

schmieden<br />

darf der Branche, sollte sich ein Desaster<br />

wie die Finanzkrise wiederholen. In diesem<br />

Fall errechnet der Ökonom mit einer<br />

Methode des Nobelpreisträgers Robert Engle<br />

für Frankreich einen Kapitalbedarf der<br />

Banken, der 11,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

(BIP) entspricht oder 239,9<br />

Milliarden Euro (siehe Grafik). Bei<br />

Deutschland fällt der Bedarf mit 4,5 Prozent<br />

des BIPs und 121,3 Milliarden Euro<br />

deutlich geringer aus, aber ein Institut wie<br />

die Deutsche Bank kommt in der Simulation<br />

auf den Betrag von 82,9 Milliarden Euro.<br />

Da in einer erneuten Finanzkrise die Branche<br />

nur schwerlich privates Kapital anlocken<br />

könnte, muss im Zweifel wieder der<br />

Steuerzahler einspringen, folgert Dor.<br />

Mit der Bankenunion sollte genau dies<br />

vermieden werden, doch die aktuellen Debatten<br />

lassen befürchten, dass auch in Zukunft<br />

öffentliches <strong>Geld</strong> an die Banken fließen<br />

wird. Vergangene Woche herrschte<br />

unter den europäischen Finanzministern<br />

keine Einigkeit, wer einspringt, wenn die<br />

Bilanzprüfung Kapitallücken bei den Banken<br />

aufdeckt.<br />

Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici<br />

betonte vergangene Woche in<br />

Luxemburg: „Der Rettungsschirm ESM<br />

hat eine wichtige Rolle als Sicherheitsnetz<br />

zu spielen“, und er brachte eine direkte<br />

Bankenrekapitalisierung aus dem ESM ins<br />

Spiel. Die aber sollte ursprünglich erst erlaubt<br />

sein, wenn die europäische Bankenaufsicht<br />

im November 2014 startet. Doch<br />

Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem<br />

gab nun zu verstehen, dass „in Ausnahmefällen“<br />

der ESM den Banken doch früher<br />

zur Hilfe springen könnte. Davon wiederum<br />

will Finanzminister Wolfgang<br />

Schäuble nichts wissen. Sein Wort gilt<br />

aber nur so lange, wie es in Berlin keine<br />

neue Regierung gibt.<br />

n<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel,<br />

cornelius welp | Frankfurt<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Radikaler Schnitt<br />

Das EU-Abkommen<br />

soll dem Agrarsektor<br />

helfen<br />

Auf nach Europa<br />

UKRAINE | Der Anschluss an den europäischen Wirtschaftsraum<br />

soll das Investitionsklima im Land verbessern.<br />

Starke Schwankung<br />

Wirtschaftswachstumder Ukraine<br />

(gegenüberVorjahr in Prozent)<br />

7,6<br />

2,3<br />

–14,8<br />

4,1 5,2<br />

0,2 0,4<br />

2007 08 09 10 11 12 13*<br />

*Prognose; Quelle:IWF<br />

Aus den ständigen Handelskriegen<br />

mit Russland hat Alex Lissitsa längst<br />

seine eigene Konsequenz gezogen.<br />

„Mal geht es um den Gaspreis, dann wollen<br />

sie die EU-Annäherung verhindern, die<br />

Russen machen ständig ihre Grenze dicht“,<br />

sagt der Chef von IMC Agro in Kiew. Der<br />

Agrarhändler liefert nun eben mehr Getreide,<br />

Milchwaren und Kartoffeln in die<br />

Europäische Union – obwohl das wegen<br />

der Quoten und Zölle bislang weniger attraktiv<br />

ist als der zollfreie Export in den Osten.<br />

„Als Unternehmer brauche ich Stabilität<br />

im Sinn von Planbarkeit“, sagt Lissitsa,<br />

„das klappt mit Europa besser.“ Innerhalb<br />

von sieben Jahren hat er den Anteil Russlands<br />

an seinen Exporten von über 60 auf<br />

weniger als 20 Prozent reduziert.<br />

Der Agrarhändler nimmt so eine Entwicklung<br />

vorweg, zu der die Regierung der<br />

Ukraine die heimische Wirtschaft auf breiter<br />

Front zwingen will: eine Angleichung<br />

an die EU mit ihren hohen Standards, obwohl<br />

diese den oft im sowjetischen Stil geführten<br />

Kombinaten im Land eine milliardenschwere<br />

Modernisierung abverlangen<br />

wird. Trotz dieser Kosten und der damit<br />

verbundenen Risiken will Premierminister<br />

Mykola Asarow das Assoziierungsabkommen<br />

mit der EU abschließen, dessen Kern<br />

ein fast 1000 Seiten zählendes Freihandelsabkommen<br />

ist. Der Wettbewerb mit Europa,<br />

glaubt er, wird „zu höherer Qualität bei<br />

ukrainischen Produkten führen“ (siehe Interview<br />

Seite 41). Die EU-Staaten sollen hierüber<br />

auf dem Gipfel zur östlichen Partnerschaft<br />

in Vilnius Ende November beraten.<br />

Die Chancen für ein Entgegenkommen<br />

der Europäer stehen gut. Zumal Regierungschef<br />

Asarow die Lösung im Fall Julia<br />

Timoschenko andeutet. Die Freilassung<br />

seiner Vorgängerin, die im Westen als Symbol<br />

der gescheiterten Demokratiebewegung<br />

verklärt wird und im Osten wegen des<br />

Abschlusses teurer Gasverträge mit Russland<br />

hinter Gittern sitzt, machen viele Parlamentarier<br />

in EU-Staaten zur Bedingung<br />

für die Ratifizierung des Abkommens.<br />

KORRUPTE JUSTIZ<br />

Aus Sicht von Investoren ist die Ukraine<br />

kein Rechtsstaat – und der Fall Timoschenko<br />

beschäftigt Medien und Menschenrechtler<br />

mehr als Manager europäischer<br />

Unternehmen, die über die korrupte Justiz<br />

und die schwerfällige Bürokratie klagen.<br />

Erst im September stürmten Bewaffnete<br />

die Shoppingmall Globus unter dem Unabhängigkeitsplatz<br />

in Kiew. Sie nahmen<br />

die Bücher mit und programmierten das<br />

Sicherheitssystem um – seither hat der britische<br />

Investor keinen Zugriff mehr auf seine<br />

Mall. „Russland ist zwar ähnlich korrupt<br />

wie die Ukraine“, sagt einer, der beide<br />

»<br />

FOTO: BLOOMBERG/VINCENT MUNDY<br />

38 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Märkte kennt. „Aber die Russen sind<br />

pragmatischer und achten darauf, dass ein<br />

Investor vor Gericht auch recht bekommt.“<br />

Umso mehr hoffen Investoren auf das<br />

EU-Assoziierungsabkommen. „Der Vertrag<br />

ist im Grunde ein riesiger Katalog an Normen,<br />

der die Ukraine in kleinen Schritten<br />

hin zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit<br />

führt“, erläutert Robert Kirchner<br />

der die ukrainische Regierung in ökonomischen<br />

Fragen berät.<br />

Noch aber mangelt es an beidem, und<br />

Johann Harter, der für den Investor Activ<br />

Solar in der Ukraine Fotovoltaikanlagen<br />

baut, kann ein Lied davon singen. Um<br />

zwölf Euro-Cent hat die Regierung jüngst<br />

die Einspeisevergütung für Fotovoltaikstrom<br />

gesenkt. Der Investor erhält nun nur<br />

noch 34 Cent pro Kilowattstunde. „Wenn<br />

die Regierung die Vergütung weiter absenken<br />

würde, hätten wir angesichts der hohen<br />

Finanzierungskosten ein ernsthaftes<br />

Problem“, so Harter. Was so viel heißt wie:<br />

Sein Geschäftsmodell wäre dahin.<br />

Dabei zeigt Harter, was sich in der Ukraine<br />

machen lässt: 2008 hatte Activ Solar die<br />

Mehrheit an einem vormals staatlichen Siliziumhersteller<br />

im Südosten übernommen.<br />

Aus dessen Produktion stammen Solarmodule,<br />

deren landesweite Aufstellung<br />

die Regierung über eine garantierte Einspeisevergütung<br />

fördert. Harter, der Physiker,<br />

krempelt das Werk seit 2010 um und<br />

steigert <strong>dabei</strong> Effizienz und Produktivität.<br />

Der Deutsche schwärmt vom Pragmatismus<br />

und dem technischen Sachverstand<br />

der Ukrainer – und zweifelt nicht an der<br />

Modernisierungsfähigkeit des Landes.<br />

NIEDRIGE LÖHNE<br />

Ein besseres Investitionsklima könnte vor<br />

allem auch mehr deutsche Autozulieferer<br />

in die Ukraine locken, die dort – ähnlich<br />

wie Leoni oder Klingspor – gut geschultes<br />

Personal zu günstigen Löhnen finden<br />

(WirtschaftsWoche 23/2012). Jeder Fleck<br />

der Ukraine ist per Lkw in einem Tag zu erreichen,<br />

womit das Land prima in die Lieferketten<br />

der Autoindustrie passen würde –<br />

so wie Ungarn oder Tschechien, wo die<br />

Löhne in den Neunzigerjahren auch mal so<br />

niedrig waren wie derzeit in der Ukraine.<br />

Auf Investitionen ist das Land dringend<br />

angewiesen. Flächenmäßig fast doppelt so<br />

groß wie Deutschland hat es wenig zu bieten,<br />

was im Ausland Käufer findet. In der<br />

Handelsbilanz klafft deswegen ein hässliches<br />

Defizit. Das wird sich erst ändern,<br />

wenn die Ukraine eigene Produkte am<br />

Weltmarkt unterbringt.<br />

Doch noch liegt das in weiter Ferne, und<br />

die Krise ist ein Dauergast: Den Einbruch<br />

von 2009, als das Bruttoinlandsprodukt um<br />

fast 15 Prozent sank, hat das Land bis heute<br />

nicht wettgemacht. Für 2013 hat der Internationale<br />

Währungsfonds seine Wachstumsprognose<br />

auf 0,4 Prozent korrigiert<br />

(siehe Grafik Seite 38). Hohe Importe und<br />

das teure Gas aus Russland setzen die Währung<br />

unter Druck und befeuern die Inflation.<br />

Da derzeit kaum Fremdkapital ins Land<br />

fließt, greift die Regierung zu einem ungewöhnlichen<br />

Mittel – und erhebt eine Abgabe<br />

für Importautos. Angeblich um die spätere<br />

Entsorgung zu finanzieren, müssen<br />

Käufer eines Importwagens zwischen 550<br />

und 1100 Euro zusätzlich zahlen. Der heimischen<br />

Autoindustrie nützt das nichts,<br />

denn die gibt es nicht mehr. Vielmehr geht<br />

es darum, die Zahlungsbilanz zu schonen.<br />

Der Reformdruck im Land ist so groß,<br />

dass sich selbst einst stramm nach Osten<br />

Kopf an Kopf<br />

Exporteder UkrainenachRussland<br />

undEuropa(in Milliarden Dollar)<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

nachEuropa<br />

nachRussland<br />

2007 08 09 10 11 12<br />

Quelle:Staatlicher Statistikdienst Ukraine<br />

Wann geht’s weiter?<br />

Die Zollabwicklung an<br />

der Grenze zur Ukraine<br />

soll einfacher werden<br />

orientierte Oligarchen für die Annäherung<br />

an die EU einsetzen. Und das, obwohl Moskau<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit mit<br />

schärferen Grenzkontrollen und höheren<br />

Zöllen auf ukrainische Produkte reagieren<br />

wird. Die Stahlbranche etwa führt weiterhin<br />

einen Großteil ihrer Waren nach Russland<br />

aus – und war im August hart getroffen,<br />

als der russische Zoll für einige Tage<br />

die Einfuhren aus der Ukraine stoppte.<br />

SCHMERZHAFTE VERLUSTE<br />

Die Industriemagnaten im Osten der<br />

Ukraine regieren trotzdem entspannt. Der<br />

Brite Jock Mendoza-Wilson, der für den<br />

mächtigsten Oligarchen Rinat Achmetow<br />

in dessen Holding System Capital Management<br />

internationale Kontakte pflegt, setzt<br />

klar auf das EU-Abkommen: „Der Handel<br />

mit Russland wird ja dadurch nicht eingestellt.“<br />

Sollte es im Handel gen Osten zu<br />

Einbrüchen kommen, sagt der Investor,<br />

müsse man sich eben darauf einstellen.<br />

Die Unternehmen in der Ukraine drückt<br />

der Schuh auch noch an einer anderen<br />

Stelle: Es ist im Inland kaum möglich, Kapital<br />

zu bekommen. Nahezu alle ausländischen<br />

Banken haben dem Land nach der<br />

Finanzkrise den Rücken gekehrt oder ihre<br />

Kreditlinien eingefroren; zuletzt schrieb<br />

die Commerzbank unter schmerzhaften<br />

Verlusten ihre Beteiligung an der Bank Forum<br />

ab. Verbliebene ukrainische Institute<br />

haben Probleme, sich im misstrauischen<br />

Westen zu refinanzieren, zumal die Ratingagentur<br />

Moody’s das Land zuletzt zweimal<br />

in kurzer Folge abgewertet hat.<br />

n<br />

florian.willershausen@wiwo.de<br />

FOTOS: GETTY IMAGES/AFP, REUTERS/GEB GARANICH<br />

40 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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INTERVIEW Mykola Asarow<br />

»Russland erdrückt uns«<br />

Der ukrainische Premierminister erläutert, wie sein Land von der Europäischen<br />

Union profitieren und den Streit mit Moskau beilegen will.<br />

Herr Premierminister, die Ukraine steht<br />

vor der Unterzeichnung eines Assoziierungsvertrags<br />

mit der EU. Wann soll <strong>Ihr</strong><br />

Land die Vollmitgliedschaft bekommen?<br />

So weit in die Zukunft schauen wir nicht.<br />

Für uns ist erst einmal wichtig, dass die<br />

vielen Handelshürden zwischen uns<br />

und der EU beseitigt werden – Quoten,<br />

Zölle, technische Regulative.<br />

Manche Unternehmen in der Ukraine<br />

arbeiten noch mit Maschinen aus<br />

Sowjetzeiten. <strong>Ist</strong> <strong>Ihr</strong> Land reif für den<br />

Wettbewerb mit EU-Unternehmen?<br />

Der Weg wird steinig. Ich schätze, dass<br />

unsere Unternehmen zig Milliarden Euro<br />

investieren müssen, um die EU-Normen<br />

zu erfüllen. Danach erst wird sich<br />

zeigen, ob sie wettbewerbsfähig sind.<br />

Gerade in der Autoindustrie haben einige<br />

Geschäftsleute Angst vor Mercedes,<br />

was ich verstehen kann. Andererseits<br />

wird mehr Wettbewerb zu höherer Qualität<br />

bei ukrainischen Produkten führen.<br />

Bitte nennen Sie ein Beispiel.<br />

In unserer Pharmaindustrie haben wir<br />

den internationalen Qualitätsstandard<br />

GMP eingeführt, was die Unternehmen<br />

zur Modernisierung ihrer Produktion<br />

gezwungen hat. Heute stellt die Ukraine<br />

bessere Medikamente her als eine Reihe<br />

renommierter europäischer Hersteller –<br />

einfach, weil wir die Anlagen erst kürzlich<br />

erneuert haben und nicht schon vor<br />

zehn Jahren, wie die Europäer.<br />

Sie preisen Freihandel und bauen neue<br />

Hürden auf: Seit Kurzem erhebt die<br />

Ukraine Abwrackprämien für ausländische<br />

Autos. <strong>Ist</strong> das kein Widerspruch?<br />

Wir wollen nicht die heimische Industrie<br />

mit Handelshürden schützen, sondern<br />

das Defizit in der Zahlungsbilanz senken.<br />

Dazu müssen wir die Importe<br />

zumindest vorübergehend reduzieren.<br />

Die Ukraine steckt in der Dauerkrise.<br />

Die Wirtschaft stagniert, die Reserven<br />

schwinden. Wie wollen Sie <strong>Ihr</strong> Land<br />

wieder in Schwung bringen?<br />

Wir leiden unter den Nachwehen der<br />

globalen Finanzkrise, auf die die damalige<br />

Regierung nicht adäquat reagiert hat.<br />

MITTLER ZWISCHEN OST UND WEST<br />

Asarow, 65, ist seit März 2010 Premierminister<br />

der Ukraine. Der Geologe stammt<br />

aus Russland und gilt als enger Vertrauter<br />

von Präsident Wiktor Janukowitsch.<br />

Außerdem erdrückt uns Russland mit unbegründet<br />

hohen Gaspreisen. Ich würde<br />

aber nicht sagen, dass die Wirtschaft<br />

stagniert. Das Bruttoinlandsprodukt wird<br />

in diesem Jahr um ein Prozent wachsen,<br />

wir haben das Gröbste überstanden.<br />

Obwohl Sie für Gas aus Russland weiterhin<br />

Rekordpreise zahlen?<br />

Gasimporte aus Russland haben wir deutlich<br />

reduzieren können, was zu einem<br />

Rückgang des bilateralen Handelsvolumens<br />

um etwa 20 Prozent im ersten Halbjahr<br />

geführt hat. Derzeit zahlen wir 530<br />

Dollar für einen Kubikmeter Russen-Gas –<br />

so hohe Preise haben Sie in Europa noch<br />

nie gesehen! Wir kaufen Gas in Deutschland<br />

um 100 Dollar günstiger, als wenn wir<br />

es von Russland direkt beziehen würden.<br />

So verliert die Industrie ihre Rentabilität.<br />

Der Kreml will die Ukraine mit der<br />

Handelspolitik in seine eigene Zollunion<br />

zwingen. <strong>Ist</strong> das eine Alternative zu EU?<br />

Ein Beitritt zur russischen Zollunion war<br />

für uns immer eine von zwei Varianten,<br />

aber wir haben uns für das EU-Abkommen<br />

entschieden. Das zwingt uns zur Modernisierung<br />

der Industriestruktur und bringt<br />

neue Investoren ins Land. Allerdings<br />

bleibt es für uns äußerst wichtig, einen<br />

Weg der Zusammenarbeit mit der russischen<br />

Zollunion zu finden.<br />

Wenn Sie den EU-Assoziierungsvertrag<br />

unterzeichnen, ist ein Beitritt zur russischen<br />

Zollunion ausgeschlossen.<br />

Nein, das eine schließt das andere<br />

nicht aus! Wir wollen uns mit der EU<br />

assoziieren und ebenfalls gute Handelsbeziehungen<br />

mit Russland erhalten.<br />

Entscheidend ist, dass wir unsere Handelsregime<br />

in Einklang bringen und alle<br />

davon profitieren. Das setzt Bereitschaft<br />

von Russland und der EU-Kommission<br />

voraus, eine gemeinsame Lösung zu<br />

finden. An der Ukraine würde eine Freihandelszone<br />

von Irland bis Sibirien<br />

nicht scheitern.<br />

Einige EU-Parlamente wollen den<br />

Assoziierungsvertrag nicht ratifizieren,<br />

solange Oppositionspolitikerin Julia<br />

Timoschenko in Haft sitzt. Rechnen Sie<br />

mit einer Freilassung <strong>Ihr</strong>er Vorgängerin?<br />

Stellen Sie sich vor, Sie würden Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel diese Frage<br />

stellen. Was würde die wohl antworten?<br />

Sie würde sagen, dass sie das nicht beurteilen<br />

könne, weil darüber die Gerichte<br />

entscheiden. Genau das sage ich auch.<br />

In Europa gibt es nur wenige Länder,<br />

deren Politiker nach Wahlniederlagen<br />

hinter Gitter kommen. Fürchten Sie,<br />

dass das die Glaubwürdigkeit <strong>Ihr</strong>es Landes<br />

gegenüber Investoren beeinflusst?<br />

Wir sind nicht daran interessiert, dass<br />

die Beziehungen mit Investoren Schaden<br />

nehmen. Die Europäer sollten sich<br />

davon überzeugen lassen, dass unser<br />

Gericht im Fall Timoschenko die rechtswidrige<br />

Unterzeichnung der Gasverträge<br />

mit Russland ahndet, die der Ukraine<br />

erheblichen Schaden zugefügt haben.<br />

Sie fordern also von der EU den Stempel<br />

der Rechtsstaatlichkeit für das<br />

Verfahren gegen Timoschenko. Und im<br />

Gegenzug wird sie ins Exil entlassen?<br />

Wenn wir es gleichzeitig schaffen, den<br />

Fall Timoschenko auf die Ebene der humanitären<br />

Beziehungen zu übertragen,<br />

könnten wir sagen, dass wir einer<br />

Lösung des Problems sehr nahe sind.<br />

Zielt eine Begnadigung auf ein besseres<br />

Investitionsklima?<br />

Von ausländischen Geschäftsleuten höre<br />

ich viel Lob für die politische Stabilität<br />

in unserem Land. Die Zeiten sind vorbei,<br />

da sich Präsident und Premierminister<br />

bekriegt haben und das Parlament blockiert<br />

war.<br />

n<br />

florian.willershausen@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 41<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

BERLIN INTERN | Die CDU-Mittelstandsvereinigung<br />

hat einen jungdynamischen Vorsitzenden gewonnen<br />

und zwei mediale Zugpferde verloren. Ein Umbruch<br />

ins Ungewisse. Von Henning Krumrey<br />

Metzger in eigener Sache<br />

FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, MIT/JÖRDIS ZÄHRING<br />

Das erste schwarz-grüne Experiment<br />

dieser Tage war schon gescheitert,<br />

bevor sich die Verhandlungsdelegationen<br />

von<br />

Union und Ökos am Dienstagabend vergangener<br />

Woche trennten. Am Wochenende<br />

zuvor hatte Oswald Metzger, einst führender<br />

Finanzpolitiker der Grünen und seit<br />

2008 Mitglied der CDU, versucht, Vorsitzender<br />

der Mittelstandsvereinigung der<br />

CDU/CSU (MIT) zu werden – und war krachend<br />

gescheitert. Freilich lag es nicht an<br />

Schlachtfest Delegierte forderten Metzger<br />

(Foto) zur „Doppelspitze“ mit Linnemann auf<br />

seiner politischen Herkunft, sondern an<br />

einer explosiven Mischung aus Vorstellung<br />

und Vorstellungen. Seine Bewerbungsrede<br />

beim Bundeskongress war fahrig, und als<br />

er mit nur 28 Prozent bedacht wurde, reagierte<br />

er geschockt. Mit dieser „Klatsche“<br />

könne er auch als Stellvertreter keine wirksame<br />

„Doppelspitze“ bilden. So hatte sich<br />

Metzger das gedacht: Er tritt in Talkshows<br />

auf, während sich der neue Chef um den<br />

Kontakt zu Partei und Fraktion kümmert.<br />

Dafür erntet er Buhrufe, denn an ein Duo<br />

aus Innendienst-Vorsitzendem und Medien-Vize<br />

hatten die wenigsten gedacht.<br />

Das Problem der MIT: Kein echter Unternehmer<br />

fand sich für den Führungsposten.<br />

Der einzige Interessent, der überhaupt mal<br />

einen Kleinbetrieb geleitet hatte – Gereon<br />

Haumann aus Rheinland-Pfalz – zog seine<br />

Kandidatur noch vor der Wahl zurück und<br />

einen Posten als Vollzeit-Funktionär beim<br />

Hotel- und Gaststättenverband Dehoga vor.<br />

So blieb neben Metzger nur der CDU-<br />

Bundestagsabgeordnete Carsten<br />

Linnemann, der bemüht herausstrich, dass<br />

er ja fast selbst ein Unternehmer sei; sein<br />

Lebenslauf hingegen weist ihn als promovierten<br />

Bankvolkswirt aus. Bevor er 2009<br />

mit erst 32 Jahren ins Parlament kam,<br />

diente er unter anderem als Assistent von<br />

Deutsche-Bank-Professor Norbert Walter.<br />

„Ich komme aus einer Mittelstandsregion“,<br />

pries Linnemann sein Paderborn. „Ich komme<br />

selbst aus einer Mittelstandsfamilie,<br />

meine Eltern haben sich 1977 mit einer<br />

Buchhandlung selbstständig gemacht.“<br />

Heute führe der Bruder das Geschäft.<br />

In seiner Bewerbungsrede hatte Linnemann<br />

den scheidenden Vorsitzenden Josef<br />

Schlarmann zwar als intellektuellen Kopf<br />

und laut vernehmbare Stimme gelobt,<br />

in dieses Schalmeien aber schärfste Kritik<br />

gepackt. Denn künftig soll alles anders<br />

werden. „Ich möchte die Mittelstandsvereinigung<br />

wieder stärker an das Parlament<br />

heranbringen“, kündigte er an. In der Vergangenheit<br />

hatte es zwischen der Organisation<br />

und dem parlamentarischen Arm erheblich<br />

geknirscht. Während Schlarmann<br />

von außen mit scharfen Kommentaren für<br />

ein klares marktwirtschaftliches Profil des<br />

Verbandes sorgte, standen die Abgeordneten<br />

als Weichmacher da, die am Ende stets<br />

dem Kurs der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin<br />

folgten und brav nickten.<br />

Schlarmann hatte es sich durch seine<br />

reine Lehre auch mit Angela Merkel verscherzt.<br />

Linnemann dagegen setzt auf enge<br />

Kooperation. „Es ist entscheidend, dass wir<br />

mit am Koalitionstisch sitzen.“ Denn da fielen<br />

die Entscheidungen. Seine Vorschläge<br />

sind Schläge gegen Schlarmann: Er wolle<br />

„in Zukunft mit hoher Sachlichkeit und hoher<br />

Fachlichkeit“ in die Debatten eingreifen,<br />

„damit wir auch ernst genommen werden<br />

in Berlin“. Das wird spannend, denn im<br />

Bundestag hat der Neue schon mal gegen<br />

Merkels Euro-Rettungskurs gestimmt.<br />

Auch Metzger hatte betont, dass er<br />

„selbstständig“ ist, aber die Firma, die er<br />

führt, ist der Ein-Mann-Betrieb Oswald<br />

Metzger. In der MIT will er aktiv bleiben, als<br />

„marktwirtschaftlicher Frontkämpfer“.<br />

Denn „viele ordnungspolitische Stimmen<br />

haben wir ja nicht“.<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 43<br />

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Der Volkswirt<br />

KOMMENTAR | Amerikas Haushaltsstreit<br />

ist ein Kampf um die<br />

Rolle des Staates in der Wirtschaft.<br />

Von Malte Fischer<br />

Drama in D.C.<br />

Eines muss man den<br />

Amerikanern lassen:<br />

Spannung und Dramatik<br />

können sie erzeugen.<br />

Nicht nur in Hollywood,<br />

auch in Washington. Quasi in<br />

letzter Minute, kurz vor High<br />

Noon, haben sich die Politiker<br />

der demokratischen und der republikanischen<br />

Partei im Kongress<br />

in der vergangenen Woche<br />

auf eine Übergangslösung<br />

im Haushaltsstreit geeinigt. Bis<br />

zum 15. Januar 2014 kann Präsident<br />

Barack Obama nun auf<br />

einen vorläufigen Haushalt zurückgreifen.<br />

Zudem wird der<br />

Schuldendeckel angehoben,<br />

die Regierung kann mindestens<br />

bis Februar neue Schulden machen.<br />

Der befürchtete Staatsbankrott<br />

bleibt vorerst aus, die<br />

Finanzmärkte jubeln. Doch der<br />

Streit um die Sanierung der<br />

Staatsfinanzen geht weiter. Bis<br />

Mitte Dezember soll eine überparteiliche<br />

Kommission Vorschläge<br />

erarbeiten, wie sich Defizit<br />

und Schulden langfristig<br />

reduzieren lassen. Finden ihre<br />

Ideen keine Zustimmung, könnte<br />

das Haushaltsdrama in D.C.<br />

in die nächste Runde gehen.<br />

WEG MIT DEN SCHULDEN<br />

Dabei scheint es auf den ersten<br />

Blick nicht schlecht um Amerikas<br />

Finanzen zu stehen. Das Defizit<br />

im Bundeshaushalt hat sich<br />

dank guter Konjunktur, automatischer<br />

Ausgabenkürzungen und<br />

höherer Steuern von knapp<br />

zwölf Prozent 2009 auf vier bis<br />

fünf Prozent in diesem Jahr verringert.<br />

Allerdings: Auch bei einem<br />

Defizit von vier Prozent<br />

wächst der Schuldenberg. In<br />

diesem Jahr wird er rund 106<br />

Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

erreichen. Seit Anfang der<br />

Siebzigerjahre haben sich die<br />

Schulden real verachtfacht. Allein<br />

in der Regierungszeit Obamas<br />

kamen 64 000 Dollar neue<br />

Schulden je Steuerzahler hinzu.<br />

Die Zinsen dafür werden künftige<br />

Generationen durch höhere<br />

Steuern aufbringen müssen. Zu<br />

Recht machen die Vertreter der<br />

Tea Party daher Druck, den<br />

Schuldenberg abzuschmelzen.<br />

LOHNENDER KAMPF<br />

Grundsätzlich gibt es fünf Wege<br />

zu weniger Schulden: die Zinsen<br />

senken, das Wachstum ankurbeln,<br />

Inflation erzeugen, einen<br />

Überschuss im Staatshaushalt<br />

erwirtschaften und einen Schuldenschnitt<br />

verhängen. Letzteres<br />

wäre die gerechteste Variante,<br />

denn sie belastet diejenigen, die<br />

von der Staatsschuld profitieren.<br />

Allerdings hätte das wohl<br />

größere Turbulenzen an den<br />

Börsen zur Folge.<br />

Der Königsweg zum Schuldenabbau<br />

ist daher höheres<br />

Wachstum. Das aber lässt sich<br />

nicht einfach herbeizaubern.<br />

Bleiben also Niedrigzinsen und<br />

Inflation (finanzielle Repression)<br />

auf der einen und Sparen auf der<br />

anderen Seite. Obama und die<br />

US-Notenbank Fed setzen auf<br />

die finanzielle Repression. Sie<br />

stellt für sie die einfachste Variante<br />

der Entschuldung dar. Dabei<br />

nehmen sie in Kauf, breite<br />

Schichten der Bevölkerung zu<br />

enteignen und neue Fehlinvestitionen<br />

zu erzeugen. Die Opposition<br />

sollte ihnen das nicht durchgehen<br />

lassen. Sie muss auf<br />

einen harten Sparkurs und radikale<br />

Ausgabensenkungen drängen.<br />

Beobachter mag das Hickhack<br />

in Washington nerven.<br />

Doch für Amerika geht es <strong>dabei</strong><br />

um mehr Freiheit und weniger<br />

Staat. Es lohnt sich, dafür zu<br />

kämpfen.<br />

NACHGEFRAGT Marcel Fratzscher<br />

»Enorme Risiken«<br />

Der DIW-Präsident hält die besseren Konjunkturdaten<br />

der Euro-Zone nicht überall für nachhaltig.<br />

Herr Fratzscher, die Frühindikatoren<br />

für die Euro-Zone<br />

zeigen im Trend nach oben.<br />

Nach langer Rezession wachsen<br />

die meisten Volkswirtschaften<br />

wieder. Wie nachhaltig<br />

ist dieser Aufschwung?<br />

Ich bin nicht übermäßig optimistisch.<br />

Richtig ist, dass die<br />

Wirtschaft der Euro-Zone – getrieben<br />

von Deutschland – seit<br />

dem zweiten Quartal wieder zulegt.<br />

Von einem V-Aufschwung,<br />

den viele 2008/09 erhofft hatten<br />

– also ein steiler Anstieg nach<br />

dem tiefen Fall –, kann aber keine<br />

Rede sein. Die Arbeitslosenzahlen<br />

dürften vielerorts bis Ende<br />

2014 weiter steigen. Die<br />

Risiken für den Aufschwung<br />

sind enorm.<br />

Und die wären?<br />

Erstens: die unklare Lage der<br />

Banken. Es könnte bei der anstehenden<br />

Bewertung der Banken<br />

durch die Europäische<br />

Zentralbank (EZB) einige böse<br />

Überraschungen geben. Wer<br />

weiß denn schon, was spanische<br />

und italienische Banken<br />

in den Büchern haben? Das<br />

zweite große Risiko sind politische<br />

Instabilitäten, etwa in Italien<br />

und Griechenland. Hinzu<br />

kommen die Probleme der<br />

Schwellenländer, die europäische<br />

Exporteure belasten. Indien<br />

und China haben massive<br />

Probleme im Bankensektor,<br />

während Russland und Brasilien<br />

mit strukturellen Problemen<br />

kämpfen. In allen diesen<br />

Ländern müssen wir uns kurzbis<br />

mittelfristig auf schwächere<br />

Wachstumsraten einstellen.<br />

Sollte die EZB reagieren und<br />

den Leitzins nochmals senken?<br />

Das halte ich für wenig effektiv.<br />

Senkt die EZB den Leitzins von<br />

0,5 auf 0,25 Prozent, dürfte dies<br />

kaum Effekte am Markt haben.<br />

Das wäre reine Symbolpolitik.<br />

DER NEUE<br />

Fratzscher, 42, ist seit Februar<br />

2013 Präsident des Deutschen<br />

Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW) in Berlin.<br />

Wichtiger wäre es, die Strategie<br />

der quantitativen Lockerung<br />

fortzuführen – wenn dies notwendig<br />

ist. Etwa über ein neues<br />

Liquiditätsprogramm für die<br />

Banken, damit diese in Südeuropa<br />

mehr Kredite an den Mittelstand<br />

vergeben.<br />

Manche Experten sagen: Die<br />

EZB sollte lieber über eine Exitstrategie<br />

aus der expansiven<br />

<strong>Geld</strong>politik nachdenken.<br />

Für den Exit ist es zu früh. Es<br />

macht mir aber Sorge, wie weit<br />

sich die Notenbanken weltweit<br />

mit ihrer „forward guidance“<br />

aus dem Fenster lehnen, also<br />

dem Versprechen, noch lange<br />

an einer expansiven <strong>Geld</strong>politik<br />

festzuhalten. Die Finanzmärkte<br />

sind mittlerweile übermäßig<br />

auf die Notenbanken fokussiert<br />

und nehmen die Realwirtschaft<br />

nicht mehr ausreichend wahr.<br />

Sie spiegeln die Lage der Realwirtschaft<br />

nicht wider. Die Börse<br />

reflektiert vielmehr die Versprechungen<br />

der <strong>Geld</strong>politik.<br />

Das ist riskant – und kann zu<br />

Blasen und damit zu Verwerfungen<br />

führen.<br />

bert.losse@wiwo.de, malte fischer<br />

FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

44 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />

Institute: Höhere<br />

Steuern sind überflüssig<br />

Die deutsche Wirtschaft wächst<br />

in diesem Jahr wohl nur um<br />

0,4 Prozent – für 2014 hingegen<br />

zeichnet sich ein stärkeres<br />

Wachstum von 1,8 Prozent ab.<br />

Die Inflation bleibt im kommenden<br />

Jahr moderat (1,9 Prozent),<br />

der Arbeitsmarkt schlägt<br />

sich weiter wacker (Arbeitslosenquote:<br />

6,8 Prozent), und die<br />

öffentlichen Haushalte können<br />

unter dem Strich mit einem<br />

kleinen Plus rechnen. Das sind<br />

die Kernbotschaften der neuen<br />

Gemeinschaftsdiagnose, die<br />

Vertreter führender Wirtschaftsforschungsinstitute<br />

vergangene<br />

Woche präsentierten.<br />

Das zweimal jährlich für die<br />

Bundesregierung erstellte Konjunkturgutachten<br />

sieht den Aufschwung<br />

vor allem von der Binnennachfrage<br />

getragen. Die<br />

tariflichen Stundenlöhne legen<br />

in diesem Jahr im Schnitt um<br />

gut 2,5 Prozent zu, sodass viele<br />

Arbeitnehmer real mehr im<br />

Portemonnaie haben. Für 2014<br />

prognostiziert das Gutachten<br />

einen Anstieg um 2,6 Prozent.<br />

Die Wissenschaftler weisen<br />

allerdings nachdrücklich darauf<br />

hin, dass ihre Prognosen auf<br />

dem wirtschaftspolitischen Status<br />

quo beruhen. Will heißen:<br />

Ökonomischer Unfug der neuen<br />

Bundesregierung könnte die<br />

Wachstumskräfte wieder bremsen.<br />

Offenbar fürchten die mehr<br />

als 40 beteiligten Ökonomen,<br />

Hoffen auf 2014<br />

Entwicklungdes realen Bruttoinlandsprodukts<br />

(in Prozent)<br />

4<br />

2<br />

0<br />

–2<br />

–4<br />

–6<br />

2009 10 11 12 13 14<br />

Quelle: Herbstgutachten der Forschungsinstitute<br />

eine große Koalition könne angesichts<br />

der vergleichsweise<br />

entspannten Kassenlage ein<br />

Füllhorn sozialer Wohltaten<br />

über dem Wahlvolk ausschütten.<br />

„Die Finanzpolitik sollte<br />

den Haushaltsüberschuss sinnvoll<br />

nutzen. Man könnte damit<br />

sowohl die kalte Progression<br />

abbauen als auch investive Ausgaben<br />

in den Bereichen Infrastruktur,<br />

Bildung und Forschung<br />

finanzieren“, empfehlen<br />

die Wissenschaftler. Bis 2018 sei<br />

es der Politik möglich, dafür<br />

rund 33 Milliarden Euro lockerzumachen:<br />

„Dieser Betrag<br />

steckt den Spielraum ab, innerhalb<br />

dessen die Finanzpolitik<br />

agieren kann, ohne die Steuern<br />

zu erhöhen.“<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

Ende der roten Zahlen<br />

Finanzierungssaldo<br />

des Staates<br />

40<br />

in Prozent vom<br />

0,3<br />

20<br />

nominalen BIP 0,1 0,1<br />

0<br />

–0,8<br />

–20<br />

in Milliarden €<br />

–40<br />

–60<br />

–3,1<br />

–80<br />

–100<br />

–4,2<br />

–120<br />

2009 10 11 12 13 14<br />

ZEW-Index<br />

steigt erneut<br />

Die deutschen Finanzmarktexperten<br />

bewerten die wirtschaftlichen<br />

Perspektiven in Deutschland<br />

erneut positiver. Der vom<br />

Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung<br />

(ZEW) ermittelte<br />

Index der Konjunkturerwartungen<br />

für die kommenden<br />

sechs Monate kletterte im Oktober<br />

überraschend um 3,2 auf 52,8<br />

Punkte. Der Indikator, für den<br />

das ZEW rund 240 Analysten und<br />

institutionelle Anleger befragte,<br />

erreichte damit den höchsten<br />

Stand seit April 2010. Er hatte bereits<br />

in den beiden Vormonaten<br />

zugelegt. Ökonomen hatten angesichts<br />

der US-Haushaltskrise<br />

und möglicher Folgen auf die Finanzmärkte<br />

bestenfalls mit einer<br />

Stagnation gerechnet.<br />

Die aktuelle Lage der Wirtschaft<br />

bewerteten die Finanzprofis<br />

etwas schlechter als im<br />

Vormonat. Der entsprechende<br />

Teilindex sank um 0,9 auf 29,7<br />

Zähler.<br />

Volkswirtschaftliche<br />

Gesamtrechnung<br />

Reales Bruttoinlandsprodukt<br />

Privater Konsum<br />

Staatskonsum<br />

Ausrüstungsinvestitionen<br />

Bauinvestitionen<br />

Sonstige Anlagen<br />

Ausfuhren<br />

Einfuhren<br />

Arbeitsmarkt,<br />

Produktion und Preise<br />

Industrieproduktion 1<br />

Auftragseingänge 1<br />

Einzelhandelsumsatz 1<br />

Exporte 2<br />

ifo-Geschäftsklimaindex<br />

Einkaufsmanagerindex<br />

GfK-Konsumklimaindex<br />

Verbraucherpreise 3<br />

Erzeugerpreise 3<br />

Importpreise 3<br />

Arbeitslosenzahl 4<br />

Offene Stellen 4<br />

Beschäftigte 4, 5<br />

2011 2012<br />

Durchschnitt<br />

3,3<br />

1,7<br />

1,0<br />

7,0<br />

5,8<br />

3,9<br />

7,8<br />

7,4<br />

2011 2012<br />

Durchschnitt<br />

6,6<br />

7,5<br />

1,1<br />

11,5<br />

111,3<br />

54,8<br />

5,6<br />

2,1<br />

5,6<br />

8,0<br />

2974<br />

466<br />

28460<br />

0,7<br />

0,8<br />

1,2<br />

–4,8<br />

–1,5<br />

3,2<br />

3,9<br />

2,2<br />

–0,9<br />

–4,2<br />

0,2<br />

3,4<br />

105,0<br />

46,7<br />

5,9<br />

2,0<br />

2,0<br />

2,1<br />

2897<br />

478<br />

29004<br />

II/12 III/12 IV/12 I/13 II/13<br />

Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />

–0,1<br />

0,1<br />

–0,4<br />

–3,0<br />

–1,4<br />

1,0<br />

3,1<br />

2,3<br />

Juni<br />

2013<br />

2,1<br />

4,5<br />

–1,0<br />

1,2<br />

105,9<br />

48,6<br />

6,5<br />

1,8<br />

0,1<br />

–2,2<br />

2946<br />

425<br />

29348<br />

1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />

Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />

alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />

0,2<br />

0,1<br />

0,7<br />

–2,2<br />

0,5<br />

1,5<br />

1,4<br />

0,6<br />

Juli<br />

2013<br />

–1,1<br />

–1,9<br />

–0,5<br />

–0,8<br />

106,2<br />

50,7<br />

6,8<br />

1,9<br />

0,0<br />

–2,6<br />

2941<br />

425<br />

29395<br />

–0,5<br />

–0,3<br />

0,1<br />

–2,0<br />

–0,7<br />

1,5<br />

–2,4<br />

–1,3<br />

August<br />

2013<br />

1,4<br />

–0,3<br />

–0,2<br />

1,0<br />

107,6<br />

51,8<br />

7,0<br />

1,5<br />

–0,5<br />

–3,4<br />

2950<br />

426<br />

–<br />

0,0<br />

0,8<br />

–0,1<br />

–0,6<br />

–2,1<br />

–1,1<br />

–1,8<br />

–2,1<br />

Sept.<br />

2013<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

107,7<br />

51,1<br />

7,0<br />

1,4<br />

–<br />

–<br />

2975<br />

429<br />

–<br />

0,7<br />

0,5<br />

0,6<br />

0,9<br />

2,6<br />

1,3<br />

2,2<br />

2,0<br />

Okt.<br />

2013<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

7,1<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

Letztes Quartal<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

0,9<br />

1,1<br />

1,3<br />

–1,2<br />

1,2<br />

3,1<br />

1,1<br />

1,4<br />

Letzter Monat<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

–3,0<br />

0,1<br />

0,4<br />

–5,5<br />

6,2<br />

7,2<br />

18,3<br />

–<br />

–<br />

–<br />

2,1<br />

–9,8<br />

1,2<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 45<br />

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Der Volkswirt<br />

WIRTSCHAFTSNOBELPREIS<br />

Praktisch relevant<br />

Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis ist eine<br />

Mahnung an die Notenbanken, der Entwicklung der<br />

Vermögenspreise mehr Beachtung zu schenken.<br />

Ökonomen stehen im Ruf,<br />

wundersame Zeitgenossen<br />

zu sein. Diesen Ruf<br />

dürfte die Verleihung des<br />

Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften<br />

Anfang vergangener<br />

Woche verstärkt haben.<br />

Denn die Königlich-Schwedische<br />

Akademie der Wissenschaften<br />

verlieh den mit umgerechnet<br />

mehr als 900 000 Euro<br />

dotierten Preis an drei Ökonomen,<br />

deren wissenschaftliche<br />

Aussagen sich zum Teil heftig<br />

widersprechen. Alle drei erhielten<br />

die Auszeichnung für ihre<br />

empirischen Untersuchungen<br />

zur Entwicklung von Vermögenspreisen<br />

wie Aktien, Anleihen<br />

und Immobilien.<br />

EFFIZIENTE MÄRKTE<br />

Eugene Fama, Professor an der<br />

Universität von Chicago, galt<br />

schon lange als ein Favorit für<br />

die höchste wissenschaftliche<br />

Auszeichnung der Zunft. Erst<br />

vor Kurzem widmeten wir<br />

ihm eine Folge der Wirtschafts-<br />

Woche-Serie „Geistesblitze der<br />

Ökonomie“(WirtschaftsWoche<br />

40/2013). Doch seine These von<br />

der Effizienz der Märkte, derzufolge<br />

sich alle zu einem Zeitpunkt<br />

verfügbaren Informationen<br />

sofort in den Börsenkursen<br />

niederschlagen, wurde nach<br />

dem Platzen der Häuserpreisblase<br />

und der folgenden Finanzkrise<br />

in Zweifel gezogen. Dass er<br />

weiterhin darauf beharrte,<br />

Märkte seien effizient, und Spekulationsblasen<br />

als eine Art Fata<br />

Morgana betrachtete, hatte seine<br />

Chance auf den Nobelpreis<br />

in den vergangenen Jahren nach<br />

Ansicht vieler Beobachter eher<br />

reduziert. Famas Marktgläubigkeit<br />

passte immer weniger zum<br />

vorherrschenden wissenschaftlichen<br />

und politischen Mainstream,<br />

der inzwischen von<br />

Marktskeptikern dominiert<br />

wird. Zu diesen gehört der zweite<br />

Laureat, Robert Shiller, Professor<br />

an der Universität Yale.<br />

Shiller hat in seinen Arbeiten<br />

Famas These von den effizienten<br />

Märkten und rational handelnden<br />

Investoren in Zweifel<br />

gezogen. Shiller zufolge kann es<br />

zu Kursblasen an den Vermögensmärkten<br />

kommen, da sich<br />

Anleger zuweilen von einer Welle<br />

der Euphorie tragen lassen<br />

Märkte haben<br />

immer recht<br />

Preisträger Fama<br />

und einem Herdenverhalten,<br />

den „animal spirits“, anheimfallen.<br />

Dadurch entfernen sich die<br />

Kurse für längere Zeit von ihren<br />

fundamentalen Werten. Investoren,<br />

die dies erkennen, fehlen<br />

häufig die Mittel, um gegen die<br />

Herde zu spekulieren, oder sie<br />

sind durch Anlagevorschriften<br />

eingeschränkt. Daher wächst<br />

die Blase weiter, bis sie schließlich<br />

platzt. Shiller kann darauf<br />

verweisen, als einer der wenigen<br />

das Platzen der Häuserpreisblase<br />

in den USA rechtzeitig<br />

vorausgesehen zu haben.<br />

Modelle bilden die<br />

Realität nicht ab<br />

Preisträger Hansen<br />

Der Dritte im Bunde der Laureaten,<br />

Lars Peter Hansen, ist<br />

ebenso wie Fama Professor an<br />

der Universität Chicago. Hansen<br />

ist ein mathematisch-statistisch<br />

ausgerichteter Ökonom<br />

und steht daher weniger im Fokus<br />

der wirtschaftspolitischen<br />

Debatte als Fama und Shiller. In<br />

den Achtzigerjahren entwickelte<br />

er eine statistische Methode,<br />

mit der er nachwies, dass die<br />

Aktienkurse in der Realität stärker<br />

schwanken, als es traditionelle<br />

Modelle nahelegen. Damit<br />

lieferte er die Grundlage,<br />

auf der Shiller mit seiner These<br />

vom irrationalen Verhalten der<br />

Investoren aufsetzte.<br />

Die Tatsache, dass das Nobelkomitee<br />

Ökonomen mit so unterschiedlichen<br />

Ergebnissen<br />

wie Fama und Shiller gleichzeitig<br />

auszeichnet, macht deutlich,<br />

dass die Wirtschaftswissen-<br />

Märkte können<br />

auch irren<br />

Preisträger Shiller<br />

schaft – anders als manche<br />

Ökonomen glauben machen<br />

wollen – keine Wissenschaft ist,<br />

die mathematische Exaktheit<br />

für sich beanspruchen kann.<br />

Das Urteil, was die Vermögenspreise<br />

letztlich bestimmt, ist<br />

somit noch nicht gesprochen.<br />

Klar ist jedoch, dass alle drei<br />

Laureaten mit ihren Forschungen<br />

dazu beigetragen haben,<br />

der Antwort ein Stück näher zu<br />

kommen. Dass ihre Arbeiten relevant<br />

sind, zeigt sich auch daran,<br />

dass sie keine Ausgeburt<br />

selbstreferenzieller Debatten<br />

im akademischen Elfenbeinturm<br />

sind, sondern große<br />

Bedeutung für die praktische<br />

Arbeit von vielen Anlegern<br />

und Fondsmanagern besitzen.<br />

So wies Fama nach, dass die<br />

Rendite von Aktien weniger von<br />

ihrem Marktrisiko – dem<br />

Gleichlauf mit dem gesamten<br />

Aktienmarkt – abhängt als<br />

vielmehr von der Größe des<br />

Unternehmens. Aktien kleiner<br />

Unternehmen mit geringer<br />

Marktkapitalisierung bieten<br />

demzufolge im Schnitt höhere<br />

Renditen als die Papiere von<br />

großen Unternehmen. Da es<br />

Investoren Fama zufolge jedoch<br />

schwerfällt, den Markt zu<br />

schlagen, bietet es sich an, das<br />

<strong>Geld</strong> lieber in Indexfonds anzulegen,<br />

statt auf einzelne Aktien<br />

zu setzen.<br />

STRATEGIE ÜBERDENKEN<br />

Doch das wichtigste Signal,<br />

das von der Entscheidung des<br />

Nobelkomitees ausgeht, besteht<br />

darin, dass sie das Interesse<br />

der Öffentlichkeit auf die Relevanz<br />

der Vermögenspreise für<br />

das Wohl und Wehe der Wirtschaft<br />

lenkt. Es ist ein Wink mit<br />

dem Zaunpfahl, der vor allem<br />

den Zentralbanken gilt. Diese<br />

müssen den Vermögenspreisen<br />

in Zukunft deutlich mehr Aufmerksamkeit<br />

schenken. Bisher<br />

fokussieren sich die Notenbanker<br />

allein auf das Preisniveau<br />

von Gütern. Die Preise von Vermögenswerten<br />

– Aktien, Anleihen,<br />

Rohstoffen und Immobilien<br />

– haben sie dagegen<br />

vernachlässigt. Dadurch haben<br />

sich im Gefolge viel zu niedriger<br />

Zinsen gewaltige Blasen an den<br />

Aktien- und später an den Immobilienmärkten<br />

gebildet, deren<br />

Platzen die Weltwirtschaft<br />

in den Abgrund stürzte. Der<br />

Nobelpreis für Fama, Shiller<br />

und Hansen ist daher eine berechtigte<br />

Mahnung des Nobelkomitees<br />

an die Zentralbanken,<br />

ihre geldpolitischen Strategien<br />

schleunigst zu überdenken, um<br />

Katastrophen wie die Finanzkrise<br />

künftig zu verhindern.<br />

malte.fischer@wiwo.de<br />

FOTOS: BLOOMBERG NEWS, GETTY IMAGES, LAIF<br />

46 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Der Volkswirt<br />

NACHGEFRAGT Raghuram Rajan<br />

»Die Zeit nutzen«<br />

Der Chef der indischen Notenbank kämpft gegen die<br />

Inflation und warnt vor einer neuen globalen Krise.<br />

Professor Rajan, als frischernannter<br />

Chef der indischen<br />

Zentralbank haben Sie den<br />

wichtigsten Leitzins erhöht,<br />

einen weiteren Leitzins haben<br />

Sie hingegen gesenkt. Können<br />

Sie uns das erklären?<br />

Wir hatten vor einiger Zeit den<br />

Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken<br />

über Nacht <strong>Geld</strong><br />

von der Zentralbank leihen, erhöht,<br />

um den Außenwert der<br />

Rupie zu stützen. Da sich unsere<br />

Währung inzwischen erholt<br />

hat, konnten wir diese Sondermaßnahme<br />

zurückfahren und<br />

haben diesen Zins nun vorsichtig<br />

gesenkt. Den Hauptrefinanzierungssatz,<br />

zu dem sich die<br />

Banken im Normalfall <strong>Geld</strong> bei<br />

uns leihen, haben wir angehoben,<br />

um die hartnäckig hohe<br />

Inflation zu bekämpfen.<br />

Das Wachstum der indischen<br />

Wirtschaft hat sich bereits<br />

abgeschwächt. Fürchten Sie<br />

nicht, die Konjunktur mit<br />

höheren Zinsen abzuwürgen?<br />

Indien leidet unter hoher Inflation.<br />

Sie belastet das Wachstum,<br />

indem sie die Realeinkommen<br />

der Verbraucher schmälert<br />

und Investoren davon abhält,<br />

längerfristige finanzielle Engagements<br />

einzugehen. Das Beste,<br />

was wir als Zentralbank für<br />

DER HERR DER RUPIE<br />

Rajan, 50, ist seit September<br />

2013 Präsident der indischen<br />

Notenbank Reserve Bank of<br />

India. Der international renommierte<br />

Ökonom lehrte ab 1995<br />

an der Universität von Chicago<br />

und war von 2003 bis 2006 Chefökonom<br />

des Internationalen<br />

Währungsfonds.<br />

das Wachstum tun können, ist<br />

die Inflation zu verringern.<br />

Das Wachstum der indischen<br />

Wirtschaft hat sich binnen drei<br />

Jahren auf 4,4 Prozent halbiert.<br />

Was steckt dahinter?<br />

Zum einen hatten die Regierungen<br />

in den westlichen Ländern<br />

im Zuge der Finanzkrise ihre<br />

Wirtschaft mit milliardenschweren<br />

Konjunkturpaketen<br />

gestützt. Das hat die Wirtschaft<br />

weltweit angekurbelt, auch in<br />

Indien. Unsere Wirtschaft überhitzte,<br />

und die Inflationsraten<br />

zogen an. Die Zentralbank<br />

musste die Leitzinsen anheben,<br />

das hat die Konjunktur gedämpft.<br />

Das war alles?<br />

Verwaltung und Bürokratie arbeiten<br />

nicht so transparent, wie<br />

man sich das wünscht. Das verzögert<br />

die Vergabe von Baugenehmigungen<br />

und den Ausweis<br />

von Gewerbeflächen. Der Bau<br />

von Kraftwerken und anderen<br />

Großprojekten, die das Wachstum<br />

ankurbeln, kommen zu<br />

langsam voran.<br />

Wie soll die Wirtschaft wieder<br />

in Schwung kommen?<br />

Zunächst müssen wir die verzögerten<br />

Großprojekte auf den<br />

Weg bringen. Wir hoffen zudem<br />

auf Rückenwind von der Weltkonjunktur,<br />

denn Indien ist eine<br />

offene Volkswirtschaft. Langfristig<br />

müssen wir jedoch strukturelle<br />

Reformen umsetzen, um<br />

wieder mit Raten zwischen acht<br />

und zehn Prozent zu wachsen.<br />

So müssen wir die logistische<br />

Infrastruktur für die Industrie<br />

mit modernen Flughäfen und<br />

Hochgeschwindigkeitsstrecken<br />

für Güterzüge ausstatten. Außerdem<br />

müssen wir die Arbeitskräfte<br />

besser ausbilden und die<br />

Rahmenbedingungen für Unternehmer<br />

verbessern.<br />

Die amerikanische Notenbank<br />

Fed hat die geldpolitischen<br />

Zügel trotz anderslautender Erwartungen<br />

noch nicht gestrafft.<br />

<strong>Ist</strong> das ein Segen für die<br />

Schwellenländer?<br />

Die Fed hat die Straffung allenfalls<br />

aufgeschoben. Die Schwellenländer<br />

sollten daher die verbleibende<br />

Zeit nutzen, um ihre<br />

Wirtschaft in Ordnung zu bringen.<br />

Sonst können sie leicht in<br />

Schwierigkeiten geraten, wenn<br />

die Fed die <strong>Geld</strong>politik strafft<br />

und die Finanzmärkte verrückt<br />

spielen. Indien hat einen Teil<br />

seiner Hausaufgaben erledigt.<br />

Das Defizit in unserer Handelsbilanz<br />

ist im September gesunken,<br />

nicht nur, weil wir die<br />

Goldimporte beschränkt, sondern<br />

auch, weil wir mehr Waren<br />

und Dienstleistungen exportiert<br />

haben.<br />

»Die Fed hat<br />

die Straffung<br />

allenfalls<br />

aufgeschoben«<br />

Die Schwellenländer könnten<br />

sich doch auch durch<br />

Kapitalverkehrskontrollen<br />

vor Schwankungen an den<br />

Finanzmärkten schützen.<br />

So einfach ist das nicht. Schwellenländer<br />

sollten grundsätzlich<br />

darauf achten, dass sie mehr Direktinvestitionen<br />

und weniger<br />

Zuflüsse in Form von Krediten<br />

erhalten. Letztere sollten zudem<br />

möglichst lange Laufzeiten aufweisen.<br />

Indiens Kapitalimporte<br />

bestehen zum größten Teil aus<br />

langfristigen Direktinvestitionen,<br />

daher sind wir weniger<br />

anfällig, als manche denken.<br />

Unsere Auslandsschulden betragen<br />

22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,<br />

unsere Währungsreserven<br />

erreichen 15<br />

Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />

Wir können das Gros unserer<br />

Zahlungsverpflichtungen<br />

daher mit eigenen Reserven decken.<br />

Es ist nicht entscheidend,<br />

den Abfluss von Kapital zu kontrollieren,<br />

sondern den Zufluss<br />

von Kapital in die richtigen<br />

Verwendungen zu lenken. Hier<br />

könnten Kontrollen helfen.<br />

Die großen Zentralbanken<br />

betreiben weiter eine expansive<br />

<strong>Geld</strong>politik. Legt das die Basis<br />

für die nächste Finanzkrise?<br />

Gefährlich könnte es für Länder<br />

werden, die viel Kapital anziehen,<br />

weil sie wirtschaftlich gut<br />

dastehen. Wenn die Regierungen<br />

dieser Länder in der Haushaltspolitik<br />

die Zügel schleifen<br />

lassen und Defizite durch Kapitalzuflüsse<br />

aus dem Ausland<br />

finanzieren, laufen sie Gefahr,<br />

das Opfer der nächsten Krise zu<br />

werden. Statt das hereinströmende<br />

<strong>Geld</strong> mit vollen Händen<br />

auszugeben, sollten sie intelligent<br />

gegensteuern. Sonst droht<br />

ihnen das gleiche Schicksal wie<br />

den Peripherieländer der Euro-<br />

Zone. Diese haben das in den<br />

guten Zeiten hereinfließende<br />

<strong>Geld</strong> für Partys ausgegeben.<br />

Wenn wir nicht lernen, die Kapitalströme<br />

besser zu managen,<br />

stolpern wir von einer Krise in<br />

die nächste.<br />

malte.fischer@wiwo.de<br />

FOTO: BLOOMBERG NEWS/MUNSHI AHMED<br />

48 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Leidenschaft für<br />

Kloschüsseln<br />

MARKENRANKING | Von Siegern lernen: Warum sich deutsche<br />

Weltmarktführer besser verkaufen als die Konkurrenz – eine<br />

Praxis-Checkliste für Mittelständler.<br />

Er leuchtet Ferrari-Rot, hat Kraft<br />

ohne Ende, wurde „Maschine<br />

des Jahres“, und Männer bleiben<br />

am Ackerrand stehen, wenn er<br />

anrollt: Die Rede ist vom Grimme<br />

Rexor 620, dem sechsreihigen Rübenroder<br />

mit 22-Tonnen-Bunker, 530 PS. Er ist<br />

Touch-screen-gesteuert, erntet 120 Tonnen<br />

Rüben die Stunde und kostet in der<br />

Standardausführung 400 000 Euro.<br />

Das Erstaunlichste an diesem und anderen<br />

Rüben- und Kartoffelerntehelfern der<br />

Grimme Gruppe ist, dass der Premiumanbieter<br />

aus dem niedersächsischen<br />

Damme solche Preise durchsetzen kann.<br />

Das gute Stück können die Bauern nämlich<br />

nur zwei Monate pro Jahr nutzen, die restlichen<br />

zehn Monate staubt es in der Scheune<br />

ein. Und es teilen sich auch immer seltener<br />

mehrere Landwirte eins, weil die zusammengekauften<br />

Ackerflächen so riesig sind,<br />

dass Großbauern ihre Maschinen in der kurzen<br />

Erntezeit selbst brauchen. Franz Grimme,<br />

Chef des Familienunternehmens, weiß<br />

ganz offensichtlich, wie man sich auf dem<br />

Land Kunden schafft.<br />

Jürgen Feld, sein Marketingleiter, erklärt<br />

es so: „Wir sind stark in der Kartoffelszene,<br />

weil wir unseren Leitgedanken ,Grimme<br />

hilft‘ seit Jahrzehnten leben.“ Soll heißen:<br />

Bleibt das High-Tech-Trumm auf dem<br />

Acker liegen, greift der Bauer zum Handy,<br />

und ein Händler oder ein Grimme-Techniker<br />

eilen herbei. Verschleißteile werden sofort<br />

geliefert, denn Erntezeit ist kostbar –<br />

nicht nur in Deutschland.<br />

So fahren die mehr als 2000 Mitarbeiter<br />

des Schwermaschinenbauers in diesem<br />

Jahr rund 400 Millionen Euro Umsatz ein,<br />

sind mit weitem Abstand Weltmarktführer<br />

für Kartoffel- und Rübenerntemaschinen<br />

und schaffen den fünften Platz im Ranking<br />

der Top-Marken des Mittelstands.<br />

Das erstellte die Münchner Beratung<br />

Biesalski & Company jetzt zum zweiten<br />

Mal nach 2011 exklusiv für die Wirtschafts-<br />

Woche. Biesalski untersucht den Stellenwert<br />

der Marke bei den deutschen Weltmarktführern<br />

im Investitionsgütergeschäft.<br />

Berücksichtigt wurden Unternehmen,<br />

die im Durchschnitt der vergangenen<br />

drei Jahre maximal eine Milliarde Euro<br />

Umsatz erwirtschafteten und ganz oder<br />

mehrheitlich im Eigentümerbesitz sind.<br />

Errechnet wurden die Performance der<br />

Marke und wirtschaftlicher Erfolg (Details<br />

siehe Tabelle und Kasten auf Seite 53).<br />

Zum zweiten Mal schon darf sich Herrenknecht,<br />

der Weltmarktführer für Tunnelbohrmaschinen,<br />

der wertvollsten Marke<br />

rühmen. Was macht der Maschinenbauer<br />

aus Schwanau bei Freiburg besser<br />

als alle anderen? Tomasz de Crignis, Partner<br />

und Studienleiter bei Biesalski, erklärt<br />

es so: „Herrenknecht bündelt exzellent alle<br />

Kompetenzen der Marke, kommuniziert<br />

klar und transparent mit der Zielgruppe<br />

und hat sogar den ersten Platz in unserem<br />

letzten Ranking zum Anlass genommen,<br />

noch mal alle Schwachstellen aufzubohren<br />

und sich weiterzuentwickeln.“<br />

Ebenso lehrreich sind andere Unternehmen<br />

aus der Top-20-Liste quer durch die<br />

Branchen. De Crignis: „Die führenden<br />

Hidden Champions setzen ihre Marke so<br />

erfolgreich ein, dass sie bei ihrer Zielgruppe<br />

stärker verankert ist als viele bekannte<br />

Marken im Konsumgüterbereich.“<br />

Aber wie haben es die Besten geschafft,<br />

ihre Marke so viel klüger zu führen als<br />

»<br />

5 Franz Grimme<br />

Rang Grimme Gruppe<br />

aDer Landmaschinenhersteller hat<br />

sich auf den Kartoffel- und Rübenanbau<br />

spezialisiert und liefert sämtliche<br />

Maschinen, die Landwirte zum Roden,<br />

Legen, Pflegen bis zum späteren<br />

Einlagern der Feldfrüchte benötigen.<br />

50 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Ernteexperte Franz<br />

Grimme leitet das 1861<br />

gegründete Familienunternehmen<br />

für Landmaschinen<br />

aus Damme<br />

aDie Markenstudie 2013 attestiert<br />

der Grimme Gruppe eine gesteigerte<br />

Marken- und Zukunftsfähigkeit dank<br />

Produkten, die auf dem neuesten<br />

technischen Stand sind, sowie hohem<br />

Aufwand als Servicedienstleister.<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 51<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

KWS will es anders angehen als der<br />

Monsanto-Konzern: Der spannt Lobbyistenheere<br />

und US-Politiker, die bei widerspenstigen<br />

europäischen Kollegen Druck<br />

zu machen. Dagegen lädt KWS Saat alle<br />

sechs bis zwölf Monate Ethiker, Theologen,<br />

Landwirte, Anwohner und Umweltaktivisten<br />

zu Diskussionen. „Dabei lassen wir die<br />

Medien außen vor, dann können alle Beteiligten<br />

offener reden und aufeinander zugehen“,<br />

sagt Henning von der Ohe, der die<br />

Unternehmensentwicklung bei KWS leitet.<br />

Auch Schulklassen und Politiker werden<br />

zu Feld- und Laborbesuchen eingeladen.<br />

»<br />

die Konkurrenz? <strong>Ihr</strong>e Produktpaletten zu<br />

straffen, die Unternehmensnachfolge für<br />

einen Wandel zu nutzen, Mitarbeiter auf ihre<br />

Produkte einzuschwören, Produkte zu<br />

emotionalisieren und zum Systemanbieter<br />

zu werden? Sieben Chefs berichten – eine<br />

Checkliste zur besseren Markenführung.<br />

KWS SAAT<br />

Dialog mit Gegnern<br />

Wie schützt ein international aufgestelltes<br />

Unternehmen seine Marke, das auf dem<br />

Heimatmarkt aus politischen Gründen am<br />

Pranger steht? „Indem es konsequent und<br />

öffentlich den Nutzen seiner Produkte definiert<br />

und immer wieder sein Geschäft begründet“,<br />

lobt Berater de Crignis das Unternehmen<br />

von. Die Rede ist von KWS Saat,<br />

dem Saatguthersteller aus dem niedersächsischen<br />

Einbeck.<br />

Nachdem BASF und Bayer ihre umstrittenen<br />

Sparten längst ins Ausland verlegt<br />

haben, sind die Niedersachsen das einzige<br />

Unternehmen, dass in Deutschland noch<br />

1<br />

Rang<br />

Martin<br />

Herrenknecht<br />

Herrenknecht<br />

aSieger dank einzigartiger Produkte,<br />

dem glaubwürdigen Versprechen „Die<br />

schaffen das“ und klugem Reputationsaufbau<br />

über Referenzprodukte.<br />

an Gen-Pflanzen arbeitet. Doch große<br />

Teile der Bevölkerung fürchten Gen-Food<br />

auf dem Teller. BUND, Greenpeace und Co.<br />

ziehen seit Jahren dagegen zu Felde.<br />

Trotz des Gegenwinds hat es der Umsatzmilliardär<br />

aber geschafft, sogar zum<br />

Marktführer bei Ökosaaten zu werden.<br />

Die Marke verbesserte sich im WirtschaftsWoche-Ranking<br />

auf Rang elf. Anders<br />

als etwa US-Agrarriese Monsanto, der<br />

seinen Gegnern als Inkarnation des Bösen<br />

gilt, setzen die Niedersachsen auf Dialog –<br />

und das glaubwürdiger als andere<br />

Anbieter.<br />

RENOLIT<br />

59 Marken zu viel<br />

Folien gibt es für Hunderte technische Anwendungen,<br />

auch Folienhersteller gibt es<br />

zur Genüge. Welche Folie aber von dem<br />

Wormser Produzenten Renolit (Platz 16 im<br />

Ranking) stammte, wussten nur Eingeweihte.<br />

Vorstandschef Michael Kundel<br />

fasst das Dilemma so zusammen: „Wir<br />

führten nach Unternehmenszukäufen bis<br />

2008 rund 60 sehr heterogene Einzelmarken.“<br />

Gerade rechtzeitig zur Finanzkrise<br />

belegte eine Marktanalyse: Renolit muss<br />

sich dringend als eine klar wiedererkennbare<br />

Marke mit dem Produktversprechen<br />

Zuverlässigkeit positionieren, und das ist<br />

oberste Führungsaufgabe. Was die Studie<br />

nicht prophezeite: Das Ganze wird viel<br />

mehr Zeit verschlingen als gedacht.<br />

„Wir nutzen jetzt international auf allen<br />

Ebenen – egal, ob bei Produkten oder Geschäftsbereichen<br />

– Renolit als Dachmarke“,<br />

berichet Kundel. Auch um den Preis, dass<br />

Mitarbeiter und Kunden der zugekauften<br />

Marken jahrelang mühsam überzeugt werden<br />

mussten. Noch heute geht der Prozess<br />

behutsam, aber konsequent weiter: Kataloge,<br />

Messeauftritte, Briefpapier oder Lastwagen<br />

– alles wird auf Renolit getrimmt.<br />

Dazu gehört auch ein bemerkenswert präziser<br />

Internet-Auftritt zur Markenrelevanz<br />

und zu den Unternehmensrichtlinien.<br />

Eine Marke, das ist eine riskante Strategie:<br />

Gerät ein Renolit-Produkt durch Qualitätsmängel<br />

in Verruf, etwa die medizinischen<br />

Folien, trifft es das komplette Sortiment.<br />

„Da hilft nur, überall und gleichzeitig die<br />

Qualität zu kontrollieren“, sagt Kundel.<br />

Auch die Kosten der Markenumstellung,<br />

die Kundel nicht beziffern möchte, sind<br />

enorm. „Es rechnet sich aber“, sagt der Chef.<br />

„Am Ende spart man daran, nicht mehr 60<br />

Marken weltweit positionieren, verfolgen<br />

und schützen zu müssen.“ Für Renolit mit<br />

FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

52 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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785 Millionen Euro Jahresumsatz ist klar,<br />

was auch andere Hidden Champions leben:<br />

Der Beitrag der Marke zum wirtschaftlichen<br />

Erfolg kann kaum überschätzt werden.<br />

OTTO BOCK<br />

Raus auf die Straße<br />

Beinprothesen, Rollstühle, Bandagen – alles<br />

Furchterregende, was eigentlich niemand<br />

sehen will, präsentiert der Duderstädter<br />

Hersteller Otto Bock lifestylemäßig,<br />

auf Dauer und äußerst erfolgreich am Potsdamer<br />

Platz in Berlin. Mehr als eine halbe<br />

Million Menschen besuchten bereits das<br />

multimediale „Science Center Medizintechnik“<br />

der Niedersachsen. <strong>Ihr</strong> Claim:<br />

„Begreifen, was uns bewegt“. Ein weiteres<br />

Center des internationalen Unternehmens<br />

soll 2017 in Brooklyn/New York eröffnen.<br />

Erst vor zwei Jahren hat der geschäftsführende<br />

Gesellschafter Hans Georg Näder<br />

die Marke einschließlich des Logos – der<br />

Unterschrift des Firmengründers – neu gestaltet.<br />

Die Kernbotschaft lautet jetzt: Lebensqualität<br />

und Unabhängigkeit für Menschen<br />

mit Handicap.<br />

Das klingt positiv, macht neugierig und<br />

führte zu Platz vier im Ranking. Eine Leistung<br />

für ein Unternehmen, das man auch<br />

ausschließlich mit Schmerz und Leid verbinden<br />

könnte.<br />

Otto Bock ist ein typischer Vertreter der<br />

Hidden Champions, deren Markenprofil<br />

eng mit der Gründerpersönlichkeit<br />

verbunden ist. Otto Bock ist der Großvater<br />

Näders, der das Unternehmen seit fast<br />

30 Jahren leitet: „Wir wollen das Thema<br />

zum Beispiel durch unser Engagement<br />

bei den Paralympics in die Mitte der<br />

Gesellschaft bringen und so unser Profil<br />

schärfen.“<br />

Bilder von leidenschaftlichen Sportlern,<br />

deren Behinderung die Zuschauer manchmal<br />

erst auf den zweiten Blick erkennen –<br />

das funktioniert weltweit, dazu verbunden<br />

mit der Assoziation deutscher Wertarbeit.<br />

Der Umsatz der Otto-Bock-Gruppe kletterte<br />

auf mehr als eine Milliarde Euro, der Auslandsanteil<br />

liegt wie bei vielen deutschen<br />

Weltmarktführern über 80 Prozent.<br />

»<br />

Die Top-20-Marken der Hidden Champions 2013<br />

Wer konnte seine Marke in den vergangenen zwei Jahren gut positionieren?<br />

Rang<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

10<br />

11<br />

12<br />

13<br />

14<br />

15<br />

16<br />

17<br />

18<br />

19<br />

20<br />

(1)<br />

(7)<br />

(12)<br />

(5)<br />

(9)<br />

(10)<br />

(3)<br />

(8)<br />

(6)<br />

(11)<br />

(19)<br />

(15)<br />

Neu<br />

Neu<br />

(16)<br />

(20)<br />

(27)<br />

(18)<br />

(17)<br />

Neu<br />

7<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

5<br />

7<br />

5<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

4<br />

7<br />

5<br />

Unternehmen<br />

Herrenknecht<br />

Lürssen<br />

Wilo<br />

Otto Bock<br />

Holding<br />

Grimme<br />

Gruppe<br />

Duravit<br />

Peri<br />

Kaeser<br />

Kompressoren<br />

Karl Storz<br />

Sto<br />

KWS Saat<br />

Dorma<br />

Holding<br />

Mennekes<br />

Weishaupt<br />

Gruppe<br />

Abeking &<br />

Rasmussen<br />

Renolit<br />

Sennheiser<br />

electronic<br />

Lapp Holding<br />

BPW Bergische<br />

Achsen<br />

Geze<br />

Branche<br />

(Ergebnisse 2011); 1 maximal 100 Punkte; 2 maximal 200 Punkte<br />

Maschinen-/<br />

Anlagenbau<br />

Pharma/<br />

Medizintechnik<br />

Bau/<br />

Bauzulieferer<br />

Bau/<br />

Bauzulieferer<br />

Maschinen-/<br />

Anlagenbau<br />

Pharma/<br />

Medizintechnik<br />

Bau/<br />

Bauzulieferer<br />

Sonstige<br />

Industrieprodukte<br />

Bau/<br />

Bauzulieferer<br />

Elektro/<br />

Elektrotechnik<br />

Bau/Bauzulieferer<br />

Chemie<br />

Elektro/<br />

Elektrotechnik<br />

Elektro/<br />

Elektrotechnik<br />

Kfz-Zulieferer<br />

Bau/<br />

Bauzulieferer<br />

Schwermaschinenbau<br />

Schwermaschinenbau<br />

Schwermaschinenbau<br />

Schwermaschinenbau<br />

Marken-<br />

Performance-<br />

Index 1<br />

72,9<br />

68,9<br />

63,1<br />

64,7<br />

64,9<br />

67,6<br />

58,1<br />

67,5<br />

59,1<br />

55,4<br />

53,3<br />

56,3<br />

64,7<br />

52,6<br />

54,2<br />

52,3<br />

55,5<br />

55,3<br />

57,0<br />

45,0<br />

Unternehmens-<br />

Performance-<br />

Index 1<br />

78,5<br />

65,6<br />

70,2<br />

67,6<br />

67,2<br />

63,8<br />

72,0<br />

57,6<br />

63,0<br />

66,0<br />

64,9<br />

61,5<br />

53,0<br />

59,0<br />

56,8<br />

58,0<br />

54,1<br />

52,4<br />

50,1<br />

62,0<br />

Hidden-<br />

Champion-<br />

Index 2<br />

151,4<br />

134,5<br />

133,3<br />

132,3<br />

132,1<br />

131,4<br />

130,1<br />

125,1<br />

122,1<br />

121,4<br />

118,2<br />

117,8<br />

117,7<br />

111,6<br />

111,0<br />

110,3<br />

109,6<br />

107,7<br />

107,1<br />

107,0<br />

Die Ranking-Methode<br />

Die Studie „Die Marken der deutschen<br />

Hidden Champions 2013“ untersucht<br />

den Stellenwert der Marke bei den deutschen<br />

Weltmarktführern im Investitionsgütergeschäft<br />

und deren Bedeutung für<br />

den Unternehmenserfolg. Berücksichtigt<br />

wurden Unternehmen, die eine führende<br />

Position in ihrer Branche auf dem Weltmarkt<br />

besetzen, einen Umsatz zwischen<br />

50 Millionen und einer Milliarde Euro<br />

(Durchschnitt der letzten drei veröffentlichen<br />

Geschäftsjahre) erwirtschaften,<br />

vom Eigentümer geführt werden und/<br />

oder in dessen Mehrheitsbesitz sind. Befragt<br />

wurden mehr als 250 Experten aus<br />

Branchen- und Fachverbänden, Instituten<br />

sowie der Fachpresse. Auch die Geschäftsberichte<br />

wurden ausgewertet. Aus<br />

allen Informationen wurden drei Maßzahlen<br />

entwickelt. Je höher sie ausfallen,<br />

desto wertvoller ist die Marke.<br />

Der Marken-Performance-Index beschreibt<br />

den Erfolg eines Unternehmens,<br />

eine Marke zu etablieren und sie zu führen.<br />

Er setzt sich zusammen aus den Faktoren<br />

Markenbekanntheit, Qualität der<br />

Marketingaktivitäten, Markenreputation<br />

und -verbundenheit sowie zusätzlicher<br />

wirtschaftlicher Erfolg durch die Marke.<br />

Der Unternehmens-Performance-Index<br />

bezieht sich auf den unternehmerischen<br />

Erfolg im Marktumfeld. Er setzt sich<br />

zusammen aus den Faktoren Umsatz,<br />

Rentabilität, Innovationskraft, Kompetenz<br />

und Stellung am Markt.<br />

Der Hidden-Champion-Index ergibt sich<br />

aus der Summe der beiden Performance-<br />

Kennzahlen.<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 53<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

PERI<br />

Nachfolge nutzen<br />

Peri ist als Spezialist für innovative Gerüstund<br />

Schalungssysteme in jedem größeren<br />

Bauunternehmen weltweit ein Begriff. Aktuell<br />

kommt der 1969 gegründete Bauzulieferer<br />

aus dem schwäbischen Weißenhorn<br />

zum Beispiel bei der Errichtung der<br />

mächtigen neuen Schleusenanlagen für<br />

den Panamakanal zum Einsatz.<br />

Gut fünf Jahre waren Alexander Schwörer,<br />

39, und sein Bruder Christian, 37,<br />

schon im Management des Weltmarktführers<br />

tätig, als ihr Vater Artur 2009 starb.<br />

Dass sie nicht nur die Tradition pflegen,<br />

sondern auch manches der Zeit anzupassen<br />

hatten, war den Brüdern klar. „Früher<br />

war das Unternehmen stark von der Person<br />

meines Vaters geprägt“, sagt Christian<br />

Schwörer: „So wie wir alte Strukturen im<br />

Unternehmen hinterfragen und ändern<br />

mussten, so müssen wir auch die Grundüberzeugungen<br />

und Werte des Unternehmens<br />

hinterfragen, zum Teil neu definieren<br />

und formulieren.“<br />

Gleichzeitig sollen aber auch die neuen<br />

Mitarbeiter, die den Vater gar nicht mehr<br />

kennengelernt haben, die besten Seiten<br />

des Gründergeistes verspüren. Für de Crignis<br />

haben die Peri-Brüder als Umsatzmilliardäre<br />

das klassische Problem von Nachfolgern:<br />

„Die Firmen wachsen bis zur Größe<br />

von Konzernen, aber gleichzeitig müssen<br />

die neuen Strukturen schnellstens mit<br />

den Werten des alten Unternehmens gefüllt<br />

werden.“ Sonst verliert die Marke.<br />

Zunächst wollen die Schwörers die Marke<br />

Peri „noch stärker als Komplettanbieter<br />

verankern“, sagt Christian Schwörer: „Wir<br />

11<br />

Rang<br />

Philip von dem<br />

Bussche<br />

KWS Saat<br />

aDer Chef des Saatgutanbieters hat<br />

das Unternehmen strategisch sehr<br />

gut aufgestellt, bietet eine breite Produktpalette.<br />

KWS konnte alle Marken-<br />

Performance-Indikatoren steigern.<br />

liefern nicht nur ein Produkt, sondern als<br />

Dienstleister der Bauunternehmen die Lösung<br />

zum kompletten Problem.“ Bis 2016<br />

geben sich die Schwörer-Brüder, um Marke<br />

und Wertemanagement „ohne Bruch<br />

mit der Historie unseres Familienunternehmens<br />

fit für die Zukunft zu machen“.<br />

DURAVIT<br />

Produkt emotionalisieren<br />

Eine Kloschüssel begehrenswert zu machen,<br />

das muss man erst mal schaffen. Der<br />

Sanitärkeramikanbieter Duravit kann das.<br />

Die Marke aus Hornberg im Schwarzwald<br />

löst bei Architekten und Bauherren weltweit<br />

den Haben-wollen-Reflex aus.<br />

Profanes wie Waschbecken und Luxuriöses<br />

wie Whirlpools profitieren bei Duravit<br />

vom Glanz großer Designernamen. Sie erscheinen<br />

zeitlos, minimalistisch und dank<br />

dieser Unaufdringlichkeit auch nachhaltig.<br />

„Aber mit einem <strong>Geld</strong> einen großen Namen<br />

einkaufen, das funktioniert nicht“,<br />

sagt Duravit-Chef Frank Richter. „In der<br />

Fertigung und im fertigen Produkt soll jeweils<br />

die neueste Technik einfließen.“<br />

Sonst hält das Produkt nicht, was die Marke<br />

– auf Platz sechs im Ranking – verspricht.<br />

So seien zwar auch Konkurrenzanbieter<br />

von beispielsweise Dusch-WCs technisch<br />

weit vorne, „aber unsere verbrauchen weniger<br />

Wasser“. Für Duravit gelte: schönes<br />

Design bei unsichtbarer Technik. „Wir wollen<br />

nicht funktional, sondern emotional<br />

auftreten und schöne Erlebnisse anbieten“,<br />

so Richter.<br />

Damit realisiert Duravit, was laut Berater<br />

de Crignis die führenden Hidden Champions<br />

auszeichnet: „Sie schaffen es selbst im<br />

Industriegüterbereich, die Marke stark<br />

emotional aufzuladen.“ Duravit sucht sich<br />

dazu immer wieder Leuchtturmprojekte,<br />

zum Beispiel über eine Kooperation mit<br />

dem Reichstags-Architekten Norman Foster<br />

für eine komplette Badserie. Da zählt<br />

die Reputation, nicht nur die Stückzahl.<br />

SENNHEISER<br />

Mitarbeiter einschwören<br />

Dass Sennheiser zu den Top-20-Marken<br />

der deutschen Weltmarktführer zählt,<br />

überrascht nicht. Der Name des 1945 gegründeten<br />

Spezialisten für hochwertige<br />

Kopfhörer und Mikrofone ist weithin bekannt.<br />

Vielmehr wundert es, dass Sennheiser<br />

mit Platz 17 erst in diesem Jahr wieder<br />

den Sprung zurück in die Champions-<br />

League des Mittelstands geschafft hat. Um<br />

FOTO: PR, LAIF/CHRISTIAN BURKERT<br />

54 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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zehn Ränge ging es für die Niedersachsen<br />

mit Sitz in Wedemark-Wennebostel bei<br />

Hannover aufwärts. Laut Berater de Crignis<br />

liegt das vor allem an der überdurchschnittlich<br />

hohen Verbundenheit der Mitarbeiter<br />

mit ihrem Unternehmen.<br />

Eine Begründung, der Andreas Sennheiser<br />

nur zustimmen kann. „Wir haben uns<br />

vor drei Jahren gefragt: Brauchen wir wirklich<br />

Kopfhörer für 19,90 Euro im Programm?“,<br />

erläutert der Co-Geschäftsführer,<br />

der das Unternehmen seit Juli gemeinsam<br />

mit seinem Bruder Daniel leitet. „Die Frage<br />

haben wir verneint“, so Sennheiser.<br />

In der Folge haben die Brüder das Portfolio<br />

bereinigt und Sennheiser klar auf Premiumgeräte<br />

fokussiert. Das ermöglicht es<br />

den weltweit mehr als 2300 Mitarbeitern,<br />

die Marke selbstbewusster nach außen zu<br />

tragen. „Es ist ein Riesenunterschied, ob jemand<br />

den Kunden mit leuchtenden Augen<br />

von Innovationen erzählen kann“, sagt Andreas<br />

Sennheiser.<br />

Im WirtschaftsWoche-Ranking fällt auf,<br />

dass sich die Mitarbeiter der besten Marken<br />

überdurchschnittlich mit ihrer Firma<br />

identifizieren und ihr unternehmerisches<br />

Denken sehr stark ausgeprägt ist.<br />

Auch bei Sennheiser springt der Funke<br />

zwischen Mitarbeitern und Kunden jetzt<br />

deutlich häufiger über. Bei Produktstarts<br />

fließt im Gegensatz zu früher viel mehr<br />

<strong>Geld</strong> ins Marketing. „Es gibt Launch-<br />

17<br />

Rang<br />

Daniel und<br />

Andreas<br />

Sennheiser<br />

Sennheiser<br />

aProfitiert vom wachsenden Markt<br />

stärker als die Konkurrenz dank<br />

starker Marke und überdurchschnittlicher<br />

Verbundenheit der Mitarbeiter.<br />

Events, bei denen unsere Mitarbeiter zeigen<br />

können, was sie geleistet haben“, sagt<br />

Sennheiser. Offenbar mit Erfolg: Seit 2010<br />

wächst der Umsatz zweistellig und liegt<br />

nunmehr bei fast 585 Millionen Euro.<br />

WILO PUMPEN<br />

Claim ändern<br />

Der Dortmunder Pumpenhersteller fährt<br />

zweigleisig, um die Zugkraft seiner Marke<br />

zu stärken. Erstens: Er glänzt bei den globalen<br />

Megatrends Industrialisierung, Urbanisierung<br />

und Energieeffizienz zuerst im<br />

Referenzmarkt Deutschland. Zweitens: Er<br />

will weg vom rein technischen Auftritt.<br />

„Weltweit gelten die Deutschen als technisch<br />

besonders anspruchsvoll. Deshalb<br />

bringen wir hier unsere Produkte zuerst<br />

zum Einsatz“, erläutert Vorstandschef Oliver<br />

Hermes die Strategie des Innovationsführers,<br />

der Nummer drei im Ranking. Von<br />

Deutschland aus erobert Wilo die Welt früher<br />

und mutiger als andere.<br />

Während für die Konkurrenz Lateinamerika<br />

aus Brasilien und Argentinien besteht, ist<br />

Wilo auch in Peru und Chile unterwegs.<br />

Nord- und Südafrika sind bereits Vertriebsgebiet,<br />

neuer Fokus liegt auf Zentral- und<br />

Ostafrika. Wilo bedient lokale Märkte mit lokal<br />

hergestellten Produkten. Weltweite Fertigung<br />

bringt Nähe zu den Kunden, kann aber<br />

auch zur Gefahr für die Marke werden: „Um<br />

unsere Wettbewerbsvorteile zu verteidigen,<br />

können wir uns keinerlei Abstriche an der<br />

Qualität erlauben“, sagt Hermes.<br />

Längst bringen zudem auch Konkurrenten<br />

aus Schwellenländern gute Pumpen<br />

auf den Markt. Hermes: „Deshalb modernisieren<br />

wir mit der Marke immer stärker<br />

unser Versprechen, Kunden ultimativen<br />

Service zu bieten.“ Zugleich wurden Logo<br />

und Claim verändert. Ohne Rahmen wirkt<br />

der Schriftzug transparenter, das „i“ in Wilo<br />

ist nun ein abstrahierter Mensch. Aus dem<br />

technokratischen Claim „Pumpenintelligenz“<br />

wurde „Pioneering for You“.<br />

Denn Wilo hat früher als andere ein typisch<br />

deutsches Problem erkannt. Hermes<br />

beschreibt es so: „Wir kamen zu technologieorientiert<br />

rüber, deshalb wollen wir<br />

emotionaler werden.“<br />

n<br />

anke.henrich@wiwo.de, michael kroker,<br />

jürgen salz, harald schumacher<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 55<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Sanierung mit Gschmäckle<br />

SUHRKAMP | Der Machtkampf um das Verlagshaus wirft ein Schlaglicht auf die Stärken<br />

und Schwächen des neuen Insolvenzrechts. Dabei geht es schon mal handfest zur Sache.<br />

Von literarischem Wert Juristen fragen bereits:<br />

Durfte Suhrkamp Insolvenz anmelden?<br />

Journalisten sollen draußen bleiben,<br />

wenn sich am Dienstag die Gläubiger<br />

des Suhrkamp-Verlags im Saal 120 des<br />

Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg treffen,<br />

um über das Schicksal des Unternehmens<br />

zu entscheiden. Das teilte die zuständige<br />

Richterin der WirtschaftsWoche mit.<br />

Bei anderen Großpleiten wie Karstadt und<br />

Schlecker hatten Richter die Presse an den<br />

Gläubigerversammlungen teilnehmen lassen.<br />

Und auch im Fall Suhrkamp würde<br />

mehr Transparenz kaum schaden.<br />

Das Verfahren, das sich hinter dem sperrigen<br />

Aktenzeichen 36s IN 2196/13 verbirgt,<br />

bewegt die Fantasie des Publikums<br />

wie kaum ein zweiter Insolvenzfall. Je nach<br />

Perspektive deuten die Feuilletons den Casus<br />

Suhrkamp als eine Art Justiz- und Wirtschaftsthriller,<br />

eine Verschwörung gegen<br />

Minderheitsgesellschafter Hans Barlach.<br />

Oder Suhrkamp wird als episches Bühnenstück<br />

gefeiert, als heroisch-trickreicher<br />

Kampf der Verlegerwitwe Ulla Unseld-<br />

Berkéwicz um das Überleben des Verlags.<br />

Tatsächlich hat die Auseinandersetzung<br />

bereits Eingang in die Literatur gefunden:<br />

In Juristen-Zeitschriften streiten die Gelehrten<br />

um die Kernfragen. <strong>Ist</strong> die vorgesehene<br />

Umwandlung des Suhrkamp-Verlags<br />

in eine Aktiengesellschaft, durch die Barlach<br />

weitreichende Mitspracherechte verliert,<br />

gesetzeskonform? Und durfte der Verlag<br />

überhaupt Insolvenz anmelden?<br />

Selbst in der Branche gehen die Meinungen<br />

weit auseinander. Alles okay, befinden<br />

erwartungsgemäß die Rechtsberater der<br />

Verlegerin. Das Verfahren dürfe „keinesfalls<br />

instrumentalisiert werden, um – wie<br />

im Fall Suhrkamp – einen unliebsamen<br />

Minderheitsgesellschafter zu entmachten“,<br />

warnen dagegen Kritiker wie der Hamburger<br />

Insolvenzrechtler Philipp Fölsing.<br />

INSOLVENZ LIGHT<br />

Die Debatte zeigt, dass es längst nicht mehr<br />

nur um Suhrkamp geht. Vielmehr steht der<br />

Verlag als Prototyp für alle Unternehmen,<br />

die vom Gesetz zur weiteren Erleichterung<br />

der Sanierung von Unternehmen – kurz<br />

ESUG – Gebrauch machen. An kaum einem<br />

anderen Verfahren lassen sich die<br />

Stärken und Schwächen des noch neuen<br />

Insolvenzrechts besser studieren. Die Insolvenzreform,<br />

die im März 2012 in Kraft<br />

trat, sollte vor allem dafür sorgen, dass die<br />

Chefs klammer Unternehmen sich früher<br />

als bisher Hilfe suchen. Dafür wird ihnen<br />

das Eingeständnis akuter Probleme mit<br />

zwei neuen Verfahrenstypen schmackhaft<br />

gemacht:dem Schutzschirmverfahren und<br />

der Eigenverwaltung.<br />

Voraussetzung ist in beiden Varianten,<br />

dass das Unternehmen noch zahlungsfähig<br />

ist. Trotzdem muss die Geschäftsführung<br />

einen Insolvenzantrag stellen, verliert<br />

aber anders als im klassischen Verfahren<br />

nicht die Kontrolle über das Unternehmen.<br />

Vielmehr wird vom Inhaber meist schon<br />

im Vorfeld ein erfahrener Sanierer an Bord<br />

geholt, der gemeinsam mit der bisherigen<br />

Führungstruppe Sparmöglichkeiten auslotet,<br />

mit Gläubigern und Investoren verhandelt<br />

und innerhalb von drei Monaten einen<br />

Insolvenzplan ausarbeitet, der den Weg<br />

aus der Krise bahnen soll. Das wird von einem<br />

sogenannten Sachwalter überwacht,<br />

den das Management des havarierten Unternehmens<br />

selbst vorschlagen darf.<br />

Die „Insolvenz light“ kommt an. Nach einer<br />

Erhebung des Karlsruher Informationsdienstleisters<br />

STP Portal (insolvenzportal.de)<br />

für die WirtschaftsWoche wurden<br />

seit Einführung der Reform 380<br />

Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahren<br />

eingeleitet. „Die ESUG-Instrumente<br />

haben sich etabliert“, sagt STP-Portal-Geschäftsführer<br />

Jens Décieux.<br />

Zwar bleiben die Sanierungsverfahren<br />

im Vergleich zur Gesamtzahl der Insolvenzen<br />

weiter die große Ausnahme. Doch bei<br />

größeren Unternehmen hätten sich die<br />

„ursprünglich nur als Speziallösung für besondere<br />

Fälle“ gedachten Verfahrensvarianten<br />

„zum Regelfall entwickelt“, moniert<br />

der Verband der Insolvenzverwalter<br />

Deutschland (VID).<br />

Abgesehen von der Baumarktkette Praktiker,<br />

finden sich unter den großen Krisenfällen<br />

in diesem Jahr tatsächlich kaum<br />

noch klassische Pleiten. Mit dem Fernsehhersteller<br />

Loewe, dem Immobilienriesen<br />

IVG, dem Callcenter-Betreiber Walter Services<br />

oder dem Windparkbetreiber Windreich<br />

setzten zuletzt etliche Branchengrößen<br />

auf eine ESUG-Sanierung.<br />

Der Fall Windreich zeigt das Kernproblem<br />

der ESUG-Verfahren: Die Staatsanwaltschaft<br />

Stuttgart ermittelt seit Frühjahr<br />

gegen Führungskräfte wegen Bilanzfälschung.<br />

Gründer Willi Balz weist die Vorwürfe<br />

zwar von sich und zog sich aus der<br />

FOTO: LAIF/MARCUS HOEHN<br />

56 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Geschäftsführung zurück. Trotzdem dürfte<br />

das Gros der Gläubiger wenig begeistert<br />

sein, dass das Management, das Windreich<br />

in die Krise geführt hat, nun sanieren soll.<br />

Ein „Gschmäckle bleibt“, sagt ein süddeutscher<br />

Insolvenzrechtler – und skizziert<br />

das Dilemma. Damit die Chefs maroder<br />

Firmen sich früh Hilfe holen, dürfen sie ihre<br />

Posten behalten. „Mit der häufigen Folge,<br />

dass Geschäftsleitungen im Amt bleiben,<br />

die fachlich nicht geeignet sind, den<br />

Betrieb zu sanieren“, heißt es beim VID.<br />

Das wäre zu verkraften, gäbe es eine unabhängige<br />

Kontrollinstanz, die darüber<br />

wacht, dass bei den Rettungsbemühungen<br />

kein <strong>Geld</strong> verplempert wird, Gläubiger<br />

über den Tisch gezogen werden oder das<br />

Verfahren nur eingeleitet wird, um einen<br />

störrischen Mitgesellschafter zu entsorgen,<br />

wie bei Suhrkamp spekuliert wurde. Das<br />

wäre die Aufgabe des Sachwalters, der die<br />

Geschäftsleitung überwachen soll.<br />

In der Praxis erfolgt die Auswahl des<br />

Sachwalters meist über spezialisierte Berater,<br />

die als Sanierungsvorstände in Krisenunternehmen<br />

einziehen und im Fall der<br />

Fälle auch einen Kandidaten für den Sachwalter-Job<br />

parat haben. „Da gibt es eine<br />

»Da gibt es eine<br />

wirtschaftliche<br />

Abhängigkeit, die<br />

man nicht wegdiskutieren<br />

kann«<br />

Nikolaos Antoniadis, Insolvenzverwalter<br />

wirtschaftliche Abhängigkeit, die man<br />

nicht wegdiskutieren kann“, kritisiert der<br />

Düsseldorfer Insolvenzverwalter Nikolaos<br />

Antoniadis, Partner der Kanzlei Metzeler<br />

von der Fecht.<br />

UNSITTLICHE ANGEBOTE<br />

Für die „Verfahrenshygiene“ sei das nicht<br />

gut. So darf sich ein Sachwalter selbst befragen,<br />

wie wichtig ihm seine Unabhängigkeit<br />

ist:Fährt er dem Restrukturierungsvorstand,<br />

der ihn geholt hat, in die Parade und riskiert<br />

Folgemandate? Als Verwalter Antoniadis die<br />

Problematik jüngst bei einer Insolvenzrechtstagung<br />

in Düsseldorf zum Thema eines<br />

Vortrags machte und auch „unsittliche<br />

Angebote“ von Sanierern und Großgläubigern<br />

bei ESUG-Verfahren ansprach, teilte<br />

sich das Publikum in zwei Lager: auf der einen<br />

Seite die Restrukturierungsberater von<br />

großen Kanzleien, die von Sanierungsmöglichkeiten<br />

schwärmen. Auf der anderen Seite<br />

viele gestandene Verwalter, die Antoniadis’<br />

Thesen bekräftigten und von einem<br />

neuen Misstrauen der Richter berichten, sobald<br />

ESUG-Anträge eingereicht würden.<br />

Dabei geht es auch handfest zur Sache.<br />

In Potsdam soll der Insolvenzrichter Ende<br />

2012 während einer Anhörung zum Antrag<br />

eines Pharmahändlers auf Eigenverwaltung<br />

in „tätliche Aggressionen“ verfallen<br />

sein, schreibt der Insolvenzverwalter<br />

Wilhelm Klaas in einem Online-Beitrag<br />

und formuliert den Tathergang. Der Richter<br />

„wirft gezielt über eine Distanz von<br />

mehr als fünf Metern mit einer schweren,<br />

lederartig eingebundenen Kladde in Richtung<br />

des Kopfes des Rechtsbeistands“.<br />

Dank seiner „reflexartigen Schutzhaltung“<br />

gelingt es dem Verwalter, das Geschoss abzuwehren.<br />

Der Antrag wird abgelehnt. n<br />

henryk.hielscher@wiwo.de<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Therapie<br />

ohne Sinn<br />

CHINA | Die neue Freihandelszone<br />

in Shanghai enttäuscht<br />

bisher deutsche Unternehmen.<br />

Umzugskartons hat bei Kärcher in<br />

Shanghai noch niemand gepackt.<br />

Der Mittelständler aus dem schwäbischen<br />

Winnenden produziert in China<br />

Reinigungsgeräte für den privaten, vor allem<br />

aber für den professionellen Gebrauch.<br />

Das verspricht gute Geschäfte in<br />

einem Land, in dem Arbeitskräfte immer<br />

teurer werden. China-Chef Jürgen Uebbing<br />

rechnet deshalb mit zweistelligen Wachstumsraten.<br />

Da kommt, so scheint es, die neue<br />

Freihandelszone in Shanghai, der Boommetropole<br />

im Reich der Mitte, wie gerufen.<br />

Unternehmen sollen hier laut Regierung<br />

Freiheiten genießen, die ihnen ansonsten<br />

in China verwehrt sind, darunter zum<br />

Beispiel ein unzensiertes, jederzeit zugängliches<br />

Internet. „Wir verfolgen das mit<br />

großem Interesse“, sagt der Kärcher-Manager<br />

Uebbing.<br />

IN WARTESTELLUNG<br />

Doch auch knapp einen Monat<br />

nach der Eröffnung sind die<br />

Schwaben nicht in das angebliche<br />

Unternehmerparadies<br />

umgezogen.<br />

Von Euphorie ist nichts<br />

zu spüren. Kärcher-<br />

Shanghai<br />

Freihandelszone Waigaoqiao<br />

Statthalter Uebbing<br />

kann noch immer nicht<br />

abschätzen, was die<br />

neue Zone für das Unternehmen<br />

bedeutet, und<br />

harrt weiterer Informationen<br />

von der Regierung. Abwarten, beobachten,<br />

genauere Bestimmungen erhoffen<br />

bestimmen auch die Gemütslage der<br />

anderen deutschen Geschäftsleute in der<br />

Region. „Von einem Run in die Zone kann<br />

man nicht sprechen“, sagt Jan Noether von<br />

der Auslandshandelskammer in Shanghai.<br />

Zwar hätten sich rund 800 Unternehmen angemeldet,<br />

aber <strong>dabei</strong> handele es sich fast<br />

ausschließlich um solche, die aus China<br />

stammen.<br />

City<br />

Freihandelszone<br />

FlughafenPudong<br />

Zaghafte Abwicklung Freihandel krankt an<br />

den wichtigsten Voraussetzungen<br />

Woher die Skepsis der Ausländer rührt,<br />

zeigen die wichtigsten Regularien für die<br />

neuen unternehmerischen Freiheiten.<br />

Zwar gilt für die wirtschaftliche Betätigung<br />

nicht chinesischer Firmen in der Freihandelszone<br />

eine sogenannte Negativliste. Das<br />

ist die größte Neuerung. Danach dürfen die<br />

Firmen erstmals in China alles unternehmen,<br />

was nicht verboten ist, also nicht auf<br />

der Liste steht. Bisher konnten sie sich<br />

nur auf Felder stürzen, die ausdrücklich<br />

genehmigt waren.<br />

Dadurch verkürzt sich in<br />

der Freihandelszone die<br />

bisher teilweise monatelange<br />

Zulassungsprozedur<br />

auf nur noch<br />

wenige Tage.<br />

Gleichzeitig hat es die<br />

Verbotsliste aber in sich.<br />

„Sie ist länger, als viele gehofft<br />

haben“, sagt Joachim<br />

Glatter von der Anwaltskanzlei<br />

Taylor Wessing in Shanghai. So umfasst<br />

die Aufzählung mehr als 1000 Geschäftsaktivitäten,<br />

darunter den Verkauf von<br />

Antiquitäten, Medien und das Betreiben von<br />

Internet-Cafés. Das klingt eher nach Kontrolle<br />

und Zwang als nach Reformen.<br />

Auch eine erhoffte Senkung der Körperschaftsteuer<br />

auf 15 Prozent ist ausgeblieben.<br />

Stattdessen müssen Unternehmen<br />

weiterhin 25 Prozent und Einzelpersonen<br />

bis 45 Prozent Steuern zahlen.<br />

Freihandelshafen Yangshan<br />

„Für produzierende Unternehmen ist<br />

die neue Zone – schon allein aus Platzgründen<br />

– nur bedingt interessant“, sagt<br />

Alexander Streit von der Unternehmensberatung<br />

Roedl & Partner in Shanghai.<br />

Auch Manager des deutschen Chemieriesen<br />

BASF, der ebenfalls bereits in Waigaoqiao<br />

ansässig, fühlen sich nicht sonderlich<br />

angezogen. Die Zollerleichterungen in der<br />

Freihandelszone könnten aber auf mittelfristige<br />

Sicht den Warenverkehr im asiatisch-pazifischen<br />

Raum fördern.<br />

HOFFNUNG AUF LIBERALISIERUNG<br />

Im Grunde zeichnete sich die Ernüchterung<br />

schon bei der Eröffnungszeremonie<br />

ab. Weder Staatspräsident Xi Jinping noch<br />

Premierminister Li Keqiang und auch sonst<br />

kein hochrangiger Minister erschienen zur<br />

Feier am 29. September. Dabei hatten Gerüchte<br />

im Vorfeld die Erwartungen der Unternehmen<br />

nach oben geschraubt. Die<br />

knapp 29 Quadratkilometer große Zone,<br />

die die bereits bestehende Freihandelszone<br />

Waigaoqiao, den Flughafen Pudong und<br />

den Tiefseehafen Yangshan zusammenfasst,<br />

solle einmal Hongkong als Chinas<br />

größten Finanzplatz ablösen. Wie die 1980<br />

vom damaligen Parteiführer Deng Xiaoping<br />

gegründete Sonderwirtschaftszone<br />

Shenzhen knapp zwei Flugstunden südlich<br />

könne Shanghai eine Liberalisierungswelle<br />

über das ganze Land verbreiten.<br />

Wenn überhaupt, dann könnte dies im<br />

Finanzsektor passieren. Denn Chinas<br />

Währung ist nicht frei handelbar, der Kurs<br />

des Renminbi darf nur innerhalb eines en-<br />

FOTO: PHOTOSHOOT/XINGHUA<br />

58 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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gen Bandes schwanken. Ebenso strikt sind<br />

die Kapitalkontrollen. Der Staatsrat hat bekräftigt,<br />

dass die Liberalisierung des Finanzmarktes<br />

zunächst in der neuen Freihandelszone<br />

geprobt werden soll. Das<br />

würde das Gebiet für ausländische Banken,<br />

die in China zusammen gerade einmal<br />

zwei Prozent Marktanteil haben, sehr<br />

interessant machen.<br />

WICHTIGE FRAGEN UNGEKLÄRT<br />

Eine Liberalisierung des Finanzmarkts hätte<br />

wiederum positive Rückwirkungen auf<br />

produzierende Unternehmen mit grenzübergreifenden<br />

Finanzströmen. „Wer zum<br />

Beispiel Fabriken in Indonesien, Vietnam<br />

und China hat, kann dann kurzfristig Banksalden<br />

ausgleichen“, sagt Jan Noether von<br />

der Handelskammer in Shanghai. Unklar<br />

aber ist, ob dafür ein Büro in der Zone genügt<br />

oder ob der komplette Sitz des Unternehmens<br />

dorthin verlagert werden muss.<br />

Ähnliche Erwartungen gibt es bei den<br />

Kreditzinsen. Die werden in China von der<br />

Zentralbank festgesetzt, die Geschäftsbanken<br />

haben so gut wie keinen Spielraum. Eine<br />

Freigabe würde mittelfristig zu günstigeren<br />

Krediten führen. Angeblich arbeitet<br />

die chinesische Zentralbank gerade an einem<br />

System, das die Kapitalab- und -zuflüsse<br />

überwacht.<br />

In die Freihandelszone wechseln will die<br />

Commerzbank deswegen aber nicht. „Die<br />

bisher veröffentlichten Regularien sind unverändert<br />

vage“, sagt Edith Weymayer, China-Chefin<br />

der Commerzbank, und will<br />

vorerst abwarten. „Was bedeutet freie Konvertibilität,<br />

und wie soll der Kapitalverkehr<br />

zwischen der Zone und dem Rest des Landes<br />

geregelt werden?“ All diese Fragen seien<br />

auch nach der Eröffnung der Freihandelszone<br />

nicht geklärt. Von den ausländischen<br />

Banken haben sich deswegen bisher<br />

nur die Citibank und die DBS aus Singapur<br />

angemeldet.<br />

Jörg Wuttke, Berater der Organisation für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

(OECD) in Peking, ist deswegen<br />

enttäuscht von dem Projekt. „Reformtechnisch<br />

hat sich in China in den vergangenen<br />

zehn Jahren nicht viel getan – und die neue<br />

Freihandelszone in Shanghai gleicht da<br />

eher Akupunktur.“<br />

Andere Beobachter deuten die Zaghaftigkeit<br />

der Reformen als Streit verschiedener<br />

Fraktionen innerhalb der Partei.<br />

Sie erhoffen sich eine Richtungsentscheidung<br />

nach der dritten Plenarsitzung der<br />

Kommunistischen Partei im November. n<br />

philipp mattheis | Shanghai, unternehmen@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 59<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Weitgehend verschlossen<br />

SOLARINDUSTRIE | Euphorische Prognosen, steigende Modulpreise, sinkende Überkapazitäten –<br />

können auch die Deutschen vom weltweiten Aufschwung der Krisenbranche profitieren?<br />

ja sogar leicht steigenden Modulpreisen.<br />

Die Preise für die rechteckigen Paneele,<br />

aus denen Solarstrom gewonnen wird, waren<br />

in den vergangenen Jahren um rund 80<br />

Prozent eingebrochen. Und für 2014 erwarten<br />

die Experten weltweit die höchsten Zubauraten<br />

für Solaranlagen seit Jahren.<br />

Noch quälen sich täglich die Tanklaster<br />

im Schritttempo auf notdürftig<br />

geteerten und von Erdrutschen beschädigten<br />

Pisten die Ausläufer der argentinischen<br />

Anden hinauf. <strong>Ihr</strong>e Fracht: Diesel.<br />

Mit dem Treibstoff werden in 4000 Meter<br />

Höhe Generatoren betrieben, die zahlreiche<br />

Gold- und Kupferminen mit fast<br />

20 000 Arbeitern sowie Bewässerungsanlagen<br />

mit Strom versorgen.<br />

Das wird sich bald ändern. Künftig soll<br />

der Strom für die Minen aus Solaranlagen<br />

kommen. Dafür baut der Maschinenbauer<br />

Schmid aus Freudenstadt im Schwarzwald<br />

in der Provinzhauptstadt San Juan eine Fabrik<br />

für Solarmodule. Der Auftrag, über ein<br />

Solarstrom für Goldminen<br />

Unternehmer Schmid gewinnt<br />

millionenschweren Auftrag<br />

aus Argentinien<br />

Jahr verhandelt und soeben unterschrieben,<br />

habe ein Volumen von mehr als 100<br />

Millionen Euro, freut sich der geschäftsführende<br />

Gesellschafter Christian Schmid.<br />

Das Werk am Fuße der Anden wird mit einer<br />

Produktionskapazität von 70 Megawatt<br />

die größte Solarfabrik in Südamerika. Auftraggeber<br />

ist der lokale Energieversorger,<br />

Schmid fungiert als Generalunternehmer.<br />

Der größte Auftrag für Schmid in seiner<br />

150-jährigen Firmengeschichte passt zu<br />

den positiven Nachrichten, die sich seit einigen<br />

Wochen rund um den Globus Bahn<br />

brechen. Marktforscher, Banken, Berater<br />

und Unternehmen berichten von sinkenden<br />

Überkapazitäten und stagnierenden,<br />

CHANCEN FÜR PROJEKTIERER<br />

Nur: Vom weltweiten Aufschwung werden<br />

viele deutsche Anbieter kaum profitieren.<br />

Denn im Heimatmarkt und wichtigen europäischen<br />

Märkten wie Italien sagen Experten<br />

bestenfalls eine Stagnation voraus.<br />

Und in Boommärkten wie China, Japan<br />

und den USA geben ausländische Solarkonzerne<br />

den Ton an. Für den angeschlagenen<br />

Modulbauer Solarworld oder den<br />

Maschinenbauer Centrotherm, der erst vor<br />

wenigen Monaten aus der Insolvenz den<br />

Neustart angegangen ist, ist der weltweite<br />

Aufschwung 2014 nur ein Hoffnungsschimmer<br />

– wenn es nicht schon zu spät<br />

ist. „Wir werden auch 2014 noch Unternehmen<br />

finden, die vom Markt verschwinden<br />

werden“, sagt Maschinenbauer Schmid.<br />

Deutlich besser sieht es für die deutschen<br />

Projektierer von Solarparks aus, die<br />

die Krise genutzt haben, um zu internationalisieren.<br />

So unterzeichneten der bayrische<br />

Kraftwerksbauer Belectric und die<br />

US-amerikanische First Solar, drittgrößter<br />

Modulbauer der Welt, Mitte September ein<br />

Joint Venture, um gemeinsam Solarkraftwerke<br />

auf drei Kontinenten zu bauen. Einige<br />

Tage vorher meldete Wirsol aus Waghäusel<br />

bei Heidelberg den Bau eines Solarparks<br />

auf der japanischen Insel Honshu<br />

mit knapp 90 000 Paneelen und 22 Megawatt<br />

Gesamtleistung.<br />

Dennoch warnt Wolfgang Hummel, Chef<br />

des Instituts für Solarmarktforschung in<br />

Berlin, vor übertriebener Euphorie vor allem<br />

bei den Modul- und Zellherstellern:<br />

„Einzelne positive Signale führen dazu,<br />

dass alle Unternehmen aus dem Stau heraus<br />

einen Gang höher schalten; also Kapazitäten<br />

und Produktion erhöhen.“ Dies<br />

könnte schon nach kurzer Zeit wieder zum<br />

Stillstand führen. Die Fotovoltaikmärkte in<br />

China und Japan wüchsen zwar stark. Aber,<br />

so Hummel: „Für deutsche Unterneh-<br />

»<br />

FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

60 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Die Welt zieht davon<br />

Entwicklungder Fotovoltaikanlagen<br />

(jährlich neuinstallierte Leistung in Megawatt-Spitzenleistung)<br />

45<br />

300<br />

113<br />

470<br />

660<br />

1130<br />

850<br />

1580<br />

Deutschland<br />

Welt<br />

1940<br />

6710<br />

2000 2002 2004 2006 2008 2009 2010 2011 2012 2013<br />

*Prognose; Quelle:BSW,EPIA, IHS<br />

men bleibt der chinesische Markt völlig,<br />

der japanische weitgehend verschlossen.“<br />

Insgesamt scheint das Ende der Durststrecke<br />

für die Branche jedenfalls in Sicht.<br />

Selbst die zuletzt arg gebeutelte deutsche<br />

Zuliefererindustrie rechnet 2014 mit der<br />

Trendwende. „Der Markt gibt wieder erste<br />

positive Signale“, sagt Florian Wessendorf,<br />

Geschäftsführer bei der rund 100 Unternehmen<br />

zählenden Fotovoltaiksparte des<br />

Maschinenbauverbands VDMA.<br />

BELEBUNG IN CHINA<br />

Führende Modul- und Zellproduzenten<br />

aus den USA und China zeigen wachsendes<br />

Interesse an der Produktion in aufstrebenden<br />

Märkten wie Nahost, Südafrika,<br />

Türkei und Lateinamerika. Dafür müssten<br />

dort Fabriken gebaut werden. Vor diesem<br />

Hintergrund geht die Fachgruppe des<br />

VDMA davon aus, dass schon 2014 wieder<br />

verstärkt deutsche Anlagen und Technologie<br />

nachgefragt werden. Die Solarmaschinenbauer<br />

rechnen 2014 mit steigenden<br />

Umsätzen. Bereits 2013 zeichne sich laut<br />

Wessendorf eine leichte Belebung ab, dank<br />

China und weiterer Auslandsmärkte.<br />

In der Volksrepublik hat die Regierung<br />

Maßnahmen in die Wege geleitet, um die<br />

Solarindustrie zu reformieren. Dabei wird<br />

den chinesischen Herstellern vorgeschrieben,<br />

nicht mehr nur in die reine Erweiterung<br />

ihrer Kapazitäten zu investieren. Mindestens<br />

drei Prozent ihres jährlichen Umsatzes<br />

– mindestens aber 1,22 Millionen<br />

Euro pro Unternehmen – müssen in Forschung<br />

und die technologische Weiterentwicklung<br />

investiert werden. Das soll zu einer<br />

Konsolidierung führen, bei der wenige<br />

große Unternehmen übrig bleiben.<br />

Gleichzeitig soll dieser Umbruch, der<br />

auch durch den globalen Preisdruck und<br />

die Absatzeinbrüche in Europa verstärkt<br />

wird, abgefedert werden. Dazu formulierte<br />

3800<br />

7380<br />

7400<br />

17 070<br />

7500<br />

30400<br />

7600<br />

31 100<br />

4000<br />

35000<br />

Peking ehrgeizige Ausbauziele: 35 Gigawatt<br />

Solarleistung bis 2015. Das wäre binnen<br />

drei Jahren eine Verfünffachung der<br />

installierten Leistung. Als Anreiz werden<br />

höhere Einspeisetarife eingeführt, von denen<br />

insbesondere große Solarkraftwerke<br />

profitieren. VDMA-Mann Wessendorfs<br />

Optimismus untermauern renommierte<br />

Marktforscher und Banken. Ende September<br />

lässt Vishal Shah, Fotovoltaikanalyst<br />

bei der Deutschen Bank in New York, aufhorchen,<br />

als er einen Nachfrageanstieg bei<br />

der Installation von Solaranlagen von 38<br />

(2013) auf 45 Gigawatt in 2014 voraussagt –<br />

mit dem Hinweis, dies sei konservativ gerechnet.<br />

Zum Vergleich: 2011 und 2012<br />

wurden weltweit jeweils etwa 30 Gigawatt<br />

installiert.<br />

Dem Deutschbanker folgt wenige Tage<br />

später US-Marktforscher NPD Solarbuzz.<br />

Die Experten aus dem kalifornischen Santa<br />

Clara schrauben ihre Erwartungen für 2014<br />

Chinesische Offensive Gesetze sollen<br />

Forschung und damit Innovationen erzwingen<br />

sogar auf 45 bis 55 Gigawatt. Und Anfang<br />

Oktober meldet sich das Analyse- und Beratungsunternehmen<br />

IHS aus dem US-<br />

Staat Colorado zu Wort. Deren Prognosen<br />

zufolge sollen die Solarinstallationen 2014<br />

um 18 Prozent auf 41 Gigawatt steigen. Das<br />

höchste Zubautempo erwarten die IHS-<br />

Analysten in Asien und auf dem US-Markt.<br />

Ob nun 40, 45 oder 50 Gigawatt weltweit<br />

neu installiert werden – die weltweite Solarnachfrage<br />

wird deutlich zulegen. So ist<br />

denn auch Trina Solar aus dem ostchinesischen<br />

Changzhou davon überzeugt, dass<br />

die Preise für Solarmodule in den kommenden<br />

Jahren nicht weiter sinken werden.<br />

Pierre Verlinden, Chef-Entwickler des<br />

Modulriesen: „Der große Preisverfall in der<br />

Branche ist vorbei.“<br />

Auch in das Thema Fusionen, Übernahmen<br />

und Finanzierung kommt Bewegung.<br />

Nach Jahren mit Überkapazitäten, Pleiten<br />

und Preisverfall sieht die US-Beratung und<br />

-Marktforschung Mercom Capital den<br />

weltweiten Solarmarkt an einem Wendepunkt:<br />

Angesichts stabilerer Preise, einer<br />

besseren Auslastung sei die Branche in einer<br />

besseren Situation als zu Jahresbeginn.<br />

Den Mercom-Prognosen zufolge werden<br />

China mit einem Zubau von 8,5 Gigawatt<br />

und Japan mit einem Zubau von sieben Gigawatt<br />

das Marktgeschehen dominieren;<br />

auf Platz drei folgen mit 4,5 Gigawatt die<br />

USA. Für den deutschen Markt wird eine<br />

neu installierte Leistung von vier Gigawatt<br />

erwartet, Italien soll bei rund zwei liegen.<br />

„Die Marktbedingungen werden immer<br />

besser“, sagt Mercom-Chef Raj Prabhu.<br />

Projektfinanzierungen, Fusionen und<br />

Übernahmen hätten im dritten Quartal<br />

dieses Jahres ein Rekordhoch erreicht.<br />

Prabhu: „Aufgrund steigender Marktwerte<br />

gab es viele Finanzierungsaktivitäten bei<br />

börsennotierten Unternehmen.“<br />

Darauf hofft auch der Technologiekonzern<br />

Bosch. Die Stuttgarter halten<br />

knapp 91 Prozent am ostdeutschen Modulproduzenten<br />

Aleo aus Prenzlau. Im Frühjahr<br />

hatte Bosch jedoch nach Milliardenverlusten<br />

einen Schlussstrich unter das Solargeschäft<br />

gezogen und die Tochter Aleo<br />

zum Verkauf angeboten. Bisher verlief die<br />

Suche nach einem Käufer ergebnislos.<br />

Capital Stage aus Hamburg, Ökostrominvestor<br />

und Deutschlands größter unabhängiger<br />

Betreiber von Solarparks, rüstet<br />

jetzt ebenfalls auf: Um weitere Käufe von<br />

Solarparks finanzieren zu können, beschlossen<br />

die Hamburger vor wenigen Tagen<br />

eine Kapitalerhöhung.<br />

n<br />

mario.brueck@wiwo.de<br />

FOTO: GETTY IMAGES/AFP<br />

62 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Kein Platz mehr für die Marke«<br />

INTERVIEW | Marcus T. R. Schmidt Die EU droht mit weiteren Restriktionen, die Zahl der Raucher sinkt.<br />

Doch der neue Chef des Hamburger Zigarettenherstellers Reemtsma sieht einen Weg, zu wachsen.<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Herr Schmidt, rauchen Sie eigentlich –<br />

als oberster Promoter von Reemtsma?<br />

Ich habe als Schüler angefangen. Jetzt rauche<br />

ich knapp ein Päckchen am Tag...<br />

...und müssen böse Blicke ertragen, wenn<br />

Sie sich eine anstecken?<br />

Ach, natürlich. Das ist jedem Raucher<br />

schon mal passiert, obwohl es kaum noch<br />

eine direkte Konfrontation mit Nichtrauchern<br />

gibt. Im Restaurant dürfen Sie nicht<br />

mehr rauchen, im Zug nicht, im Flugzeug<br />

auch nicht. Und wenn ich bei Freunden<br />

eingeladen bin, weiß ich, ob ich dort rauchen<br />

darf oder nicht, oder ich frage. Wenn<br />

es jemanden stört, rauche ich nicht. Damit<br />

kann ich leben.<br />

Und <strong>Ihr</strong>e Kinder?<br />

Meine Tochter ist drei.<br />

Hat <strong>Ihr</strong> Geschäft denn überhaupt noch<br />

Zukunft? Die Zahl der Raucher sinkt.<br />

Von 2016 an sollen auf jeder Zigarettenpackung<br />

Schockbilder prangen und<br />

vom Kauf abschrecken. Wie wollen Sie da<br />

Umsatz und Gewinn steigern?<br />

Solche Bilder sind schon brutal. Ich weiß<br />

nicht, wie solch ein ästhetischer Tiefschlag<br />

ein Mehr an Aufklärung bringen soll. Wir<br />

haben ja schon auf jeder Packung einen<br />

Warnhinweis. Und jeder weiß, das Rauchen<br />

nicht die Gesundheit fördert. Ich<br />

hoffe, dass es noch zu Kompromissen<br />

kommt, wenn nach dem EU-Parlament der<br />

Ministerrat über die geplante Verschärfung<br />

berät.<br />

In den Hauptpunkten sind sich Ministerrat<br />

und EU-Parlament einig: Die Schockbilder<br />

werden kommen. Was heißt das für<br />

<strong>Ihr</strong>e Geschäftsstrategie?<br />

Wir müssen schon seit Jahren mit Restriktionen<br />

leben. Der Markt für Zigaretten ist<br />

einer der am stärksten regulierten. Trotzdem<br />

haben wir immer Wege gefunden, erfolgreich<br />

in einem so streng regulierten<br />

Markt zu wirtschaften – die Tabakindustrie<br />

insgesamt und Reemtsma im Besonderen.<br />

Daran wird sich nichts ändern. Die Raucher<br />

werden sich schnell an die neuen<br />

Warnhinweise gewöhnen; das war schon<br />

so, als die zurzeit vorgeschriebenen eingeführt<br />

wurden. Es gibt nach unserer Erfahrung<br />

keinen Grund, warum ein Raucher<br />

aufgrund der neuen Warnhinweise weniger<br />

rauchen sollte. Wir erwarten jedenfalls<br />

keine signifikanten Auswirkungen auf den<br />

Zigarettenkonsum.<br />

Warum regt sich die ganze Branche dann<br />

so auf?<br />

Wir haben glücklicherweise starke Marken<br />

wie JPS, Gauloises, West oder Davidoff.<br />

DER RAUCHER<br />

Schmidt, 46, arbeitet seit<br />

1996 bei Reemtsma, am<br />

1. Oktober 2013 stieg er<br />

zum Sprecher des Vorstands<br />

auf. In der ersten Hälfte des<br />

Geschäftsjahres kletterte<br />

der Umsatz um 5,8 Prozent<br />

auf 513 Millionen Euro.<br />

Aber die Einführung neuer Marken ist<br />

kaum noch möglich, wenn die Tabakrichtlinie<br />

wie geplant verschärft wird und der<br />

Warnhinweis 65 Prozent einer Packungsseite<br />

abdecken muss. Dann bleibt kein<br />

Platz mehr, um die Marke angemessen darzustellen.<br />

Und unsere Industrie lebt von<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 63<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Marken, die wir über die Jahre hinweg<br />

mit viel <strong>Geld</strong> aufgebaut haben. Allein für<br />

das Recht, unter der Marke Davidoff weltweit<br />

Zigaretten anbieten zu dürfen, haben<br />

wir 540 Millionen Euro gezahlt.<br />

Wie viele neue Marken hat Reemtsma in<br />

den vergangenen fünf Jahren eingeführt?<br />

Vor zwei Jahren haben wir Fairwind auf<br />

den Markt gebracht, einen Feinschnitttabak<br />

für Zigaretten zum Stopfen. Es war<br />

die erfolgreichste Einführung im Feinschnittbereich<br />

überhaupt. Innerhalb von<br />

zwei Jahren schoss die Marke in ihrer<br />

Kategorie auf einen<br />

Marktanteil von 2,2<br />

Video<br />

In der App sehen<br />

Sie, was dem<br />

Autor in der<br />

Reemtsma-<br />

Zentrale aufstieß<br />

Prozent hoch.<br />

Und welche neuen<br />

Zigarettenmarken<br />

brachte Reemtsma?<br />

Wir haben JPS Just eingeführt<br />

und Gauloises<br />

frei von Zusätzen, beides<br />

additivfreie Angebote.<br />

Das sind doch keine echten Neueinführungen,<br />

sondern Ableger bekannter<br />

Marken. JPS und Gauloises gibt es ja<br />

schon lange.<br />

Eine vollkommen neue Zigarettenmarke<br />

gab es nicht. Wir investieren lieber in unsere<br />

eingeführten, international erfolgreichen<br />

Markenfamilien wie JPS und Gauloises<br />

und bauen diese weiter aus.<br />

Wer bestimmt die Markenstrategie:<br />

Reemtsma in Hamburg oder Imperial Tobacco,<br />

<strong>Ihr</strong>e Muttergesellschaft in Großbritannien?<br />

Vieles kommt aus der Zentrale in Bristol,<br />

vieles auch von den einzelnen nationalen<br />

Töchtern. Gauloises ohne Zusätze zum<br />

Beispiel sind eine deutsche Erfindung,<br />

die dann von der Gruppe aufgegriffen<br />

wurde.<br />

»Solche<br />

Bilder<br />

auf jeder<br />

Schachtel<br />

sind schon<br />

brutal;<br />

sie sind ein<br />

ästhetischer<br />

Tiefschlag«<br />

Wann kompensieren Sie den schrumpfenden<br />

Rauchermarkt mit Accessoires <strong>Ihr</strong>er<br />

Marken? Wann verkaufen Sie zum Beispiel<br />

T-Shirts mit Gauloises-Schriftzug?<br />

Die Zahl der Raucher in Deutschland sinkt<br />

zwar, aber Reemtsma konnte den Marktanteil<br />

erhöhen: Bei Zigaretten lagen wir im<br />

ersten Halbjahr bei 26,2 Prozent, ein Jahr<br />

zuvor waren es 25,6 Prozent. Reemtsma<br />

steht im laufenden Geschäftsjahr besser da<br />

als je zuvor.<br />

Und wie wichtig sind denn nun<br />

Accessoires?<br />

Weniger Raucher, mehr Abgaben<br />

Absatzversteuerter Zigaretten<br />

in Deutschland(in Milliarden Stück,<br />

Veränderungzum Vorjahr)<br />

2002<br />

2003<br />

2004<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

2008<br />

2009<br />

2010<br />

2011<br />

2012<br />

145,1<br />

132,6<br />

111,7<br />

95,8<br />

93,5<br />

91,5<br />

88,0<br />

86,6<br />

83,6<br />

87,6<br />

82,4<br />

Preisaufteilung<br />

einerSchachtel<br />

Zigaretten*2013<br />

Tabaksteuer<br />

2,93 €<br />

Mehrwertsteuer 0,83 €<br />

Hersteller-und<br />

Handelsanteil<br />

*Packung 5,20 Euro für19Stück;<br />

Quelle:DZV,Destatis<br />

–8,6%<br />

–15,8%<br />

–14,2%<br />

–2,4%<br />

–2,1 %<br />

–3,8%<br />

–1,6%<br />

–3,5%<br />

+4,8%<br />

–5,9%<br />

1,44€<br />

Das machen wir nicht. Das ist nicht unser<br />

Geschäft. Unsere Strategie heißt: Total<br />

Tobacco. Darum wird es keine JPS-Powerdrinks<br />

geben und keinen Gauloises-Rotwein.<br />

Die T-Shirts mit den Schriftzügen unserer<br />

Marken werden nur für unsere Leute<br />

an den Promotion-Ständen gemacht.<br />

Philip Morris ist in Deutschlands Branchenführer<br />

mit einem Marktanteil von rund 30<br />

Prozent, BAT kommt auf ungefähr 20 Prozent.<br />

Und Reemtsma hatte 2011 bereits<br />

26,6 Prozent, also 0,4 Prozentpunkte mehr<br />

als derzeit. Nur eine minimale Änderung.<br />

Auch kleine Veränderungen der Marktanteile<br />

zählen. Unsere Hauptmarken JPS<br />

und Gauloises wachsen deutlich. Und<br />

zusatzfreie Zigaretten scheinen sich als<br />

Segment zu etablieren: JPS Just und Gauloises<br />

frei von Zusätzen laufen sehr gut.<br />

Wo wächst Reemtsma am stärksten?<br />

Die osteuropäischen Märkte wachsen zwar<br />

immer noch stärker als die westeuropäischen,<br />

aber nicht mehr mit der Dynamik<br />

wie früher. Der deutsche Markt ist leicht<br />

rückläufig, aber für die gesamte Gruppe<br />

der zweitwichtigste nach Großbritannien,<br />

gemessen an der Profitabilität.<br />

Rund 200 Millionen Euro steckt die<br />

Tabakindustrie in Deutschland jährlich in<br />

die Werbung. Wie viel geben Sie aus?<br />

Solche Zahlen veröffentlichen wir nicht.<br />

Wir setzen auf Plakatwerbung und werben<br />

dort, wo Zigaretten verkauft werden, wo<br />

wir direkt an den Verbraucher rangehen<br />

können, also am sogenannten Point of<br />

Sale. Auf Kinowerbung verzichten wir. Da<br />

stimmt für uns das Verhältnis zwischen<br />

Kosten und Nutzen nicht.<br />

Nach der geplanten Verschärfung der<br />

Tabakrichtlinie sind künftig kaum noch<br />

Zusatzstoffe in Zigaretten erlaubt. Ändert<br />

sich dann der Geschmack?<br />

Der Geschmack einer Zigarette ist abhängig<br />

von der Tabaksorte und davon, wo und<br />

wann sie geerntet wurde. Wir müssen dafür<br />

sorgen, dass trotzdem jede Marke stets<br />

ihren typischen Geschmack behält. Da<br />

kommt die Wissenschaft der sogenannten<br />

Blender ins Spiel: Sie sorgen dafür, dass eine<br />

Davidoff auch nach einer neuen Ernte<br />

wie eine Davidoff schmeckt. Künftig bleiben<br />

nur noch die Basics des Blendens: Tabak<br />

unterschiedlicher Sorten und Ernten<br />

so zu mischen, bis der Geschmack stimmt.<br />

In diesem Jahr sind Zigaretten schon<br />

wieder teurer geworden. Wann kommt die<br />

nächste Preiserhöhung?<br />

Klar ist, die nächste Steuererhöhung wird<br />

es zu Anfang des nächsten Jahres geben. n<br />

hermann.olbermann@wiwo.de<br />

FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

64 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte | Dossier<br />

Vorbilder<br />

Querdenken und<br />

anstrengen<br />

Festge, der Arzt und Kaufmann,<br />

brauchte nicht in die<br />

weite Welt zu schauen, um<br />

Vorbilder für beide Professionen<br />

zu finden: Sein Onkel<br />

war ein selbstständiger Chirurg.<br />

Was in der BRD nichts<br />

Ungewöhnliches war, war es<br />

aber in Meißen in der DDR<br />

zu des Onkels Zeiten: Der<br />

Mediziner schaffte es ohne<br />

Parteizugehörigkeit in der<br />

Planwirtschaft bis ans Le-<br />

Verbunden Festge als Dreijähriger<br />

mit seinem Vater<br />

bensende freischaffend zu<br />

praktizieren. Ihm war wohl<br />

auch das Glück des Tüchtigen<br />

hold: Einst konnte er<br />

den Oberbefehlshaber der<br />

Sowjettruppen heilen. Der<br />

Chirurg begeisterte seinen<br />

Neffen für die Medizin.<br />

Aber auch das Unternehmertum<br />

liegt Festge in den<br />

Genen. Seine Eltern betrieben<br />

eine kleine Druckerei,<br />

aufgebaut mit Durchhaltewillen<br />

vom Vater. Der war<br />

noch angeschlagen von der<br />

Kriegsgefangenschaft, aber<br />

beseelt vom Wunsch nach<br />

Selbstständigkeit.<br />

Festge junior verband die<br />

familiären Erbteile: Er betreibt<br />

nebenbei auch noch<br />

eine Firma für Medizintechnik,<br />

die einen neuen Gebärstuhl<br />

entwickelt hat.<br />

Der Präsident<br />

Unternehmer Festge<br />

soll die Position<br />

des VDMA stärken<br />

Klare Kante aus Westfalen<br />

VDMA | Führungswechsel im einflussreichen Verband der deutschen<br />

Maschinen- und Anlagebauer – wie tickt der neue Präsident Reinhold Festge?<br />

Die nötige Statur hat er: groß und kräftig wie aus<br />

dem Westfalen-Bilderbuch, durchsetzungsfreudig,<br />

konservativ und auslandserfahren. All das<br />

sollte dem Unternehmer aus Oelde/Westfalen<br />

als neuem Cheflobbyisten der Maschinenbauer<br />

in Berlin nutzen. Auch dass seine Branche gern<br />

als Zierde deutscher Ingenieurkunst und Rückgrat<br />

der Wirtschaft umgarnt wird, öffnet dem<br />

67-Jährigen Türen: Von den Einflüsterqualitäten<br />

des VDMA träumen andere Lobbyisten nur.<br />

Der promovierte Mediziner Festge heiratete<br />

einst eine Unternehmertochter, sattelte ein<br />

BWL-Studium obendrauf und stieg in den<br />

schwiegerväterlichen Betrieb ein, die 125 Jahre<br />

alte Drahtweberei und Maschinenfabrik Haver &<br />

Boecker. Die Leitung des Unternehmens mit<br />

2700 Mitarbeitern und 402 Millionen Euro Umsatz<br />

übernimmt zum Jahresende Festges Sohn.<br />

Da passt es gut, dass der turnusmäßige Präsidentenwechsel<br />

im VDMA ansteht und es keinen<br />

Gegenkandidaten gibt. Jetzt soll Festge die rund<br />

3000 Maschinenbauer noch besser in Berlin<br />

verdrahten, demnächst dann an der Seite eines<br />

ebenfalls neu zu wählenden Hauptgeschäftsführers.<br />

Der neue Präsident wird sich <strong>dabei</strong> wohl<br />

nicht – wie es bei anderen Verbänden Usus ist –<br />

auf die Rolle als Grüß-Gott-August beschränken.<br />

anke.henrich@wiwo.de<br />

FOTOS: JÜRGEN REHRMANN, PR (3), ALIMDI.NET/INGO SCHLUZ<br />

66 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Vorlieben<br />

Voller Einsatz, immer<br />

Viel Zeit für Leidenschaften<br />

bleibt Festge nicht. Erst kommt<br />

die Pflicht, dann das Vergnügen.<br />

Aber vielleicht ist ihm<br />

auch die Pflicht das Vergnügen?<br />

Festges Erkenntnis: „Im<br />

Krankenhaus bemerkte ich,<br />

dass an interessantere Fälle<br />

kam, wer länger arbeitete als<br />

andere. Das ist im Unternehmen<br />

heute auch so. Wenn Sie<br />

länger da sind, machen Sie<br />

mehr und sind schneller als die<br />

Konkurrenz.“ Er scheint es<br />

nicht überzogen zu haben: Beide<br />

Söhne konnte er auf Haver<br />

& Boecker einschwören. Ende<br />

des Jahres übernimmt der Ältere<br />

das Ruder.<br />

Auszeiten, dem Unternehmer<br />

Festge vom Mediziner Festge<br />

dringend angeraten, gönnt er<br />

Route 66<br />

Festge (rechts) mit<br />

Sohn Florian (links)<br />

und einem Freund<br />

sich beim Motorradfahren,<br />

Fotografieren und beim Bayreuth-Besuch.<br />

Nur mit einer<br />

Leidenschaft hadert er:<br />

„Ich esse und trinke so gerne.“<br />

Stärken und<br />

Schwächen<br />

Kurze Zündschnur<br />

Sagt der Chef: „Wenn Sie<br />

Probleme haben, helfe ich<br />

Ihnen“, dann hilft der Chef.<br />

Das wissen Festges Mitarbeiter<br />

im westfälischen Oelde.<br />

Und das gilt auch, wenn es<br />

nicht am Arbeitsplatz, sondern<br />

privat oder gesundheitlich<br />

brennt. Da ist Festge ein<br />

Patriarch guter Schule mit<br />

einem Ruf als Menschenfreund.<br />

Haver & Boecker<br />

Freund und Feind<br />

Soziale Ader<br />

Das Wort Unternehmer<br />

kommt vom Verb etwas unternehmen.<br />

Und wer etwas<br />

unternimmt, tritt zwangsläufig<br />

der Konkurrenz vors Knie.<br />

Trotzdem hat es der ungeduldige,<br />

willensstarke Festge geschafft,<br />

offensichtlich mehrheitlich<br />

Freunde zu haben.<br />

Wohin man hört, alle rühmen<br />

seine soziale Ader und können<br />

dafür auch handfeste<br />

Belege liefern. Als einen Kirchgänger<br />

bezeichnet er sich<br />

selbst nicht und lebt christliche<br />

Werte doch mehr als<br />

mancher, der sich ihrer rühmt.<br />

Das rechnen ihm selbst die<br />

Gewerkschafter im eigenen<br />

Unternehmen an.<br />

Seine persönlichen<br />

Freunde stammen aus<br />

alten Zeiten bis hin zu<br />

VDMA-Touren in<br />

Aus berufenem Mund<br />

In der Bibel<br />

steckt viel Kluges –<br />

auch für Festge<br />

den Siebzigerjahren ins wilde<br />

Laos und Kambodscha.<br />

Festges Gegner dagegen kommen<br />

kaum aus der Deckung.<br />

Dabei praktiziert auch der<br />

Westfale die Einsicht, dass<br />

Geschäftsfreunde nicht lebenslänglich<br />

solche bleiben<br />

müssen. Er jagt sie zwar nicht<br />

vom Hof, aber er betrachtet<br />

sie anschließend als Konkurrenten<br />

und behandelt sie danach<br />

auch genau so.<br />

Auf Nachfrage bringt der<br />

bibelfeste Festge seine Sicht<br />

auf Freund und Feind so auf<br />

den Punkt:<br />

„ Wer nicht für mich ist,<br />

ist gegen mich“<br />

Lukasevangelium 11, 23.<br />

Ziele und<br />

Visionen<br />

Grenzen für den Staat<br />

Der deutsche Mittelstand gilt<br />

weltweit als Erfolgsmodell,<br />

darin der Maschinenbau als<br />

innovative Vorzeigebranche.<br />

Die Ausgangsbasis für einen<br />

neuen VDMA-Präsidenten<br />

könnte kaum besser sein.<br />

Doch Harmonie ist nicht der<br />

bevorzugte Zustand des Antreibers<br />

Festge. Das größte<br />

Problem hat er in Berlin verortet.<br />

Der staatliche Einfluss<br />

auf Unternehmensentscheidungen<br />

sei zu groß: „In der<br />

Politik entscheiden zu viele<br />

Leute, die ihr Handwerk<br />

nicht verstehen. Die sehen<br />

den Mittelstand nur als Steuerzahler.“<br />

Überflüssige Auflagen<br />

gilt es für Präsident<br />

Festge im Vorfeld zu verhindern.<br />

Zudem kritisiert er:<br />

„Bei der Energiewende hat<br />

ein naiv handelnder Staat<br />

Fehler gemacht und mit<br />

seiner Subventionspolitik<br />

Volksvermögen vernichtet.“<br />

Cherchez la femme Unterstützung<br />

durch Gattin Susanne<br />

stellt Schwerbehinderte ein,<br />

bildet überdurchschnittlich<br />

viele Lehrlinge aus und<br />

übernimmt sie auch. Wenngleich<br />

eigentlich seine<br />

Ehefrau als stellvertretende<br />

Landrätin für die CDU im<br />

Kreis Warendorf für die<br />

Kommunalpolitik zuständig<br />

ist, beherrscht aber auch der<br />

Unternehmer dank großem<br />

sozialem Engagement allerorten<br />

das Gesellschaftsspiel<br />

von Geben und Nehmen.<br />

Aber klare Kante bekommt<br />

auch ab, wer aus Sicht des<br />

ungeduldigen Chefs Blödsinn<br />

redet. Dann wird Festge<br />

schon mal laut. „Meine<br />

Zündschnur ist ein bisschen<br />

kurz“, gibt er zu, nicht ohne<br />

treuherzig anzufügen :<br />

„Aber dann ist auch alles<br />

wieder gut.“<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 67<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

New Deal<br />

GROUPON | Nach Rabattmanie und Börsendepression steht das<br />

Schnäppchenportal am Scheideweg: Kann das Unternehmen auf<br />

Dauer in der ersten Online-Liga mitspielen?<br />

Der Papier-Deal sorgte für Furore: 64<br />

Rollen Toilettenpapier mit „Schmetterlings-<br />

oder Wellenprägung“ für<br />

17,90 Euro bot das Rabattportal Groupon<br />

seinen Kunden Ende September an.<br />

Schließlich, so befanden die Groupon-<br />

Werbetexter, „sollte man für alle Eventualitäten<br />

immer einen ausreichenden Vorrat in<br />

der Wohnung haben“. Drei Lagen für den<br />

Verkaufserfolg? Wenn Groupon jetzt schon<br />

Klopapier verhökert, müsse so einiges<br />

am Dampfen sein – nur nicht das Geschäft,<br />

spotten frühere Mitarbeiter über die papierene<br />

Offerte.<br />

Tatsächlich stellt sich die Frage, wie es<br />

mit Groupon weitergeht, jenem Online-Imperium,<br />

das innerhalb weniger Jahre von<br />

einer Chicagoer Hinterhofbude zum milliardenschweren<br />

Konzern avancierte, eine<br />

millionenfache Fangemeinde erobert und<br />

einen weltweiten Rabattrausch im Internet<br />

entfacht hat, um anschließend in eine nicht<br />

minder spektakuläre Krise zu geraten.<br />

Dabei schien sich die Groupon-Story<br />

nahtlos in die Riege der Online-Erfolgsgeschichten<br />

von Google, Facebook oder<br />

Amazon einzureihen. Händler, Gastronomen<br />

und Dienstleister können über zeitlich<br />

befristete Rabattangebote – die sogenannten<br />

Deals – neue Kunden gewinnen.<br />

Erstmals bekamen lokale Unternehmen so<br />

eine Marketingplattform im Netz.<br />

Doch im November 2011 sorgte Groupon<br />

mit einem Skandalbörsengang für<br />

weltweite Schlagzeilen. Die Aktien wurden<br />

für 20 Dollar ausgegeben und stiegen vorübergehend<br />

auf 31 Dollar. Ein Jahr später<br />

notierte die Aktie unter vier Dollar. Denn<br />

die Geschäfte brachen ein, das Unternehmen<br />

stürzte in ein Führungschaos, selbst<br />

Gründer Andrew Mason musste den Chefposten<br />

räumen.<br />

Nun, nach Rabattmanie und Deal-Depression,<br />

beginnt die entscheidende Phase.<br />

Kann Groupon auf Dauer in der ersten<br />

Online-Liga mitspielen, oder ist dem Portal<br />

das Schicksal der Digitalwelt Second Life<br />

und der mittlerweile abgeschalteten Suchmaschine<br />

Altavista beschieden – erst gefeiert,<br />

dann vergessen? Der deutschen Grou-<br />

pon-Dependance kommt <strong>dabei</strong> besondere<br />

Bedeutung zu. Denn von Berlin aus steuerte<br />

das Management jahrelang Groupons<br />

internationale Expansion. Zugleich treten<br />

wohl nirgendwo sonst die Schwächen des<br />

Geschäftsmodells stärker zutage, haben<br />

die Sünden der Vergangenheit gravierendere<br />

Auswirkungen als in Deutschland.<br />

STETER BEDEUTUNGSVERLUST<br />

Emanuel Stehle wirkt auf den ersten Blick,<br />

als käme er gerade vom Fotoshooting für<br />

den jüngsten Fitnessstudio-Deal: 1,90 Meter<br />

groß, welliges Haar, Drei-Tage-Bart. Unter<br />

dem Sakko trägt er ein T-Shirt mit dem<br />

Aufdruck: The Local Firm. Das Shirt habe<br />

er kürzlich in einem Shop im Berliner Bezirk<br />

Prenzlauer Berg gekauft, weil es perfekt<br />

zu seinem Job passe, sagt Stehle.<br />

Aktien-Info Groupon<br />

ISIN US3994731079<br />

200<br />

Groupon<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

10<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

2012 2013<br />

Umsatz 2012 (in Mrd. $)<br />

Jahresfehlbetrag 2012 (in Mio. $)<br />

Internationale Präsenz<br />

Aktive Kunden weltweit (in Mio.)<br />

Mitarbeiter<br />

Börsenkurs (Stand 14.10.2013, in $)<br />

Börsenwert (in Mrd. $)<br />

KGV (2013)<br />

Index: 4. November 2011=100;<br />

Quelle: FactSet, Unternehmensangaben<br />

S&P500<br />

2,3<br />

–67,4<br />

48 Länder<br />

42,6<br />

11 000<br />

11,12<br />

7,37<br />

90,4<br />

Hoch<br />

Die positive Kurstendenz sollte noch etwas länger<br />

anhalten. Das Risiko für Anleger ist allerdings immer<br />

noch hoch.<br />

Er ist seit Ende Juli als Deutschland-Chef<br />

des Rabattportals dafür verantwortlich,<br />

dass jeden Tag reihenweise schmissig betexte<br />

Angebote von Restaurants und Cafés,<br />

Wellnessoasen und Zahnkliniken via Facebook<br />

oder E-Mail-Newsletter ihren Weg zu<br />

den Kunden finden. Eine heikle Mission,<br />

denn Stehle kämpft an allen Fronten.<br />

Sein vorrangiges Ziel: Er muss dafür sorgen,<br />

dass Groupon auf dem wichtigsten<br />

europäischen Markt endlich schwarze<br />

Zahlen schreibt. Seit 2010 hat die deutsche<br />

Dependance Verluste von insgesamt mehr<br />

als 60 Millionen Euro angehäuft, geht aus<br />

den Jahresabschlüssen hervor. Das Portal<br />

dürfte 2012 in Deutschland rund 80 Millionen<br />

Euro umgesetzt haben, schätzen Insider.<br />

Für 2013 hat die Geschäftsführung<br />

einen „niedrigen einstelligen Millionengewinn“<br />

versprochen.<br />

Wird der verfehlt, droht neues Ungemach<br />

aus der Zentrale in Chicago. Gleich<br />

mehrfach wurde schon das deutsche Management<br />

ausgetauscht. Nebenher wanderten<br />

frühere Kernaufgaben wie das Online-Marketing<br />

von Berlin ins irische Dublin<br />

ab. Ehemalige Führungskräfte konstatieren<br />

einen „steten Bedeutungsverlust“<br />

des Berliner Büros – vom Treiber der internationalen<br />

Expansion zum schwächelnden<br />

Ableger. „Die Rolle des Berliner Standorts<br />

hat sich nicht groß verändert“, sagt dagegen<br />

Stehle. Die deutsche Landesgesellschaft<br />

sei „immer noch deutlich mehr als<br />

ein reines Verkaufsanhängsel“.<br />

Um diese Position zu halten, muss Stehle<br />

trotz des Kostendrucks den Vertrieb ankurbeln,<br />

vor allem aber zusätzliche Services<br />

und Technologien integrieren, um nicht<br />

von Wettbewerbern abgehängt zu werden.<br />

Denn zu lange hat sich an der Technikfront<br />

bei Groupon nichts getan.<br />

So erhalten mehrere Millionen Kunden<br />

zwar allmorgendlich die Werbenewsletter<br />

des Unternehmens. Doch bisher hat es<br />

Stehles Truppe nicht geschafft, diesen Datenschatz<br />

auch nur ansatzweise zu heben.<br />

Während Amazon etwa auf Basis<br />

früherer Käufe und Produktsuchen eines<br />

Kunden gezieltes E-Mail-Marketing betreibt<br />

und möglichst passgenaue Angebote<br />

herausfiltert, wird bei Groupon stets<br />

der komplette E-Mail-Verteiler angeworfen.<br />

Statt Autofahrern die gerade einen<br />

Werkstatt-Deal gekauft haben, auch<br />

gleich Mietwagenofferten oder Wagenwäsche-Angebote<br />

ans Herz zu legen,<br />

bekommen sie wie alle Empfänger den<br />

Standard-Mix aus Gastro-, Gesundheitsund<br />

Friseur-Deals.<br />

FOTO: GÖTZ SCHLESER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

68 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Krisen-Jungmanager<br />

Der deutsche Groupon-<br />

Chef Stehle stemmt<br />

sich gegen Millionenverluste:<br />

Für 2013 verspricht<br />

er einen Gewinn<br />

»Wir wollen Reservierungstools<br />

starten und Mails personalisieren«<br />

Auch sonst wurden wichtige Trends<br />

verschlafen. So boomen derzeit Online-<br />

Essensbestellportale. Über eine zentrale<br />

Plattform können hungrige Großstädter<br />

bequem Pizza, Sushi oder Gyros bei Anbietern<br />

aus der Nachbarschaft ordern. Pro vermitteltem<br />

Auftrag bekommt die Bestellplattform<br />

eine Provision. Eigentlich eine<br />

ideale Ergänzung für Groupon. Doch das<br />

Unternehmen überlässt das Geschäft Anbietern<br />

wie Lieferando oder Lieferheld.<br />

DAS HAPPY-HOUR-PRINZIP<br />

Als weitaus gefährlicher für Groupon<br />

könnten sich Online-Reservierungsportale<br />

für die Gastronomie erweisen. Sie kombinieren<br />

einen Reservierungsservice mit<br />

dem Rabattprinzip und koppeln den Nachlass<br />

an bestimmte Zeiten. Soll heißen:<br />

Plant ein Gast etwa ein Essen beim Lieblingsitaliener,<br />

bieten ihm Startups wie das<br />

Lüneburger Portal Resmio nicht nur die<br />

Möglichkeit, per Smartphone oder Computer<br />

einen Tisch zu reservieren, sondern<br />

zeigen auch an, dass es bei einem Restaurantbesuch<br />

um 16 Uhr satte 30 Prozent Rabatt<br />

auf alle Speisen gibt und um 17.30 Uhr<br />

immerhin noch 20 Prozent auf alles.<br />

Gastronomen können so die Auslastung<br />

ihrer Restaurants besser steuern. In Stoßzeiten,<br />

zu denen der Laden brummt, müssen<br />

keine Gutscheinkunden durchgefüttert<br />

werden. Und in Randstunden lockt die<br />

Happy Hour mit günstigeren Angeboten.<br />

Die Bedrohungen haben auch die Groupon-Granden<br />

erkannt. Er arbeite mit<br />

Hochdruck daran „Reservierungstools zu<br />

starten und Mails zu personalisieren“, versichert<br />

Stehle. „Ich hätte das gerne schon<br />

heute.“ Doch neue Ideen würden stets zuerst<br />

in den USA ausprobiert. Was dort funktioniert,<br />

werde global so schnell wie möglich<br />

ausgerollt. Einige Verbesserungen<br />

„wird es in den kommenden Monaten geben,<br />

andere werden länger dauern“, sagt<br />

Stehle. Bleibt Groupon so viel Zeit?<br />

Selbst Groupon-Kritiker verweisen auf<br />

die globale Präsenz und die breite Kundenbasis<br />

sowie die gewaltigen Finanzressourcen<br />

des Konzerns, der über Bargeldreserven<br />

von 1,2 Milliarden Dollar verfügt.<br />

In Deutschland mussten zudem zig<br />

Nachahmerseiten von Groupon, die im<br />

Zuge des Rabattfiebers entstanden waren,<br />

ihre Geschäfte mangels Erfolg einstellen.<br />

Selbst Google beerdigte alle Ambitionen<br />

im Rabattbusiness: Anfang 2013 stießen<br />

die Amerikaner den Groupon-Rivalen<br />

DailyDeal ab, den sie nur ein Jahr zuvor<br />

von den Berliner Gründern Ferry und<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 69<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Fabian Heilemann erworben hatten.<br />

Den Kampf um die Marktführerschaft in<br />

Deutschland hat Groupon klar für sich entschieden<br />

– doch der Preis war hoch. Noch<br />

immer spürt Groupon die Nachwehen der<br />

aggressiven Expansionsstrategie.<br />

Außendienstler rückten aus und überzeugten<br />

Geschäftsleute mit teils robusten<br />

Methoden von der Kundenwerbung per<br />

Gutschein. „Das war ganz harter Vertrieb“,<br />

erinnert sich ein ehemaliger Groupon-<br />

Mitarbeiter. Manch unerfahrener Pizzeria-<br />

Betreiber oder Massagestudio-Inhaber<br />

bemerkte denn auch erst, als der verabredete<br />

Deal über die Server rauschte, worauf<br />

er sich eingelassen hatte: Die Telefone<br />

standen nicht mehr still, Gutscheinkunden<br />

blockierten über Wochen Reservierungsund<br />

Terminlisten und nahmen den<br />

Stammkunden die Plätze weg. Fortan<br />

galten Groupon-Kunden vielerorts als<br />

Schnäppchenhopper und Trinkgeldknauser<br />

– und die Deals als Abzockmasche.<br />

„Da wurde viel Erde verbrannt“, räumt<br />

ein früherer Manager des Portals ein. Doch<br />

vor dem Börsengang sei das egal gewesen,<br />

„Hauptsache Umsatz kam rein“. Entsprechend<br />

allergisch reagieren heute viele Gastronomen,<br />

wenn sich der freundliche<br />

Groupon-Berater meldet und fragt, wie es<br />

mit einem neuen Deal aussieht.<br />

Teilweise war den Partnern nicht ausreichend<br />

erklärt worden, dass Groupon-Aktionen<br />

in der Regel keinen Sofortgewinn<br />

abwerfen, sondern primär Marketinginvestitionen<br />

sind, um langfristig Neukunden<br />

zu gewinnen. Teils wurden einfach die<br />

Deal-Kontingente zu hoch angesetzt.<br />

Nicht nur Gutscheine, auch Töpfe und<br />

Uhren Groupon-Verkäufertruppe in Berlin<br />

Allerdings sehen auch viele Konsumenten<br />

das Rabattportal skeptisch, zeigt der<br />

BrandIndex des Kölner Marktforschers<br />

Yougov. Über das Tool lässt sich die Wahrnehmung<br />

von Marken messen. Das Resultat:<br />

„Nach anfänglich positiven Imagewerten<br />

in Deutschland sackte das Image der<br />

Marke Groupon vor einem guten Jahr deutlich<br />

in den negativen Bereich“, sagt Yougov-<br />

Experte Markus Braun. Damals sorgten kritische<br />

Berichte über das Geschäftsmodell<br />

für Schlagzeilen. Erst in den letzten Wochen<br />

ging es wieder leicht nach oben. „In<br />

den USA erreicht Groupon grundsätzlich<br />

deutlich bessere Imagewerte“, so Braun.<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

DEN NUTZEN MESSEN<br />

Zudem dürften nicht nur die Kosten und<br />

Einnahmen für einen konkreten Deal – etwa<br />

ein Steak-Menü – betrachtet werden,<br />

argumentiert Stehle. So kämen die Gutscheinkunden<br />

oft gemeinsam mit Freunden<br />

ohne Coupon ins Lokal, und spätestens<br />

beim zweiten – dann unrabattierten –<br />

Besuch eines zufriedenen Gastes lohne<br />

sich der Einsatz ohnehin.<br />

Nur:Wie erfolgreich eine Coupon-Aktion<br />

inklusive aller Zusatz- und Anschlusseinnahmen<br />

wirklich ist, können die Partner<br />

bisher bestenfalls erahnen. Auch das will<br />

Stehle ändern und hofft zu einer Art<br />

„McKinsey für lokale Anbieter“ zu werden.<br />

Die Partnerunternehmen sollen über<br />

Analysetools künftig messen können, wie<br />

hoch der Durchschnittsbon ihrer Groupon-<br />

Kunden ausfällt und was die Schnäppchenjäger<br />

zusätzlich konsumiert haben.<br />

70 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Ohnehin wirkt der Konzern fast zweigeteilt,<br />

seit Eric Lefkofsky im März den Chefsessel<br />

von Mitgründer Mason übernahm.<br />

Während die Umsätze in Nordamerika im<br />

zweiten Quartal um 45 Prozent stiegen,<br />

brachen sie in Europa, Nahost und Afrika<br />

um 24 Prozent ein. Grund ist die Konzentration<br />

auf den Kernmarkt USA.<br />

Bei den Anlegern kommt das an: Seit<br />

Lefkofskys Antritt hat sich der Börsenwert<br />

auf 6,3 Milliarden Dollar verdoppelt. Sein<br />

extrovertierter Vorgänger, der einst Gagschreiber<br />

anheuerte, um die Gutscheine<br />

flotter zu bewerben, kühlt derweil seine<br />

Wunden in San Francisco als Sänger und<br />

Texter. Im Juli veröffentlichte Mason sein<br />

Rockalbum „Hardly Workin’“ – sinngemäß<br />

übersetzt „Kaum gearbeitet“.<br />

Lefkofsky, dessen Vermögen vom US-<br />

Magazin „Forbes“ auf knapp 1,1 Milliarden<br />

Dollar taxiert wird, hat derweil eine Art<br />

New Deal für Groupon ausgerufen. Der<br />

Auf6,3 Milliarden<br />

Dollar verdoppelte sich der<br />

Börsenwert von Groupon,<br />

seitdem Eric Lefkofsky die<br />

US-Zentrale führt<br />

ehemalige Anwalt, der einst das Startkapital<br />

bereitstellte und mit rund 20 Prozent<br />

größter Einzelaktionär ist, will das<br />

Gutscheinimperium zu einem weltweit<br />

operierenden Online-Händler und Vermarkter<br />

umwandeln, der es mit Amazon<br />

oder Ebay aufnehmen kann. Auch ins Geschäft<br />

mit Online-Bezahldiensten expandiert<br />

er und will so der Ebay-Sparte Paypal<br />

sowie dem aufstrebenden Zahlungsdienstleister<br />

Square Konkurrenz machen.<br />

Seit Anfang August ist er offiziell CEO,<br />

zuvor hatte Lefkofsky Groupon vorübergehend<br />

gemeinsam mit dem jetzigen Verwaltungsratschef<br />

Ted Leonsis geleitet, einem<br />

in den USA prominenten Medienunternehmer.<br />

„Wir wollen Groupon zu dem<br />

Platz machen, an dem man alles zu jeder<br />

Zeit und überall kaufen kann“, kündigt der<br />

neue CEO an.<br />

BUNTE RESTERAMPE<br />

Im Gegensatz zur etablierten Konkurrenz<br />

zäumt Lefkofsky das Pferd von hinten auf.<br />

Ebay und Amazon haben seit Mitte der<br />

Neunzigerjahre Schritt um Schritt Kunden<br />

gewonnen und Dienste hinzugefügt. Groupon<br />

hat bereits 220 Millionen Abonnenten<br />

in 48 Ländern, die nun zu regelmäßigen<br />

Käufern erzogen werden sollen. Das Unternehmen<br />

bietet ihnen nicht mehr nur Gutscheine<br />

an, sondern zusätzlich immer<br />

mehr klassische Produkte zum Direktkauf.<br />

Die Mischung im Groupon Goods getauften<br />

Geschäftsbereich ist bunt und<br />

mutet an wie ein Elektronikdiscounter mit<br />

angeschlossener Resterampe. Von herabgesetzten<br />

Panasonic-Digitalkameras und<br />

Toshiba-Laptops bis zu Kautschuk-Matratzen,<br />

Kochgeschirr, Uhren und Herrendüften<br />

erstreckt sich das Sortiment.<br />

Beim Wachstum geht diese Strategie auf.<br />

Vor allem in Nordamerika wurden die direkten<br />

Verkäufe vorangetrieben, die den<br />

Rückgang im Gutscheingeschäft auswetzen.<br />

Die Kehrseite sind die Gewinnmargen,<br />

die beim Produktverkauf im Gegensatz<br />

zu den Gutscheinen viel geringer sind.<br />

Bei Letzteren kassiert Groupon zumindest<br />

bei kleineren, regionalen Kunden 50 Prozent<br />

des Deal-Preises, bei großen Ketten<br />

dürfte die Marge niedriger liegen.<br />

Und das Risiko ist höher. Während Lefkofsky<br />

bei Reiseangeboten mit gestandenen<br />

Vermarktern wie Expedia kooperiert,<br />

kauft das Unternehmen einige der physischen<br />

Produkte selbst ein und läuft Gefahr,<br />

auf Restbeständen sitzenzubleiben und<br />

diese unter Einkaufspreis verramschen zu<br />

müssen.<br />

Dennoch treibt Lefkofsky den Ausbau<br />

der Sparte voran – nicht nur in den USA. So<br />

verkloppt Groupon neuerdings auch in<br />

Deutschland Kaffeekapseln, Matratzen<br />

und gerne auch mal Produkte des täglichen<br />

Bedarfs – etwa Klopapier mit<br />

„Schmetterlings- oder Wellenprägung“. n<br />

henryk.hielscher@wiwo.de,<br />

matthias hohensee | Silicon Valley<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 71<br />

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Technik&Wissen<br />

Der Stahl der Zukunft<br />

BAUEN | Bestickte Dächer und Textil- statt Stahlbeton – das klingt nach einem Witz.<br />

Tatsächlich aber steckt viel mehr Stoff in Bauwerken als in Kleidern. Er repariert<br />

Brücken, produziert Strom, speichert Wärme und verhindert, dass Gebäude bei Erdbeben<br />

einstürzen. Sechs überraschende Fakten über Stoff.<br />

Vielleicht sind Textilien das in<br />

der breiten Öffentlichkeit am<br />

meisten unterschätzte Material<br />

überhaupt. Bei dem Stichwort<br />

denken die meisten Menschen<br />

nur an Jeans, Hemden und vielleicht Tischdecken.<br />

Wer aber dächte an Brücken oder<br />

gigantische Stadiondächer, die ohne neuartige<br />

Gewebe nicht möglich wären?<br />

Mehr als 50 Prozent des Umsatzes der<br />

deutschen Textilbranche stammen bereits<br />

aus dem Geschäft mit sogenannten technischen<br />

Textilien. Und das war nur der Anfang.<br />

Bald schon sollen Textilien Häuser<br />

erdbebensicher machen, Straßen zusammenhalten<br />

und sogar vor einstürzenden<br />

Dächern warnen.<br />

An einer solchen Technik arbeitet das<br />

Familienunternehmen Dietrich Wetzel aus<br />

Plauen, das seit Generationen <strong>Geld</strong> mit Stickereien<br />

für Tischdecken oder Gardinen<br />

verdient. Die neueste Erfindung des Unternehmens<br />

ist ein Glasfaserflicken, der kaum<br />

dicker als eine Tischdecke ist.<br />

Dieser High-Tech-Lappen ist in der Lage,<br />

Leben zu retten. Denn er kann millimetergenau<br />

messen, wie stark sich Hallendächer<br />

im Winter unter der Schneelast verbiegen.<br />

Möglich machen das in den Flicken eingewebte<br />

Sensorfasern. „Bisher entscheiden<br />

Gebäudebesitzer meist aus dem Bauch,<br />

wann Schnee abgeschaufelt werden muss“,<br />

sagt Marco Wetzel, Co-Geschäftsführer des<br />

sächsischen Mittelständlers.<br />

Mitunter zu spät – und mit dramatischen<br />

Folgen. Wie im Januar 2006, als die hölzernen<br />

Träger des Daches einer Eishalle in<br />

Bad Reichenhall unter der Last nachgaben.<br />

15 Menschen starben. Auf dem Dach der<br />

Plauener Sternquell-Brauerei überwachen<br />

daher nun drei von Wetzels Spezialflicken<br />

die Last. Einmal schlugen sie seither Alarm<br />

und verhinderten womöglich eine Katastrophe.<br />

Das mit speziellen Mustern bestickte<br />

Gewebe misst anhand des durch die<br />

Glasfasern geleiteten Lichts, wie stark sich<br />

das Dach verformt. Dabei sei die Technik,<br />

bei vergleichbaren Kosten wie für herkömmliche<br />

Sensoren, weniger störanfällig<br />

und akkurater, verspricht Wetzel.<br />

Feines Stöffchen Spezialgewebe misst<br />

millimetergenau wie sich Dächer unter Last<br />

durchbiegen und warnt vor Einsturzgefahr<br />

85 Prozent weniger<br />

Zement benötigen<br />

Brücken aus Textilbeton<br />

Fünf Mal stärker<br />

als Stahl stabilisieren<br />

Karbonfasern die Bauten<br />

Die Sensorstickereien aus dem sächsischen<br />

Südwesten sind nur ein Beispiel dafür,<br />

wie radikal Spezialgarne, -fasern und<br />

-gewebe gerade <strong>dabei</strong> sind, Konstruktion<br />

und Bau von Häusern, Brücken, Maschinen,<br />

ja sogar Autos und Flugzeugen zu verändern.<br />

Fast unbemerkt haben sich Stoffe<br />

immer neue Einsatzfelder erobert: Heute<br />

machen technische Textilien nicht nur Autos<br />

sparsamer und Flugzeuge leichter oder<br />

produzieren Strom. Sie dämmen auch,<br />

speichern Wärme, bringen Licht in dunkle<br />

Räume und machen Häuser oder Brücken<br />

einsturzsicher.<br />

SO WICHTIG WIE STAHL<br />

Klar ist: Künftig wird kaum ein Ingenieur<br />

mehr auf die jahrhundertealte Tradition<br />

des Nähens, Schneiderns, Webens und<br />

Wirkens verzichten können. Allein in<br />

Deutschland wuchs der Umsatz mit technischen<br />

Textilien seit 2008 jährlich um<br />

durchschnittlich 15 Prozent – auf zuletzt<br />

2,6 Milliarden Euro.<br />

Flugzeugbauer wie Boeing und Airbus,<br />

Autohersteller wie BMW, aber auch Baukonzerne<br />

wie Bilfinger nutzen die modernen<br />

Textilien bereits für viele ihrer Produkte.<br />

Hersteller von Windrädern lassen aus<br />

dem Material auf Spezialmaschinen bis zu<br />

70 Meter lange Rotorblätter entstehen.<br />

Statt herkömmlicher Baumwoll- oder<br />

Polyestergarne aber sind es nun High-<br />

Tech-Materialien wie Glas- und Karbonfasern,<br />

aus denen die Stoffe für den Bau bestehen.<br />

„Gewebe aus Karbonfasern kann<br />

zum Stahl des 21. Jahrhunderts werden“,<br />

glaubt Wolf-Rüdiger Baumann, Hauptgeschäftsführer<br />

beim Gesamtverband der<br />

deutschen Textil- und Modeindustrie.<br />

FOTOS: GROTZ-BECKERT, DIETRICH WETZEL KG<br />

72 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Graziler Bau<br />

Fußgängerbrücke aus<br />

Textilbeton in Albstadt<br />

Denn die Bau-Stoffe sind robuster und<br />

reißfester als Metall und leichter dazu. Und<br />

überall helfen die High-Tech-Textilien, Probleme<br />

zu lösen.<br />

PFLASTER FÜR BRÜCKEN<br />

Das neue Material kann gar als eine Art<br />

überdimensioniertes Pflaster für rissige<br />

Brücken dienen. Ein solches Projekt verfolgt<br />

Manfred Curbach von der Technischen<br />

Universität Dresden. Er hofft, so die<br />

Lebenszeit vieler beschädigter Brücken<br />

verlängern zu können. In vielen Fällen ist<br />

deren Stahlbeton nach drei bis vier Jahrzehnten<br />

in einem besorgniserregenden<br />

Zustand. Die Schäden will die Bundesregierung<br />

nun mit sieben Milliarden Euro flicken.<br />

Viel zu wenig, warnen Experten.<br />

Ingenieur Curbach verfolgt deshalb einen<br />

radikal anderen und – wie er hofft –<br />

günstigeren Ansatz: Er baut auf Stoff.<br />

Das Material, das die Rettung ermöglichen<br />

soll, heißt Textilbeton. Statt herkömmlicher<br />

Stahlträger stecken darin<br />

hauchdünne, gitterartige Geflechte aus<br />

Karbongarn, jedes nur ein bis zwei Millimeter<br />

stark. Und doch verleihen sie dem<br />

Beton enorme Festigkeit.<br />

Denn Karbonfasern sind fünf Mal stärker<br />

als Stahl. Und weil sie nicht rosten, muss<br />

sie auch keine dicke Betonschicht schützen.<br />

Zwei bis drei Zentimeter dick ist Textilbeton<br />

deshalb nur. Auf Brücken aufgetragen,<br />

kittet er Risse und verbessert die Stabilität,<br />

erhöht aber das Gewicht des Bauwerks<br />

nur minimal. „Mit einer dünnen<br />

Schicht Textilbeton, die wir wie ein Pflaster<br />

auf eine Wunde kleben, können wir wahrscheinlich<br />

80 Prozent der alten Brücken<br />

retten“, sagt Curbach.<br />

Bei zwei Kaufhäusern in Prag und Konstanz<br />

ist der textile Beton schon im Ein-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 73<br />

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Technik&Wissen<br />

Harter Ball Flexible Tanks aus druckverstärkten Spezialgeweben<br />

können schwere Stahltanks in Biogasanlagen ersetzen<br />

Globale Großbauten In Deutschland genähte Stoffkonstruktionen<br />

bedecken und umspannen Stadien der Fußball-WM in Brasilien<br />

»<br />

satz. Ob sich die Erkenntnisse auf Autobahnen<br />

übertragen lassen, prüft der Forscher<br />

gerade. In einem Versuch drückt dafür<br />

eine Maschine in einem Dresdner Labor<br />

mit einem Klotz zig Millionen Mal auf<br />

eine Platte aus Textilbeton – analog zum<br />

Verkehrsstrom, der anschwillt und abebbt.<br />

Bisher hält die Konstruktion.<br />

Textilbeton könnte herkömmlichen Beton<br />

auf Dauer sogar komplett ersetzen. Das<br />

glauben jedenfalls Experten wie Udityasinh<br />

Gohil vom Institut für Textiltechnik<br />

der RWTH Aachen. „Die Technik hat nur<br />

Vorteile“, sagt der Aachener Forscher. Sein<br />

Institut hat bereits im württembergischen<br />

Albstadt eine 100 Meter lange Fußgängerbrücke<br />

aus dem nur drei Zentimeter dicken<br />

Material errichtet. „Das spart 85 Prozent<br />

Zement und senkt zugleich den Kohlendioxidausstoß<br />

für die Produktion des<br />

Baumaterials um 70 Prozent.“<br />

Und weil das Geflecht zudem unverbaut<br />

viel biegsamer ist als Stahl, können Architekten<br />

damit geschwungene und gewölbte<br />

Bauten entwerfen, die elegant und leicht<br />

anmuten.<br />

ERDBEBENSICHERE TAPETE<br />

Leicht und stabil – das soll nicht nur für<br />

Straßen und Brücken gelten. Wie Spezialfasern<br />

auch Häusern zusätzliche, teils lebensrettende<br />

Stabilität verleihen können,<br />

das erforscht Lothar Stempniewski vom<br />

Karlsruher Institut für Technologie.<br />

Als der Bauingenieur 2009 die Bilder des<br />

Erdbebens im italienischen L’Aquila sah,<br />

kam ihm die Idee eines Geflechts aus Glasund<br />

Kunstfasern: Mit Mörtel vermischt<br />

und wie Bandagen um Häuser gewickelt,<br />

kann es sie vor dem Einsturz bewahren<br />

oder ihn deutlich verzögern. „So können<br />

wir den Menschen Zeit geben, ins Freie zu<br />

flüchten“, sagt Stempniewski.<br />

Dass das mehr ist, als Spinnerei eines Faserfetischisten,<br />

haben Bauingenieure der<br />

Universität Padua in Tests an Mauern mit<br />

und ohne Erdbebenbandage getestet.<br />

Während reine Ziegel-Mörtel-Konstruktionen<br />

nachgaben, bröckelte mit Bandage<br />

zwar der Putz, und es bildeten sich Risse –<br />

aber die Mauer hielt. Das bandagierte Bauwerk<br />

widerstand dreimal größeren Kräften,<br />

weil bei einem Beben die Glasfasern reißen<br />

und einen Teil der Naturgewalt abfangen.<br />

Die Kunststofffäden dagegen dehnen sich<br />

um bis zu 40 Prozent und halten die Wände<br />

wie ein Spinnennetz zusammen.<br />

Seit Januar 2013 bietet der italienische<br />

Baustoffproduzent Röfix den Stoff gegen<br />

Erdbeben an. Bauherren und Besitzer bestehender<br />

Häuser können das Gewebe wie<br />

eine Schicht Putz aufs Mauerwerk auftragen.<br />

Schon zwei Monate zuvor hatten die<br />

Karlsruher Forscher mit der Leverkusener<br />

Bayer MaterialScience eine Tapete gegen<br />

Stoffverstärkte<br />

Bauten widerstanden<br />

dreimal<br />

heftigeren Beben<br />

Erdbebenschäden für Alt- und Neubauten<br />

vorgestellt. Sie ist weiß, hauchdünn und<br />

widersteht doch Urgewalten, weil sie aus<br />

reißfesten Glasfasern gewebt ist.<br />

Bei all dem ist die Kombination aus Fasern<br />

und Beton in dieser Form keineswegs<br />

mehr die einzige Form des Stoffeinsatzes.<br />

Immer öfter werden sie in das Betongrundgerüst<br />

von Gebäuden integriert, um die<br />

Konstruktion stabiler zu machen, zum Beispiel<br />

bei der Sanierung des Finanzamtes in<br />

Zwickau.<br />

SELBSTREINIGENDE DÄCHER<br />

Auch bei Großbauten wie Fußballstadien<br />

treten die High-Tech-Gewebe zunehmend<br />

mit bisherigen Plastikplanen aus PTFE-<br />

Kunststoff in Konkurrenz, die als Dachkonstruktion<br />

Sonne, Wind oder Regen abhalten.<br />

Dabei veredeln die Entwickler ihre Gewebe<br />

zudem mit Zusatzstoffen wie Titandioxid.<br />

Dank einer chemischen Reaktion lösen<br />

Partikel dieses Minerals Schmutz –<br />

vom Vogeldreck bis zum Schlammspritzer<br />

– mithilfe von Sonnenlicht in Kohlendioxid<br />

und Luft auf. So reinigen sich die Stoffdächer<br />

kurzerhand selbst.<br />

Ganz nebenbei ermöglicht der Wechsel<br />

zum flexiblen Stoff nicht nur neue Designentwürfe.<br />

Er ist auch Grundlage für wahrhaft<br />

globale Geschäfte: So produziert der<br />

niederrheinische Textilspezialist Ceno Tec<br />

neben riesigen Gewebetanks für deutsche<br />

Biogasanlagen auch Dach und Fassade für<br />

das Fußballstadion im brasilianischen<br />

Manaus. „Wir sind ein Schneiderbetrieb“,<br />

sagt Ceno-Tec-Vertriebschef Klaus Gipperich.<br />

Nur arbeitet das Unternehmen nicht<br />

FOTOS: CENO TEC, GMP ARCHITEKTEN, KIT<br />

74 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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mit Schere und Nadel, sondern mit Computern<br />

und automatischen Nähmaschinen.<br />

Die Wahl des Werkstoffs hat gleich zwei<br />

Vorteile. Zum einen lassen sich Dächer aus<br />

Stoff viel schneller fertigen und montieren<br />

als solche aus starren Baustoffen. Vor allem<br />

aber ließen sie sich nicht auf einem anderen<br />

Kontinent fertigen. So aber ist globaler<br />

Hochbau kein Problem: Die deutschen<br />

Hersteller nähen die Stadienhüllen und<br />

verschicken den Stoff gefaltet in 42 Containern<br />

nach Südamerika.<br />

Dort wird das Material, 32 000 Quadratmeter<br />

teflonbeschichtetes Glasfasergewebe,<br />

am Stahlgerüst aufgezogen. Zum Start<br />

der Fußball-WM im Juni 2014 soll es stehen.<br />

Dabei sind die Häuser-Näher vom<br />

Niederrhein nicht die Einzigen, die mit der<br />

Technik vor der WM im Einsatz sind. Auch<br />

bei den Stadiondächern in Rio de Janeiro,<br />

Porto Alegre und Natal fiel die Wahl auf<br />

Stoff. Und wieder kommt er aus Deutschland:<br />

von den Nähmaschinen des Herstellers<br />

Hightex aus Bernau am Chiemsee.<br />

Lebensrettendes Pflaster Gewebebandagen<br />

stützen Bauten in Erdbebengebieten<br />

STROM UND WÄRME AUS FASERN<br />

In Deutschland haben sich Stoff-Dächer<br />

wegen der – bislang – schlechten Wärmedämmung<br />

nicht durchgesetzt. Doch dieses<br />

Manko haben Forscher vom Institut für<br />

Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf<br />

mittlerweile behoben.<br />

Den Weg zur Lösung wiesen ausgerechnet<br />

Eisbären: Deren Haut erwärmt sich in<br />

der Sonne, weil die durchsichtigen Haare<br />

das Licht zum Körper leiten, gleichzeitig<br />

isoliert der dichte Pelz gegen die Kälte. Zudem<br />

speichern die hohlen Haare die Temperaturen.<br />

Nach dem Prinzip haben die<br />

Denkendorfer Wissenschaftler im Januar<br />

2013 ein erstes stoffgedecktes Haus eingeweiht.<br />

Der Eisbär-Pavillon genannte Bau<br />

sammelt im Sommer so viel Wärme im<br />

Stoffdach, dass er im Winter keine Heizung<br />

mehr braucht.<br />

Mehrere Lagen dunkler Stoff aus Silikon,<br />

Polyester und Glasfasern auf dem Dach<br />

bilden den Sonnenkollektor. Darüber erhitzt<br />

sich die Luft auf bis zu 140 Grad. Die<br />

Hitze wird chemisch in einem Tank gespeichert<br />

und im Winter wieder freigesetzt.<br />

„Die textilen Sonnenkollektoren sind nicht<br />

teurer als herkömmliche Systeme“, versichert<br />

der Denkendorfer Bauingenieur<br />

Thomas Stegmaier. Er möchte die textile<br />

Solarheizung schon in fünf Jahren etwa für<br />

Einfamilienhäuser zur Marktreife bringen.<br />

Und nicht nur Wärme lässt sich mit den<br />

smarten Stoffen erzeugen. Auch Licht.<br />

Möglich macht das ein Mix aus Licht leitenden<br />

Glas- oder Kunststofffasern und<br />

mikroskopisch kleinen Leuchtdioden. Unternehmen<br />

wie der Faserspezialist Bedea<br />

aus Aßlar bei Wetzlar fertigen daraus<br />

leuchtende Vorhänge. Selbst strahlende<br />

Tapeten als Beleuchtung für Hotels oder<br />

Bars ließen sich theoretisch aus dem technischen<br />

Gewebe fertigen. Oder ein leuchtender<br />

Dachhimmel fürs Auto.<br />

Und sogar den benötigten Strom wollen<br />

innovative Entwickler bald mithilfe von<br />

Dächern und Fassaden produzieren. Ro-<br />

INNOVATIONSPREIS<br />

Ideengeber gesucht<br />

Wer sind die innovativsten Unternehmen?<br />

Und wer sind die Köpfe hinter den<br />

Ideen? Diese Fragen beantwortet der<br />

Deutsche Innovationspreis, den die<br />

WirtschaftsWoche mit Accenture und<br />

Evonik ausrichtet. Bewerben können<br />

sich Großunternehmen, Mittelständler<br />

und Startups aller Branchen. Neben<br />

Produktinnovationen zeichnet der Preis<br />

auch Geschäftsmodelle, Dienstleistungen<br />

und Marketinginstrumente aus,<br />

die in Deutschland entwickelt wurden.<br />

Die Gewinner werden auf einer festlichen<br />

Gala in München geehrt. Zudem<br />

porträtiert die WirtschaftsWoche Sieger<br />

und Finalisten im Heft. Bewerben Sie<br />

sich bis zum 31. Oktober unter<br />

www.der-deutsche-innovationspreis.de<br />

bert Mather, Chef des Unternehmens<br />

Power Textiles aus dem schottischen Selkirk,<br />

arbeitet genau daran. Auf Polyestergewebe<br />

haben die Briten eine Aluminiumschicht<br />

sowie eine Schicht leitfähigen<br />

Kunststoff aufgetragen und das Ganze mit<br />

mehreren Lagen Silizium überzogen. Fertig<br />

ist die Fotovoltaikanlage auf Stoff.<br />

Derzeit läuft die Arbeit am Feinschliff.<br />

Mather will die Technik widerstandsfähiger<br />

gegen Wind und Wetter machen und<br />

den Wirkungsgrad verbessern. Aktuell liegt<br />

er erst bei knapp einem Prozent, rund ein<br />

Zehntel handelsüblicher Module. In wenigen<br />

Monaten will Mather aber bereits den<br />

ersten Prototypen mit fünf Prozent Wirkungsgrad<br />

präsentieren.<br />

Gewächshausbetreiber seien bereits an<br />

der Technik interessiert, berichtet er. Mit<br />

textilen Solarkollektoren könnten sie die<br />

Seiten ihrer Bauten versehen und die<br />

Pflanzen mit der am Tag gesammelten<br />

Energie nachts beleuchten. Statt zwei Mal<br />

im Jahr könnten Bauern dann vier Mal ernten.<br />

Ob das Turbogemüse schmeckt, weiß<br />

bisher niemand. Aber Mather staunt noch<br />

immer über die kuriose Idee seiner potenziellen<br />

Kunden.<br />

WIE STEINE IN EINEM BACH<br />

Denn oft ahnen nicht einmal die Erfinder,<br />

was mit ihren Produkten möglich wird. Das<br />

gilt auch für den vogtländischen Familienbetrieb<br />

Wetzel, der mehrere Millionen Euro<br />

in eine neue Fabrik investiert für zwei<br />

neue, je 30 Meter lange Stickmaschinen.<br />

Neben Schneelastsensoren soll dort bald<br />

auch ganz anderes, aber nicht minder elaboriertes<br />

High-Tech-Stickwerk vom Band<br />

laufen: ein Spezialgewebe, aus dem Glasfasern,<br />

ähnlich einem Traktorreifenprofil,<br />

bis zu fünf Millimeter in die Höhe ragen.<br />

Damit könnten Kommunen künftig ihre<br />

Abwasserkanäle auskleiden. Denn weil die<br />

Deutschen immer weniger Wasser verbrauchen,<br />

spült es kaum noch den dort<br />

abgelagerten Schlamm weg.<br />

Statt wie bisher mit Frischwasser spülen<br />

zu müssen, könnten Städte und Gemeinden<br />

auf Stickerei setzen, hofft Unternehmer<br />

Marco Wetzel: „Unser Produkt wirkt<br />

wie Steine im Bach, um die sich Stromschnellen<br />

bilden. Der Schlick wird aufgewirbelt,<br />

und der Kanal reinigt sich auch mit<br />

weniger Wasser selbst.“ Wetzel ist Sticker in<br />

fünfter Generation. Dass seine Familie –<br />

neben Borten und Spitzen – einmal Stoffe<br />

für Dächer und sogar für Abwasserrohre<br />

stickt, hätte er sich nie träumen lassen. n<br />

susanne donner | technik@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 75<br />

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Technik&Wissen<br />

Der Boom der digitalen Börsen<br />

MOBILFUNK | Supermarkt, Hotel, Restaurant – wo immer Kunden heute noch zum <strong>Geld</strong>beutel greifen,<br />

springt künftig das Smartphone ein. Neue Bezahlsysteme machen die Technik endlich alltagstauglich.<br />

Sie ist schwarz, hat im Durchschnitt 30<br />

Euro gekostet und ist des Deutschen<br />

liebstes Utensil: die <strong>Geld</strong>börse, wie<br />

Statistiker sie zusammenstellen würden.<br />

Darin 5,90 Euro in Münzen, 100 Euro in<br />

Scheinen, vier Plastikkarten – je eine von<br />

Hausbank, Krankenversicherung, Bonusprogramm<br />

Payback und einem Kreditkartenanbieter.<br />

Genau dieser <strong>Geld</strong>börse geht es jetzt ans<br />

Leder: 45 Prozent der Deutschen können<br />

sich vorstellen, ganz darauf zu verzichten,<br />

ermittelte der Marktforscher TNS Infratest.<br />

Statt mit Bargeld oder Karte wollen sie lieber<br />

mit ihrem Mobiltelefon bezahlen.<br />

Dass die Vision der Handybrieftasche –<br />

obwohl nicht neu – bisher trotzdem nicht<br />

Realität wurde, lag an einem dreifachen<br />

Mangel im System: Es fehlten geeignete<br />

Kassensysteme in den Läden, passende<br />

Handys bei den Verbrauchern und eine gemeinsame<br />

Strategie von Handel, Banken<br />

und Mobilfunkanbietern.<br />

Das aber ändert sich nun: Jedes dritte<br />

Mobiltelefon, das dieses Jahr auf den Markt<br />

kommt, ist bereits mit einem sogenannten<br />

NFC-Funkchip ausgestattet, mit dem die<br />

Handys Kontakt zu modernen Supermarktkassen<br />

aufnehmen. Gleichzeitig ist<br />

die Zahl dieser Kassenterminals weltweit<br />

schon auf einige Millionen gestiegen, in<br />

Deutschland gibt es sie etwa in Aral-Tankstellen<br />

und McDonald’s-Filialen. Auch<br />

strategisch geht es voran: Die großen Mobilfunker<br />

Telefónica, Vodafone und die<br />

Deutsche Telekom bringen nach Jahren<br />

des Wartens jetzt Smartphone-<strong>Geld</strong>börsen<br />

und arbeiten mit den Kreditkartenriesen<br />

Visa und MasterCard zusammen.<br />

Dazu kommen neue Anbieter aus anderen<br />

Branchen, die den Markt entwickeln;<br />

darunter der vom Handelskonzern Otto<br />

gegründete Bezahldienst Yapital sowie<br />

Startups wie Cashcloud oder Paij. Und sogar<br />

die lange zögernden Handelskonzerne<br />

haben sich entschieden, Handyzahlungen<br />

zu akzeptieren: Netto und Edeka haben<br />

schon eigene Apps eingeführt, Anfang November<br />

zieht Rewe nach und schließt sich<br />

der Bezahlplattform Yapital an.<br />

BÖRSE ALS SMARTER ASSISTENT<br />

„Der Markt für das Zahlen per Smartphone<br />

kommt in Bewegung“, sagt Ercan Kilic, Leiter<br />

der Arbeitsgruppe Mobile Payment<br />

beim Handelsdienstleister GS 1. Schon<br />

nächstes Jahr, sagt Kilic, werde die Zahl der<br />

Geschäfte, die Handyzahlungen akzeptieren,<br />

„erheblich zunehmen“.<br />

Für die Technik, die in Japan und selbst<br />

in Kenia schon Millionen Verbraucher nutzen,<br />

gibt es gute Gründe: Ersetzt das Handy<br />

<strong>Geld</strong>scheine und Kreditkarten, kann nicht<br />

FOTOS: MARKUS SCHWALENBERG FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PR<br />

76<br />

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nur die schwere Lederbörse daheim bleiben;<br />

auch Schlangestehen am <strong>Geld</strong>automaten<br />

erübrigt sich, weil Euros nur noch<br />

elektronisch den Besitzer wechseln. Obendrein<br />

haben Taschendiebe keine Chance<br />

mehr, an die begehrten Scheine zu kommen,<br />

weil der Safe im Handy per Passwort<br />

geschützt ist. Geht das Handy verloren,<br />

kann der Besitzer via Internet alle Bezahlfunktionen<br />

sperren oder entfernen.<br />

Am Ende steht die digitale Brieftasche,<br />

englisch eWallet genannt, die auch Rabattmarken<br />

und Treuepunkteheftchen, Flugtickets<br />

und Zugfahrkarten, Hotelzimmerschlüssel<br />

und Reisepass integriert. Stück<br />

für Stück wandelt sich die <strong>Geld</strong>börse so<br />

zum smarten Assistenten: Gefüttert mit Informationen<br />

aus dem Internet, weist er seinen<br />

Besitzer auf personalisierte Sonderangebote<br />

hin, hat dank GPS-Peilung bei Ankunft<br />

in einer neuen Stadt die Hoteldaten<br />

parat oder löst in der Straßenbahn von<br />

selbst das preiswerteste Ticket.<br />

Was den Konsumenten mehr Komfort<br />

verheißt, verspricht den Anbietern ein riesiges<br />

Geschäft: 721 Milliarden Dollar werden<br />

im Jahr 2017 via Handy fließen, glauben<br />

die Marktforscher von Gartner. Wer<br />

diese Zahlungsflüsse abwickelt, kann dem<br />

Das Smartphone<br />

wird zum <strong>Geld</strong>automat<br />

für die Tasche<br />

Handel bei jedem Einkauf bis zu drei Prozent<br />

Gebühr berechnen.<br />

Drei Techniken drängen in Telefone und<br />

Shoppingmeilen: Yapital, Netto und Edeka<br />

nutzen sogenannte QR-Codes – Quadrate<br />

aus Pixeln, die der Nutzer per Handy an der<br />

Kasse abfotografiert. Das klappt mit allen<br />

modernen Handys, hat aber einen Nachteil:<br />

<strong>Ist</strong> der Akku leer oder das Netz<br />

schwach, bleibt die Kasse zu. Dafür sind<br />

die Kosten der Technik gering. Den meisten<br />

Kassengeräten reicht ein Software-Update,<br />

um die Pixel-Codes anzuzeigen.<br />

Mehr Aufwand verursacht die Methode,<br />

auf die auch die großen Mobilfunker setzen<br />

– der Near Field Communication genannte<br />

Kurzstreckenfunk, kurz NFC:<br />

Handy und Kasse brauchen dafür einen<br />

fingernagelgroßen Funkchip. Nähert sich<br />

das Handy auf wenige Millimeter der Kasse,<br />

tauschen die Chips die Kontodaten aus.<br />

Alles auf dem Schirm<br />

Was bisher <strong>Geld</strong>börsen<br />

aus Stoff und Leder füllte,<br />

sollen künftig virtuelle<br />

Smartphone-Brieftaschen<br />

von Anbietern wie etwa<br />

Telefónica, Yapital oder<br />

Cashcloud übernehmen.<br />

Handys wie das Xperia Z1<br />

von Sony ermöglichen<br />

digitales Bezahlen per<br />

NFC-Funkchip<br />

Eine dritte Technik hat vor wenigen Wochen<br />

der US-Zahldienstleister Paypal vorgestellt:<br />

Bluetooth-Funksender von der<br />

Größe eines USB-Sticks, auch Beacons genannt,<br />

die mit dem Handy über Meter hinweg<br />

Kontakt aufnehmen. Betritt ein registrierter<br />

Kunde eine Boutique, erscheint auf<br />

deren Kassendisplay sein Name und sein<br />

Passfoto. Beim Hinausgehen ruft der Käufer<br />

dem Kassierer bloß noch zu, was er mitnimmt.<br />

Der Verkäufer trägt die Waren in<br />

der Kasse ein, aktiviert den Kauf – und das<br />

neue Outfit ist bezahlt.<br />

ZIEL ANPEILEN, SCANNEN, ZAHLEN<br />

Wie die neue Bezahlwelt schon bald bundesweit<br />

aussehen soll, zeigt der Einkauf an<br />

einem Montagabend im Oktober auf der<br />

Düsseldorfer Einkaufsstraße Kö. „Sie<br />

möchten mit Yapital bezahlen?“, fragt die<br />

Verkäuferin beim Schuhhändler Görtz, als<br />

der Kunde an der Kasse sein Smartphone<br />

vorzeigt. Schon am Samstag davor hatten<br />

zwei Käufer ihre Rechnung mit Ottos neuem<br />

Handydienst beglichen.<br />

Das erinnert an Tontaubenschießen.<br />

Ziel anfordern – die Verkäuferin schiebt ein<br />

Display über den Kassentresen. Anvisieren:<br />

Der Kunde peilt den QR-Code mit der<br />

Handykamera an. Und Schuss: Der Kunde<br />

knipst den Code. Anschließend erscheint<br />

der Kaufpreis auf dem Handydisplay. Kurz<br />

auf Bestätigen gedrückt, schon sind 6,50<br />

Euro für eine Tube Schuhcreme bezahlt.<br />

Um den Dienst zu nutzen, melden sich<br />

Verbraucher bei Yapital an, laden eine App<br />

aufs Smartphone und buchen per Fingertipp<br />

<strong>Geld</strong> vom Bankkonto ab. Yapital-Chef<br />

Nils Winkler nennt das „einen <strong>Geld</strong>automaten<br />

für die Tasche“. Neben Görtz akzeptieren<br />

auch die Online-Shops von Sport<br />

Scheck, H.I.S.-Jeans und der Outdoormodehändler<br />

Arqueonautas die neue<br />

Form der Handyzahlung. Rewe folgt im<br />

November. „Zeitnah“, sagt Yapital-Manager<br />

Winkler, „werden weitere große Dienstleister<br />

und Einzelhändler dazukommen.“<br />

Auf rasch wachsende Partnernetzwerke<br />

setzen auch die drei großen Mobilfunker,<br />

deren Handybrieftaschen allerdings auf<br />

NFC-Technik basieren. Telefónica hat mit<br />

seiner O2 Wallet und dem Bezahldienst<br />

mpass bereits Angebote im Markt. Die<br />

Deutsche Telekom, die in Polen schon eine<br />

Wallet anbietet, will mit der Handygeldtasche<br />

nun in Deutschland starten. Und<br />

auch Vodafone rüstet fürs Mobile Payment.<br />

In der Konzernkantine in Düsseldorf etwa<br />

können 5000 Mitarbeiter bereits Rehrücken<br />

und Birne Helene bezahlen, indem<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 77<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

sie ihr Handy kurz an ein NFC-Lesegerät<br />

an der Kasse halten. Im ersten Quartal 2014<br />

will der Mobilfunker dann allen seinen<br />

Kunden eine virtuelle Brieftasche als App<br />

zum Download anbieten. Und bald darauf<br />

sollen sich auch Kredit- und EC-Karten in<br />

die eWallet integrieren lassen. „Wir verhandeln<br />

schon mit einer Handvoll Banken“,<br />

sagt Jochen Bornemann, der bei Vodafone<br />

Deutschland für Bezahldienste zuständig<br />

ist. „Stück für Stück wird sich die<br />

Brieftasche mit weiteren Diensten füllen.“<br />

Parallel dazu entwickelt sich das Bezahlhandy<br />

zum Werkzeug für Rabattjäger –<br />

denn das Telefon speichert auch Kundenkarten<br />

und Couponhefte.<br />

Einfach draufhalten Der Kunde bezahlt bei<br />

Yapital per Code und Smartphone-Foto<br />

Neue Bezahl-Apps<br />

machen Telefone<br />

zu Rabattjägern<br />

Was die überquellende Brieftasche entlastet,<br />

ermöglicht Herstellern, Händlern<br />

und Dienstleistern neue Werbeformen –<br />

etwa ortsbezogene, personalisierte Gutscheine,<br />

die den Geschmack ihrer Adressaten<br />

genauer treffen, als es Prospekte oder<br />

Plakate je vermochten.<br />

Solche Angebote haben etwa das Kölner<br />

Gutschein-Startup Coupies und das<br />

Münchner Bonussystem 10stamps. Keiner<br />

aber setzt das virtuelle Gutscheinheft so<br />

konsequent um wie das Luxemburger<br />

Startup Cashcloud. Der Bezahldienstleister<br />

hat eine App entwickelt, deren Nutzer sich<br />

gratis und binnen Sekundenbruchteilen<br />

<strong>Geld</strong> überweisen können. Cashcloud weiß<br />

aber demnächst nicht nur, mit wem ein<br />

Nutzer befreundet ist, sondern auch, was<br />

er eingekauft hat. Denn ab November will<br />

das Startup auch NFC-Sticker verschicken,<br />

die man auf sein Handy kleben kann, um<br />

damit an Kassen mit modernen Visa- und<br />

Mastercard-Terminals zu zahlen.<br />

Künftig können Unternehmen in der<br />

App gegen Gebühr Gutscheine platzieren,<br />

die auf das Kaufverhalten der Handybesitzer<br />

zugeschnitten sind. „Wir wollen nicht<br />

an der <strong>Geld</strong>transaktion verdienen, sondern<br />

an der Werbung“, sagt Geschäftsführer<br />

Olaf Taupitz. Eine Frittenbude könnte<br />

etwa in der Cashcloud-App Gutscheine an<br />

Bewohner einer bestimmten Stadt verteilen,<br />

die häufig Fast Food essen.<br />

TELEFON ÖFFNET MIETWAGEN<br />

Sogar eine eigene Währung will Cashcloud<br />

etablieren, sogenannte Cashcredits. Die<br />

bekommt, wer Freunde für die Plattform<br />

wirbt oder Gutscheine einlöst. Später lassen<br />

sich die Credits für Einkäufe nutzen.<br />

Rabatte gegen Daten, das ist das Geschäft.<br />

Aber die Handygeldbörse soll künftig<br />

nicht nur im Supermarkt funktionieren. So<br />

will etwa Vodafone seinen Mitarbeitern<br />

noch ab November ein elektronisches Jobticket<br />

des örtlichen Nahverkehrsunternehmens,<br />

der Rheinbahn, aufs Handy spielen.<br />

Kommt der Kontrolleur, müssen die Mobilfunker<br />

nur zum Telefon greifen, statt die<br />

Plastikkarte herauszufummeln.<br />

Im Laufe des kommenden Jahres plant<br />

der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen,<br />

das Handy als universelle Fahrkarte<br />

in ganz Deutschland anzubieten. Später<br />

sollen sich sogar spontane Fahrten abrechnen<br />

lassen: Statt ein Ticket zu kaufen, hält<br />

der Kunde das NFC-Handy zweimal kurz<br />

an ein Lesegerät, das in Bussen und Bahnen<br />

befestigt ist – einmal beim Einsteigen,<br />

einmal beim Aussteigen. Die App berechnet<br />

den günstigsten Fahrpreis.<br />

Das Wiesbadener Zahldienst-Startup<br />

Paij will derweil 15 000 Taxis so aufrüsten,<br />

dass die Fahrgäste bargeldlos per Handy-<br />

App bezahlen können. Im Stockholmer<br />

Hotel der Clarion-Kette öffnen NFC-Handys<br />

schon Zimmertüren, und der Autozulieferer<br />

Continental arbeitet an Autoschlössern,<br />

die sich per Smartphone entriegeln<br />

lassen. Das könnte Car-Sharing-<br />

Dienste wie Car2Go oder DriveNow noch<br />

komfortabler machen.<br />

Bis wann all die Funktionen im Smartphone<br />

verschmolzen sind, ist noch offen.<br />

Genauso wie die Frage, ob sich eine Technik<br />

durchsetzt oder mehrere nebeneinander<br />

existieren. Eines aber ist klar: Ledern ist<br />

an der <strong>Geld</strong>börse der Zukunft allenfalls<br />

noch die Schutzhülle fürs Handy. n<br />

andreas.menn@wiwo.de<br />

MOBILE PAYMENT<br />

App-bezahlt<br />

Sechs Smartphone-Brieftaschen,<br />

die Sie heute schon in deutschen<br />

Geschäften nutzen können.<br />

YAPITAL<br />

Die QR-Code-App der Otto-<br />

Gruppe gilt ab November<br />

in 3300 Rewe-Filialien und<br />

schon jetzt beim Schuhhändler Görtz sowie<br />

Lieferungen von Otto, Sport Scheck,<br />

H.I.S. Jeans und anderen Anbietern.<br />

CASHCLOUD<br />

Ermöglicht kostenlosen<br />

<strong>Geld</strong>transfer an Freunde.<br />

Ab November verschickt<br />

das Luxemburger Startup NFC-Tags<br />

zum Zahlen an allen NFC-fähigen<br />

MasterCard- und Visa-Terminals.<br />

MPASS<br />

Kunden des vom<br />

Mobilfunker Telefónica<br />

betriebenen mpass-<br />

Dienstes zahlen per NFC-Handy oder<br />

mit Funkstickern in mehr als 10 000<br />

Geschäften mit Paypass-Terminal<br />

von Mastercard, darunter Douglas und<br />

Aral-Tankstellen.<br />

NETTO<br />

In den rund 400 Filialen<br />

der Einzelhandelskette<br />

Netto können Kunden per<br />

QR-Code-App zahlen. Das Programm<br />

zeigt dem Nutzer auch aktuelle Angebote<br />

und Coupons an.<br />

EDEKA<br />

Rund 100 Edeka-Filialen<br />

in Berlin und Hamburg<br />

akzeptieren QR-Code-Zahlungen.<br />

Auch Einkaufzettel, Lieblingsrezepte<br />

und aktuelle Wochenangebote<br />

enthält die Software.<br />

PAYCASH<br />

Bei 20 Filialen der Kaffeekette<br />

Cafetiero, einigen<br />

Hochschul-Mensen sowie<br />

mehreren Restaurants in Düsseldorf<br />

und Luxemburg können Kunden bereits<br />

Essen und Trinken mit der QR-Code-<br />

App von Paycash bezahlen.<br />

FOTO: PR<br />

78 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

VALLEY TALK | Kalifornien treibt mit strengen<br />

Umweltvorgaben die Innovation in der Autobranche<br />

an. Und profitiert davon. Von Matthias Hohensee<br />

Auflagen und Privilegien<br />

FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Behindern politische Vorgaben<br />

wie Flottenverbrauch oder Obergrenzen<br />

für Schadstoffausstoß<br />

die Autobranche? Oder fördern<br />

sie womöglich gar die Innovation? Kalifornien<br />

ist Beleg für Letzteres, mindestens<br />

wenn man als Maßstab den Boom der<br />

Hybridautos und Elektrofahrzeuge nimmt.<br />

Nun soll das Modell aus Zuschüssen von<br />

Land und Bund, Privilegien und strengen<br />

Abgasauflagen auch Brennstoffzellenautos<br />

befeuern. Bis 2024 sollen in Kalifornien<br />

mindestens 100 Tankstellen mit Wasserstoff-Zapfsäulen<br />

ausgerüstet werden. Den<br />

Plan vom Wasserstoff-Highway gibt es zwar<br />

schon seit 2004. Doch die Ölkonzerne, die<br />

hier die meisten Tankstellen besitzen, drohten<br />

mit Klage, falls sie zur Modernisierung<br />

gezwungen würden. Jetzt sagt ihnen der<br />

Staat bis zu zwei Millionen Dollar pro umgerüsteter<br />

Tankstelle als Hilfe zu. Das <strong>Geld</strong><br />

stammt aus Autozulassungsgebühren.<br />

Ein zusätzlicher Anreiz ist, dass viele<br />

Ölkonzerne inzwischen in die Wasserstoff-<br />

Produktion eingestiegen sind. Autohersteller<br />

wie Toyota und Honda haben bereits<br />

angekündigt, ab 2015 in Kalifornien Brennstoffzellen-Fahrzeuge<br />

anzubieten.<br />

Das setzte Kaliforniens einzigen Autohersteller,<br />

Tesla Motors, unter Druck. Doch<br />

dessen Chef, Elon Musk, ist überzeugt,<br />

dass mit Akkus angetriebene Elektroautos<br />

effizienter sind als Brennstoffzellenautos.<br />

Zumal wenn die Preise für Akkus bei höheren<br />

Stückzahlen fallen.<br />

Wie der Wettbewerb auch ausgeht, Kalifornien<br />

wird vorn <strong>dabei</strong> sein. Der bevölkerungsreichste<br />

Bundesstaat der USA ist seit<br />

den Sechzigerjahren Vorreiter in den USA<br />

für saubere Luft – und wegen seiner hohen<br />

Autodichte entsprechend verschärfter<br />

Regeln beim Abgasausstoß. Obwohl die Kalifornier<br />

mit den (nach Hawaii) höchsten<br />

Benzinpreisen der USA leben müssen, ist<br />

der Rückhalt für bessere Luft durch gedrosselten<br />

Schadstoffausstoß groß.<br />

Trotzdem hätten Hybridautos, vor allem<br />

Toyotas Prius, nie solch einen Boom erlebt,<br />

wenn sie nicht unter anderem massiv mit<br />

Steuerzuschüssen gefördert worden wären.<br />

Wobei wohl weder diese noch der geringere<br />

Benzinverbrauch wichtigste Kaufanreize<br />

waren. Es war jener gelbe Aufkleber, den<br />

sich Hybridkäufer ab August 2005 auf die<br />

rechte hintere Stoßstange pappen und so<br />

auch als Solo-Fahrer die Sonderfahrspur für<br />

den Berufsverkehr nutzen durften.<br />

BEGEHRTE PLAKETTE<br />

Seit Ende 2011 ist die begehrte Plakette,<br />

die im Silicon Valley die Fahrzeit im Berufsverkehr<br />

erheblich verkürzen kann, Fahrzeugen<br />

mit Flüssiggasantrieb, Hybriden mit<br />

Elektromotor sowie reinen Elektrofahrzeugen<br />

vorbehalten. Tesla Motors profitiert<br />

nicht nur vom Steuerzuschuss von 10 000<br />

Dollar pro Modell, sondern auch von der<br />

Plakette. Ein Facebook-Manager, der mir<br />

jüngst stolz von seiner Tesla S Limousine<br />

vorschwärmte, gestand ein, dass ihm das<br />

gesparte Benzin egal sei. Wichtiger war<br />

ihm, ein besonderes Auto zu fahren und mit<br />

diesem bei der Fahrt von seinem Wohnsitz<br />

in San Francisco ins Facebook-Hauptquartier<br />

in Menlo Park auf der Sonderspur am<br />

Berufsverkehr vorbeirauschen zu können.<br />

Ob Elektro- oder Brennstoffzellenautos<br />

tatsächlich wirtschaftlich sind? Ob sie wirklich<br />

die Umwelt retten? Ob also die Steuergelder<br />

gut angelegt sind, darüber lässt sich<br />

debattieren. Unbestritten aber ist, dass<br />

alle namhaften Autohersteller inzwischen<br />

nicht nur Designstudios, sondern auch Forschungsabteilungen<br />

in Kalifornien unterhalten,<br />

um auf der Höhe der Zeit zu sein. Und<br />

das auch in Entwicklungsbereichen, die mit<br />

dem E-Antrieb nichts zu tun haben. Wie etwa<br />

dem intelligenten Auto, das via Internet<br />

mit Informationen gefüttert wird und so vielleicht<br />

schon ab 2020 ohne menschlichen<br />

Fahrer durch die Gegend rollt.<br />

Dass es kommt, scheint sicher. Ob es<br />

Wasserstoff tanken wird oder Strom, eher<br />

noch nicht. Aber wenn es irgendwo die Auswahl<br />

hat, dann sicher in Kalifornien.<br />

Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />

im Silicon Valley und beobachtet<br />

von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />

wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 81<br />

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Management&Erfolg<br />

Auf der Überholspur<br />

SPEZIAL | Best of Consulting Porsche Consulting und Boston Consulting Group sind<br />

Deutschlands beste Unternehmensberatungen. Der Wettbewerb zeigt:<br />

Kleine, spezialisierte Berater ziehen in der Gunst der Auftraggeber mit den<br />

Universalberatern gleich.<br />

Mal sind es Klinikärzte,<br />

die fast die Hälfte ihrer<br />

Zeit mit Verwaltungsarbeiten<br />

vergeuden, statt<br />

sich ihren Patienten zu<br />

widmen, mal Autobahnbaustellen,<br />

auf denen allein<br />

ein störungsfreier<br />

Materialfluss beim Asphaltieren Zeit und<br />

Kosten halbieren könnte: Verschwendung<br />

ist Eberhard Weiblen ein Graus. Ob Krankenhäuser<br />

oder Baufirmen, ob große Konzerne<br />

oder Mittelständler: Seit 15 Jahren<br />

hat der Chef der Unternehmensberatung<br />

Porsche Consulting dem Schlendrian den<br />

Kampf angesagt. Weiblens Credo: „Unternehmen,<br />

die Spitzenleistungen erzielen<br />

wollen, müssen sich auf das Wesentliche<br />

konzentrieren.“<br />

Keine Zeit und Ressourcen zu verschwenden<br />

und so mehr Zeit und Ressourcen<br />

zu haben, um das Richtige richtig zu<br />

machen: Dieses Erfolgsprinzip hat Porsche<br />

zum profitabelsten Autoproduzenten der<br />

Ruf und Realität<br />

Wieangesehen undleistungsfähigDeutschlands besteBeratungshäuser sind*<br />

Wertsteigerung<br />

2,5<br />

2,3<br />

2,1<br />

1,9<br />

1,7<br />

1,5<br />

SternStewart<br />

Oliver Wyman<br />

Deloitte<br />

1,2 1,3 1,1<br />

EY<br />

ATK&PwC<br />

Horváth<br />

Bain<br />

1,5<br />

KPMG<br />

Porsche<br />

1,6 1,7 1,8<br />

Markenstärke<br />

Berger<br />

1,9<br />

McK<br />

*die Größeder Kreiseentsprichtden Umsatzverhältnissen, dieAmpelfarben reflektieren den Ruf<br />

(dunkelgrün: sehr gut/dunkelrot: sehr schlecht); Quelle:Prof. Lars Wellejus (FHFrankfurt)<br />

Welt gemacht. Und die hauseigene Beratertruppe<br />

zu einem der gefragtesten Consultingunternehmen<br />

Deutschlands, weit<br />

hinaus über die Grenzen nicht nur des eigenen<br />

Unternehmens, sondern auch der<br />

Autoindustrie. Offenbar wollen in Zeiten,<br />

in denen keiner etwas zu verschwenden<br />

hat, Manager aus vielen Branchen dem<br />

Beispiel des Sportwagenherstellers nacheifern.<br />

Und engagieren deshalb die Berater<br />

aus dem Stuttgarter Speckgürtel.<br />

„Gute Beratung ist keine Frage von Größe<br />

oder Internationalität“, sagt Gerd Kerkhoff,<br />

Gründer und Chef der auf die Organisation<br />

von Logistikketten spezialisierten<br />

gleichnamigen Unternehmensberatung.<br />

„Wir sind äußerst flexibel und verstehen<br />

unsere Kunden, für die wir stets exklusiv da<br />

sind – das können die großen Beratungshäuser<br />

gar nicht leisten.“<br />

Dass es sich hier nicht nur um Werbung<br />

in eigener Sache handelt, belegt auch der<br />

diesjährige Wettbewerb Best of Consulting<br />

(BoC), in dem die WirtschaftsWoche<br />

2,0<br />

2,1<br />

BCG<br />

2,2<br />

2,3<br />

Deutschlands beste Unternehmensberatungen<br />

eruiert. Ergebnis des dreiteiligen<br />

Verfahrens, das Markenstärke, Wertsteigerung<br />

und Projekterfolg jeweils aus der kritischen<br />

Warte der Kunden misst: Porsche<br />

Consulting verbessert sich um vier Plätze<br />

und ergattert mit deutlichem Abstand auf<br />

die Wettbewerber die Poleposition im Gesamtranking.<br />

Die vermeintlich unangreifbaren<br />

Platzhirsche – Vorjahressieger Boston<br />

Consulting Group und Marktführer<br />

McKinsey – müssen sich im Gesamtranking<br />

mit Platz zwei und drei begnügen.<br />

IMMER WÄHLERISCHER<br />

Was den beiden Marktführern besonders<br />

missfallen dürfte: In der Umfrage unter<br />

1500 Top-Managern schnappte ihnen der<br />

mit 350 Mitarbeitern vergleichsweise kleine<br />

Konkurrent nicht nur den Gesamtsieg,<br />

sondern auch den Titel als bester Wertsteigerer<br />

weg. „Der Sieg des vermeintlichen<br />

Nischenplayers über die bisherigen Platzhirsche<br />

zeigt, dass es heute nicht mehr ausreicht,<br />

eine allseits bekannte und renommierte<br />

Marke zu haben“, sagt Branchenexperte<br />

Frank Höselbarth. „Die Auftraggeber<br />

von Beratern werden immer wählerischer.“<br />

Was auch daran liegt, dass auf Kundenseite<br />

mittlerweile selbst jede Menge ehemalige<br />

Berater sitzen. Die Alumni von<br />

McKinsey, BCG oder Roland Berger wissen<br />

aus eigener Erfahrung, dass in den Beratungshäusern<br />

nur mit Wasser gekocht<br />

wird. Sie vergeben nur noch die dringlichsten<br />

Aufträge an externe Consultants. Das<br />

hat zur Entmystifizierung der Branche und<br />

der großen Beratermarken geführt. Und<br />

die Preise sinken lassen, zumal für die erfolgsverwöhnten<br />

großen Platzhirsche.<br />

FOTO: ANDREAS KÖRNER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

82 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Transparenz statt Schlendrian Porsche-<br />

Consulting-Chef Eberhard Weiblen<br />

„Der Trend zum Spezialistentum in der<br />

Beraterbranche hält an“, so Alexander Moscho,<br />

BoC-Jurymitglied und Leiter Konzernentwicklung<br />

bei dem Leverkusener<br />

Chemiekonzern Bayer.<br />

Für die großen Universalanbieter wird es<br />

vor diesem Hintergrund immer schwerer,<br />

die kleineren Spezialisten auf Distanz zu<br />

halten. „Sie fordern konkret messbare Ergebnisse<br />

und bevorzugen schlanke, überschaubare<br />

Teams, die innovative Ideen ins<br />

Unternehmen hereintragen, die per Hilfe<br />

zur Selbsthilfe anschließend von den eigenen<br />

Mitarbeitern umgesetzt werden können“,<br />

sagt Lars Wellejus, BoC-Juror und<br />

Professor für Betriebswirtschaft an der<br />

Fachhochschule Frankfurt.<br />

Genau hier setzt der Erfolg von Porsche<br />

Consulting an. „Statt von oben herab Prozesse<br />

in das Unternehmen hereinzudrücken,<br />

interessieren wir uns vor allem für<br />

den Mitarbeiter. An seiner Seite erkennen<br />

wir sehr schnell, wo es hakt im Prozess“,<br />

sagt Porsche-Consulting-Partner Ulrich<br />

Guddat. „Danach sorgen wir gemeinsam<br />

mit dem Mitarbeiter dafür, dass die Erfüllung<br />

seiner Aufgabe störungsfrei möglich<br />

ist. Nur so kann er seine Kompetenz voll<br />

entfalten. Davon profitieren alle – Mitarbeiter,<br />

Unternehmen und Kunden.“<br />

So ist etwa Jim Hagemann Snabe nicht<br />

nur begeistert von den besseren Zahlen,<br />

sondern auch vom Kulturwandel, den Porsche<br />

Consulting in seinem Unternehmen<br />

angestoßen hat:„Wir geben unseren Entwicklern<br />

die Möglichkeit, kreativer und<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 83<br />

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Management&Erfolg | Spezial<br />

»<br />

enger mit unseren Kunden zusammenzuarbeiten“,<br />

sagt der Co-Vorstandssprecher<br />

des Softwarekonzerns SAP, „und<br />

bringen Innovationen heute wesentlich<br />

schneller an den Markt.“<br />

Doch nicht nur umsetzungsstarke Managementberatungen<br />

wie Porsche Consulting,<br />

die in der Lage sind, Führungskräfte<br />

wie Mitarbeiter gleichermaßen für sich<br />

einzunehmen, bringen die großen Beratungshäuser<br />

zunehmend unter Druck. Das<br />

zeigt die große Wertschätzung, die sich etwa<br />

die Strategieberatung Stern Stewart bei<br />

deutschen Top-Managern erarbeitet hat.<br />

In den Neunzigerjahren vor allem bekannt<br />

für die Entwicklung der Kennzahl<br />

Economic Value Added (EVA), über die<br />

sich der Wert einer Investition berechnen<br />

lässt, begleiten die 60 Berater in Deutschland<br />

heute Dax-Konzerne wie große Mittelständler<br />

bei Fusionen, Zukäufen und<br />

Restrukturierung, aber auch, wenn einfach<br />

mal die Kosten runter müssen. Dabei<br />

scheuen die Berater nicht davor zurück,<br />

Unternehmen auch schon mal vehement<br />

von letztlich unsinnigen Großinvestitionen<br />

abzuraten oder radikalere Umbauarbeiten<br />

in der Zentrale vorzuschlagen. Offenheit,<br />

die sich auszahlt: War sie im vergangenen<br />

Jahr noch von der Konkurrenz abgeschlagen,<br />

schaffte die Boutique den Sprung<br />

unter die Top Ten.<br />

„Kleine Strategieberatungshäuser gehen<br />

oft forscher und frecher vor als die etablierten<br />

Strategieberater“, sagt Thomas Deelmann,<br />

BoC-Jurymitglied und Professor für<br />

Corporate Management und Consulting<br />

an der Business and Information Technology<br />

School in Iserlohn. „Das kann frischen<br />

Wind in Unternehmen bringen.“<br />

julia leendertse | erfolg@wiwo.de<br />

Sieger Kategorie<br />

WETTBEWERBSSTRATEGIE<br />

Projekt: Restrukturierung der Softwareentwicklung<br />

Kunde: SAP<br />

Jim Hagemann Snabe (SAP, links)<br />

Ulrich Guddat (Porsche Consulting)<br />

Exzellent: PwC<br />

Prämiert: A.T. Kearney<br />

PORSCHE CONSULTING<br />

Wissen im Takt<br />

Lässt sich die Arbeit von Softwareentwicklern<br />

takten wie die Produktion eines Autos?<br />

Das fragte sich Jim Hagemann Snabe, als er<br />

vor fünf Jahren das Porsche-Montagewerk<br />

besuchte. Das Problem des SAP-Co-Chefs,<br />

damals Vorstand für Produktentwicklung:<br />

Technologisch waren die SAP-Programme<br />

gut, aber ihre Entwicklung dauerte zu lange.<br />

Von der Festlegung der Spezifikationen<br />

bis zur Auslieferung beim Kunden vergingen<br />

15 Monate, Nachbesserungen dauerten<br />

nochmal genau so lange.<br />

Hagemann Snabes Ziel: kleinere Programmpakete,<br />

Verbesserungen in Häppchen,<br />

von Anfang an Mitsprache für die<br />

Nutzer. Dafür brauchte er neue Organisationsformen<br />

– warum nicht wie bei Porsche?<br />

„Software lässt sich zwar nicht im Vier-<br />

Minuten-Takt entwickeln“, sagt Hagemann<br />

Snabe. „Aber mit dem Lean-Management-<br />

Ansatz, den auch Porsche verfolgt, können<br />

wir unsere Softwareentwickler von unnötigen<br />

Tätigkeiten entlasten und ihnen mehr<br />

Freiraum für Innovation verschaffen.“<br />

Unterstützt durch Porsche Consulting,<br />

analysierte SAP-Projektleiter Martin Fassunge<br />

die Tagesabläufe der Entwickler. Das<br />

Ergebnis: zeitfressende Abstimmungsrunden<br />

und Arbeitsunterbrechungen wegen<br />

parallel laufender Projekte, hohe Wartezeiten<br />

durch falsche Prioritäten. Heute arbeiten<br />

SAP-Programmierer mit Experten für<br />

Dokumentation, Vertrieb, Benutzeroberflächen<br />

oder Design zusammen, müssen im<br />

Zwei-Wochen-Takt klar definierte Arbeitspakete<br />

abarbeiten. „Wie bei Porsche in der<br />

Produktion weiß heute auch bei SAP jeder,<br />

wer welche Rolle im Gesamtablauf hat“,<br />

sagt Fassunge. „Das spart Zeit.“<br />

Und belebt die Firmenkultur: „Unsere<br />

Mitarbeiter sollen lernen, die richtigen Fragen<br />

zu stellen, Aufgaben klar zu definieren<br />

und so zu verteilen, dass die Teams sie in<br />

vorgegebener Zeit abarbeiten können“, sagt<br />

Hagemann Snabe. Die Folge: Statt 15 Monaten<br />

dauert die Softwareentwicklung nur<br />

noch sieben bis acht Monate. „Kurze Entwicklungszeiten“,<br />

sagt Manfred Bruhn, BoC-<br />

Fachbeirat und Professor für Unternehmensführung<br />

an der Universität Basel, „sind<br />

in Märkten mit sinkenden Produktlebenszyklen<br />

ein klarer Wettbewerbsvorteil.“<br />

»<br />

julia leendertse | erfolg@wiwo.de<br />

Klein schlägt groß<br />

Deutschlands beste Berater<br />

Platz (Vorjahr)<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7<br />

9<br />

10<br />

(5)<br />

(1)<br />

(2)<br />

(6)<br />

(3)<br />

(8)<br />

(4)<br />

(9)<br />

(15)<br />

(–)<br />

Beratung<br />

Porsche Consulting<br />

BCG<br />

McKinsey<br />

PwC<br />

Roland Berger<br />

Bain<br />

A.T. Kearney<br />

Horváth<br />

Oliver Wyman<br />

Stern Stewart<br />

Punkte*<br />

2,27<br />

2,16<br />

2,08<br />

1,89<br />

1,84<br />

1,81<br />

1,78<br />

1,78<br />

1,73<br />

1,68<br />

* die Punktzahl ergibt sich als gewichtete Durchschnittsnote<br />

der Einzelkategorien Markenstärke,<br />

Wertsteigerung und Projekterfolg (siehe Methode)<br />

METHODE<br />

Für Alleskönner<br />

Wie die besten Unternehmensberatungen<br />

ermittelt wurden.<br />

Im Auftrag der WirtschaftsWoche entwickelten<br />

Branchenexperte Frank Höselbarth<br />

und Lars Wellejus, BWL-Professor<br />

an der Fachhochschule Frankfurt,<br />

Deutschlands bislang umfangreichsten<br />

Beratercheck: In einem dreiteiligen Verfahren<br />

ermittelten sie erst Markenstärke<br />

und die Fähigkeit zur Wertsteigerung, jeweils<br />

anhand des Urteils von Deutschlands<br />

1500 größten Unternehmen. Punkten<br />

konnten die Beratungen außerdem mit<br />

Projekten, die sie in sieben Kategorien einreichen<br />

konnten und die von einem Fachbeirat<br />

und einer Jury bewertet wurden.<br />

Aus den drei Einzelergebnissen errechnet<br />

sich die Note fürs Gesamtranking.<br />

Aufgrund dieser Methode ist es möglich,<br />

die Arbeit von Platzhirschen wie McKinsey<br />

oder der Boston Consulting Group mit<br />

Leistungen weniger bekannter, aber ambitionierter<br />

Spezialberatungen zu vergleichen.<br />

Und so Licht in eine bislang recht<br />

intransparente Branche zu bringen.<br />

Ausführliche Informationen unter<br />

award.wiwo.de/boc2013/<br />

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

84 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Management&Erfolg | Spezial<br />

ACCENTURE<br />

Raus aus der<br />

Warteschleife<br />

Wer 2011 Strom vom Energieversorger Vattenfall<br />

bezog und dem Kundenservice per<br />

Telefon eine Frage zu seinem Vertrag stellte,<br />

musste Geduld mitbringen. In der Regel<br />

landete er erst minutenlang in der Warteschleife.<br />

Und dann oft bei einem Callcenter-Mitarbeiter,<br />

der die Frage nicht beantworten<br />

konnte. Rückrufe klappten selten.<br />

Heute gibt es im Kundenservice von Vattenfall<br />

keine Callcenter mehr. „Floor-Mitarbeiter“<br />

heißen die internen und externen<br />

Kundenberater heute und sitzen in neuen,<br />

hellen Großraumbüros. Sie haben alle das<br />

gleiche Basiswissen, um einfache Anfragen<br />

zu bearbeiten. Nur noch bei komplizierteren<br />

Fällen wie rückwirkenden Korrekturen<br />

von Rechnungen wird ein Mitarbeiter mit<br />

Spezialkenntnissen hinzugezogen. „Nahe<br />

Führung“ nennt Vattenfall das neue Konzept:<br />

Es gibt täglich morgendliche Teammeetings,<br />

alle zwei Wochen spricht der<br />

Teamleiter mit jedem Mitarbeiter konkrete<br />

Fälle durch, jeden Monat gibt es Feedback.<br />

Für „einmalig in der Energieversorger-<br />

Landschaft“ hält Gunnar Wilhelm, Geschäftsführer<br />

Kundenservice bei Vattenfall<br />

Europe, den Umbau seiner Kundenservice-Abteilung.<br />

Gestemmt hat er das Projekt<br />

namens Wow (Ways of Working) mithilfe<br />

der Unternehmensberatung Accenture.<br />

Als der Energiekonzern die Berater<br />

engagierte, hatten die Vattenfall-Kundenservice-Manager<br />

in Deutschland schon<br />

von ähnlichen Projekten in den Niederlanden<br />

und Schweden gelernt. „Eine Situation,<br />

wie ein Berater sie sich wünscht“, erinnert<br />

sich Clemens Oertel, Leiter des Bereichs<br />

Kundenbeziehungsmanagement<br />

bei Accenture. „Der Kunde hatte eine klare<br />

Vision davon, wie er sich verbessern will,<br />

war unseren Vorschlägen gegenüber<br />

gleichzeitig sehr offen.“<br />

Wohl auch, weil der Kundenservice bei<br />

Energieversorgern als besonders komplex<br />

gilt: Allein die Bundesnetzagentur ändert<br />

jedes halbe Jahr die technischen Anforderungen.<br />

Um seinen Kundenservice zu verbessern,<br />

schickte Vattenfall Mitarbeiter in<br />

Trainings, investierte in neue Informationstechnologie<br />

und baute die Büroflächen um.<br />

Der Erfolg ist augenscheinlich: Die Kosten<br />

sanken um 30 Prozent. Und die Vattenfall-Kunden<br />

waren in diesem Sommer mit<br />

ihrem Stromanbieter so zufrieden wie nie<br />

zuvor.<br />

astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />

Sieger Kategorie<br />

MARKETING/VERTRIEB<br />

Projekt: Kostensenkung und<br />

Verbesserung im Kundenservice<br />

Kunde: Vattenfall Europe<br />

Gunnar Wilhelm (Vattenfall, links)<br />

Clemens Oertel (Accenture)<br />

Exzellent: Allianz Inhouse<br />

Consulting<br />

Prämiert: Solution Providers<br />

Sieger Kategorie<br />

FINANZ- UND RISIKO-<br />

MANAGEMENT<br />

Projekt: Globale Vereinheitlichung<br />

des Finanz- und Rechnungswesens<br />

Kunde: Evonik<br />

Bettina Uhlich (Evonik)<br />

Stefan Zeibig (Horváth & Partners)<br />

Exzellent: EY<br />

Prämiert: –<br />

HORVÁTH & PARTNERS<br />

Äpfel und Birnen<br />

Zusatzstoffe für Weichspüler, Bindemittel<br />

für Lacke, neue Materialien für die Luftfahrtindustrie:<br />

Evonik ist mit vielen seiner Spezialchemieprodukte<br />

Weltmarktführer. „Wir<br />

sind auf Wachstum getrimmt“, sagt Evonik-<br />

Managerin Bettina Uhlich. „Geringe Komplexität,<br />

schlanke Abläufe, Transparenz und<br />

globales Denken helfen uns <strong>dabei</strong>.“<br />

Dass Wunsch und Wirklichkeit auch mal<br />

voneinander abweichen, stellt sich bei einer<br />

internen Überprüfung im Mai 2011 heraus:<br />

Im Konzern gibt es 25 Definitionen<br />

für den Deckungsbeitrag, 17 Arten, ein Ergebnis<br />

zu berechnen, keinen einheitlichen<br />

Kontenplan, dafür zehn Reportingsysteme.<br />

Selbst innerhalb einzelner Einheiten weichen<br />

Definitionen betriebswirtschaftlicher<br />

Größen voneinander ab. Damit Evonik-<br />

Controller nicht länger Äpfel mit Birnen<br />

vergleichen müssen, sollen die Berater von<br />

Horváth & Partners, spezialisiert auf Unternehmenssteuerung<br />

mit Kennzahlen, das<br />

weltweite Finanz- und Rechnungswesen<br />

des Konzerns vereinheitlichen.<br />

Hauptkriterium der neuen Systematik:<br />

Kosten werden dort ausgewiesen, wo sie anfallen.<br />

„Nun sind Informationen an Verantwortung<br />

gekoppelt“, sagt Horváth-Berater<br />

Stefan Zeibig. „Manager sind nur für das verantwortlich,<br />

was sie beeinflussen können.“<br />

„Es gilt, die Mitarbeiter vom Wert der<br />

Kennzahlen zu überzeugen“, sagt BoC-<br />

Jury-Mitglied Ulrich Becker. „Das war Präzisionsarbeit.“<br />

»<br />

astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />

FOTOS: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

86 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Management&Erfolg | Spezial<br />

KERKHOFF CONSULTING<br />

Erste Sahne<br />

Neue Verpackung, kurzfristige Werbeaktionen,<br />

höhere Stückzahlen – und alles am<br />

besten schon gestern erledigt: Ständig kamen<br />

im Sommer 2011 neue Änderungswünsche<br />

englischer Kunden auf den Tisch.<br />

„Immer wieder wollten sie neue Varianten<br />

ihrer Cheesecakes“, erinnern sich Tobias<br />

Heinemann, Leiter des Materialmanagements,<br />

und Wolfram Wacker, verantwortlich<br />

für das Lieferkettenmanagement beim<br />

Tortenhersteller Coppenrath & Wiese, an<br />

den Beginn der Weihnachtsproduktion vor<br />

zwei Jahren. „Wie sollten wir dieses zusätzliche<br />

Pensum bloß bewältigen?“<br />

Denn Käsekuchen kann das Familienunternehmen<br />

aus Osnabrück damals nur auf<br />

einer seiner 23 Produktionslinien herstellen.<br />

Der Kraftakt gelingt schließlich – allerdings<br />

nur mithilfe teurer Sonderschichten<br />

und zusätzlichen Mitarbeitern. Weihnachten<br />

2011 steht für die Manager fest:Auf solche<br />

kurzfristigen Auftragsänderungen<br />

muss das Unternehmen künftig besser vorbereitet<br />

sein.<br />

Sieger Kategorie<br />

SUPPLY CHAIN MANAGEMENT<br />

Projekt: Umbau der Lieferkette<br />

Kunde: Coppenrath & Wiese<br />

Tobias Heinemann, Wolfram Wacker<br />

(beide Coppenrath & Wiese), Bardo<br />

Hassemer (Kerkhoff, von links)<br />

Exzellent: EY J&M Management<br />

Consulting<br />

Prämiert: Mieschke Hofmann &<br />

Partner<br />

Der 1975 gegründete Tortenproduzent ist<br />

seit der Wende stark gewachsen: Fast eine<br />

Million Torten und Kuchen produziert der<br />

Mittelständler im Jahr. Täglich werden<br />

80000 Liter Sahne geschlagen, 170 Mal ändert<br />

sich das Sortiment im Jahr. Die Unternehmensstrukturen<br />

aber bilden das<br />

schnelllebige Geschäft schon lange nicht<br />

mehr ab: Der Absatz wird ohne Rücksicht<br />

auf Marktforschung und ausländische<br />

Märkte geplant. Änderungen erreichen die<br />

Logistik nicht, eine durchgängige Bedarfsplanung<br />

existiert nicht, der Einkauf muss<br />

auf viele Quellen zugreifen.<br />

„Die Nahtstellen zwischen Vertrieb und<br />

Produktion, aber auch zwischen Marketing,<br />

Finanzen und Beschaffung mussten verbessert<br />

werden“, sagt Bardo Hassemer vom Logistikberater<br />

Kerkhoff Consulting, den Coppenrath<br />

& Wiese ins Haus geholt hatte, um<br />

seine Strukturen dem komplexen Geschäft<br />

anzupassen.<br />

Die Berater verbessern den Informationsfluss<br />

zwischen Vertrieb und Bestands-, Logistik-,<br />

Produktions- und Einkaufsplanung.<br />

Weil Schritte entfallen, werden die Aufgaben<br />

schneller erledigt, die Zahl der kurzfristigen<br />

Umplanungen sinkt, das Unternehmen<br />

spart Material und Lagerraum und<br />

kann schneller liefern. „Wir haben nicht nur<br />

unsere Prozesse verbessert“, sagt Coppenrath<br />

& Wiese-Manager Wacker. „Wir sind zu<br />

einer lernenden Organisation geworden.“<br />

astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />

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FOTOS: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Sieger Kategorie<br />

IT-MANAGEMENT<br />

Projekt: Frachtkostenmanagement<br />

Kunde: BMW<br />

Kirsten Commer (BMW)<br />

Josef Packowski (links), Mario<br />

Baldi (beide Camelot)<br />

Exzellent: Mieschke Hofmann &<br />

Partner<br />

Prämiert: ConVista Consulting<br />

CAMELOT ITLAB<br />

Fast automatisch<br />

Jeder Transport bedeutete Unmengen an<br />

Papier: Wenn die Niederlassung Kiel einen<br />

BMW 3er orderte, quittierte der Spediteur<br />

im Regensburger Werk, schrieb nach dem<br />

Transport eine Quittung, schickte eine<br />

Rechnung an BMW, die wiederum geprüft<br />

und freigegeben werden musste. Erst dann<br />

kam das <strong>Geld</strong>.<br />

Manuell gepflegte Excel-Tabellen waren<br />

bei BMW jahrzehntelang das Kernwerkzeug,<br />

um die Frachtkosten im gesamten<br />

Konzern zu managen. Von denen, die das<br />

System einst aufgebaut hatten, waren viele<br />

bereits pensioniert. Als „Spaghetti-System“<br />

gelten solche Konstellationen in Branchenkreisen,<br />

weil die erst über Jahrzehnte<br />

wachsen und dann für Außenstehende<br />

kaum mehr zu entwirren sind.<br />

„Da wir in den kommenden Jahren mit<br />

einer wachsenden Zahl jährlich produzierter<br />

Pkws rechnen, brauchen wir mehr denn<br />

je einen Frachtabrechnungsprozess, der<br />

reibungslos funktioniert“, sagt BMW-Projektleiterin<br />

Kirsten Commer.<br />

Dafür sollten die Berater von Camelot<br />

ITLab sorgen: Sie führten eine weltweit<br />

erstmals verwendete SAP-Software ein, an<br />

deren Entwicklung sie beteiligt waren. „Wir<br />

verstehen nicht nur die Möglichkeiten der<br />

IT, sondern auch die Anforderungen der<br />

Geschäftsprozesse und der Unternehmensorganisation“,<br />

sagt Camelot-Chef Josef<br />

Packowski.<br />

Heißt auch: Spediteure, die für den Autokonzern<br />

tätig sein wollen, müssen sich<br />

nun als BMW-Partner qualifizieren und zu<br />

vorher festgelegten Bedingungen liefern.<br />

Gezahlt wird nach Vorkostenkalkulation<br />

per Gutschrift. Dadurch entfallen viele Prozessschritte,<br />

der Papierkram wird weniger.<br />

Manuell nachgebessert wird nur noch in<br />

Ausnahmen, das Gros läuft automatisiert.<br />

„Das Konzept von Camelot ITLab hat<br />

uns beeindruckt“, sagt Jury-Mitglied Thomas<br />

Deelmann. „Der Dreischritt aus Strategie,<br />

Prozessen und IT-Unterstützung ist<br />

gelungen.“<br />

MERCER<br />

Grenzenlos<br />

astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />

Wer bei BMW arbeitete und das Angebot<br />

bekam, auf einen Posten ins Ausland zu<br />

wechseln, hatte lange Zeit ein Problem.<br />

Denn zur ersten Freude etwa über einen<br />

neuen Job in den USA gesellte sich rasch<br />

ein Gefühl der Unsicherheit: Schließlich<br />

ließ sich nicht ohne Weiteres sagen, ob der<br />

neue Job außerhalb Deutschlands einen<br />

Aufstieg bedeutete oder zumindest auf der<br />

gleichen Karrierestufe angesiedelt war.<br />

Oder ob man sich gar verschlechterte.<br />

Denn bei dem bayrischen Automobilhersteller<br />

gab es einen bunten Strauß von<br />

Funktionsbewertungssystemen. In England,<br />

wo die Rolls-Royce- und Mini-Produktion,<br />

Motorenwerke sowie Vertriebsund<br />

Finanzorganisationen zum Unternehmen<br />

gehören, existierte eine Insellösung.<br />

Im Reich der Mitte hinkte das Job-Grading-<br />

System dem rasanten Wachstum von BMW<br />

China hinterher. Weltweit waren viele Führungspositionen<br />

erst gar nicht eingeordnet.<br />

Um die Führungspositionen für 106000<br />

Mitarbeiter global zu harmonisieren und<br />

Mitarbeiter durch mehr Transparenz und<br />

marktgerechte Bezahlung langfristig ans<br />

Unternehmen zu binden, engagierte der Autobauer<br />

aus München Mitte 2010 den Personal-<br />

und Vergütungsspezialisten Mercer.<br />

80 Referenzpositionen wurden so idealtypisch<br />

charakterisiert und mehr als 2000<br />

konkrete Stellen nach diesen Kriterien<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 89<br />

© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.


Management&Erfolg | Spezial<br />

»<br />

bewertet. Weil die Führungsstruktur<br />

nun weltweit nachvollziehbar ist und Mitarbeiter<br />

erkennen, wie die Stelle in der<br />

Nachbarabteilung oder ausländischen<br />

Niederlassung eingeordnet ist, wissen sie<br />

auch, ob ein Wechsel als Aufstieg gewertet<br />

werden kann.<br />

„Das neue Bewertungssystem fördert<br />

das Denken über Ressortgrenzen hinaus<br />

und ist die Grundlage für eine globale Personalentwicklung“,<br />

sagt Konzern-Personaler<br />

Johannes Trauth, Leiter des Bereichs<br />

Vergütung. „Die Umsetzung hat gut funktioniert,<br />

weil alle Beteiligten weltweit von<br />

Anfang an eingebunden wurden.“<br />

In der Pilotphase etwa diskutierten<br />

Deutsche, Malaysier mit Polen und Südamerikanern<br />

über die Bewertung von Positionen.<br />

Jury-Mitglied Axel Wachholz ist begeistert:<br />

„Eines der anspruchsvollsten Personalprojekte,<br />

die ich je gesehen habe.“<br />

astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />

Sieger Kategorie<br />

PERSONAL<br />

Projekt: Globale Harmonisierung<br />

der Personalbewertung<br />

Kunde: BMW<br />

Günter Schmidt (Mercer, links)<br />

Johannes Trauth (BMW)<br />

Exzellent: ICUnet<br />

Prämiert: Promerit<br />

PWC<br />

Minenfelder<br />

umschifft<br />

Von der Automatendreherei im Schwarzwald<br />

zum weltweit agierenden Spezialisten<br />

für Umformtechnik: Seit seiner Gründung<br />

im Jahr 1942 hatte sich Mittelständler Neumayer<br />

Tekfor im Laufe mehrerer Jahrzehnte<br />

zum erfolgreichen Automobilzulieferer<br />

gemausert, mit 3500 Mitarbeitern, Standorten<br />

und Aufträgen in der ganzen Welt.<br />

Doch im Sommer 2012 droht das Aus: In<br />

Südeuropa und Brasilien brechen die<br />

Märkte ein, die Gesellschafter sind zerstritten,<br />

das Unternehmen ist hoch verschuldet,<br />

die Zahlungsunfähigkeit droht.<br />

Nach der Bestandsaufnahme durch die<br />

Berater von PricewaterhouseCoopers beantragt<br />

das Management des Mittelständlers<br />

Insolvenz nach dem neuen Schutzschirmverfahren<br />

„Schon der Name indiziert, dass ein solches<br />

Verfahren weniger schädigend für Reputation<br />

und Kundenbeziehungen ist als<br />

ein reguläres Insolvenzverfahren“, sagt<br />

PricewaterhouseCoopers-Partner Joachim<br />

Englert.<br />

Die Jury<br />

ULRICH BECKER<br />

verantwortet als Managing Director<br />

den Bereich Fusionen und Zukäufe bei<br />

Credit Suisse<br />

THOMAS DEELMANN<br />

leitet die Strategieentwicklung bei T-Systems<br />

und lehrt als Professor für Corporate<br />

Management und Consulting an der BiTS-<br />

Hochschule in Iserlohn<br />

ALEXANDER MOSCHO<br />

Leiter Corporate Development bei Bayer<br />

Sieger Kategorie<br />

RESTRUKTURIERUNG<br />

Projekt: Unternehmensrettung<br />

durch Schutzschirmverfahren<br />

Kunde: Neumayer Tekfor<br />

Joachim Englert (PwC)<br />

Exzellent: Allianz Inhouse<br />

Consulting<br />

Prämiert: EnBW Inhouse Consulting<br />

Das damals größte deutsche Schutzschirmverfahren<br />

habe Vorbildfunktion –<br />

auch, weil PwC die Restrukturierung mit<br />

„hoher Detailgenauigkeit exzellent geplant<br />

und bis zum Schluss ohne Abweichungen<br />

durchgeführt hat“, bestätigt Insolvenzverwalter<br />

Joachim Exner, der das Schutzschirmverfahren<br />

als Interims-Geschäftsführer<br />

begleitet hat.<br />

Das Ergebnis nach wenigen Monaten:<br />

Die Schulden sinken, das Unternehmen ist<br />

wieder profitabel, alle Arbeitsplätze bleiben<br />

erhalten. Gezielt wird in neue Maschinen<br />

investiert, die Abläufe werden neu<br />

organisiert. „Dank PwC war das Unternehmen<br />

wieder etwas wert“, sagt Credit-<br />

Suisse-Manager und BoC-Jurymitglied<br />

Ulrich Becker. Auch in den Augen von<br />

Investoren: Im März 2013 übernahm der<br />

indische Komponentenhersteller Amtek<br />

den deutschen Mittelständler.<br />

„Ein erfolgreiches Projekt – trotz echter<br />

Minenfelder“, lobt BoC-Juror Becker die<br />

Berater, die neben Methoden- und Branchenkenntnissen<br />

auch die Fähigkeit gezeigt<br />

hätten, zwischen den Interessengruppen<br />

zu moderieren. „Das“ sagt Juror Becker,<br />

„war eine riesengroße Kraftanstrengung.“<br />

n<br />

astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />

PETER STROBEL<br />

Direktor der konzerninternen Beratungssparte<br />

der Deutschen Bank, zuständig für<br />

den Vergabeprozess zur Erteilung externer<br />

Beratungsmandate<br />

ROLAND TICHY<br />

Chefredakteur der WirtschaftsWoche<br />

AXEL WACHHOLZ<br />

verantwortet in der Geschäftsführung des<br />

mittelständischen Bad- und Armaturenherstellers<br />

Viega die Ressorts Finanzen<br />

und Informationstechnologie<br />

LARS WELLEJUS<br />

Professor für Betriebswirtschaftslehre an<br />

der Fachhochschule Frankfurt und Aufsichtsratsvorsitzender<br />

der European<br />

Technologies Holding<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PR, DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

90 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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PREISVERLEIHUNG<br />

Gipfel der Berater<br />

Mehr als 100 hochrangige Gäste von Beratungsunternehmen,<br />

aus Industrie und<br />

Wissenschaft feierten im Düsseldorfer Nobelhotel<br />

Hyatt Deutschlands beste Unternehmensberater.<br />

Die Sieger des von der<br />

WirtschaftsWoche ausgelobten Preises Best<br />

of Consulting (BoC), Deutschlands umfassendstem<br />

Ranking der Beraterindustrie:<br />

Boston Consulting genießt nach wie vor den<br />

besten Ruf in der Branche. Bester Wertsteigerer<br />

und Gesamtsieger wurden dieses Jahr<br />

aber die Berater von Porsche Consulting,<br />

die auch das am höchsten bewertete Projekt<br />

eingereicht hatten: Für den Kunden<br />

SAP entwickelte die Consulting-Tochter des<br />

Automobilherstellers eine neue Organisationsstruktur<br />

für die 15 000 Softwareentwickler,<br />

die Strukturen aus der Porsche-<br />

Montage auf die Arbeit der Programmierer<br />

überträgt. Und so die Entwicklungszeiten<br />

für neue Programme von 15 auf 6 Monate<br />

reduziert.<br />

Ziel des Wettbewerbs, der die Leistung<br />

der Consultants präzise misst: mehr Transparenz<br />

in eine verschwiegene Branche zu<br />

bringen. „Wir wollen den blinden Fleck<br />

lösen“, sagt Frank Höselbarth, Geschäftsführer<br />

der Markenberatungsagentur People<br />

Brand und Mitentwickler der BoC-Methode.<br />

„Und die heimlichen Stars der Branche ans<br />

Licht holen.“ Mehr Bilder vom Abend unter<br />

www.wiwo.de/boc2013/<br />

1 2<br />

3<br />

1|Galadinner im Hotel Hyatt, Düsseldorf<br />

2|Joachim Englert (PwC)<br />

3|Norbert Wittemann (PwC)<br />

4|Verena Barth (EnBW)<br />

5|Gerd Kerkhoff (Kerkhoff Consulting)<br />

6|Janina Klein (ICUnet)<br />

7|Dieter Kern (Mercer)<br />

8|Philip Wenzel (BMW)<br />

9|Roland Tichy (WirtschaftsWoche),<br />

Frank Höselbarth (People Brand),<br />

Wolfgang Lindheim (Porsche Consulting),<br />

Prof. Lars Wellejus (FH Frankfurt)<br />

FOTOS: ROBERT POORTEN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

6 7<br />

5<br />

4 8<br />

9<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 91<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse<br />

Nur nicht lockerlassen<br />

GESCHLOSSENE FONDS | Anleger, die sich an Immobilien, Windparks oder Schiffen beteiligt<br />

haben, stehen vielfach vor einem Scherbenhaufen. Häuser sind mieterlos, Windräder<br />

rosten vor sich hin, und Seefrachtraten stürzen ab. Wie die Fondsanbieter tricksen, um<br />

Investoren trotzdem bei der Stange zu halten. Wie sich Anleger wehren können.<br />

Christoph Schmidt sieht gar<br />

nicht aus wie ein Rebell. Der<br />

49-jährige Diplom-Mathematiker<br />

entspricht in vielen Details<br />

eher dem Klischeebild eines<br />

Hanseaten: korrekt nicht nur bei der Kleidung<br />

und ein wenig unterkühlt – so wie<br />

man die Hamburger kennt. Doch als er seine<br />

15 000 Euro und das <strong>Geld</strong> der anderen<br />

Anleger in einem 2005 aufgelegten, geschlossenen<br />

Fonds des Emissionshauses<br />

Wölbern Invest in Gefahr sah, verlor<br />

Schmidt seine Contenance. Wölbern versuchte<br />

über einen Liquiditätspool <strong>Geld</strong><br />

von einem Fonds in den anderen umzuschichten.<br />

Schnell organisierte Schmidt als<br />

2012 gewählter Anlegerbeirat den Widerstand<br />

gegen Wölbern: „Wir wollten verhindern,<br />

dass unser <strong>Geld</strong> aus dem Immobilienfonds<br />

Österreich 04 an notleidende<br />

Fonds verliehen wird“, sagt Schmidt.<br />

SELTENER SIEG<br />

Es kommt selten vor, dass sich Anleger gegen<br />

die Emittenten eines geschlossenen<br />

Fonds durchsetzen. Anders als Sparer in<br />

offenen Fonds, in die beispielsweise Aktien<br />

oder Anleihen eingekauft werden und die<br />

täglich an der Börse zu einem exakten und<br />

fairen Gegenwert verkauft werden können,<br />

tragen Investoren in geschlossenen Fonds<br />

ein unternehmerisches Risiko – bis hin<br />

zum Totalverlust. Geschlossen sind die<br />

Fonds deshalb, weil sie in der Regel eine<br />

Laufzeit zwischen 10 und 15 Jahren haben,<br />

währenddessen ein Ausstieg kaum oder<br />

nur zu hohen Abschlägen möglich und ein<br />

fairer Wert eher unbekannt ist.<br />

Trotz dieser Konstruktion haben deutsche<br />

Anleger in den vergangenen Jahren<br />

insgesamt rund 200 Milliarden Euro in<br />

solch riskante Portfolios gesteckt (siehe<br />

Grafik). In 1,9 Millionen Beteiligungen<br />

hängt das <strong>Geld</strong> fest; zuletzt legten Sparer<br />

im Schnitt 25 350 Euro pro Neubeteiligung<br />

an. Einfach aussteigen geht nicht: Als im<br />

vergangenen Jahr das Hamburger Emissionshaus<br />

MPC Capital vorübergehend in<br />

Schieflage geriet, konnten sich nur die Aktionäre<br />

in Sicherheit bringen.<br />

Anleger, die ihr <strong>Geld</strong> in geschlossene Beteiligungen,<br />

beispielsweise von MPC oder<br />

anderen Initiatoren, investiert haben, können<br />

dagegen ihre Anteile nur schwer losschlagen.<br />

Meist gelingt dies nur mit hohen<br />

Abschlägen.<br />

Wenn sie solche Notverkäufe vermeiden<br />

wollen, müssen sie sich mit ihren Anbietern<br />

herumschlagen, so wie die Anleger<br />

des Fonds Österreich 04. Die betroffenen<br />

Anleger des Österreich-Fonds leisteten<br />

Anlegergelder einbetoniert<br />

In welcheVermögenswerte geschlossene<br />

Fondsinvestieren (inProzent)<br />

PrivateEquity<br />

Lebensversicherung<br />

Energie 4,5<br />

Flugzeuge<br />

Leasing<br />

7,4<br />

3,7 3,4<br />

4,0<br />

14,2<br />

Gesamt:<br />

195<br />

Milliarden<br />

Euro*<br />

25,8<br />

Schiffe<br />

Sonstige<br />

37,0<br />

*inklusive Fremdkapital;Quelle:BSI Bundesverband<br />

Sachwerteund Investmentvermögen<br />

Immobilien<br />

auch deshalb Widerstand gegen den Liquiditätspool,<br />

weil sie vermuten, dass sie<br />

nachträglich bereits getätigte Transfers absegnen<br />

sollen.<br />

IN DEN BEIRAT GEBOXT<br />

Denn in einem aktuellen Schreiben von<br />

Wölbern an die Anleger heißt es, dass sie<br />

den „in diesem Zusammenhang stehenden<br />

durchgeführten vorbereitenden Maßnahmen<br />

und Transaktionen“ zustimmen<br />

sollen. Zudem befürchten viele Anleger,<br />

dass bisher intakte Fonds in den Sog maroder<br />

Beteiligungen geraten könnten. Wölbern<br />

schreibt dazu: „Dennoch kann ein<br />

Ausfall einzelner oder mehrerer teilnehmender<br />

Darlehensnehmer nicht ausgeschlossen<br />

werden...“ Wölbern gab bis<br />

Redaktionsschluss dazu keine Stellungnahme<br />

ab.<br />

Mathematiker Schmidt boxte sich 2012<br />

in den Anlegerbeirat des Österreich 04.<br />

Seither geht dieser gegen den Ursprungsgeschäftsführer<br />

vor: Es geht um angeblich<br />

ungültige Beschlüsse, manipulierte Wahlen<br />

und verweigerte Daten. Nach vorläufig<br />

zwölf Prozessen vornehmlich an Hamburger<br />

Gerichten haben die Anleger des<br />

Österreich 04 ein Etappenziel erreicht: Der<br />

Geschäftsführer wurde geschasst.<br />

Umstrittene Vorgänge wie bei den<br />

Fondsinitiatoren S&K, deren Chefs sich<br />

derzeit in Untersuchungshaft befinden,<br />

und Fairvesta (WirtschaftsWoche 42/2013)<br />

tragen nicht gerade zum Vertrauen in die<br />

Branche der Beteiligungsfonds bei.<br />

Verschärfte gesetzliche Regeln, Überkapazitäten<br />

bei Schiffen etwa oder die gekürzte<br />

Solarförderung in Deutschland machen<br />

den Anbietern geschlossener<br />

»<br />

FOTO: ANNA-LENA MUTTER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

92 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Zäher Kämpfer<br />

Mathematiker Schmidt setzte sich im<br />

Kleinkrieg um ungültige Beschlüsse,<br />

manipulierte Wahlen und verweigerte<br />

Daten gegen den Initiator seines<br />

Fonds durch<br />

3500 Anleger haben in<br />

den Immobilienfonds Wölbern<br />

Österreich 04 investiert<br />

15 000 von<br />

176 Millionen Euro zahlte<br />

Christoph Schmidt<br />

12 Prozesse haben die<br />

Gesellschafter des Fonds<br />

bisher gegen Wölbern geführt<br />

93<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse<br />

Abgehängt Laue Lüftchen statt<br />

starker Brise machen Windparkfonds<br />

zum Verlustgeschäft<br />

»<br />

Fonds bereits das Leben schwer. Das<br />

Berliner Research-Haus Scope rechnet daher,<br />

dass die Fonds dieses Jahr 40 Prozent<br />

weniger Anlegerkapital einwerben als<br />

2012. Einen Teil der Probleme haben sich<br />

die Initiatoren selbst eingebrockt. Zwar<br />

war die Finanzkrise nicht vorherzusehen.<br />

Aber es war leichtfertig, das Wachstum<br />

von Mieten oder Frachtraten linear fortzuschreiben.<br />

100 NOTVERKÄUFE<br />

Insbesondere Schiffsfonds sind in einen<br />

Abwärtsstrudel geraten. Weil der Leitindex<br />

Baltic Dry zur Messung der Frachtraten seit<br />

Ende 2009 zeitweise um zwei Drittel eingebrochen<br />

ist, kommen immer mehr Schiffe<br />

unter den Hammer. Das Hamburger Analyseunternehmen<br />

Deutsche Fonds Research<br />

zählte allein im ersten Halbjahr<br />

2013 rund 100 Notverkäufe von Schiffen,<br />

die von geschlossenen Fonds finanziert<br />

wurden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr<br />

zuvor wurden insgesamt nur 86 Schiffe<br />

ausgemustert. In diesem Jahr erwischte es<br />

die Hamburger Schiffsfondsanbieter GHF<br />

und EEH Elbe (siehe Tabelle Seite 96).<br />

Dass den Überlebenden der Beteiligungsbranche<br />

nun oft das Wasser bis zum<br />

Hals steht, zeigt der Fall des Dortmunder<br />

Beteiligungshauses Dr. Peters. Das forderte<br />

von seinen Investoren bereits geleistete<br />

Ausschüttungen aus einem Schiffsfonds<br />

zurück.<br />

Zwei Anleger weigerten sich und klagten<br />

erfolgreich bis zum Bundesgerichtshof. Allein<br />

der Umstand, dass die Beträge unabhängig<br />

von einem erwirtschafteten Gewinn<br />

ausgeschüttet wurden, lässt keinen<br />

Rückzahlungsanspruch entstehen, urteilten<br />

die Richter (II ZR 73 11 und II ZR 74 11).<br />

Nach den BGH-Urteilen meldete der Dr.<br />

Peters jedoch für mehrere Schiffsfonds Insolvenz<br />

an.<br />

Auch Gertrud Wiesinger* könnte mit ihren<br />

Beteiligungen Schiffbruch erleiden.<br />

Die Selbstständige erbte 2004 von einem<br />

verstorbenen Verwandten aus Italien rund<br />

70 000 Euro. Das <strong>Geld</strong> wollte die über<br />

70-jährige Frankfurterin für ihre Altersvorsorge<br />

zurücklegen. <strong>Ihr</strong>e Hausbank empfahl<br />

drei geschlossene Fonds, zwei von Wölbern<br />

(Holland 52, Real Estate Deutschland<br />

01) und einen weiteren von MPC (Sachwert<br />

Rendite Fonds Holland 50). Anfangs<br />

lief es durchaus rund, die Fonds zahlten<br />

pünktlich ihre Ausschüttungen. Von 2011<br />

an gab es jedoch kein <strong>Geld</strong> mehr. Wiesinger<br />

soll nun ebenfalls bereits erhaltene Gewinne<br />

zurückzahlen, um die Fonds zu stützen.<br />

Dagegen geht die Unternehmerin nun<br />

anwaltlich vor.<br />

Die Rückzahlungsforderungen der Initiatoren<br />

gehen vor allem auf den Druck der<br />

»Der Ton gegenüber<br />

den Anlegern<br />

wird rauer«<br />

Alexander Schaal, Kanzlei von Buttlar<br />

Banken zurück, die um ihre Kredite fürchten.<br />

„Der Ton gegenüber den Anlegern<br />

wird rauer“, sagt Anwalt Alexander Schaal<br />

in der Kanzlei von Buttlar in Stuttgart. Wo<br />

früher gebeten wurde, werde jetzt gefordert.<br />

Anderenfalls, so die Drohung, sei der<br />

Totalverlust der Einlage nicht mehr zu verhindern.<br />

BANKER GREIFEN ZUERST ZU<br />

Banken, die über Kredite Schiffe oder<br />

Windparks mitfinanzieren, haben über ihre<br />

Sicherheiten wie etwa Hypotheken als<br />

erste Zugriff auf die Vermögenswerte des<br />

Fonds. Deshalb müssen Anleger bei einem<br />

Notverkauf von Schiffen, Flugzeugen oder<br />

Immobilien mit hohen Verlusten rechnen.<br />

Fatal für Investoren: Die Fondsmacher<br />

bringen einzelne Pleiten nicht in Bedrängnis.<br />

Denn deren Vertrieb hat die Provision –<br />

oft mehr als zehn Prozent – längst kassiert,<br />

die Projektierungskosten sind eingefahren,<br />

und die Verwaltungsgebühren sind auch<br />

dann weiter geflossen, während der Fonds<br />

schon Verluste machte. Allerdings sind die<br />

Anleger nicht völlig wehrlos. Der Gesetzgeber,<br />

Gerichtsurteile und nicht zuletzt die<br />

Gesellschafterverträge setzen eigenmächtigen<br />

Initiatoren inzwischen harte Grenzen.<br />

Es dauerte allerdings bis Juli dieses Jahres,<br />

ehe der Gesetzgeber den geschlossenen<br />

Fonds einen rechtlichen Rahmen verpasste.<br />

Nach dem neuen Kapitalanlagegesetzbuch<br />

(KAGB) müssen Fondsanbie-<br />

»<br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

FOTO: A1PIX/MATTHIAS KRÜTTGEN<br />

94 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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WARNSIGNALE<br />

Gefährliche Sonderrechte<br />

Wo Fallen in den Gesellschafterverträgen für geschlossene Fonds liegen<br />

können, welche Investments Anleger möglichst meiden sollten.<br />

Initiatoren haben große Freiheiten beim<br />

Aufsetzen eines Gesellschaftsvertrags,<br />

der rechtlichen Grundlage für geschlossene<br />

Fonds. Viele nutzen diese zu ihren<br />

Gunsten. Scheinbar harmlose Klauseln<br />

können dramatische Folgen für die Anleger<br />

haben. So werden ihre Rechte auf Gesellschafterversammlungen<br />

beschnitten,<br />

die Arbeit von Beiräten blockiert oder<br />

umstrittene Beschlüsse durchgedrückt.<br />

GESCHÄFTSZWECK<br />

Ein geschlossener Fonds ist zwar eine unternehmerische<br />

Beteiligung, kann aber<br />

nicht handeln wie ein Unternehmen. <strong>Ist</strong><br />

das Investitionsobjekt nicht mehr gefragt<br />

– zuletzt waren es vor allem Containerschiffe<br />

–, gerät der Fonds unweigerlich in<br />

Schieflage. Wer anlegt, sollte überhitzte<br />

oder krisenanfällige Branchen meiden.<br />

BLINDANLAGEN<br />

Bei Auflage des Fonds ist nicht bekannt,<br />

in welche Objekte, etwa Immobilien oder<br />

Schiffe, investiert wird (Blind-Pool).<br />

Anleger können das Risiko ihres Investments<br />

nicht abschätzen. Tipp: Blind-<br />

Pools meiden. Geschäftsberichte sollte<br />

das Emissionshaus zeitnah veröffentlichen.<br />

Zudem sollte der Initiator eine lückenlose<br />

Leistungsbilanz vorlegen können.<br />

Hat der Initiator bereits eine Reihe<br />

von Fonds aufgelegt, deren Anteile am<br />

Zweitmarkt für geschlossene Fonds<br />

(www.zweitmarkt.de) mit hohen Abschlägen<br />

gehandelt werden oder die bereits<br />

abgewickelt wurden, dann sollte das ein<br />

Warnsignal sein.<br />

HOHE KOSTEN<br />

Vorsicht, wenn Vertrieb, Verwaltung und<br />

Dienstleister mehr als 15 Prozent des investierten<br />

Kapitals schlucken.<br />

MEHRHEITSVERHÄLTNISSE<br />

Je größer der Fonds und je niedriger die<br />

Mindestanlagesumme ist, desto mehr Gesellschafter<br />

gibt es – und desto schwieriger<br />

wird es, eine Mehrheit zu organisieren. Um<br />

eine Gesellschafterversammlung einberufen<br />

zu können, sind je nach Vertrag zwischen<br />

10 und 40 Prozent der Anteile am<br />

Fonds nötig. Anleger sollten Fonds meiden,<br />

die ein Quorum von mehr als 20 Prozent erfordern.<br />

Gefährlich sind auch Sonderstimmrechte<br />

für Initiatoren und Klauseln,<br />

nach denen Geschäftsführer nur mit<br />

75-prozentiger Mehrheit abgewählt werden<br />

können. So können Gesellschafter Geschäftsführer,<br />

die nicht im Interesse der<br />

Anleger handeln, kaum loswerden.<br />

Bank<br />

prüftBilanzen<br />

gibt Kredite gegen<br />

Hypothek<br />

BEIRAT<br />

Wenn ein Fonds einen Beirat vorsieht, ist<br />

das grundsätzlich positiv. Allerdings sollten<br />

diese Beiräte ausschließlich von den<br />

Gesellschaftern gewählt werden. Fonds,<br />

bei denen der Initiator einen der beiden<br />

Beiräte stellt, sind mit Vorsicht zu genießen.<br />

Beiräte dürfen Gesellschafterversammlungen<br />

einberufen, allerdings nur,<br />

wenn sie sich einig sind.<br />

VERSAMMLUNG<br />

Bei Fonds, die auch Abstimmungen übers<br />

Internet erlauben, ist es nahezu unmöglich,<br />

umstrittene Beschlüsse zu verhindern.<br />

Kritisch sind auch Klauseln, denen<br />

zufolge nur der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung<br />

leiten darf. So<br />

kann er sich weigern, über Anträge von<br />

Anlegern abstimmen zu lassen.<br />

INTERESSENKONFLIKT<br />

Einige Initiatoren beauftragen über den<br />

Fonds Dienstleister, mit denen sie privat<br />

und geschäftlich verbunden sind. Es besteht<br />

das Risiko, das Anlegergelder für<br />

überteuerte Leistungen verschwendet<br />

werden. Anleger sollten Fonds meiden,<br />

bei denen Interessenkonflikte drohen.<br />

Im Netz der <strong>Geld</strong>sammler<br />

So funktioniertein geschlossener Fonds*<br />

Emissionshaus (Initiator)<br />

legt den Fonds auf und sammelt die Anlegergelder ein<br />

Geschäftsbesorgungsvertrag<br />

Fondsgesellschaft<br />

(Komplementärin)<br />

investiertbeispielsweise<br />

in Immobilien, Flugzeuge oder Windparks,<br />

zahlt Gewinne als Ausschüttungen<br />

an die Anleger aus, erstellt<br />

Geschäftsberichte<br />

martin.gerth@wiwo.de, daniel schönwitz<br />

Fondsgeschäftsführer<br />

wirdvom Initiator<br />

eingesetzt, steuertoperativ<br />

den Fonds, beruftGesellschafterversammlungen<br />

ein und stellt Vorschläge<br />

zur Abstimmung<br />

AUSSCHÜTTUNGEN<br />

Geschlossene Fonds sollten eigentlich nur<br />

ausschütten, wenn Gewinne anfallen. Anfangs<br />

machen sie jedoch Verluste. Um die<br />

Anleger bei der Stange zu halten, schütten<br />

einige trotz Verlusten aus. Diese gewinnunabhängigen<br />

Ausschüttungen können<br />

die Initiatoren gegebenenfalls später<br />

zurückfordern. Verdächtig sind Klauseln,<br />

nach denen Ausschüttungen an Anleger<br />

„als Darlehen“ verbucht werden können.<br />

Wirtschaftsprüfer<br />

Gesellschaftsvertrag<br />

regelt, welche<br />

Rechte und<br />

Pflichten die<br />

Anleger haben<br />

Anleger (Kommanditist)<br />

zahlen in den Fonds ein, können, soweit es der<br />

Initiator zulässt, über die Gesellschafterversammlung<br />

mitbestimmen<br />

Treuhänder<br />

überwacht Mittelverwendung<br />

des Fonds<br />

Treuhandvertrag<br />

Beirat<br />

soll die Arbeit des Fondsgeschäftsführers<br />

kontrollieren<br />

und die Interessen der<br />

Anleger vertreten<br />

Gesellschafterversammlung<br />

fasst Beschlüsse, wählt den Beirat, kann<br />

Fondsgeschäftsführer abwählen oder<br />

Wirtschaftsprüfer bestellen<br />

*das Gros der geschlossenen Fonds firmiertals GmbH &Co. KG, Komplementär haftet mit gesamtem Vermögen,<br />

Kommanditist nur mit der Einlage; Quelle: eigene Recherche<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 95<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse<br />

Entfrachtet<br />

Kapazitäten weit oberhalb<br />

des Notwendigen drückten<br />

Schiffsbeteiligungen tief<br />

unter Wasser<br />

»<br />

ter neuerdings eine interne Revision<br />

einrichten und vor allem eine Bank oder<br />

eine Treuhandfirma engagieren, welche<br />

die Ein- und Auszahlungen des Fonds<br />

überwacht. Und sie sollen bewerten, „ob<br />

Kauf- und Verkaufspreise der Assets – Immobilien<br />

oder Schiffe – angemessen sind“,<br />

erklärt Frank Herring, Partner der Kanzlei<br />

Allen & Overy in Frankfurt. Zudem müssen<br />

Anbieter geschlossener Fonds bis zum<br />

21. Juli 2014 eine Zulassung bei der Bundesanstalt<br />

für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />

(BaFin) beantragen. Nur wer als<br />

Fondsmanager bestimmte Mindestkriterien,<br />

etwa Zuverlässigkeit und berufliche<br />

Qualifikation, erfüllt, soll künftig von den<br />

BaFin-Aufsehern als Anbieter zugelassen<br />

werden.<br />

Milliarden im Pleitestrudel<br />

Welche Anbieter geschlossener Fonds<br />

in diesem Jahr Insolvenz anmeldeten,<br />

wie viel Anlegergeld in Gefahr ist<br />

Emissionshaus<br />

DCM<br />

GHF<br />

EEH Elbe<br />

S&K Sachwerte<br />

Investments<br />

Immobilien<br />

Schiffe<br />

Schiffe<br />

Immobilien<br />

* nur Eigenkapital; Quelle: eigene Recherchen<br />

Anlagevolumen<br />

in Mio. Euro<br />

4700<br />

2600<br />

100*<br />

100<br />

UNVERSTÄNDLICHER SCHUTZ<br />

Das Problem: Wer als Initiator weniger als<br />

100 Millionen Euro Anlegerkapital verwaltet,<br />

muss die neuen Vorgaben nicht erfüllen.<br />

Das sei „unter Anlegerschutzgesichtspunkten<br />

unverständlich“, sagt Herring.<br />

Hinzu kommt: Das KAGB enthält kaum<br />

Vorgaben zu Gesellschafterverträgen, in<br />

denen zahlreiche gefährliche Klauseln<br />

schlummern. „Hier müsste die Bundesregierung<br />

für klare Standards sorgen“, fordert<br />

Patrick Elixmann, Anlegeranwalt bei der<br />

Kanzlei Göddeke in Siegburg. Damit können<br />

die Anbieter weiterhin die Verträge<br />

mehr oder weniger frei gestalten. Anleger<br />

sollten vor einem möglichen Investment<br />

den Gesellschaftsvertrag streng prüfen<br />

(siehe Kasten Seite 95). Wichtig ist auch,<br />

wie die Lasten einer Sanierung verteilt<br />

sind. Kritisch wird es, wenn ausschließlich<br />

die Anleger mit ihrem Eigenkapital zur<br />

Kasse gebeten werden, die Bank sich mit<br />

ihrem Kredit dagegen schadlos hält.<br />

Geht es hart auf hart, dann ist eine Abwahl<br />

der Geschäftsführer oft die einzige<br />

Chance für Anleger, um noch an ihr <strong>Geld</strong><br />

zu kommen. „Geschäftsführer und Anleger<br />

Leinen los<br />

DieNotverkäufe beiSchiffsfonds<br />

steigendramatisch*<br />

9 11<br />

25<br />

41 43<br />

57<br />

I. II. III. IV. I. II.<br />

2012<br />

2013<br />

*Anzahl der Schiffe;<br />

Quelle:DeutscheFondsresearch<br />

haben in der Regel entgegengesetzte Interessen“,<br />

moniert der Berliner Anlegeranwalt<br />

Timo Gansel.<br />

Anleger von Windkraftfonds, die zwischen<br />

1997 und 2005 aufgelegt wurden,<br />

wissen das sehr gut. Denn obwohl die meisten<br />

Fonds wegen teurer Reparaturen an<br />

den Anlagen und falscher Windprognosen<br />

schlecht laufen – rund 60 Prozent von ihnen<br />

liegen unter Plan, schätzt Christian Herz<br />

vom Windparkmanager Ökofair Energie –,<br />

versuchen Geschäftsführer selten, das Ruder<br />

noch herumzureißen. Eine Option wäre,<br />

ineffiziente Windräder durch neuere zu<br />

ersetzen. Solange aber die Verwaltungsgebühren<br />

erfolgsunabhängig fließen, haben<br />

die Fonds keinen wirklichen Anreiz, um ein<br />

besseres Konzept zu entwickeln.<br />

ERMITTLUNGEN AUF EIGENE FAUST<br />

Wittern die Fondsgeschäftsführer allerdings<br />

Meuterei, schlagen sie mit juristischen<br />

Mitteln hart zurück. Bis vor zwei Jahren<br />

verweigerten viele Initiatoren, Daten<br />

der übrigen Gesellschafter weiterzugeben.<br />

Der Widerstand konnte sich so nicht organisieren.<br />

Erst als der Bundesgerichtshof<br />

2011 den Anspruch der Gesellschafter auf<br />

die Daten anderer Anleger bestätigte, bröckelte<br />

der Widerstand der Emissionshäuser<br />

(BGH II ZR 187/09). Trotz BGH-Entscheid<br />

weigerte sich Wölbern unter Hinweis<br />

auf den Datenschutz aber bis heute,<br />

die Daten der übrigen Anleger an den geprellten<br />

Christoph Schmidt weiterzuleiten.<br />

Schmidt ließ sich dadurch aber nicht<br />

entmutigen und ermittelte auf eigene Faust<br />

FOTO: SHOTSHOP/SCOUT<br />

96 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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„einzelne Namen mühsam über Handelsregisterauszüge“.<br />

Inzwischen weist Wölbern<br />

in Schreiben an die Anleger auf die<br />

Urteile des BGH hin. Andere Initiatoren<br />

schreckt die Rechtsprechung des BGH offenbar<br />

immer noch nicht. Diese Erfahrung<br />

macht zumindest Anlegeranwalt Elixmann:<br />

„Ich musste bei mehreren Windkraftfonds<br />

die Herausgabe von Adressen<br />

erst gerichtlich durchsetzen.“<br />

Allein mit den Adressen anderer Teilhaber<br />

ist noch nicht viel gewonnen. Zur Rebellion<br />

gewillte Anleger müssen danach<br />

erst noch die schwerste Hürde nehmen –<br />

eine Mehrheit gegen die Fondsgeschäftsführung<br />

zu gewinnen. Laut Gesellschaftervertrag<br />

sind oft 75 Prozent der Anteilseigner<br />

notwendig, um einen neuen Geschäftsführer<br />

installieren zu können (siehe<br />

Kasten Seite 95). Erschwerend kommt hinzu,<br />

das sich manche Initiatoren bei Auflage<br />

der Fonds solche Gesellschafter ins Boot<br />

»Selbst eindeutige<br />

Beschlüsse werden<br />

angefochten«<br />

Patrick Elixmann, Kanzlei Göddeke<br />

holen, von denen keine große Opposition<br />

zu erwarten ist. So werden beispielsweise<br />

gerne Chefs von Finanzvertrieben beteiligt<br />

– sie haben kein Interesse, den Geschäftsführer,<br />

der sie nährt, abzusetzen. „Fondsanbieter<br />

wollen unbedingt vermeiden,<br />

dass Anleger Einfluss nehmen können“,<br />

sagt Anwalt Gansel.<br />

Aber nicht immer gelingt das. Tapfer<br />

kämpften im vergangenen Jahr 175 Anleger<br />

gegen das Management des Windparks<br />

Erfurt-Möbisburg. Ein großer Teil des Anlegergelds<br />

ging für Vertrieb, Verwaltung und<br />

weitere Nebenkosten drauf. Die Gesellschafter<br />

schafften es, eine Mehrheit zu organisieren<br />

und setzten im Mai 2011 den<br />

Geschäftsführer und Ventimotor-Chef Stephan<br />

Hloucal ab. An seine Stelle rückte der<br />

unabhängige Windparkmanager Ökofair<br />

Energie Mettmann.<br />

Hloucal zog gegen den Beschluss der<br />

Gesellschafter bis vors Oberlandesgericht<br />

Jena, aber ohne Erfolg (2 U 650/11). Derartige<br />

Streitfälle häufen sich: „Selbst eindeutige<br />

Gesellschafterbeschlüsse werden immer<br />

wieder angefochten“, berichtet Elixmann,<br />

der die Möbisburg-Anleger beraten<br />

hat. Beim Windpark Amesdorf-Wellen<br />

»<br />

RECHT & STEUERN<br />

Nicht filmreif<br />

Welche Ansprüche Anleger bei<br />

geschlossenen Fonds haben und wie<br />

sie ihr <strong>Geld</strong> noch retten können.<br />

TRANSPARENZ<br />

Geschlossene Fonds müssen die Namen<br />

und Anschriften der übrigen Anleger gegenüber<br />

Gesellschaftern offenlegen, um<br />

einen Informationsaustausch zu gewährleisten.<br />

Dies entschied der Bundesgerichtshof<br />

in mehreren Urteilen (II ZR<br />

187/09, II ZR 134/11). So können Anleger<br />

Mehrheiten für Beschlüsse auch gegen<br />

den Willen des Fondsgeschäftsführers<br />

organisieren.<br />

NACHSCHUSSPFLICHT<br />

Anleger haften bei einem als Kommanditgesellschaft<br />

konzipierten Fonds nur mit<br />

ihrer Einlage. Eine automatische Nachschusspflicht<br />

gibt es nicht. Ausnahme:<br />

Schüttet der Fonds unabhängig von Gewinnen<br />

aus, kann der Initiator dieses <strong>Geld</strong><br />

zurückfordern. Dies gilt aber nur, wenn<br />

diese Ausschüttungen laut Gesellschaftsvertrag<br />

ausdrücklich als Darlehen gewährt<br />

werden (Bundesgerichtshof, II ZR<br />

73 11, II ZR 74 11). Ohne diese Klausel,<br />

so entschieden die Richter, dürfen die<br />

Anleger die Ausschüttungen behalten<br />

oder zu Unrecht überwiesenes <strong>Geld</strong> zurückverlangen.<br />

Anders sieht es bei einem<br />

Fonds aus, der als Gesellschaft bürgerlichen<br />

Rechts (GbR) konstruiert ist. Bei einer<br />

GbR haften die Gesellschafter auch<br />

mit ihrem gesamten Vermögen.<br />

MITSPRACHERECHTE<br />

Initiatoren dürfen nicht eigenmächtig Immobilien<br />

oder Schiffe verkaufen – auch<br />

nicht bei einem Liquiditätsengpass. Sie<br />

brauchen dazu eine Mehrheit der Anleger.<br />

Wie groß der Anteil sein muss, steht<br />

im Gesellschaftervertrag. Vor einem Beschluss<br />

haben die Gesellschafter Anspruch<br />

auf Informationen über die aktuelle<br />

Geschäftsentwicklung. Zwei bis drei<br />

Jahre alte Geschäftsberichte sind keine<br />

ausreichende Entscheidungsgrundlage.<br />

SCHADENSERSATZ<br />

Wenn ein geschlossener Fonds kriselt,<br />

besteht gegenüber Beratern, Bank oder<br />

Fonds unter Umständen ein Anspruch auf<br />

Schadensersatz oder die Rückabwicklung<br />

des gesamten Geschäfts. Ansprüche können<br />

bestehen:<br />

n wenn der Berater Provisionen gar nicht<br />

oder nicht detailliert genug offengelegt<br />

hat. Selbst wenn der Prospekt die Vergütung<br />

und deren Empfänger korrekt angibt,<br />

muss der Berater darüber aufklären;<br />

n wenn der Fonds als risikoloses Investment<br />

für die Altersvorsorge beworben<br />

wurde, obwohl es sich um eine unternehmerische<br />

Beteiligung handelt, bei der<br />

Anleger ihren Einsatz verlieren können;<br />

n wenn der Initiator zum Nachteil der<br />

Anleger Geschäfte mit eigenen Firmen<br />

gemacht hat. Dies ist etwa der Fall, wenn<br />

eine Reederei Schiffe überteuert an hauseigene<br />

Fonds verkauft, ohne dass dies im<br />

Prospekt steht;<br />

n wenn das <strong>Geld</strong> zweckentfremdet wurde.<br />

So sammelte beispielsweise die Commerzbank<br />

<strong>Geld</strong> für Medienfonds ein, das aber<br />

nur zu einem kleinen Teil in die Produktion<br />

von Spielfilmen floss;<br />

n wenn der Prospekt falsche Angaben<br />

enthält, etwa über die Höhe der Kosten<br />

oder über unternehmerische Risiken;<br />

n wenn von der Gesellschafterversammlung<br />

beschlossene Änderungen der<br />

Geschäftsgrundlagen juristisch angreifbar<br />

sind. Dazu gehören beispielsweise der<br />

zeitweise Verzicht auf Mieten oder die<br />

Verpflichtung, <strong>Geld</strong> in einen kriselnden<br />

Fonds nachzuschießen.<br />

VERJÄHRUNG<br />

Ansprüche auf Schadensersatz gegen<br />

Vermittler, Fonds oder Bank verjähren<br />

nach drei Jahren. Die Frist läuft am Ende<br />

des Jahres an, in dem Anleger von der<br />

Falschberatung oder dem Prospektfehler<br />

hätten wissen müssen. Dieser Zeitpunkt<br />

kann je nach Einzelfall auch erst viele Jahre<br />

nach Vertragsschluss eingetreten sein.<br />

Nur wenn die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit<br />

beruht, besteht kein Anspruch<br />

auf Schadensersatz.<br />

VERLUSTVERRECHNUNG<br />

Anfangsverluste des Fonds lassen sich<br />

nur mit Gewinnen aus der geschlossenen<br />

Beteiligung verrechnen. Das Finanzamt<br />

akzeptiert allerdings nur Verluste bis zur<br />

Höhe der Einlage. Zweifelt das Finanzamt<br />

an der Gewinnerzielungsabsicht des<br />

Fonds, weil dieser nur Verluste produziert,<br />

muss der Anleger die Steuervorteile<br />

nachträglich zurückerstatten.<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 97<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse<br />

»<br />

in Sachsen-Anhalt hätten die Anleger<br />

auf jeder Gesellschafterversammlung in<br />

den zurückliegenden drei Jahren die Geschäftsführer<br />

erneut abwählen müssen,<br />

weil vorherige Absetzungsbeschlüsse angefochten<br />

worden waren, berichtet Elixmann.<br />

Dies habe eine wahre Prozessflut<br />

ausgelöst. Ruhe hätten die Anleger wohl<br />

erst, wenn der Fall vor dem Bundesgerichtshof<br />

lande landen würde.<br />

Schmidt und seine Mitstreiter sind davon<br />

nicht mehr weit entfernt. Im Juli hat<br />

das Landgericht Hamburg eine einstweilige<br />

Verfügung gegen die Absetzung des<br />

Fondsgeschäftsführers abgewiesen.<br />

Der Fall Wölbern zeigt auch exemplarisch,<br />

um was es vielen kriselnden Emissionshäusern<br />

geht: um einen Verkauf des<br />

Restvermögens, im Fall von Wölbern um<br />

die Immobilien.<br />

Je mehr Fondsanleger einem Verkauf der<br />

Immobilien zustimmen, desto schneller<br />

wäre der Hamburger Initiator seine Altlasten<br />

los und könnte mit neuen Produkten<br />

wieder höhere Gebühreneinnahmen in die<br />

eigene Bilanz schaufeln.<br />

NRW-REGIERUNG MAUERT<br />

Ähnlich sieht in es Düsseldorf aus. Bei<br />

Westfonds, einer Tochter der beiden<br />

WestLB-Nachfolgegesellschaften Portigon<br />

und Erste Abwicklungsanstalt, fürchten<br />

Anleger, dass die Firmengruppe das<br />

Fondsgeschäft möglichst schnell abwickeln<br />

will – und dafür sogar bereit ist, die<br />

Immobilien zulasten der Anleger unter<br />

Wert zu verkaufen. Nachdem kritische Anleger<br />

des von Westfonds aufgelegten Fonds<br />

RWI 25 alle übrigen Gesellschafter angeschrieben<br />

haben und so das nötige 25-Prozent-Quorum<br />

für eine außerordentliche<br />

Gesellschafterversammlung erreicht hatten,<br />

verschickte Westfonds ebenfalls ein<br />

Rundschreiben – verbunden mit der Bitte,<br />

die Zustimmung zurückzuziehen (WirtschaftsWoche<br />

16/2013). Wie es mit der Büroimmobilie<br />

in Düsseldorf nun weitergehen<br />

soll, ist offen. Von der NRW-Landesregierung<br />

als ehemalige Patronin der WestLB<br />

können die Anleger keine Hilfe erwarten.<br />

Sollte Westfonds gegen Anlegerinteressen<br />

verstoßen haben, stünde den Betroffenen<br />

der Rechtsweg offen, so die Landesregierung.<br />

Für ein Eingreifen der Politik sehe sie<br />

keine Notwendigkeit. Die Landesregierung<br />

bestreitet zudem, dass die von Westfonds<br />

gehaltenen Immobilien unter Zeitdruck<br />

verramscht werden müssten.<br />

Notverkäufe aus geschlossenen Fonds<br />

haben einen, wenn auch überschaubaren<br />

Unter Wasser<br />

Durchschnittskurse am Zweitmarktfür<br />

geschlossene Fonds(2013,inProzent)*<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

Immobilien<br />

*umohneVerlusteherauszukommen,<br />

müssten Anleger 100Prozent erzielen;<br />

Quelle:FondsbörseHannover<br />

Schiffe<br />

J F M A M J J A S<br />

2013<br />

Vorteil: <strong>Geld</strong> fließt relativ schnell zurück.<br />

Allerdings ist der Preis dafür ein Erlös, der<br />

in der Regel deutlich unter dem Marktwert<br />

liegt. Denn Kaufinteressenten wissen um<br />

die Not der Verkäufer und verhandeln den<br />

Preis der Objekte hart nach unten.<br />

Ove Franz, Ex-Vorstand der Wölbern<br />

Bank, der selbst noch eine halbe Million<br />

Euro in zwei Immobilienfonds seines ehemaligen<br />

Arbeitgebers stecken hat, stimmte<br />

trotzdem einem Notverkauf des Immobilienfonds<br />

Holland 56 zu. „Wir sahen keine<br />

Alternative, weil die Mietverträge für die<br />

Fondsimmobilien 2014 ausgelaufen wären“,<br />

sagt Franz.<br />

Allerdings sind die Ertragsaussichten<br />

nicht für alle Fonds gleichermaßen<br />

schlecht. Wo die Perspektiven besser sind,<br />

lohnt es sich, um die Weiterführung des<br />

Fonds zu kämpfen – oder zumindest um eine<br />

geordnete Abwicklung des Portfolios.<br />

Wenn der Fonds nicht mehr zu retten ist,<br />

bleiben Anlegern immer noch zwei Alternativen:<br />

entweder dass komplette Geschäft<br />

per Klage rückabwickeln zu lassen oder die<br />

Fondsanteile auf dem Zweitmarkt zu verkaufen.<br />

ANLAGEBERATER HAFTEN<br />

<strong>Ist</strong> ein Emissionshaus insgesamt in Schieflage<br />

geraten, dann sollten sich die Anleger<br />

vornehmlich an die Banken und Anlageberater<br />

wenden, die ihnen die geschlossenen<br />

Fonds verkauft haben. Deren Berater haben<br />

ihre Kunden bisweilen nicht hinreichend<br />

auf Risiken hingewiesen oder auch<br />

Provisionen (Kick-Backs) verschwiegen.<br />

Der Erbin Wiesinger etwa hatte der Bankberater<br />

die riskanten Beteiligungen empfohlen,<br />

obwohl sie kundgetan hatte, eine<br />

sichere Altersvorsorge zu suchen.<br />

98 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Auch vom Risiko, die komplette Einlage<br />

zu verlieren, hätte ihr der Bankberater<br />

nichts gesagt, sagt sie. Juristen sprechen in<br />

solchen Fällen von Falschberatung (siehe<br />

Kasten Seite 97).<br />

Jeder Anleger muss <strong>dabei</strong> für sich allein<br />

kämpfen. „Wird in einem Fall ein Anlageberater<br />

wegen Falschberatung zu Schadensersatz<br />

verurteilt, dann heißt das nicht,<br />

dass auch alle anderen Kunden, die den<br />

Fonds bei der Bank gekauft haben, ihr <strong>Geld</strong><br />

zurückbekommen“, sagt Adrian Wegel, Anwalt<br />

in der Kanzlei Bouchon Hemmerich &<br />

Partner in Frankfurt.<br />

FOTO: LAIF/HOLLANDSE HOOGTE<br />

NACH DREI JAHREN VERJÄHRT<br />

Die Richter schauen sich jeden Fall genau<br />

an. Wie ist die Beratung gelaufen? Wie viel<br />

Erfahrung hat der Anleger mit riskanten<br />

Kapitalanlagen? Wann hätte der Bankkunde<br />

die Falschberatung erkennen können?<br />

Schließlich sind Schadensersatzansprüche<br />

in der Regel nach drei Jahren verjährt.<br />

Anleger sollten sich deshalb genau prüfen,<br />

bevor sie klagen. Denn ohne eine<br />

Rechtsschutzversicherung oder einen Prozessfinanzierer<br />

sprengen die Kosten des<br />

Verfahrens spätestens in der zweiten Instanz<br />

den Rahmen eines Kleinanlegers.<br />

Zudem besteht immer noch die Gefahr,<br />

dass der Anleger den Prozess verliert, denn<br />

nicht alle Gerichte sind gleichermaßen anlegerfreundlich.<br />

Dann müssen die Kläger<br />

auch noch die Anwaltskosten der Gegenseite<br />

tragen.<br />

Bei einem geringen Streitwert, schmalem<br />

<strong>Geld</strong>beutel und einem schwer kalkulierbaren<br />

Prozessrisiko kann ein Verkauf<br />

Amsterdamer Scheinriese Kriselnde Holland-<br />

Fonds investierten in überhitzten Markt<br />

über den Zweitmarkt für geschlossene<br />

Fonds die bessere Alternative sein. Allerdings<br />

lassen sich die Fondsanteile anders<br />

als etwa Aktien nicht per Mausklick losschlagen.<br />

Denn der von den Börsen Hamburg,<br />

Hannover und München betriebene Zweitmarkt<br />

für geschlossene Beteiligungen ist<br />

nicht sehr liquide. Im vergangenen Jahr<br />

setzte er lediglich 146 Millionen Euro um,<br />

die sich auf etwa 4300 Geschäfte verteilten.<br />

Am Zweitmarkt nehmen wenige Interessenten<br />

die Anteile meist nur gegen hohe<br />

Abschläge ab.<br />

So liegt der Durchschnittskurs der am<br />

Zweitmarkt gehandelten Schiffsbeteiligungen<br />

bei knapp 20 Prozent (siehe Grafik<br />

links). Bei Immobilienfonds liegt der Kurs<br />

zwischen 40 und 50 Prozent.<br />

Anleger müssen also spitz rechnen, was<br />

sich lohnt: entweder die bereits gezahlten<br />

Ausschüttungen zu behalten und den<br />

Fonds am Zweitmarkt mit Verlust zu verkaufen<br />

– oder weiter <strong>Geld</strong> nachzuschießen<br />

und auf einen höheren Erlös bei einem<br />

späteren Verkauf der Sachwerte zu hoffen.<br />

NOTAUSSTIEG VERSCHLOSSEN<br />

Für Anleger in Wölbern-Fonds ist der Notausstieg<br />

über den Zweitmarkt jedoch verschlossen:<br />

Derzeit sind die Fondsanteile<br />

vom Handel ausgesetzt. Den Betroffenen<br />

bleibt also nur, juristisch für ihre Interessen<br />

zu kämpfen.<br />

n<br />

martin.gerth@wiwo.de, daniel schönwitz | geld@wiwo.de<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse<br />

Grünschnabel Batterien von<br />

GS Yuasa als Laderaum auch<br />

für Nutzfahrzeuge<br />

Hochspannung fürs Depot<br />

AKTIEN | Hochleistungsbatterien sollen in Zukunft Millionen Elektroautos antreiben und Solarstrom<br />

speichern. Das verspricht glänzende Geschäfte. Anleger sollten aber auf der Hut sein.<br />

Batterien und Akkus werden immer<br />

kleiner: In Smartphones beispielsweise<br />

stecken heute Energiespeicher,<br />

die früher ein Vielfaches an Platz benötigt<br />

hätten. Batterien werden aber auch<br />

immer voluminöser: Die derzeit größte findet<br />

sich in einer mehr als fußballfeldgroßen<br />

Industriehalle in der chinesischen<br />

Provinz Hebei, südwestlich von Peking.<br />

Gebaut hat den größten stationären<br />

Speicher der Welt der Elektroautohersteller<br />

BYD in Zusammenarbeit mit der State Grid<br />

Corporation. Seit 2012 nutzt das chinesische<br />

Energieunternehmen als Netzbetreiber<br />

die Kapazität von 36 Megawattstunden,<br />

um Sonnenenergie aus einem Solarpark<br />

zwischenzuspeichern.<br />

Versorgungslücken von Wind- und Sonnenenergie<br />

sollen sich mit Batterien überbrücken<br />

lassen, wenn einmal Flaute<br />

herrscht oder Wolken den Himmel verhängen<br />

– ob mit Megawatt-Ungetümen oder<br />

im kleinen Stil für private Solaranlagen.<br />

TESLA VERDRÄNGT VW GOLF<br />

Im großen Stil versuchen zunehmend Automobilkonzerne,<br />

mit Batterien ihre neuen<br />

Elektroautos anzutreiben.<br />

So erwartet Thomas Weber, Entwicklungschef<br />

bei Mercedes, dass insbesondere<br />

in der Kompaktklasse „die Elektromobilität<br />

eine tragende Rolle spielen“ wird (WirtschaftsWoche<br />

42/2013). Dank staatlicher<br />

Kaufprämien, Steuererleichterungen und<br />

»Wir könnten<br />

noch eine lange<br />

Einführungsphase<br />

durchmachen«<br />

JinMing Liu, Ardour Capital<br />

anderen Privilegien ist die Akzeptanz der<br />

Stromer bei den Autokäufern in einigen<br />

Ländern Europas, Asiens und auch in den<br />

USA inzwischen deutlich gestiegen. So<br />

wurden im September in Norwegen bereits<br />

mehr Exemplare des Tesla Model S neu zugelassen<br />

als vom bisherigen Bestseller VW<br />

Golf. In Deutschland zündet die Elektromobilität<br />

hingegen noch nicht so richtig –<br />

bis Ende Januar waren hierzulande nur<br />

rund 7100 Elektroautos zugelassen. Hohe<br />

Fahrzeugkosten, bescheidene Reichweiten<br />

der Fahrzeuge und die Weigerung Berlins,<br />

den Kauf derartiger Fahrzeuge zu fördern,<br />

erschweren die Verbreitung der E-Mobile.<br />

Immerhin wächst das Angebot mit dem<br />

BMW i3 und dem VW e-Up. Und das große<br />

Ziel bleibt bestehen: Bis 2020 soll eine<br />

Million Autos mit reinem Elektroantrieb<br />

oder mit einer Kombination aus Verbrennungs-<br />

und Elektromotor zugelassen sein<br />

und Deutschland zum Leitanbieter für<br />

Techniken der Elektromobilität werden.<br />

Auch wenn die hehren Ziele nicht erreicht<br />

werden sollten – dass das Auto der<br />

Zukunft elektrisch fährt, steht inzwischen<br />

kaum mehr infrage. Für die gesamte Fahrzeugindustrie<br />

hat dies weitreichende Folgen:<br />

Zuliefererstrukturen ändern sich,<br />

neue Anbieter treten auf den Plan. Vor allem<br />

Hersteller von Hochleistungsbatterien<br />

erwarten glänzende Geschäfte, von denen<br />

auch Anleger profitieren können. „Wir sehen<br />

einen starken Wachstumssektor, der<br />

2015 bis 2017 abheben wird“, sagt Steve<br />

Minnihan, Energieanalyst von Lux Research<br />

in New York.<br />

Anleger, die in diesem Sektor investieren<br />

wollen, brauchen allerdings Mut und einen<br />

langen Atem. Denn: „Es kann sein, dass wir<br />

noch eine lange Einführungsphase der<br />

Technologien durchmachen müssen“, sagt<br />

JinMing Liu von Ardour Capital in New<br />

York. Der Erfolg hänge davon ab, „inwieweit<br />

die Regierungen Speicherobjekte unterstützen<br />

werden, wie sich die Elektroautobranche<br />

entwickelt und wie groß der<br />

Einfluss der Produzenten aus Asien wird“.<br />

Bis 2030 könnten die Batteriehersteller<br />

nach einer Schätzung der Boston Consulting<br />

Group (BCG) weltweit fast 300 Milliarden<br />

Euro mit dem Verkauf von Energiespeichern<br />

umsetzen. „Rund ein Drittel davon<br />

wird bis 2020 realisiert werden, sodass<br />

sich in den nächsten Jahren deutlich zwei-<br />

FOTO: KALMAR MOTOR AB<br />

100 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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stellige Wachstumsraten auf die heute<br />

noch recht kleine absolute Basis ergeben“,<br />

sagt Holger Rubel, BCG-Energieexperte in<br />

Frankfurt.<br />

Anleger setzen auch – ähnlich wie einst<br />

bei Solar – auf den starken Staat. In China<br />

etwa erfahren die Hersteller erheblich politische<br />

Unterstützung, denn die Stromspeicher<br />

sollen den Ausbau der erneuerbaren<br />

Energien unterstützen. Im September entschloss<br />

sich die chinesische Regierung<br />

auch, wie schon in den vergangenen Jahren,<br />

den Kauf von Elektroautos für Privatkunden<br />

weiterhin zu subventionieren.<br />

Und Wachstum verspricht nicht nur die<br />

Elektromobilität, sondern auch der Einsatz<br />

von Batterien zur stationären Speicherung<br />

von Strom. In den USA legte die kalifornische<br />

Regierung in diesem Jahr fest, bis 2020<br />

gut 1,3 Gigawatt an Speicherkapazität zu<br />

schaffen – auf die bei einem Blackout zugegriffen<br />

werden könnte. Das entspricht etwa<br />

der Nennleistung eines Kernkraftwerks.<br />

DEUTSCHE TITEL NICHT NOTIERT<br />

Im texanischen Notrees errichteten Ingenieure<br />

dafür – ähnlich wie in China – schon<br />

einen riesigen stationären Batteriespeicher<br />

für eine Windkraftanlage. „In Deutschland<br />

macht es ökonomisch nur in netzfernen<br />

Gebieten Sinn, so große Anlagen zu bauen,<br />

die längerfristig speichern können – sonst<br />

wird es unwirtschaftlich“, sagt Otmar Frey,<br />

Geschäftsführer des Batterieverbands im<br />

Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie.<br />

Seit Mai dieses Jahres fördert<br />

die staatliche Frankfurter KfW in<br />

Deutschland aber bereits Speicher für<br />

Strom, den Solaranlagen auf dem heimischen<br />

Dach generieren. „Die Speicher sind<br />

schon effizient einsetzbar“, sagt Frey. „Sie<br />

eignen sich, um Energieschwankungen<br />

aufzufangen, aber nicht, um langfristig<br />

Energie zu speichern.“<br />

»Wir sehen einen<br />

Wachstumssektor,<br />

der 2015 bis 2017<br />

abheben wird«<br />

Steve Minnihan, Lux Research<br />

Wer in die Branche investieren möchte,<br />

muss sich im Ausland umsehen. Deutsche<br />

Hersteller von Stationärspeichern wie etwa<br />

Kolibri Power Systems aus Berlin sind nicht<br />

börsennotiert, der sächsische Anbieter Litec<br />

ist ein Gemeinschaftsunternehmen<br />

von Daimler und Evonik – und Bosch ist eine<br />

Stiftung.<br />

Der chinesische E-Autohersteller BYD,<br />

der eigene Batterien fertigt und als größter<br />

Produzent auf dem chinesischen Markt<br />

gilt, bietet hingegen eine Investmentchance.<br />

Berkshire Hathaway, die Holding von<br />

Investorenlegende Warren Buffett, hält<br />

über ihre Tochter Mid-American zehn Prozent<br />

an BYD. Mit einem geschätzten Kurs-<br />

Gewinn-Verhältnis (KGV) von 79 für 2013<br />

ist die Aktie aber sehr teuer.<br />

Das Risiko: Auch die BYD-Akkus scheinen<br />

noch nicht ausgereift zu sein. In Hongkong<br />

geriet kürzlich ein Ladekabel in<br />

Brand, als ein Elektroauto zum Laden an<br />

der Steckdose hing. Nach solchen Unfällen<br />

fallen naturgemäß die Kurse, nicht nur bei<br />

BYD. Anfang Oktober zog der kalifornische<br />

Top-E-Autohersteller Tesla den Sektor<br />

nach unten, nachdem ein Fahrzeug plötzlich<br />

Feuer gefangen hatte. Wie sich später<br />

herausstellte, war ein Eisenteil in die Batterie<br />

eingeschlagen.<br />

Auch der japanische Anbieter GS Yuasa<br />

kam Anfang des Jahres in Erklärungsnot,<br />

nachdem an Bord von Boeings neuem<br />

Dreamliner die Lithium-Ionen-Batterien<br />

zu schmoren angefangen hatten. Mit den<br />

Batterien wird das Stromnetz des Fliegers<br />

betrieben. Im Frühjahr loderte dann erneut<br />

eine Yuasa-Batterie, diesmal während<br />

eines Autotests auf dem Gelände des Geschäftspartners<br />

Mitsubishi. Der Kurs des<br />

japanischen Batterieherstellers rutschte<br />

daraufhin um 17 Prozent ab. Wer sich davon<br />

nicht schrecken lässt – derartige Kurseinbrüche<br />

sind gute Kaufgelegenheiten.<br />

GS Yuasa hat seit den Zwischenfällen an<br />

der Frankfurter Börse wieder kräftig angezogen,<br />

der Kurs stieg seit dem Crash von<br />

3,12 auf 4,58 Euro. Und das BYD-Papier notiert<br />

aktuell auf einem Zwölf-Monats-Hoch<br />

(siehe Chart).<br />

KONSERVATIVE ALTERNATIVE<br />

Eine konservative Alternative zu den recht<br />

teuer bewerteten asiatischen Aktien ist das<br />

Papier des US-Herstellers Enersys, das nur<br />

den geschätzt 18-fachen Jahresgewinn kostet<br />

(siehe Tabelle Seite 102). Das Unternehmen<br />

ist Weltmarktführer für klassische<br />

Bleibatterien für Industrieanwendungen,<br />

entwickelt aber auch Lithium-Ionen-Akkus.<br />

Im letzten Geschäftsjahr per 31. März<br />

konnte Enersys den Nettogewinn um 16<br />

Prozent steigern, obwohl der Umsatz bei<br />

2,3 Milliarden Dollar stagnierte.<br />

Ebenfalls moderat bewertet die Börse<br />

den französischen Batterieproduzenten<br />

SAFT, der unter anderem den Airbus A350<br />

mit Stromspeichern ausstattet. SAFT hat<br />

im französischen Nersac eine Fabrik für Lithium-Ionen-Akkus<br />

errichtet, die in Elektromobilen<br />

und Autos mit Hybridantrieb<br />

zum Einsatz kommen – beliefert werden<br />

von hier unter anderem Mercedes, BMW<br />

und Skoda. Wegen der Überkapazitäten im<br />

Markt stehen die Preise solcher Batterien<br />

inzwischen stark unter Druck, was dem<br />

»<br />

Elektrisch getrieben mit leichten Aussetzern<br />

DieKurse vonBYD,Polypore undSAFTseit einemJahr (inEuro)<br />

3,5<br />

BYD<br />

34<br />

Polypore<br />

21<br />

SAFT<br />

3,0<br />

2,5<br />

32<br />

30<br />

20<br />

19<br />

2,0<br />

28<br />

18<br />

1,5<br />

26<br />

17<br />

2012 2013 2012 2013<br />

2012 2013<br />

logarithmisch;Quelle:Bloomberg;Stand:17. Oktober 2013<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 101<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse<br />

»<br />

Cleveres Herzstück Tesla baut auf Energiespeichern<br />

von Panasonic seine Karossen<br />

Vernehmen nach die Fertigung<br />

in Nersac unrentabel<br />

macht. Johnson Controls hatte<br />

sich deshalb schon 2011<br />

von dem Gemeinschaftsunternehmen<br />

verabschiedet.<br />

Richtig was für Zocker ist<br />

die Aktie von China Bak Battery.<br />

Das Unternehmen frisst,<br />

wie viele seiner Konkurrenten,<br />

für die Entwicklung der<br />

Batterietechnik große Mengen<br />

Kapital. Laut letztem Quartalsbericht<br />

hat das Unternehmen, dessen Marktwert<br />

bei nur 37 Millionen Dollar liegt, „signifikante“<br />

kurzfristige Schulden in Höhe von<br />

etwa 150 Millionen Dollar.<br />

Sollte eine Umschuldung nicht funktionieren,<br />

drohe die Pleite und eine teilweise<br />

Verpfändung von Anlagen, so lautete die<br />

Risikoeinschätzung des Managements von<br />

China Bak schon im Jahresbericht 2012.<br />

Außerdem bestehe die Gefahr, dass finanzielle<br />

Restriktionen die Entwicklung neuer<br />

Produkte aufhalten und den Konzern gegenüber<br />

der Konkurrenz weit zurückwerfen<br />

könnten. Da die chinesische Regierung<br />

ihre Speicherunternehmen aber dem Anschein<br />

nach bis auf Weiteres stützt, könnte<br />

die China-Bak-Aktie dennoch eine hochspekulative<br />

Chance bieten. Seit Mitte Mai<br />

hat sich der Kurs aber bereits vervierfacht.<br />

Ähnlich riskant ist Polypore, ein Hersteller<br />

für Mikromembranen, der rund drei<br />

Viertel seines Umsatzes im Bereich Energiespeicherung<br />

macht. Die Polypore-<br />

Membranen werden in Batterien eingebaut,<br />

um Kurzschlüsse zu vermeiden. „Polypore<br />

ist natürlich ein kleines Unternehmen<br />

mit einem sehr spezialisierten Produktionsbereich“,<br />

sagt Analyst Minnihan,<br />

„entweder sie werden wahnsinnig profitieren<br />

oder pleitegehen.“ Im vergangenen<br />

Jahr machte Polypore neue Schulden in<br />

Höhe von 696 Millionen Dollar, bei einem<br />

Umsatz von 717 Millionen Dollar und einem<br />

Mittelzufluss aus dem operativen Geschäft<br />

von 104 Millionen Dollar. Der muss<br />

deutlich steigen, sonst dürfte es für das Unternehmen<br />

kaum reichen, dauerhaft Investitionen,<br />

Zins und Tilgung zu stemmen.<br />

FONDS HOLT AUF<br />

Die Polypore-Aktien stecken zum Beispiel<br />

auch im von Invesco aufgelegten Indexfonds<br />

Powershares WilderHill Clean Energy<br />

Portfolio ETF (ISIN US73935X5005), der<br />

zehn Prozent der Kundengelder in Energiespeicherunternehmen<br />

verwaltet. Nach<br />

Verlusten von rund drei Vierteln<br />

seit 2008 startete der<br />

Fonds dieses Jahr eine Aufholjagd<br />

mit einem Plus von bis<br />

dato rund 25 Prozent.<br />

Wem solche Auf und Abs zu<br />

heiß sind, der investiert lieber<br />

in große Industriekonzerne,<br />

die nur einen kleinen Teil ihres<br />

Geschäfts mit Batterien machen.<br />

Der US-Gigant General<br />

Electric zum Beispiel erwartet<br />

für seinen 2012 geschaffenen Energiespeicherbereich<br />

in wenigen Jahren einen Umsatz<br />

von einer Milliarde Dollar, was 0,7 Prozent<br />

der aktuellen Gesamterlöse ausmachen<br />

würde.<br />

Die asiatischen Elektronikriesen wie<br />

Samsung, Panasonic und Sony machen<br />

Teile ihres Geschäfts mit Lithium-Ionen-<br />

Batterien. Der kalifornische Elektroautohersteller<br />

Tesla setzt für seine Modelle auf<br />

Batteriezellen von Panasonic und verhandelt<br />

aktuell mit Samsung SDI über neue<br />

Zulieferverträge. Samsung stellt die Batterien<br />

für den BMW i3 her. Der Umsatz von<br />

Panasonic im Automobilsegment stieg im<br />

Geschäftsjahr 2013 um 20 Prozent und<br />

macht bereits ein Zehntel des Konzernumsatzes<br />

aus.<br />

Grundsätzlich verhalten sich Samsung<br />

und Panasonic noch vorsichtig. „Wenn sie<br />

sehen, dass die Bedingungen stimmen,<br />

werden auch die Elektronikriesen das Segment<br />

pushen und davon profitieren“, sagt<br />

Speicherexperte Minnihan.<br />

n<br />

sebastian kirsch | geld@wiwo.de<br />

<strong>Geld</strong> speichern<br />

Welche Aktien aus dem Batteriesektor für Anleger interessant sind, wie ihre wichtigsten Kennzahlen aussehen<br />

Unternehmen<br />

Enersys<br />

BYD<br />

Polypore<br />

SAFT<br />

GS Yuasa<br />

Land<br />

USA<br />

China<br />

USA<br />

Frankreich<br />

Japan<br />

ISIN<br />

US29275Y1029<br />

CNE100000296<br />

US73179V1035<br />

FR0010208165<br />

JP3385820000<br />

Kurs<br />

(in Euro)<br />

48,22<br />

3,62<br />

31,40<br />

22,49<br />

4,58<br />

2232<br />

10067<br />

1403<br />

578<br />

1948<br />

Börsenwert<br />

Unternehmenswert<br />

1<br />

(in Millionen Euro)<br />

1 Börsenwert plus Nettofinanzschulden/minus Nettoliquidität; 2 geschätzt; 3 1 = niedrig, 10 = hoch; Quelle: Bloomberg; Stand: 17. Oktober 2013<br />

2197<br />

12466<br />

1924<br />

705<br />

2569<br />

Umsatz<br />

2013 2<br />

1764<br />

6258<br />

498<br />

621<br />

2576<br />

Kurs-Gewinn-<br />

Verhältnis<br />

2013/14 2<br />

18/17<br />

79/49<br />

31/21<br />

17/13<br />

23/17<br />

Dividendenrendite<br />

(in Prozent) 2<br />

0,4<br />

0,0<br />

0,0<br />

3,4<br />

1,3<br />

Chance/<br />

Risiko 3<br />

4/3<br />

7/6<br />

7/7<br />

5/4<br />

6/6<br />

Kommentar<br />

Weltmarktführer für Industrie-Batterien, daher nicht<br />

viel Fantasie, aber auch überschaubare Risiken.<br />

Aufträge an deutschen Börsen eng limitieren.<br />

Hersteller von E-Autos mit eigenem Batteriesegment,<br />

Warren Buffett hält zehn Prozent an BYD. Reger<br />

Handel an deutschen Börsen.<br />

Hochspezialisierter Zulieferer, aber abhängig von<br />

Entwicklung auf dem Elektroautomarkt. Aktie wird in<br />

New York besser als in Frankfurt gehandelt.<br />

Französischer Batteriespezialist, der auch die<br />

Luftfahrtindustrie beliefert. Orders am besten limitiert<br />

an die Nyse Euronext Paris geben.<br />

Wie SAFT Lieferant für Flugzeugbatterien. Exemplare<br />

von GS Yuasa gerieten im Boeing 787 Anfang 2013<br />

aber in Brand. Orders nach Frankfurt mit Limit.<br />

FOTO: BLOOMBERG NEWS/NOAH BERGER<br />

102 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse | Steuern und Recht<br />

PRIVATKREDIT<br />

Steuervorteil<br />

für Kollegen<br />

ENERGIEVERORDNUNG<br />

Alte Heizungen müssen raus<br />

Immobilieneigentümer und Bauherren werden zum Energiesparen verdonnert.<br />

Die Bundesregierung hat strengere Energiesparregeln<br />

beschlossen. Hauseigentümer müssen bis<br />

2015 alle vor 1985 eingebauten Heizungen gegen<br />

neue Geräte austauschen. Bislang galt die Austauschpflicht<br />

nur für vor 1978 eingebaute Heizkessel.<br />

Die Änderungen sollen voraussichtlich<br />

vom 1. Mai 2014 an greifen. Von der Austauschpflicht<br />

ausgenommen sind zwar betagte, aber<br />

dennoch effiziente Heizungen (Brennwertkessel<br />

und Niedertemperaturheizkessel). Gleichzeitig<br />

müssen Bauherren bei Neubauten stärker auf<br />

Energieeffizienz achten. Die Anforderungen an<br />

den maximal erlaubten Primärenergiebedarf<br />

werden in zwei Stufen (in den Jahren 2014 und<br />

2016) um jeweils 12,5 Prozent gesenkt. Der maximal<br />

erlaubte Wärmeverlust durch die Gebäudehülle<br />

sinkt für neue Gebäude dann um jeweils<br />

zehn Prozent. Für bestehende Gebäude haben<br />

diese Verschärfungen keine Relevanz. Ob die<br />

Energiesparregeln eingehalten werden, kontrollieren<br />

zum Beispiel die Schornsteinfeger. Verstöße<br />

werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Die<br />

nun verschärften Regeln der Energieeinsparverordnung<br />

können indirekt auch Auswirkungen<br />

auf die Immobilienfinanzierung haben. So bekommen<br />

Bauherren besonders günstige Kredite<br />

der staatlichen Förderbank KfW nur, wenn sie die<br />

Regeln der Verordnung noch übertreffen. Je nach<br />

Kredit dürfen Neubauten nur 70, 55 oder 40 Prozent<br />

des laut Verordnung zulässigen Energiebedarfs<br />

haben, damit die Bauherren Anspruch auf<br />

die Förderung haben.<br />

Ein Steuerberater nahm einen<br />

Mitstreiter in seine Beratungsgesellschaft<br />

auf. Die 57 500 Euro<br />

Einstiegssumme finanzierte der<br />

über einen Kredit vom Altgesellschafter.<br />

Das Finanzamt berechnete<br />

dem Kreditgeber auf<br />

die Zinserträge seinen persönlichen<br />

Steuersatz, nicht den<br />

niedrigeren Abgeltungsteuersatz.<br />

Begründung: Als Kollegen<br />

stünden sich die beiden nahe;<br />

außerdem übe der Altgesellschafter<br />

einen beherrschenden<br />

Einfluss auf den neuen Anteilseigner<br />

aus. Für Kredite an nahestehende<br />

Personen ist immer<br />

dann der persönliche Steuersatz<br />

fällig, wenn der Schuldner<br />

seine Ausgaben als Werbungskosten<br />

oder Betriebsausgaben<br />

absetzen kann. So sollen Steuerzahler<br />

Einkünfte nicht der<br />

normalen Besteuerung entziehen<br />

können. Sonst könnten sie<br />

mit gezielter Kreditaufnahme<br />

Einkünfte als Zinsausgaben auf<br />

einen anderen Steuerzahler<br />

verschieben, der darauf nur Abgeltungsteuer<br />

zahlt. Das Finanzgericht<br />

Münster lehnte die<br />

höhere Besteuerung hier jedoch<br />

ab (4 K 718/13 E, Revision<br />

möglich): Die Kollegen stünden<br />

sich nicht nahe. Ob der Altgesellschafter<br />

im Unternehmen<br />

beherrschenden Einfluss habe,<br />

sei für den Kredit unerheblich.<br />

RECHT EINFACH | Zugluft<br />

Gänsehaut kann vor Gericht führen<br />

– zumindest wenn Mieter<br />

frieren, weil es in ihrer Wohnung<br />

zieht wie Hechtsuppe.<br />

§<br />

Unbehaglich. Eine Familie<br />

aus Brandenburg logierte in<br />

einem ausgebauten Dachstuhl.<br />

Problem: Im Bad zog<br />

der Wind durch Fenster, Wasseranschlüsse<br />

und Steckdosen. Die<br />

Familie minderte die Miete. Zu<br />

Recht: Ein Sachverständiger bescheinigte,<br />

dass die Dämmung<br />

nicht den Standards entspreche.<br />

Die gemessene Luftgeschwindigkeit<br />

liege außerhalb des „Behaglichkeitshorizontes“.<br />

Bis zur Behebung<br />

des Problems, so die Richter, dürfe<br />

die Miete im Winter um zehn, im<br />

Frühjahr und Herbst um fünf Prozent<br />

gemindert werden (Amtsgericht<br />

Brandenburg, 31 C 279/11).<br />

Altbau. Ein Karlsruher liebte das<br />

historische Ambiente, er mietete einen<br />

Altbau aus Kaisers Zeiten. Die<br />

hohen Fenster und Flügeltüren gefielen<br />

ihm sehr. Beim Vermieter beschwerte<br />

er sich jedoch über einen<br />

„leichten Windhauch“, der besonders<br />

an kalten Tagen Frösteln verursache.<br />

Als der Hausbesitzer die<br />

nötigen Abdichtungsmaßnahmen<br />

verweigerte, zog der Mieter vor<br />

Gericht. Ohne Erfolg. Ein Bausachverständiger<br />

bescheinigte<br />

dem Mietobjekt in einem Gutachten<br />

einen seinem „Alter und seiner<br />

Konstruktion“ entsprechenden<br />

Zustand (Landgericht<br />

Karlsruhe, 9 S 157/05).<br />

Bruchbude. Ein Berliner minderte<br />

seine Miete um zehn Prozent.<br />

Grund: Die Fenster seien undicht.<br />

Vor Gericht musste der Mieter<br />

trotzdem die volle Miete zahlen.<br />

Die Richter schlossen sich der<br />

Argumentation des Vermieters an:<br />

Demnach waren die Schäden<br />

bereits beim Einzug „deutlich erkennbar“<br />

gewesen. Fazit: Gemietet<br />

wie besichtigt (Landgericht<br />

Berlin, 63 S 338/10).<br />

FOTOS: IMAGETRUST/MARKUS MATZEL, PRESSEBUERO ROTH, PR<br />

104 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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WERBUNGSKOSTEN<br />

Neue Regeln für Auswärtstätigkeit<br />

SCHEIDUNG<br />

Wille muss eindeutig sein<br />

Ein an Alzheimer erkrankter Senior<br />

heiratete eine 20 Jahre jüngere<br />

Frau. Nach acht Monaten<br />

trennten sich die beiden. Die<br />

mittlerweile eingesetzte Betreuerin<br />

des Mannes reichte die<br />

Scheidung ein. Doch die Noch-<br />

Ehefrau setzte sich dagegen zur<br />

Wehr. Sie behauptete, ihr Ehemann<br />

wolle an der Ehe festhalten.<br />

Die Richter am Oberlandesgericht<br />

Hamm lösten den<br />

Ehebund dennoch auf (3 UF<br />

43/13). Zwar habe der Mann<br />

zum Schluss der Verhandlung<br />

SCHNELLGERICHT<br />

GERINGERE KOSTEN FÜR NAMENSÄNDERUNG<br />

§<br />

Wollen Kunden nach einer Reisebuchung den Namen<br />

des Reisenden ändern, darf der Veranstalter<br />

ihnen nur die entstehenden Kosten berechnen. Das<br />

Landgericht München untersagte FTI Touristik die<br />

Verwendung einer Klausel, wonach „Mehrkosten von<br />

bis zu 100 Prozent des Reisepreises oder mehr anfallen“<br />

könnten (12 O 5413/13, nicht rechtskräftig).<br />

RENOVIERUNG TROTZ KRANKSCHREIBUNG<br />

§<br />

Renoviert ein wegen Herzproblemen krankgeschriebener<br />

Masseur während seiner Krankschreibung<br />

das Haus seiner Tochter, kann ihm fristlos gekündigt<br />

werden (Landesarbeitsgericht<br />

Rheinland-Pfalz, 10 Sa 100/13).<br />

wegen seiner fortgeschrittenen<br />

Demenz keinen Scheidungswillen<br />

mehr fassen können. Er habe<br />

jedoch im Vorfeld seinen<br />

Willen zu Trennung und Scheidung<br />

klar zum Ausdruck gebracht.<br />

Solange dieser Wille sicher<br />

feststellbar sei und die<br />

sonstigen Voraussetzungen für<br />

eine Scheidung, wie ein über<br />

ein Jahr langes Getrenntleben,<br />

erfüllt seien, stehe der Scheidung<br />

nichts im Wege. Dass die<br />

Ehefrau an der Ehe festhalten<br />

wolle, spiele dann keine Rolle.<br />

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat<br />

bei auswärts arbeitenden Angestellten<br />

wiederholt zugunsten<br />

der Steuerzahler entschieden.<br />

Nach einer Gesetzesänderung<br />

gelten die aktuellen Regeln aber<br />

nur noch dieses Jahr; Steuervorteile<br />

werden vom kommenden<br />

Jahr an in weniger Fällen zum<br />

Tragen kommen. In einem aktuellen<br />

Fall urteilten die Finanzrichter,<br />

dass ein Leiharbeitnehmer<br />

grundsätzlich über keine<br />

„regelmäßige Arbeitsstätte“ verfüge<br />

(VI R 43/12). Damit darf er<br />

beim Einsatz in einem neuen<br />

Unternehmen während der ersten<br />

drei Monate Verpflegungsmehraufwand<br />

von der Einkommensteuer<br />

abziehen und<br />

während des kompletten Einsatzes<br />

die Fahrtkosten in tatsächlicher<br />

Höhe als Werbungskosten<br />

absetzen. Damit blieben<br />

die Finanzrichter bei ihrer<br />

strengen Leitlinie, wonach es<br />

zum Beispiel nur eine einzige,<br />

regelmäßige Arbeitsstätte geben<br />

könne. Kommen Arbeitnehmer<br />

regelmäßig an verschiedenen<br />

Arbeitsstätten zum<br />

Einsatz, gilt damit oft keine dieser<br />

Arbeitsstätten als regelmäßige<br />

Arbeitsstätte. Auch hier ergeben<br />

sich Steuervorteile. Nach<br />

einer Änderung des Reisekostenrechts<br />

gelten von 2014 an<br />

andere Regeln. Der Gesetzgeber<br />

hat den Begriff der „regelmäßigen<br />

Arbeitsstätte“ gestrichen<br />

und durch den Begriff der<br />

„ersten Tätigkeitsstätte“ ersetzt.<br />

Das klingt harmlos, hat aber einige<br />

Folgen: So muss die „erste<br />

Tätigkeitsstätte“ nicht beim eigenen<br />

Arbeitgeber sein. Sind<br />

Arbeitnehmer dauerhaft einer<br />

ortsfesten betrieblichen Einrichtung<br />

zugeordnet, gilt diese<br />

als ihre „erste Tätigkeitsstätte“.<br />

Für ihre Fahrten dorthin gelten<br />

dann steuerliche Beschränkungen.<br />

So darf der Arbeitnehmer<br />

Fahrtkosten mit dem Auto nur<br />

mit 0,30 Euro Entfernungspauschale<br />

pro Kilometer der einfachen<br />

Entfernung absetzen.<br />

GRUNDERWERBSTEUER<br />

Belastung<br />

steigt weiter<br />

Die bei Bau oder Kauf einer Immobilie<br />

anfallende Grunderwerbsteuer<br />

soll 2014 vielerorts<br />

steigen. Am stärksten belastet<br />

werden Käufer in Schleswig-<br />

Holstein, wo statt 5,0 dann 6,5<br />

Prozent anfallen sollen. In Berlin<br />

soll sie von 5,0 auf 6,0 Prozent<br />

steigen; in Bremen von 4,5<br />

auf 5,0 Prozent. In den meisten<br />

Ländern werden 5,0 Prozent fällig.<br />

In Bayern und Sachsen beträgt<br />

die Steuer 3,5 Prozent.<br />

EX-MANN MUSS LOTTOGEWINN TEILEN<br />

§<br />

Selbst wenn Ehepartner seit acht Jahren getrennt<br />

leben, müssen sie einen Lottogewinn mit dem<br />

Partner teilen. Reichen sie die Scheidung erst nach<br />

dem Gewinn ein, bekommt der Partner die Hälfte<br />

(Bundesgerichtshof, XII ZR 277/12). Die Ex-Frau eines<br />

Gewinners bekam so 242 500 Euro zugesprochen.<br />

FREMDES LAUB IST HINZUNEHMEN<br />

§<br />

Fällt auf ein Grundstück viel Laub, das von einem<br />

Baum des Nachbarn stammt, kann der Eigentümer<br />

grundsätzlich eine Entschädigung verlangen.<br />

In einer „durchgrünten Wohngegend“ müssen Eigentümer<br />

das Laub jedoch ohne <strong>Geld</strong>ansprüche hinnehmen<br />

(Amtsgericht München, 114 C 31118/12).<br />

TELEFONVERTRAG<br />

REINHART LEENDERTZ<br />

ist Rechtsanwalt<br />

und<br />

Mediator<br />

in Sudwalde<br />

in Niedersachsen.<br />

n Welchen Unterschied<br />

macht es, ob ein Telefonvertrag<br />

im Geschäft, am<br />

Telefon oder im Internet<br />

abgeschlossen wird?<br />

Wer im Shop unterschreibt,<br />

hat kein Recht auf den 14-tägigen<br />

Widerruf. Das existiert nur<br />

bei Verträgen, die im Internet,<br />

telefonisch, per Fax oder an<br />

der Haustür geschlossen werden.<br />

Im Shop sollte der Kunden<br />

Fragen stellen und vor der<br />

Unterschrift das Vertragsmaterial<br />

zu Hause genau lesen.<br />

n <strong>Ist</strong> es telefonisch besser?<br />

Auch der Abschluss kann<br />

tückisch sein. Die Vertragsbestätigung,<br />

die der Kunde<br />

bekommt, enthält mitunter<br />

andere Details, als er mit<br />

dem Callcenter-Mitarbeiter<br />

besprochen und möglichst<br />

aufgeschrieben hat. Bei<br />

Unklarheiten rate ich, das<br />

Widerrufsrecht zu nutzen.<br />

n Wo lauern Fallen?<br />

Manche Festnetzverträge sind<br />

an einen weiteren Vertrag mit<br />

einem Drittanbieter gebunden,<br />

durch den die Kosten<br />

steigen. Ein Telefonvertrag<br />

läuft üblicherweise zwei Jahre,<br />

aber Gesellschaften können<br />

das frei wählen. Auch eine<br />

Kündigungsfrist ist nicht gesetzlich<br />

geregelt und frei verhandelbar,<br />

normal sind drei<br />

Monate zum Quartals- oder<br />

zum Laufzeitende. Der Kunde<br />

muss wissen, ab wann und zu<br />

welchem Termin er seinen<br />

Vertrag kündigen kann. Häufig<br />

versuchen Anbieter vor dem<br />

Laufzeitende einen neuen Vertrag<br />

abzuschließen. So beginnt<br />

die entsprechende Laufzeit<br />

erneut ohne zwischenzeitliche<br />

Kündigungsmöglichkeit.<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 Redaktion: niklas.hoyer@wiwo.de, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />

105<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse | <strong>Geld</strong>woche<br />

KOMMENTAR | Twitter will an der<br />

Börse mehr als zehn Milliarden<br />

Dollar wert sein – das ist eine<br />

ganze Menge. Von Stefan Hajek<br />

Wahnsinn?<br />

Ja, is’ denn schon wieder<br />

Jahr-2000-Boom?“ Frei<br />

nach Franz Beckenbauer<br />

kann man diese Frage<br />

derzeit mit einiger Berechtigung<br />

stellen. Der Dax stieg am<br />

Mittwoch auf ein Rekordhoch<br />

bei 8861 Punkten; der Dow<br />

Jones machte am selben Tag einen<br />

Sprung um 200 Punkte, als<br />

sich eine Einigung im US-Haushaltsstreit<br />

abgezeichnete. Die<br />

Stimmung für Börsengänge sei<br />

so gut wie seit drei Jahren<br />

nicht, sagen die Kapitalmarktforscher<br />

von Sentix. Die Hochstimmung<br />

der Anleger will nun<br />

Twitter nutzen, um seine Aktien<br />

unters zu Volk bringen. Vom 15.<br />

November an sollen zehn Prozent<br />

der Twitter-Aktien eine<br />

Milliarde Dollar einspielen. Der<br />

Kurznachrichtendienst käme<br />

auf eine Bewertung von zehn<br />

Milliarden Dollar. Wahnsinn?<br />

Auf den ersten Blick: Ja. Mit gewöhnlichen<br />

Bewertungsmaßstäben<br />

wie Kurs-Umsatzoder<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnis jedenfalls<br />

ist das Phänomen Twitter<br />

nicht zu greifen, die liegen<br />

jenseits von Gut und Böse:<br />

Zwar hat Twitter gerade beachtliche<br />

Wachstumszahlen vorgelegt:<br />

Im dritten Quartal stieg die<br />

Zahl der monatlich aktiven<br />

Kunden auf 232 Millionen, der<br />

Umsatz kletterte auf 169 Millionen<br />

Dollar, das ist doppelt so<br />

viel wie vor einem Jahr, bedeutet<br />

aber ein Kurs-Umsatz-Verhältnis<br />

von fast 30. Leider<br />

wuchs auch der Verlust: von 42<br />

auf 65 Millionen Dollar in drei<br />

Monaten. Twitter muss die vielen<br />

neuen User in größeren Rechenzentren<br />

verarzten, die kosten<br />

<strong>Geld</strong>, ebenso die Werbung,<br />

mit der Twitter derzeit Kunden<br />

wirbt. Das kommt älteren Anlegern<br />

bekannt vor: Mit rasantem<br />

Wachstum und hohen Verlusten<br />

schnell an die Börse, die<br />

Hausse-Stimmung nutzen; <strong>Geld</strong><br />

einsammeln, um Claims abzustecken<br />

im vermeintlich immer<br />

wachsenden, tollen Zukunftsmarkt.<br />

Um die Rentabilität des<br />

Geschäftsmodells kümmern wir<br />

uns später. Es erinnert an die<br />

Auswüchse am Neuen Markt,<br />

wo das nicht immer klappte.<br />

GELDVERBRENNER 2.0<br />

<strong>Ist</strong> Twitter ein <strong>Geld</strong>vernichter?<br />

Derzeit schon, das muss aber<br />

nicht so bleiben. Immerhin, echten<br />

Umsatz gibt es schon, das<br />

konnte man nicht von allen Firmen<br />

am Neuen Markt behaupten.<br />

Und der Umsatz wächst<br />

schneller als die Verluste. 2010<br />

schlug, bei 28 Millionen Dollar<br />

Umsatz, noch ein Minus von 67<br />

Millionen Dollar zu Buche, 2012<br />

waren es 79 Millionen Miese bei<br />

schon 317 Millionen Dollar Umsatz.<br />

Teils in Gewinn verwandeln<br />

kann Twitter diesen in erster Linie<br />

durch Werbung, sogenannte<br />

sponsored Tweets. Leider fallen<br />

laut Prospekt die Preise für Twitter-Werbung<br />

schon wieder. Auch<br />

eine zweite Umsatzquelle offenbart<br />

der Prospekt: 48 Millionen<br />

Dollar erlöste Twitter bereits mit<br />

dem Verkauf von Informationen<br />

über „Trends“. Das sind unter<br />

Usern schnell populärer werdende<br />

Themen, Vorlieben und Interessensgebiete.<br />

Die Kunden dieser<br />

Datenanalyse sollen<br />

Produktentwickler oder Einzelhändler<br />

sein. Ob das reicht, um<br />

in die waghalsige Bewertung<br />

hineinzuwachsen? Zum Glück<br />

brauchen sich Anleger darüber<br />

nicht den Kopf zu zerbrechen:<br />

Die Wahrscheinlichkeit, dass die<br />

Aktie irgendwann noch günstiger<br />

zu haben sein wird als beim<br />

IPO, ist recht hoch.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Zerfallserscheinungen<br />

Während im US-Kongress Millionäre zanken, räumen<br />

arme Amerikaner bei Wal-Mart die Regale leer.<br />

So richtig ernst genommen hatten<br />

die Finanzmärkte die Diskussion<br />

über einen möglichen<br />

Zahlungsausfall der USA zwar<br />

nicht, aber etwas Erleichterung<br />

war nach der Einigung um die<br />

Anhebung der Schuldengrenze<br />

in vorletzter Minute dann doch<br />

zu spüren, zumindest mit Blick<br />

auf den Kurssprung an der Wall<br />

Street. Allerdings wird im US-<br />

Kongress das gleiche Theater in<br />

ein paar Monaten schon wieder<br />

aufgeführt. Für eine entwickelte<br />

Volkswirtschaft, zumal eine mit<br />

dem Anspruch, ökonomisch<br />

und politisch eine globale Führungsrolle<br />

zu spielen, ist das ein<br />

Trauerspiel.<br />

Ein anderes Trauerspiel, das<br />

aber ebenso den tiefen Riss in<br />

der amerikanischen Gesellschaft<br />

dokumentiert, spielte<br />

Abgeräumt<br />

Arme US-Amerikaner<br />

plötzlich ohne Limit<br />

sich am vergangenen Wochenende<br />

in einigen Wal-Mart-<br />

Stores im US-Bundesstaat<br />

Louisiana ab. Dort räumten US-<br />

Bürger, die vom Staat Zuschüsse<br />

für den Einkauf von Lebensmittel<br />

erhalten, binnen weniger<br />

Stunden die Regale leer. Aufgrund<br />

eines Computerfehlers<br />

waren ihre speziellen Plastikkarten,<br />

mit denen sie an der<br />

Kasse bezahlen können, zeitweise<br />

unlimitiert einsatzbereit.<br />

Das hatten die Besitzer schnell<br />

spitz und handelten frei nach<br />

Bertholt Brecht: „Erst kommt<br />

das Fressen, dann die Moral.“<br />

Inzwischen beziehen rund 50<br />

Millionen Amerikaner Lebensmittelsubventionen.<br />

Es mag vor<br />

diesem Hintergrund makaber<br />

klingen, aber Anleger sollten<br />

zur Aktie von Wal-Mart greifen.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 17.10.2013 / 18.03 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 8811,98 +1,5 +19,2<br />

MDax 15479,13 +2,0 +34,0<br />

Euro Stoxx 50 3010,39 +1,4 +17,1<br />

S&P 500 1726,17 +2,0 +18,2<br />

Shanghai Composite 2188,54 –0,1 +3,9<br />

Euro in Dollar 1,3662 +1,0 +4,1<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,88 +0,01 2 +0,25 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,62 –0,09 2 +0,82 2<br />

Rohöl (Brent) 3 109,35 –1,9 –4,2<br />

Gold 4 1319,25 +1,6 –24,6<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 964,65 Euro; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, REUTERS/LUCAS JACKSON, BLOOMBERG NEWS/SCOTT EELLS<br />

106 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Kein Stück hergeben<br />

Aus dem Dividendenpapier T-Aktie ist eine Wette auf<br />

die Neuordnung der Telekombranche geworden.<br />

HITLISTE<br />

Um den europäischen Telekommarkt<br />

zu stärken, forciert<br />

die EU-Kommission die Konzentration<br />

auf wenige große<br />

Anbieter. So wie auf politischer<br />

Ebene Deutschland<br />

und Frankreich den Kern der<br />

EU ausmachen, könnten die<br />

Deutsche Telekom und Orange<br />

(ehemals France Télécom)<br />

das Schwergewicht des europäischen<br />

Telekommarkts<br />

bilden. Dass mächtige Konkurrenten<br />

wie die britische<br />

Vodafone und die amerikanische<br />

AT&T ebenfalls ins Herz<br />

Europas drängen, dürfte zusätzlich<br />

zur Eile treiben. Auf<br />

mehreren Geschäftsfeldern<br />

(Einkauf, Infrastruktur) arbeiten<br />

Orange und die Telekom<br />

schon zusammen. <strong>Ist</strong> die T-Aktie<br />

deshalb ein Kauf? – Ja, aber<br />

ein spekulativer, denn die Gewinnaussichten<br />

sind moderat,<br />

die Bewertung hoch. Wer das<br />

Papier schon hat, sollte kein<br />

Stück hergeben. Und wer in<br />

den vergangenen vier Jahren<br />

gekauft hat, dem winkt dank<br />

günstigem Einstieg noch eine<br />

hohe Dividendenrendite.<br />

Goldhandel ohne Gold<br />

Umschlag von zwei Jahresproduktionen<br />

am Tag<br />

GOLD<br />

Massiv gehebelt<br />

Handelstäglich wechseln Lieferansprüche über Gold<br />

im Wert von 240 Milliarden Dollar den Besitzer.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2013 2014 2014<br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 8811,98 +1,5 +19,2<br />

Aktie<br />

Stand: 17.10.2013 / 18.03 Uhr<br />

Adidas 81,63 +1,2 +19,9 4,51 5,02 16 17078 1,65<br />

Allianz 122,40 +2,3 +27,7 13,08 13,42 9 55808 3,68<br />

BASF NA 72,95 +1,9 +11,4 5,36 5,88 12 67003 3,56<br />

Bayer NA 89,41 +4,4 +28,4 5,70 6,43 14 73937 2,13<br />

Beiersdorf 68,79 +0,5 +17,9 2,38 2,66 26 17335 1,02<br />

BMW St 81,94 +1,9 +32,9 7,87 8,12 10 52624 3,05<br />

Commerzbank 9,73 +4,0 –17,4 0,36 0,81 12 11082 -<br />

Continental 136,15 +3,3 +79,6 10,53 12,02 11 27231 1,65<br />

Daimler 58,46 +0,4 +51,3 4,83 5,60 10 62519 3,76<br />

Deutsche Bank 36,75 +5,0 +5,0 3,55 4,50 8 37463 2,04<br />

Deutsche Börse 58,37 +2,5 +39,5 3,66 4,11 14 11265 3,94<br />

Deutsche Post 24,10 +1,3 +53,3 1,45 1,62 15 29137 2,90<br />

Deutsche Telekom 11,71 +2,3 +29,1 0,65 0,70 17 52123 5,98<br />

E.ON 13,81 –3,1 –25,5 1,29 1,17 12 27634 7,97<br />

Fresenius Med.C. St 47,33 +0,7 –18,6 3,52 3,68 13 14556 1,58<br />

Fresenius SE&Co 92,10 +3,1 –3,5 5,82 6,54 14 20785 1,03<br />

Heidelberg Cement St 57,74 +0,1 +40,8 3,52 4,51 13 10826 0,81<br />

Henkel Vz 74,01 +1,7 +17,8 4,03 4,40 17 29769 1,28<br />

Infineon 7,15 –3,5 +37,0 0,21 0,40 18 7728 1,68<br />

K+S NA 18,73 –0,8 –49,8 2,36 1,36 14 3585 7,47<br />

Lanxess 50,52 +6,1 –18,0 1,63 3,97 13 4203 1,98<br />

Linde 142,85 +0,7 +6,6 8,31 9,35 15 26520 1,89<br />

Lufthansa 14,49 +2,5 +30,9 1,25 1,64 9 6665 -<br />

Merck 118,60 +4,9 +18,1 8,72 9,11 13 7664 1,43<br />

Münchener Rückv. 146,15 +1,7 +14,2 16,53 16,76 9 26211 4,79<br />

RWE St 27,50 +0,5 –23,1 3,91 2,93 9 16831 7,27<br />

SAP 53,31 –0,4 –2,7 3,37 3,71 14 65492 2,06<br />

Siemens 89,16 –1,7 +17,9 5,47 7,00 13 78550 3,36<br />

ThyssenKrupp 18,98 +2,9 +1,6 0,07 1,13 17 9762 -<br />

Volkswagen Vz. 177,10 +1,8 +19,6 21,04 24,07 7 81125 2,01<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

Immer wieder lösten zuletzt<br />

größere Verkaufsaufträge an<br />

der New Yorker Terminbörse<br />

einen plötzlichen Goldpreiseinbruch<br />

aus. Am Freitag der<br />

vorvergangenen Woche etwa<br />

sorgte dafür ein einzelner Verkaufsauftrag<br />

über 5000 Gold-<br />

Futures-Kontrakte, die Lieferansprüche<br />

über eine halbe<br />

Millionen Unzen Gold umfassen.<br />

Um diese Goldmenge mit<br />

einem rechnerischen Marktwert<br />

von 640 Millionen Dollar<br />

an der Comex virtuell zu bewegen,<br />

muss der Verkäufer<br />

nur 44 Millionen Dollar an Sicherheitsleistung<br />

(Margin)<br />

hinterlegen.<br />

Gold ist eine sehr liquide Währung<br />

Das Volumen des Papiergoldmarktes<br />

hat sich in den vergangenen<br />

Jahren exponentiell<br />

erhöht. Zugleich ist es einer<br />

der am höchsten gehebelten<br />

Finanzmärkte überhaupt. Handelstäglich<br />

wechseln Lieferansprüche<br />

über Gold im Wert von<br />

240 Milliarden Dollar den Besitzer.<br />

Das entspricht einer Goldmenge<br />

von rund 190 Millionen<br />

Unzen. An nur einem Tag werden<br />

damit mehr als zwei Jahresproduktionen<br />

der Minen<br />

hin- und hergeschoben. Das<br />

jährliche Handelsvolumen entspricht<br />

560 Jahresproduktionen<br />

oder dem Neunfachen des jemals<br />

geförderten Goldes.<br />

Tägliche Handelsumsätze vonStaatsanleihen, Währungspaaren,<br />

Aktien undGoldderivaten(in Milliarden Dollar)<br />

Dollar/Euro<br />

Dollar/Yen<br />

US-Staatsanleihen<br />

Dollar/Pfund Sterling<br />

Japanische Staatsanleihen<br />

Gold<br />

Euro/Yen<br />

S&P500<br />

BritischeStaatsanleihen<br />

Bundesanleihen<br />

DowJones<br />

Quelle:Bloomberg,IncrementumAG, WGC, BIZ<br />

0 200 400 600 800 1000<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 107<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse | <strong>Geld</strong>woche<br />

AKTIE Schaltbau<br />

Grünes Licht für<br />

Rekordgewinne<br />

Einlegergeschäft<br />

Sberbank mit 19 000 Filialen<br />

Türen zum Profit Schaltbau<br />

liefert den Bahnbauern zu<br />

Mit seinem Geschäftsschwerpunkt<br />

Verkehrstechnik für<br />

Bahnen und Busse ist Schaltbau<br />

ein Gewinner des langfristigen<br />

Trends Infrastruktur.<br />

Der Europäische Verband der<br />

Eisenbahnindustrie rechnet<br />

pro Jahr weltweit mit 2,7 Prozent<br />

Wachstum. Kurzfristig allerdings<br />

gibt es Schwankungen;<br />

etwa wenn klamme<br />

Kommunen weniger <strong>Geld</strong> in<br />

den Ausbau des Nahverkehrs<br />

stecken – und damit auch weniger<br />

Türen und Bremsen des<br />

SDax-Wertes Schaltbau benötigt<br />

werden.<br />

Umso wichtiger ist es, dass<br />

Schaltbau international gut<br />

im Geschäft ist. Dabei geht es<br />

nicht nur um den großen<br />

Wachstumsmarkt China, auf<br />

dem sich das Gewicht vom<br />

Schnellverkehr zum Nahverkehr<br />

verlagert. Dynamischer<br />

entwickeln sich derzeit die<br />

Märkte im Nahen Osten, in<br />

Russland und Lateinamerika.<br />

Schaltbau konnte hier in den<br />

vergangenen Monaten wichtige<br />

Aufträge (für Signalanlagen,<br />

Schalter, Hochspannungstechnik)<br />

hereinholen.<br />

Insgesamt kamen im ersten<br />

Halbjahr mit 213 Millionen<br />

Euro sechs Prozent mehr<br />

Neubestellungen herein. Mit<br />

249 Millionen Euro ist das<br />

Auftragspolster so dick wie<br />

nie zuvor. Im ersten Halbjahr<br />

kletterte der Umsatz um zehn<br />

Prozent auf 194 Millionen Euro.<br />

Angesichts der guten Auftragslage<br />

sollten bis Jahresende<br />

rund 380 Millionen Euro möglich<br />

sein. Die Margen ziehen an,<br />

der Nettogewinn stieg in der<br />

gleichen Zeit um ein Viertel auf<br />

12,5 Millionen Euro. Schaltbau<br />

profitiert davon, dass die Preise<br />

für viele Metalle gesunken sind.<br />

Für 2013 ist ein Rekordgewinn<br />

von 24 Millionen Euro möglich.<br />

Schaltbau ist solide finanziert.<br />

Das Eigenkapital (78 Millionen<br />

Euro, 29 Prozent der Bilanzsumme)<br />

hat sich seit 2009<br />

mehr als verdreifacht und ist<br />

derzeit eineinhalbmal so hoch<br />

wie die Nettoschulden. Damit<br />

sind die weitere Expansion und<br />

Modernisierung gesichert.<br />

Nachdem im ersten Halbjahr<br />

die Produktionsanlagen von<br />

Bremsen erneuert wurden, entsteht<br />

in Kassel ein neues Technologiezentrum<br />

für automatische<br />

Türen.<br />

Schaltbau ist ein Basisinvestment<br />

unter deutschen Spezialwerten.<br />

Ein Euro Jahresumsatz<br />

wird an der Börse mit 65 Cent<br />

bezahlt, die für 2013 absehbaren<br />

Gewinne mit dem Elffachen.<br />

Das ist trotz der jüngsten Kurssteigerungen<br />

noch ein moderater<br />

Preis.<br />

Schaltbau<br />

ISIN:DE0007170300<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

Quelle:FactSet<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

2009 10 11 12 13<br />

Kurs/Stoppkurs(in Euro): 41,00/34,85<br />

KGV 2013/2014: 12,4/11,5<br />

Dividendenrendite(in Prozent):1,9<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

AKTIE Sberbank<br />

Kunden finanzieren<br />

solide Bilanz<br />

Absurd preiswert sei die<br />

Aktie der größten russischen<br />

Bank, sagt Klaus Ingemann.<br />

Ingemann ist Mitglied im<br />

Investmentausschuss der<br />

dänischen Investmentfirma<br />

CPH Capital, die einen der<br />

erfolgreichsten Fonds für<br />

globale Aktien steuert. Entsprechend<br />

zählen Sberbank-<br />

Aktien mit einem Fondsanteil<br />

von 2,8 Prozent auch zu den<br />

Top-Ten-Positionen im 430<br />

Millionen Euro schweren<br />

CPH Capital Global Equities<br />

(ISIN LU0616502885).<br />

Anleger, die konzentrierter<br />

in Sberbank investieren wollen,<br />

können das machen,<br />

durch den Kauf der in London<br />

und auch an deutschen Börsen<br />

notierten ADR (American<br />

Depository Receipts). Ein<br />

ADR entspricht <strong>dabei</strong> vier<br />

Sberbank-Aktien. Die, gemessen<br />

an westlichen Maßstäben,<br />

oft unzureichende Unternehmensführung<br />

relativierten<br />

sich bei Sberbank durch<br />

die attraktive Bewertung und<br />

dem weitaus durchschaubareren<br />

Geschäftsmodell als<br />

bei westeuropäischen Finanzkonzernen,<br />

sagt Ingemann.<br />

Das vor 170 Jahren gegründete<br />

Institut betreibt in<br />

Russland in mehr als 19 000<br />

Niederlassungen vor allem<br />

klassisches Bankgeschäft. Die<br />

mehrheitlich von der russischen<br />

Zentralbank (52,32 Prozent)<br />

kontrollierte Bank finanziert<br />

sich zu fast 70 Prozent aus<br />

Kundeneinlagen (340 Milliarden<br />

Dollar).<br />

Das Verhältnis von Krediten<br />

zu Einlagen liegt bei gesunden<br />

105 Prozent. Die Vermögenswerte<br />

der Bank sind im internationalen<br />

Vergleich gering<br />

schuldenfinanziert. Das<br />

Verhältnis von Eigenkapital zur<br />

Bilanzsumme liegt bei rund<br />

elf Prozent, und der Jahresgewinn<br />

von gut elf Milliarden<br />

Dollar ist enorm.<br />

Sberbank<br />

ISIN: US80585Y3080<br />

22<br />

18<br />

12<br />

14<br />

10<br />

8<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

6<br />

2011 2012 2013<br />

Kurs/Stoppkurs(in Dollar): 12,94/10,30<br />

KGV 2013/2014: 6,4/5,9<br />

Dividendenrendite(in Prozent):2,9<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Quelle:FactSet<br />

FOTOS: MAURITIUS/AGE, BLOOMBERG NEWS/ANDREY RUDAKOV, DDP IMAGES /NEWSCOM<br />

108 Redaktion: <strong>Geld</strong>woche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />

Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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CHARTSIGNAL Nikkei<br />

Risiken überwiegen<br />

An der Marke von 15 500 Punkten fällt die Richtungsentscheidung<br />

für den japanischen Nikkei.<br />

Der japanische Aktienmarkt<br />

steht vor einer wichtigen Weichenstellung.<br />

Seit der Jahrtausendwende<br />

zeigte sich die<br />

Trendlinie T1 als unüberwindlicher<br />

Widerstand für<br />

den Nikkei. An T1 scheiterten<br />

die langfristigen Aufwärtstrends<br />

von 1999/2000 (1) und<br />

2003/2007 (2). Auch der aktuelle,<br />

Ende 2012 einsetzende<br />

Kursaufschwung könnte jetzt<br />

an T1 ausgebremst werden.<br />

Ein erster Anlauf ist bereits<br />

gescheitert (3). Doch noch<br />

bewegt sich der Nikkei oberhalb<br />

der aktuell bei 13 000<br />

Punkten verlaufenden<br />

200-Tage-Linie. Erst ein signifikanter<br />

Fall unter diesen gleitenden<br />

Durchschnitt würde<br />

die Aufwärtstendenz am Kabutocho<br />

brechen. Noch aber<br />

bestehen Chancen, dass die<br />

seit 1989 andauernde Baisse<br />

am japanischen Aktienmarkt<br />

zu Ende geht. Das passierte,<br />

wenn der Nikkei die gegenwärtig<br />

bei 15 500 Punkten verlaufende<br />

Trendlinie T1<br />

nachhaltig überspringt. Die<br />

Wahrscheinlichkeit dafür ist<br />

allerdings ziemlich gering.<br />

Starke Widerstände<br />

Die Gefahr für Anleger, in eine<br />

Bullenfalle zu tappen, ist hingegen<br />

hoch. Zu massiv erscheint<br />

die knapp oberhalb des aktuellen<br />

Indexniveaus beginnende<br />

massive Widerstandszone. Bei<br />

15 000 Punkten verläuft ein historischer<br />

Widerstand aus den<br />

Jahren 1991 ( 4), 1995 (5), 1997<br />

(6) und 1998 (7). Darüber folgen<br />

T1 und eine bis auf 18 000<br />

Punkten reichende Widerstandszone.<br />

Der leichte Weg für<br />

Kursgewinne am japanischen<br />

Aktienmarkt scheint vorbei zu<br />

sein, das Abwärtsrisiko ist dagegen<br />

beträchtlich.<br />

Seit zehn Jahren bewegt sich<br />

der Nikkei in einem großen Abwärtstrendkanal.<br />

Die untere Begrenzung<br />

dieses Trendkanals<br />

reicht gegenwärtig bis auf etwa<br />

7000 Punkte. Das Verhältnis von<br />

Chance und Risiko am Kabutocho<br />

wirkt vor diesem Hintergrund<br />

wenig attraktiv. Zumal<br />

die Kursgewinne des Nikkei seit<br />

Ende 2012 für Euro-Anleger<br />

durch hohe Währungsverluste<br />

geschmälert wurden. Anleger<br />

sollten in Nippon auf eine<br />

bessere Einstiegsgelegenheit<br />

warten.<br />

Der leichte Weg für Kursgewinne am japanischen Aktienmarkt ist vorbei<br />

40000<br />

35000<br />

30000<br />

25000<br />

20000<br />

15 000<br />

10 000<br />

5000<br />

Quelle: FactSet<br />

T1<br />

4 5 6 7<br />

Nikkei-Index<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

1<br />

Widerstandszone<br />

1990 1995 2000 2005 2010 13<br />

2<br />

Abwärtstrendkanal<br />

1. großer<br />

Widerstand<br />

3<br />

ANLEIHE Goldman Sachs<br />

Spielraum<br />

für Neues<br />

Zwei Dinge sind entscheidend<br />

für eine gute Anleihe:<br />

dass der Schuldner pünktlich<br />

Zinsen bezahlt und dass er<br />

zur Fälligkeit die Anleihe wieder<br />

voll und ganz zurückkauft.<br />

Banken gehörten seit der Finanzkrise<br />

immer weniger zu<br />

Gläubigern, denen Anleger<br />

Vertrauen und <strong>Geld</strong> entgegenbringen.<br />

Dabei gibt es darunter<br />

Adressen, die ziemlich<br />

sicher sein sollten: etwa die<br />

amerikanische Investmentbank<br />

Goldman Sachs. Euro-<br />

Anleihen von Goldman mit<br />

Laufzeit bis 2020 bringen derzeit<br />

2,6 Prozent Jahresrendite.<br />

Das ist nicht üppig, aber für<br />

eine Anlage im mittleren Investmentbereich<br />

(S&P Rating<br />

A-) kein schlechtes Angebot.<br />

Goldman Sachs, 1869 von<br />

dem deutschen Auswanderer<br />

Marcus Goldman in New York<br />

gegründet, hat vier große Einnahmequellen:<br />

Unternehmenstransaktionen,<br />

Zinseinnahmen,<br />

Wertpapierhandel<br />

und Provisionen.<br />

Bei einer Bilanzsumme von<br />

923 Milliarden Dollar könnte<br />

Goldman nach einem moderaten<br />

dritten Quartal (1,43<br />

Milliarden Dollar Reingewinn)<br />

insgesamt mehr als sieben<br />

Milliarden Dollar verdienen,<br />

gut 5,2 Milliarden Euro.<br />

Im gerade abgelaufenen<br />

Quartal drückten der schwächere<br />

Handel mit Anleihen,<br />

Währungen und Rohstoffen<br />

das Geschäft. Im Gegenzug<br />

senkte Goldman Personalkosten,<br />

vor allem Ausgaben für<br />

Bonuszahlungen. Insgesamt<br />

dürfte 2013 für Goldman damit<br />

zumindest ein mittelprächtiges<br />

Jahr werden – entsprächen<br />

sieben Milliarden<br />

Dollar netto doch etwa dem<br />

Durchschnittsgewinn der vergangenen<br />

zehn Jahre. Der<br />

Systemrelevante Hausnummer<br />

Goldman-Zentrale in New York<br />

schlechteste Abschluss war<br />

2008, das Jahre der akuten Finanzkrise.<br />

Doch auch da blieben<br />

netto 2,3 Milliarden Dollar.<br />

2008 war auch das Jahr, als Investoren-Legende<br />

Warren Buffett<br />

der Bank zu Hilfe kam, deren<br />

Aktien im Strudel des<br />

Lehman-Crashs massiv unter<br />

Druck geraten waren. Zunächst<br />

hatte Buffett der Bank fünf Milliarden<br />

Dollar geliehen; zudem<br />

sicherte er sich über Optionen<br />

Zugriff auf Stammaktien, die er<br />

sich nun vor Kurzem holte.<br />

Heute ist Buffett über seine Beteiligungsgesellschaft<br />

Berkshire<br />

Hathaway mit 2,9 Prozent an<br />

Goldman beteiligt. Weitere<br />

Großaktionäre sind die Investmentgesellschaften<br />

Capital<br />

Group (6,7 Prozent) und Blackrock<br />

(5,4 Prozent).<br />

Goldman Sachs ist eine systemrelevante<br />

Bank. Das heißt,<br />

ihr Überleben soll auch in<br />

schweren Krisen notfalls durch<br />

Staatshilfen gesichert werden,<br />

dafür aber wird sie von internationalen<br />

Aufsichtsbehörden<br />

überwacht. Mit einer Kernkapitalquote<br />

von 9,3 Prozent hat<br />

Goldman einen guten Mix aus<br />

Risikopuffer und Spielraum für<br />

neue Geschäfte.<br />

Kurs (%) 99,96<br />

Kupon (%) 2,625<br />

Rendite (%) 2,66<br />

Laufzeit bis 19. August 2020<br />

Währung<br />

Euro<br />

ISIN<br />

XS0963375232<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 109<br />

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<strong>Geld</strong>&Börse | <strong>Geld</strong>woche<br />

FONDS FPM Stockpicker Germany Small/Mid<br />

Weniger auf Preis, als<br />

auf Qualität achten<br />

Rohr frei Norma produziert<br />

Kunststoffteile fürs Auto<br />

Die Fondsmanager Martin<br />

Wirth und Raik Hoffmann haben<br />

den Anteil zyklischer, also<br />

von der Konjunktur abhängiger<br />

Titel hochgefahren. „Seit<br />

Beginn der Finanzkrise hat<br />

die Industrie Investitionen<br />

zurückgestellt“, sagt Hoffmann.<br />

Noch liege die Industrieproduktion<br />

in Europa unter<br />

dem Vorkrisenniveau. Jetzt<br />

sollten die Unternehmen den<br />

Investitionsstau auflösen. Das<br />

Fondsmanagement hat daher<br />

unter anderem den Maschinenbauer<br />

DMG Mori Seiki<br />

(bis vor Kurzem: Gildemeister)<br />

aufgestockt. Mit Aurubis,<br />

Klöckner und Leoni hält der<br />

FPM-Fonds drei weitere konjunktursensible<br />

Aktien.<br />

„Grundsätzlich gefallen uns<br />

Unternehmen, die ihren<br />

Markt wegen Wettbewerbsvorteilen<br />

dominieren, beispielsweise<br />

der Industrieund<br />

Autozulieferer Norma“,<br />

sagt Fondsmanager Hoffmann.<br />

Im Markt für Verbindungsteile,<br />

die in Maschinen<br />

oder Fahrzeugen verbaut<br />

werden, etwa um Schläuche<br />

zu befestigen, seien die Wettbewerber<br />

deutlich kleiner als<br />

Norma. Die Größe ermögliche<br />

es dem hessischen Unternehmen,<br />

mehr <strong>Geld</strong> als die<br />

Konkurrenz in die Forschung<br />

zu investieren und sich damit<br />

schneller an neue, technische<br />

Vorgaben der Abnehmer anzupassen.<br />

Da die Verbindungsteile, die<br />

Norma produziere, einen verschwindend<br />

geringen Anteil an<br />

den Gesamtkosten des Endprodukts<br />

hätten, schauten die Abnehmer<br />

weniger auf den Preis<br />

als auf die Qualität. „Kein Autohersteller<br />

kann es sich leisten,<br />

dass das Auto stehen bleibt, nur<br />

weil sie an einer Schlauchschelle<br />

ein, zwei Cent eingespart haben“,<br />

sagt Hoffmann. So bleibe<br />

Norma, trotz des vergleichsweise<br />

geringen Produktwerts, eine<br />

überproportional hohe Marge.<br />

Am Portfoliounternehmen<br />

United Internet gefällt Hoffmann,<br />

dass das Unternehmen<br />

vor allem organisch wachse,<br />

sich nicht auf riskante Übernahmen<br />

einlasse und stattdessen<br />

lieber eigene Aktien kaufe. So<br />

habe das Unternehmen bisher<br />

schon 20 Prozent der Aktien<br />

vom Markt geräumt. Laut Beschluss<br />

der Hauptversammlung<br />

im Mai kann United Internet<br />

zusätzlich zehn Prozent seines<br />

Grundkapitals zurückkaufen.<br />

Zudem bilanziere United Internet<br />

konservativ. So würden<br />

Kosten, die nötig sind, um neue<br />

Kunden zu gewinnen, in dem<br />

Monat gebucht, in dem sie<br />

anfallen.<br />

FPMGermanySmall/Mid<br />

ISIN: LU0207947044<br />

160<br />

150<br />

140<br />

130<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

Chance<br />

Risiko<br />

2011<br />

Niedrig<br />

umbasiertauf 100;<br />

Quelle:Thomson Reuters<br />

12<br />

MDax<br />

13<br />

Hoch<br />

Die besten deutschen Aktienfonds<br />

Wie die erfolgreichsten Portfoliomanager abgeschnitten haben<br />

Fondsname<br />

Die Gewinner unter den volumenstärksten Fonds<br />

iShares TecDax<br />

DWS German Small/Mid Cap<br />

CS Small & Mid Cap Germany<br />

Allianz Nebenwerte<br />

iShares Mdax<br />

UBS Small Caps Germany<br />

DWS Aktien Strategie Deutschland<br />

Acatis Aktien Deutschland<br />

FPM Stockpicker Germany All Cap<br />

UniDeutschland XS<br />

Danske Invest Tyskland<br />

DWS Investa<br />

iShares DivDAX (DE)<br />

ETFlab DAXplus Maximum Div.<br />

Fidelity Germany<br />

DWS German Equities Typ O<br />

DWS Invest German Equities<br />

Akrobat Europa<br />

Baring German Growth<br />

DWS Deutschland<br />

JPM Germany<br />

Metzler Aktien Deutschland<br />

Pioneer Inv German Equity<br />

Allianz Vermögensbildung<br />

Allianz Thesaurus<br />

Deka DAX ETF<br />

iShares DAX (DE)<br />

HANSAsecur<br />

Fondak<br />

DekaLux-Deutschland<br />

DekaFonds CF<br />

Sydinvest Tyskland<br />

Allianz German Equity<br />

Concentra A EUR<br />

Mediolanum Germany Equity<br />

ComStage ETF DAX<br />

UBS Aktienfonds Special I Deutschl.<br />

Lyxor ETF Dax<br />

KBC Multi Track Germany<br />

LBBW Exportstrategie Deutschland<br />

Die Sieger bei den kleinen Portfolios<br />

FPM Stockp. Germ. Small/Mid<br />

Allianz Nebenwerte<br />

Scherrer Small Caps Europe<br />

UBS Mid Caps Germany<br />

Lupus Alpha Smaller German Ch.<br />

Multiadvisor Esprit<br />

Lux-Euro-Stocks TecDax<br />

DB Platinum III Platow R1<br />

HAIG MB Max Value<br />

Danske Invest Tyskland<br />

ISIN<br />

DE0005933972<br />

DE0005152409<br />

LU0052265898<br />

DE0008481763<br />

DE0005933923<br />

DE0009751651<br />

DE0009769869<br />

LU0158903558<br />

LU0124167924<br />

DE0009750497<br />

DK0060041564<br />

DE0008474008<br />

DE0002635273<br />

DE000ETFL235<br />

LU0048580004<br />

DE0008474289<br />

LU0740822621<br />

LU0138526776<br />

GB0000822576<br />

DE0008490962<br />

LU0111753843<br />

DE0009752238<br />

DE0009752303<br />

DE0008475062<br />

DE0008475013<br />

DE000ETFL011<br />

DE0005933931<br />

DE0008479023<br />

DE0008471012<br />

LU0062624902<br />

DE0008474503<br />

DK0060033116<br />

LU0840617350<br />

DE0008475005<br />

IE0004457085<br />

LU0378438732<br />

DE0008488206<br />

LU0252633754<br />

BE0165668899<br />

DE0009771964<br />

LU0207947044<br />

DE0008481763<br />

LI0018448063<br />

DE0009751750<br />

LU0129233093<br />

LU0090303289<br />

LU0108712554<br />

LU0247468282<br />

LU0121803570<br />

DK0060041564<br />

Wertentwicklung<br />

in Prozent<br />

seit 3<br />

Jahren 1<br />

12,1<br />

16,7<br />

18,6<br />

16,4<br />

18,7<br />

11,1<br />

16,2<br />

15,2<br />

1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />

(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />

Quelle: Morningstar; Stand: 17. Oktober 2013<br />

9,6<br />

11,5<br />

14,8<br />

12,8<br />

12,8<br />

7,0<br />

13,0<br />

14,1<br />

15,2<br />

14,7<br />

13,1<br />

15,4<br />

11,6<br />

11,5<br />

12,7<br />

12,5<br />

11,4<br />

11,2<br />

11,1<br />

10,0<br />

9,3<br />

8,3<br />

9,5<br />

8,8<br />

14,1<br />

13,6<br />

6,9<br />

10,5<br />

9,8<br />

10,3<br />

9,8<br />

9,5<br />

18,7<br />

16,4<br />

18,1<br />

15,8<br />

16,5<br />

16,5<br />

10,5<br />

17,7<br />

8,1<br />

14,8<br />

seit 1<br />

Jahr<br />

33,4<br />

37,9<br />

36,7<br />

34,4<br />

33,9<br />

29,2<br />

30,0<br />

22,5<br />

28,2<br />

25,5<br />

27,5<br />

28,9<br />

24,5<br />

21,3<br />

27,1<br />

24,4<br />

26,5<br />

26,8<br />

26,2<br />

26,6<br />

23,4<br />

20,1<br />

23,7<br />

24,5<br />

23,5<br />

20,4<br />

20,4<br />

20,0<br />

21,3<br />

20,6<br />

21,3<br />

18,2<br />

21,0<br />

20,7<br />

16,4<br />

17,5<br />

18,5<br />

17,4<br />

17,4<br />

17,1<br />

34,4<br />

34,4<br />

32,8<br />

32,2<br />

30,1<br />

28,6<br />

28,5<br />

28,3<br />

27,6<br />

27,5<br />

Volatilität<br />

2<br />

in<br />

Prozent<br />

17,0<br />

17,7<br />

16,4<br />

16,9<br />

16,4<br />

16,4<br />

21,1<br />

12,5<br />

17,0<br />

16,9<br />

18,0<br />

22,0<br />

19,0<br />

15,6<br />

18,1<br />

20,7<br />

21,8<br />

12,1<br />

19,1<br />

21,7<br />

18,2<br />

18,0<br />

18,6<br />

19,8<br />

19,2<br />

18,6<br />

18,6<br />

19,7<br />

19,7<br />

21,1<br />

20,2<br />

17,5<br />

18,6<br />

18,9<br />

15,8<br />

18,6<br />

17,7<br />

18,7<br />

18,4<br />

21,0<br />

15,1<br />

16,9<br />

15,6<br />

15,9<br />

15,3<br />

12,1<br />

15,5<br />

13,0<br />

18,8<br />

18,0<br />

FOTOS: PR (2)<br />

110 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />

Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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NACHGEFRAGT Markus Bachmann<br />

»Druck lässt nach«<br />

Die Goldhausse sei längst nicht vorbei, und die<br />

Minen bekämen ihre Kosten in den Griff,<br />

sagt der Fondsmanager und Bergbauexperte.<br />

Herr Bachmann, die US-<br />

Notenbank Fed druckt weiter<br />

<strong>Geld</strong>, der Leitzins bleibt<br />

unten, die Regierung in Washington<br />

ist de facto bankrott,<br />

und der Dollar sah schon<br />

besser aus. Warum steht der<br />

Goldpreis nicht höher?<br />

Grundsätzlich sind das positive<br />

Faktoren für Gold. Aber die<br />

Turbulenzen in diesem Jahr<br />

haben das Vertrauen in Gold<br />

beschädigt. Das muss zunächst<br />

noch verdaut werden.<br />

<strong>Ist</strong> Gold zufällig so stark unter<br />

Druck gekommen?<br />

Das weiß ich nicht. Fakt ist,<br />

dass der Goldpreis stark eingebrochen<br />

ist, auch wegen<br />

Gewinnmitnahmen nach<br />

über zehn Jahren Preisanstieg.<br />

Klar, es gab am Terminmarkt<br />

auch gezielte spekulative<br />

Attacken, die auf einen<br />

Preiseinbruch abzielten, vor<br />

allem an charttechnisch relevanten<br />

Unterstützungslinien.<br />

Es bringt mich und meine Arbeit<br />

aber keinen Schritt weiter,<br />

wenn ich über Verschwörungstheorien<br />

philosophiere.<br />

Anleger im Westen sind<br />

ausgestiegen, während die<br />

Nachfrage in Asien stark<br />

anzog. Mengenmäßig war das<br />

fast ein Nullsummenspiel.<br />

Aber erst der tiefere Goldpreis<br />

hat den Nachfrageschub in<br />

DER MINENINVESTOR<br />

Bachmann, 47, ist Mitgründer<br />

des Investmenthauses Craton<br />

Capital. Die auf Edelmetall- und<br />

Rohstoffminen spezialisierte Gesellschaft<br />

verwaltet von Johannesburg<br />

aus in drei Aktienfonds<br />

rund 100 Millionen Dollar.<br />

Asien ausgelöst. Diese Nachfrage<br />

wirkt wie eine Preisbremse.<br />

Warum haben westliche Investoren<br />

überhaupt Gold verkauft?<br />

Sie hatten unter anderem Gold<br />

gekauft, weil sie wegen der Ende<br />

2008 startenden Anleihekäufe<br />

der Fed einen starken Anstieg<br />

der Inflation erwartet hatten.<br />

Die Diskussion um die Rückführung<br />

der Kaufvolumina wurde<br />

im Umkehrschluss als Verkaufsgrund<br />

angesehen. Das ist<br />

natürlich Humbug.<br />

Warum?<br />

Die Beziehung zwischen den<br />

Anleihekäufen und Gold wird<br />

weit überschätzt.<br />

Immerhin hat sich das Dollar-<br />

Angebot, gemessen an Bargeld<br />

und den Reserven der Banken,<br />

bei der Fed von September<br />

2008 bis heute auf 3500 Milliarden<br />

Dollar vervierfacht.<br />

Die Fed hat ihre Bilanzsumme<br />

massiv ausgeweitet, das stimmt.<br />

Aber das <strong>Geld</strong>angebot, gemessen<br />

an der <strong>Geld</strong>menge M2...<br />

...also unter anderem Bargeld,<br />

Guthaben auf Giro- und <strong>Geld</strong>marktkonten<br />

unter 100 000<br />

Dollar und Laufzeiten bis zu<br />

zwei Jahren...<br />

...ist seitdem nur um etwa 40<br />

Prozent gestiegen. Die massive<br />

Ausweitung der Fed-Bilanz<br />

spiegelt sich also nicht auf echten<br />

Konten wider. Die Ausweitung<br />

der Fed-Bilanzsumme hat<br />

lediglich die Angst vor Inflation<br />

geschürt, falls diese Mittel über<br />

eine Kreditausweitung der Banken<br />

in die Realwirtschaft fließen.<br />

Das aber ist nicht passiert.<br />

Zum Tango braucht es immer<br />

zwei. Die Mittel blieben im Bankensystem.<br />

Die Umlaufgeschwindigkeit<br />

des <strong>Geld</strong>es hat<br />

sich in den vergangenen Jahren<br />

sogar deutlich verlangsamt. Unter<br />

solchen Bedingungen entsteht<br />

keine Inflation.<br />

War die Goldhausse eine Fata<br />

Morgana?<br />

Nein. Seit dem Hoch im<br />

September 2011 hat der Goldpreis<br />

um gut 30 Prozent korrigiert.<br />

Für mich ist das nicht<br />

der Auftakt eines strukturellen<br />

Bärenmarktes, sondern eine<br />

Korrektur in der Mitte eines<br />

langfristigen Aufwärtszyklus. Die<br />

Korrektur ging aus vom Terminmarkt<br />

und den Besitzern von<br />

Gold-ETF. Sie hatten zu voreilig<br />

auf einen starken Anstieg der<br />

Inflation gesetzt. Diese Fehleinschätzung<br />

wird nun korrigiert.<br />

Vergessen Sie aber nicht, dass<br />

sich der Goldpreis zwischen<br />

2001 und 2007 vervierfacht hat,<br />

ganz ohne Anleihekäufe der Fed.<br />

Es sind also mehr fundamentale<br />

Faktoren am Werk, die Gold<br />

unterstützen.<br />

Welche sind das?<br />

Seit der Jahrtausendwende entwickelte<br />

sich Gold immer besser<br />

bei guter Konjunktur. Viele<br />

Indikatoren deuten auf eine<br />

bessere Weltwirtschaft hin.<br />

Noch wichtiger aber sind die<br />

Craton Precious Metal<br />

ISIN: LI0016742681<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

150<br />

100<br />

Craton Precious<br />

MetalFund<br />

50<br />

2004 07 10 13<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Gold<br />

Anteilspreis in Dollar seit Auflegung, Goldpreis<br />

in Dollar je Feinunze angeglichen;Quelle:Thomson<br />

Reuters<br />

Hoch<br />

Faktoren, die bis vor 18 Monaten<br />

noch als Katalysatoren für<br />

den Goldpreisanstieg genannt<br />

wurden. Diese sind alle noch in<br />

Kraft. Die Staatsschuldenkrise<br />

in der westlichen Welt ist weit<br />

weg von einer Lösung. Regierungen<br />

weichen ihrer fiskalischen<br />

Verantwortung aus und<br />

nötigen die <strong>Geld</strong>politik, die Zinsen<br />

tief zu halten. Vor allem der<br />

Dollar ist in Gefahr. Die starke<br />

Nachfrage nach Gold aus den<br />

nicht westlichen Ländern wird<br />

deshalb robust bleiben und in<br />

Schwächephasen anziehen.<br />

Abgesehen von Minenaktien<br />

laufen Aktien seit 18 Monaten<br />

besser als Gold. Aktien gelten<br />

auch als Sachwerte, und Aktionäre<br />

bekommen Dividenden.<br />

Das Argument, Gold schwankte<br />

im Preis weniger als die Aktien,<br />

stimmt so auch nicht mehr.<br />

Warum noch Gold?<br />

Relativ zu Aktien ist Gold nicht<br />

teuer. Im Vergleich zum S&P<br />

500 etwa kostet Gold 15 Prozent<br />

weniger als im langjährigen<br />

Durchschnitt seit 1971. Und der<br />

Goldminensektor hat seine Probleme<br />

erkannt und in Angriff<br />

genommen. Die Gesamtkosten<br />

sinken jetzt, nachdem sie gut<br />

zehn Jahre gestiegen waren.<br />

Dieser Prozess wird sich noch<br />

Jahre fortsetzen, während sich<br />

das operative Management zusehends<br />

verbessert. Im letzten<br />

Kostensenkungszyklus zwischen<br />

1997 und 2002 hatte die<br />

Branche bewiesen, dass Kostensenkungen<br />

im Goldbergbau<br />

möglich sind. Damals wurden<br />

die Produktionskosten um 35<br />

Prozent gesenkt, im Nachgang<br />

eines ähnlich starken Goldpreisrückganges.<br />

Es beginnt gerade<br />

ein neuer Minenzyklus.<br />

Ohne steigenden Goldpreis?<br />

Der Goldpreis ist der entscheidende<br />

Treiber. Darüber bin ich<br />

mir im Klaren. Die aktuelle Konsolidierung<br />

könnte durchaus<br />

noch andauern und ein schneller<br />

Anstieg ausbleiben. Aber der<br />

Abwärtsdruck lässt nach. Das<br />

Schlimmste liegt hinter uns.<br />

frank.doll@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 111<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

Bodenerosionen auf<br />

dem Parkett<br />

TEPPICHE | Junge deutsche Designer zeigen, wie handgeknüpfte Teppiche<br />

das Wohnzimmer beseelen.<br />

Es ist noch gar nicht so lange her,<br />

da konnte es vorkommen, dass<br />

die Gastgeberin einer Party sich<br />

für den Perser entschuldigte, der<br />

da ganz unschuldig vorm Fernseher<br />

auf dem Parkett ausgebreitet war und<br />

als fransiges Erbstück sein Dasein fristete.<br />

Heute kann es passieren, dass eine Gastgeberin<br />

ihre Gäste mit einem Aperol Spritz in<br />

der Hand als Erstes zum Fernseher führt<br />

und Elogen über Herkunft und Gestaltung<br />

des leicht abgewetzt und dennoch edel<br />

wirkenden textilen Designerstücks hält.<br />

Es sind vor allem deutsche Designer, die<br />

dem totgesagten Perserteppich neues Leben<br />

eingehaucht haben, indem sie ihm eine<br />

zeitgenössische Formensprache verpassten.<br />

Vorneweg Jan Kath, Spross einer<br />

Bochumer Teppichhändler-Familie. Der<br />

41-Jährige ist der Star der Szene, mit einem<br />

Showroom in New York und Dependancen<br />

in Berlin, Hamburg, Stuttgart und neuerdings<br />

Köln. Er gehört zu den Urhebern des<br />

sogenannten „used look“, jener artifiziellen<br />

Schäbigkeit, die an die Strategien moderner<br />

Malerei erinnert, an Drippings, Übermalungen<br />

und Abkratzungen.<br />

In der ehemaligen Maschinenhalle am<br />

Rande der Bochumer Innenstadt, dem<br />

Kreativzentrum und Archiv der Kath’schen<br />

Designerwerkstatt, sind die Kollektionen<br />

unter mächtigen Stahlträgern aufgehängt,<br />

großformatige, je nach Blickwinkel changierende<br />

Teppiche aus Wolle, Seide und<br />

Brennnesselfasern, die mit dem Reiz des<br />

Zerschlissenen spielen, mit einer Ästhetik<br />

der Vergänglichkeit und des Verfalls. Da<br />

zerläuft das florale Dekor eines Bidjar-Teppichs<br />

zu Schlieren oder verschwindet unter<br />

einem Liniengespinst. Andere Stücke<br />

HANDARBEIT<br />

Knoten an Knoten<br />

Handgeknüpfte Teppiche werden meist<br />

aus Wolle und Seide gefertigt. Die beste<br />

Wolle stammt von den Schafen aus dem<br />

Hochland Tibets. Nach der Schur wird<br />

die Wolle gewaschen, gekämmt und von<br />

Hand zu einem mal dicken, mal dünnen<br />

Garn versponnen, das die Farbe unterschiedlich<br />

stark aufnimmt. So entsteht<br />

ein reizvolles, unregelmäßiges Farbbild,<br />

der sogenannte Abrasch.<br />

REIHE FÜR REIHE<br />

Teppiche werden an einem Knüpfstuhl<br />

mit vertikalen Kettfäden gefertigt. Die<br />

Knüpferinnen und Knüpfer sitzen nebeneinander<br />

und knüpfen die Wolle<br />

Reihe für Reihe nach einem vorgegebenen<br />

Muster ein. <strong>Ist</strong> eine Reihe beendet,<br />

werden die Knoten fixiert, mit einem<br />

Kammhammer angeschlagen, und die<br />

nächste Reihe beginnt. Je dichter die<br />

Knoten, desto feiner der Teppich. Nach<br />

Vollendung des Teppichs wird der Flor<br />

abgeschnitten und das Finishing beginnt:<br />

Der Teppich wird mehrmals gewaschen<br />

und zum Trocknen ausgelegt.<br />

Die Masse der nach Deutschland importierten<br />

Teppiche stammt aus Indien,<br />

Nepal, Iran und Pakistan. Sie werden in<br />

Manufakturen und in Heimarbeit gefertigt.<br />

Zertifizierungsstellen wie „Step“<br />

oder „good weave“ sollen garantieren,<br />

dass die Teppiche nicht in Kinderarbeit<br />

hergestellt werden.<br />

sehen aus, als seien die Farben wegradiert,<br />

verätzt und abgeblättert wie bei einer verwitterten<br />

Mauer oder als sei das Muster<br />

von wahlweise blauem oder pinkfarbenem<br />

Schimmelfraß überzogen.<br />

SPEERSPITZE DER TRADITION<br />

Kath spricht von „Erosionen“, von „Angriffen“<br />

auf das Material. Er traktiert die Oberflächen,<br />

„zermalt“ die Motive, arbeitet<br />

Farbspritzer und -klekse ein oder verwischt<br />

die vertrauten Muster – nicht, um<br />

sie zerstören, sondern, um sie zur Kenntlichkeit<br />

zu entstellen. Das „Mutterbild“ soll<br />

unter den reliefartig vorstehenden Manipulationen<br />

wie eine halb verblasste Erinnerung<br />

durchscheinen. Mit solchen Déjavu-Effekten<br />

will Kath die mittlere Kundengeneration,<br />

die mit Großmutters Perser<br />

aufgewachsen ist, wiedergewinnen. „Auferstanden<br />

aus Ruinen“, das sei sein Thema,<br />

sagt der Designer. Der Junge aus dem<br />

Ruhrgebiet ist zwischen Industrieruinen<br />

groß geworden, in einer Region, in der die<br />

Tradition, wie er sagt, nie viel galt. Gerade<br />

deshalb versteht er sich als „Speerspitze<br />

der Tradition“, als Vermittler von Neuem<br />

und Altem, der digitales Design mit der<br />

jahrhundertealten Kulturtechnik des Teppichknüpfens<br />

verbindet.<br />

Ein eigens für Kath entwickeltes Computerprogramm<br />

ermöglicht es, die Entwürfe<br />

auf Lochkarten, sogenannte Graphen, zu<br />

übertragen, auf denen jeder einzelne Knoten<br />

samt Faden und Färbung als kleiner<br />

Punkt markiert ist. Diese Graphen werden<br />

online von der Bochumer Zentrale in die<br />

Manufakturen in Nepal und Indien übermittelt<br />

und dienen als Vorlage für mehr als<br />

2600 Knüpfer, deren Arbeit vor Ort so<br />

FOTOS: DIMO FELDMANN (4)<br />

112 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Make Rugs, not War (oben) Slogans wie<br />

aus der Farbdose von Jan Kath<br />

Wie erlesener Schimmelfraß (unten)<br />

Oberflächenveredelung von Jan Kath<br />

„ziemlich genau“ kontrolliert werden<br />

kann. „In den meisten Fällen können wir<br />

exakt kalkulieren, was für ein Produkt herauskommt“,<br />

sagt Kath. Für sein neues Projekt<br />

„Space/Kosmos“ hat Kath Satellitenbilder<br />

einer Supernova in fotorealistischer<br />

Auflösung, „Pixel für Pixel“, in die Knoten-<br />

Sprache des Teppichs übersetzt. Das Ergebnis,<br />

das ihm in Kathmandu präsentiert<br />

wurde, habe ihn überzeugt.<br />

Neben avancierten Designkollektionen<br />

lässt Kath immer wieder „museumsreife“<br />

Stücke anfertigen, von stilsicheren Knüpfern<br />

und Färbmeistern altmeisterlich kopiert<br />

nach traditionellen Vorlagen, veredelt<br />

mit einem „antiken Finishing-Verfahren“:<br />

Durch wechselnde Behandlung mit Feuer<br />

und Wasser wird der Flor heruntergebrannt<br />

und erhält so die Patina eines<br />

100-jährigen Sammlerstücks. Inzwischen<br />

lässt Kath auch in Ostanatolien produzieren,<br />

wo einzelne Dörfer ihre Muster und<br />

Farben wie Erkennungszeichen pflegen.<br />

Nur den Iran, das Mutterland des Perserteppichs,<br />

meidet er: Die traditionsstolzen<br />

Iraner würden sich „an den Kopf fassen“,<br />

wenn sie seine Entwürfe sähen.<br />

Kaths Hamburger Kollege Hossein Rezvani,<br />

Jahrgang 1976, der aus einer persischen<br />

Teppichhändlerfamilie stammt und<br />

fließend Farsi spricht, hat vor wenigen Jahren<br />

den Brückenschlag gewagt, alte Geschäftskontakte<br />

des Vaters aufgefrischt. Er<br />

schickte seine Entwürfe nach Isfahan,<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 113<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

»<br />

wo Teppiche, zum Teil auf Seidenketten,<br />

mit einer Knotenfeinheit von bis zu einer<br />

Million Knoten pro Quadratmeter geknüpft<br />

werden, in Familienbetrieben, nur<br />

von Frauen, im Hof oder im Garten. Das irritierende<br />

Resultat: Statt roter Muster lieferten<br />

die persischen Knüpferinnen blaue,<br />

„weil sie die schöner fanden“.<br />

STRATEGIE DES WEGLASSENS<br />

Der Perser, sagt Rezvani, sei „schwer erziehbar“.<br />

Inzwischen funktioniert die Zusammenarbeit.<br />

Sogar die Dekors werden<br />

eingehalten: Rezvani reduziert bei seiner<br />

Kollektion „Persia reinvented“ die Muster<br />

auf ihre Grundstruktur. Arabesken, Eckornamente<br />

und Medaillons sind nur noch in<br />

Umrissen zu erkennen. Beim Täbris-Muster,<br />

das aus der gleichnamigen Stadt im<br />

Nordwesten des Iran stammt, hat er bis zu<br />

90 Prozent des Mittelornaments weggenommen.<br />

Das Auge soll automatisch die<br />

fehlenden Teile ergänzen. „Die Kunden erkennen<br />

die Herkunft des Produkts im Design“,<br />

sagt Rezvani, und haben das beruhigende<br />

Gefühl: Hier wird eine alte, vertraute<br />

Geschichte fortgesponnen.<br />

Diese Strategie des Weglassens und<br />

Wegbrechens der Muster hat im Teppichdesign<br />

Schule gemacht. „Kunden, die modern<br />

eingerichtet sind, holen sich damit<br />

ein historisches Zitat, und Kunden, die historisch<br />

eingerichtet sind, holen sich damit<br />

ein Stück Modernität“, sagt Jürgen Dahlmanns,<br />

neben Kath der einflussreichste<br />

deutsche Teppichdesigner. Natürlich hat<br />

auch seine Marke Rug Star Teppiche im<br />

Programm, denen die Auflösung der Muster<br />

einkomponiert ist, wie bei einem halb<br />

Weniger ist mehr Neuinterpretation eines<br />

Täbris-Musters von Hossein Rezvani<br />

Sehnsucht nach dem Ornament Aus der<br />

Belle-Époque-Serie von Jürgen Dahlmanns<br />

verblichenen Bild – die Oberflächenveredlung<br />

durch Waschen und Schrubben<br />

bringt sie zum Leuchten, verleiht ihnen<br />

den luxury-shabby-look.<br />

Dahlmanns, der am Niederrhein aufgewachsen<br />

ist und in Berlin Architektur studierte,<br />

hat schon als junger Mann Teppiche<br />

gesammelt, vor allem klassische Tibeter,<br />

die in den Achtzigerjahren mit ihren einfachen,<br />

archaisch wirkenden Farbmustern<br />

den Perser aus den deutschen Wohnzimmern<br />

verdrängten. Gerade bei modernen,<br />

fließenden Wohnungsgrundrissen, die dazu<br />

tendieren, die Raumordnung aufzulösen,<br />

erfüllt der Teppich, wie Dahlmanns<br />

findet, eine wichtige Funktion: „Er schafft<br />

Raum im Raum, zoniert die Wohnung, differenziert<br />

zwischen Wegen und Aufenthaltsflächen<br />

– und erzeugt Intimität.“<br />

Dass er auch Bewegung in die Wohnung<br />

bringen kann, hat Dahlmanns mit Teppichen<br />

gezeigt, die die Knüpftechniken des<br />

Tibet-Teppichs, dessen Knoten drei Fäden<br />

hat und deshalb besonders flauschig ist,<br />

auf den Perser übertragen: Die Serie<br />

„Splash“ arbeitet mit leuchtenden Farben,<br />

die, wie beim Action Painting, über den<br />

Teppichrand hinauszuschießen scheinen.<br />

Seine Vorbilder? Ohne die Kreationen<br />

der amerikanischen Designerin Stephanie<br />

Odegard, die als Erste, Ende der Achtzigerjahre,<br />

die traditionelle Ornamentik Indiens<br />

und der Mongolei in ein abstrahierendes,<br />

modernes Design überführte und delikate<br />

Farbmischungen Ton in Ton gefunden hat,<br />

seien seine – und Jan Kaths Arbeiten – sicher<br />

nicht möglich gewesen.<br />

Dahlmanns neueste Kreationen markieren<br />

einen Stilwechsel. Der prachtvolle,<br />

goldgelb schimmernde Teppich, der in seinem<br />

Berliner Showroom in der Rosa-Luxemburg-Straße<br />

hängt, zeigt zwei indische<br />

Königstiger. Es ist das handwerklich anspruchsvollste,<br />

perfekteste Stück der<br />

Sammlung, aus Wolle verschiedener Herkunftsländer<br />

geknüpft, in Farbmischungen<br />

von Bordeauxrot, Lila und Sandgelb; das<br />

Motiv ist einer Art-déco-Vorlage entnommen<br />

und spielt absichtsvoll mit Kitsch-Effekten,<br />

wie sie Dahlmanns südrussische<br />

und fernöstliche Kundschaft schätzt. Und<br />

die Serie Belle Époque, für die Dahlmanns<br />

in Wiener Museumsarchiven fündig geworden<br />

ist, feiert hemmungslos die Ornamentorgien<br />

des späten 19. Jahrhunderts.<br />

Dahlmanns, der in Rajastan fertigen lässt,<br />

Dependancen in Peking, Zürich und Augsburg<br />

und Kunden in 32 Ländern hat, sieht<br />

nicht nur bei Einrichtern in London, Sydney<br />

oder Shanghai, sondern auch im Kino<br />

und in der Literatur Anzeichen dafür, dass<br />

die Sehnsucht nach üppiger Ornamentik<br />

zunimmt. Je unsicherer, krisenhafter die<br />

Zeiten, so glaubt er, desto stärker das Heimweh<br />

nach Häuslich- und Heimeligkeit,<br />

nach wärmenden textilen Musterbildern.<br />

Auch bei vermögenden Kunden. Die<br />

kommen vom Prenzlauer Berg, wo sie eine<br />

schicke Fünf-Zimmer-Wohnung haben,<br />

mit dem Fahrrad vorgefahren. Oder aus<br />

Paris, wie jüngst das Paar, das erst im Autohaus<br />

einen Bentley kaufte und dann bei<br />

Rug Star zwei Teppiche. Für 29 000 Euro.<br />

Lang lebe die Krise!<br />

n<br />

christopher.schwarz@wiwo.de<br />

FOTOS: PR<br />

114 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS?<br />

MARCUS VITT<br />

Vorstandssprecher der Privatbank<br />

Donner & Reuschel<br />

Aktien oder Gold?<br />

Aktien, denn Aktien und auch<br />

Gold schaue ich mir immer<br />

wieder mit der myReturn-App<br />

an, und die lügt nie!<br />

iPhone oder Blackberry?<br />

Am liebsten hätte ich ein iPhone<br />

mit einer BB-Tastatur zum<br />

Schreiben auf der Rückseite:-)<br />

Cabrio oder SUV?<br />

Im Sommer Cabrio, sonst eine<br />

Limousine einer Münchner<br />

Automarke!<br />

Apartment oder Villa?<br />

Die Lage, Lage, Lage entscheidet<br />

und die Lebensphase!<br />

Paris oder London?<br />

NEW YORK.<br />

Kragen offen oder Krawatte?<br />

Situativ... und auch mal eine<br />

stilvolle Fliege!<br />

Nass oder trocken rasieren?<br />

Meistens trocken, denn <strong>dabei</strong><br />

kann ich schon was lesen...<br />

Mountainbike oder Rennrad?<br />

Das ist mir beides zu anstrengend.<br />

Dann lieber Tandem.<br />

Berge oder Meer?<br />

...bei unseren Kunden in Chile,<br />

da gibt es beides und sehr<br />

guten Wein dazu!<br />

Tee oder Kaffee?<br />

Einen guten Kaffee aus Hamburg.<br />

Stadt oder Land?<br />

Leben in der Stadt... erholen<br />

auf dem Land!<br />

AUSSTELLUNG IM MÜNCHNER LENBACHHAUS<br />

Richters Atlas<br />

Seit mehr als 50 Jahren sammelt<br />

der Maler Gerhard Richter Fotos,<br />

Zeitungsausschnitte, Collagen<br />

und Skizzen, die er auf sogenannten<br />

Tafeln anordnet. Das gesamte<br />

Konvolut nennt er Atlas.<br />

Einzelne Motive der thematisch<br />

gruppierten Tafeln dienten dem<br />

Künstler auch als Grundlage für<br />

seine Gemälde, aus anderen<br />

entwickelte er Raumvisionen, die<br />

nur in wenigen Fällen realisiert<br />

wurden. Vom 23. Oktober 2013<br />

bis 9. Februar 2014 zeigt das<br />

Münchner Lenbachhaus Werke,<br />

die auf diese Raumvisionen<br />

Bezug nehmen. Erstmals ausgestellt<br />

werden Werkgruppen zu<br />

„Olympia 1972“, zum „Reichstag“,<br />

zu den „Domfenstern“ und zur<br />

Serie „Strip“. An ihrem Beispiel<br />

soll Richters Arbeitsweise illustriert<br />

werden. Hinzu kommen<br />

Übertragungen in andere Medien wie Teppiche oder Skulpturen aus Glas. Das<br />

Lenbachhaus kaufte den Atlas 1996 von Richter, der ihn bis zu diesem Zeitpunkt<br />

mit 583 Tafeln gefüllt hatte. Nun findet mit den letzten Tafeln, die die Summe auf<br />

783 erhöhen, die Arbeit ihren Abschluss. lenbachhaus.de<br />

KOCHBUCH<br />

Hangarküche<br />

Der österreichische Unternehmer<br />

Dieter Mateschitz erweckt<br />

mit den Aktivitäten rund um<br />

sein Red-Bull-Reich selten den<br />

Eindruck des Feinschmeckers.<br />

Doch im Restaurant Ikarus im<br />

Hangar 7 des Flughafens Salzburg<br />

hat er ein einzigartiges<br />

Restaurant geschaffen, wo<br />

unter der Leitung von Roland<br />

Trettl internationale Spitzenköche<br />

Gastspiele über mehrere<br />

Wochen geben. Das Kochbuch<br />

„Kulinarische Überflieger“<br />

protokolliert nun die Auftritte<br />

von elf Köchen, darunter Jacob<br />

Jan Boerma und Brent Savage.<br />

colletion-rolf-heyne.de<br />

THE NEW YORKER<br />

„And, for what we don’t cover, there’s insurance insurance.“<br />

GERHARD RICHTER: ELBE, 2012, EDITION (AUSSTELLUNGSKOPIE FÜR DAS LENBACHHAUS); FOTO: PR; CARTOON: JACK ZIEGLER/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

116 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />

Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | Großbritannien GBP5,40 | Italien €6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

Leserforum<br />

Finanzminister Schäuble<br />

»Wir haben genug <strong>Geld</strong>«<br />

DasEndeallerGeheimnisse<br />

Big Data verrät unser Ich<br />

DieletzteZuflucht<br />

<strong>Geld</strong>&Börse<br />

Sieben gute Gründe, die trotz des<br />

Preisrückgangs für das Gold<br />

sprechen. Heft 41/2013<br />

Klasse Vorarbeit<br />

Ein wirklich gelungener Artikel,<br />

der Sie mit Sicherheit einiges an<br />

Zeit gekostet hat. Gut für mich<br />

war, dass ich in einem Interview<br />

mit der „Financial Times“ einige<br />

<strong>Ihr</strong>er Zahlen benutzen konnte.<br />

Klasse Vorarbeit! Vielen Dank!<br />

Daniel Marburger<br />

Director, Jewellers Trade Services<br />

Limited, Member of the London<br />

Bullion Market Association (LBMA)<br />

London<br />

Gute Grafiken<br />

Ein exzellenter Artikel zum Thema<br />

Gold. <strong>Ihr</strong>e Ausarbeitungen<br />

und die sehr guten Grafiken lege<br />

ich jedem meiner Leser ans Herz.<br />

Hannes Huster<br />

Herausgeber und Chefredakteur<br />

„Der Goldreport“<br />

Birmingham<br />

Trifft den Kern<br />

Gratulation zum Artikel! Besonders<br />

gefallen hat mir <strong>Ihr</strong>e Überschrift<br />

„Von der Leitwährung zur<br />

Leid-Währung“ über dem Chart<br />

des Dollar-Index. Das ist witzig,<br />

trifft aber den Kern! Ich habe<br />

mich auf einem Vortrag gerne<br />

auf <strong>Ihr</strong>en Artikel bezogen.<br />

Ronald-Peter Stöferle<br />

CMT, Incrementum AG<br />

Vaduz (Liechtenstein)<br />

Unfruchtbar<br />

<strong>Ihr</strong>e warme Empfehlung für<br />

Gold-Investments ist befremdend.<br />

Kapital soll arbeiten und<br />

41<br />

7.10.2013|Deutschland €5,00<br />

4 1<br />

4 1 98065 805008<br />

der Wirtschaft Nutzen bringen.<br />

Gold ist ein unfruchtbares Investment,<br />

es sei denn, es wird<br />

zur Fabrikation verwendet.<br />

Salomon Katzenstein<br />

via E-Mail<br />

Sichere Lagerung<br />

An Argumenten für den Kauf<br />

von physischem Gold fehlt<br />

es nicht. Das Problem ist die<br />

sichere und vertrauenswürdige<br />

Lagerung außerhalb des Finanzsystems,<br />

sodass der Zugang<br />

wirklich immer möglich ist. Und<br />

natürlich kann es aus Sicherheitsgründen<br />

keinesfalls ein<br />

Tresor in den eigenen vier Wänden<br />

sein.<br />

Joachim Lenz<br />

Bendestorf (Niedersachsen)<br />

Technik&Wissen<br />

Klimawandel: Es ist höchste Zeit für<br />

eine neue Klimapolitik. Fünf Ansätze<br />

dazu. Heft 42/2013<br />

Politisches Getöse<br />

Der Weltklimarat bleibt mit seinem<br />

aktuellen Bericht auf der<br />

Linie, sich mit den Protagonisten<br />

des politischen Gutmenschen-Aktionismus<br />

zu verbrüdern.<br />

Das kommt mit <strong>Ihr</strong>en fünf<br />

Vorschlägen zur Klimarettung<br />

sehr schön zum Ausdruck. Dieser<br />

Beitrag ist viel weiser als das<br />

Getöse der Politiker, die es zwar<br />

nicht verstanden haben, aber<br />

trotzdem mit dem Thema punkten<br />

wollen, wie unsinnig die<br />

teuren Gegenmaßnahmen<br />

auch seien.<br />

Dipl.-Phys. Matthias Holl<br />

Essen<br />

Einblick<br />

Chefredakteur Roland Tichy über den<br />

fehlenden wirtschaftlichen Kompass<br />

des neuen Bundestags. Heft 41/2013<br />

Mut zur Tat<br />

So sehr ich auch Herrn Tichy im<br />

Allgemeinen – eigentlich immer<br />

– zustimme, jetzt muss ich doch<br />

mal kritisch intervenieren. Herr<br />

Tichy, Sie müssen irgendwann in<br />

der Schule oder Universität nicht<br />

aufgepasst haben, einen Lehrinhalt<br />

verpasst haben. Sie beklagen<br />

die ökonomische Uneinsichtigkeit<br />

der Politik, der Vertreter der<br />

Parteien, auch gelegentlich der<br />

veröffentlichten Meinung. Was<br />

da im öffentlichen Diskurs verhandelt<br />

wird, das ist jedoch<br />

Marktgeschehen der anderen<br />

Art. Statt mit Gütern und Dienstleistungen<br />

wird hier mit Gedanken-Konstrukten,<br />

mit Erwartungen,<br />

Zukunftsentwürfen,<br />

Versprechungen und Idealen<br />

gehandelt. Da soll etwas verkauft<br />

werden, also muss es<br />

angepriesen, aufgehübscht,<br />

emotional aufgeladen werden,<br />

wie am Markt der Güter und<br />

Dienstleistungen. So ist die<br />

Realität. Eigentlich liegen Sie ja<br />

richtig mit <strong>Ihr</strong>er Argumentation,<br />

aber fordern Sie mehr zur Tat auf,<br />

bringen Sie Beispiele, wie wir<br />

etwas anschieben können, machen<br />

Sie uns Mut zur Tat. Die<br />

ökonomische Vernunft sollte<br />

doch nicht nur und immer populären<br />

Jetzt-Interessen geopfert<br />

werden! Bleiben Sie am Ball!<br />

Klaus Neuhoff<br />

via E-Mail<br />

Neidkomplex<br />

Sie gehen in <strong>Ihr</strong>em Einblick unter<br />

anderem auf das Thema<br />

„Mietpreisdeckelung“ ein. Diese<br />

Maßnahme würde das Problem<br />

nur zum Teil lösen. Ich<br />

würde mir wünschen, dass die<br />

Beteiligten an dieser Diskussion<br />

einmal eine Mietpreiskalkulation<br />

erstellen. Dies unter dem<br />

Gesichtspunkt „Erbringung des<br />

ausgeglichenen Kapitaldienstes“,<br />

aber „nach Steuern“. Dem<br />

Vermieter sollte allerdings noch<br />

eine angemessene Kapitalverzinsung<br />

zugestanden sein. Mit<br />

diesem Ergebnis kann man<br />

dann in die Diskussion eintreten.<br />

Die bisherigen Beiträge<br />

entsprechen nicht der wirtschaftlichen<br />

Notwendigkeit, sie<br />

sind von einem Neidkomplex<br />

geprägt. Bedenken Sie bei künftigen<br />

Beiträgen auch den betriebs-<br />

und finanzwirtschaftlichen<br />

Aspekt. Das gilt auch für<br />

das Thema Mindestlohn.<br />

Adam Diehl<br />

Palling (Oberbayern)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Europa: Eine Studie mahnt eine<br />

Rückkehr zur Marktwirtschaft an.<br />

Heft 41/2013<br />

Linkslastig<br />

Es steht für mich außer Frage<br />

und ist überfällig, dass eine künftige<br />

Bundesregierung zu einer<br />

marktwirtschaftlichen Umkehr<br />

drängen muss. Über die Jahrzehnte<br />

ist Ludwig Erhard von Regierung<br />

zu Regierung immer<br />

weiter in Vergessenheit geraten.<br />

Der Grund: die Linkslastigkeit<br />

der Parteien. Allen voran SPD,<br />

Grüne und Linke. Aber auch die<br />

Union lehnte sich an vieles an,<br />

was den Markt aushebelte. Mit<br />

neuen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

wurden stets<br />

neue Probleme generiert. Gefragt<br />

sind wirtschafts- und ordnungspolitische<br />

Rahmenbedingungen,<br />

die ein ökonomisches<br />

und soziales Miteinander gewährleisten.<br />

Jeder an seiner Stelle<br />

mit seinen Fähigkeiten.<br />

Karl-Heinz Schmehr<br />

Lampertheim (Hessen)<br />

Management&Erfolg<br />

Warum kluges Geben langfristig mehr<br />

nutzt als rücksichtsloses Nehmen.<br />

Heft 40/2013<br />

Bosheit<br />

Seit über 20 Jahren bin ich im<br />

Berufsleben und habe, auch als<br />

Christ, immer gerne und oft gegeben,<br />

aber bis dato nichts zurückbekommen.<br />

Im Gegenteil,<br />

ich wurde gemobbt, und es<br />

wurden aus Bosheit und Neid<br />

Unwahrheiten über mich in die<br />

Welt gesetzt. Von einem Teil<br />

meiner Berufskollegen wurde<br />

ich sogar angefeindet.<br />

Peter Wienand-Casares<br />

Wirtschaftsprüfer<br />

Karlstein am Main<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

Postfach 10 54 65<br />

40045 Düsseldorf<br />

E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />

Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />

um Angabe <strong>Ihr</strong>er Postadresse.<br />

TITELILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />

118 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Firmenindex<br />

Die Angaben bezeichnen den<br />

Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

Accenture.......................................................... 75, 86<br />

Activ Solar................................................................38<br />

Airbus.............................................................. 72, 100<br />

Aleo......................................................................... 60<br />

Amazon....................................................................68<br />

Amtek...................................................................... 90<br />

Apple........................................................... 14, 16, 18<br />

Aral....................................................................76, 78<br />

Arqueonautas...........................................................76<br />

AT&T...................................................................... 107<br />

Audi......................................................................... 12<br />

Autonetzer.de...........................................................11<br />

B<br />

BASF..................................................................50, 58<br />

BAT..........................................................................63<br />

Bayer........................................................... 50, 82, 90<br />

Bayer MaterialScience.............................................. 72<br />

Bedea......................................................................72<br />

Belectric.................................................................. 60<br />

Roland Berger...........................................................82<br />

Berkshire Hathaway........................................100, 109<br />

Biesalski & Company................................................50<br />

Bilfinger............................................................. 18, 72<br />

BMW.................................................... 12, 72, 89, 100<br />

Otto Bock.................................................................50<br />

Boeing......................................................................72<br />

Bosch...............................................................60, 100<br />

Boston Consulting Group...........................................82<br />

Burberry...................................................................18<br />

BYD....................................................................... 100<br />

C<br />

Cafetiero.................................................................. 78<br />

Camelot...................................................................89<br />

Capital Stage............................................................60<br />

Car2Go.....................................................................76<br />

Cashcloud................................................................ 76<br />

Ceno Tec..................................................................72<br />

Centrotherm.............................................................60<br />

China Bak Battery...................................................100<br />

Citibank................................................................... 58<br />

Clarion..................................................................... 76<br />

CMC Markets............................................................16<br />

Commerzbank.................................................... 38, 58<br />

Continental...............................................................76<br />

Coppenrath & Wiese................................................. 88<br />

Coupies....................................................................76<br />

Craton Capital........................................................ 111<br />

Credit Suisse............................................................ 90<br />

D<br />

DailyDeal..................................................................68<br />

Daimler............................................................ 12, 100<br />

DBS......................................................................... 58<br />

Deutsche Bahn.........................................................11<br />

Deutsche Bank............................................. 36, 60, 90<br />

Deutsche Telekom...................................... 14, 76, 107<br />

Doerr&Partner..........................................................16<br />

Douglas....................................................................78<br />

DriveNow................................................................. 76<br />

Duravit.....................................................................50<br />

E<br />

Ebay.........................................................................68<br />

Edeka.......................................................................76<br />

Enersys.................................................................. 100<br />

E-Plus...................................................................... 14<br />

EQT..........................................................................16<br />

Evonik........................................................ 75, 86, 100<br />

Expedia.................................................................... 68<br />

F<br />

Facebook................................................................. 81<br />

Ferrero.....................................................................11<br />

First Solar.................................................................60<br />

G<br />

General Electric......................................................100<br />

Goldman Sachs.......................................................109<br />

Görtz........................................................................76<br />

Grimme Gruppe........................................................ 50<br />

Groupon...................................................................68<br />

GS Yuasa................................................................100<br />

GS1..........................................................................76<br />

H<br />

H.I.S.-Jeans..............................................................76<br />

Haribo......................................................................11<br />

Herman Miller...........................................................20<br />

Horváth & Partners................................................... 86<br />

I<br />

IHS...........................................................................60<br />

IMC Agro.................................................................. 38<br />

Inreal Technologies...................................................18<br />

ISS...........................................................................16<br />

IVG...........................................................................56<br />

J<br />

Johnson Controls....................................................100<br />

K<br />

Kärcher.................................................................... 58<br />

Kerkhoff Consulting............................................ 82, 88<br />

Klingspor..................................................................38<br />

Kolibri Power Systems.............................................100<br />

KWS Saat................................................................. 50<br />

L<br />

Leoni........................................................................38<br />

Lieferando................................................................68<br />

Lieferheld.................................................................68<br />

Loewe...................................................................... 56<br />

M<br />

Maersk.....................................................................14<br />

Manpower................................................................ 16<br />

MasterCard.............................................................. 76<br />

McDonald’s.............................................................. 76<br />

McKinsey................................................................. 82<br />

Mercedes................................................................. 12<br />

Mercer..................................................................... 89<br />

Mercom Capital........................................................ 60<br />

Metzeler von der Fecht............................................. 56<br />

Microsoft..................................................................16<br />

Monsanto.................................................................50<br />

N<br />

Napster....................................................................14<br />

Netto....................................................................... 76<br />

Neumayer Tekfor...................................................... 90<br />

Nokia....................................................................... 16<br />

NPD Solarbuzz..........................................................60<br />

O<br />

O2............................................................................14<br />

Orange................................................................... 107<br />

Otto......................................................................... 76<br />

P<br />

Paij.......................................................................... 76<br />

Panalpina................................................................. 14<br />

Panasonic.............................................................. 100<br />

Payback................................................................... 76<br />

Paycash................................................................... 78<br />

Paypal......................................................................76<br />

People Brand............................................................91<br />

Peri..........................................................................50<br />

Philip Morris.............................................................63<br />

Polypore.................................................................100<br />

Porsche Consulting............................................. 82, 84<br />

Power Textiles.......................................................... 72<br />

Praktiker.................................................................. 56<br />

PricewaterhouseCoopers.......................................... 90<br />

R<br />

Reemtsma................................................................63<br />

Renolit.....................................................................50<br />

Resmio.....................................................................68<br />

Rewe........................................................................76<br />

Rhapsody................................................................. 14<br />

Roedl & Partner........................................................ 58<br />

Rolls-Royce.............................................................. 89<br />

RWE.........................................................................30<br />

S<br />

SAFT......................................................................100<br />

Samsung................................................................ 100<br />

SAP..............................................................10, 82, 84<br />

Sberbank................................................................108<br />

Schaltbau...............................................................108<br />

Schmid.....................................................................60<br />

Sennheiser............................................................... 50<br />

Simfy....................................................................... 14<br />

Solarworld................................................................60<br />

Sonora..................................................................... 14<br />

Sony.................................................................77, 100<br />

Sport Scheck......................................................76, 78<br />

Spotify..................................................................... 14<br />

SRTS........................................................................14<br />

State Grid Corporation............................................ 100<br />

Steag....................................................................... 30<br />

Stern Stewart........................................................... 82<br />

Suhrkamp.................................................................56<br />

T<br />

Taylor Wessing..........................................................58<br />

Telefónica.......................................................... 14, 76<br />

10Stamps................................................................ 76<br />

Tesla................................................................81, 100<br />

TNS Infratest............................................................ 76<br />

Toyota......................................................................81<br />

Trina Solar................................................................60<br />

V<br />

Vattenfall..................................................................86<br />

Vertu........................................................................16<br />

Viega........................................................................90<br />

Visa..........................................................................76<br />

Vodafone....................................................14, 76, 107<br />

Volkswagen............................................................ 100<br />

W<br />

Walter Services.........................................................56<br />

Dietrich Wetzel......................................................... 72<br />

Wilo......................................................................... 50<br />

Windreich.................................................................56<br />

Wirsol.......................................................................60<br />

Y<br />

Yapital......................................................................76<br />

Yougov..................................................................... 68<br />

Yves Saint Laurent....................................................18<br />

Leitung Franziska Bluhm<br />

Chefin vom Dienst Dr. Silke Fredrich<br />

Redaktion Rebecca Eisert, Ferdinand Knauß, Meike Lorenzen,<br />

Tim Roman Rahmann, Andreas Toller<br />

E-Mail online@wiwo.de<br />

BÜROS<br />

Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

Gegründet 1926<br />

Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />

40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />

(für Briefe)<br />

40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />

(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />

REDAKTION<br />

Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />

Chefredakteur Roland Tichy<br />

Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />

Franz W. Rother<br />

Geschäftsführende Redakteurin/Chefin vom Dienst<br />

Angela Kürzdörfer<br />

Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />

Chefreporter Dieter Schnaas<br />

Chefreporter international Florian Willershausen<br />

Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />

Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />

Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Nele Hansen, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Martin Seiwert,<br />

Peter Steinkirchner, Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse,<br />

Jürgen Salz, Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />

Management: Julia Leendertse<br />

Technik & Wissen Sebastian Matthes; Thomas Kuhn,<br />

Dieter Dürand (Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor),<br />

Susanne Kutter, Andreas Menn, Jürgen Rees<br />

Management & Erfolg Manfred Engeser; Daniel Rettig,<br />

Kristin Schmidt, Claudia Tödtmann<br />

<strong>Geld</strong> & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />

Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Dr. Anton Riedl<br />

Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />

Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />

Claudia Immig, Horst Mügge<br />

Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />

Syndication wiwo-foto.de<br />

Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />

Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />

Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />

Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />

Produktion Markus Berg, Petra Jeanette Schmitz<br />

ONLINE<br />

Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

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Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1040 Bruxelles,<br />

Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />

E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />

Frankfurt<br />

Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />

Unternehmen + Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp<br />

<strong>Geld</strong> & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />

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London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />

London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />

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München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />

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New York Angela Hennersdorf, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702<br />

New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />

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Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />

75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />

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São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />

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São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112 ,<br />

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Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />

200040 Shanghai,<br />

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Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />

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Verantwortlich für diese Ausgabe i.S.d.P.<br />

Konrad Handschuch (Politik & Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />

Reinhold Böhmer (Unternehmen & Märkte), Hauke Reimer<br />

(<strong>Geld</strong> & Börse), Manfred Engeser (Management & Erfolg),<br />

Thorsten Firlus (Perspektiven & Debatte), Hermann J. Olbermann<br />

(Menschen der Wirtschaft), Sebastian Matthes (Technik & Wissen)<br />

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120 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />

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Ausblick<br />

„Als Hobbykoch weiß ich,<br />

dass es nicht nur auf die Farbe<br />

der Zutaten ankommt,<br />

sondern auch auf die Qualität.“<br />

Peter Altmaier<br />

Bundesumweltminister (CDU),<br />

zu den Sondierungsgesprächen<br />

mit SPD und Grünen<br />

„2005 gab es wenigstens<br />

Alkohol, dieses Mal nix.“<br />

Andrea Nahles<br />

SPD-Generalsekretärin,<br />

nach einem Sondierungsgespräch mit<br />

der CDU/CSU<br />

„Sie können gern auch<br />

im Duett vortragen.“<br />

Angela Merkel<br />

Bundeskanzlerin (CDU), zu<br />

den grünen-Parteivorsitzenden<br />

Claudia Roth und Cem Özdemir, als<br />

beide gleichzeitig zu reden begannen<br />

„Es gab ein ernsthaftes<br />

Bemühen darum, Brücken<br />

zueinander zu bauen.<br />

Diese Brücken sind aber nicht<br />

so stabil, dass sie vier<br />

Jahre lang halten könnten.“<br />

Cem Özdemir<br />

Vorsitzender der Grünen, zum<br />

Scheitern der Gespräche über eine<br />

Regierungsbildung mit der CDU/CSU<br />

„Das Finanzwesen steuert<br />

die moderne Gesellschaft.<br />

Das mag sich für manche<br />

Menschen seltsam anhören,<br />

aber es ist absolut wahr.“<br />

Robert Shiller<br />

US-Wirtschaftsnobelpreisträger<br />

„Der Zeitpunkt<br />

der Spende zeigt, hier wurde<br />

nicht einfach eine Partei<br />

gekauft, sondern ein Gesetz.“<br />

Bernd Riexinger<br />

Parteichef der Linken, zu der<br />

Spende der BMW-Aktionärsfamilie<br />

Quandt an die CDU in Höhe von<br />

690 000 Euro und dem Bemühen<br />

der Regierung, die CO 2 -Vorgaben für<br />

Autos in der EU zu lockern<br />

„Schießt euch nicht<br />

selbst in den Fuß.“<br />

Jamie Dimon<br />

Chef der US-Bank JP Morgan,<br />

über die Gefahr für die Weltwirtschaft<br />

durch den US-Haushaltsstreit<br />

»Wo immer ich in den letzten<br />

Jahren auf Reisen war:<br />

Die Goldbären waren längst da.«<br />

Guido Westerwelle<br />

Bundesaußenminister (FDP), über das Unternehmensimperium<br />

des verstorbenen Haribo-Chefs Hans Riegel<br />

„Es gibt kein Leben nach einem<br />

Zahlungsausfall der USA.“<br />

Anshu Jain<br />

Co-Vorstandsvorsitzender<br />

der Deutschen Bank, zum<br />

Haushaltsstreit in den USA<br />

„China ist ein hervorragender<br />

Markt. In fünf Jahren wird<br />

das Land fürs Filmgeschäft der<br />

größte Markt der Welt sein.“<br />

Jeffrey Katzenberg<br />

US-Filmproduzent<br />

„Es ist noch ein weiter Weg.<br />

Aber endlich wird die Ära des<br />

Rettungsschirms vorbei sein.“<br />

Enda Kenny<br />

irischer Premierminister, über das<br />

Ziel, zum Jahresende auf internationale<br />

Finanzhilfe zu verzichten<br />

„Griechenland und Zypern<br />

brauchen einen<br />

Schuldenerlass. Definitiv.“<br />

Mohamed El-Erian<br />

Vorstandsvorsitzender der Allianz-<br />

Tochter Pimco, des weltweit größten<br />

Anleihe-Investors<br />

„Es muss einen grundlegenden<br />

Neustart bei der Energiewende<br />

geben, die Zeit des<br />

Durchwurschtelns ist vorbei.“<br />

Johannes Teyssen<br />

Vorstandsvorsitzender des<br />

Energiekonzerns E.On<br />

„Für mich steht fest, dass ich als<br />

Passagier nicht zwölf Stunden<br />

lang da drin sitzen möchte.“<br />

Fabrice Bregier<br />

Airbus-Chef, zum Sitzkomfort des<br />

Dreamliners, dem neuen Flugzeug des<br />

US-Konkurrenten Boeing<br />

„Wir müssen unsere Marke<br />

bekannter machen.<br />

Das ist auch der Grund, warum<br />

wir in Deutschland<br />

Borussia Dortmund sponsern.“<br />

Ping Guo<br />

Chef des chinesischen<br />

Telekommunikationskonzerns Huawei<br />

„Ja, die Rollatoren sind in der<br />

Gesellschaft angekommen.“<br />

Thomas Bischoff<br />

Geschäftsführer von<br />

Bischoff & Bischoff Medizin- und<br />

Rehabilitationstechnik, über<br />

das Geschäft mit den Gehhilfen<br />

ILLUSTRATION: PAUL TRAKIES<br />

122 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWocheß<br />

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