Wirtschaftswoche Ist Ihr Geld dabei? (Vorschau)
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Robert Shiller ■ Garrelt Duin ■ Andreas Renschler ■ Mykola Asarow ■ Reinhold Festge ■ Ferdinand Kirchhof<br />
43<br />
21.10.2013|Deutschland €5,00<br />
4 3<br />
4 1 98065 805008<br />
Von Siegern lernen<br />
Was Weltmarktführer<br />
auszeichnet<br />
Klein schlägt groß<br />
Deutschlands beste<br />
Unternehmensberater<br />
<strong>Ist</strong><br />
<strong>Ihr</strong> <strong>Geld</strong> <strong>dabei</strong>?<br />
Die schmutzigen Tricks der Fonds – und wie<br />
sich Anleger wehren können<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
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Einblick<br />
Wer seinen Wohlstand bewahren will, muss mehr<br />
über die <strong>Geld</strong>fluten der Notenbanken und deren<br />
Wander-Blasen Bescheid wissen. Von Roland Tichy<br />
Globale Wander-Blasen<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Wirtschaftliche Blasen sind<br />
höchst angenehm, solange<br />
sie sich aufpumpen: Alles<br />
läuft, Einkommen steigen,<br />
Steuern sprudeln. Blöd nur, wenn Blasen<br />
platzen. Peng! Das Ende der Dotcom-Blase<br />
hat Aktienmillionäre zu Altpapierbesitzern<br />
geschrumpft. Der Knall der US-Immobilienblase<br />
drohte erst die Welt und<br />
jetzt die Sparer zu ruinieren. Pfffffffft! Und<br />
seit dem Ende der Schuldenmacherei<br />
schrumpeln die Wirtschaften der Südländer<br />
wie ein Kaschmirpulli, der in die<br />
Kochwäsche geraten ist: Das teure Stück<br />
ist nicht mehr zu gebrauchen.<br />
Blasen sind schwer zu erkennen: Was ist<br />
ein solider Boom – und was eine schillernde<br />
Seifenblase? Selbst Nobelpreisträger<br />
sind sich da nicht einig (siehe Seite 46). Wir<br />
alle klopfen uns wegen unserer Fähigkeiten<br />
selbst auf die Schulter. Dabei war es<br />
doch nur der Zufallsgenerator im Spielautomaten,<br />
der uns reich gemacht hat: nicht<br />
wiederholbar. Jetzt kommen die globalen<br />
Wander-Blasen – größer, tückischer und<br />
bedrohlicher denn je. Sie entstehen, weil<br />
die US-amerikanische und europäische<br />
Notenbank ungeheure Summen künstlichen<br />
<strong>Geld</strong>es in den Wirtschaftskreislauf<br />
pumpen, immer neues Kunstblut für ihre<br />
ausgemergelten Ökonomien.<br />
Das läuft gar nicht schlecht für die USA,<br />
wenn die vierteljährlich ausbrechende<br />
Kneipenschlägerei um den Schuldendeckel<br />
nicht irgendwann doch noch zum<br />
wirtschaftlichen Schädelbruch führt. Es<br />
läuft sogar so gut, dass die US-Notenbank<br />
Fed aus ihrer <strong>Geld</strong>druckerei aussteigen<br />
und damit die Zinsen erhöhen will. Was<br />
wirtschaftlich vernünftig ist, könnte für den<br />
Euro bedeuten: Peng!!! Denn bei den derzeitigen<br />
Hungerzinsen reicht schon ein<br />
erbarmungswürdiges Zehntel-Prozent für<br />
den großen Run, hin zu den Futtertrögen<br />
mit etwas höherem Zinsnährstoff. Das ist<br />
die größte Bedrohung für den Euro: Höhere<br />
Zinsen in den USA lassen all diese frisch<br />
gedruckten Euro-Scheinchen über den<br />
Atlantik schwimmen. Dann geht die <strong>Geld</strong>druckerei<br />
und Zinsenschinderei erst richtig<br />
los. Denn die Europäische Zentralbank<br />
(EZB) hat sich bislang mit ihrer Zinspolitik<br />
nie, wie sie behauptet, am Durchschnitt<br />
der wirtschaftlichen Notwendigkeit in Europa<br />
orientiert. Sie nährt immer ihren<br />
hungrigsten Notfall und erzeugt Blasen an<br />
anderer Stelle. Das war um 2005 so – damals<br />
war Deutschland der kranke Mann<br />
Europas und wurde mit niedrigen Zinsen<br />
gepflegt. Diese Niedrigzinsen haben die<br />
Verschuldungsblase in Südeuropa aufgepumpt,<br />
weil Kredite so billig waren wie nie.<br />
Heute können Griechenland und Spanien<br />
nur mit Niedrigzinsen überleben, während<br />
Deutschland eigentlich höhere bräuchte,<br />
um einen gefährlichen Selbstbetrug zu verhindern.<br />
Um uns herum, in den Niederlanden<br />
und in Finnland, sind solche Wohlfühlträume<br />
schon geplatzt. Dort haben die<br />
Niedrigzinsen die Immobilienpreise angeheizt.<br />
Paff!!!! Weil diese Preise durch Mieten<br />
nicht erwirtschaftet werden, fallen jetzt die<br />
Häuserpreise. Immobilienkredite platzen,<br />
Firmen gehen bankrott. Das vermeintlich<br />
starke Oranje steht bis zu den Knien im<br />
Schuldenwasser.<br />
BLASEN DER SELBSTTÄUSCHUNG<br />
Jetzt fließt Kapital nach Deutschland –<br />
nach demselben Muster. Die Industrie<br />
wirkt supererfolgreich. Doch zieht man die<br />
wegen der Niedrigzinsen gesunkenen Finanzierungskosten<br />
ab, bleibt nicht mehr<br />
viel von der Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem<br />
steigen die Löhne kräftig. Wenn die<br />
Blase sich aufbläht, erscheint alles möglich.<br />
Das zeigt sich erneut in Deutschland:<br />
höhere Löhne, Mindestlöhne und das Verjubeln<br />
der Steuermehreinnahmen durch<br />
Wählergeschenke. Dieses Berliner Theater<br />
können Sie täglich verfolgen. Die Immobilienpreise<br />
steigen zweistellig, und viele<br />
Anleger berücksichtigen nicht, dass die<br />
Mieten nicht schnell genug mitziehen.<br />
Das geht gut, solange die EZB mitspielt<br />
und die Fed die Zinsen nicht erhöht. Wenn<br />
doch: finales Peng!!! Die großen <strong>Geld</strong>fluten<br />
der Notenbanken reißen alles mit. Arbeitsplätze<br />
futsch, Immobilienpreise treffen im<br />
Keller auf <strong>Ihr</strong> Rest-Vermögen, Steuern versiegen.<br />
Das Peng!!! gehört zur Blase wie das<br />
Wohlgefühl am Anfang.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 5<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
8 Seitenblick Das Vermögen der Kirche<br />
10 SAP: Größter Flop der Firmengeschichte<br />
11 Deutsche Bahn: Verleih für Privatautos |<br />
Touristik: Pleiten befürchtet | Haribo: Goldbären<br />
für Ältere<br />
12 Interview: Mercedes-Produktionschef<br />
Andreas Renschler will Audi und BMW jagen<br />
14 Musikdienste: Chaotische Kooperationen |<br />
Schiffsfracht:Container für Mittelständler |<br />
Drei Fragen zur Chemie-Tarifrunde<br />
16 Zeitarbeit: Ärger bei Manpower | Derivatehandel:<br />
Ermittlungen gegen CMC-Chef |<br />
Vertu: Luxushandys billiger<br />
18 Chefsessel | Startup Inreal Technologies<br />
20 Chefbüro Jochen Homann, Präsident der<br />
Bundesnetzagentur<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
22 Staatsschulden Braucht auch Deutschland<br />
eine Tea Party, um den ewigen Anstieg<br />
des Schuldenbergs zu stoppen? | Interview:<br />
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts,<br />
Ferdinand Kirchhof, will staatliche<br />
Defizite grundsätzlich verbieten<br />
28 Ortstermin Für AfD-Parteichef Bernd Lucke<br />
beginnt das Leben nach der Politik<br />
30 Interview: Garrelt Duin Der NRW-Wirtschaftsminister<br />
will den Ausbau alternativer<br />
Energien drosseln<br />
34 Regierungsbildung Was ein einheitlicher<br />
flächendeckender Mindestlohn brächte<br />
36 Bankenunion Die Bilanzprüfung durch die<br />
EZB verbreitet Angst und Schrecken<br />
38 Ukraine Der Anschluss an die EU soll einen<br />
Modernisierungsschub bringen | Interview:<br />
Der ukrainische Ministerpräsident, Mykola<br />
Asarow, über seine Erwartungen an Europa<br />
43 Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
44 Kommentar | Nachgefragt<br />
45 Konjunktur Deutschland<br />
46 Nobelpreis Die Auswahl der Preisträger ist<br />
auch eine Mahnung an die Notenbanken<br />
48 Nachgefragt: Raghuram Rajan Indiens<br />
Notenbankchef will die Wirtschaft beleben<br />
Unternehmen&Märkte<br />
50 Marken-Ranking Warum sich deutsche<br />
Weltmarktführer so gut verkaufen<br />
56 Suhrkamp Der Machtkampf wirft ein<br />
Schlaglicht auf das neue Insolvenzrecht<br />
58 China Die Freihandelszone in Shanghai<br />
enttäuscht bisher deutsche Unternehmen<br />
60 Solarindustrie Können auch die Deutschen<br />
vom weltweiten Aufschwung profitieren?<br />
63 Interview: Marcus Schmidt Der neue<br />
Reemtsma-Chef trotzt den drohenden<br />
Restriktionen für die Tabakindustrie<br />
66 VDMA So tickt Reinhold Festge, frischgewählter<br />
Chef des Maschinenbauverbands<br />
Titel Für die Tonne<br />
Anleger, die sich an Immobilien, Windparks<br />
oder Schiffen beteiligt haben,<br />
stehen vielfach vor einem Scherbenhaufen.<br />
Häuser sind mieterlos, Windräder rosten<br />
vor sich hin, und Seefrachtraten stürzen ab.<br />
Wie die Fondsanbieter tricksen, wie sich<br />
Anleger wehren können. Seite 92<br />
Brauchen auch wir<br />
eine Tea Party?<br />
Nicht nur in den USA, auch bei uns<br />
funktioniert Politik nur auf Pump.<br />
Ein Ende des Schuldenmachens ist<br />
nicht in Sicht. Seite 22<br />
Die Marken-Könige<br />
„Die schaffen das“ – Mittelständler wie Philip von dem Bussche,<br />
Chef des Saatgutherstellers KWS, pflegen ihre Marke so gut, dass sie<br />
weltweit spitze sind. Das Ranking der 20 Cleversten. Seite 50<br />
TITELILLUSTRATION: DMITRI BROIDO; FOTOS: MASTERFILE, DDP IMAGES, GETTY IMAGES, SHOTSHOP, MAURITIUS IMAGES<br />
6 Person auf dem Titel erwähnt<br />
Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 43, 21.10.2013<br />
Der Stahl der Zukunft<br />
Extrem stabil, ultraleicht und fast erdbebensicher: Innovative<br />
High-Tech-Textilien revolutionieren die Bauindustrie und verleihen<br />
Brücken, Häusern und Stadien ganz neue Eigenschaften. Seite 72<br />
68 Groupon Nach Boom und Krise steht das<br />
Schnäppchenportal am Scheideweg<br />
Technik&Wissen<br />
72 Bauen High-Tech-Textilien revolutionieren<br />
die Bauindustrie<br />
76 Mobilfunk Die Bezahlung von Waren per<br />
Handy wird alltagstauglich<br />
81 Valley Talk<br />
FOTOS: PR (2), GROTZ BECKERT, DIMO FELDMANN<br />
Deutschlands beste Berater<br />
Klein schlägt groß: Porsche Consulting gewinnt den Wirtschafts-<br />
Woche-Wettbewerb Best of Consulting und lässt <strong>dabei</strong> Branchenriesen<br />
wie McKinsey und Boston Consulting Group hinter sich. Seite 82<br />
Bodenreform<br />
„Make Rugs, not War“,<br />
heißt die pinkfarbene Parole.<br />
Teppichdesigner wie Jan<br />
Kath verbinden traditionelle<br />
Knüpftechniken mit der<br />
Formensprache der Moderne.<br />
Seite 112<br />
Management&Erfolg<br />
82 Spezial Best of Consulting Deutschlands<br />
erfolgreichste Unternehmensberatungen<br />
<strong>Geld</strong>&Börse<br />
92 Geschlossene Fonds Anleger, die sich an<br />
Immobilien oder Schiffen beteiligt haben,<br />
stehen vielfach vor einem Scherbenhaufen.<br />
Wie die Anbieter tricksen, wie sich Anleger<br />
wehren | Welche Signale Investoren warnen |<br />
Welche Rechtsansprüche existieren<br />
100 Aktien Papiere von Batterieherstellern versprechen<br />
hohe Gewinne bei hohem Risiko<br />
104 Steuern und Recht Heizung | Scheidung |<br />
Privatkredit | Telefonvertrag | Zugluft<br />
106 <strong>Geld</strong>woche Kommentar: Börsengang<br />
Twitter | Trend der Woche: US-Schulden |<br />
Dax-Aktien: Deutsche Telekom | Hitliste:<br />
Gold | Aktien: Schaltbau, Sberbank | Chartsignal:<br />
Nikkei | Anleihe: Goldman Sachs |<br />
Fonds: FPM Stockpicker Germany Small<br />
Mid | Nachgefragt:Craton-Capital-Gründer<br />
Markus Bachmann glaubt an Minenaktien<br />
Perspektiven&Debatte<br />
112 Teppiche Alte Muster in neuem Design<br />
116 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
5 Einblick, 118 Leserforum,<br />
120 Firmenindex | Impressum, 122 Ausblick<br />
n Lesen Sie <strong>Ihr</strong>e WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
In dieser Ausgabe finden Sie<br />
Videos zum skurrilen Gebaren<br />
der Tabakhersteller und<br />
zum Weltmarktführer-<br />
Ranking. Außerdem<br />
das Chefbüro in einer<br />
360-Grad-Ansicht.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Investment-Punk Gerald Hörhan<br />
berichtet im Interview, warum 70<br />
Prozent der Gesetze unnötig sind<br />
und Weicheier deswegen Karriere<br />
machen. wiwo.de/investment-punk<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 7<br />
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Seitenblick<br />
KIRCHE<br />
Irdische Güter<br />
Die Zahl der Mitglieder sinkt, aber die Einnahmen<br />
der Kirche in Deutschland steigen. Denn auch der<br />
Staat zahlt immer mehr.<br />
Weniger Gläubige<br />
Gesamtzahl derKirchenmitglieder in Millionen<br />
28<br />
26<br />
24<br />
22<br />
20<br />
Katholische Kirche<br />
Evangelische Kirche<br />
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012<br />
345Milliarden Euro besitzen katholische<br />
und evangelische Kirche in Deutschland, schätzt<br />
Kirchenkritiker Carsten Frerk. Dazu zählt er <strong>Geld</strong> und<br />
Grundbesitz, nicht aber Kirchenhäuser oder Sakralkunst.<br />
Ein Teil des katholischen Vermögens liegt im<br />
Bischöflichen Stuhl eines jeden Bischofs. In Limburg<br />
wird daraus auch die umstrittene Residenz finanziert.<br />
Einige Bistümer haben diese Werte nun offengelegt,<br />
sie zeigen aber nur einen Teil des Besitzes. So gab das<br />
Erzbistum Köln 166 Millionen Euro an, doch allein<br />
jährliche Einnahmen aus Aktien und Immobilien in<br />
Höhe von 46,5 Millionen Euro lassen auf ein Vermögen<br />
von mehr als einer Milliarde Euro schließen.<br />
325 000Hektar Wald<br />
und Äcker besitzen die 16 000 evangelischen Gemeinden.<br />
Die katholische Kirche ist unter anderem an der<br />
Verlagsgruppe Weltbild beteiligt, am Filmproduzenten<br />
Tellux („Tatort“) und an Klosterbetrieben wie der<br />
Brauerei Andechs. Die kirchlichen Hilfswerke Caritas<br />
und Diakonisches Werk betreiben Krankenhäuser<br />
und Kitas. Die Kosten erstattet teils der Staat.<br />
68Bischöfe erhalten monatlich im Schnitt<br />
je 8000 Euro aus Steuermitteln. Als Ruhestandsgeld<br />
bekommt beispielsweise der zurückgetretene Augsburger<br />
Bischof Walter Mixa 5400 Euro. Dass dafür der<br />
Staat aufkommen muss, ist eine Folge der Enteignung<br />
nach dem Sieg Napoleons 1803. Seit 1949 wurden<br />
so 14,8 Milliarden Euro an „Entschädigungen“ gezahlt.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
Mehr Steuern<br />
Kirchensteueraufkommen in Milliarden Euro<br />
6<br />
5<br />
4<br />
*geschätzt<br />
3<br />
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012<br />
Noch mehr Steuern<br />
Staatsleistungen an die Kirchen in Millionen Euro<br />
1982<br />
1992<br />
2002<br />
2012<br />
247,3<br />
312,2<br />
Kaum Kollekte<br />
Einnahmen der evangelischen Kirche nach Einnahmearten<br />
in Prozent<br />
Kollekten, Opfer und Spenden<br />
Sonstiges<br />
Vermögenseinnahmen<br />
(Mieten, Pachten,<br />
Kapitalerträge)<br />
Entgelte für<br />
kirchliche<br />
Dienstleistungen*<br />
7,6<br />
12,7<br />
Fördermittel und<br />
Zuschüsse von Dritten<br />
6,4<br />
3,1 Staatsleistungen 2,6<br />
9930<br />
Millionen Euro 48,0<br />
19,6<br />
* z. B. Elternbeiträge in Kindereinrichtungen, Schulgeld, Friedhofswesen<br />
2013*<br />
2013*<br />
429,1<br />
474,9<br />
Kirchensteuer und<br />
Gemeindebeitrag<br />
8 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Reiche Kölner, arme Magdeburger<br />
Einnahmen der katholischen Bistümer 2013 und<br />
Vermögen der bischöflichen Stühle<br />
287,5<br />
70,0%<br />
19,0%<br />
8,2<br />
986,3<br />
76,3%<br />
14,1%<br />
166,2<br />
212,6<br />
84,1%<br />
1,6%<br />
100,0<br />
229,1<br />
73,8%<br />
20,3%<br />
2,2<br />
Aachen<br />
304,5<br />
62,2%<br />
1,6%<br />
0<br />
Osnabrück<br />
Essen<br />
356,6<br />
73,5%<br />
18,4%<br />
84,0<br />
139,8<br />
80,2%<br />
9,9%<br />
geheim<br />
Köln<br />
Trier<br />
166,2<br />
87,5%<br />
4,2%<br />
geheim<br />
Speyer<br />
Münster<br />
Limburg<br />
133,8<br />
80,7%<br />
11,8%<br />
46,5<br />
Freiburg<br />
403,6<br />
81,9%<br />
1,3%<br />
2,4<br />
363,0<br />
90,4%<br />
0,4%<br />
geheim<br />
Paderborn<br />
Mainz<br />
491,8<br />
81,4%<br />
8,6%<br />
geheim<br />
Hildesheim*<br />
Fulda<br />
Würzburg<br />
Rottenburg-<br />
Stuttgart<br />
323,7<br />
61,4%<br />
12,6%<br />
geheim<br />
164,6<br />
74,9%<br />
k.A.<br />
geheim<br />
124,9<br />
70,5%<br />
7,2%<br />
geheim<br />
Augsburg<br />
Bamberg<br />
Eichstätt<br />
Hamburg*<br />
Magdeburg<br />
Regensburg<br />
München-<br />
Freising<br />
Quelle:EKD,DeutscheBischofskonferenz,Bistümer, Carsten Frerk, eigeneRecherchen *Zahlen von 2012; ** teils inklusive öffentlicher Zuschüsse und Personalkostenerstattung<br />
Erfurt<br />
54,4<br />
31,3%<br />
k.A.<br />
geheim<br />
316,0<br />
87,7%<br />
5,5%<br />
geheim<br />
101,4<br />
81,1%<br />
2,0%<br />
35,0<br />
28,7<br />
41,8%<br />
18,5%<br />
geheim<br />
664,2<br />
71,4%<br />
16,4%<br />
27,6<br />
Berlin<br />
Dresden-<br />
Meißen<br />
349,1<br />
75,3%<br />
k.A.<br />
geheim<br />
Passau<br />
Einnahmen in Mio.Euro<br />
davon durch:<br />
Kirchensteuer<br />
(in Prozent)<br />
Staatsleistungen**<br />
(in Prozent)<br />
Vermögen des<br />
bischöflichen Stuhls<br />
(in Millionen Euro)<br />
0–100 Mio.Euro<br />
100–300 Mio.Euro<br />
300–500 Mio.Euro<br />
500–1000 Mio.Euro<br />
164,1<br />
50,0%<br />
38,0%<br />
0<br />
Görlitz<br />
148,4<br />
90,3%<br />
6,6%<br />
1,5<br />
keine<br />
Angaben<br />
109,4<br />
82,7%<br />
2,1%<br />
geheim<br />
95,6<br />
80,9%<br />
6,0%<br />
geheim<br />
keine<br />
Angaben<br />
ILLUSTRATION: KRISTINA DÜLLMANN<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Blitzmail an Mitarbeiter<br />
SAP-Vorstand Sikka<br />
SAP<br />
Aus für Milliardenprojekt<br />
Der deutsche IT-Konzern stoppt die<br />
Weiterentwicklung der Mittelstandssoftware<br />
Business By Design – es ist der<br />
größte Flop der Unternehmensgeschichte.<br />
Am Ende ging alles sehr schnell. Am Morgen des<br />
10. Oktober ruft das SAP-Management seine Beschäftigten<br />
noch für denselben Tag zu einer Mitarbeiterversammlung<br />
zusammen. Dort verkündet<br />
Technik-Vorstand Vishal Sikka knapp, die Mittelstandssoftware<br />
Business By Design werde nicht<br />
mehr weiterentwickelt. Ein kleines Team in Indien<br />
soll sich um die Wartung der Software bei den Bestandskunden<br />
kümmern. Grund für den Schlussstrich:<br />
Misserfolg. Internen Quellen zufolge setzen<br />
bisher nur 785 Kunden die Software produktiv ein,<br />
bis Ende 2013 soll der Umsatz nur 23 Millionen<br />
Euro betragen. Auf Anfrage bestätigte ein SAP-Sprecher<br />
das Ende der Weiterentwicklung, betonte<br />
aber: „Business By Design ist und bleibt Bestandteil<br />
unseres Angebots.“ Die Zahlen wollte SAP nicht<br />
bestätigen und verwies auf angeblich mehr als 1000<br />
Kunden Ende 2011. Entlassungen plant SAP nicht,<br />
die betroffenen Entwickler sollen in andere Bereiche<br />
des Konzerns wechseln.<br />
Das Aus für die weitere Entwicklung von Business<br />
By Design markiert den größten Flop in der<br />
mehr als 40-jährigen Unternehmensgeschichte von<br />
SAP. 2003, also vor gut zehn Jahren, stieß der dama-<br />
lige Vorstandschef Henning Kagermann die Entwicklung<br />
einer komplett neuen Software an. Der<br />
ursprüngliche Anspruch lautete, einen Nachfolger<br />
für das langjährige SAP-Erfolgsprodukt R/3 zu<br />
konzipieren.<br />
Nach mehrmaligen Änderungen und Neustarts<br />
kam Business By Design Mitte 2010 schließlich als<br />
Mittelstandslösung auf den Markt – zwei Jahre<br />
später als zunächst geplant. Und das, obwohl zwischenzeitlich<br />
mehr als 3000 Entwickler an dem<br />
Projekt arbeiteten – damals rund ein Viertel der<br />
gesamten SAP-Entwicklungstruppe. Nach Schätzungen<br />
aus Kreisen der Arbeitnehmer dürften sich<br />
die Gesamtinvestitionen in der vergangenen<br />
Dekade auf inzwischen rund drei Milliarden Euro<br />
summieren.<br />
Trotz dieses enormen Kraftaufwands leidet Business<br />
By Design bis heute unter technischen Problemen.<br />
Hinter vorgehaltener Hand beklagen Nutzer<br />
und Kunden, die Software laufe zu langsam. Das<br />
wiegt umso schwerer, da Business By Design als<br />
Cloud-Lösung konzipiert ist. Das heißt:Die Software<br />
läuft auf Rechnern bei SAP; die Nutzer greifen<br />
via Internet auf sie zu.<br />
Weltweit ist Cloud Computing eines der wichtigsten<br />
Wachstumsfelder der IT-Branche überhaupt<br />
(siehe Grafik). Davon konnte zumindest Business<br />
By Design nicht profitieren. Einen Rückzug aus der<br />
Cloud weist SAP aber von sich.<br />
michael.kroker@wiwo.de<br />
Höhenflug<br />
Weltweite Umsätze mit<br />
Cloud Computing<br />
(in Milliarden Dollar)<br />
111,7<br />
2012<br />
131,8<br />
ab 2013 Prognose;<br />
Quelle:Gartner<br />
154,8<br />
180,4<br />
2013 2014 2015<br />
FOTOS: GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA, MARTIN KROLL<br />
10 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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DEUTSCHE BAHN<br />
Verleih für Privatautos<br />
Die Deutsche Bahn baut ihr<br />
Carsharing-System Flinkster<br />
aus. Anfang 2014 will DB-Rent-<br />
Chef Rolf Lübke Autobesitzer<br />
dazu bringen, ihren Privatwagen<br />
an Flinkster-Nutzer zu verleihen.<br />
Pro Stunde erhalten die<br />
Eigner eine Gebühr, die Bahn-<br />
Tochter kassiert pro Vorgang eine<br />
Provision. Möglicherweise<br />
könnte das Projekt, das unter<br />
dem Namen „Flinkster privat“<br />
läuft, noch dieses Jahr starten,<br />
heißt es aus Konzernkreisen.<br />
Noch sind Rechtsfragen offen.<br />
HARIBO<br />
Goldbärchen<br />
für Senioren<br />
Mit der Erfahrung von Ferrero<br />
Haribo-Manager Theato<br />
Der Bundesverband der Autovermieter<br />
Deutschlands hat<br />
das Unternehmen Autonetzer.de<br />
verklagt. Er will vor dem<br />
Landgericht Berlin durchsetzen,<br />
dass eine private Autovermietung<br />
so behandelt wird wie<br />
eine gewerbliche. Dann müssten<br />
die rund 4000 in der Autonetzer-Kartei<br />
registrierten<br />
Autos etwa jedes Jahr vom TÜV<br />
überprüft werden. Privat gefahrene<br />
Autos müssen in der Regel<br />
nur alle zwei Jahre zum TÜV.<br />
christian.schlesiger@wiwo.de<br />
Felix Theato, nach dem Tod<br />
des Patriarchen Hans Riegel der<br />
starke Mann bei Haribo, will das<br />
Angebot nicht nur auf Kinder<br />
ausrichten. „Auf der To-do-Liste<br />
steht die Ansprache älterer Konsumenten“,<br />
heißt es im Umfeld<br />
des Unternehmens über den zurückhaltenden<br />
Marketingmanager.<br />
Theato kam 2012 zum Goldbärchen-Hersteller<br />
und rückte<br />
erst im August 2013 in die Geschäftsführung<br />
auf. Vor seinem<br />
Wechsel arbeitete er bei Ferrero<br />
und verantwortete dort Marketing<br />
und Werbung in Deutschland,<br />
etwa für Kinder-Schokolade,<br />
Nutella und Mon Cheri.<br />
andreas.wildhagen@wiwo.de<br />
Aufgeschnappt<br />
Ökorock Rockstar Peter Maffay<br />
geht unter die Einzelhändler. In<br />
der Altstadt von Palma de Mallorca<br />
eröffnet er einen<br />
Laden für<br />
Ökolebensmittel.<br />
Die meisten der<br />
rund 80 Produkte<br />
stammen<br />
von seiner<br />
Finca<br />
Can Sureda<br />
und werden<br />
auf Wunsch<br />
auch nach<br />
Deutschland<br />
geliefert. Das<br />
Design des Geschäfts<br />
schrieb<br />
Maffay bis ins<br />
kleinste<br />
Detail vor.<br />
Sendepause Die USA konnten<br />
den Haushaltsstopp zwar aufheben,<br />
aber er wirkt sich noch auf<br />
das deutsche TV-Programm aus.<br />
Der Bayerische Rundfunk muss<br />
den für Anfang November geplanten<br />
Neustart der „Space<br />
Night“ verschieben. Während<br />
des Haushaltsstopps konnte<br />
die US-Weltraumbehörde Nasa<br />
nicht arbeiten und die gewünschten<br />
Weltraumbilder nicht<br />
rechtzeitig liefern. Jetzt soll die<br />
Space-Night-TV-Sendung am<br />
15. November wieder anlaufen.<br />
TOURISTIK<br />
Pleitewelle<br />
befürchtet<br />
Der Deutsche Reise Verband<br />
(DRV) befürchtet eine Pleitewelle<br />
unter Reiseveranstaltern,<br />
da die Finanzämter das Gewerbesteuergesetz<br />
neu auslegen.<br />
„Die Existenz mittelständischer<br />
Reiseveranstalter und damit<br />
Zehntausender Arbeitsplätze<br />
stehen auf dem Spiel“, warnt<br />
DRV-Präsident Jürgen Büchy.<br />
Nach DRV-Berechnungen summieren<br />
sich die Mehrbelastungen<br />
auf 1,4 Milliarden Euro.<br />
Der Streit mit der Finanzverwaltung<br />
resultiert aus der Reform<br />
des Gewerbesteuergesetzes<br />
von 2008. Danach werden<br />
bei der Berechnung der Steuer<br />
auch die Hälfte aller Pacht- und<br />
Mietzahlungen sowie Leasinggebühren<br />
für „unbewegliche<br />
Anlagegüter“ einbezogen.<br />
Betriebsprüfer in Nordrhein-<br />
Westfalen haben das Verfahren<br />
nun auch für den Einkauf von<br />
Hotelkontingenten durch Reiseveranstalter<br />
übernommen,<br />
die Finanzämter der anderen<br />
Bundesländer folgten. Den Firmen<br />
drohten millionenschwere<br />
Nachzahlungen, zumal die Regel<br />
rückwirkend seit 2008 angewendet<br />
werden sollen.<br />
hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />
3000<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
1000<br />
500<br />
=Erstauflagen<br />
in Deutschland<br />
undFrankreich<br />
(inTausend)*<br />
Quo vadis?<br />
Am Donnerstag erscheint der erste Asterix-Band ohne den Ur-Zeichner Uderzo<br />
0<br />
1961 62 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 79 80 82 83 87 91 96 01 05 13<br />
*Zahlen derdeutschen Auflage zwischen 1972 und1990 nichtveröffentlicht; Quelle: Ehapa-Verlag,Les ÉditionsAlbertRené<br />
Frankreich<br />
130<br />
Deutschland<br />
117<br />
Spanien<br />
24<br />
Großbritannien<br />
23<br />
Griechenland<br />
7<br />
Italien<br />
6<br />
Portugal<br />
5,5<br />
Gesamt<br />
350<br />
Insgesamtverkaufte<br />
Exemplare<br />
(inMillionen)<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 11<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Politik der<br />
Austerität<br />
Haushaltspolitische<br />
Absicht der Regierung,<br />
demnächst (und<br />
dann vielleicht sogar<br />
dauerhaft) weniger<br />
von solchen Äpfeln zu<br />
essen, die noch gar<br />
nicht gewachsen sind,<br />
geschweige denn<br />
geerntet wurden. Gilt<br />
unter international<br />
anerkannten Experten<br />
als sehr riskantes und<br />
völlig unpopuläres<br />
Sparprojekt, weswegen<br />
vorsorglich auf die<br />
deutsche Bezeichnung<br />
verzichtet wurde.<br />
Denn dies hätte das<br />
Publikum tatsächlich<br />
auf die im Kern mit<br />
allem verfolgte Sparabsicht<br />
hinweisen<br />
können.<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Carlos A. Gebauer, 48,<br />
arbeitet als Rechtsanwalt in<br />
Düsseldorf, wurde auch als<br />
Fernsehanwalt von RTL und<br />
SAT.1 bekannt.<br />
MERCEDES Andreas Renschler<br />
»Entsetzt war ich nicht,<br />
aber überrascht«<br />
Wenn sich der neue Produktionschef bewährt, hat<br />
er gute Chancen, Daimler-Chef Dieter Zetsche zu<br />
beerben. Gerissen hat er sich um den Job nicht.<br />
Herr Renschler, viele waren<br />
überrascht, als Sie im April die<br />
Spitze der Nutzfahrzeugsparte<br />
verließen und Produktionschef<br />
von Mercedes wurden. Sie<br />
selbst auch?<br />
Überraschungen gehören zum<br />
Leben.<br />
...und waren entsetzt, als<br />
der Aufsichtsrat Ihnen den<br />
Wechsel vorschlug?<br />
Nein, entsetzt war ich nicht,<br />
aber eben überrascht.<br />
Warum liegt Ihnen das Lkw-<br />
Geschäft so am Herzen?<br />
Das Lkw-Segment hat für viele<br />
sicher nicht die Faszination unserer<br />
Pkws. Dabei ist das Geschäft<br />
hoch spannend und hat<br />
mir viel Spaß gemacht. Es ist ein<br />
Firmenkundengeschäft mit<br />
ganz anderen Regeln. Kunden<br />
kaufen Lkws nicht, weil ihnen<br />
das Design gefällt. Bei Nutzfahrzeugen<br />
sind harte Fakten wie<br />
der Spritverbrauch die entscheidenden<br />
Kaufkriterien. Für<br />
die Nutzer stehen die Betriebskosten<br />
im Mittelpunkt. Und im<br />
Unterschied zu Pkws werden<br />
Lkws meist da produziert, wo<br />
sie auch verkauft werden. Es<br />
wäre viel zu teuer, sie über weite<br />
Strecken zu transportieren.<br />
Übertragen Sie das Prinzip nun<br />
auf den Pkw-Bereich? Statt<br />
Export aus Deutschland mehr<br />
Produktion im Ausland?<br />
Ab einem bestimmten Absatzvolumen<br />
ist auch bei Pkws eine<br />
Produktion direkt in der Verkaufsregion<br />
sinnvoll. Das ist in<br />
der Tat eine Herausforderung in<br />
der Pkw-Sparte. Ab 2014 wird<br />
zum Beispiel die neue C-Klasse<br />
auch in den USA gebaut. Und<br />
ab 2015 etwa läuft in unserem<br />
US-Werk in Alabama ein sportliches,<br />
völlig neues Geländewagenmodell<br />
vom Band.<br />
Die Beschäftigten in Deutschland<br />
hören das nicht gerne.<br />
Das kann ich mir nicht vorstellen.<br />
Die deutschen Standorte<br />
bilden durch ihr Know-how<br />
und ihre Vorbildrolle für die<br />
Werke in anderen Ländern das<br />
Rückgrat der Produktion. Ohne<br />
sie geht nichts, auch in Zukunft.<br />
DER WECHSLER<br />
Renschler, 55, kam nach seinem<br />
Studium 1988 zu Daimler, 2004<br />
rückte er in den Vorstand auf. Zunächst<br />
war er dort für Lkws und<br />
Busse zuständig, seit April 2013<br />
verantwortet er Produktion und<br />
Einkauf von Mercedes-Benz.<br />
Wir bauen hier keine Beschäftigung<br />
ab. Die deutschen Standorte<br />
tragen massiv Verantwortung<br />
für unser Wachstum –<br />
vielleicht nicht hinsichtlich der<br />
Stückzahlen, aber hinsichtlich<br />
des Know-hows. Neue Produktionstechniken<br />
wird man immer<br />
zuerst in Deutschland einführen<br />
und mit der Erfahrung<br />
von dort dann im Ausland.<br />
Daimler-Chef Dieter Zetsche<br />
versprach, dass Mercedes in<br />
sechs Jahren BMW und Audi<br />
bei Absatz und Gewinn überholt.<br />
Können Sie so schnell die<br />
Produktion ausbauen?<br />
Wir werden das schaffen. Wir<br />
wachsen bereits schneller als<br />
der Wettbewerb. In den USA<br />
zum Beispiel sind wir schon<br />
ganz vorne. In China wachsen<br />
wir zweistellig. Man kann lange<br />
darüber debattieren, warum<br />
wir dort heute noch nicht so<br />
stark sind, wie wir sein wollten.<br />
Aber wichtig ist, dass wir die<br />
Probleme erkannt haben und<br />
entsprechend handeln.<br />
Wie sichern Sie beim schnellen<br />
Wachstum die Qualität?<br />
Wir sind vielleicht teurer als<br />
Wettbewerber. Wir müssen den<br />
Kunden beweisen, dass der<br />
Preis gerechtfertigt ist. Wir<br />
brauchen eine besondere Qualität<br />
der Produkte, der internen<br />
Prozesse und der Mitarbeiter.<br />
Der Kunde muss am Ende ein<br />
Fahrzeug bekommen, das herausragend<br />
ist. Herausragend,<br />
aber nicht unnahbar.<br />
Wie passt dazu, dass der<br />
Mercedes-Transporter Citan<br />
im Crashtest nur drei Sterne<br />
erhielt, faktisch also durchfiel?<br />
Das Auto basiert auf einem<br />
Modell, das vor etlichen Jahren<br />
konzipiert wurde. Inzwischen<br />
haben sich die Crashtest-<br />
Normen weiterentwickelt. Man<br />
muss sich aber auch im Klaren<br />
sein, welche Funktion ein solches<br />
Auto hat. Es ist ein Lieferwagen,<br />
bei dem für den Kunden<br />
das Kosten-Nutzen-Verhältnis<br />
entscheidend ist. Deshalb gab<br />
es auf den Crashtest auch keine<br />
Reaktionen dieser Kunden.<br />
martin.seiwert@wiwo.de<br />
FOTO: AGENTUR FOCUS/ZEITENSPIEGEL<br />
12 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
NAPSTER<br />
Kooperationen verwirrend<br />
Um die Jahrtausendwende galt<br />
die illegale Musiktauschbörse<br />
Napster als Totengräber der<br />
Plattenfirmen. Inzwischen gehört<br />
der Dienst dem US-Unternehmen<br />
Rhapsody und ist an<br />
der nächsten Digitalrevolution<br />
beteiligt. Ganz legal kann man<br />
darüber Musik online hören,<br />
ohne sie herunterladen zu müssen.<br />
Solche Streaminganbieter<br />
boomen. Apple<br />
hat in den USA<br />
jüngst solch ein<br />
Portal gestartet<br />
und reagiert<br />
damit vor<br />
MITTELSTAND<br />
Fracht<br />
gebündelt<br />
Die Nordsee ist 260 Kilometer<br />
entfernt, auch die Schiffe auf<br />
dem Rhein kann Bodo Knop<br />
nicht sehen – und dennoch hat<br />
er von seinem Büro im fünften<br />
Stock in der Düsseldorfer City<br />
einen guten Überblick darüber,<br />
welche Containerschiffe wohin<br />
fahren und welche Frachtraten<br />
sie fordern. Muss er auch haben,<br />
denn genau mit dem Wissen<br />
verdient der 37-Jährige sein<br />
<strong>Geld</strong>. Er bündelt die Fracht von<br />
meist mittelständischen Unternehmen<br />
und schlägt so für sie<br />
bei den Reedern günstigere<br />
Konditionen heraus. So günstig,<br />
wie sie sonst nur größere Imund<br />
Exporteure erhalten.<br />
allem auf den Erfolg des schwedischen<br />
Marktführers Spotify.<br />
Um seine Position in dem umkämpften<br />
Segment zu stärken,<br />
kooperiert Napster mit dem<br />
spanischen Telekomriesen<br />
Telefónica. „Wir haben eine globale<br />
Partnerschaft geschlossen“,<br />
sagt Napsters Europa-Chef<br />
Thorsten Schliesche.<br />
Die Spanier erhalten Anteile<br />
an Rhapsody, im Gegenzug<br />
übernimmt Napster Kunden<br />
des lateinamerikanischen<br />
Telefónica-Musikdienstes Sonora.<br />
Außerdem sind weitere<br />
Kooperationen geplant, damit<br />
beispielsweise den Telefónica-<br />
Kunden nicht die Datenmengen<br />
berechnet werden, wenn<br />
sie Musik übers Smartphone<br />
hören. „Wie viel Datenvolumen<br />
das verbraucht ist die<br />
häufigste Kundenfrage“, so<br />
Globale Partnerschaft mit<br />
Telefónica geschlossen<br />
Napsters Europa-Chef<br />
Schliesche<br />
Erweitert sein Streckennetz<br />
Logistiker und SRTS-Chef Knop<br />
Schliesche. In Deutschland<br />
bietet die Deutsche Telekom<br />
solch einen Tarif gemeinsam<br />
mit Spotify an.<br />
Napster hat jedoch in Europa<br />
noch mehr Konkurrenz. So<br />
arbeitet der deutsche Wettbewerber<br />
Simfy hier schon mit der<br />
Telefónica-Tochter O2 zusammen,<br />
Napster selbst mit E-Plus.<br />
Auch in Spanien sind die Claims<br />
abgesteckt. Dort kooperiert<br />
Telefónica mit Spotify, Napster<br />
wiederum mit Vodafone.<br />
Schliesche rechnet trotzdem<br />
mit weiteren Vereinbarungen<br />
und einer Konsolidierung<br />
in den nächsten Jahren. „Im<br />
Moment redet jeder mit jedem“,<br />
sagt Schliesche.<br />
Napster ist <strong>dabei</strong> in einer<br />
vergleichsweise schlechten<br />
Position. Während die Nutzerzahl<br />
binnen eines Jahres von<br />
einer Million auf 1,2 Millionen<br />
wuchs, kommt Spotify auf fünf<br />
bis sechs Millionen. Die Napster-Mutter<br />
Rhapsody entließ<br />
kürzlich 15 Prozent ihrer Mitarbeiter.<br />
Firmenchef Jon Irwin<br />
trat im vergangenen Monat<br />
zurück.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
bilität und Planungssicherheit<br />
bringt“, sagt der SRTS-Chef. Er<br />
bucht für seine Kunden nicht<br />
nur Schiffscontainer, sondern<br />
kümmert sich um die gesamte<br />
Logistikkette, also auch um<br />
den Transport an Land, um<br />
Genehmigungen und Dokumente.<br />
Alles vom fünften Stock<br />
aus.<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
DREI FRAGEN...<br />
...zur Chemie-Tarifrunde<br />
Michael<br />
Vassiliadis<br />
49, Chef der<br />
Gewerkschaft<br />
Bergbau,<br />
Chemie, Energie<br />
(IG BCE)<br />
Im Oktober 2005 hat Knop<br />
das Unternehmen SRTS gegründet,<br />
zuvor hatte er beim<br />
Logistiker Panalpina und bei<br />
der Maersk-Reederei gearbeitet.<br />
Inzwischen beschäftigt der<br />
Speditionskaufmann 18 Mitarbeiter,<br />
kam 2012 auf einen Honorarumsatz<br />
von rund sechs<br />
Millionen Euro und reservierte<br />
für seine Kunden in diesem Jahr<br />
85 000 Container, meist für die<br />
Strecke zwischen Fernost und<br />
Europa. Jetzt will er das Geschäft<br />
auf den innereuropäischen<br />
Routen und auf den Verbindungen<br />
zwischen Fernost<br />
und Nordamerika ausbauen.<br />
Zudem hat Knop ein Preismodell<br />
entwickelt, das seinen<br />
Kunden trotz stark schwankender<br />
Frachtraten „mehr Preisstan<br />
Am Dienstag gibt die IG-<br />
BCE-Spitze ihre Forderungsempfehlung<br />
für die Tarifrunde<br />
in der Chemieindustrie<br />
bekannt. Wie viel mehr soll<br />
es denn sein für die 550 000<br />
Beschäftigten?<br />
Die Lage in der Chemieindustrie<br />
ist sehr robust. Die Unternehmen<br />
sind international<br />
wettbewerbsfähig, die Produktivität<br />
der Beschäftigten<br />
liegt bei 400 000 Euro pro<br />
Kopf und Jahr. Das wird sich in<br />
unserer Forderung widerspiegeln.<br />
Kleinere Probleme hier<br />
und da ändern nichts daran,<br />
dass die Branche insgesamt<br />
gut aufgestellt ist.<br />
n Neben höheren Löhnen<br />
fordert die IG BCE eine<br />
Übernahmegarantie für Azubis.<br />
Bestrafen Sie so nicht<br />
Betriebe, die viel ausbilden?<br />
Wir brauchen eine klare Ansage<br />
zur Übernahme. Es geht<br />
um gute Perspektiven für die<br />
jungen Leute. Eine solche Regelung<br />
liegt auch im Interesse<br />
der Unternehmen – der drohende<br />
Fachkräftemangel ist ja<br />
keine Erfindung. Klar ist aber:<br />
Wir wollen nichts auf den Weg<br />
bringen, was ausbildungsstarke<br />
Unternehmen bestraft.<br />
n Der letzte große Arbeitskampf<br />
in der Chemieindustrie<br />
war 1971. Können Sie<br />
überhaupt noch streiken?<br />
Wir sind organisatorisch und<br />
finanziell uneingeschränkt<br />
streikfähig. Wobei ich klar<br />
sage: Ein Streik ist die Ultima<br />
Ratio. Es gibt keinen Grund,<br />
vor Beginn der Verhandlungen<br />
von Streik zu reden.<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
FOTOS: AGENTUR FOCUS/OSTKREUZ, PR (2)<br />
14 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Menschen der Wirtschaft<br />
MANPOWER<br />
Streit mit<br />
Deutschen<br />
TOP-TERMINE VOM 21.10. BIS 27.10.<br />
21.10. Europa Eurostat veröffentlicht am Montag, wie<br />
stark die EU-Staaten 2012 verschuldet waren und<br />
wie hoch das Defizit war.<br />
PETER CRUDDAS<br />
Ermittlungen<br />
gegen Broker<br />
Der Streit beim Zeitarbeitsriesen<br />
Manpower zwischen der<br />
amerikanischen Konzernzentrale<br />
und der deutschen Tochter<br />
eskaliert. Insider klagen, die<br />
US-Mutter aus Milwaukee<br />
zwinge den Europäern einen<br />
übertriebenen Sparkurs auf und<br />
investiere stattdessen in Asien.<br />
Zweimal schon mussten sperrige<br />
Deutschland-Chefs gehen:<br />
2009 Thomas Reitz und in diesem<br />
Jahr Vera Calasan. Calasans<br />
Nachfolger Herwarth<br />
Brune trat offenbar mit dem<br />
Auftrag an, weitere Köpfe rollen<br />
zu lassen. Eine Woche nach seinem<br />
Amtsantritt Anfang Oktober<br />
setzte der Seiteneinsteiger,<br />
der vom dänischen Gebäude-<br />
Management-Konzern ISS kam,<br />
den erfahrenen Mann für das<br />
operative Geschäft, Michael<br />
Kästner, und den kaufmännischen<br />
Geschäftsführer Claus<br />
Niedworok vor die Tür.<br />
Ex-Chef Reitz blickt im Zorn<br />
zurück:„Entwicklungschancen<br />
in Deutschland aufgrund von<br />
Konzernvorgaben aus Milwaukee<br />
kaputtzusparen kam für<br />
mich nicht infrage.“ Die Zahl<br />
der deutschen Manpower-Niederlassungen<br />
sank in wenigen<br />
Jahren um rund ein Fünftel.<br />
harald.schumacher@wiwo.de<br />
VERTU<br />
Luxushandys<br />
jetzt billiger<br />
Vertu, britischer Hersteller edler<br />
Mobiltelefone, sucht neue<br />
Kunden und kopiert dazu Apple.<br />
Vor wenigen Tagen hat das<br />
Unternehmen ein preiswerteres<br />
Handy vorgestellt. Das Gerät<br />
mit Saphirglas und teurem<br />
Kalbsleder heißt Constellation<br />
und ist für 4900 Euro zu haben –<br />
für Vertu ein Billighandy. Das<br />
22.10. Bundestag Die neu gewählten Abgeordneten kommen<br />
am Dienstag zur konstituierenden Sitzung zusammen.<br />
Sie wählen das Präsidium und den Bundestagspräsidenten.<br />
VW-Gesetz Der Europäische<br />
Gerichtshof entscheidet<br />
über das VW-Gesetz,<br />
das dem Land Niedersachsen<br />
ein Vetorecht im<br />
Aufsichtsrat des Autoherstellers einräumt. Dagegen<br />
hat die EU-Kommission geklagt. Sie fordert<br />
von Deutschland ein Bußgeld in Millionenhöhe.<br />
Chemieindustrie Die Chemiegewerkschaft<br />
IG BCE beschließt ihre Empfehlungen für die<br />
neue Tarifrunde. Die geltenden Verträge für die<br />
550 000 Beschäftigten enden Anfang 2014.<br />
Apple Der IT-Konzern stellt voraussichtlich<br />
neue iPads vor. Gleichzeitig startet Microsoft<br />
den Verkauf seines Tablets Surface 2.<br />
23.10. BER Der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft<br />
Berlin Brandenburg berät am Mittwoch den<br />
Baufortschritt.<br />
24.10. EU-Gipfel Die europäischen Staats- und Regierungschefs<br />
treffen sich am Donnerstag in Brüssel.<br />
Der EU-Gipfel geht bis Freitag.<br />
25.10. Konjunktur Das Münchner ifo Institut veröffentlicht<br />
am Freitag den Geschäftsklimaindex für<br />
Oktober.<br />
Neues Billighandy<br />
Luxus für 4900 Euro<br />
Modell TI, das Vertu im Februar<br />
auf den Markt gebracht hatte,<br />
kostete noch 7900 Euro. „Wir<br />
wollen neue Käuferschichten erschließen“,<br />
sagt Massimiliano<br />
Pogliani, der das Unternehmen<br />
seit Juni<br />
leitet. Es gehört<br />
dem schwedischen<br />
Finanzinvestor<br />
EQT, der<br />
es vor einem Jahr<br />
von Nokia übernommen<br />
hat. Der Strategieschwenk<br />
hängt aber offenbar<br />
auch mit dem Druck des Eigentümers<br />
EQT zusammen, der<br />
seine Beteiligungen im Schnitt<br />
4,7 Jahre hält und dann abstößt.<br />
Pogliani schließt nicht aus,<br />
dass er künftig noch günstigere<br />
Modelle auf den Markt<br />
bringt. „Es muss allerdings<br />
eine Untergrenze geben,<br />
die man als Luxushersteller<br />
nicht unterschreitet.“<br />
matthias.kamp@wiwo.de |<br />
München<br />
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt<br />
ermittelt gegen den Gründer<br />
und Chef des Derivatebrokers<br />
CMC Markets, Peter<br />
Cruddas. Das geht aus einem<br />
Brief der Behörde hervor, der<br />
der WirtschaftsWoche vorliegt.<br />
Staatsanwaltschaft und CMC<br />
wollten sich nicht dazu äußern.<br />
Cruddas sagte, er sei nicht an<br />
Zivilprozessen in Deutschland<br />
beteiligt und die Vorwürfe damit<br />
sachlich falsch. Die Ermittlungen<br />
gehen auf die Strafanzeige<br />
eines CMC-Kunden<br />
Weiterer Ärger droht<br />
CMC-Gründer und Chef Cruddas<br />
zurück. Der Anleger hatte zuvor<br />
vor dem Landgericht Frankfurt<br />
Schadensersatz erstritten, CMC<br />
musste mehr als 16 200 Euro an<br />
den Kunden zurückzahlen.<br />
CMC hatte mehrfach Geschäfte<br />
des Kunden „zu fehlerhaften<br />
Kursen“ abgerechnet, heißt es<br />
im Urteil.<br />
Die falschen Kurse sind strafrechtlich<br />
verjährt, jetzt geht es<br />
um den Verdacht auf Prozessbetrug.<br />
CMC soll im Zivilprozess<br />
in einem Schriftsatz unwahr<br />
vorgetragen haben. CMC<br />
droht zudem noch mehr Ärger.<br />
„Wir haben mehrere Klagen<br />
wegen falscher Kursabrechnungen<br />
in Vorbereitung“, sagt<br />
Rechtsanwalt Ralf Pflück, Partner<br />
der Kanzlei Doerr & Partner.<br />
annina.reimann@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA, GETTY IMAGES, INTER TOPICS<br />
16 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
STARTUP<br />
APPLE<br />
Angela Ahrendts, 53, gibt<br />
den Chefposten auf, um<br />
Vize zu werden – und betrachtet<br />
den Schritt dennoch<br />
als Karrieresprung.<br />
Im Frühjahr verlässt sie die<br />
britische Modemarke Burberry<br />
und fängt als Senior<br />
Vice President bei Apple an,<br />
dem wertvollsten Unternehmen<br />
der Welt. Die Amerikanerin<br />
untersteht direkt Konzernchef<br />
Tim Cook, 52, und<br />
soll das weltweite Ladennetz<br />
und den Online-Verkauf des<br />
IT-Konzerns vorantreiben.<br />
Schon seit Längerem suchte<br />
Cook einen Ersatz für den<br />
langjährigen Chefverkäufer<br />
Ron Johnson, 54. Johnsons<br />
Nachfolger John Browett,<br />
49, kam nicht mit der Apple-<br />
Kultur zurecht und hielt sich<br />
nur sechs Monate. Auch<br />
Browetts Nachfolger Jerry<br />
McDougal erklärte im Januar<br />
seinen Rücktritt. Cook hatte<br />
Ahrendt erstmals im Januar<br />
getroffen. „Sie teilt unsere<br />
Werte und unseren Fokus<br />
STROM<br />
auf Innovationen“, schwärmte<br />
Cook schon damals. So viel Vorschusslorbeeren<br />
haben allerdings<br />
wenig zu bedeuten. Auch<br />
Browett bescheinigte der Apple-<br />
Chef einst einmalige Qualitäten.<br />
Ahrendts weiß in der Tat,<br />
Produkte edel zu präsentieren<br />
und teuer zu verkaufen. Seit ihrem<br />
Antritt bei Burberry 2006<br />
verdreifachte sich der Umsatz<br />
auf zuletzt drei Milliarden<br />
Dollar. Sie ist schon die zweite<br />
Überläuferin aus der Modebranche.<br />
Im Juli hatte Apple<br />
Paul Deneve, den ehemaligen<br />
Chef von Yves Saint Laurent, als<br />
Manager für Sonderprojekte<br />
abgeworben. Im Silicon Valley<br />
wird bereits spekuliert, Ahrendts<br />
seien noch höhere Weihen<br />
in Aussicht gestellt.<br />
COMMERZBANK<br />
Martin Blessing, 50, hat die<br />
Zahl der Bereichsvorstände reduziert.<br />
Maria Basler, Gerhard<br />
Kebbel (beide Finanzen), Detlef<br />
Hermann (Mittelstand), Hui-<br />
Sun Kim (Handel), Markus<br />
Lammers (Exzellenz), Thomas<br />
Bley, Thomas Köntgen und<br />
Katrin Stark (alle Hypothekenbank)<br />
haben die Bank verlassen<br />
oder werden gehen. Sicherheitschef<br />
Roland Wolf ist nicht<br />
mehr Bereichsvorstand, sondern<br />
Zentralbereichsleiter.<br />
Osteuropachef Andre Carls<br />
wechselt auf die Position von<br />
Hermann in der Mittelstandsbank.<br />
21 Prozent<br />
der Industrieunternehmen in Deutschland planen ein eigenes<br />
Kraftwerk, 19 Prozent erzeugen ihren Strom schon selbst, 8<br />
Prozent investieren aktuell in eigene Energieanlagen, so eine Umfrage<br />
der Industrie- und Handelskammern. Insgesamt befassen<br />
sich 48 Prozent mit Strom aus eigener Quelle, 2012 waren es 44.<br />
INREAL TECHNOLOGIES<br />
Hausbesichtigung per Cyberbrille<br />
Durch ein Haus laufen, noch ehe der Grundstein gelegt wurde -<br />
das Karlsruher Startup Inreal Technologies macht es möglich, zumindest<br />
virtuell. Die Gründer Moritz Luck (links) und Thomas<br />
Schander haben dafür ein Terminal samt Software entwickelt.<br />
Ferner muss der Nutzer eine spezielle 3-D-Brille aufsetzen, in die<br />
kleine Bildschirme eingebaut sind. Ein Sensor registriert die Kopfbewegungen<br />
und passt die Blickrichtung intuitiv in der virtuellen<br />
Welt an. Gleichzeitig lassen sich über ein Tablet mit ein paar Klicks<br />
Möbel, Bodenbeläge und Lichtverhältnisse verändern. „Unsere<br />
Technologie hilft, Bauprojekte besser zu planen“, erklärt Luck. Er<br />
hat schon namhafte Kunden wie den Baukonzern Bilfinger überzeugt,<br />
der die Renovierung des Jagdschlosses Kranichstein in<br />
Darmstadt mit der Technik vorbereitete. Jetzt hat das junge Unternehmen<br />
potente Investoren gefunden. Der halbstaatliche High-<br />
Tech-Gründerfonds investiert zusammen mit zwei weiteren privaten<br />
<strong>Geld</strong>gebern einen hohen sechsstelligen Betrag.<br />
Inspiriert wurden die Gründer durch Online-Spiele. „Wir wollten<br />
ursprünglich einen Simulator mit Brille und Laufband entwickeln,<br />
die es erlauben, in<br />
Fakten zum Unternehmen<br />
Mitarbeiter fest angestellt 12<br />
Finanzierung durch Privatinvestoren<br />
und Exist-Förderung<br />
bisher etwa 450 000 Euro<br />
Umsatz geplant sind mit 30<br />
Kunden für 2013 2 000 000 Euro<br />
3-D-Welten herumzulaufen“,<br />
sagt Luck. „Auf das<br />
Laufband haben wir inzwischen<br />
verzichtet –<br />
jetzt genügt ein Joystick,<br />
um zu einer virtuellen Erkundungstour<br />
aufzubrechen.“<br />
jens.toennesmann@wiwo.de<br />
FOTOS: LAIF, PR<br />
18 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Jochen Homann<br />
Präsident der Bundesnetzagentur<br />
Punkt acht Uhr drückt Jochen<br />
Homann, 60, auf den Knopf des<br />
Fahrstuhls und fährt in die 13.<br />
Etage. Mit dem Ritual beginnt<br />
ein langer Arbeitstag, an dem er<br />
sich durch Akten und Vorlagen<br />
liest. „Das kostet Zeit“, sagt<br />
Homann. Seit März 2012 leitet<br />
er die Bundesnetzagentur in<br />
Bonn. Sie untersteht dem<br />
Bundeswirtschaftsministerium<br />
und kontrolliert die Märkte für<br />
Strom, Gas, Eisenbahn, Telekommunikation<br />
und Post. Rund<br />
2500 Mitarbeiter kümmern sich<br />
darum, dass in diesen ehemals<br />
staatlich dominierten Bereichen<br />
Wettbewerb herrscht.<br />
„Einer meiner Kunden schaut<br />
mir direkt ins Fenster“, sagt<br />
Homann und zeigt Richtung<br />
Rheinufer auf den<br />
360 Grad<br />
In unserer iPad-<br />
Ausgabe finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
gläsernen Post-Tower.<br />
Knapp 40 Quadratmeter<br />
misst das Chefbüro,<br />
ausgestattet mit<br />
Möbeln des amerikanischen<br />
Herstellers<br />
Herman Miller. Auf<br />
dem Sideboard neben<br />
der Deutschland-Fahne<br />
stehen Bilder, die Homann<br />
mit Bundeskanzlerin Angela<br />
Merkel (CDU), Wirtschaftsminister<br />
Philipp Rösler (FDP)<br />
und Umweltminister Peter<br />
Altmaier (CDU) zeigen. Über<br />
den Fotos hängt eine Weltkarte.<br />
Auf ihr hat Homann seine<br />
Dienstreisen markiert, die er als<br />
beamteter Staatssekretär des<br />
Bundeswirtschaftsministeriums<br />
unternahm.<br />
Nach dem<br />
Studium hatte er als<br />
Wissenschaftlicher<br />
Assistent im Hamburger<br />
HWWA-Institut<br />
für Wirtschaftsforschung<br />
begonnen,<br />
1982 wechselte er ins Bundeswirtschaftsministerium,<br />
von<br />
1991 bis 2000 leitete er die<br />
Grundsatzabteilung im Kanzleramt,<br />
bevor er ins Ministerium<br />
zurückkehrte. Auf seinem<br />
Schreibtisch in der Bundesnetzagentur<br />
steht auch ein kleines<br />
Windrad. Symbol dafür, dass<br />
sich Homann auch als „Anwalt<br />
und Impulsgeber“ der Energiewende<br />
sieht. Direkt neben<br />
dem Rad, im Schatten eines<br />
Drachenbaums, verbirgt sich<br />
eine Urlaubserinnerung. Das<br />
Foto zeigt den dreifachen<br />
Vater zusammen mit seiner<br />
Frau Monika beim Strandlauf<br />
im mexikanischen Cancún.<br />
ulrich.groothuis@wiwo.de<br />
FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
20 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Braucht Deutschland<br />
eine Tea Party?<br />
SCHULDEN | Nicht nur die USA nehmen immer mehr Kredite auf, auch hierzulande<br />
funktioniert Demokratie nur auf Pump. Die große Koalition könnte die Ausgaben<br />
noch weiter hochtreiben. Ein Ende der Schuldenmacherei ist nicht in Sicht.<br />
Das Menetekel jenseits des Atlantiks<br />
verschwand ausgerechnet<br />
vor der letzten Runde<br />
der Berliner Koalitions-Sondierungen:<br />
In der Nacht zum<br />
Donnerstag einigten sich in Washington<br />
Republikaner und Demokraten auf einen<br />
Kompromiss im Haushaltsstreit, auf noch<br />
mehr Kredite für die Schuldensupermacht<br />
USA. Unbeschwert von drohenden Gefahren<br />
für die Weltwirtschaft konnten also in<br />
Berlin die Unterhändler von Union und<br />
SPD ihre Suche nach Gemeinsamkeiten erfolgreich<br />
zu Ende führen.<br />
Für die neue Bundesregierung kamen<br />
selbst mit den Grünen nur Parteien infrage,<br />
die mehr <strong>Geld</strong> ausgeben wollen; auch mit<br />
dem Versprechen weiterer staatlicher<br />
Wohltaten haben sie die Wahlen gewonnen<br />
(obwohl natürlich die Bürger diese<br />
Wohltaten mit Steuern und Sozialabgaben<br />
früher oder später selbst finanzieren müssen).<br />
Jene Gruppierungen, die besonders<br />
vehement für Sparen und gegen weitere<br />
Schulden eingetreten sind – die FDP und<br />
die Alternative für Deutschland –, schafften<br />
mit 4,8 beziehungsweise 4,7 Prozent nicht<br />
mal den Sprung in den Bundestag.<br />
Eine Tea-Party-Bewegung, die rigoros<br />
den Politikbetrieb blockierte, bis der<br />
Marsch in den Schuldenstaat gestoppt wäre,<br />
ist hierzulande nicht in Sicht. Im Gegenteil:<br />
Die finanziellen Verpflichtungen von<br />
Bund, Ländern und Gemeinden wachsen<br />
und wachsen; Ende des Jahres werden es<br />
zweibillionensiebzigmilliarden Euro sein.<br />
Auch wenn der Bund in den vergangenen<br />
Jahren sein laufendes Defizit herunterdrücken<br />
konnte: Er musste zwar weniger neue<br />
Kredite aufnehmen als früher, aber dennoch<br />
häufte er immer mehr Schulden auf.<br />
Sparen bedeutete, bloß weniger <strong>Geld</strong> auszugeben,<br />
das man ohnehin nicht hatte.<br />
Im nächsten Jahr soll es einen „strukturell<br />
ausgeglichenen“ Haushalt geben –<br />
klingt schön, heißt aber nichts anderes, als<br />
dass die Einnahmen immer noch nicht reichen.<br />
Einen Verzicht auf eine Nettoneuverschuldung,<br />
wie der technische Ausdruck<br />
heißt, plant Finanzminister Wolfgang<br />
Schäuble für 2015 – sofern nichts dazwischenkommt:<br />
keine Naturkatastrophen,<br />
keine Bankenpleiten, keine Euro-Krise,<br />
keine Konjunkturdelle. Und keine teuren<br />
Wohltaten der schwarz-roten Regierung.<br />
Denn in den Verhandlungen über eine<br />
neue Koalition stehen die Zeichen nicht auf<br />
weniger, sondern auf mehr Ausgaben. Mehr<br />
für Rentner, mehr für Forschung, mehr für<br />
Schulen, mehr für Straßen und Schienen.<br />
Als Dankeschön für den Mindestlohn<br />
gestand die SPD der Union zu, auf Steuererhöhungen<br />
zu verzichten. CDU und<br />
CSU wollen zudem die kalte Progression<br />
zumindest mildern. Alles sympathische,<br />
teilweise notwendige<br />
Maßnahmen – nur leider ohne Finanzierung.<br />
Es koalieren die <strong>Geld</strong>ausgeber,<br />
die ihre Versprechen in<br />
der Zeit sprudelnder Steuereinnahmen<br />
ersonnen haben. Bricht<br />
schon in den vier Jahren dieser<br />
Legislaturperiode die Konjunktur<br />
ein oder steigen die Zinsen,<br />
fällt das Konstrukt aus<br />
Gönnerpose und Gottvertrauen<br />
in sich zusammen.<br />
Eine Schönwetterkoalition eben.<br />
Zwar hält die Union am Ziel fest, der<br />
Staat müsse bald ohne neue Schulden auskommen.<br />
So steht es im Wahlprogramm,<br />
so beteuern es die Unterhändler. „Keine<br />
neuen Schulden – das ist das Markenzeichen<br />
der Union schlechthin“, sagt der<br />
Thüringer Fraktionschef Mike Mohring,<br />
Doppelvorsitzender der CDU/CSU-<br />
Fraktionsvorsitzendenkonferenz und der<br />
finanzpolitischen Sprecher. „Dabei muss<br />
es bleiben, alles andere wäre töricht.“ Aber<br />
auch er sieht die Gefahr, dass ein politisches<br />
Elefantenbündnis die Stabilität<br />
gefährden könnte. „Eine so dominierende<br />
verfassungsändernde<br />
Mehrheit<br />
ILLUSTRATION: SMETEK<br />
22 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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wie eine große Koalition könnte die Schuldenbremse<br />
natürlich jederzeit wieder<br />
streichen. Wenn in den nächsten Jahren<br />
die Konjunktur wieder schwächer wird,<br />
droht da eine Gefahr. Da müssen wir aufpassen.“<br />
Schon warnt Bundesbank-Präsident Jens<br />
Weidmann die Politik vor Übermut:<br />
„Wichtig ist es, die Haushalte so zu gestalten,<br />
dass ein Sicherheitsabstand zur Neuverschuldungsgrenze<br />
eingehalten wird,<br />
um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.“<br />
Die heimischen Vorschriften hülfen<br />
besser als die amerikanischen, Solidität<br />
der Finanzen und Stabilität der Wirtschaft<br />
zu verknüpfen: „Im Gegensatz zu den USA<br />
hat Deutschland mit der verfassungsrechtlich<br />
verankerten Schuldenbremse eine<br />
Haushaltsregel, die dem Wachstum der<br />
Volkswirtschaft Rechnung trägt.“<br />
ERSTE WOHLTATEN GARANTIERT<br />
Sorgen macht dem Thüringer Mohring der<br />
künftige Koalitionspartner. „Die Sozialdemokraten<br />
neigen immer dazu, mehr <strong>Geld</strong><br />
auszugeben – schon wegen ihrer Konkurrenzsituation<br />
zur Linkspartei.“ Und die<br />
Landesregierungen von SPD und Grünen<br />
in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg<br />
zeigten, wohin die Reise nach deren<br />
Wünschen ginge: „Dort ist die Neuverschuldung<br />
nach dem Regierungswechsel<br />
jeweils stark gestiegen.“ Aber auch die Union<br />
will nicht nur das <strong>Geld</strong> zusammenhalten,<br />
will nicht alles unter einen Finanzierungsvorbehalt<br />
stellen. Die große Koalition<br />
kann teuer werden:<br />
Mütterrente Gleich zu Beginn der Sondierungen<br />
hatte der Unions-Fraktionsvorsitzende<br />
Volker Kauder verkündet, das CDU/<br />
CSU-Wahlversprechen einer Mütterrente<br />
sei nicht verhandelbar. Der Segen für jene<br />
Seniorinnen, die ihre Kinder vor 1992 geboren<br />
haben und bisher schlechter wegkamen<br />
als Mütter mit jüngeren Kindern, soll<br />
aus den Rücklagen der Rentenkasse bezahlt<br />
werden. Erst mal. Für die anfänglichen<br />
Kosten von 6,5 Milliarden Euro, mit<br />
denen Bundesarbeitsministerin Ursula<br />
von der Leyen kalkuliert, reicht das zunächst.<br />
Später wachsen die Kosten nach<br />
unionsinternen Schätzungen auf bis zu<br />
zehn Milliarden Euro. Dann, beziehungsweise<br />
wenn die Rücklage nichts mehr hergibt,<br />
„müsste der entsprechende Steuerzuschuss<br />
wieder angepasst werden“, kalkulierte<br />
der CDU-Haushälter Norbert Barthle<br />
vor der Wahl. „Oder man macht es direkt<br />
über Steuern.“ Sowie sich die Konjunktur<br />
eintrübt und die Beschäftigung sinkt, reichen<br />
die Einnahmen<br />
der Altersversicherung<br />
ohnehin nicht mehr.<br />
Dann müssten die Beiträge<br />
steigen, oder es<br />
müssten weitere <strong>Geld</strong>er<br />
aus dem Bundeshaushalt<br />
als Sonderzuschuss<br />
her.<br />
Mindestrente Wer in<br />
seiner aktiven Zeit nur<br />
wenig verdient hat oder<br />
längere Zeit nur eingeschränkt<br />
tätig oder gar arbeitslos war, soll<br />
850 Euro Rente garantiert bekommen.<br />
Während die Union ihre „Lebensleistungsrente“<br />
aus den Beiträgen finanzieren will,<br />
möchte die SPD für ihr Modell <strong>Geld</strong> aus<br />
dem Staatshaushalt. Die Kosten belaufen<br />
sich auf rund zehn Milliarden Euro pro<br />
Jahr.<br />
Bildung Gleich 20 Milliarden Euro hat die<br />
SPD hier eingeplant, die Bund und Länder<br />
gemeinsam aufbringen sollen. CDU und<br />
CSU geizen in ihrem Wahlprogramm zwar<br />
mit konkreten Zahlen, nicht<br />
aber mit ausgabenintensiven<br />
Ideen für Schulen und<br />
Hochschulen. Bei vielem<br />
waren sich die künftigen<br />
Partner schon vorher einig.<br />
Ausbau der Ganztagsschulen,<br />
mehr <strong>Geld</strong> für Bafög-<br />
Empfänger, Stärkung der<br />
Hochschulen, ein Plus für<br />
Forschung und Unternehmensgründung.<br />
Fehlt nur noch<br />
das <strong>Geld</strong>.<br />
Infrastruktur Verkehrsexperten von SPD<br />
und Union halten rund vier Milliarden Euro<br />
für nötig, Verkehrsminister Peter Ramsauer<br />
(CSU) nennt zwei Milliarden Euro<br />
realistisch.<br />
„Wenn die Einnahmen gut sind, dann<br />
neigt die Politik dazu, Leistungen nicht nur<br />
für ein Jahr, sondern auf Dauer auszuweiten“,<br />
beobachtet Bernd Raffelhüschen, Professor<br />
für Finanzwissenschaften an der<br />
Universität Freiburg und Direktor des Forschungszentrums<br />
Generationenverträ-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Wer stoppt den Anstieg?<br />
Schulden im öffentlichen Gesamthaushalt Deutschlands (inMilliarden Euro)<br />
unterden jeweiligenBundeskanzlern<br />
»<br />
2500<br />
2000<br />
1500<br />
1000<br />
500<br />
1 2 3 4 5 6 7 8<br />
1 Adenauer 2 Erhard 4 Brandt 5 Schmidt 6 Kohl 7 Schröder 8 Merkel<br />
3 Kiesinger<br />
0<br />
1950 1960<br />
Quelle:destatis<br />
ge. Und Michael Eilfort, Vorstand der<br />
Stiftung Marktwirtschaft, ergänzt: „Je mehr<br />
der Staat hat, desto mehr hat er zu wenig.“<br />
Gerade in den vergangenen Monaten erkannte<br />
er einen „Deichbruch bei der Konsolidierung“<br />
und eine „Flut der Wahlversprechen“.<br />
Alle Parteien schienen sich „einig,<br />
sich in konjunkturell guter Zeit auf<br />
neue strukturelle Ausgaben festzulegen“.<br />
Gefährlicher noch als das Konjunkturrisiko<br />
ist die Zinsentwicklung. Derzeit kann<br />
Deutschland so billig Schulden aufnehmen<br />
wie noch nie. Jedes Jahr werden Anleihen<br />
unterschiedlichster Laufzeiten im<br />
Volumen von rund 250 Milliarden Euro<br />
umgeschuldet. Weil ständig auslaufende<br />
Altanleihen in neue getauscht werden,<br />
sinkt die Zinslast im Bundeshaushalt sogar,<br />
obwohl die Schulden steigen – der Zinsverfall<br />
macht’s möglich. Insgesamt gibt der Finanzminister<br />
in diesem Jahr acht Milliarden<br />
Euro weniger für Zinsen aus als im Jahr<br />
2007, vor Beginn der Banken- und Wirtschaftskrise.<br />
Und das, obwohl in dieser Zeit<br />
der Schuldenstand des Bundes um 300<br />
Milliarden Euro nach oben schoss.<br />
NOCH MEHR DARLEHEN<br />
Aber wehe, wenn der Trend später wieder<br />
dreht! Dann erdrosselt der schnell steigende<br />
Schuldendienst jeden politischen Spielraum<br />
– es sei denn, der Staat nähme noch<br />
mehr Darlehen auf, um zu investieren oder<br />
Bürger und Unternehmen zu fördern.<br />
Aber zum Glück gibt es ja seit ein paar<br />
Jahren in der Verfassung die Schuldenbremse<br />
– argumentiert die Politik und freut<br />
sich der Laie. Aber beendet sie wirklich den<br />
Weg ins Dauerdefizit?<br />
Der Schuldendeckel, den die amerikanischen<br />
Nervenkitzler nun erst mal bis zum<br />
1970 1980 1990 2000 2013<br />
Januar anheben, ist eine absolute Obergrenze.<br />
Die hiesige Verfassungsvorschrift,<br />
auf die deutsche Politiker dieser Tage gern<br />
verweisen, ist ungleich lockerer. Die<br />
Schuldenbremse ist, wie der Name<br />
schon sagt, kein Schuldenstopp.<br />
Zwar bestimmt das Grundgesetz,<br />
die Haushalte von Bund<br />
und Ländern „sind grundsätzlich<br />
ohne Einnahmen<br />
aus Krediten auszugleichen“.<br />
Doch schon im<br />
nächsten Satz des Artikels<br />
115 heißt es lapidar:<br />
„Diesem Grundsatz ist<br />
entsprochen, wenn die<br />
Einnahmen aus Krediten<br />
0,35 vom Hundert<br />
im Verhältnis zum nominalen<br />
Bruttoinlandsprodukt nicht<br />
überschreiten.“ Auch 0,35 gilt als „0“. Anders<br />
ausgedrückt: Schon in konjunkturellen<br />
Hochzeiten darf die Regierung neue,<br />
also zusätzliche Schulden machen. Bezogen<br />
auf die gut 2,7 Billionen Euro, die als<br />
Wirtschaftsleistung für dieses Jahr erwartet<br />
werden, wären jene 0,35 Prozent 9,5 Milliarden<br />
Euro – pro Jahr.<br />
Kommt die Konjunktur ins Schlingern,<br />
darf auch diese Grenze gerissen werden.<br />
Dann darf der Staat bis zu 1,5 Prozent des<br />
BIPs als frisches <strong>Geld</strong> in die Hand nehmen,<br />
um den Abschwung zu bekämpfen. Das<br />
sind dann schon 40 Milliarden Euro. Kehrt<br />
der Aufschwung zurück, ist das neue Defizit<br />
„konjunkturgerecht zurückzuführen“,<br />
also erst mal behutsam.<br />
Und schließlich hat sich die Politik bei<br />
der Einführung der Schuldenbremse noch<br />
eine Art kreditpolitische „Dicke Berta“ zugelegt.<br />
„Im Falle von Naturkatastrophen<br />
oder außergewöhnlichen Notsituationen,<br />
die sich der Kontrolle des Staates entziehen<br />
und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“,<br />
kann das Parlament die<br />
Obergrenzen außer Kraft setzen. Dazu genügt<br />
die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages,<br />
also die Kanzlermehrheit. Die<br />
Rückführung der so aufgenommenen Kredite<br />
hat „binnen eines angemessenen Zeitraums<br />
zu erfolgen“. Lascher geht’s kaum.<br />
Eine Regierung, die mehr lockermachen<br />
will als eigentlich zulässig, müsste also<br />
nicht einmal das Grundgesetz ändern. Es<br />
genügte, eine außergewöhnliche Belastung<br />
zu postulieren. Und das kann vieles<br />
sein, gibt Ferdinand Kirchhof zu bedenken,<br />
Experte für das staatliche Finanzkorsett<br />
und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts.<br />
„Irgendein Unglück ereignet<br />
sich doch jedes Jahr: heute die Elbe,<br />
morgen der Arbeitsmarkt, dann kommen<br />
die Lehman Brothers“ (siehe<br />
Seite 26).<br />
Kirchhof empfiehlt deshalb<br />
ein generelles Schuldenverbot.<br />
Dann müsste<br />
die Regierung in guten<br />
Zeiten rechtzeitig ein<br />
Polster anlegen, das bisher<br />
immer nur theoretisch<br />
angemahnt wurde.<br />
Einen Schritt in diese<br />
Richtung hat bereits der<br />
Freistaat Sachsen in seiner<br />
Landesverfassung gemacht.<br />
Zwar gibt es auch<br />
hier – jenseits des apodiktischen<br />
Verbots – Schlupflöcher.<br />
Aber dafür benötigt die<br />
Regierung immerhin eine Zwei-Drittel-<br />
Mehrheit. Im Fall einer großen Koalition<br />
wäre die Hürde allerdings sofort überspringbar,<br />
ohne die Zustimmung der Opposition.<br />
Wenn die Politik wirklich einen Notnagel<br />
für den Bundeshaushalt wolle, plädiert<br />
Kirchhof für eine Regelung, bei der Bundestag<br />
und Bundesrat jeweils mit mindestens<br />
einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Aufnahme<br />
neuer Schulden zustimmen müssten.<br />
„Sie könnten zur Vorsicht auch eine<br />
Drei-Viertel-Mehrheit ansetzen.“ Dann wäre<br />
nicht nur die Hürde höher; sogar nach<br />
einem Regierungswechsel wären dann vermutlich<br />
Politiker in Verantwortung, die<br />
auch für neue Darlehen gestimmt hatten.<br />
Doch selbst diese Zukunftsvorsorge verringert<br />
nicht das enorme Risiko, das bereits<br />
aus den vorhandenen Schulden erwächst.<br />
Zwar konnte die Bundesregierung gerade<br />
ILLUSTRATION: SMETEK<br />
24 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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stolz den Etatkontrolleuren<br />
der EU-<br />
Kommission in<br />
Brüssel melden,<br />
dass das deutsche<br />
Defizit nach 81<br />
Prozent im vergangenen<br />
Jahr auf 77<br />
Prozent im Jahr 2014 sinken werde. Der<br />
Anteil der Schulden geht zurück – nur die<br />
Schulden gehen nicht zurück. Denn abgesehen<br />
davon, dass die Zielmarke von 60<br />
Prozent aus dem Maastricht-Vertrag noch<br />
in weiter Ferne ist, bleibt die Frage: Wie<br />
lange kann eine schrumpfende, alternde<br />
Bevölkerung noch eine stetig steigende<br />
Wirtschaftsleistung erbringen, um die<br />
wachsenden Schulden zu schultern.<br />
ROTE ZAHLEN<br />
Weitaus gefährlicher noch als die offensichtlichen<br />
Defizite ist die sogenannte implizite<br />
Verschuldung, also vor allem jene<br />
langlaufenden Ansprüche gegen die Sozialversicherungen,<br />
die heute aufgebaut werden,<br />
aber erst von künftigen Generationen<br />
bezahlt werden müssen. Auch die Beamtenpensionen<br />
zählen zu diesen vertuschten<br />
Belastungen. Sie tauchen in keiner offiziellen<br />
Statistik auf, aber der Freiburger Finanzwissenschaftler<br />
Raffelhüschen erstellt<br />
regelmäßig eine Bilanz zur Generationengerechtigkeit.<br />
Die größten Risiken sieht Raffelhüschen<br />
für die Rentenkasse – nicht nur aus systematischen<br />
Bedenken gegen die Armutsbekämpfung<br />
durch eine Umlageversicherung.<br />
Dort klafften Ausgabenpläne und<br />
Gegenfinanzierung am stärksten auseinander.<br />
Der Experte sieht vor allem eine<br />
schwer zu bremsende Dynamik: „Jeder<br />
Wahlkampf wird da zu einer Erhöhung<br />
der Mindestrente führen“, fürchtet Raffelhüschen,<br />
„schließlich wollen die Politiker<br />
Wahlgeschenke abliefern.“<br />
Die Wahlprogramme der Parteien hatte<br />
Raffelhüschen daraufhin durchleuchtet, ob<br />
sie den künftigen Steuer- und Beitragszahlern<br />
noch größere Belastungen aufbürden.<br />
Und in der Tat: Während die FDP weder<br />
mehr ausgeben noch mehr einnehmen<br />
wollte und die Grünen auf eine ordentliche<br />
Gegenfinanzierung ihrer Versprechen geachtet<br />
hatten, waren es just die Konzepte<br />
von Union und SPD, die bei Raffelhüschens<br />
Prüfung am schlechtesten abschnitten. Die<br />
Union hatte zwar Steuererhöhungen ausgeschlossen,<br />
möchte aber mit ihrem Rentenfüllhorn<br />
für Mütter und Arbeitnehmer<br />
mit geringem Verdienst höhere Ausgaben<br />
ermöglichen. Nur leider muss das Füllhorn<br />
später von immer weniger Beitragszahlern<br />
gespeist werden, bei stark steigenden Ausgaben.<br />
SCHWARZE ZUKUNFT<br />
Die SPD hatte zwar kräftige Steuererhöhungen<br />
in ihr Programm geschrieben, aber<br />
noch viel größere Wohltaten angekündigt.<br />
Bei ihr war das Verhältnis von Ausgaben<br />
und Gegenfinanzierung noch ungünstiger.<br />
Deshalb graut es Raffelhüschen nun vor<br />
der Kombination Schwarz-Rot: „Wenn<br />
man diese beiden Konzepte zusammennimmt,<br />
wird es bei der Generationenbilanz<br />
richtig teuer.“<br />
In den USA ist der Streit mit der Tea Party<br />
vorerst beendet. Die nächste Mahnung aus<br />
den USA wird kommen – aber erst im Januar.<br />
Da sind die Koalitionsverhandlungen in<br />
Berlin leider schon vorbei.<br />
n<br />
henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 26 »<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
INTERVIEW Ferdinand Kirchhof<br />
»Ein Einfallstor«<br />
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts traut der Schuldenbremse<br />
nicht und will im Grundgesetz neue Schulden verbieten.<br />
Herr Professor Kirchhof, wie verlässlich<br />
ist die deutsche Schuldenbremse?<br />
Die Regelungen im Bund sind nicht<br />
streng. Obwohl eine Schuldenbremse die<br />
Aufnahme von Krediten verhindern soll,<br />
sind 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
jederzeit erlaubt. Weitere 1,5 Prozent<br />
darf man aufnehmen bei Konjunkturschwächen.<br />
Das soll der Staat in<br />
besseren Zeiten ausgleichen, indem er<br />
ein Polster anlegt. Aber wir wissen alle:<br />
Im Boom wird nicht gespart. Und dann<br />
gibt es für weitere Kreditaufnahme noch<br />
„Naturkatastrophen oder außergewöhnliche<br />
Notsituationen, die sich der Kontrolle<br />
des Staates entziehen und die staatliche<br />
Finanzlage erheblich beeinträchtigen“,<br />
wie es im Artikel 115 Grundgesetz heißt.<br />
Das klingt wie ein Freibrief, oder?<br />
Nun, die Regierung muss dann einen<br />
Tilgungsplan vorlegen, wie sie von den<br />
Krediten wieder herunterkommt. Aber<br />
was bedeutet das schon? Ich will nicht<br />
sagen, das wäre pleins pouvoirs, also<br />
eine unbeschränkte Vollmacht. Aber eine<br />
feste nominelle Obergrenze zieht die<br />
deutsche Schuldenbremse nicht.<br />
Wie ist denn „Notsituation“ definiert?<br />
Das ist genau die Frage. Welches simple<br />
Gewitter unterliegt der Kontrolle des<br />
Staates? Ich möchte nicht den guten Willen<br />
des Verfassungsgesetzgebers bezweifeln,<br />
der hier eine Grenze ziehen wollte.<br />
RECHNENDER RICHTER<br />
Kirchhof, 63, urteilt seit 2007 am Bundesverfassungsgericht<br />
in Karlsruhe. Der Experte<br />
für die Finanzverfassung saß als Sachverständiger<br />
in der Föderalismuskommission.<br />
Aber faktisch wirksam ist das nicht. Denn<br />
irgendein Unglück ereignet sich doch jedes<br />
Jahr: heute die Elbe, morgen der Arbeitsmarkt,<br />
dann kommen die Lehman<br />
Brothers. In diese Falle läuft man jedes<br />
Jahr; so wird die Vorschrift ein Einfallstor<br />
für immer weitere Schulden.<br />
Was wäre besser?<br />
Ich plädiere für ein grundsätzliches Verbot<br />
neuer Schulden. Das wäre eine klare Entscheidung.<br />
Denn es gibt in der Regel keine<br />
Krisenlagen, die weitere Schulden rechtfertigen<br />
würden. Wir hatten in der Geschichte<br />
der Bundesrepublik<br />
letztlich nur zwei wirkliche<br />
Notsituationen: Die eine<br />
waren Krieg und Vertreibung<br />
– das haben<br />
wir ohne Schulden<br />
geschafft und sogar<br />
den Juliusturm angelegt,<br />
also einen<br />
Haushaltsüberschuss.<br />
Und die<br />
zweite war die<br />
deutsche Ein-<br />
heit. Beides kommt wohl nicht wieder.<br />
Also müssen wir auch keine Hintertür<br />
für weitere Verschuldung öffnen.<br />
Welche Regierung kann schon ewig<br />
ohne neue Schulden auskommen?<br />
Wenn die Politik wirklich meint, sie<br />
bräuchte eine Notregelung, dann sollte<br />
eine Verschuldung wenigstens nur zulässig<br />
sein, wenn sie dafür eine Zwei-<br />
Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat<br />
bekommt.<br />
Eine große Koalition hätte den Bundestag<br />
schon im Sack!<br />
Deshalb sollte auch der Bundesrat zustimmen<br />
müssen. Denn dass eine Partei<br />
oder eine Koalition in beiden Kammern<br />
über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt,<br />
ist schon sehr selten. Sie könnten auch<br />
zur Vorsicht eine Drei-Viertel-Mehrheit<br />
ansetzen. Mir geht es im Ergebnis darum,<br />
die Schuldenaufnahme möglichst<br />
komplett zu unterbinden.<br />
Dabei kann sich Deutschland derzeit so<br />
billig finanzieren wie noch nie!<br />
Das ist doch gerade das Gefährliche. Wir<br />
wiegen uns in trügerischer Sicherheit.<br />
Wenn die Zinsen mal wieder steigen,<br />
wird der Staat bald handlungsunfähig.<br />
Das funktioniert ja alles nur, solange es<br />
noch Vertrauen gibt. Aber wir sehen unter<br />
anderem bei den südeuropäischen<br />
Ländern, dass sie bereits an die Grenze<br />
ihrer Kreditwürdigkeit gestoßen sind. So<br />
weit dürfen wir es in Deutschland nicht<br />
kommen lassen. Deshalb bin ich für das<br />
Schuldenverbot.<br />
Reicht das langfristig aus?<br />
Angesichts unserer demografischen Entwicklung<br />
müssten wir sogar Schulden abbauen,<br />
weil die immer kleiner werdenden<br />
nachfolgenden Generationen das sonst<br />
nicht schultern können. Außerdem: Eine<br />
Demokratie auf Pump ist nicht die Idee<br />
der demokratischen Verantwortung, auf<br />
der unsere Verfassung gründet. Der Wähler,<br />
der sich heute neue staatliche Ausgaben<br />
wünscht, müsste auch die Rechnung<br />
dafür präsentiert bekommen;<br />
er muss Verantwortung übernehmen<br />
für das, was er mit seinem<br />
Wahlzettel bestellt, und darf<br />
sie nicht an die nächste Generation<br />
weiterreichen. Mit Krediten<br />
wird diese demokratische<br />
Verantwortung ausgehebelt.<br />
henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 28 »<br />
FOTO: LAIF/CIRA MORO; ILLUSTRATION: SMETEK<br />
26 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Keiner hilft<br />
ORTSTERMIN | Nach dem verpassten Parlamentseinzug mit der AfD<br />
ist Professor Bernd Lucke zurück im Hörsaal – und macht Politik.<br />
Funktioniert<br />
wieder nicht<br />
Lucke im<br />
Uni-Hörsaal<br />
Irgendetwas hakt. Vielleicht ist es der<br />
Beamer, der nicht anspringt, vielleicht<br />
liegt es am Übertragungskabel. Bernd<br />
Lucke zumindest kniet unter dem Rednerpult<br />
und fummelt herum. Der Raum im<br />
historischen Hauptgebäude der Universität<br />
Hamburg ist halb voll, die gut 100 Studenten<br />
schauen ihm zumeist ausdruckslos<br />
entgegen, hier und da schmunzelt einer.<br />
Manche nutzen die entstehende Unruhe<br />
für einen kleinen Plausch. Hilfesuchend<br />
lächelt Lucke in den Raum, keiner reagiert.<br />
So wenig Aufmerksamkeit hat Lucke wohl<br />
selten erlebt in den vergangenen Monaten.<br />
Wortlos verlässt er den Saal.<br />
Bernd Lucke, Ökonomieprofessor aus<br />
Hamburg, ist in den vergangenen Monaten<br />
bundesweit bekannt geworden als Anführer<br />
der Protestpartei Alternative für<br />
Deutschland (AfD), die sich mit beißender<br />
Kritik an der Euro-Rettungspolitik<br />
der Bundesregierung<br />
profilierte. Durch<br />
Lucke ist die Partei zum<br />
Hoffnungsträger derer<br />
geworden, die sich so etwas<br />
wie eine deutsche<br />
Tea Party wünschen.<br />
Für den Einzug in den<br />
Bundestag reichte es<br />
nicht, 4,7 Prozent der<br />
Stimmen genügten<br />
für einen Achtungserfolg,<br />
von dem man sich aber erst mal<br />
nichts Beachtenswertes kaufen kann. Jetzt<br />
sind die Semesterferien vorbei, und so<br />
muss Lucke wieder das tun, wofür ihn das<br />
Land Hamburg bezahlt: Bachelor-Studenten<br />
die Grundlagen der Volkswirtschaftslehre<br />
erläutern.<br />
ZACKEN UND STRICHE<br />
Als Lucke in den Raum zurückkommt, hat<br />
er einen Hausmeister aufgetrieben, zumindest<br />
die Technik funktioniert jetzt. Der Professor<br />
beginnt die Vorlesung „Makroökonomik<br />
II“ mit einem Verlaufsplan. Der aber<br />
klingt reichlich politisch: Bereits in der<br />
zweiten Unterrichtseinheit steht „Target II“<br />
auf dem Programm. Die Salden in der Bundesbankbilanz<br />
sind für die einen bilanzieller<br />
Ausdruck intensiver Handelsbeziehungen<br />
im Euro-Raum, für die anderen<br />
der Knebel, mit dem die hoch<br />
verschuldeten Euro-Länder<br />
Deutschland zu immer neuen<br />
Hilfsgeldern nötigen.<br />
Unpolitisch oder gar Teil<br />
des ökonomischen Grundwissens<br />
sind sie nicht.<br />
Man merkt Lucke an, dass<br />
die universitäre Bühne seine<br />
Heimat ist. Er erscheint im<br />
dunklen Strickpullover, auf der<br />
Vorderseite wechseln sich Zacken-<br />
und Strichmuster ab, dazu<br />
eine graue Stoffhose. Um zur Klausur<br />
zugelassen zu werden, müssen die Studenten<br />
handschriftliche Zusammenfassungen<br />
der Vorlesungen einreichen. Der Mann ist<br />
eindeutig eher aus der D-Mark- als aus der<br />
Euro-Zeit. Seinen Vortrag absolviert er<br />
überlegen, zumindest der Professor kennt<br />
die Materie ausgezeichnet. Die kleinen<br />
Scherze funktionieren selten. Von dem begeisternden<br />
Redner, dem die Menschen im<br />
Wahlkampf zu Tausenden lauschten, ist<br />
hier kaum etwas zu spüren.<br />
Dabei hätte die Partei ohne den charismatischen<br />
Führer, der sich auch in vielen<br />
Talkshows beachtlich schlug, niemals so<br />
viele Stimmen geholt. Auch dass die AfD<br />
bisher von großen Richtungskämpfen verschont<br />
blieb, verdankt sie ihrer Galionsfigur.<br />
Jetzt aber ist unklar, wie es weitergeht.<br />
Lucke hat bisher offengelassen, ob er auch<br />
bei der Europawahl im kommenden Mai<br />
an der Spitze der Partei stehen will. Dabei<br />
befindet Lucke sich als Hochschullehrer in<br />
einer durchaus komfortablen Situation.<br />
Für bis zu sechs Jahre darf er sich beurlauben<br />
lassen. Jeweils zum Anfang eines Semesters<br />
kann er es sich anders überlegen<br />
und auf seinen Lehrstuhl zurückkehren.<br />
Solange er für die Partei nicht mehr als 20<br />
Prozent seiner Arbeitszeit aufwendet, kann<br />
er sie sogar nebenberuflich führen.<br />
Im Hörsaal stößt diese Doppelrolle auf<br />
Skepsis. Lucke referiert über gesunde und<br />
ungesunde Staatsschulden, zitiert die US-<br />
Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen<br />
Reinhart. Da fragt ein Student nach: Hatte<br />
es nicht vor kurzer Zeit eine Debatte über<br />
Rechenfehler in deren Arbeit gegeben?<br />
Und überhaupt, sei das jetzt noch ökonomische<br />
Theorie oder schon politische Position?<br />
Der Professor weist den Studenten<br />
zurecht. Natürlich werde er auch auf Kritik<br />
an der Theorie eingehen, ansonsten sei das<br />
hier aber keine politische Talkshow, sondern<br />
eine Vorlesung. „Das ist Irreführung,<br />
was Sie hier betreiben“, erwidert der Student.<br />
Lucke wendet sich ab, blättert zur<br />
nächsten Folie.<br />
Die Veranstaltung endet mit Handelsbilanzen,<br />
Fragen zum Stoff? Keine. Aber:<br />
Herr Lucke, war es das jetzt mit <strong>Ihr</strong>er politischen<br />
Karriere? „Ich habe mich mit der Uni<br />
auf eine Teilbeurlaubung geeinigt“, sagt er,<br />
„werde aber trotzdem drei Vorlesungen<br />
halten.“ Und dann, zur Europawahl? „Ab<br />
März bin ich für ein Semester beurlaubt.<br />
Falls wir ins Europaparlament einziehen,<br />
natürlich länger.“ Eine gute Nachricht, für<br />
Parteifreunde und Studenten.<br />
n<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
FOTO: ARNE WEYCHARDT FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; ILLUSTRATION: SMETEK<br />
28 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»Hier ist richtig Alarm«<br />
INTERVIEW | Garrelt Duin Der NRW-Wirtschaftsminister skizziert einen konkreten Plan für die EEG-<br />
Reform: Das Tempo des Ausbaus will er drosseln, der fossile Kraftwerkspark erhält Bestandsschutz.<br />
Herr Minister, Norddeutschland hat den<br />
Wind, Ost- und Süddeutschland die Solarenergie.<br />
NRW ist Kohle-Land. Wird es<br />
deshalb zum Verlierer der Energiewende?<br />
Fakt ist, dass die Energiewende die Stromkunden<br />
aus NRW überproportional belastet.<br />
Sie zahlen über das EEG-Umlagesystem<br />
eine Milliarde Euro mehr ein, als sie herausbekommen.<br />
Das <strong>Geld</strong> fließt vor allem<br />
nach Bayern. Das kann so nicht bleiben.<br />
Glauben Sie, dass die neue Bundesregierung<br />
hier gegensteuern kann – und will?<br />
Welche Koalition künftig in Berlin regiert,<br />
ist für die Energiewende sekundär. Entscheidend<br />
ist, dass die Bundesländer endlich<br />
einen Konsens finden. Selbst dem bayrischen<br />
Ministerpräsidenten Seehofer ist<br />
mittlerweile klar, dass der unkoordinierte<br />
Ausbau bei regenerativen Energien ein Ende<br />
haben muss.<br />
Trotzdem verhindern die unterschiedlichen<br />
Interessen der Länder eine Reform.<br />
Die Länder bewegen sich aufeinander zu,<br />
das merkt man bei allen Gesprächen. Es<br />
gibt in der Energiepolitik ein Zieldreieck:<br />
Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit, Klimaschutz.<br />
Aus Sicht des Industriestandorts<br />
NRW sage ich: Das entscheidende Kriterium<br />
muss die Wettbewerbsfähigkeit der<br />
Unternehmen sein. Wir dürfen nicht alles<br />
dem Klimaschutz unterordnen. Wir fordern<br />
von Südeuropa eine höhere Wettbewerbsfähigkeit,<br />
die EU entwirft eine Strategie<br />
zur Re-Industrialisierung – und<br />
Deutschland macht eine Energiepolitik,<br />
die das Gegenteil bewirkt.<br />
Sie hätten das ändern können. Die<br />
Strompreisbremse ist aber mit <strong>Ihr</strong>er Hilfe<br />
im Bundesrat gescheitert...<br />
...weil sie handwerklich extrem schlecht<br />
vorbereitet war und für viele energieintensive<br />
Industriebetriebe in NRW eine gefährliche<br />
Mehrbelastung bedeutet hätte. Eine<br />
echte EEG-Reform muss das Ausbautempo<br />
bei regenerativen Energien senken.<br />
Derzeit liegen wir beim Ausbau über Plan,<br />
während der Netzausbau zurückhängt.<br />
Der zweite wichtige Punkt: Wir brauchen<br />
einen Kapazitätsmarkt für konventionelle<br />
Kraftwerke. Energieversorger müssen dafür<br />
entlohnt werden, wenn sie Reserven für<br />
Zeiten vorhalten, in denen die Sonne nicht<br />
scheint und der Wind nicht bläst.<br />
Das könnte teuer werden.<br />
Wir haben dafür einen Zielkorridor definiert.<br />
Dabei landen wir am Ende maximal<br />
bei sechs Milliarden Euro im Jahr. Das ist<br />
viel <strong>Geld</strong>. Man muss das aber im Verhältnis<br />
zu den 20 Milliarden Euro sehen, die momentan<br />
in erneuerbare Energien fließen.<br />
In Hürth bei Köln wurde für Hunderte<br />
Millionen Euro ein Gaskraftwerk gebaut.<br />
Das ist fertig, geht aber nicht ans Netz,<br />
weil es sich nicht lohnt. Wie wollen<br />
Sie solche Investitionsruinen verhindern?<br />
Das Entscheidende ist, dass wir anfangen<br />
müssen, über Kapitalkosten zu reden. Bisher<br />
wird immer nach den Betriebskosten<br />
gefragt:Wie teuer ist die Kohle, wie teuer ist<br />
das Erdgas? Wenn wir die modernsten<br />
Kraftwerke haben wollen, dann muss man<br />
sich klarmachen, dass das mehr kostet.<br />
Sonst mache ich die Betreiber alter Kohle-<br />
»Wir dürfen<br />
nicht alles<br />
dem Klimaschutz<br />
unterordnen«<br />
kraftwerke glücklich – aber nicht die der<br />
modernen, die wir eigentlich wollen.<br />
Wie viele fossile Kraftwerke würden überleben?<br />
Mehr oder weniger die Anzahl, die momentan<br />
existiert. Das klingt nach sehr viel.<br />
Aber wir müssen für den Moment der<br />
„dunklen Flaute“, wo weder Wind noch<br />
Sonne Strom liefern, sicherstellen, dass das<br />
Licht nicht ausgeht.<br />
Steht zu befürchten, dass uns die<br />
EU-Kommission eine Reform aufdrängt?<br />
Das Worst-Case-Szenario wäre, wenn<br />
Brüssel die Ausnahmen und Härtefallregeln<br />
kippt, aber das EEG als Ganzes weiterlaufen<br />
lässt. Das wäre eine industriepolitische<br />
Katastrophe! Bundesregierung und<br />
Länder müssen in den nächsten Wochen<br />
dringend ein Signal nach Brüssel senden,<br />
dass wir das EEG verändern und dann die<br />
Ausnahmetatbestände.<br />
1700 Unternehmen sind von der Umlage<br />
befreit, 20 Prozent davon aus NRW.<br />
Können Sie Ausnahmeregeln schleifen,<br />
ohne der Industrie zu schaden?<br />
Derzeit gibt es eine starre Grenze: Liegen<br />
die Energiekosten eines Unternehmens bei<br />
14 Prozent des Umsatzes, kann es sich entlasten<br />
lassen. Das hat absurde Folgen: Wer<br />
bei 13,9 Prozent liegt, muss sich überlegen,<br />
die Stromkosten künstlich nach oben zu<br />
treiben. Wer bei 14,1 Prozent liegt, wird den<br />
Teufel tun, weiter in Energieeffizienz zu investieren.<br />
Wir brauchen deshalb einen<br />
gleitenden Übergang, zum Beispiel eine<br />
degressive Staffelung bis etwa fünf Prozent.<br />
Dann würde die Zahl der profitierenden<br />
Betriebe weiter steigen.<br />
Ja, für einen gewissen Zeitraum. Die Gesamtsumme<br />
sollte aber gleich bleiben. Die<br />
Kosten durch die Befreiungen dürfen nur<br />
steigen, wenn wir anderswo reduzieren –<br />
und zum Beispiel die Stromsteuer senken.<br />
Sagten Sie: Stromsteuer senken?<br />
Ja, da schauen Sie, was? Die SPD will auch<br />
mal Steuern senken.<br />
Finden Sie es lobenswert, wenn Unternehmen<br />
eigenen Strom produzieren, um<br />
EEG-Umlage und Netzentgelte zu sparen?<br />
Nein.<br />
Wieso? Davon profitieren die Kunden.<br />
Die energetische Eigenversorgung ist eine<br />
Form von Entsolidarisierung, die die Politik<br />
beschränken muss. Künftig muss es eine<br />
Mindestumlage für alle Stromverbraucher<br />
geben, vom Hausbesitzer bis zum Industriebetrieb.<br />
Sie wollen Unternehmen verbieten, ihren<br />
Strom selber zu erzeugen?<br />
Überhaupt nicht. Nur sollten sie nicht darauf<br />
bauen, auch künftig keine EEG-Umlage<br />
und Netzentgelte zahlen zu müssen.<br />
Wo bleibt in <strong>Ihr</strong>en Szenarien die Kohle?<br />
Die Prognosen zur Versorgungssicherheit<br />
bis 2022 besagen, dass wir alle derzeit vorhandenen<br />
fossilen Kapazitäten brauchen.<br />
Da zudem alte Kraftwerke eingemottet<br />
werden, sind neue nötig. Angesichts der<br />
derzeitigen Investitionsbedingungen ist<br />
der Neubau für Unternehmen aber betriebswirtschaftlicher<br />
Blödsinn.<br />
Der Energiekonzern RWE scheint <strong>Ihr</strong>e<br />
Skepsis zu teilen. Angeblich spielt<br />
das Unternehmen mit dem Gedanken,<br />
FOTO: LAIF/OLIVER TJADEN<br />
30 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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DAS ENERGIEBÜNDEL<br />
Duin, 45, ist seit 2012<br />
Wirtschaftsminister in NRW.<br />
Zuvor war er SPD-Chef<br />
in Niedersachsen und wirtschaftspolitischer<br />
Sprecher<br />
der SPD-Bundestagsfraktion.<br />
schon 2017 den Braunkohle-Tagebau<br />
Garzweiler II einzustellen.<br />
Die Landesregierung geht davon aus, dass<br />
RWE an den Abbauplänen festhält. So hat<br />
es das Unternehmen kommuniziert, und<br />
dies wurde mir in Gesprächen bestätigt.<br />
Der Bürgermeister von Erkelenz hat<br />
vorerst alle Umsiedlungsmaßnahmen<br />
rund um Garzweiler gestoppt.<br />
Womöglich macht sich in den betroffenen<br />
Ortschaften die Hoffnung breit, die Umsiedlung<br />
doch noch stoppen zu können.<br />
Das ist menschlich verständlich. Das Land<br />
ist derzeit in intensiven Gesprächen mit<br />
dem Braunkohlenausschuss bei der Bezirksregierung<br />
Köln, der die Verfahrensentscheidungen<br />
über Umsiedlungen im Rheinischen<br />
Braunkohlerevier trifft, der Stadt<br />
Erkelenz und dem bergbautreibenden Unternehmen<br />
RWE Power.<br />
Baut RWE eine Drohkulisse auf?<br />
Das ist gar nicht nötig. Niemand kann die<br />
Augen davor verschließen, dass den<br />
Stromkonzernen das Wasser bis zum Hals<br />
steht. Hier ist richtig Alarm. Wenn ich sehe,<br />
welche Zahlen hinsichtlich des Stellenabbaus<br />
diskutiert werden, ist das kein Spiel<br />
mehr, wo Lobbyinteressen verfolgt werden.<br />
Wo ist das Problem, wenn Konzerne vom<br />
Markt verschwinden, deren Geschäftsmodell<br />
nicht zur Energiewende passt?<br />
Erstens brauchen wir auch fossile Energien<br />
für einen funktionierenden Mix. Aber denken<br />
Sie auch an die Kommunen, die hängen<br />
über ihre Stadtwerke, Firmenbeteiligungen<br />
und RWE-Anteile mit drin. Wenn<br />
ich darüber mit Kämmerern spreche, da<br />
schlägt mir die nackte Not entgegen.<br />
Das klingt bedrohlich. Auf was müssen<br />
sich die Städte gefasst machen?<br />
Die werden eine Sparorgie hinlegen müssen,<br />
die ihresgleichen sucht. Wenn dort<br />
richtig die Verluste von den Kraftwerken<br />
reinregnen und die Städte Wertberichtigungen<br />
vornehmen müssen, dann wird<br />
das eine Katastrophe. Da schließt dann<br />
auch noch das letzte Hallenbad, weil die<br />
Kraftwerke so hohe Verluste produzieren.<br />
Welche Städte trifft das denn?<br />
Auf jeden Fall das gesamte Ruhrgebiet. Die<br />
meisten Städte dort sind sogar doppelt betroffen,<br />
weil sie nicht nur bei der Steag Anteilseigner<br />
sind, sondern auch bei RWE.<br />
Damit nicht genug: Im Ruhrgebiet häufen<br />
sich gerade die Meldungen über Werksschließungen<br />
und Stellenabbau. <strong>Ist</strong> der<br />
Strukturwandel endgültig gescheitert?<br />
Wir beobachten das mit Sorge. Das sind<br />
aber mit Ausnahme von Opel keine Werksschließungen.<br />
Entscheidend ist, dass man<br />
sich mehr um die Alternativen kümmert.<br />
Im Kuratorium der Krupp-Stiftung hat<br />
das Land Einfluss. Auch die RAG-Stiftung<br />
wäre ein Vehikel, um die NRW-Industrie<br />
zu retten. Drücken Sie sich um die Verantwortung?<br />
Der Fehler war doch, auf die Großen zu setzen.<br />
Aber all die lebensverlängernden oder<br />
gar wiederbelebenden Maßnahmen haben<br />
nur <strong>Geld</strong> gekostet. Ein Beispiel: Die Überkapazitäten<br />
auf dem europäischen Automobilmarkt<br />
sind für jeden offensichtlich.<br />
Wenn daraus das Aus für Opel in Bochum<br />
folgt, sollte man nicht jammern, sondern<br />
schauen, dass man auf den Flächen schnell<br />
etwas anderes machen kann.<br />
Gibt es denn Interessenten?<br />
Allerdings, die rennen uns gerade die Bude<br />
ein. Es ist eine hohe zweistellige Zahl von<br />
Investoren, die Interesse zeigen.<br />
Wie passt diese Strategie damit zusammen,<br />
dass Sie gerade einer verheißungsvollen<br />
Industriefläche im Ruhrgebiet, dem<br />
NewPark, die Bürgschaft verweigern?<br />
Das Geschäftsmodell hat einer kritischen<br />
Überprüfung nicht standgehalten. Die<br />
Hoffnung auf einen einzelnen Großinvestor<br />
hat sich in Deutschland seit zehn Jahren<br />
nicht mehr realisiert. Die Zukunft gehört<br />
den mittelständischen Betrieben, gerade<br />
auch im nördlichen Ruhrgebiet.<br />
Liegt der Fehler bei den Politikern im<br />
Ruhrgebiet? Die kümmern sich aus alter<br />
Verbundenheit nur um die Großkonzerne.<br />
Das war ja auch jahrzehntelang sehr komfortabel.<br />
Wenn Sie früher mit einem Betriebsrat<br />
gesprochen hatten, dann hatten<br />
sie schon mal 10000 Leute erreicht. Das hat<br />
den schleichenden Niedergang aber nicht<br />
verhindert. Deshalb muss man jetzt die<br />
Struktur verändern.<br />
n<br />
konrad.fischer@wiwo.de, bert losse<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 31<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Auf in den Zank<br />
SPD-Verhandlungsteam<br />
Achtung, 8,50!<br />
MINDESTLOHN | Setzt sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen<br />
mit der Union durch, droht ein Schock auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Ach, was würden sie sich gerne zu<br />
Wort melden! Einschalten in die öffentliche<br />
Debatte, in das politische<br />
Gezerre in der Hauptstadt. Aber sie dürfen<br />
nicht. Schweigeperiode. Die Wirtschaftsweisen<br />
legen gerade letzte Hand an ihr Jahresgutachten<br />
und deshalb dürfen sie nichts<br />
sagen. Nicht jetzt. Dabei würde es den einen<br />
oder anderen schon reizen, sehr sogar.<br />
Denn in Berlin stehen die Zeichen auf einen<br />
ökonomischen Großversuch, der gravierende<br />
Folgen befürchten lässt. Dass es<br />
nach der Bundestagswahl eher mehr Mindestlohn<br />
als weniger geben würde, das war<br />
vorher klar. Doch vergangene Woche mussten<br />
die Unterhändler der Union nach den<br />
Sondierungen mit der SPD zur Kenntnis<br />
nehmen, dass die Genossen ernst machen<br />
mit ihrer Maximalforderung. Die grollende<br />
Parteibasis, die am Ende über eine Koalition<br />
mit CDU/CSU entscheiden soll, braucht<br />
ein Opfer. Eines, das die Gemüter besänftigt.<br />
Eines, das die Zustimmung zu der verhassten<br />
großen Koalition überhaupt möglich<br />
machen könnte. Die Parteiführung um<br />
Sigmar Gabriel glaubt, es im gesetzlichen<br />
Mindestlohn gefunden zu haben. Ohne,<br />
sagt jemand aus dem Parteivorstand, könne<br />
man gleich alles abblasen.<br />
Was das hieße? Künftig würde kein Arbeitnehmer<br />
in Deutschland weniger als<br />
8,50 Euro pro Stunde verdienen. Wer also<br />
Vollzeit arbeitet, könnte mit rund 1300 Euro<br />
brutto im Monat rechnen, auch für einfachste<br />
Tätigkeiten. 8,50 Euro wären das<br />
Minimum, das von keinem Unternehmen<br />
in keiner Branche unterschritten werden<br />
dürfte, festgeschrieben vom Staat. Fast jeden<br />
fünften Arbeitnehmer wird das betreffen<br />
(siehe Grafik).<br />
Gesetzlicher Mindestlohn – das klingt<br />
nach Gerechtigkeit, nach der Betonung des<br />
Sozialen in der Marktwirtschaft. Aber die<br />
Untergrenze von 8,50 Euro könnte in einem<br />
Fiasko enden. Die große Mehrheit der<br />
Arbeitsmarktexperten hat zwar in den vergangenen<br />
Jahren ideologisch abgerüstet.<br />
»Die meisten<br />
Betriebe werden mit<br />
Stellenstreichungen<br />
reagieren müssen«<br />
Dominik Groll, IfW Kiel<br />
Mindestlöhne sind nicht mehr per se des<br />
Teufels, weil die Analysen real existierender<br />
Untergrenzen nüchterne Ergebnisse<br />
zutage gefördert haben: Sie können Jobs<br />
kosten, sie müssen es nicht. Gleichzeitig<br />
aber ist die sonst so streitbare Zunft der<br />
Ökonomen in einer Schlussfolgerung weitestgehend<br />
einer Meinung: Die flächendeckende<br />
Anhebung auf das von der SPD gewollte<br />
Mindestniveau ist gefährlich. Und<br />
sie kostet Jobs. Viele Jobs.<br />
DEUTLICHES WARNSCHILD<br />
„Wenn ein hoher, bundesweit wirkender<br />
Mindestlohn eingeführt würde, dann wird<br />
das sehr negative Folgen für den Arbeitsmarkt<br />
haben“, warnt Dominik Groll vom<br />
Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW).<br />
„Dort, wo die Löhne am niedrigsten sind,<br />
werden die meisten Betriebe über kurz<br />
oder lang mit Stellenstreichungen reagieren<br />
müssen.“ In Ostdeutschland wäre das<br />
besonders der Fall, bei kleinen Firmen, in<br />
der Gastronomie und in der Dienstleistungsbranche.<br />
Eine aktuelle Studie des<br />
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) liest sich wie ein großes<br />
Warnschild: „Die abrupte Einführung eines<br />
Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro<br />
pro Stunde“ sei „nicht anzuraten“, heißt es<br />
darin. Und überhaupt: Der Politik müsse<br />
klar sein, dass ein solcher Eingriff „kein geeignetes<br />
Instrument zu einer wesentlichen<br />
Verminderung der Armut und der Ungleichverteilung“<br />
darstelle.<br />
Dabei empfinden die Sozialdemokraten<br />
(genauso wie Grüne, Linke und nicht gera-<br />
FOTO: ACTION PRESS/ZUMA PRESS<br />
34 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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forschung (IAB), Joachim Möller, ein<br />
höchst gemäßigter Mindestlohn-Befürworter,<br />
plädiert genau dafür. 8,50 Euro flächendeckend<br />
und sofort, das „ginge heute<br />
einen Schritt zu weit“, warnt er. „Wir wissen<br />
nicht genau, wo die schädliche Grenze auf<br />
dem Arbeitsmarkt liegt, deshalb muss man<br />
vorsichtig sein und zumindest in Ostdeutschland<br />
niedriger einsteigen.“ Die Briten<br />
hätten es „vorbildlich vermieden, die<br />
rote Linie zu überschreiten“.<br />
Im Detail müsste der minimum wage die<br />
Begeisterung vieler Genossen deshalb<br />
ziemlich trüben. Auch nach mehreren Erhöhungen<br />
entspricht der dortige Tiefstsatz<br />
heute nur knapp der Hälfte des mittleren<br />
Lohns. Der Eingriff fällt im Königreich damit<br />
viel geringer aus, als das in Deutschland<br />
der Fall wäre. Von 8,50 Euro würde allein<br />
in Ostdeutschland jeder Vierte erfasst,<br />
in Großbritannien ist es nur jeder Zwanzigste.<br />
„Beispielhaft ist auch, dass die Bri-<br />
Wer wie viel verdient<br />
Zahl deutscherArbeitnehmer in<br />
einzelnenLohngruppen<br />
(inMillionen undinProzent)*<br />
1,4<br />
(4,0 %)<br />
unter<br />
5€<br />
2,5<br />
(7,4 %)<br />
unter<br />
6€<br />
4,1<br />
(12,0%)<br />
unter<br />
7€<br />
5,7<br />
(16,7%)<br />
unter<br />
8€<br />
*einschließlichSchülern, Studenten,<br />
Rentnern undNebenjobs; Quelle:Institut<br />
Arbeit undQualifikation<br />
6,8<br />
(19,9%)<br />
unter<br />
8,50 €<br />
27,4<br />
(81,1%)<br />
über<br />
8,50 €<br />
de wenige Unions-Politiker) eine strikte<br />
Lohnuntergrenze als eierlegende Wollmilchsau<br />
der Sozialpolitik: Steigende Löhne<br />
gleich steigende Kaufkraft gleich steigende<br />
Steuereinnahmen und auch gleich<br />
weniger Geringverdiener, die mit Hartz-IV-<br />
Leistungen aufstocken müssten. Eine Winwin-win-win-Situation<br />
sozusagen.<br />
Dieser Wunschkatalog ginge allerdings<br />
überhaupt nur dann ein bisschen in Erfüllung,<br />
wenn die fast sieben Millionen Menschen,<br />
die derzeit für Löhne unter 8,50 Euro<br />
arbeiten, sich auch alle über dieses<br />
Lohnplus freuen könnten. Wahrscheinlicher<br />
ist, dass ausgerechnet viele mit sehr<br />
niedrigem Einkommen (und oft magerer<br />
Bildung) vom Markt gedrängt würden. Sie<br />
werden dann dem Staat kein <strong>Geld</strong> sparen,<br />
sondern als Arbeitslose welches kosten.<br />
Die Kernfrage lautet also: Wie viele Jobs<br />
kostet der Mindestlohn? Gleichlautende<br />
Aussagen können Ökonomen dazu nicht<br />
liefern. Berechnungen der letzten Jahre erbrachten<br />
für Deutschland Spannbreiten<br />
zwischen 140 000 und 1,2 Millionen wahrscheinlich<br />
verlorene Arbeitsplätze. Das<br />
Münchner ifo Institut taxiert die Verluste in<br />
einer aktuellen Studie auf bis zu eine Million<br />
Stellen. In ihrem Herbstgutachten warnen<br />
die Wirtschaftsforschungsinstitute<br />
eindringlich, „ein einheitlicher, für alle<br />
Branchen und alle Regionen geltender<br />
Mindestlohn hätte wahrscheinlich deutlich<br />
negativere Folgen für den Arbeitsmarkt<br />
als die bisherigen Branchenverträge“.<br />
Selbst wenn man unterstellte, dass der<br />
Mindestlohn folgenlos bliebe, macht IfW-<br />
Ökonom Groll noch eine andere Rechnung<br />
auf: „Es wird gern übersehen, dass höhere<br />
Löhne zulasten der Unternehmensgewinne<br />
gehen. Unterm Strich könnten die Steuereinnahmen<br />
dann sogar niedriger als vorher<br />
ausfallen.“ Nicht zuletzt, weil die Firmenüberschüsse<br />
höher besteuert werden<br />
dürften als die Niedriglöhne.<br />
An den Berliner Verhandlungstisch dringen<br />
solche Warnungen bislang allenfalls<br />
sehr gedämpft. SPD-Generalsekretärin Andrea<br />
Nahles beispielsweise tut ihre Sympathien<br />
für das britische Mindestlohn-Modell<br />
kund, das vor Ort in der Tat als Erfolg<br />
wahrgenommen wird (siehe Wirtschafts-<br />
Woche 12/2013). Eine seit 1999 tätige<br />
Lohnkommission setzt sich nur aus Arbeitgebern,<br />
Arbeitnehmern und Wissenschaftlern<br />
zusammen und gibt jährlich ihre Empfehlung<br />
an die Politik ab.<br />
Die liberale Insel als Vorbild des Tarifpartnerlandes<br />
Deutschland? Der Direktor<br />
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsten<br />
für junge Arbeitnehmer Ausnahmen<br />
nach unten geschaffen haben“, lobt IAB-<br />
Forscher Möller. Ohne sie „würden wir den<br />
Fehlanreiz erzeugen, gleich gutes <strong>Geld</strong> verdienen<br />
zu wollen, statt erst einmal eine<br />
Ausbildung zu absolvieren“.<br />
Solche Flexibilisierungen will die SPD<br />
bislang nicht zulassen. Und ob es ihr gefallen<br />
würde, dass eine politisch unabhängige<br />
Runde wie die Low Pay Commission schon<br />
Steigerungen unterhalb der Inflationsrate<br />
vorgeschlagen hat, um die realen Lohnkosten<br />
zu senken? Gewerkschafter wie Michael<br />
Vassiliadis, wiedergewählter Chef der IG<br />
BCE und selbst SPD-Mitglied, fordern in<br />
jedem Fall ein unabhängiges Gremium:<br />
„Wichtig ist, dass der Mindestlohn nicht<br />
von der Politik bestimmt wird, sondern von<br />
einer Kommission aus Gewerkschaftern<br />
und Arbeitgebervertretern.“<br />
Ein behutsamer Umgang mit dem heiklen<br />
Instrument Mindestlohn könnte aus<br />
überzeugten Gegnern sogar Befürworter<br />
machen. Sylke Schulz hat eine solche<br />
Wandlung hinter sich.<br />
Noch zu Beginn des Jahres fürchtete<br />
Schulz um ihre wirtschaftliche Existenz.<br />
Die 48-Jährige betreibt fünf Friseursalons<br />
in Guben, sie ist Chefin von 38 Frauen und<br />
zwei Männern, allesamt gelernte Friseure.<br />
Die Kleinstadt liegt im äußersten Osten<br />
Brandenburgs, die Zwillingsgemeinde Gubin<br />
in Polen ist nur einen Spaziergang entfernt.<br />
Damals verdienten ihre Angestellten<br />
zwischen 5,00 und 5,80 Euro in der Stunde.<br />
DIE KUNDEN BLEIBEN<br />
Seit diesem Sommer gilt ein Mindestlohn<br />
für Friseure in Brandenburg, der schrittweise<br />
noch steigen wird. 6,50 Euro zahlt<br />
Schulz nun ihren Leuten. Die Löhne machen<br />
den Großteil der steigenden Kosten<br />
aus. Doch die Konkurrenz ist nah:Salonbetreiber<br />
im nahen Polen sprechen meist<br />
Deutsch und verlangen nur fünf bis sieben<br />
Euro für einen Herrenschnitt.<br />
Vor der Billigkonkurrenz fürchtete sich<br />
Schulz – bis vor Kurzem. Denn zur Überraschung<br />
der Chefin blieben die Kunden den<br />
Gubener Salons treu, etwa als der Trockenschnitt<br />
für Herren zwei Euro teurer wurde.<br />
„Wir haben mit den Kunden besprochen,<br />
dass die Löhne steigen und wir den Preis<br />
erhöhen müssen“, sagt Schulz. Sie glaubt,<br />
dass der Kundenservice bei ihr den Nachteil<br />
beim Preis wettmacht. „Wir haben im<br />
Moment keinen Grund, Trübsal zu blasen.“<br />
Nächstes Jahr klettert der Mindestlohn<br />
für Friseure im Osten auf 7,50 Euro, 2015<br />
dann bundesweit auf 8,50 Euro. Eine saftige<br />
Erhöhung in gut zwei Jahren. Ob die<br />
Kunden das auch noch mitmachen, wird<br />
sich zeigen. „Wir müssen die Preise eben in<br />
sehr kleinen Schritten erhöhen“, sagt<br />
Schulz. Strom, Lebensmittel, alles werde<br />
halt teurer. „Die Leute dürfen aber nicht<br />
das Gefühl bekommen, sie würden übers<br />
Ohr gehauen.“<br />
In den nächsten zwei Jahren will die Unternehmerin<br />
jüngere Vollzeitkräfte einstellen.<br />
Leicht wird das nicht. „Der Beruf hat in<br />
den letzten Jahren gelitten“, klagt Schulz.<br />
„Eltern sagen ihren Kindern: Lass das, damit<br />
kannst du keine Familie ernähren.“<br />
Nun kann sie dem Mindestlohn, den sie so<br />
lange kritisch sah, sogar noch etwas abgewinnen:<br />
„Mit einem Lohn von 8,50 Euro<br />
werden sich wieder die bewerben, die<br />
wirklich Friseur werden wollen.“<br />
n<br />
max.haerder@wiwo.de | Berlin, bert losse, cordula tutt<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 35<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Bekannte Gesichter<br />
EUROPA | Die Finanzbranche kämpft immer noch mit Problemen.<br />
Ob die Bilanzprüfer der EZB sie alle zutage fördern werden?<br />
Aus und<br />
vorbei<br />
Geschlossene<br />
Laiki-Bank<br />
in Zypern<br />
wendigen Präzision ans Werk gehen werden.<br />
Und die Frage, wer <strong>dabei</strong> auftretende<br />
Kapitallücken schließt, ist offen.<br />
Das Thema ist so komplex, dass Draghi<br />
den europäischen Staats- und Regierungschefs<br />
beim EU-Gipfel am Donnerstag dieser<br />
Woche Sinn und Zweck der Übung<br />
noch einmal erklären wird. Die EZB will sichergehen,<br />
dass sie keine Altlasten übernimmt,<br />
wenn sie ab November 2014 für die<br />
Aufsicht der europäischen Großbanken<br />
zuständig ist. Gleichzeitig will sie sich einen<br />
Ruf als strenger Aufseher erwerben.<br />
Von den Testergebnissen, die erst im<br />
Herbst 2014 veröffentlicht werden, wenn<br />
auch ein Stresstest stattgefunden hat, wird<br />
die globale Glaubwürdigkeit der neuen europäischen<br />
Aufsicht abhängen. „Die Welt<br />
darf sich nicht fragen, was die Europäer da<br />
bloß machen. Das muss sitzen“, sagt Deutsche-Bank-Co-Chef<br />
Jürgen Fitschen in seiner<br />
Funktion als Präsident des Bundesverbands<br />
deutscher Banken.<br />
So viele freundliche Bitten gehen selten<br />
bei der Europäischen Zentralbank<br />
(EZB) ein. In diesen Tagen klingelt<br />
in Frankfurt immer wieder das Telefon<br />
mit der Aufforderung, doch eine Ausnahme<br />
zu machen. Das eigene Haus sei ein<br />
Grenzfall, die EZB möge doch von einer Bilanzprüfung<br />
absehen, so die Ansage von<br />
Vorständen. Und dann erklären die Anrufer,<br />
dass ihr Haus keine Bilanzsumme von<br />
mehr als 30 Milliarden Euro oder 20 Prozent<br />
der nationalen Wirtschaftsleistung<br />
aufweise, um in die Zuständigkeit der europäischen<br />
Bankenaufsicht zu fallen.<br />
Die flehenden Anrufe in Frankfurt illustrieren,<br />
wie nervös die Branche auf die bevorstehende<br />
Überprüfung der rund 130<br />
größten Banken Europas blickt. An diesem<br />
Mittwoch wird EZB-Präsident Mario Draghi<br />
den Zeitplan für die Bilanzprüfung und<br />
die Liste der betroffenen Banken vorlegen.<br />
In Deutschland werden neben den großen<br />
Häusern auch Institute wie die Hamburger<br />
Sparkasse und die Ärzte- und Apothekerbank<br />
<strong>dabei</strong> sein.<br />
Die Kontrolle ist brisant. Ohne eine<br />
schonungslose Durchleuchtung der Branche<br />
droht dem Megaprojekt Bankenunion<br />
ein mieser Start. Doch schon jetzt mehren<br />
sich die Zweifel, ob die Prüfer mit der not-<br />
Risiko Frankreich<br />
Bedarf fürdie Rekapitalisierungeuropäischer<br />
Banken im Fall einererneuten<br />
Finanzkrise(in Prozent desBruttoinlandsproduktsund<br />
in Milliarden Euro)<br />
Frankreich<br />
Zypern<br />
Griechenland<br />
Großbritannien<br />
Niederlande<br />
Schweiz<br />
Schweden<br />
Dänemark<br />
Spanien<br />
Italien<br />
Deutschland<br />
Belgien<br />
Portugal<br />
Österreich<br />
Finnland<br />
11,7 %(239,9)<br />
11,0%(1,8)<br />
8,4%(15,3)<br />
7,9%(146,5)<br />
7,7%(46,2)<br />
7,1%(35,9)<br />
6,1%(26,4)<br />
5,7%(14,3)<br />
5,6%(58,8)<br />
5,0%(78,3)<br />
4,5%(121,3)<br />
4,5%(17,2)<br />
4,2%(6,8)<br />
3,7%(11,7)<br />
0,1%(0,1)<br />
Quelle:IESEG School of Management<br />
PROBLEME VERTUSCHT<br />
Findet die EZB keine Löcher in den Bankbilanzen,<br />
dann entsteht der Verdacht, dass<br />
aus politischen Gründen Probleme vertuscht<br />
werden, wie das bei den Stresstests<br />
bisher passiert ist. Dort haben nationale<br />
Aufseher bewusst weggesehen oder<br />
Schieflagen kleingerechnet.<br />
Die Gefahr besteht allerdings nach wie<br />
vor, denn die nationalen Aufseher werden<br />
eine zentrale Rolle bei der Prüfung spielen.<br />
Pro Großbank dürfte die EZB rund fünf Prüfer<br />
stellen, rund zehn Mal so viele kommen<br />
aber vermutlich aus den Mitgliedstaaten.<br />
Deutsche Banken stellen sich bereits darauf<br />
ein, dass sie auf altbekannte Gesicher stoßen<br />
werden. „Es wird nicht so kommen,<br />
dass auf einmal Portugiesen die deutschen<br />
Banken überwachen“, sagt ein Banker. „Die<br />
Teams werden zum größten Teil aus den<br />
Leuten bestehen, die man schon kennt.“<br />
Der erhoffte Wandel wird also ausbleiben.<br />
Nationale Aufseher haben in der Regel<br />
kein Interesse daran, dass die Kapitallücken<br />
ans Licht kommen. „Wir haben weiterhin<br />
ein Anreizproblem“, beklagt Guntram<br />
Wolff, Direktor des Brüsseler Thinktanks<br />
Bruegel. Schon rein organisatorisch<br />
stellt die Prüfung die EZB vor eine große<br />
Herausforderung. Erst seit vergangenem<br />
Dienstag kann sie Mitarbeiter für die neue<br />
Bankenaufsicht einstellen. Wie sie die geplant<br />
770 Prüfer bis März zu einem Team<br />
zusammenschmieden will, das nach einheitlichen<br />
Standards arbeitet, bleibt ein<br />
Rätsel. Einen Teil der Mitarbeiter wird die<br />
FOTO: GETTY IMAGES/AFP<br />
36 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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EZB bei den nationalen Aufsehern rekrutieren.<br />
Aber wessen Interessen werden die<br />
verfolgen? „Die nationalen Notenbanken<br />
erhoffen sich Kontrolle über die europäische<br />
Notenbank, wenn sie ihre Leute nach<br />
Frankfurt ziehen lassen“, befürchtet Karel<br />
Lannoo vom Brüsseler Thinktank Centre<br />
for European Policy Studies.<br />
Als hochkomplex dürfte sich die Prüfung<br />
auch erweisen, weil die Bilanzen bisher<br />
nur bedingt vergleichbar sind. So grundlegende<br />
Begriffe wie notleidende Kredite<br />
sind in Europa nicht harmonisiert. In Portugal<br />
beispielsweise gilt ein Kredit als notleidend,<br />
wenn die letzte Zahlung seit 30 Tagen<br />
fällig ist. In Italien dagegen legt die<br />
Banca d’Italia eine sehr viel großzügigere<br />
Frist von 180 Tagen fest.<br />
Unstrittig ist dagegen, dass die Prüfer genug<br />
beanstanden könnten, würden sie<br />
denn genau hinsehen. Fünf Jahre nach der<br />
Lehman-Pleite befinden sich die europäischen<br />
Banken in keinem soliden Zustand.<br />
Eine erneute Finanzkrise würde einige von<br />
ihnen in Bedrängnis bringen. Eric Dor von<br />
der Pariser IESEG School of Management<br />
kommt in einer neuen Studie auf einen erschreckend<br />
hohen Rekapitalisierungsbe-<br />
770 Prüfer<br />
muss die EZB<br />
zu einem Team<br />
schmieden<br />
darf der Branche, sollte sich ein Desaster<br />
wie die Finanzkrise wiederholen. In diesem<br />
Fall errechnet der Ökonom mit einer<br />
Methode des Nobelpreisträgers Robert Engle<br />
für Frankreich einen Kapitalbedarf der<br />
Banken, der 11,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) entspricht oder 239,9<br />
Milliarden Euro (siehe Grafik). Bei<br />
Deutschland fällt der Bedarf mit 4,5 Prozent<br />
des BIPs und 121,3 Milliarden Euro<br />
deutlich geringer aus, aber ein Institut wie<br />
die Deutsche Bank kommt in der Simulation<br />
auf den Betrag von 82,9 Milliarden Euro.<br />
Da in einer erneuten Finanzkrise die Branche<br />
nur schwerlich privates Kapital anlocken<br />
könnte, muss im Zweifel wieder der<br />
Steuerzahler einspringen, folgert Dor.<br />
Mit der Bankenunion sollte genau dies<br />
vermieden werden, doch die aktuellen Debatten<br />
lassen befürchten, dass auch in Zukunft<br />
öffentliches <strong>Geld</strong> an die Banken fließen<br />
wird. Vergangene Woche herrschte<br />
unter den europäischen Finanzministern<br />
keine Einigkeit, wer einspringt, wenn die<br />
Bilanzprüfung Kapitallücken bei den Banken<br />
aufdeckt.<br />
Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici<br />
betonte vergangene Woche in<br />
Luxemburg: „Der Rettungsschirm ESM<br />
hat eine wichtige Rolle als Sicherheitsnetz<br />
zu spielen“, und er brachte eine direkte<br />
Bankenrekapitalisierung aus dem ESM ins<br />
Spiel. Die aber sollte ursprünglich erst erlaubt<br />
sein, wenn die europäische Bankenaufsicht<br />
im November 2014 startet. Doch<br />
Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem<br />
gab nun zu verstehen, dass „in Ausnahmefällen“<br />
der ESM den Banken doch früher<br />
zur Hilfe springen könnte. Davon wiederum<br />
will Finanzminister Wolfgang<br />
Schäuble nichts wissen. Sein Wort gilt<br />
aber nur so lange, wie es in Berlin keine<br />
neue Regierung gibt.<br />
n<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel,<br />
cornelius welp | Frankfurt<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Radikaler Schnitt<br />
Das EU-Abkommen<br />
soll dem Agrarsektor<br />
helfen<br />
Auf nach Europa<br />
UKRAINE | Der Anschluss an den europäischen Wirtschaftsraum<br />
soll das Investitionsklima im Land verbessern.<br />
Starke Schwankung<br />
Wirtschaftswachstumder Ukraine<br />
(gegenüberVorjahr in Prozent)<br />
7,6<br />
2,3<br />
–14,8<br />
4,1 5,2<br />
0,2 0,4<br />
2007 08 09 10 11 12 13*<br />
*Prognose; Quelle:IWF<br />
Aus den ständigen Handelskriegen<br />
mit Russland hat Alex Lissitsa längst<br />
seine eigene Konsequenz gezogen.<br />
„Mal geht es um den Gaspreis, dann wollen<br />
sie die EU-Annäherung verhindern, die<br />
Russen machen ständig ihre Grenze dicht“,<br />
sagt der Chef von IMC Agro in Kiew. Der<br />
Agrarhändler liefert nun eben mehr Getreide,<br />
Milchwaren und Kartoffeln in die<br />
Europäische Union – obwohl das wegen<br />
der Quoten und Zölle bislang weniger attraktiv<br />
ist als der zollfreie Export in den Osten.<br />
„Als Unternehmer brauche ich Stabilität<br />
im Sinn von Planbarkeit“, sagt Lissitsa,<br />
„das klappt mit Europa besser.“ Innerhalb<br />
von sieben Jahren hat er den Anteil Russlands<br />
an seinen Exporten von über 60 auf<br />
weniger als 20 Prozent reduziert.<br />
Der Agrarhändler nimmt so eine Entwicklung<br />
vorweg, zu der die Regierung der<br />
Ukraine die heimische Wirtschaft auf breiter<br />
Front zwingen will: eine Angleichung<br />
an die EU mit ihren hohen Standards, obwohl<br />
diese den oft im sowjetischen Stil geführten<br />
Kombinaten im Land eine milliardenschwere<br />
Modernisierung abverlangen<br />
wird. Trotz dieser Kosten und der damit<br />
verbundenen Risiken will Premierminister<br />
Mykola Asarow das Assoziierungsabkommen<br />
mit der EU abschließen, dessen Kern<br />
ein fast 1000 Seiten zählendes Freihandelsabkommen<br />
ist. Der Wettbewerb mit Europa,<br />
glaubt er, wird „zu höherer Qualität bei<br />
ukrainischen Produkten führen“ (siehe Interview<br />
Seite 41). Die EU-Staaten sollen hierüber<br />
auf dem Gipfel zur östlichen Partnerschaft<br />
in Vilnius Ende November beraten.<br />
Die Chancen für ein Entgegenkommen<br />
der Europäer stehen gut. Zumal Regierungschef<br />
Asarow die Lösung im Fall Julia<br />
Timoschenko andeutet. Die Freilassung<br />
seiner Vorgängerin, die im Westen als Symbol<br />
der gescheiterten Demokratiebewegung<br />
verklärt wird und im Osten wegen des<br />
Abschlusses teurer Gasverträge mit Russland<br />
hinter Gittern sitzt, machen viele Parlamentarier<br />
in EU-Staaten zur Bedingung<br />
für die Ratifizierung des Abkommens.<br />
KORRUPTE JUSTIZ<br />
Aus Sicht von Investoren ist die Ukraine<br />
kein Rechtsstaat – und der Fall Timoschenko<br />
beschäftigt Medien und Menschenrechtler<br />
mehr als Manager europäischer<br />
Unternehmen, die über die korrupte Justiz<br />
und die schwerfällige Bürokratie klagen.<br />
Erst im September stürmten Bewaffnete<br />
die Shoppingmall Globus unter dem Unabhängigkeitsplatz<br />
in Kiew. Sie nahmen<br />
die Bücher mit und programmierten das<br />
Sicherheitssystem um – seither hat der britische<br />
Investor keinen Zugriff mehr auf seine<br />
Mall. „Russland ist zwar ähnlich korrupt<br />
wie die Ukraine“, sagt einer, der beide<br />
»<br />
FOTO: BLOOMBERG/VINCENT MUNDY<br />
38 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Märkte kennt. „Aber die Russen sind<br />
pragmatischer und achten darauf, dass ein<br />
Investor vor Gericht auch recht bekommt.“<br />
Umso mehr hoffen Investoren auf das<br />
EU-Assoziierungsabkommen. „Der Vertrag<br />
ist im Grunde ein riesiger Katalog an Normen,<br />
der die Ukraine in kleinen Schritten<br />
hin zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit<br />
führt“, erläutert Robert Kirchner<br />
der die ukrainische Regierung in ökonomischen<br />
Fragen berät.<br />
Noch aber mangelt es an beidem, und<br />
Johann Harter, der für den Investor Activ<br />
Solar in der Ukraine Fotovoltaikanlagen<br />
baut, kann ein Lied davon singen. Um<br />
zwölf Euro-Cent hat die Regierung jüngst<br />
die Einspeisevergütung für Fotovoltaikstrom<br />
gesenkt. Der Investor erhält nun nur<br />
noch 34 Cent pro Kilowattstunde. „Wenn<br />
die Regierung die Vergütung weiter absenken<br />
würde, hätten wir angesichts der hohen<br />
Finanzierungskosten ein ernsthaftes<br />
Problem“, so Harter. Was so viel heißt wie:<br />
Sein Geschäftsmodell wäre dahin.<br />
Dabei zeigt Harter, was sich in der Ukraine<br />
machen lässt: 2008 hatte Activ Solar die<br />
Mehrheit an einem vormals staatlichen Siliziumhersteller<br />
im Südosten übernommen.<br />
Aus dessen Produktion stammen Solarmodule,<br />
deren landesweite Aufstellung<br />
die Regierung über eine garantierte Einspeisevergütung<br />
fördert. Harter, der Physiker,<br />
krempelt das Werk seit 2010 um und<br />
steigert <strong>dabei</strong> Effizienz und Produktivität.<br />
Der Deutsche schwärmt vom Pragmatismus<br />
und dem technischen Sachverstand<br />
der Ukrainer – und zweifelt nicht an der<br />
Modernisierungsfähigkeit des Landes.<br />
NIEDRIGE LÖHNE<br />
Ein besseres Investitionsklima könnte vor<br />
allem auch mehr deutsche Autozulieferer<br />
in die Ukraine locken, die dort – ähnlich<br />
wie Leoni oder Klingspor – gut geschultes<br />
Personal zu günstigen Löhnen finden<br />
(WirtschaftsWoche 23/2012). Jeder Fleck<br />
der Ukraine ist per Lkw in einem Tag zu erreichen,<br />
womit das Land prima in die Lieferketten<br />
der Autoindustrie passen würde –<br />
so wie Ungarn oder Tschechien, wo die<br />
Löhne in den Neunzigerjahren auch mal so<br />
niedrig waren wie derzeit in der Ukraine.<br />
Auf Investitionen ist das Land dringend<br />
angewiesen. Flächenmäßig fast doppelt so<br />
groß wie Deutschland hat es wenig zu bieten,<br />
was im Ausland Käufer findet. In der<br />
Handelsbilanz klafft deswegen ein hässliches<br />
Defizit. Das wird sich erst ändern,<br />
wenn die Ukraine eigene Produkte am<br />
Weltmarkt unterbringt.<br />
Doch noch liegt das in weiter Ferne, und<br />
die Krise ist ein Dauergast: Den Einbruch<br />
von 2009, als das Bruttoinlandsprodukt um<br />
fast 15 Prozent sank, hat das Land bis heute<br />
nicht wettgemacht. Für 2013 hat der Internationale<br />
Währungsfonds seine Wachstumsprognose<br />
auf 0,4 Prozent korrigiert<br />
(siehe Grafik Seite 38). Hohe Importe und<br />
das teure Gas aus Russland setzen die Währung<br />
unter Druck und befeuern die Inflation.<br />
Da derzeit kaum Fremdkapital ins Land<br />
fließt, greift die Regierung zu einem ungewöhnlichen<br />
Mittel – und erhebt eine Abgabe<br />
für Importautos. Angeblich um die spätere<br />
Entsorgung zu finanzieren, müssen<br />
Käufer eines Importwagens zwischen 550<br />
und 1100 Euro zusätzlich zahlen. Der heimischen<br />
Autoindustrie nützt das nichts,<br />
denn die gibt es nicht mehr. Vielmehr geht<br />
es darum, die Zahlungsbilanz zu schonen.<br />
Der Reformdruck im Land ist so groß,<br />
dass sich selbst einst stramm nach Osten<br />
Kopf an Kopf<br />
Exporteder UkrainenachRussland<br />
undEuropa(in Milliarden Dollar)<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
nachEuropa<br />
nachRussland<br />
2007 08 09 10 11 12<br />
Quelle:Staatlicher Statistikdienst Ukraine<br />
Wann geht’s weiter?<br />
Die Zollabwicklung an<br />
der Grenze zur Ukraine<br />
soll einfacher werden<br />
orientierte Oligarchen für die Annäherung<br />
an die EU einsetzen. Und das, obwohl Moskau<br />
mit großer Wahrscheinlichkeit mit<br />
schärferen Grenzkontrollen und höheren<br />
Zöllen auf ukrainische Produkte reagieren<br />
wird. Die Stahlbranche etwa führt weiterhin<br />
einen Großteil ihrer Waren nach Russland<br />
aus – und war im August hart getroffen,<br />
als der russische Zoll für einige Tage<br />
die Einfuhren aus der Ukraine stoppte.<br />
SCHMERZHAFTE VERLUSTE<br />
Die Industriemagnaten im Osten der<br />
Ukraine regieren trotzdem entspannt. Der<br />
Brite Jock Mendoza-Wilson, der für den<br />
mächtigsten Oligarchen Rinat Achmetow<br />
in dessen Holding System Capital Management<br />
internationale Kontakte pflegt, setzt<br />
klar auf das EU-Abkommen: „Der Handel<br />
mit Russland wird ja dadurch nicht eingestellt.“<br />
Sollte es im Handel gen Osten zu<br />
Einbrüchen kommen, sagt der Investor,<br />
müsse man sich eben darauf einstellen.<br />
Die Unternehmen in der Ukraine drückt<br />
der Schuh auch noch an einer anderen<br />
Stelle: Es ist im Inland kaum möglich, Kapital<br />
zu bekommen. Nahezu alle ausländischen<br />
Banken haben dem Land nach der<br />
Finanzkrise den Rücken gekehrt oder ihre<br />
Kreditlinien eingefroren; zuletzt schrieb<br />
die Commerzbank unter schmerzhaften<br />
Verlusten ihre Beteiligung an der Bank Forum<br />
ab. Verbliebene ukrainische Institute<br />
haben Probleme, sich im misstrauischen<br />
Westen zu refinanzieren, zumal die Ratingagentur<br />
Moody’s das Land zuletzt zweimal<br />
in kurzer Folge abgewertet hat.<br />
n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/AFP, REUTERS/GEB GARANICH<br />
40 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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INTERVIEW Mykola Asarow<br />
»Russland erdrückt uns«<br />
Der ukrainische Premierminister erläutert, wie sein Land von der Europäischen<br />
Union profitieren und den Streit mit Moskau beilegen will.<br />
Herr Premierminister, die Ukraine steht<br />
vor der Unterzeichnung eines Assoziierungsvertrags<br />
mit der EU. Wann soll <strong>Ihr</strong><br />
Land die Vollmitgliedschaft bekommen?<br />
So weit in die Zukunft schauen wir nicht.<br />
Für uns ist erst einmal wichtig, dass die<br />
vielen Handelshürden zwischen uns<br />
und der EU beseitigt werden – Quoten,<br />
Zölle, technische Regulative.<br />
Manche Unternehmen in der Ukraine<br />
arbeiten noch mit Maschinen aus<br />
Sowjetzeiten. <strong>Ist</strong> <strong>Ihr</strong> Land reif für den<br />
Wettbewerb mit EU-Unternehmen?<br />
Der Weg wird steinig. Ich schätze, dass<br />
unsere Unternehmen zig Milliarden Euro<br />
investieren müssen, um die EU-Normen<br />
zu erfüllen. Danach erst wird sich<br />
zeigen, ob sie wettbewerbsfähig sind.<br />
Gerade in der Autoindustrie haben einige<br />
Geschäftsleute Angst vor Mercedes,<br />
was ich verstehen kann. Andererseits<br />
wird mehr Wettbewerb zu höherer Qualität<br />
bei ukrainischen Produkten führen.<br />
Bitte nennen Sie ein Beispiel.<br />
In unserer Pharmaindustrie haben wir<br />
den internationalen Qualitätsstandard<br />
GMP eingeführt, was die Unternehmen<br />
zur Modernisierung ihrer Produktion<br />
gezwungen hat. Heute stellt die Ukraine<br />
bessere Medikamente her als eine Reihe<br />
renommierter europäischer Hersteller –<br />
einfach, weil wir die Anlagen erst kürzlich<br />
erneuert haben und nicht schon vor<br />
zehn Jahren, wie die Europäer.<br />
Sie preisen Freihandel und bauen neue<br />
Hürden auf: Seit Kurzem erhebt die<br />
Ukraine Abwrackprämien für ausländische<br />
Autos. <strong>Ist</strong> das kein Widerspruch?<br />
Wir wollen nicht die heimische Industrie<br />
mit Handelshürden schützen, sondern<br />
das Defizit in der Zahlungsbilanz senken.<br />
Dazu müssen wir die Importe<br />
zumindest vorübergehend reduzieren.<br />
Die Ukraine steckt in der Dauerkrise.<br />
Die Wirtschaft stagniert, die Reserven<br />
schwinden. Wie wollen Sie <strong>Ihr</strong> Land<br />
wieder in Schwung bringen?<br />
Wir leiden unter den Nachwehen der<br />
globalen Finanzkrise, auf die die damalige<br />
Regierung nicht adäquat reagiert hat.<br />
MITTLER ZWISCHEN OST UND WEST<br />
Asarow, 65, ist seit März 2010 Premierminister<br />
der Ukraine. Der Geologe stammt<br />
aus Russland und gilt als enger Vertrauter<br />
von Präsident Wiktor Janukowitsch.<br />
Außerdem erdrückt uns Russland mit unbegründet<br />
hohen Gaspreisen. Ich würde<br />
aber nicht sagen, dass die Wirtschaft<br />
stagniert. Das Bruttoinlandsprodukt wird<br />
in diesem Jahr um ein Prozent wachsen,<br />
wir haben das Gröbste überstanden.<br />
Obwohl Sie für Gas aus Russland weiterhin<br />
Rekordpreise zahlen?<br />
Gasimporte aus Russland haben wir deutlich<br />
reduzieren können, was zu einem<br />
Rückgang des bilateralen Handelsvolumens<br />
um etwa 20 Prozent im ersten Halbjahr<br />
geführt hat. Derzeit zahlen wir 530<br />
Dollar für einen Kubikmeter Russen-Gas –<br />
so hohe Preise haben Sie in Europa noch<br />
nie gesehen! Wir kaufen Gas in Deutschland<br />
um 100 Dollar günstiger, als wenn wir<br />
es von Russland direkt beziehen würden.<br />
So verliert die Industrie ihre Rentabilität.<br />
Der Kreml will die Ukraine mit der<br />
Handelspolitik in seine eigene Zollunion<br />
zwingen. <strong>Ist</strong> das eine Alternative zu EU?<br />
Ein Beitritt zur russischen Zollunion war<br />
für uns immer eine von zwei Varianten,<br />
aber wir haben uns für das EU-Abkommen<br />
entschieden. Das zwingt uns zur Modernisierung<br />
der Industriestruktur und bringt<br />
neue Investoren ins Land. Allerdings<br />
bleibt es für uns äußerst wichtig, einen<br />
Weg der Zusammenarbeit mit der russischen<br />
Zollunion zu finden.<br />
Wenn Sie den EU-Assoziierungsvertrag<br />
unterzeichnen, ist ein Beitritt zur russischen<br />
Zollunion ausgeschlossen.<br />
Nein, das eine schließt das andere<br />
nicht aus! Wir wollen uns mit der EU<br />
assoziieren und ebenfalls gute Handelsbeziehungen<br />
mit Russland erhalten.<br />
Entscheidend ist, dass wir unsere Handelsregime<br />
in Einklang bringen und alle<br />
davon profitieren. Das setzt Bereitschaft<br />
von Russland und der EU-Kommission<br />
voraus, eine gemeinsame Lösung zu<br />
finden. An der Ukraine würde eine Freihandelszone<br />
von Irland bis Sibirien<br />
nicht scheitern.<br />
Einige EU-Parlamente wollen den<br />
Assoziierungsvertrag nicht ratifizieren,<br />
solange Oppositionspolitikerin Julia<br />
Timoschenko in Haft sitzt. Rechnen Sie<br />
mit einer Freilassung <strong>Ihr</strong>er Vorgängerin?<br />
Stellen Sie sich vor, Sie würden Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel diese Frage<br />
stellen. Was würde die wohl antworten?<br />
Sie würde sagen, dass sie das nicht beurteilen<br />
könne, weil darüber die Gerichte<br />
entscheiden. Genau das sage ich auch.<br />
In Europa gibt es nur wenige Länder,<br />
deren Politiker nach Wahlniederlagen<br />
hinter Gitter kommen. Fürchten Sie,<br />
dass das die Glaubwürdigkeit <strong>Ihr</strong>es Landes<br />
gegenüber Investoren beeinflusst?<br />
Wir sind nicht daran interessiert, dass<br />
die Beziehungen mit Investoren Schaden<br />
nehmen. Die Europäer sollten sich<br />
davon überzeugen lassen, dass unser<br />
Gericht im Fall Timoschenko die rechtswidrige<br />
Unterzeichnung der Gasverträge<br />
mit Russland ahndet, die der Ukraine<br />
erheblichen Schaden zugefügt haben.<br />
Sie fordern also von der EU den Stempel<br />
der Rechtsstaatlichkeit für das<br />
Verfahren gegen Timoschenko. Und im<br />
Gegenzug wird sie ins Exil entlassen?<br />
Wenn wir es gleichzeitig schaffen, den<br />
Fall Timoschenko auf die Ebene der humanitären<br />
Beziehungen zu übertragen,<br />
könnten wir sagen, dass wir einer<br />
Lösung des Problems sehr nahe sind.<br />
Zielt eine Begnadigung auf ein besseres<br />
Investitionsklima?<br />
Von ausländischen Geschäftsleuten höre<br />
ich viel Lob für die politische Stabilität<br />
in unserem Land. Die Zeiten sind vorbei,<br />
da sich Präsident und Premierminister<br />
bekriegt haben und das Parlament blockiert<br />
war.<br />
n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 41<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
BERLIN INTERN | Die CDU-Mittelstandsvereinigung<br />
hat einen jungdynamischen Vorsitzenden gewonnen<br />
und zwei mediale Zugpferde verloren. Ein Umbruch<br />
ins Ungewisse. Von Henning Krumrey<br />
Metzger in eigener Sache<br />
FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, MIT/JÖRDIS ZÄHRING<br />
Das erste schwarz-grüne Experiment<br />
dieser Tage war schon gescheitert,<br />
bevor sich die Verhandlungsdelegationen<br />
von<br />
Union und Ökos am Dienstagabend vergangener<br />
Woche trennten. Am Wochenende<br />
zuvor hatte Oswald Metzger, einst führender<br />
Finanzpolitiker der Grünen und seit<br />
2008 Mitglied der CDU, versucht, Vorsitzender<br />
der Mittelstandsvereinigung der<br />
CDU/CSU (MIT) zu werden – und war krachend<br />
gescheitert. Freilich lag es nicht an<br />
Schlachtfest Delegierte forderten Metzger<br />
(Foto) zur „Doppelspitze“ mit Linnemann auf<br />
seiner politischen Herkunft, sondern an<br />
einer explosiven Mischung aus Vorstellung<br />
und Vorstellungen. Seine Bewerbungsrede<br />
beim Bundeskongress war fahrig, und als<br />
er mit nur 28 Prozent bedacht wurde, reagierte<br />
er geschockt. Mit dieser „Klatsche“<br />
könne er auch als Stellvertreter keine wirksame<br />
„Doppelspitze“ bilden. So hatte sich<br />
Metzger das gedacht: Er tritt in Talkshows<br />
auf, während sich der neue Chef um den<br />
Kontakt zu Partei und Fraktion kümmert.<br />
Dafür erntet er Buhrufe, denn an ein Duo<br />
aus Innendienst-Vorsitzendem und Medien-Vize<br />
hatten die wenigsten gedacht.<br />
Das Problem der MIT: Kein echter Unternehmer<br />
fand sich für den Führungsposten.<br />
Der einzige Interessent, der überhaupt mal<br />
einen Kleinbetrieb geleitet hatte – Gereon<br />
Haumann aus Rheinland-Pfalz – zog seine<br />
Kandidatur noch vor der Wahl zurück und<br />
einen Posten als Vollzeit-Funktionär beim<br />
Hotel- und Gaststättenverband Dehoga vor.<br />
So blieb neben Metzger nur der CDU-<br />
Bundestagsabgeordnete Carsten<br />
Linnemann, der bemüht herausstrich, dass<br />
er ja fast selbst ein Unternehmer sei; sein<br />
Lebenslauf hingegen weist ihn als promovierten<br />
Bankvolkswirt aus. Bevor er 2009<br />
mit erst 32 Jahren ins Parlament kam,<br />
diente er unter anderem als Assistent von<br />
Deutsche-Bank-Professor Norbert Walter.<br />
„Ich komme aus einer Mittelstandsregion“,<br />
pries Linnemann sein Paderborn. „Ich komme<br />
selbst aus einer Mittelstandsfamilie,<br />
meine Eltern haben sich 1977 mit einer<br />
Buchhandlung selbstständig gemacht.“<br />
Heute führe der Bruder das Geschäft.<br />
In seiner Bewerbungsrede hatte Linnemann<br />
den scheidenden Vorsitzenden Josef<br />
Schlarmann zwar als intellektuellen Kopf<br />
und laut vernehmbare Stimme gelobt,<br />
in dieses Schalmeien aber schärfste Kritik<br />
gepackt. Denn künftig soll alles anders<br />
werden. „Ich möchte die Mittelstandsvereinigung<br />
wieder stärker an das Parlament<br />
heranbringen“, kündigte er an. In der Vergangenheit<br />
hatte es zwischen der Organisation<br />
und dem parlamentarischen Arm erheblich<br />
geknirscht. Während Schlarmann<br />
von außen mit scharfen Kommentaren für<br />
ein klares marktwirtschaftliches Profil des<br />
Verbandes sorgte, standen die Abgeordneten<br />
als Weichmacher da, die am Ende stets<br />
dem Kurs der CDU-Vorsitzenden und Bundeskanzlerin<br />
folgten und brav nickten.<br />
Schlarmann hatte es sich durch seine<br />
reine Lehre auch mit Angela Merkel verscherzt.<br />
Linnemann dagegen setzt auf enge<br />
Kooperation. „Es ist entscheidend, dass wir<br />
mit am Koalitionstisch sitzen.“ Denn da fielen<br />
die Entscheidungen. Seine Vorschläge<br />
sind Schläge gegen Schlarmann: Er wolle<br />
„in Zukunft mit hoher Sachlichkeit und hoher<br />
Fachlichkeit“ in die Debatten eingreifen,<br />
„damit wir auch ernst genommen werden<br />
in Berlin“. Das wird spannend, denn im<br />
Bundestag hat der Neue schon mal gegen<br />
Merkels Euro-Rettungskurs gestimmt.<br />
Auch Metzger hatte betont, dass er<br />
„selbstständig“ ist, aber die Firma, die er<br />
führt, ist der Ein-Mann-Betrieb Oswald<br />
Metzger. In der MIT will er aktiv bleiben, als<br />
„marktwirtschaftlicher Frontkämpfer“.<br />
Denn „viele ordnungspolitische Stimmen<br />
haben wir ja nicht“.<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 43<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Amerikas Haushaltsstreit<br />
ist ein Kampf um die<br />
Rolle des Staates in der Wirtschaft.<br />
Von Malte Fischer<br />
Drama in D.C.<br />
Eines muss man den<br />
Amerikanern lassen:<br />
Spannung und Dramatik<br />
können sie erzeugen.<br />
Nicht nur in Hollywood,<br />
auch in Washington. Quasi in<br />
letzter Minute, kurz vor High<br />
Noon, haben sich die Politiker<br />
der demokratischen und der republikanischen<br />
Partei im Kongress<br />
in der vergangenen Woche<br />
auf eine Übergangslösung<br />
im Haushaltsstreit geeinigt. Bis<br />
zum 15. Januar 2014 kann Präsident<br />
Barack Obama nun auf<br />
einen vorläufigen Haushalt zurückgreifen.<br />
Zudem wird der<br />
Schuldendeckel angehoben,<br />
die Regierung kann mindestens<br />
bis Februar neue Schulden machen.<br />
Der befürchtete Staatsbankrott<br />
bleibt vorerst aus, die<br />
Finanzmärkte jubeln. Doch der<br />
Streit um die Sanierung der<br />
Staatsfinanzen geht weiter. Bis<br />
Mitte Dezember soll eine überparteiliche<br />
Kommission Vorschläge<br />
erarbeiten, wie sich Defizit<br />
und Schulden langfristig<br />
reduzieren lassen. Finden ihre<br />
Ideen keine Zustimmung, könnte<br />
das Haushaltsdrama in D.C.<br />
in die nächste Runde gehen.<br />
WEG MIT DEN SCHULDEN<br />
Dabei scheint es auf den ersten<br />
Blick nicht schlecht um Amerikas<br />
Finanzen zu stehen. Das Defizit<br />
im Bundeshaushalt hat sich<br />
dank guter Konjunktur, automatischer<br />
Ausgabenkürzungen und<br />
höherer Steuern von knapp<br />
zwölf Prozent 2009 auf vier bis<br />
fünf Prozent in diesem Jahr verringert.<br />
Allerdings: Auch bei einem<br />
Defizit von vier Prozent<br />
wächst der Schuldenberg. In<br />
diesem Jahr wird er rund 106<br />
Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
erreichen. Seit Anfang der<br />
Siebzigerjahre haben sich die<br />
Schulden real verachtfacht. Allein<br />
in der Regierungszeit Obamas<br />
kamen 64 000 Dollar neue<br />
Schulden je Steuerzahler hinzu.<br />
Die Zinsen dafür werden künftige<br />
Generationen durch höhere<br />
Steuern aufbringen müssen. Zu<br />
Recht machen die Vertreter der<br />
Tea Party daher Druck, den<br />
Schuldenberg abzuschmelzen.<br />
LOHNENDER KAMPF<br />
Grundsätzlich gibt es fünf Wege<br />
zu weniger Schulden: die Zinsen<br />
senken, das Wachstum ankurbeln,<br />
Inflation erzeugen, einen<br />
Überschuss im Staatshaushalt<br />
erwirtschaften und einen Schuldenschnitt<br />
verhängen. Letzteres<br />
wäre die gerechteste Variante,<br />
denn sie belastet diejenigen, die<br />
von der Staatsschuld profitieren.<br />
Allerdings hätte das wohl<br />
größere Turbulenzen an den<br />
Börsen zur Folge.<br />
Der Königsweg zum Schuldenabbau<br />
ist daher höheres<br />
Wachstum. Das aber lässt sich<br />
nicht einfach herbeizaubern.<br />
Bleiben also Niedrigzinsen und<br />
Inflation (finanzielle Repression)<br />
auf der einen und Sparen auf der<br />
anderen Seite. Obama und die<br />
US-Notenbank Fed setzen auf<br />
die finanzielle Repression. Sie<br />
stellt für sie die einfachste Variante<br />
der Entschuldung dar. Dabei<br />
nehmen sie in Kauf, breite<br />
Schichten der Bevölkerung zu<br />
enteignen und neue Fehlinvestitionen<br />
zu erzeugen. Die Opposition<br />
sollte ihnen das nicht durchgehen<br />
lassen. Sie muss auf<br />
einen harten Sparkurs und radikale<br />
Ausgabensenkungen drängen.<br />
Beobachter mag das Hickhack<br />
in Washington nerven.<br />
Doch für Amerika geht es <strong>dabei</strong><br />
um mehr Freiheit und weniger<br />
Staat. Es lohnt sich, dafür zu<br />
kämpfen.<br />
NACHGEFRAGT Marcel Fratzscher<br />
»Enorme Risiken«<br />
Der DIW-Präsident hält die besseren Konjunkturdaten<br />
der Euro-Zone nicht überall für nachhaltig.<br />
Herr Fratzscher, die Frühindikatoren<br />
für die Euro-Zone<br />
zeigen im Trend nach oben.<br />
Nach langer Rezession wachsen<br />
die meisten Volkswirtschaften<br />
wieder. Wie nachhaltig<br />
ist dieser Aufschwung?<br />
Ich bin nicht übermäßig optimistisch.<br />
Richtig ist, dass die<br />
Wirtschaft der Euro-Zone – getrieben<br />
von Deutschland – seit<br />
dem zweiten Quartal wieder zulegt.<br />
Von einem V-Aufschwung,<br />
den viele 2008/09 erhofft hatten<br />
– also ein steiler Anstieg nach<br />
dem tiefen Fall –, kann aber keine<br />
Rede sein. Die Arbeitslosenzahlen<br />
dürften vielerorts bis Ende<br />
2014 weiter steigen. Die<br />
Risiken für den Aufschwung<br />
sind enorm.<br />
Und die wären?<br />
Erstens: die unklare Lage der<br />
Banken. Es könnte bei der anstehenden<br />
Bewertung der Banken<br />
durch die Europäische<br />
Zentralbank (EZB) einige böse<br />
Überraschungen geben. Wer<br />
weiß denn schon, was spanische<br />
und italienische Banken<br />
in den Büchern haben? Das<br />
zweite große Risiko sind politische<br />
Instabilitäten, etwa in Italien<br />
und Griechenland. Hinzu<br />
kommen die Probleme der<br />
Schwellenländer, die europäische<br />
Exporteure belasten. Indien<br />
und China haben massive<br />
Probleme im Bankensektor,<br />
während Russland und Brasilien<br />
mit strukturellen Problemen<br />
kämpfen. In allen diesen<br />
Ländern müssen wir uns kurzbis<br />
mittelfristig auf schwächere<br />
Wachstumsraten einstellen.<br />
Sollte die EZB reagieren und<br />
den Leitzins nochmals senken?<br />
Das halte ich für wenig effektiv.<br />
Senkt die EZB den Leitzins von<br />
0,5 auf 0,25 Prozent, dürfte dies<br />
kaum Effekte am Markt haben.<br />
Das wäre reine Symbolpolitik.<br />
DER NEUE<br />
Fratzscher, 42, ist seit Februar<br />
2013 Präsident des Deutschen<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) in Berlin.<br />
Wichtiger wäre es, die Strategie<br />
der quantitativen Lockerung<br />
fortzuführen – wenn dies notwendig<br />
ist. Etwa über ein neues<br />
Liquiditätsprogramm für die<br />
Banken, damit diese in Südeuropa<br />
mehr Kredite an den Mittelstand<br />
vergeben.<br />
Manche Experten sagen: Die<br />
EZB sollte lieber über eine Exitstrategie<br />
aus der expansiven<br />
<strong>Geld</strong>politik nachdenken.<br />
Für den Exit ist es zu früh. Es<br />
macht mir aber Sorge, wie weit<br />
sich die Notenbanken weltweit<br />
mit ihrer „forward guidance“<br />
aus dem Fenster lehnen, also<br />
dem Versprechen, noch lange<br />
an einer expansiven <strong>Geld</strong>politik<br />
festzuhalten. Die Finanzmärkte<br />
sind mittlerweile übermäßig<br />
auf die Notenbanken fokussiert<br />
und nehmen die Realwirtschaft<br />
nicht mehr ausreichend wahr.<br />
Sie spiegeln die Lage der Realwirtschaft<br />
nicht wider. Die Börse<br />
reflektiert vielmehr die Versprechungen<br />
der <strong>Geld</strong>politik.<br />
Das ist riskant – und kann zu<br />
Blasen und damit zu Verwerfungen<br />
führen.<br />
bert.losse@wiwo.de, malte fischer<br />
FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
44 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Institute: Höhere<br />
Steuern sind überflüssig<br />
Die deutsche Wirtschaft wächst<br />
in diesem Jahr wohl nur um<br />
0,4 Prozent – für 2014 hingegen<br />
zeichnet sich ein stärkeres<br />
Wachstum von 1,8 Prozent ab.<br />
Die Inflation bleibt im kommenden<br />
Jahr moderat (1,9 Prozent),<br />
der Arbeitsmarkt schlägt<br />
sich weiter wacker (Arbeitslosenquote:<br />
6,8 Prozent), und die<br />
öffentlichen Haushalte können<br />
unter dem Strich mit einem<br />
kleinen Plus rechnen. Das sind<br />
die Kernbotschaften der neuen<br />
Gemeinschaftsdiagnose, die<br />
Vertreter führender Wirtschaftsforschungsinstitute<br />
vergangene<br />
Woche präsentierten.<br />
Das zweimal jährlich für die<br />
Bundesregierung erstellte Konjunkturgutachten<br />
sieht den Aufschwung<br />
vor allem von der Binnennachfrage<br />
getragen. Die<br />
tariflichen Stundenlöhne legen<br />
in diesem Jahr im Schnitt um<br />
gut 2,5 Prozent zu, sodass viele<br />
Arbeitnehmer real mehr im<br />
Portemonnaie haben. Für 2014<br />
prognostiziert das Gutachten<br />
einen Anstieg um 2,6 Prozent.<br />
Die Wissenschaftler weisen<br />
allerdings nachdrücklich darauf<br />
hin, dass ihre Prognosen auf<br />
dem wirtschaftspolitischen Status<br />
quo beruhen. Will heißen:<br />
Ökonomischer Unfug der neuen<br />
Bundesregierung könnte die<br />
Wachstumskräfte wieder bremsen.<br />
Offenbar fürchten die mehr<br />
als 40 beteiligten Ökonomen,<br />
Hoffen auf 2014<br />
Entwicklungdes realen Bruttoinlandsprodukts<br />
(in Prozent)<br />
4<br />
2<br />
0<br />
–2<br />
–4<br />
–6<br />
2009 10 11 12 13 14<br />
Quelle: Herbstgutachten der Forschungsinstitute<br />
eine große Koalition könne angesichts<br />
der vergleichsweise<br />
entspannten Kassenlage ein<br />
Füllhorn sozialer Wohltaten<br />
über dem Wahlvolk ausschütten.<br />
„Die Finanzpolitik sollte<br />
den Haushaltsüberschuss sinnvoll<br />
nutzen. Man könnte damit<br />
sowohl die kalte Progression<br />
abbauen als auch investive Ausgaben<br />
in den Bereichen Infrastruktur,<br />
Bildung und Forschung<br />
finanzieren“, empfehlen<br />
die Wissenschaftler. Bis 2018 sei<br />
es der Politik möglich, dafür<br />
rund 33 Milliarden Euro lockerzumachen:<br />
„Dieser Betrag<br />
steckt den Spielraum ab, innerhalb<br />
dessen die Finanzpolitik<br />
agieren kann, ohne die Steuern<br />
zu erhöhen.“<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
Ende der roten Zahlen<br />
Finanzierungssaldo<br />
des Staates<br />
40<br />
in Prozent vom<br />
0,3<br />
20<br />
nominalen BIP 0,1 0,1<br />
0<br />
–0,8<br />
–20<br />
in Milliarden €<br />
–40<br />
–60<br />
–3,1<br />
–80<br />
–100<br />
–4,2<br />
–120<br />
2009 10 11 12 13 14<br />
ZEW-Index<br />
steigt erneut<br />
Die deutschen Finanzmarktexperten<br />
bewerten die wirtschaftlichen<br />
Perspektiven in Deutschland<br />
erneut positiver. Der vom<br />
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung<br />
(ZEW) ermittelte<br />
Index der Konjunkturerwartungen<br />
für die kommenden<br />
sechs Monate kletterte im Oktober<br />
überraschend um 3,2 auf 52,8<br />
Punkte. Der Indikator, für den<br />
das ZEW rund 240 Analysten und<br />
institutionelle Anleger befragte,<br />
erreichte damit den höchsten<br />
Stand seit April 2010. Er hatte bereits<br />
in den beiden Vormonaten<br />
zugelegt. Ökonomen hatten angesichts<br />
der US-Haushaltskrise<br />
und möglicher Folgen auf die Finanzmärkte<br />
bestenfalls mit einer<br />
Stagnation gerechnet.<br />
Die aktuelle Lage der Wirtschaft<br />
bewerteten die Finanzprofis<br />
etwas schlechter als im<br />
Vormonat. Der entsprechende<br />
Teilindex sank um 0,9 auf 29,7<br />
Zähler.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Reales Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
2011 2012<br />
Durchschnitt<br />
3,3<br />
1,7<br />
1,0<br />
7,0<br />
5,8<br />
3,9<br />
7,8<br />
7,4<br />
2011 2012<br />
Durchschnitt<br />
6,6<br />
7,5<br />
1,1<br />
11,5<br />
111,3<br />
54,8<br />
5,6<br />
2,1<br />
5,6<br />
8,0<br />
2974<br />
466<br />
28460<br />
0,7<br />
0,8<br />
1,2<br />
–4,8<br />
–1,5<br />
3,2<br />
3,9<br />
2,2<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0,2<br />
3,4<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
2,0<br />
2,1<br />
2897<br />
478<br />
29004<br />
II/12 III/12 IV/12 I/13 II/13<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
–0,1<br />
0,1<br />
–0,4<br />
–3,0<br />
–1,4<br />
1,0<br />
3,1<br />
2,3<br />
Juni<br />
2013<br />
2,1<br />
4,5<br />
–1,0<br />
1,2<br />
105,9<br />
48,6<br />
6,5<br />
1,8<br />
0,1<br />
–2,2<br />
2946<br />
425<br />
29348<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,2<br />
0,1<br />
0,7<br />
–2,2<br />
0,5<br />
1,5<br />
1,4<br />
0,6<br />
Juli<br />
2013<br />
–1,1<br />
–1,9<br />
–0,5<br />
–0,8<br />
106,2<br />
50,7<br />
6,8<br />
1,9<br />
0,0<br />
–2,6<br />
2941<br />
425<br />
29395<br />
–0,5<br />
–0,3<br />
0,1<br />
–2,0<br />
–0,7<br />
1,5<br />
–2,4<br />
–1,3<br />
August<br />
2013<br />
1,4<br />
–0,3<br />
–0,2<br />
1,0<br />
107,6<br />
51,8<br />
7,0<br />
1,5<br />
–0,5<br />
–3,4<br />
2950<br />
426<br />
–<br />
0,0<br />
0,8<br />
–0,1<br />
–0,6<br />
–2,1<br />
–1,1<br />
–1,8<br />
–2,1<br />
Sept.<br />
2013<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
107,7<br />
51,1<br />
7,0<br />
1,4<br />
–<br />
–<br />
2975<br />
429<br />
–<br />
0,7<br />
0,5<br />
0,6<br />
0,9<br />
2,6<br />
1,3<br />
2,2<br />
2,0<br />
Okt.<br />
2013<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
7,1<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
0,9<br />
1,1<br />
1,3<br />
–1,2<br />
1,2<br />
3,1<br />
1,1<br />
1,4<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
–3,0<br />
0,1<br />
0,4<br />
–5,5<br />
6,2<br />
7,2<br />
18,3<br />
–<br />
–<br />
–<br />
2,1<br />
–9,8<br />
1,2<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 45<br />
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Der Volkswirt<br />
WIRTSCHAFTSNOBELPREIS<br />
Praktisch relevant<br />
Der diesjährige Wirtschaftsnobelpreis ist eine<br />
Mahnung an die Notenbanken, der Entwicklung der<br />
Vermögenspreise mehr Beachtung zu schenken.<br />
Ökonomen stehen im Ruf,<br />
wundersame Zeitgenossen<br />
zu sein. Diesen Ruf<br />
dürfte die Verleihung des<br />
Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften<br />
Anfang vergangener<br />
Woche verstärkt haben.<br />
Denn die Königlich-Schwedische<br />
Akademie der Wissenschaften<br />
verlieh den mit umgerechnet<br />
mehr als 900 000 Euro<br />
dotierten Preis an drei Ökonomen,<br />
deren wissenschaftliche<br />
Aussagen sich zum Teil heftig<br />
widersprechen. Alle drei erhielten<br />
die Auszeichnung für ihre<br />
empirischen Untersuchungen<br />
zur Entwicklung von Vermögenspreisen<br />
wie Aktien, Anleihen<br />
und Immobilien.<br />
EFFIZIENTE MÄRKTE<br />
Eugene Fama, Professor an der<br />
Universität von Chicago, galt<br />
schon lange als ein Favorit für<br />
die höchste wissenschaftliche<br />
Auszeichnung der Zunft. Erst<br />
vor Kurzem widmeten wir<br />
ihm eine Folge der Wirtschafts-<br />
Woche-Serie „Geistesblitze der<br />
Ökonomie“(WirtschaftsWoche<br />
40/2013). Doch seine These von<br />
der Effizienz der Märkte, derzufolge<br />
sich alle zu einem Zeitpunkt<br />
verfügbaren Informationen<br />
sofort in den Börsenkursen<br />
niederschlagen, wurde nach<br />
dem Platzen der Häuserpreisblase<br />
und der folgenden Finanzkrise<br />
in Zweifel gezogen. Dass er<br />
weiterhin darauf beharrte,<br />
Märkte seien effizient, und Spekulationsblasen<br />
als eine Art Fata<br />
Morgana betrachtete, hatte seine<br />
Chance auf den Nobelpreis<br />
in den vergangenen Jahren nach<br />
Ansicht vieler Beobachter eher<br />
reduziert. Famas Marktgläubigkeit<br />
passte immer weniger zum<br />
vorherrschenden wissenschaftlichen<br />
und politischen Mainstream,<br />
der inzwischen von<br />
Marktskeptikern dominiert<br />
wird. Zu diesen gehört der zweite<br />
Laureat, Robert Shiller, Professor<br />
an der Universität Yale.<br />
Shiller hat in seinen Arbeiten<br />
Famas These von den effizienten<br />
Märkten und rational handelnden<br />
Investoren in Zweifel<br />
gezogen. Shiller zufolge kann es<br />
zu Kursblasen an den Vermögensmärkten<br />
kommen, da sich<br />
Anleger zuweilen von einer Welle<br />
der Euphorie tragen lassen<br />
Märkte haben<br />
immer recht<br />
Preisträger Fama<br />
und einem Herdenverhalten,<br />
den „animal spirits“, anheimfallen.<br />
Dadurch entfernen sich die<br />
Kurse für längere Zeit von ihren<br />
fundamentalen Werten. Investoren,<br />
die dies erkennen, fehlen<br />
häufig die Mittel, um gegen die<br />
Herde zu spekulieren, oder sie<br />
sind durch Anlagevorschriften<br />
eingeschränkt. Daher wächst<br />
die Blase weiter, bis sie schließlich<br />
platzt. Shiller kann darauf<br />
verweisen, als einer der wenigen<br />
das Platzen der Häuserpreisblase<br />
in den USA rechtzeitig<br />
vorausgesehen zu haben.<br />
Modelle bilden die<br />
Realität nicht ab<br />
Preisträger Hansen<br />
Der Dritte im Bunde der Laureaten,<br />
Lars Peter Hansen, ist<br />
ebenso wie Fama Professor an<br />
der Universität Chicago. Hansen<br />
ist ein mathematisch-statistisch<br />
ausgerichteter Ökonom<br />
und steht daher weniger im Fokus<br />
der wirtschaftspolitischen<br />
Debatte als Fama und Shiller. In<br />
den Achtzigerjahren entwickelte<br />
er eine statistische Methode,<br />
mit der er nachwies, dass die<br />
Aktienkurse in der Realität stärker<br />
schwanken, als es traditionelle<br />
Modelle nahelegen. Damit<br />
lieferte er die Grundlage,<br />
auf der Shiller mit seiner These<br />
vom irrationalen Verhalten der<br />
Investoren aufsetzte.<br />
Die Tatsache, dass das Nobelkomitee<br />
Ökonomen mit so unterschiedlichen<br />
Ergebnissen<br />
wie Fama und Shiller gleichzeitig<br />
auszeichnet, macht deutlich,<br />
dass die Wirtschaftswissen-<br />
Märkte können<br />
auch irren<br />
Preisträger Shiller<br />
schaft – anders als manche<br />
Ökonomen glauben machen<br />
wollen – keine Wissenschaft ist,<br />
die mathematische Exaktheit<br />
für sich beanspruchen kann.<br />
Das Urteil, was die Vermögenspreise<br />
letztlich bestimmt, ist<br />
somit noch nicht gesprochen.<br />
Klar ist jedoch, dass alle drei<br />
Laureaten mit ihren Forschungen<br />
dazu beigetragen haben,<br />
der Antwort ein Stück näher zu<br />
kommen. Dass ihre Arbeiten relevant<br />
sind, zeigt sich auch daran,<br />
dass sie keine Ausgeburt<br />
selbstreferenzieller Debatten<br />
im akademischen Elfenbeinturm<br />
sind, sondern große<br />
Bedeutung für die praktische<br />
Arbeit von vielen Anlegern<br />
und Fondsmanagern besitzen.<br />
So wies Fama nach, dass die<br />
Rendite von Aktien weniger von<br />
ihrem Marktrisiko – dem<br />
Gleichlauf mit dem gesamten<br />
Aktienmarkt – abhängt als<br />
vielmehr von der Größe des<br />
Unternehmens. Aktien kleiner<br />
Unternehmen mit geringer<br />
Marktkapitalisierung bieten<br />
demzufolge im Schnitt höhere<br />
Renditen als die Papiere von<br />
großen Unternehmen. Da es<br />
Investoren Fama zufolge jedoch<br />
schwerfällt, den Markt zu<br />
schlagen, bietet es sich an, das<br />
<strong>Geld</strong> lieber in Indexfonds anzulegen,<br />
statt auf einzelne Aktien<br />
zu setzen.<br />
STRATEGIE ÜBERDENKEN<br />
Doch das wichtigste Signal,<br />
das von der Entscheidung des<br />
Nobelkomitees ausgeht, besteht<br />
darin, dass sie das Interesse<br />
der Öffentlichkeit auf die Relevanz<br />
der Vermögenspreise für<br />
das Wohl und Wehe der Wirtschaft<br />
lenkt. Es ist ein Wink mit<br />
dem Zaunpfahl, der vor allem<br />
den Zentralbanken gilt. Diese<br />
müssen den Vermögenspreisen<br />
in Zukunft deutlich mehr Aufmerksamkeit<br />
schenken. Bisher<br />
fokussieren sich die Notenbanker<br />
allein auf das Preisniveau<br />
von Gütern. Die Preise von Vermögenswerten<br />
– Aktien, Anleihen,<br />
Rohstoffen und Immobilien<br />
– haben sie dagegen<br />
vernachlässigt. Dadurch haben<br />
sich im Gefolge viel zu niedriger<br />
Zinsen gewaltige Blasen an den<br />
Aktien- und später an den Immobilienmärkten<br />
gebildet, deren<br />
Platzen die Weltwirtschaft<br />
in den Abgrund stürzte. Der<br />
Nobelpreis für Fama, Shiller<br />
und Hansen ist daher eine berechtigte<br />
Mahnung des Nobelkomitees<br />
an die Zentralbanken,<br />
ihre geldpolitischen Strategien<br />
schleunigst zu überdenken, um<br />
Katastrophen wie die Finanzkrise<br />
künftig zu verhindern.<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
FOTOS: BLOOMBERG NEWS, GETTY IMAGES, LAIF<br />
46 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Der Volkswirt<br />
NACHGEFRAGT Raghuram Rajan<br />
»Die Zeit nutzen«<br />
Der Chef der indischen Notenbank kämpft gegen die<br />
Inflation und warnt vor einer neuen globalen Krise.<br />
Professor Rajan, als frischernannter<br />
Chef der indischen<br />
Zentralbank haben Sie den<br />
wichtigsten Leitzins erhöht,<br />
einen weiteren Leitzins haben<br />
Sie hingegen gesenkt. Können<br />
Sie uns das erklären?<br />
Wir hatten vor einiger Zeit den<br />
Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken<br />
über Nacht <strong>Geld</strong><br />
von der Zentralbank leihen, erhöht,<br />
um den Außenwert der<br />
Rupie zu stützen. Da sich unsere<br />
Währung inzwischen erholt<br />
hat, konnten wir diese Sondermaßnahme<br />
zurückfahren und<br />
haben diesen Zins nun vorsichtig<br />
gesenkt. Den Hauptrefinanzierungssatz,<br />
zu dem sich die<br />
Banken im Normalfall <strong>Geld</strong> bei<br />
uns leihen, haben wir angehoben,<br />
um die hartnäckig hohe<br />
Inflation zu bekämpfen.<br />
Das Wachstum der indischen<br />
Wirtschaft hat sich bereits<br />
abgeschwächt. Fürchten Sie<br />
nicht, die Konjunktur mit<br />
höheren Zinsen abzuwürgen?<br />
Indien leidet unter hoher Inflation.<br />
Sie belastet das Wachstum,<br />
indem sie die Realeinkommen<br />
der Verbraucher schmälert<br />
und Investoren davon abhält,<br />
längerfristige finanzielle Engagements<br />
einzugehen. Das Beste,<br />
was wir als Zentralbank für<br />
DER HERR DER RUPIE<br />
Rajan, 50, ist seit September<br />
2013 Präsident der indischen<br />
Notenbank Reserve Bank of<br />
India. Der international renommierte<br />
Ökonom lehrte ab 1995<br />
an der Universität von Chicago<br />
und war von 2003 bis 2006 Chefökonom<br />
des Internationalen<br />
Währungsfonds.<br />
das Wachstum tun können, ist<br />
die Inflation zu verringern.<br />
Das Wachstum der indischen<br />
Wirtschaft hat sich binnen drei<br />
Jahren auf 4,4 Prozent halbiert.<br />
Was steckt dahinter?<br />
Zum einen hatten die Regierungen<br />
in den westlichen Ländern<br />
im Zuge der Finanzkrise ihre<br />
Wirtschaft mit milliardenschweren<br />
Konjunkturpaketen<br />
gestützt. Das hat die Wirtschaft<br />
weltweit angekurbelt, auch in<br />
Indien. Unsere Wirtschaft überhitzte,<br />
und die Inflationsraten<br />
zogen an. Die Zentralbank<br />
musste die Leitzinsen anheben,<br />
das hat die Konjunktur gedämpft.<br />
Das war alles?<br />
Verwaltung und Bürokratie arbeiten<br />
nicht so transparent, wie<br />
man sich das wünscht. Das verzögert<br />
die Vergabe von Baugenehmigungen<br />
und den Ausweis<br />
von Gewerbeflächen. Der Bau<br />
von Kraftwerken und anderen<br />
Großprojekten, die das Wachstum<br />
ankurbeln, kommen zu<br />
langsam voran.<br />
Wie soll die Wirtschaft wieder<br />
in Schwung kommen?<br />
Zunächst müssen wir die verzögerten<br />
Großprojekte auf den<br />
Weg bringen. Wir hoffen zudem<br />
auf Rückenwind von der Weltkonjunktur,<br />
denn Indien ist eine<br />
offene Volkswirtschaft. Langfristig<br />
müssen wir jedoch strukturelle<br />
Reformen umsetzen, um<br />
wieder mit Raten zwischen acht<br />
und zehn Prozent zu wachsen.<br />
So müssen wir die logistische<br />
Infrastruktur für die Industrie<br />
mit modernen Flughäfen und<br />
Hochgeschwindigkeitsstrecken<br />
für Güterzüge ausstatten. Außerdem<br />
müssen wir die Arbeitskräfte<br />
besser ausbilden und die<br />
Rahmenbedingungen für Unternehmer<br />
verbessern.<br />
Die amerikanische Notenbank<br />
Fed hat die geldpolitischen<br />
Zügel trotz anderslautender Erwartungen<br />
noch nicht gestrafft.<br />
<strong>Ist</strong> das ein Segen für die<br />
Schwellenländer?<br />
Die Fed hat die Straffung allenfalls<br />
aufgeschoben. Die Schwellenländer<br />
sollten daher die verbleibende<br />
Zeit nutzen, um ihre<br />
Wirtschaft in Ordnung zu bringen.<br />
Sonst können sie leicht in<br />
Schwierigkeiten geraten, wenn<br />
die Fed die <strong>Geld</strong>politik strafft<br />
und die Finanzmärkte verrückt<br />
spielen. Indien hat einen Teil<br />
seiner Hausaufgaben erledigt.<br />
Das Defizit in unserer Handelsbilanz<br />
ist im September gesunken,<br />
nicht nur, weil wir die<br />
Goldimporte beschränkt, sondern<br />
auch, weil wir mehr Waren<br />
und Dienstleistungen exportiert<br />
haben.<br />
»Die Fed hat<br />
die Straffung<br />
allenfalls<br />
aufgeschoben«<br />
Die Schwellenländer könnten<br />
sich doch auch durch<br />
Kapitalverkehrskontrollen<br />
vor Schwankungen an den<br />
Finanzmärkten schützen.<br />
So einfach ist das nicht. Schwellenländer<br />
sollten grundsätzlich<br />
darauf achten, dass sie mehr Direktinvestitionen<br />
und weniger<br />
Zuflüsse in Form von Krediten<br />
erhalten. Letztere sollten zudem<br />
möglichst lange Laufzeiten aufweisen.<br />
Indiens Kapitalimporte<br />
bestehen zum größten Teil aus<br />
langfristigen Direktinvestitionen,<br />
daher sind wir weniger<br />
anfällig, als manche denken.<br />
Unsere Auslandsschulden betragen<br />
22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts,<br />
unsere Währungsreserven<br />
erreichen 15<br />
Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />
Wir können das Gros unserer<br />
Zahlungsverpflichtungen<br />
daher mit eigenen Reserven decken.<br />
Es ist nicht entscheidend,<br />
den Abfluss von Kapital zu kontrollieren,<br />
sondern den Zufluss<br />
von Kapital in die richtigen<br />
Verwendungen zu lenken. Hier<br />
könnten Kontrollen helfen.<br />
Die großen Zentralbanken<br />
betreiben weiter eine expansive<br />
<strong>Geld</strong>politik. Legt das die Basis<br />
für die nächste Finanzkrise?<br />
Gefährlich könnte es für Länder<br />
werden, die viel Kapital anziehen,<br />
weil sie wirtschaftlich gut<br />
dastehen. Wenn die Regierungen<br />
dieser Länder in der Haushaltspolitik<br />
die Zügel schleifen<br />
lassen und Defizite durch Kapitalzuflüsse<br />
aus dem Ausland<br />
finanzieren, laufen sie Gefahr,<br />
das Opfer der nächsten Krise zu<br />
werden. Statt das hereinströmende<br />
<strong>Geld</strong> mit vollen Händen<br />
auszugeben, sollten sie intelligent<br />
gegensteuern. Sonst droht<br />
ihnen das gleiche Schicksal wie<br />
den Peripherieländer der Euro-<br />
Zone. Diese haben das in den<br />
guten Zeiten hereinfließende<br />
<strong>Geld</strong> für Partys ausgegeben.<br />
Wenn wir nicht lernen, die Kapitalströme<br />
besser zu managen,<br />
stolpern wir von einer Krise in<br />
die nächste.<br />
malte.fischer@wiwo.de<br />
FOTO: BLOOMBERG NEWS/MUNSHI AHMED<br />
48 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Leidenschaft für<br />
Kloschüsseln<br />
MARKENRANKING | Von Siegern lernen: Warum sich deutsche<br />
Weltmarktführer besser verkaufen als die Konkurrenz – eine<br />
Praxis-Checkliste für Mittelständler.<br />
Er leuchtet Ferrari-Rot, hat Kraft<br />
ohne Ende, wurde „Maschine<br />
des Jahres“, und Männer bleiben<br />
am Ackerrand stehen, wenn er<br />
anrollt: Die Rede ist vom Grimme<br />
Rexor 620, dem sechsreihigen Rübenroder<br />
mit 22-Tonnen-Bunker, 530 PS. Er ist<br />
Touch-screen-gesteuert, erntet 120 Tonnen<br />
Rüben die Stunde und kostet in der<br />
Standardausführung 400 000 Euro.<br />
Das Erstaunlichste an diesem und anderen<br />
Rüben- und Kartoffelerntehelfern der<br />
Grimme Gruppe ist, dass der Premiumanbieter<br />
aus dem niedersächsischen<br />
Damme solche Preise durchsetzen kann.<br />
Das gute Stück können die Bauern nämlich<br />
nur zwei Monate pro Jahr nutzen, die restlichen<br />
zehn Monate staubt es in der Scheune<br />
ein. Und es teilen sich auch immer seltener<br />
mehrere Landwirte eins, weil die zusammengekauften<br />
Ackerflächen so riesig sind,<br />
dass Großbauern ihre Maschinen in der kurzen<br />
Erntezeit selbst brauchen. Franz Grimme,<br />
Chef des Familienunternehmens, weiß<br />
ganz offensichtlich, wie man sich auf dem<br />
Land Kunden schafft.<br />
Jürgen Feld, sein Marketingleiter, erklärt<br />
es so: „Wir sind stark in der Kartoffelszene,<br />
weil wir unseren Leitgedanken ,Grimme<br />
hilft‘ seit Jahrzehnten leben.“ Soll heißen:<br />
Bleibt das High-Tech-Trumm auf dem<br />
Acker liegen, greift der Bauer zum Handy,<br />
und ein Händler oder ein Grimme-Techniker<br />
eilen herbei. Verschleißteile werden sofort<br />
geliefert, denn Erntezeit ist kostbar –<br />
nicht nur in Deutschland.<br />
So fahren die mehr als 2000 Mitarbeiter<br />
des Schwermaschinenbauers in diesem<br />
Jahr rund 400 Millionen Euro Umsatz ein,<br />
sind mit weitem Abstand Weltmarktführer<br />
für Kartoffel- und Rübenerntemaschinen<br />
und schaffen den fünften Platz im Ranking<br />
der Top-Marken des Mittelstands.<br />
Das erstellte die Münchner Beratung<br />
Biesalski & Company jetzt zum zweiten<br />
Mal nach 2011 exklusiv für die Wirtschafts-<br />
Woche. Biesalski untersucht den Stellenwert<br />
der Marke bei den deutschen Weltmarktführern<br />
im Investitionsgütergeschäft.<br />
Berücksichtigt wurden Unternehmen,<br />
die im Durchschnitt der vergangenen<br />
drei Jahre maximal eine Milliarde Euro<br />
Umsatz erwirtschafteten und ganz oder<br />
mehrheitlich im Eigentümerbesitz sind.<br />
Errechnet wurden die Performance der<br />
Marke und wirtschaftlicher Erfolg (Details<br />
siehe Tabelle und Kasten auf Seite 53).<br />
Zum zweiten Mal schon darf sich Herrenknecht,<br />
der Weltmarktführer für Tunnelbohrmaschinen,<br />
der wertvollsten Marke<br />
rühmen. Was macht der Maschinenbauer<br />
aus Schwanau bei Freiburg besser<br />
als alle anderen? Tomasz de Crignis, Partner<br />
und Studienleiter bei Biesalski, erklärt<br />
es so: „Herrenknecht bündelt exzellent alle<br />
Kompetenzen der Marke, kommuniziert<br />
klar und transparent mit der Zielgruppe<br />
und hat sogar den ersten Platz in unserem<br />
letzten Ranking zum Anlass genommen,<br />
noch mal alle Schwachstellen aufzubohren<br />
und sich weiterzuentwickeln.“<br />
Ebenso lehrreich sind andere Unternehmen<br />
aus der Top-20-Liste quer durch die<br />
Branchen. De Crignis: „Die führenden<br />
Hidden Champions setzen ihre Marke so<br />
erfolgreich ein, dass sie bei ihrer Zielgruppe<br />
stärker verankert ist als viele bekannte<br />
Marken im Konsumgüterbereich.“<br />
Aber wie haben es die Besten geschafft,<br />
ihre Marke so viel klüger zu führen als<br />
»<br />
5 Franz Grimme<br />
Rang Grimme Gruppe<br />
aDer Landmaschinenhersteller hat<br />
sich auf den Kartoffel- und Rübenanbau<br />
spezialisiert und liefert sämtliche<br />
Maschinen, die Landwirte zum Roden,<br />
Legen, Pflegen bis zum späteren<br />
Einlagern der Feldfrüchte benötigen.<br />
50 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Ernteexperte Franz<br />
Grimme leitet das 1861<br />
gegründete Familienunternehmen<br />
für Landmaschinen<br />
aus Damme<br />
aDie Markenstudie 2013 attestiert<br />
der Grimme Gruppe eine gesteigerte<br />
Marken- und Zukunftsfähigkeit dank<br />
Produkten, die auf dem neuesten<br />
technischen Stand sind, sowie hohem<br />
Aufwand als Servicedienstleister.<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 51<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
KWS will es anders angehen als der<br />
Monsanto-Konzern: Der spannt Lobbyistenheere<br />
und US-Politiker, die bei widerspenstigen<br />
europäischen Kollegen Druck<br />
zu machen. Dagegen lädt KWS Saat alle<br />
sechs bis zwölf Monate Ethiker, Theologen,<br />
Landwirte, Anwohner und Umweltaktivisten<br />
zu Diskussionen. „Dabei lassen wir die<br />
Medien außen vor, dann können alle Beteiligten<br />
offener reden und aufeinander zugehen“,<br />
sagt Henning von der Ohe, der die<br />
Unternehmensentwicklung bei KWS leitet.<br />
Auch Schulklassen und Politiker werden<br />
zu Feld- und Laborbesuchen eingeladen.<br />
»<br />
die Konkurrenz? <strong>Ihr</strong>e Produktpaletten zu<br />
straffen, die Unternehmensnachfolge für<br />
einen Wandel zu nutzen, Mitarbeiter auf ihre<br />
Produkte einzuschwören, Produkte zu<br />
emotionalisieren und zum Systemanbieter<br />
zu werden? Sieben Chefs berichten – eine<br />
Checkliste zur besseren Markenführung.<br />
KWS SAAT<br />
Dialog mit Gegnern<br />
Wie schützt ein international aufgestelltes<br />
Unternehmen seine Marke, das auf dem<br />
Heimatmarkt aus politischen Gründen am<br />
Pranger steht? „Indem es konsequent und<br />
öffentlich den Nutzen seiner Produkte definiert<br />
und immer wieder sein Geschäft begründet“,<br />
lobt Berater de Crignis das Unternehmen<br />
von. Die Rede ist von KWS Saat,<br />
dem Saatguthersteller aus dem niedersächsischen<br />
Einbeck.<br />
Nachdem BASF und Bayer ihre umstrittenen<br />
Sparten längst ins Ausland verlegt<br />
haben, sind die Niedersachsen das einzige<br />
Unternehmen, dass in Deutschland noch<br />
1<br />
Rang<br />
Martin<br />
Herrenknecht<br />
Herrenknecht<br />
aSieger dank einzigartiger Produkte,<br />
dem glaubwürdigen Versprechen „Die<br />
schaffen das“ und klugem Reputationsaufbau<br />
über Referenzprodukte.<br />
an Gen-Pflanzen arbeitet. Doch große<br />
Teile der Bevölkerung fürchten Gen-Food<br />
auf dem Teller. BUND, Greenpeace und Co.<br />
ziehen seit Jahren dagegen zu Felde.<br />
Trotz des Gegenwinds hat es der Umsatzmilliardär<br />
aber geschafft, sogar zum<br />
Marktführer bei Ökosaaten zu werden.<br />
Die Marke verbesserte sich im WirtschaftsWoche-Ranking<br />
auf Rang elf. Anders<br />
als etwa US-Agrarriese Monsanto, der<br />
seinen Gegnern als Inkarnation des Bösen<br />
gilt, setzen die Niedersachsen auf Dialog –<br />
und das glaubwürdiger als andere<br />
Anbieter.<br />
RENOLIT<br />
59 Marken zu viel<br />
Folien gibt es für Hunderte technische Anwendungen,<br />
auch Folienhersteller gibt es<br />
zur Genüge. Welche Folie aber von dem<br />
Wormser Produzenten Renolit (Platz 16 im<br />
Ranking) stammte, wussten nur Eingeweihte.<br />
Vorstandschef Michael Kundel<br />
fasst das Dilemma so zusammen: „Wir<br />
führten nach Unternehmenszukäufen bis<br />
2008 rund 60 sehr heterogene Einzelmarken.“<br />
Gerade rechtzeitig zur Finanzkrise<br />
belegte eine Marktanalyse: Renolit muss<br />
sich dringend als eine klar wiedererkennbare<br />
Marke mit dem Produktversprechen<br />
Zuverlässigkeit positionieren, und das ist<br />
oberste Führungsaufgabe. Was die Studie<br />
nicht prophezeite: Das Ganze wird viel<br />
mehr Zeit verschlingen als gedacht.<br />
„Wir nutzen jetzt international auf allen<br />
Ebenen – egal, ob bei Produkten oder Geschäftsbereichen<br />
– Renolit als Dachmarke“,<br />
berichet Kundel. Auch um den Preis, dass<br />
Mitarbeiter und Kunden der zugekauften<br />
Marken jahrelang mühsam überzeugt werden<br />
mussten. Noch heute geht der Prozess<br />
behutsam, aber konsequent weiter: Kataloge,<br />
Messeauftritte, Briefpapier oder Lastwagen<br />
– alles wird auf Renolit getrimmt.<br />
Dazu gehört auch ein bemerkenswert präziser<br />
Internet-Auftritt zur Markenrelevanz<br />
und zu den Unternehmensrichtlinien.<br />
Eine Marke, das ist eine riskante Strategie:<br />
Gerät ein Renolit-Produkt durch Qualitätsmängel<br />
in Verruf, etwa die medizinischen<br />
Folien, trifft es das komplette Sortiment.<br />
„Da hilft nur, überall und gleichzeitig die<br />
Qualität zu kontrollieren“, sagt Kundel.<br />
Auch die Kosten der Markenumstellung,<br />
die Kundel nicht beziffern möchte, sind<br />
enorm. „Es rechnet sich aber“, sagt der Chef.<br />
„Am Ende spart man daran, nicht mehr 60<br />
Marken weltweit positionieren, verfolgen<br />
und schützen zu müssen.“ Für Renolit mit<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
52 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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785 Millionen Euro Jahresumsatz ist klar,<br />
was auch andere Hidden Champions leben:<br />
Der Beitrag der Marke zum wirtschaftlichen<br />
Erfolg kann kaum überschätzt werden.<br />
OTTO BOCK<br />
Raus auf die Straße<br />
Beinprothesen, Rollstühle, Bandagen – alles<br />
Furchterregende, was eigentlich niemand<br />
sehen will, präsentiert der Duderstädter<br />
Hersteller Otto Bock lifestylemäßig,<br />
auf Dauer und äußerst erfolgreich am Potsdamer<br />
Platz in Berlin. Mehr als eine halbe<br />
Million Menschen besuchten bereits das<br />
multimediale „Science Center Medizintechnik“<br />
der Niedersachsen. <strong>Ihr</strong> Claim:<br />
„Begreifen, was uns bewegt“. Ein weiteres<br />
Center des internationalen Unternehmens<br />
soll 2017 in Brooklyn/New York eröffnen.<br />
Erst vor zwei Jahren hat der geschäftsführende<br />
Gesellschafter Hans Georg Näder<br />
die Marke einschließlich des Logos – der<br />
Unterschrift des Firmengründers – neu gestaltet.<br />
Die Kernbotschaft lautet jetzt: Lebensqualität<br />
und Unabhängigkeit für Menschen<br />
mit Handicap.<br />
Das klingt positiv, macht neugierig und<br />
führte zu Platz vier im Ranking. Eine Leistung<br />
für ein Unternehmen, das man auch<br />
ausschließlich mit Schmerz und Leid verbinden<br />
könnte.<br />
Otto Bock ist ein typischer Vertreter der<br />
Hidden Champions, deren Markenprofil<br />
eng mit der Gründerpersönlichkeit<br />
verbunden ist. Otto Bock ist der Großvater<br />
Näders, der das Unternehmen seit fast<br />
30 Jahren leitet: „Wir wollen das Thema<br />
zum Beispiel durch unser Engagement<br />
bei den Paralympics in die Mitte der<br />
Gesellschaft bringen und so unser Profil<br />
schärfen.“<br />
Bilder von leidenschaftlichen Sportlern,<br />
deren Behinderung die Zuschauer manchmal<br />
erst auf den zweiten Blick erkennen –<br />
das funktioniert weltweit, dazu verbunden<br />
mit der Assoziation deutscher Wertarbeit.<br />
Der Umsatz der Otto-Bock-Gruppe kletterte<br />
auf mehr als eine Milliarde Euro, der Auslandsanteil<br />
liegt wie bei vielen deutschen<br />
Weltmarktführern über 80 Prozent.<br />
»<br />
Die Top-20-Marken der Hidden Champions 2013<br />
Wer konnte seine Marke in den vergangenen zwei Jahren gut positionieren?<br />
Rang<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
(1)<br />
(7)<br />
(12)<br />
(5)<br />
(9)<br />
(10)<br />
(3)<br />
(8)<br />
(6)<br />
(11)<br />
(19)<br />
(15)<br />
Neu<br />
Neu<br />
(16)<br />
(20)<br />
(27)<br />
(18)<br />
(17)<br />
Neu<br />
7<br />
4<br />
4<br />
4<br />
4<br />
4<br />
5<br />
7<br />
5<br />
4<br />
4<br />
4<br />
4<br />
4<br />
4<br />
7<br />
5<br />
Unternehmen<br />
Herrenknecht<br />
Lürssen<br />
Wilo<br />
Otto Bock<br />
Holding<br />
Grimme<br />
Gruppe<br />
Duravit<br />
Peri<br />
Kaeser<br />
Kompressoren<br />
Karl Storz<br />
Sto<br />
KWS Saat<br />
Dorma<br />
Holding<br />
Mennekes<br />
Weishaupt<br />
Gruppe<br />
Abeking &<br />
Rasmussen<br />
Renolit<br />
Sennheiser<br />
electronic<br />
Lapp Holding<br />
BPW Bergische<br />
Achsen<br />
Geze<br />
Branche<br />
(Ergebnisse 2011); 1 maximal 100 Punkte; 2 maximal 200 Punkte<br />
Maschinen-/<br />
Anlagenbau<br />
Pharma/<br />
Medizintechnik<br />
Bau/<br />
Bauzulieferer<br />
Bau/<br />
Bauzulieferer<br />
Maschinen-/<br />
Anlagenbau<br />
Pharma/<br />
Medizintechnik<br />
Bau/<br />
Bauzulieferer<br />
Sonstige<br />
Industrieprodukte<br />
Bau/<br />
Bauzulieferer<br />
Elektro/<br />
Elektrotechnik<br />
Bau/Bauzulieferer<br />
Chemie<br />
Elektro/<br />
Elektrotechnik<br />
Elektro/<br />
Elektrotechnik<br />
Kfz-Zulieferer<br />
Bau/<br />
Bauzulieferer<br />
Schwermaschinenbau<br />
Schwermaschinenbau<br />
Schwermaschinenbau<br />
Schwermaschinenbau<br />
Marken-<br />
Performance-<br />
Index 1<br />
72,9<br />
68,9<br />
63,1<br />
64,7<br />
64,9<br />
67,6<br />
58,1<br />
67,5<br />
59,1<br />
55,4<br />
53,3<br />
56,3<br />
64,7<br />
52,6<br />
54,2<br />
52,3<br />
55,5<br />
55,3<br />
57,0<br />
45,0<br />
Unternehmens-<br />
Performance-<br />
Index 1<br />
78,5<br />
65,6<br />
70,2<br />
67,6<br />
67,2<br />
63,8<br />
72,0<br />
57,6<br />
63,0<br />
66,0<br />
64,9<br />
61,5<br />
53,0<br />
59,0<br />
56,8<br />
58,0<br />
54,1<br />
52,4<br />
50,1<br />
62,0<br />
Hidden-<br />
Champion-<br />
Index 2<br />
151,4<br />
134,5<br />
133,3<br />
132,3<br />
132,1<br />
131,4<br />
130,1<br />
125,1<br />
122,1<br />
121,4<br />
118,2<br />
117,8<br />
117,7<br />
111,6<br />
111,0<br />
110,3<br />
109,6<br />
107,7<br />
107,1<br />
107,0<br />
Die Ranking-Methode<br />
Die Studie „Die Marken der deutschen<br />
Hidden Champions 2013“ untersucht<br />
den Stellenwert der Marke bei den deutschen<br />
Weltmarktführern im Investitionsgütergeschäft<br />
und deren Bedeutung für<br />
den Unternehmenserfolg. Berücksichtigt<br />
wurden Unternehmen, die eine führende<br />
Position in ihrer Branche auf dem Weltmarkt<br />
besetzen, einen Umsatz zwischen<br />
50 Millionen und einer Milliarde Euro<br />
(Durchschnitt der letzten drei veröffentlichen<br />
Geschäftsjahre) erwirtschaften,<br />
vom Eigentümer geführt werden und/<br />
oder in dessen Mehrheitsbesitz sind. Befragt<br />
wurden mehr als 250 Experten aus<br />
Branchen- und Fachverbänden, Instituten<br />
sowie der Fachpresse. Auch die Geschäftsberichte<br />
wurden ausgewertet. Aus<br />
allen Informationen wurden drei Maßzahlen<br />
entwickelt. Je höher sie ausfallen,<br />
desto wertvoller ist die Marke.<br />
Der Marken-Performance-Index beschreibt<br />
den Erfolg eines Unternehmens,<br />
eine Marke zu etablieren und sie zu führen.<br />
Er setzt sich zusammen aus den Faktoren<br />
Markenbekanntheit, Qualität der<br />
Marketingaktivitäten, Markenreputation<br />
und -verbundenheit sowie zusätzlicher<br />
wirtschaftlicher Erfolg durch die Marke.<br />
Der Unternehmens-Performance-Index<br />
bezieht sich auf den unternehmerischen<br />
Erfolg im Marktumfeld. Er setzt sich<br />
zusammen aus den Faktoren Umsatz,<br />
Rentabilität, Innovationskraft, Kompetenz<br />
und Stellung am Markt.<br />
Der Hidden-Champion-Index ergibt sich<br />
aus der Summe der beiden Performance-<br />
Kennzahlen.<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 53<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
PERI<br />
Nachfolge nutzen<br />
Peri ist als Spezialist für innovative Gerüstund<br />
Schalungssysteme in jedem größeren<br />
Bauunternehmen weltweit ein Begriff. Aktuell<br />
kommt der 1969 gegründete Bauzulieferer<br />
aus dem schwäbischen Weißenhorn<br />
zum Beispiel bei der Errichtung der<br />
mächtigen neuen Schleusenanlagen für<br />
den Panamakanal zum Einsatz.<br />
Gut fünf Jahre waren Alexander Schwörer,<br />
39, und sein Bruder Christian, 37,<br />
schon im Management des Weltmarktführers<br />
tätig, als ihr Vater Artur 2009 starb.<br />
Dass sie nicht nur die Tradition pflegen,<br />
sondern auch manches der Zeit anzupassen<br />
hatten, war den Brüdern klar. „Früher<br />
war das Unternehmen stark von der Person<br />
meines Vaters geprägt“, sagt Christian<br />
Schwörer: „So wie wir alte Strukturen im<br />
Unternehmen hinterfragen und ändern<br />
mussten, so müssen wir auch die Grundüberzeugungen<br />
und Werte des Unternehmens<br />
hinterfragen, zum Teil neu definieren<br />
und formulieren.“<br />
Gleichzeitig sollen aber auch die neuen<br />
Mitarbeiter, die den Vater gar nicht mehr<br />
kennengelernt haben, die besten Seiten<br />
des Gründergeistes verspüren. Für de Crignis<br />
haben die Peri-Brüder als Umsatzmilliardäre<br />
das klassische Problem von Nachfolgern:<br />
„Die Firmen wachsen bis zur Größe<br />
von Konzernen, aber gleichzeitig müssen<br />
die neuen Strukturen schnellstens mit<br />
den Werten des alten Unternehmens gefüllt<br />
werden.“ Sonst verliert die Marke.<br />
Zunächst wollen die Schwörers die Marke<br />
Peri „noch stärker als Komplettanbieter<br />
verankern“, sagt Christian Schwörer: „Wir<br />
11<br />
Rang<br />
Philip von dem<br />
Bussche<br />
KWS Saat<br />
aDer Chef des Saatgutanbieters hat<br />
das Unternehmen strategisch sehr<br />
gut aufgestellt, bietet eine breite Produktpalette.<br />
KWS konnte alle Marken-<br />
Performance-Indikatoren steigern.<br />
liefern nicht nur ein Produkt, sondern als<br />
Dienstleister der Bauunternehmen die Lösung<br />
zum kompletten Problem.“ Bis 2016<br />
geben sich die Schwörer-Brüder, um Marke<br />
und Wertemanagement „ohne Bruch<br />
mit der Historie unseres Familienunternehmens<br />
fit für die Zukunft zu machen“.<br />
DURAVIT<br />
Produkt emotionalisieren<br />
Eine Kloschüssel begehrenswert zu machen,<br />
das muss man erst mal schaffen. Der<br />
Sanitärkeramikanbieter Duravit kann das.<br />
Die Marke aus Hornberg im Schwarzwald<br />
löst bei Architekten und Bauherren weltweit<br />
den Haben-wollen-Reflex aus.<br />
Profanes wie Waschbecken und Luxuriöses<br />
wie Whirlpools profitieren bei Duravit<br />
vom Glanz großer Designernamen. Sie erscheinen<br />
zeitlos, minimalistisch und dank<br />
dieser Unaufdringlichkeit auch nachhaltig.<br />
„Aber mit einem <strong>Geld</strong> einen großen Namen<br />
einkaufen, das funktioniert nicht“,<br />
sagt Duravit-Chef Frank Richter. „In der<br />
Fertigung und im fertigen Produkt soll jeweils<br />
die neueste Technik einfließen.“<br />
Sonst hält das Produkt nicht, was die Marke<br />
– auf Platz sechs im Ranking – verspricht.<br />
So seien zwar auch Konkurrenzanbieter<br />
von beispielsweise Dusch-WCs technisch<br />
weit vorne, „aber unsere verbrauchen weniger<br />
Wasser“. Für Duravit gelte: schönes<br />
Design bei unsichtbarer Technik. „Wir wollen<br />
nicht funktional, sondern emotional<br />
auftreten und schöne Erlebnisse anbieten“,<br />
so Richter.<br />
Damit realisiert Duravit, was laut Berater<br />
de Crignis die führenden Hidden Champions<br />
auszeichnet: „Sie schaffen es selbst im<br />
Industriegüterbereich, die Marke stark<br />
emotional aufzuladen.“ Duravit sucht sich<br />
dazu immer wieder Leuchtturmprojekte,<br />
zum Beispiel über eine Kooperation mit<br />
dem Reichstags-Architekten Norman Foster<br />
für eine komplette Badserie. Da zählt<br />
die Reputation, nicht nur die Stückzahl.<br />
SENNHEISER<br />
Mitarbeiter einschwören<br />
Dass Sennheiser zu den Top-20-Marken<br />
der deutschen Weltmarktführer zählt,<br />
überrascht nicht. Der Name des 1945 gegründeten<br />
Spezialisten für hochwertige<br />
Kopfhörer und Mikrofone ist weithin bekannt.<br />
Vielmehr wundert es, dass Sennheiser<br />
mit Platz 17 erst in diesem Jahr wieder<br />
den Sprung zurück in die Champions-<br />
League des Mittelstands geschafft hat. Um<br />
FOTO: PR, LAIF/CHRISTIAN BURKERT<br />
54 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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zehn Ränge ging es für die Niedersachsen<br />
mit Sitz in Wedemark-Wennebostel bei<br />
Hannover aufwärts. Laut Berater de Crignis<br />
liegt das vor allem an der überdurchschnittlich<br />
hohen Verbundenheit der Mitarbeiter<br />
mit ihrem Unternehmen.<br />
Eine Begründung, der Andreas Sennheiser<br />
nur zustimmen kann. „Wir haben uns<br />
vor drei Jahren gefragt: Brauchen wir wirklich<br />
Kopfhörer für 19,90 Euro im Programm?“,<br />
erläutert der Co-Geschäftsführer,<br />
der das Unternehmen seit Juli gemeinsam<br />
mit seinem Bruder Daniel leitet. „Die Frage<br />
haben wir verneint“, so Sennheiser.<br />
In der Folge haben die Brüder das Portfolio<br />
bereinigt und Sennheiser klar auf Premiumgeräte<br />
fokussiert. Das ermöglicht es<br />
den weltweit mehr als 2300 Mitarbeitern,<br />
die Marke selbstbewusster nach außen zu<br />
tragen. „Es ist ein Riesenunterschied, ob jemand<br />
den Kunden mit leuchtenden Augen<br />
von Innovationen erzählen kann“, sagt Andreas<br />
Sennheiser.<br />
Im WirtschaftsWoche-Ranking fällt auf,<br />
dass sich die Mitarbeiter der besten Marken<br />
überdurchschnittlich mit ihrer Firma<br />
identifizieren und ihr unternehmerisches<br />
Denken sehr stark ausgeprägt ist.<br />
Auch bei Sennheiser springt der Funke<br />
zwischen Mitarbeitern und Kunden jetzt<br />
deutlich häufiger über. Bei Produktstarts<br />
fließt im Gegensatz zu früher viel mehr<br />
<strong>Geld</strong> ins Marketing. „Es gibt Launch-<br />
17<br />
Rang<br />
Daniel und<br />
Andreas<br />
Sennheiser<br />
Sennheiser<br />
aProfitiert vom wachsenden Markt<br />
stärker als die Konkurrenz dank<br />
starker Marke und überdurchschnittlicher<br />
Verbundenheit der Mitarbeiter.<br />
Events, bei denen unsere Mitarbeiter zeigen<br />
können, was sie geleistet haben“, sagt<br />
Sennheiser. Offenbar mit Erfolg: Seit 2010<br />
wächst der Umsatz zweistellig und liegt<br />
nunmehr bei fast 585 Millionen Euro.<br />
WILO PUMPEN<br />
Claim ändern<br />
Der Dortmunder Pumpenhersteller fährt<br />
zweigleisig, um die Zugkraft seiner Marke<br />
zu stärken. Erstens: Er glänzt bei den globalen<br />
Megatrends Industrialisierung, Urbanisierung<br />
und Energieeffizienz zuerst im<br />
Referenzmarkt Deutschland. Zweitens: Er<br />
will weg vom rein technischen Auftritt.<br />
„Weltweit gelten die Deutschen als technisch<br />
besonders anspruchsvoll. Deshalb<br />
bringen wir hier unsere Produkte zuerst<br />
zum Einsatz“, erläutert Vorstandschef Oliver<br />
Hermes die Strategie des Innovationsführers,<br />
der Nummer drei im Ranking. Von<br />
Deutschland aus erobert Wilo die Welt früher<br />
und mutiger als andere.<br />
Während für die Konkurrenz Lateinamerika<br />
aus Brasilien und Argentinien besteht, ist<br />
Wilo auch in Peru und Chile unterwegs.<br />
Nord- und Südafrika sind bereits Vertriebsgebiet,<br />
neuer Fokus liegt auf Zentral- und<br />
Ostafrika. Wilo bedient lokale Märkte mit lokal<br />
hergestellten Produkten. Weltweite Fertigung<br />
bringt Nähe zu den Kunden, kann aber<br />
auch zur Gefahr für die Marke werden: „Um<br />
unsere Wettbewerbsvorteile zu verteidigen,<br />
können wir uns keinerlei Abstriche an der<br />
Qualität erlauben“, sagt Hermes.<br />
Längst bringen zudem auch Konkurrenten<br />
aus Schwellenländern gute Pumpen<br />
auf den Markt. Hermes: „Deshalb modernisieren<br />
wir mit der Marke immer stärker<br />
unser Versprechen, Kunden ultimativen<br />
Service zu bieten.“ Zugleich wurden Logo<br />
und Claim verändert. Ohne Rahmen wirkt<br />
der Schriftzug transparenter, das „i“ in Wilo<br />
ist nun ein abstrahierter Mensch. Aus dem<br />
technokratischen Claim „Pumpenintelligenz“<br />
wurde „Pioneering for You“.<br />
Denn Wilo hat früher als andere ein typisch<br />
deutsches Problem erkannt. Hermes<br />
beschreibt es so: „Wir kamen zu technologieorientiert<br />
rüber, deshalb wollen wir<br />
emotionaler werden.“<br />
n<br />
anke.henrich@wiwo.de, michael kroker,<br />
jürgen salz, harald schumacher<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 55<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Sanierung mit Gschmäckle<br />
SUHRKAMP | Der Machtkampf um das Verlagshaus wirft ein Schlaglicht auf die Stärken<br />
und Schwächen des neuen Insolvenzrechts. Dabei geht es schon mal handfest zur Sache.<br />
Von literarischem Wert Juristen fragen bereits:<br />
Durfte Suhrkamp Insolvenz anmelden?<br />
Journalisten sollen draußen bleiben,<br />
wenn sich am Dienstag die Gläubiger<br />
des Suhrkamp-Verlags im Saal 120 des<br />
Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg treffen,<br />
um über das Schicksal des Unternehmens<br />
zu entscheiden. Das teilte die zuständige<br />
Richterin der WirtschaftsWoche mit.<br />
Bei anderen Großpleiten wie Karstadt und<br />
Schlecker hatten Richter die Presse an den<br />
Gläubigerversammlungen teilnehmen lassen.<br />
Und auch im Fall Suhrkamp würde<br />
mehr Transparenz kaum schaden.<br />
Das Verfahren, das sich hinter dem sperrigen<br />
Aktenzeichen 36s IN 2196/13 verbirgt,<br />
bewegt die Fantasie des Publikums<br />
wie kaum ein zweiter Insolvenzfall. Je nach<br />
Perspektive deuten die Feuilletons den Casus<br />
Suhrkamp als eine Art Justiz- und Wirtschaftsthriller,<br />
eine Verschwörung gegen<br />
Minderheitsgesellschafter Hans Barlach.<br />
Oder Suhrkamp wird als episches Bühnenstück<br />
gefeiert, als heroisch-trickreicher<br />
Kampf der Verlegerwitwe Ulla Unseld-<br />
Berkéwicz um das Überleben des Verlags.<br />
Tatsächlich hat die Auseinandersetzung<br />
bereits Eingang in die Literatur gefunden:<br />
In Juristen-Zeitschriften streiten die Gelehrten<br />
um die Kernfragen. <strong>Ist</strong> die vorgesehene<br />
Umwandlung des Suhrkamp-Verlags<br />
in eine Aktiengesellschaft, durch die Barlach<br />
weitreichende Mitspracherechte verliert,<br />
gesetzeskonform? Und durfte der Verlag<br />
überhaupt Insolvenz anmelden?<br />
Selbst in der Branche gehen die Meinungen<br />
weit auseinander. Alles okay, befinden<br />
erwartungsgemäß die Rechtsberater der<br />
Verlegerin. Das Verfahren dürfe „keinesfalls<br />
instrumentalisiert werden, um – wie<br />
im Fall Suhrkamp – einen unliebsamen<br />
Minderheitsgesellschafter zu entmachten“,<br />
warnen dagegen Kritiker wie der Hamburger<br />
Insolvenzrechtler Philipp Fölsing.<br />
INSOLVENZ LIGHT<br />
Die Debatte zeigt, dass es längst nicht mehr<br />
nur um Suhrkamp geht. Vielmehr steht der<br />
Verlag als Prototyp für alle Unternehmen,<br />
die vom Gesetz zur weiteren Erleichterung<br />
der Sanierung von Unternehmen – kurz<br />
ESUG – Gebrauch machen. An kaum einem<br />
anderen Verfahren lassen sich die<br />
Stärken und Schwächen des noch neuen<br />
Insolvenzrechts besser studieren. Die Insolvenzreform,<br />
die im März 2012 in Kraft<br />
trat, sollte vor allem dafür sorgen, dass die<br />
Chefs klammer Unternehmen sich früher<br />
als bisher Hilfe suchen. Dafür wird ihnen<br />
das Eingeständnis akuter Probleme mit<br />
zwei neuen Verfahrenstypen schmackhaft<br />
gemacht:dem Schutzschirmverfahren und<br />
der Eigenverwaltung.<br />
Voraussetzung ist in beiden Varianten,<br />
dass das Unternehmen noch zahlungsfähig<br />
ist. Trotzdem muss die Geschäftsführung<br />
einen Insolvenzantrag stellen, verliert<br />
aber anders als im klassischen Verfahren<br />
nicht die Kontrolle über das Unternehmen.<br />
Vielmehr wird vom Inhaber meist schon<br />
im Vorfeld ein erfahrener Sanierer an Bord<br />
geholt, der gemeinsam mit der bisherigen<br />
Führungstruppe Sparmöglichkeiten auslotet,<br />
mit Gläubigern und Investoren verhandelt<br />
und innerhalb von drei Monaten einen<br />
Insolvenzplan ausarbeitet, der den Weg<br />
aus der Krise bahnen soll. Das wird von einem<br />
sogenannten Sachwalter überwacht,<br />
den das Management des havarierten Unternehmens<br />
selbst vorschlagen darf.<br />
Die „Insolvenz light“ kommt an. Nach einer<br />
Erhebung des Karlsruher Informationsdienstleisters<br />
STP Portal (insolvenzportal.de)<br />
für die WirtschaftsWoche wurden<br />
seit Einführung der Reform 380<br />
Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahren<br />
eingeleitet. „Die ESUG-Instrumente<br />
haben sich etabliert“, sagt STP-Portal-Geschäftsführer<br />
Jens Décieux.<br />
Zwar bleiben die Sanierungsverfahren<br />
im Vergleich zur Gesamtzahl der Insolvenzen<br />
weiter die große Ausnahme. Doch bei<br />
größeren Unternehmen hätten sich die<br />
„ursprünglich nur als Speziallösung für besondere<br />
Fälle“ gedachten Verfahrensvarianten<br />
„zum Regelfall entwickelt“, moniert<br />
der Verband der Insolvenzverwalter<br />
Deutschland (VID).<br />
Abgesehen von der Baumarktkette Praktiker,<br />
finden sich unter den großen Krisenfällen<br />
in diesem Jahr tatsächlich kaum<br />
noch klassische Pleiten. Mit dem Fernsehhersteller<br />
Loewe, dem Immobilienriesen<br />
IVG, dem Callcenter-Betreiber Walter Services<br />
oder dem Windparkbetreiber Windreich<br />
setzten zuletzt etliche Branchengrößen<br />
auf eine ESUG-Sanierung.<br />
Der Fall Windreich zeigt das Kernproblem<br />
der ESUG-Verfahren: Die Staatsanwaltschaft<br />
Stuttgart ermittelt seit Frühjahr<br />
gegen Führungskräfte wegen Bilanzfälschung.<br />
Gründer Willi Balz weist die Vorwürfe<br />
zwar von sich und zog sich aus der<br />
FOTO: LAIF/MARCUS HOEHN<br />
56 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Geschäftsführung zurück. Trotzdem dürfte<br />
das Gros der Gläubiger wenig begeistert<br />
sein, dass das Management, das Windreich<br />
in die Krise geführt hat, nun sanieren soll.<br />
Ein „Gschmäckle bleibt“, sagt ein süddeutscher<br />
Insolvenzrechtler – und skizziert<br />
das Dilemma. Damit die Chefs maroder<br />
Firmen sich früh Hilfe holen, dürfen sie ihre<br />
Posten behalten. „Mit der häufigen Folge,<br />
dass Geschäftsleitungen im Amt bleiben,<br />
die fachlich nicht geeignet sind, den<br />
Betrieb zu sanieren“, heißt es beim VID.<br />
Das wäre zu verkraften, gäbe es eine unabhängige<br />
Kontrollinstanz, die darüber<br />
wacht, dass bei den Rettungsbemühungen<br />
kein <strong>Geld</strong> verplempert wird, Gläubiger<br />
über den Tisch gezogen werden oder das<br />
Verfahren nur eingeleitet wird, um einen<br />
störrischen Mitgesellschafter zu entsorgen,<br />
wie bei Suhrkamp spekuliert wurde. Das<br />
wäre die Aufgabe des Sachwalters, der die<br />
Geschäftsleitung überwachen soll.<br />
In der Praxis erfolgt die Auswahl des<br />
Sachwalters meist über spezialisierte Berater,<br />
die als Sanierungsvorstände in Krisenunternehmen<br />
einziehen und im Fall der<br />
Fälle auch einen Kandidaten für den Sachwalter-Job<br />
parat haben. „Da gibt es eine<br />
»Da gibt es eine<br />
wirtschaftliche<br />
Abhängigkeit, die<br />
man nicht wegdiskutieren<br />
kann«<br />
Nikolaos Antoniadis, Insolvenzverwalter<br />
wirtschaftliche Abhängigkeit, die man<br />
nicht wegdiskutieren kann“, kritisiert der<br />
Düsseldorfer Insolvenzverwalter Nikolaos<br />
Antoniadis, Partner der Kanzlei Metzeler<br />
von der Fecht.<br />
UNSITTLICHE ANGEBOTE<br />
Für die „Verfahrenshygiene“ sei das nicht<br />
gut. So darf sich ein Sachwalter selbst befragen,<br />
wie wichtig ihm seine Unabhängigkeit<br />
ist:Fährt er dem Restrukturierungsvorstand,<br />
der ihn geholt hat, in die Parade und riskiert<br />
Folgemandate? Als Verwalter Antoniadis die<br />
Problematik jüngst bei einer Insolvenzrechtstagung<br />
in Düsseldorf zum Thema eines<br />
Vortrags machte und auch „unsittliche<br />
Angebote“ von Sanierern und Großgläubigern<br />
bei ESUG-Verfahren ansprach, teilte<br />
sich das Publikum in zwei Lager: auf der einen<br />
Seite die Restrukturierungsberater von<br />
großen Kanzleien, die von Sanierungsmöglichkeiten<br />
schwärmen. Auf der anderen Seite<br />
viele gestandene Verwalter, die Antoniadis’<br />
Thesen bekräftigten und von einem<br />
neuen Misstrauen der Richter berichten, sobald<br />
ESUG-Anträge eingereicht würden.<br />
Dabei geht es auch handfest zur Sache.<br />
In Potsdam soll der Insolvenzrichter Ende<br />
2012 während einer Anhörung zum Antrag<br />
eines Pharmahändlers auf Eigenverwaltung<br />
in „tätliche Aggressionen“ verfallen<br />
sein, schreibt der Insolvenzverwalter<br />
Wilhelm Klaas in einem Online-Beitrag<br />
und formuliert den Tathergang. Der Richter<br />
„wirft gezielt über eine Distanz von<br />
mehr als fünf Metern mit einer schweren,<br />
lederartig eingebundenen Kladde in Richtung<br />
des Kopfes des Rechtsbeistands“.<br />
Dank seiner „reflexartigen Schutzhaltung“<br />
gelingt es dem Verwalter, das Geschoss abzuwehren.<br />
Der Antrag wird abgelehnt. n<br />
henryk.hielscher@wiwo.de<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Therapie<br />
ohne Sinn<br />
CHINA | Die neue Freihandelszone<br />
in Shanghai enttäuscht<br />
bisher deutsche Unternehmen.<br />
Umzugskartons hat bei Kärcher in<br />
Shanghai noch niemand gepackt.<br />
Der Mittelständler aus dem schwäbischen<br />
Winnenden produziert in China<br />
Reinigungsgeräte für den privaten, vor allem<br />
aber für den professionellen Gebrauch.<br />
Das verspricht gute Geschäfte in<br />
einem Land, in dem Arbeitskräfte immer<br />
teurer werden. China-Chef Jürgen Uebbing<br />
rechnet deshalb mit zweistelligen Wachstumsraten.<br />
Da kommt, so scheint es, die neue<br />
Freihandelszone in Shanghai, der Boommetropole<br />
im Reich der Mitte, wie gerufen.<br />
Unternehmen sollen hier laut Regierung<br />
Freiheiten genießen, die ihnen ansonsten<br />
in China verwehrt sind, darunter zum<br />
Beispiel ein unzensiertes, jederzeit zugängliches<br />
Internet. „Wir verfolgen das mit<br />
großem Interesse“, sagt der Kärcher-Manager<br />
Uebbing.<br />
IN WARTESTELLUNG<br />
Doch auch knapp einen Monat<br />
nach der Eröffnung sind die<br />
Schwaben nicht in das angebliche<br />
Unternehmerparadies<br />
umgezogen.<br />
Von Euphorie ist nichts<br />
zu spüren. Kärcher-<br />
Shanghai<br />
Freihandelszone Waigaoqiao<br />
Statthalter Uebbing<br />
kann noch immer nicht<br />
abschätzen, was die<br />
neue Zone für das Unternehmen<br />
bedeutet, und<br />
harrt weiterer Informationen<br />
von der Regierung. Abwarten, beobachten,<br />
genauere Bestimmungen erhoffen<br />
bestimmen auch die Gemütslage der<br />
anderen deutschen Geschäftsleute in der<br />
Region. „Von einem Run in die Zone kann<br />
man nicht sprechen“, sagt Jan Noether von<br />
der Auslandshandelskammer in Shanghai.<br />
Zwar hätten sich rund 800 Unternehmen angemeldet,<br />
aber <strong>dabei</strong> handele es sich fast<br />
ausschließlich um solche, die aus China<br />
stammen.<br />
City<br />
Freihandelszone<br />
FlughafenPudong<br />
Zaghafte Abwicklung Freihandel krankt an<br />
den wichtigsten Voraussetzungen<br />
Woher die Skepsis der Ausländer rührt,<br />
zeigen die wichtigsten Regularien für die<br />
neuen unternehmerischen Freiheiten.<br />
Zwar gilt für die wirtschaftliche Betätigung<br />
nicht chinesischer Firmen in der Freihandelszone<br />
eine sogenannte Negativliste. Das<br />
ist die größte Neuerung. Danach dürfen die<br />
Firmen erstmals in China alles unternehmen,<br />
was nicht verboten ist, also nicht auf<br />
der Liste steht. Bisher konnten sie sich<br />
nur auf Felder stürzen, die ausdrücklich<br />
genehmigt waren.<br />
Dadurch verkürzt sich in<br />
der Freihandelszone die<br />
bisher teilweise monatelange<br />
Zulassungsprozedur<br />
auf nur noch<br />
wenige Tage.<br />
Gleichzeitig hat es die<br />
Verbotsliste aber in sich.<br />
„Sie ist länger, als viele gehofft<br />
haben“, sagt Joachim<br />
Glatter von der Anwaltskanzlei<br />
Taylor Wessing in Shanghai. So umfasst<br />
die Aufzählung mehr als 1000 Geschäftsaktivitäten,<br />
darunter den Verkauf von<br />
Antiquitäten, Medien und das Betreiben von<br />
Internet-Cafés. Das klingt eher nach Kontrolle<br />
und Zwang als nach Reformen.<br />
Auch eine erhoffte Senkung der Körperschaftsteuer<br />
auf 15 Prozent ist ausgeblieben.<br />
Stattdessen müssen Unternehmen<br />
weiterhin 25 Prozent und Einzelpersonen<br />
bis 45 Prozent Steuern zahlen.<br />
Freihandelshafen Yangshan<br />
„Für produzierende Unternehmen ist<br />
die neue Zone – schon allein aus Platzgründen<br />
– nur bedingt interessant“, sagt<br />
Alexander Streit von der Unternehmensberatung<br />
Roedl & Partner in Shanghai.<br />
Auch Manager des deutschen Chemieriesen<br />
BASF, der ebenfalls bereits in Waigaoqiao<br />
ansässig, fühlen sich nicht sonderlich<br />
angezogen. Die Zollerleichterungen in der<br />
Freihandelszone könnten aber auf mittelfristige<br />
Sicht den Warenverkehr im asiatisch-pazifischen<br />
Raum fördern.<br />
HOFFNUNG AUF LIBERALISIERUNG<br />
Im Grunde zeichnete sich die Ernüchterung<br />
schon bei der Eröffnungszeremonie<br />
ab. Weder Staatspräsident Xi Jinping noch<br />
Premierminister Li Keqiang und auch sonst<br />
kein hochrangiger Minister erschienen zur<br />
Feier am 29. September. Dabei hatten Gerüchte<br />
im Vorfeld die Erwartungen der Unternehmen<br />
nach oben geschraubt. Die<br />
knapp 29 Quadratkilometer große Zone,<br />
die die bereits bestehende Freihandelszone<br />
Waigaoqiao, den Flughafen Pudong und<br />
den Tiefseehafen Yangshan zusammenfasst,<br />
solle einmal Hongkong als Chinas<br />
größten Finanzplatz ablösen. Wie die 1980<br />
vom damaligen Parteiführer Deng Xiaoping<br />
gegründete Sonderwirtschaftszone<br />
Shenzhen knapp zwei Flugstunden südlich<br />
könne Shanghai eine Liberalisierungswelle<br />
über das ganze Land verbreiten.<br />
Wenn überhaupt, dann könnte dies im<br />
Finanzsektor passieren. Denn Chinas<br />
Währung ist nicht frei handelbar, der Kurs<br />
des Renminbi darf nur innerhalb eines en-<br />
FOTO: PHOTOSHOOT/XINGHUA<br />
58 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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gen Bandes schwanken. Ebenso strikt sind<br />
die Kapitalkontrollen. Der Staatsrat hat bekräftigt,<br />
dass die Liberalisierung des Finanzmarktes<br />
zunächst in der neuen Freihandelszone<br />
geprobt werden soll. Das<br />
würde das Gebiet für ausländische Banken,<br />
die in China zusammen gerade einmal<br />
zwei Prozent Marktanteil haben, sehr<br />
interessant machen.<br />
WICHTIGE FRAGEN UNGEKLÄRT<br />
Eine Liberalisierung des Finanzmarkts hätte<br />
wiederum positive Rückwirkungen auf<br />
produzierende Unternehmen mit grenzübergreifenden<br />
Finanzströmen. „Wer zum<br />
Beispiel Fabriken in Indonesien, Vietnam<br />
und China hat, kann dann kurzfristig Banksalden<br />
ausgleichen“, sagt Jan Noether von<br />
der Handelskammer in Shanghai. Unklar<br />
aber ist, ob dafür ein Büro in der Zone genügt<br />
oder ob der komplette Sitz des Unternehmens<br />
dorthin verlagert werden muss.<br />
Ähnliche Erwartungen gibt es bei den<br />
Kreditzinsen. Die werden in China von der<br />
Zentralbank festgesetzt, die Geschäftsbanken<br />
haben so gut wie keinen Spielraum. Eine<br />
Freigabe würde mittelfristig zu günstigeren<br />
Krediten führen. Angeblich arbeitet<br />
die chinesische Zentralbank gerade an einem<br />
System, das die Kapitalab- und -zuflüsse<br />
überwacht.<br />
In die Freihandelszone wechseln will die<br />
Commerzbank deswegen aber nicht. „Die<br />
bisher veröffentlichten Regularien sind unverändert<br />
vage“, sagt Edith Weymayer, China-Chefin<br />
der Commerzbank, und will<br />
vorerst abwarten. „Was bedeutet freie Konvertibilität,<br />
und wie soll der Kapitalverkehr<br />
zwischen der Zone und dem Rest des Landes<br />
geregelt werden?“ All diese Fragen seien<br />
auch nach der Eröffnung der Freihandelszone<br />
nicht geklärt. Von den ausländischen<br />
Banken haben sich deswegen bisher<br />
nur die Citibank und die DBS aus Singapur<br />
angemeldet.<br />
Jörg Wuttke, Berater der Organisation für<br />
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(OECD) in Peking, ist deswegen<br />
enttäuscht von dem Projekt. „Reformtechnisch<br />
hat sich in China in den vergangenen<br />
zehn Jahren nicht viel getan – und die neue<br />
Freihandelszone in Shanghai gleicht da<br />
eher Akupunktur.“<br />
Andere Beobachter deuten die Zaghaftigkeit<br />
der Reformen als Streit verschiedener<br />
Fraktionen innerhalb der Partei.<br />
Sie erhoffen sich eine Richtungsentscheidung<br />
nach der dritten Plenarsitzung der<br />
Kommunistischen Partei im November. n<br />
philipp mattheis | Shanghai, unternehmen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 59<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Weitgehend verschlossen<br />
SOLARINDUSTRIE | Euphorische Prognosen, steigende Modulpreise, sinkende Überkapazitäten –<br />
können auch die Deutschen vom weltweiten Aufschwung der Krisenbranche profitieren?<br />
ja sogar leicht steigenden Modulpreisen.<br />
Die Preise für die rechteckigen Paneele,<br />
aus denen Solarstrom gewonnen wird, waren<br />
in den vergangenen Jahren um rund 80<br />
Prozent eingebrochen. Und für 2014 erwarten<br />
die Experten weltweit die höchsten Zubauraten<br />
für Solaranlagen seit Jahren.<br />
Noch quälen sich täglich die Tanklaster<br />
im Schritttempo auf notdürftig<br />
geteerten und von Erdrutschen beschädigten<br />
Pisten die Ausläufer der argentinischen<br />
Anden hinauf. <strong>Ihr</strong>e Fracht: Diesel.<br />
Mit dem Treibstoff werden in 4000 Meter<br />
Höhe Generatoren betrieben, die zahlreiche<br />
Gold- und Kupferminen mit fast<br />
20 000 Arbeitern sowie Bewässerungsanlagen<br />
mit Strom versorgen.<br />
Das wird sich bald ändern. Künftig soll<br />
der Strom für die Minen aus Solaranlagen<br />
kommen. Dafür baut der Maschinenbauer<br />
Schmid aus Freudenstadt im Schwarzwald<br />
in der Provinzhauptstadt San Juan eine Fabrik<br />
für Solarmodule. Der Auftrag, über ein<br />
Solarstrom für Goldminen<br />
Unternehmer Schmid gewinnt<br />
millionenschweren Auftrag<br />
aus Argentinien<br />
Jahr verhandelt und soeben unterschrieben,<br />
habe ein Volumen von mehr als 100<br />
Millionen Euro, freut sich der geschäftsführende<br />
Gesellschafter Christian Schmid.<br />
Das Werk am Fuße der Anden wird mit einer<br />
Produktionskapazität von 70 Megawatt<br />
die größte Solarfabrik in Südamerika. Auftraggeber<br />
ist der lokale Energieversorger,<br />
Schmid fungiert als Generalunternehmer.<br />
Der größte Auftrag für Schmid in seiner<br />
150-jährigen Firmengeschichte passt zu<br />
den positiven Nachrichten, die sich seit einigen<br />
Wochen rund um den Globus Bahn<br />
brechen. Marktforscher, Banken, Berater<br />
und Unternehmen berichten von sinkenden<br />
Überkapazitäten und stagnierenden,<br />
CHANCEN FÜR PROJEKTIERER<br />
Nur: Vom weltweiten Aufschwung werden<br />
viele deutsche Anbieter kaum profitieren.<br />
Denn im Heimatmarkt und wichtigen europäischen<br />
Märkten wie Italien sagen Experten<br />
bestenfalls eine Stagnation voraus.<br />
Und in Boommärkten wie China, Japan<br />
und den USA geben ausländische Solarkonzerne<br />
den Ton an. Für den angeschlagenen<br />
Modulbauer Solarworld oder den<br />
Maschinenbauer Centrotherm, der erst vor<br />
wenigen Monaten aus der Insolvenz den<br />
Neustart angegangen ist, ist der weltweite<br />
Aufschwung 2014 nur ein Hoffnungsschimmer<br />
– wenn es nicht schon zu spät<br />
ist. „Wir werden auch 2014 noch Unternehmen<br />
finden, die vom Markt verschwinden<br />
werden“, sagt Maschinenbauer Schmid.<br />
Deutlich besser sieht es für die deutschen<br />
Projektierer von Solarparks aus, die<br />
die Krise genutzt haben, um zu internationalisieren.<br />
So unterzeichneten der bayrische<br />
Kraftwerksbauer Belectric und die<br />
US-amerikanische First Solar, drittgrößter<br />
Modulbauer der Welt, Mitte September ein<br />
Joint Venture, um gemeinsam Solarkraftwerke<br />
auf drei Kontinenten zu bauen. Einige<br />
Tage vorher meldete Wirsol aus Waghäusel<br />
bei Heidelberg den Bau eines Solarparks<br />
auf der japanischen Insel Honshu<br />
mit knapp 90 000 Paneelen und 22 Megawatt<br />
Gesamtleistung.<br />
Dennoch warnt Wolfgang Hummel, Chef<br />
des Instituts für Solarmarktforschung in<br />
Berlin, vor übertriebener Euphorie vor allem<br />
bei den Modul- und Zellherstellern:<br />
„Einzelne positive Signale führen dazu,<br />
dass alle Unternehmen aus dem Stau heraus<br />
einen Gang höher schalten; also Kapazitäten<br />
und Produktion erhöhen.“ Dies<br />
könnte schon nach kurzer Zeit wieder zum<br />
Stillstand führen. Die Fotovoltaikmärkte in<br />
China und Japan wüchsen zwar stark. Aber,<br />
so Hummel: „Für deutsche Unterneh-<br />
»<br />
FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
60 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Die Welt zieht davon<br />
Entwicklungder Fotovoltaikanlagen<br />
(jährlich neuinstallierte Leistung in Megawatt-Spitzenleistung)<br />
45<br />
300<br />
113<br />
470<br />
660<br />
1130<br />
850<br />
1580<br />
Deutschland<br />
Welt<br />
1940<br />
6710<br />
2000 2002 2004 2006 2008 2009 2010 2011 2012 2013<br />
*Prognose; Quelle:BSW,EPIA, IHS<br />
men bleibt der chinesische Markt völlig,<br />
der japanische weitgehend verschlossen.“<br />
Insgesamt scheint das Ende der Durststrecke<br />
für die Branche jedenfalls in Sicht.<br />
Selbst die zuletzt arg gebeutelte deutsche<br />
Zuliefererindustrie rechnet 2014 mit der<br />
Trendwende. „Der Markt gibt wieder erste<br />
positive Signale“, sagt Florian Wessendorf,<br />
Geschäftsführer bei der rund 100 Unternehmen<br />
zählenden Fotovoltaiksparte des<br />
Maschinenbauverbands VDMA.<br />
BELEBUNG IN CHINA<br />
Führende Modul- und Zellproduzenten<br />
aus den USA und China zeigen wachsendes<br />
Interesse an der Produktion in aufstrebenden<br />
Märkten wie Nahost, Südafrika,<br />
Türkei und Lateinamerika. Dafür müssten<br />
dort Fabriken gebaut werden. Vor diesem<br />
Hintergrund geht die Fachgruppe des<br />
VDMA davon aus, dass schon 2014 wieder<br />
verstärkt deutsche Anlagen und Technologie<br />
nachgefragt werden. Die Solarmaschinenbauer<br />
rechnen 2014 mit steigenden<br />
Umsätzen. Bereits 2013 zeichne sich laut<br />
Wessendorf eine leichte Belebung ab, dank<br />
China und weiterer Auslandsmärkte.<br />
In der Volksrepublik hat die Regierung<br />
Maßnahmen in die Wege geleitet, um die<br />
Solarindustrie zu reformieren. Dabei wird<br />
den chinesischen Herstellern vorgeschrieben,<br />
nicht mehr nur in die reine Erweiterung<br />
ihrer Kapazitäten zu investieren. Mindestens<br />
drei Prozent ihres jährlichen Umsatzes<br />
– mindestens aber 1,22 Millionen<br />
Euro pro Unternehmen – müssen in Forschung<br />
und die technologische Weiterentwicklung<br />
investiert werden. Das soll zu einer<br />
Konsolidierung führen, bei der wenige<br />
große Unternehmen übrig bleiben.<br />
Gleichzeitig soll dieser Umbruch, der<br />
auch durch den globalen Preisdruck und<br />
die Absatzeinbrüche in Europa verstärkt<br />
wird, abgefedert werden. Dazu formulierte<br />
3800<br />
7380<br />
7400<br />
17 070<br />
7500<br />
30400<br />
7600<br />
31 100<br />
4000<br />
35000<br />
Peking ehrgeizige Ausbauziele: 35 Gigawatt<br />
Solarleistung bis 2015. Das wäre binnen<br />
drei Jahren eine Verfünffachung der<br />
installierten Leistung. Als Anreiz werden<br />
höhere Einspeisetarife eingeführt, von denen<br />
insbesondere große Solarkraftwerke<br />
profitieren. VDMA-Mann Wessendorfs<br />
Optimismus untermauern renommierte<br />
Marktforscher und Banken. Ende September<br />
lässt Vishal Shah, Fotovoltaikanalyst<br />
bei der Deutschen Bank in New York, aufhorchen,<br />
als er einen Nachfrageanstieg bei<br />
der Installation von Solaranlagen von 38<br />
(2013) auf 45 Gigawatt in 2014 voraussagt –<br />
mit dem Hinweis, dies sei konservativ gerechnet.<br />
Zum Vergleich: 2011 und 2012<br />
wurden weltweit jeweils etwa 30 Gigawatt<br />
installiert.<br />
Dem Deutschbanker folgt wenige Tage<br />
später US-Marktforscher NPD Solarbuzz.<br />
Die Experten aus dem kalifornischen Santa<br />
Clara schrauben ihre Erwartungen für 2014<br />
Chinesische Offensive Gesetze sollen<br />
Forschung und damit Innovationen erzwingen<br />
sogar auf 45 bis 55 Gigawatt. Und Anfang<br />
Oktober meldet sich das Analyse- und Beratungsunternehmen<br />
IHS aus dem US-<br />
Staat Colorado zu Wort. Deren Prognosen<br />
zufolge sollen die Solarinstallationen 2014<br />
um 18 Prozent auf 41 Gigawatt steigen. Das<br />
höchste Zubautempo erwarten die IHS-<br />
Analysten in Asien und auf dem US-Markt.<br />
Ob nun 40, 45 oder 50 Gigawatt weltweit<br />
neu installiert werden – die weltweite Solarnachfrage<br />
wird deutlich zulegen. So ist<br />
denn auch Trina Solar aus dem ostchinesischen<br />
Changzhou davon überzeugt, dass<br />
die Preise für Solarmodule in den kommenden<br />
Jahren nicht weiter sinken werden.<br />
Pierre Verlinden, Chef-Entwickler des<br />
Modulriesen: „Der große Preisverfall in der<br />
Branche ist vorbei.“<br />
Auch in das Thema Fusionen, Übernahmen<br />
und Finanzierung kommt Bewegung.<br />
Nach Jahren mit Überkapazitäten, Pleiten<br />
und Preisverfall sieht die US-Beratung und<br />
-Marktforschung Mercom Capital den<br />
weltweiten Solarmarkt an einem Wendepunkt:<br />
Angesichts stabilerer Preise, einer<br />
besseren Auslastung sei die Branche in einer<br />
besseren Situation als zu Jahresbeginn.<br />
Den Mercom-Prognosen zufolge werden<br />
China mit einem Zubau von 8,5 Gigawatt<br />
und Japan mit einem Zubau von sieben Gigawatt<br />
das Marktgeschehen dominieren;<br />
auf Platz drei folgen mit 4,5 Gigawatt die<br />
USA. Für den deutschen Markt wird eine<br />
neu installierte Leistung von vier Gigawatt<br />
erwartet, Italien soll bei rund zwei liegen.<br />
„Die Marktbedingungen werden immer<br />
besser“, sagt Mercom-Chef Raj Prabhu.<br />
Projektfinanzierungen, Fusionen und<br />
Übernahmen hätten im dritten Quartal<br />
dieses Jahres ein Rekordhoch erreicht.<br />
Prabhu: „Aufgrund steigender Marktwerte<br />
gab es viele Finanzierungsaktivitäten bei<br />
börsennotierten Unternehmen.“<br />
Darauf hofft auch der Technologiekonzern<br />
Bosch. Die Stuttgarter halten<br />
knapp 91 Prozent am ostdeutschen Modulproduzenten<br />
Aleo aus Prenzlau. Im Frühjahr<br />
hatte Bosch jedoch nach Milliardenverlusten<br />
einen Schlussstrich unter das Solargeschäft<br />
gezogen und die Tochter Aleo<br />
zum Verkauf angeboten. Bisher verlief die<br />
Suche nach einem Käufer ergebnislos.<br />
Capital Stage aus Hamburg, Ökostrominvestor<br />
und Deutschlands größter unabhängiger<br />
Betreiber von Solarparks, rüstet<br />
jetzt ebenfalls auf: Um weitere Käufe von<br />
Solarparks finanzieren zu können, beschlossen<br />
die Hamburger vor wenigen Tagen<br />
eine Kapitalerhöhung.<br />
n<br />
mario.brueck@wiwo.de<br />
FOTO: GETTY IMAGES/AFP<br />
62 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»Kein Platz mehr für die Marke«<br />
INTERVIEW | Marcus T. R. Schmidt Die EU droht mit weiteren Restriktionen, die Zahl der Raucher sinkt.<br />
Doch der neue Chef des Hamburger Zigarettenherstellers Reemtsma sieht einen Weg, zu wachsen.<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Herr Schmidt, rauchen Sie eigentlich –<br />
als oberster Promoter von Reemtsma?<br />
Ich habe als Schüler angefangen. Jetzt rauche<br />
ich knapp ein Päckchen am Tag...<br />
...und müssen böse Blicke ertragen, wenn<br />
Sie sich eine anstecken?<br />
Ach, natürlich. Das ist jedem Raucher<br />
schon mal passiert, obwohl es kaum noch<br />
eine direkte Konfrontation mit Nichtrauchern<br />
gibt. Im Restaurant dürfen Sie nicht<br />
mehr rauchen, im Zug nicht, im Flugzeug<br />
auch nicht. Und wenn ich bei Freunden<br />
eingeladen bin, weiß ich, ob ich dort rauchen<br />
darf oder nicht, oder ich frage. Wenn<br />
es jemanden stört, rauche ich nicht. Damit<br />
kann ich leben.<br />
Und <strong>Ihr</strong>e Kinder?<br />
Meine Tochter ist drei.<br />
Hat <strong>Ihr</strong> Geschäft denn überhaupt noch<br />
Zukunft? Die Zahl der Raucher sinkt.<br />
Von 2016 an sollen auf jeder Zigarettenpackung<br />
Schockbilder prangen und<br />
vom Kauf abschrecken. Wie wollen Sie da<br />
Umsatz und Gewinn steigern?<br />
Solche Bilder sind schon brutal. Ich weiß<br />
nicht, wie solch ein ästhetischer Tiefschlag<br />
ein Mehr an Aufklärung bringen soll. Wir<br />
haben ja schon auf jeder Packung einen<br />
Warnhinweis. Und jeder weiß, das Rauchen<br />
nicht die Gesundheit fördert. Ich<br />
hoffe, dass es noch zu Kompromissen<br />
kommt, wenn nach dem EU-Parlament der<br />
Ministerrat über die geplante Verschärfung<br />
berät.<br />
In den Hauptpunkten sind sich Ministerrat<br />
und EU-Parlament einig: Die Schockbilder<br />
werden kommen. Was heißt das für<br />
<strong>Ihr</strong>e Geschäftsstrategie?<br />
Wir müssen schon seit Jahren mit Restriktionen<br />
leben. Der Markt für Zigaretten ist<br />
einer der am stärksten regulierten. Trotzdem<br />
haben wir immer Wege gefunden, erfolgreich<br />
in einem so streng regulierten<br />
Markt zu wirtschaften – die Tabakindustrie<br />
insgesamt und Reemtsma im Besonderen.<br />
Daran wird sich nichts ändern. Die Raucher<br />
werden sich schnell an die neuen<br />
Warnhinweise gewöhnen; das war schon<br />
so, als die zurzeit vorgeschriebenen eingeführt<br />
wurden. Es gibt nach unserer Erfahrung<br />
keinen Grund, warum ein Raucher<br />
aufgrund der neuen Warnhinweise weniger<br />
rauchen sollte. Wir erwarten jedenfalls<br />
keine signifikanten Auswirkungen auf den<br />
Zigarettenkonsum.<br />
Warum regt sich die ganze Branche dann<br />
so auf?<br />
Wir haben glücklicherweise starke Marken<br />
wie JPS, Gauloises, West oder Davidoff.<br />
DER RAUCHER<br />
Schmidt, 46, arbeitet seit<br />
1996 bei Reemtsma, am<br />
1. Oktober 2013 stieg er<br />
zum Sprecher des Vorstands<br />
auf. In der ersten Hälfte des<br />
Geschäftsjahres kletterte<br />
der Umsatz um 5,8 Prozent<br />
auf 513 Millionen Euro.<br />
Aber die Einführung neuer Marken ist<br />
kaum noch möglich, wenn die Tabakrichtlinie<br />
wie geplant verschärft wird und der<br />
Warnhinweis 65 Prozent einer Packungsseite<br />
abdecken muss. Dann bleibt kein<br />
Platz mehr, um die Marke angemessen darzustellen.<br />
Und unsere Industrie lebt von<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 63<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Marken, die wir über die Jahre hinweg<br />
mit viel <strong>Geld</strong> aufgebaut haben. Allein für<br />
das Recht, unter der Marke Davidoff weltweit<br />
Zigaretten anbieten zu dürfen, haben<br />
wir 540 Millionen Euro gezahlt.<br />
Wie viele neue Marken hat Reemtsma in<br />
den vergangenen fünf Jahren eingeführt?<br />
Vor zwei Jahren haben wir Fairwind auf<br />
den Markt gebracht, einen Feinschnitttabak<br />
für Zigaretten zum Stopfen. Es war<br />
die erfolgreichste Einführung im Feinschnittbereich<br />
überhaupt. Innerhalb von<br />
zwei Jahren schoss die Marke in ihrer<br />
Kategorie auf einen<br />
Marktanteil von 2,2<br />
Video<br />
In der App sehen<br />
Sie, was dem<br />
Autor in der<br />
Reemtsma-<br />
Zentrale aufstieß<br />
Prozent hoch.<br />
Und welche neuen<br />
Zigarettenmarken<br />
brachte Reemtsma?<br />
Wir haben JPS Just eingeführt<br />
und Gauloises<br />
frei von Zusätzen, beides<br />
additivfreie Angebote.<br />
Das sind doch keine echten Neueinführungen,<br />
sondern Ableger bekannter<br />
Marken. JPS und Gauloises gibt es ja<br />
schon lange.<br />
Eine vollkommen neue Zigarettenmarke<br />
gab es nicht. Wir investieren lieber in unsere<br />
eingeführten, international erfolgreichen<br />
Markenfamilien wie JPS und Gauloises<br />
und bauen diese weiter aus.<br />
Wer bestimmt die Markenstrategie:<br />
Reemtsma in Hamburg oder Imperial Tobacco,<br />
<strong>Ihr</strong>e Muttergesellschaft in Großbritannien?<br />
Vieles kommt aus der Zentrale in Bristol,<br />
vieles auch von den einzelnen nationalen<br />
Töchtern. Gauloises ohne Zusätze zum<br />
Beispiel sind eine deutsche Erfindung,<br />
die dann von der Gruppe aufgegriffen<br />
wurde.<br />
»Solche<br />
Bilder<br />
auf jeder<br />
Schachtel<br />
sind schon<br />
brutal;<br />
sie sind ein<br />
ästhetischer<br />
Tiefschlag«<br />
Wann kompensieren Sie den schrumpfenden<br />
Rauchermarkt mit Accessoires <strong>Ihr</strong>er<br />
Marken? Wann verkaufen Sie zum Beispiel<br />
T-Shirts mit Gauloises-Schriftzug?<br />
Die Zahl der Raucher in Deutschland sinkt<br />
zwar, aber Reemtsma konnte den Marktanteil<br />
erhöhen: Bei Zigaretten lagen wir im<br />
ersten Halbjahr bei 26,2 Prozent, ein Jahr<br />
zuvor waren es 25,6 Prozent. Reemtsma<br />
steht im laufenden Geschäftsjahr besser da<br />
als je zuvor.<br />
Und wie wichtig sind denn nun<br />
Accessoires?<br />
Weniger Raucher, mehr Abgaben<br />
Absatzversteuerter Zigaretten<br />
in Deutschland(in Milliarden Stück,<br />
Veränderungzum Vorjahr)<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
2012<br />
145,1<br />
132,6<br />
111,7<br />
95,8<br />
93,5<br />
91,5<br />
88,0<br />
86,6<br />
83,6<br />
87,6<br />
82,4<br />
Preisaufteilung<br />
einerSchachtel<br />
Zigaretten*2013<br />
Tabaksteuer<br />
2,93 €<br />
Mehrwertsteuer 0,83 €<br />
Hersteller-und<br />
Handelsanteil<br />
*Packung 5,20 Euro für19Stück;<br />
Quelle:DZV,Destatis<br />
–8,6%<br />
–15,8%<br />
–14,2%<br />
–2,4%<br />
–2,1 %<br />
–3,8%<br />
–1,6%<br />
–3,5%<br />
+4,8%<br />
–5,9%<br />
1,44€<br />
Das machen wir nicht. Das ist nicht unser<br />
Geschäft. Unsere Strategie heißt: Total<br />
Tobacco. Darum wird es keine JPS-Powerdrinks<br />
geben und keinen Gauloises-Rotwein.<br />
Die T-Shirts mit den Schriftzügen unserer<br />
Marken werden nur für unsere Leute<br />
an den Promotion-Ständen gemacht.<br />
Philip Morris ist in Deutschlands Branchenführer<br />
mit einem Marktanteil von rund 30<br />
Prozent, BAT kommt auf ungefähr 20 Prozent.<br />
Und Reemtsma hatte 2011 bereits<br />
26,6 Prozent, also 0,4 Prozentpunkte mehr<br />
als derzeit. Nur eine minimale Änderung.<br />
Auch kleine Veränderungen der Marktanteile<br />
zählen. Unsere Hauptmarken JPS<br />
und Gauloises wachsen deutlich. Und<br />
zusatzfreie Zigaretten scheinen sich als<br />
Segment zu etablieren: JPS Just und Gauloises<br />
frei von Zusätzen laufen sehr gut.<br />
Wo wächst Reemtsma am stärksten?<br />
Die osteuropäischen Märkte wachsen zwar<br />
immer noch stärker als die westeuropäischen,<br />
aber nicht mehr mit der Dynamik<br />
wie früher. Der deutsche Markt ist leicht<br />
rückläufig, aber für die gesamte Gruppe<br />
der zweitwichtigste nach Großbritannien,<br />
gemessen an der Profitabilität.<br />
Rund 200 Millionen Euro steckt die<br />
Tabakindustrie in Deutschland jährlich in<br />
die Werbung. Wie viel geben Sie aus?<br />
Solche Zahlen veröffentlichen wir nicht.<br />
Wir setzen auf Plakatwerbung und werben<br />
dort, wo Zigaretten verkauft werden, wo<br />
wir direkt an den Verbraucher rangehen<br />
können, also am sogenannten Point of<br />
Sale. Auf Kinowerbung verzichten wir. Da<br />
stimmt für uns das Verhältnis zwischen<br />
Kosten und Nutzen nicht.<br />
Nach der geplanten Verschärfung der<br />
Tabakrichtlinie sind künftig kaum noch<br />
Zusatzstoffe in Zigaretten erlaubt. Ändert<br />
sich dann der Geschmack?<br />
Der Geschmack einer Zigarette ist abhängig<br />
von der Tabaksorte und davon, wo und<br />
wann sie geerntet wurde. Wir müssen dafür<br />
sorgen, dass trotzdem jede Marke stets<br />
ihren typischen Geschmack behält. Da<br />
kommt die Wissenschaft der sogenannten<br />
Blender ins Spiel: Sie sorgen dafür, dass eine<br />
Davidoff auch nach einer neuen Ernte<br />
wie eine Davidoff schmeckt. Künftig bleiben<br />
nur noch die Basics des Blendens: Tabak<br />
unterschiedlicher Sorten und Ernten<br />
so zu mischen, bis der Geschmack stimmt.<br />
In diesem Jahr sind Zigaretten schon<br />
wieder teurer geworden. Wann kommt die<br />
nächste Preiserhöhung?<br />
Klar ist, die nächste Steuererhöhung wird<br />
es zu Anfang des nächsten Jahres geben. n<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
FOTO: STEFAN KRÖGER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
64 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte | Dossier<br />
Vorbilder<br />
Querdenken und<br />
anstrengen<br />
Festge, der Arzt und Kaufmann,<br />
brauchte nicht in die<br />
weite Welt zu schauen, um<br />
Vorbilder für beide Professionen<br />
zu finden: Sein Onkel<br />
war ein selbstständiger Chirurg.<br />
Was in der BRD nichts<br />
Ungewöhnliches war, war es<br />
aber in Meißen in der DDR<br />
zu des Onkels Zeiten: Der<br />
Mediziner schaffte es ohne<br />
Parteizugehörigkeit in der<br />
Planwirtschaft bis ans Le-<br />
Verbunden Festge als Dreijähriger<br />
mit seinem Vater<br />
bensende freischaffend zu<br />
praktizieren. Ihm war wohl<br />
auch das Glück des Tüchtigen<br />
hold: Einst konnte er<br />
den Oberbefehlshaber der<br />
Sowjettruppen heilen. Der<br />
Chirurg begeisterte seinen<br />
Neffen für die Medizin.<br />
Aber auch das Unternehmertum<br />
liegt Festge in den<br />
Genen. Seine Eltern betrieben<br />
eine kleine Druckerei,<br />
aufgebaut mit Durchhaltewillen<br />
vom Vater. Der war<br />
noch angeschlagen von der<br />
Kriegsgefangenschaft, aber<br />
beseelt vom Wunsch nach<br />
Selbstständigkeit.<br />
Festge junior verband die<br />
familiären Erbteile: Er betreibt<br />
nebenbei auch noch<br />
eine Firma für Medizintechnik,<br />
die einen neuen Gebärstuhl<br />
entwickelt hat.<br />
Der Präsident<br />
Unternehmer Festge<br />
soll die Position<br />
des VDMA stärken<br />
Klare Kante aus Westfalen<br />
VDMA | Führungswechsel im einflussreichen Verband der deutschen<br />
Maschinen- und Anlagebauer – wie tickt der neue Präsident Reinhold Festge?<br />
Die nötige Statur hat er: groß und kräftig wie aus<br />
dem Westfalen-Bilderbuch, durchsetzungsfreudig,<br />
konservativ und auslandserfahren. All das<br />
sollte dem Unternehmer aus Oelde/Westfalen<br />
als neuem Cheflobbyisten der Maschinenbauer<br />
in Berlin nutzen. Auch dass seine Branche gern<br />
als Zierde deutscher Ingenieurkunst und Rückgrat<br />
der Wirtschaft umgarnt wird, öffnet dem<br />
67-Jährigen Türen: Von den Einflüsterqualitäten<br />
des VDMA träumen andere Lobbyisten nur.<br />
Der promovierte Mediziner Festge heiratete<br />
einst eine Unternehmertochter, sattelte ein<br />
BWL-Studium obendrauf und stieg in den<br />
schwiegerväterlichen Betrieb ein, die 125 Jahre<br />
alte Drahtweberei und Maschinenfabrik Haver &<br />
Boecker. Die Leitung des Unternehmens mit<br />
2700 Mitarbeitern und 402 Millionen Euro Umsatz<br />
übernimmt zum Jahresende Festges Sohn.<br />
Da passt es gut, dass der turnusmäßige Präsidentenwechsel<br />
im VDMA ansteht und es keinen<br />
Gegenkandidaten gibt. Jetzt soll Festge die rund<br />
3000 Maschinenbauer noch besser in Berlin<br />
verdrahten, demnächst dann an der Seite eines<br />
ebenfalls neu zu wählenden Hauptgeschäftsführers.<br />
Der neue Präsident wird sich <strong>dabei</strong> wohl<br />
nicht – wie es bei anderen Verbänden Usus ist –<br />
auf die Rolle als Grüß-Gott-August beschränken.<br />
anke.henrich@wiwo.de<br />
FOTOS: JÜRGEN REHRMANN, PR (3), ALIMDI.NET/INGO SCHLUZ<br />
66 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Vorlieben<br />
Voller Einsatz, immer<br />
Viel Zeit für Leidenschaften<br />
bleibt Festge nicht. Erst kommt<br />
die Pflicht, dann das Vergnügen.<br />
Aber vielleicht ist ihm<br />
auch die Pflicht das Vergnügen?<br />
Festges Erkenntnis: „Im<br />
Krankenhaus bemerkte ich,<br />
dass an interessantere Fälle<br />
kam, wer länger arbeitete als<br />
andere. Das ist im Unternehmen<br />
heute auch so. Wenn Sie<br />
länger da sind, machen Sie<br />
mehr und sind schneller als die<br />
Konkurrenz.“ Er scheint es<br />
nicht überzogen zu haben: Beide<br />
Söhne konnte er auf Haver<br />
& Boecker einschwören. Ende<br />
des Jahres übernimmt der Ältere<br />
das Ruder.<br />
Auszeiten, dem Unternehmer<br />
Festge vom Mediziner Festge<br />
dringend angeraten, gönnt er<br />
Route 66<br />
Festge (rechts) mit<br />
Sohn Florian (links)<br />
und einem Freund<br />
sich beim Motorradfahren,<br />
Fotografieren und beim Bayreuth-Besuch.<br />
Nur mit einer<br />
Leidenschaft hadert er:<br />
„Ich esse und trinke so gerne.“<br />
Stärken und<br />
Schwächen<br />
Kurze Zündschnur<br />
Sagt der Chef: „Wenn Sie<br />
Probleme haben, helfe ich<br />
Ihnen“, dann hilft der Chef.<br />
Das wissen Festges Mitarbeiter<br />
im westfälischen Oelde.<br />
Und das gilt auch, wenn es<br />
nicht am Arbeitsplatz, sondern<br />
privat oder gesundheitlich<br />
brennt. Da ist Festge ein<br />
Patriarch guter Schule mit<br />
einem Ruf als Menschenfreund.<br />
Haver & Boecker<br />
Freund und Feind<br />
Soziale Ader<br />
Das Wort Unternehmer<br />
kommt vom Verb etwas unternehmen.<br />
Und wer etwas<br />
unternimmt, tritt zwangsläufig<br />
der Konkurrenz vors Knie.<br />
Trotzdem hat es der ungeduldige,<br />
willensstarke Festge geschafft,<br />
offensichtlich mehrheitlich<br />
Freunde zu haben.<br />
Wohin man hört, alle rühmen<br />
seine soziale Ader und können<br />
dafür auch handfeste<br />
Belege liefern. Als einen Kirchgänger<br />
bezeichnet er sich<br />
selbst nicht und lebt christliche<br />
Werte doch mehr als<br />
mancher, der sich ihrer rühmt.<br />
Das rechnen ihm selbst die<br />
Gewerkschafter im eigenen<br />
Unternehmen an.<br />
Seine persönlichen<br />
Freunde stammen aus<br />
alten Zeiten bis hin zu<br />
VDMA-Touren in<br />
Aus berufenem Mund<br />
In der Bibel<br />
steckt viel Kluges –<br />
auch für Festge<br />
den Siebzigerjahren ins wilde<br />
Laos und Kambodscha.<br />
Festges Gegner dagegen kommen<br />
kaum aus der Deckung.<br />
Dabei praktiziert auch der<br />
Westfale die Einsicht, dass<br />
Geschäftsfreunde nicht lebenslänglich<br />
solche bleiben<br />
müssen. Er jagt sie zwar nicht<br />
vom Hof, aber er betrachtet<br />
sie anschließend als Konkurrenten<br />
und behandelt sie danach<br />
auch genau so.<br />
Auf Nachfrage bringt der<br />
bibelfeste Festge seine Sicht<br />
auf Freund und Feind so auf<br />
den Punkt:<br />
„ Wer nicht für mich ist,<br />
ist gegen mich“<br />
Lukasevangelium 11, 23.<br />
Ziele und<br />
Visionen<br />
Grenzen für den Staat<br />
Der deutsche Mittelstand gilt<br />
weltweit als Erfolgsmodell,<br />
darin der Maschinenbau als<br />
innovative Vorzeigebranche.<br />
Die Ausgangsbasis für einen<br />
neuen VDMA-Präsidenten<br />
könnte kaum besser sein.<br />
Doch Harmonie ist nicht der<br />
bevorzugte Zustand des Antreibers<br />
Festge. Das größte<br />
Problem hat er in Berlin verortet.<br />
Der staatliche Einfluss<br />
auf Unternehmensentscheidungen<br />
sei zu groß: „In der<br />
Politik entscheiden zu viele<br />
Leute, die ihr Handwerk<br />
nicht verstehen. Die sehen<br />
den Mittelstand nur als Steuerzahler.“<br />
Überflüssige Auflagen<br />
gilt es für Präsident<br />
Festge im Vorfeld zu verhindern.<br />
Zudem kritisiert er:<br />
„Bei der Energiewende hat<br />
ein naiv handelnder Staat<br />
Fehler gemacht und mit<br />
seiner Subventionspolitik<br />
Volksvermögen vernichtet.“<br />
Cherchez la femme Unterstützung<br />
durch Gattin Susanne<br />
stellt Schwerbehinderte ein,<br />
bildet überdurchschnittlich<br />
viele Lehrlinge aus und<br />
übernimmt sie auch. Wenngleich<br />
eigentlich seine<br />
Ehefrau als stellvertretende<br />
Landrätin für die CDU im<br />
Kreis Warendorf für die<br />
Kommunalpolitik zuständig<br />
ist, beherrscht aber auch der<br />
Unternehmer dank großem<br />
sozialem Engagement allerorten<br />
das Gesellschaftsspiel<br />
von Geben und Nehmen.<br />
Aber klare Kante bekommt<br />
auch ab, wer aus Sicht des<br />
ungeduldigen Chefs Blödsinn<br />
redet. Dann wird Festge<br />
schon mal laut. „Meine<br />
Zündschnur ist ein bisschen<br />
kurz“, gibt er zu, nicht ohne<br />
treuherzig anzufügen :<br />
„Aber dann ist auch alles<br />
wieder gut.“<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 67<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
New Deal<br />
GROUPON | Nach Rabattmanie und Börsendepression steht das<br />
Schnäppchenportal am Scheideweg: Kann das Unternehmen auf<br />
Dauer in der ersten Online-Liga mitspielen?<br />
Der Papier-Deal sorgte für Furore: 64<br />
Rollen Toilettenpapier mit „Schmetterlings-<br />
oder Wellenprägung“ für<br />
17,90 Euro bot das Rabattportal Groupon<br />
seinen Kunden Ende September an.<br />
Schließlich, so befanden die Groupon-<br />
Werbetexter, „sollte man für alle Eventualitäten<br />
immer einen ausreichenden Vorrat in<br />
der Wohnung haben“. Drei Lagen für den<br />
Verkaufserfolg? Wenn Groupon jetzt schon<br />
Klopapier verhökert, müsse so einiges<br />
am Dampfen sein – nur nicht das Geschäft,<br />
spotten frühere Mitarbeiter über die papierene<br />
Offerte.<br />
Tatsächlich stellt sich die Frage, wie es<br />
mit Groupon weitergeht, jenem Online-Imperium,<br />
das innerhalb weniger Jahre von<br />
einer Chicagoer Hinterhofbude zum milliardenschweren<br />
Konzern avancierte, eine<br />
millionenfache Fangemeinde erobert und<br />
einen weltweiten Rabattrausch im Internet<br />
entfacht hat, um anschließend in eine nicht<br />
minder spektakuläre Krise zu geraten.<br />
Dabei schien sich die Groupon-Story<br />
nahtlos in die Riege der Online-Erfolgsgeschichten<br />
von Google, Facebook oder<br />
Amazon einzureihen. Händler, Gastronomen<br />
und Dienstleister können über zeitlich<br />
befristete Rabattangebote – die sogenannten<br />
Deals – neue Kunden gewinnen.<br />
Erstmals bekamen lokale Unternehmen so<br />
eine Marketingplattform im Netz.<br />
Doch im November 2011 sorgte Groupon<br />
mit einem Skandalbörsengang für<br />
weltweite Schlagzeilen. Die Aktien wurden<br />
für 20 Dollar ausgegeben und stiegen vorübergehend<br />
auf 31 Dollar. Ein Jahr später<br />
notierte die Aktie unter vier Dollar. Denn<br />
die Geschäfte brachen ein, das Unternehmen<br />
stürzte in ein Führungschaos, selbst<br />
Gründer Andrew Mason musste den Chefposten<br />
räumen.<br />
Nun, nach Rabattmanie und Deal-Depression,<br />
beginnt die entscheidende Phase.<br />
Kann Groupon auf Dauer in der ersten<br />
Online-Liga mitspielen, oder ist dem Portal<br />
das Schicksal der Digitalwelt Second Life<br />
und der mittlerweile abgeschalteten Suchmaschine<br />
Altavista beschieden – erst gefeiert,<br />
dann vergessen? Der deutschen Grou-<br />
pon-Dependance kommt <strong>dabei</strong> besondere<br />
Bedeutung zu. Denn von Berlin aus steuerte<br />
das Management jahrelang Groupons<br />
internationale Expansion. Zugleich treten<br />
wohl nirgendwo sonst die Schwächen des<br />
Geschäftsmodells stärker zutage, haben<br />
die Sünden der Vergangenheit gravierendere<br />
Auswirkungen als in Deutschland.<br />
STETER BEDEUTUNGSVERLUST<br />
Emanuel Stehle wirkt auf den ersten Blick,<br />
als käme er gerade vom Fotoshooting für<br />
den jüngsten Fitnessstudio-Deal: 1,90 Meter<br />
groß, welliges Haar, Drei-Tage-Bart. Unter<br />
dem Sakko trägt er ein T-Shirt mit dem<br />
Aufdruck: The Local Firm. Das Shirt habe<br />
er kürzlich in einem Shop im Berliner Bezirk<br />
Prenzlauer Berg gekauft, weil es perfekt<br />
zu seinem Job passe, sagt Stehle.<br />
Aktien-Info Groupon<br />
ISIN US3994731079<br />
200<br />
Groupon<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
10<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
2012 2013<br />
Umsatz 2012 (in Mrd. $)<br />
Jahresfehlbetrag 2012 (in Mio. $)<br />
Internationale Präsenz<br />
Aktive Kunden weltweit (in Mio.)<br />
Mitarbeiter<br />
Börsenkurs (Stand 14.10.2013, in $)<br />
Börsenwert (in Mrd. $)<br />
KGV (2013)<br />
Index: 4. November 2011=100;<br />
Quelle: FactSet, Unternehmensangaben<br />
S&P500<br />
2,3<br />
–67,4<br />
48 Länder<br />
42,6<br />
11 000<br />
11,12<br />
7,37<br />
90,4<br />
Hoch<br />
Die positive Kurstendenz sollte noch etwas länger<br />
anhalten. Das Risiko für Anleger ist allerdings immer<br />
noch hoch.<br />
Er ist seit Ende Juli als Deutschland-Chef<br />
des Rabattportals dafür verantwortlich,<br />
dass jeden Tag reihenweise schmissig betexte<br />
Angebote von Restaurants und Cafés,<br />
Wellnessoasen und Zahnkliniken via Facebook<br />
oder E-Mail-Newsletter ihren Weg zu<br />
den Kunden finden. Eine heikle Mission,<br />
denn Stehle kämpft an allen Fronten.<br />
Sein vorrangiges Ziel: Er muss dafür sorgen,<br />
dass Groupon auf dem wichtigsten<br />
europäischen Markt endlich schwarze<br />
Zahlen schreibt. Seit 2010 hat die deutsche<br />
Dependance Verluste von insgesamt mehr<br />
als 60 Millionen Euro angehäuft, geht aus<br />
den Jahresabschlüssen hervor. Das Portal<br />
dürfte 2012 in Deutschland rund 80 Millionen<br />
Euro umgesetzt haben, schätzen Insider.<br />
Für 2013 hat die Geschäftsführung<br />
einen „niedrigen einstelligen Millionengewinn“<br />
versprochen.<br />
Wird der verfehlt, droht neues Ungemach<br />
aus der Zentrale in Chicago. Gleich<br />
mehrfach wurde schon das deutsche Management<br />
ausgetauscht. Nebenher wanderten<br />
frühere Kernaufgaben wie das Online-Marketing<br />
von Berlin ins irische Dublin<br />
ab. Ehemalige Führungskräfte konstatieren<br />
einen „steten Bedeutungsverlust“<br />
des Berliner Büros – vom Treiber der internationalen<br />
Expansion zum schwächelnden<br />
Ableger. „Die Rolle des Berliner Standorts<br />
hat sich nicht groß verändert“, sagt dagegen<br />
Stehle. Die deutsche Landesgesellschaft<br />
sei „immer noch deutlich mehr als<br />
ein reines Verkaufsanhängsel“.<br />
Um diese Position zu halten, muss Stehle<br />
trotz des Kostendrucks den Vertrieb ankurbeln,<br />
vor allem aber zusätzliche Services<br />
und Technologien integrieren, um nicht<br />
von Wettbewerbern abgehängt zu werden.<br />
Denn zu lange hat sich an der Technikfront<br />
bei Groupon nichts getan.<br />
So erhalten mehrere Millionen Kunden<br />
zwar allmorgendlich die Werbenewsletter<br />
des Unternehmens. Doch bisher hat es<br />
Stehles Truppe nicht geschafft, diesen Datenschatz<br />
auch nur ansatzweise zu heben.<br />
Während Amazon etwa auf Basis<br />
früherer Käufe und Produktsuchen eines<br />
Kunden gezieltes E-Mail-Marketing betreibt<br />
und möglichst passgenaue Angebote<br />
herausfiltert, wird bei Groupon stets<br />
der komplette E-Mail-Verteiler angeworfen.<br />
Statt Autofahrern die gerade einen<br />
Werkstatt-Deal gekauft haben, auch<br />
gleich Mietwagenofferten oder Wagenwäsche-Angebote<br />
ans Herz zu legen,<br />
bekommen sie wie alle Empfänger den<br />
Standard-Mix aus Gastro-, Gesundheitsund<br />
Friseur-Deals.<br />
FOTO: GÖTZ SCHLESER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
68 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Krisen-Jungmanager<br />
Der deutsche Groupon-<br />
Chef Stehle stemmt<br />
sich gegen Millionenverluste:<br />
Für 2013 verspricht<br />
er einen Gewinn<br />
»Wir wollen Reservierungstools<br />
starten und Mails personalisieren«<br />
Auch sonst wurden wichtige Trends<br />
verschlafen. So boomen derzeit Online-<br />
Essensbestellportale. Über eine zentrale<br />
Plattform können hungrige Großstädter<br />
bequem Pizza, Sushi oder Gyros bei Anbietern<br />
aus der Nachbarschaft ordern. Pro vermitteltem<br />
Auftrag bekommt die Bestellplattform<br />
eine Provision. Eigentlich eine<br />
ideale Ergänzung für Groupon. Doch das<br />
Unternehmen überlässt das Geschäft Anbietern<br />
wie Lieferando oder Lieferheld.<br />
DAS HAPPY-HOUR-PRINZIP<br />
Als weitaus gefährlicher für Groupon<br />
könnten sich Online-Reservierungsportale<br />
für die Gastronomie erweisen. Sie kombinieren<br />
einen Reservierungsservice mit<br />
dem Rabattprinzip und koppeln den Nachlass<br />
an bestimmte Zeiten. Soll heißen:<br />
Plant ein Gast etwa ein Essen beim Lieblingsitaliener,<br />
bieten ihm Startups wie das<br />
Lüneburger Portal Resmio nicht nur die<br />
Möglichkeit, per Smartphone oder Computer<br />
einen Tisch zu reservieren, sondern<br />
zeigen auch an, dass es bei einem Restaurantbesuch<br />
um 16 Uhr satte 30 Prozent Rabatt<br />
auf alle Speisen gibt und um 17.30 Uhr<br />
immerhin noch 20 Prozent auf alles.<br />
Gastronomen können so die Auslastung<br />
ihrer Restaurants besser steuern. In Stoßzeiten,<br />
zu denen der Laden brummt, müssen<br />
keine Gutscheinkunden durchgefüttert<br />
werden. Und in Randstunden lockt die<br />
Happy Hour mit günstigeren Angeboten.<br />
Die Bedrohungen haben auch die Groupon-Granden<br />
erkannt. Er arbeite mit<br />
Hochdruck daran „Reservierungstools zu<br />
starten und Mails zu personalisieren“, versichert<br />
Stehle. „Ich hätte das gerne schon<br />
heute.“ Doch neue Ideen würden stets zuerst<br />
in den USA ausprobiert. Was dort funktioniert,<br />
werde global so schnell wie möglich<br />
ausgerollt. Einige Verbesserungen<br />
„wird es in den kommenden Monaten geben,<br />
andere werden länger dauern“, sagt<br />
Stehle. Bleibt Groupon so viel Zeit?<br />
Selbst Groupon-Kritiker verweisen auf<br />
die globale Präsenz und die breite Kundenbasis<br />
sowie die gewaltigen Finanzressourcen<br />
des Konzerns, der über Bargeldreserven<br />
von 1,2 Milliarden Dollar verfügt.<br />
In Deutschland mussten zudem zig<br />
Nachahmerseiten von Groupon, die im<br />
Zuge des Rabattfiebers entstanden waren,<br />
ihre Geschäfte mangels Erfolg einstellen.<br />
Selbst Google beerdigte alle Ambitionen<br />
im Rabattbusiness: Anfang 2013 stießen<br />
die Amerikaner den Groupon-Rivalen<br />
DailyDeal ab, den sie nur ein Jahr zuvor<br />
von den Berliner Gründern Ferry und<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 69<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Fabian Heilemann erworben hatten.<br />
Den Kampf um die Marktführerschaft in<br />
Deutschland hat Groupon klar für sich entschieden<br />
– doch der Preis war hoch. Noch<br />
immer spürt Groupon die Nachwehen der<br />
aggressiven Expansionsstrategie.<br />
Außendienstler rückten aus und überzeugten<br />
Geschäftsleute mit teils robusten<br />
Methoden von der Kundenwerbung per<br />
Gutschein. „Das war ganz harter Vertrieb“,<br />
erinnert sich ein ehemaliger Groupon-<br />
Mitarbeiter. Manch unerfahrener Pizzeria-<br />
Betreiber oder Massagestudio-Inhaber<br />
bemerkte denn auch erst, als der verabredete<br />
Deal über die Server rauschte, worauf<br />
er sich eingelassen hatte: Die Telefone<br />
standen nicht mehr still, Gutscheinkunden<br />
blockierten über Wochen Reservierungsund<br />
Terminlisten und nahmen den<br />
Stammkunden die Plätze weg. Fortan<br />
galten Groupon-Kunden vielerorts als<br />
Schnäppchenhopper und Trinkgeldknauser<br />
– und die Deals als Abzockmasche.<br />
„Da wurde viel Erde verbrannt“, räumt<br />
ein früherer Manager des Portals ein. Doch<br />
vor dem Börsengang sei das egal gewesen,<br />
„Hauptsache Umsatz kam rein“. Entsprechend<br />
allergisch reagieren heute viele Gastronomen,<br />
wenn sich der freundliche<br />
Groupon-Berater meldet und fragt, wie es<br />
mit einem neuen Deal aussieht.<br />
Teilweise war den Partnern nicht ausreichend<br />
erklärt worden, dass Groupon-Aktionen<br />
in der Regel keinen Sofortgewinn<br />
abwerfen, sondern primär Marketinginvestitionen<br />
sind, um langfristig Neukunden<br />
zu gewinnen. Teils wurden einfach die<br />
Deal-Kontingente zu hoch angesetzt.<br />
Nicht nur Gutscheine, auch Töpfe und<br />
Uhren Groupon-Verkäufertruppe in Berlin<br />
Allerdings sehen auch viele Konsumenten<br />
das Rabattportal skeptisch, zeigt der<br />
BrandIndex des Kölner Marktforschers<br />
Yougov. Über das Tool lässt sich die Wahrnehmung<br />
von Marken messen. Das Resultat:<br />
„Nach anfänglich positiven Imagewerten<br />
in Deutschland sackte das Image der<br />
Marke Groupon vor einem guten Jahr deutlich<br />
in den negativen Bereich“, sagt Yougov-<br />
Experte Markus Braun. Damals sorgten kritische<br />
Berichte über das Geschäftsmodell<br />
für Schlagzeilen. Erst in den letzten Wochen<br />
ging es wieder leicht nach oben. „In<br />
den USA erreicht Groupon grundsätzlich<br />
deutlich bessere Imagewerte“, so Braun.<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
DEN NUTZEN MESSEN<br />
Zudem dürften nicht nur die Kosten und<br />
Einnahmen für einen konkreten Deal – etwa<br />
ein Steak-Menü – betrachtet werden,<br />
argumentiert Stehle. So kämen die Gutscheinkunden<br />
oft gemeinsam mit Freunden<br />
ohne Coupon ins Lokal, und spätestens<br />
beim zweiten – dann unrabattierten –<br />
Besuch eines zufriedenen Gastes lohne<br />
sich der Einsatz ohnehin.<br />
Nur:Wie erfolgreich eine Coupon-Aktion<br />
inklusive aller Zusatz- und Anschlusseinnahmen<br />
wirklich ist, können die Partner<br />
bisher bestenfalls erahnen. Auch das will<br />
Stehle ändern und hofft zu einer Art<br />
„McKinsey für lokale Anbieter“ zu werden.<br />
Die Partnerunternehmen sollen über<br />
Analysetools künftig messen können, wie<br />
hoch der Durchschnittsbon ihrer Groupon-<br />
Kunden ausfällt und was die Schnäppchenjäger<br />
zusätzlich konsumiert haben.<br />
70 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Ohnehin wirkt der Konzern fast zweigeteilt,<br />
seit Eric Lefkofsky im März den Chefsessel<br />
von Mitgründer Mason übernahm.<br />
Während die Umsätze in Nordamerika im<br />
zweiten Quartal um 45 Prozent stiegen,<br />
brachen sie in Europa, Nahost und Afrika<br />
um 24 Prozent ein. Grund ist die Konzentration<br />
auf den Kernmarkt USA.<br />
Bei den Anlegern kommt das an: Seit<br />
Lefkofskys Antritt hat sich der Börsenwert<br />
auf 6,3 Milliarden Dollar verdoppelt. Sein<br />
extrovertierter Vorgänger, der einst Gagschreiber<br />
anheuerte, um die Gutscheine<br />
flotter zu bewerben, kühlt derweil seine<br />
Wunden in San Francisco als Sänger und<br />
Texter. Im Juli veröffentlichte Mason sein<br />
Rockalbum „Hardly Workin’“ – sinngemäß<br />
übersetzt „Kaum gearbeitet“.<br />
Lefkofsky, dessen Vermögen vom US-<br />
Magazin „Forbes“ auf knapp 1,1 Milliarden<br />
Dollar taxiert wird, hat derweil eine Art<br />
New Deal für Groupon ausgerufen. Der<br />
Auf6,3 Milliarden<br />
Dollar verdoppelte sich der<br />
Börsenwert von Groupon,<br />
seitdem Eric Lefkofsky die<br />
US-Zentrale führt<br />
ehemalige Anwalt, der einst das Startkapital<br />
bereitstellte und mit rund 20 Prozent<br />
größter Einzelaktionär ist, will das<br />
Gutscheinimperium zu einem weltweit<br />
operierenden Online-Händler und Vermarkter<br />
umwandeln, der es mit Amazon<br />
oder Ebay aufnehmen kann. Auch ins Geschäft<br />
mit Online-Bezahldiensten expandiert<br />
er und will so der Ebay-Sparte Paypal<br />
sowie dem aufstrebenden Zahlungsdienstleister<br />
Square Konkurrenz machen.<br />
Seit Anfang August ist er offiziell CEO,<br />
zuvor hatte Lefkofsky Groupon vorübergehend<br />
gemeinsam mit dem jetzigen Verwaltungsratschef<br />
Ted Leonsis geleitet, einem<br />
in den USA prominenten Medienunternehmer.<br />
„Wir wollen Groupon zu dem<br />
Platz machen, an dem man alles zu jeder<br />
Zeit und überall kaufen kann“, kündigt der<br />
neue CEO an.<br />
BUNTE RESTERAMPE<br />
Im Gegensatz zur etablierten Konkurrenz<br />
zäumt Lefkofsky das Pferd von hinten auf.<br />
Ebay und Amazon haben seit Mitte der<br />
Neunzigerjahre Schritt um Schritt Kunden<br />
gewonnen und Dienste hinzugefügt. Groupon<br />
hat bereits 220 Millionen Abonnenten<br />
in 48 Ländern, die nun zu regelmäßigen<br />
Käufern erzogen werden sollen. Das Unternehmen<br />
bietet ihnen nicht mehr nur Gutscheine<br />
an, sondern zusätzlich immer<br />
mehr klassische Produkte zum Direktkauf.<br />
Die Mischung im Groupon Goods getauften<br />
Geschäftsbereich ist bunt und<br />
mutet an wie ein Elektronikdiscounter mit<br />
angeschlossener Resterampe. Von herabgesetzten<br />
Panasonic-Digitalkameras und<br />
Toshiba-Laptops bis zu Kautschuk-Matratzen,<br />
Kochgeschirr, Uhren und Herrendüften<br />
erstreckt sich das Sortiment.<br />
Beim Wachstum geht diese Strategie auf.<br />
Vor allem in Nordamerika wurden die direkten<br />
Verkäufe vorangetrieben, die den<br />
Rückgang im Gutscheingeschäft auswetzen.<br />
Die Kehrseite sind die Gewinnmargen,<br />
die beim Produktverkauf im Gegensatz<br />
zu den Gutscheinen viel geringer sind.<br />
Bei Letzteren kassiert Groupon zumindest<br />
bei kleineren, regionalen Kunden 50 Prozent<br />
des Deal-Preises, bei großen Ketten<br />
dürfte die Marge niedriger liegen.<br />
Und das Risiko ist höher. Während Lefkofsky<br />
bei Reiseangeboten mit gestandenen<br />
Vermarktern wie Expedia kooperiert,<br />
kauft das Unternehmen einige der physischen<br />
Produkte selbst ein und läuft Gefahr,<br />
auf Restbeständen sitzenzubleiben und<br />
diese unter Einkaufspreis verramschen zu<br />
müssen.<br />
Dennoch treibt Lefkofsky den Ausbau<br />
der Sparte voran – nicht nur in den USA. So<br />
verkloppt Groupon neuerdings auch in<br />
Deutschland Kaffeekapseln, Matratzen<br />
und gerne auch mal Produkte des täglichen<br />
Bedarfs – etwa Klopapier mit<br />
„Schmetterlings- oder Wellenprägung“. n<br />
henryk.hielscher@wiwo.de,<br />
matthias hohensee | Silicon Valley<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 71<br />
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Technik&Wissen<br />
Der Stahl der Zukunft<br />
BAUEN | Bestickte Dächer und Textil- statt Stahlbeton – das klingt nach einem Witz.<br />
Tatsächlich aber steckt viel mehr Stoff in Bauwerken als in Kleidern. Er repariert<br />
Brücken, produziert Strom, speichert Wärme und verhindert, dass Gebäude bei Erdbeben<br />
einstürzen. Sechs überraschende Fakten über Stoff.<br />
Vielleicht sind Textilien das in<br />
der breiten Öffentlichkeit am<br />
meisten unterschätzte Material<br />
überhaupt. Bei dem Stichwort<br />
denken die meisten Menschen<br />
nur an Jeans, Hemden und vielleicht Tischdecken.<br />
Wer aber dächte an Brücken oder<br />
gigantische Stadiondächer, die ohne neuartige<br />
Gewebe nicht möglich wären?<br />
Mehr als 50 Prozent des Umsatzes der<br />
deutschen Textilbranche stammen bereits<br />
aus dem Geschäft mit sogenannten technischen<br />
Textilien. Und das war nur der Anfang.<br />
Bald schon sollen Textilien Häuser<br />
erdbebensicher machen, Straßen zusammenhalten<br />
und sogar vor einstürzenden<br />
Dächern warnen.<br />
An einer solchen Technik arbeitet das<br />
Familienunternehmen Dietrich Wetzel aus<br />
Plauen, das seit Generationen <strong>Geld</strong> mit Stickereien<br />
für Tischdecken oder Gardinen<br />
verdient. Die neueste Erfindung des Unternehmens<br />
ist ein Glasfaserflicken, der kaum<br />
dicker als eine Tischdecke ist.<br />
Dieser High-Tech-Lappen ist in der Lage,<br />
Leben zu retten. Denn er kann millimetergenau<br />
messen, wie stark sich Hallendächer<br />
im Winter unter der Schneelast verbiegen.<br />
Möglich machen das in den Flicken eingewebte<br />
Sensorfasern. „Bisher entscheiden<br />
Gebäudebesitzer meist aus dem Bauch,<br />
wann Schnee abgeschaufelt werden muss“,<br />
sagt Marco Wetzel, Co-Geschäftsführer des<br />
sächsischen Mittelständlers.<br />
Mitunter zu spät – und mit dramatischen<br />
Folgen. Wie im Januar 2006, als die hölzernen<br />
Träger des Daches einer Eishalle in<br />
Bad Reichenhall unter der Last nachgaben.<br />
15 Menschen starben. Auf dem Dach der<br />
Plauener Sternquell-Brauerei überwachen<br />
daher nun drei von Wetzels Spezialflicken<br />
die Last. Einmal schlugen sie seither Alarm<br />
und verhinderten womöglich eine Katastrophe.<br />
Das mit speziellen Mustern bestickte<br />
Gewebe misst anhand des durch die<br />
Glasfasern geleiteten Lichts, wie stark sich<br />
das Dach verformt. Dabei sei die Technik,<br />
bei vergleichbaren Kosten wie für herkömmliche<br />
Sensoren, weniger störanfällig<br />
und akkurater, verspricht Wetzel.<br />
Feines Stöffchen Spezialgewebe misst<br />
millimetergenau wie sich Dächer unter Last<br />
durchbiegen und warnt vor Einsturzgefahr<br />
85 Prozent weniger<br />
Zement benötigen<br />
Brücken aus Textilbeton<br />
Fünf Mal stärker<br />
als Stahl stabilisieren<br />
Karbonfasern die Bauten<br />
Die Sensorstickereien aus dem sächsischen<br />
Südwesten sind nur ein Beispiel dafür,<br />
wie radikal Spezialgarne, -fasern und<br />
-gewebe gerade <strong>dabei</strong> sind, Konstruktion<br />
und Bau von Häusern, Brücken, Maschinen,<br />
ja sogar Autos und Flugzeugen zu verändern.<br />
Fast unbemerkt haben sich Stoffe<br />
immer neue Einsatzfelder erobert: Heute<br />
machen technische Textilien nicht nur Autos<br />
sparsamer und Flugzeuge leichter oder<br />
produzieren Strom. Sie dämmen auch,<br />
speichern Wärme, bringen Licht in dunkle<br />
Räume und machen Häuser oder Brücken<br />
einsturzsicher.<br />
SO WICHTIG WIE STAHL<br />
Klar ist: Künftig wird kaum ein Ingenieur<br />
mehr auf die jahrhundertealte Tradition<br />
des Nähens, Schneiderns, Webens und<br />
Wirkens verzichten können. Allein in<br />
Deutschland wuchs der Umsatz mit technischen<br />
Textilien seit 2008 jährlich um<br />
durchschnittlich 15 Prozent – auf zuletzt<br />
2,6 Milliarden Euro.<br />
Flugzeugbauer wie Boeing und Airbus,<br />
Autohersteller wie BMW, aber auch Baukonzerne<br />
wie Bilfinger nutzen die modernen<br />
Textilien bereits für viele ihrer Produkte.<br />
Hersteller von Windrädern lassen aus<br />
dem Material auf Spezialmaschinen bis zu<br />
70 Meter lange Rotorblätter entstehen.<br />
Statt herkömmlicher Baumwoll- oder<br />
Polyestergarne aber sind es nun High-<br />
Tech-Materialien wie Glas- und Karbonfasern,<br />
aus denen die Stoffe für den Bau bestehen.<br />
„Gewebe aus Karbonfasern kann<br />
zum Stahl des 21. Jahrhunderts werden“,<br />
glaubt Wolf-Rüdiger Baumann, Hauptgeschäftsführer<br />
beim Gesamtverband der<br />
deutschen Textil- und Modeindustrie.<br />
FOTOS: GROTZ-BECKERT, DIETRICH WETZEL KG<br />
72 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Graziler Bau<br />
Fußgängerbrücke aus<br />
Textilbeton in Albstadt<br />
Denn die Bau-Stoffe sind robuster und<br />
reißfester als Metall und leichter dazu. Und<br />
überall helfen die High-Tech-Textilien, Probleme<br />
zu lösen.<br />
PFLASTER FÜR BRÜCKEN<br />
Das neue Material kann gar als eine Art<br />
überdimensioniertes Pflaster für rissige<br />
Brücken dienen. Ein solches Projekt verfolgt<br />
Manfred Curbach von der Technischen<br />
Universität Dresden. Er hofft, so die<br />
Lebenszeit vieler beschädigter Brücken<br />
verlängern zu können. In vielen Fällen ist<br />
deren Stahlbeton nach drei bis vier Jahrzehnten<br />
in einem besorgniserregenden<br />
Zustand. Die Schäden will die Bundesregierung<br />
nun mit sieben Milliarden Euro flicken.<br />
Viel zu wenig, warnen Experten.<br />
Ingenieur Curbach verfolgt deshalb einen<br />
radikal anderen und – wie er hofft –<br />
günstigeren Ansatz: Er baut auf Stoff.<br />
Das Material, das die Rettung ermöglichen<br />
soll, heißt Textilbeton. Statt herkömmlicher<br />
Stahlträger stecken darin<br />
hauchdünne, gitterartige Geflechte aus<br />
Karbongarn, jedes nur ein bis zwei Millimeter<br />
stark. Und doch verleihen sie dem<br />
Beton enorme Festigkeit.<br />
Denn Karbonfasern sind fünf Mal stärker<br />
als Stahl. Und weil sie nicht rosten, muss<br />
sie auch keine dicke Betonschicht schützen.<br />
Zwei bis drei Zentimeter dick ist Textilbeton<br />
deshalb nur. Auf Brücken aufgetragen,<br />
kittet er Risse und verbessert die Stabilität,<br />
erhöht aber das Gewicht des Bauwerks<br />
nur minimal. „Mit einer dünnen<br />
Schicht Textilbeton, die wir wie ein Pflaster<br />
auf eine Wunde kleben, können wir wahrscheinlich<br />
80 Prozent der alten Brücken<br />
retten“, sagt Curbach.<br />
Bei zwei Kaufhäusern in Prag und Konstanz<br />
ist der textile Beton schon im Ein-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 73<br />
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Technik&Wissen<br />
Harter Ball Flexible Tanks aus druckverstärkten Spezialgeweben<br />
können schwere Stahltanks in Biogasanlagen ersetzen<br />
Globale Großbauten In Deutschland genähte Stoffkonstruktionen<br />
bedecken und umspannen Stadien der Fußball-WM in Brasilien<br />
»<br />
satz. Ob sich die Erkenntnisse auf Autobahnen<br />
übertragen lassen, prüft der Forscher<br />
gerade. In einem Versuch drückt dafür<br />
eine Maschine in einem Dresdner Labor<br />
mit einem Klotz zig Millionen Mal auf<br />
eine Platte aus Textilbeton – analog zum<br />
Verkehrsstrom, der anschwillt und abebbt.<br />
Bisher hält die Konstruktion.<br />
Textilbeton könnte herkömmlichen Beton<br />
auf Dauer sogar komplett ersetzen. Das<br />
glauben jedenfalls Experten wie Udityasinh<br />
Gohil vom Institut für Textiltechnik<br />
der RWTH Aachen. „Die Technik hat nur<br />
Vorteile“, sagt der Aachener Forscher. Sein<br />
Institut hat bereits im württembergischen<br />
Albstadt eine 100 Meter lange Fußgängerbrücke<br />
aus dem nur drei Zentimeter dicken<br />
Material errichtet. „Das spart 85 Prozent<br />
Zement und senkt zugleich den Kohlendioxidausstoß<br />
für die Produktion des<br />
Baumaterials um 70 Prozent.“<br />
Und weil das Geflecht zudem unverbaut<br />
viel biegsamer ist als Stahl, können Architekten<br />
damit geschwungene und gewölbte<br />
Bauten entwerfen, die elegant und leicht<br />
anmuten.<br />
ERDBEBENSICHERE TAPETE<br />
Leicht und stabil – das soll nicht nur für<br />
Straßen und Brücken gelten. Wie Spezialfasern<br />
auch Häusern zusätzliche, teils lebensrettende<br />
Stabilität verleihen können,<br />
das erforscht Lothar Stempniewski vom<br />
Karlsruher Institut für Technologie.<br />
Als der Bauingenieur 2009 die Bilder des<br />
Erdbebens im italienischen L’Aquila sah,<br />
kam ihm die Idee eines Geflechts aus Glasund<br />
Kunstfasern: Mit Mörtel vermischt<br />
und wie Bandagen um Häuser gewickelt,<br />
kann es sie vor dem Einsturz bewahren<br />
oder ihn deutlich verzögern. „So können<br />
wir den Menschen Zeit geben, ins Freie zu<br />
flüchten“, sagt Stempniewski.<br />
Dass das mehr ist, als Spinnerei eines Faserfetischisten,<br />
haben Bauingenieure der<br />
Universität Padua in Tests an Mauern mit<br />
und ohne Erdbebenbandage getestet.<br />
Während reine Ziegel-Mörtel-Konstruktionen<br />
nachgaben, bröckelte mit Bandage<br />
zwar der Putz, und es bildeten sich Risse –<br />
aber die Mauer hielt. Das bandagierte Bauwerk<br />
widerstand dreimal größeren Kräften,<br />
weil bei einem Beben die Glasfasern reißen<br />
und einen Teil der Naturgewalt abfangen.<br />
Die Kunststofffäden dagegen dehnen sich<br />
um bis zu 40 Prozent und halten die Wände<br />
wie ein Spinnennetz zusammen.<br />
Seit Januar 2013 bietet der italienische<br />
Baustoffproduzent Röfix den Stoff gegen<br />
Erdbeben an. Bauherren und Besitzer bestehender<br />
Häuser können das Gewebe wie<br />
eine Schicht Putz aufs Mauerwerk auftragen.<br />
Schon zwei Monate zuvor hatten die<br />
Karlsruher Forscher mit der Leverkusener<br />
Bayer MaterialScience eine Tapete gegen<br />
Stoffverstärkte<br />
Bauten widerstanden<br />
dreimal<br />
heftigeren Beben<br />
Erdbebenschäden für Alt- und Neubauten<br />
vorgestellt. Sie ist weiß, hauchdünn und<br />
widersteht doch Urgewalten, weil sie aus<br />
reißfesten Glasfasern gewebt ist.<br />
Bei all dem ist die Kombination aus Fasern<br />
und Beton in dieser Form keineswegs<br />
mehr die einzige Form des Stoffeinsatzes.<br />
Immer öfter werden sie in das Betongrundgerüst<br />
von Gebäuden integriert, um die<br />
Konstruktion stabiler zu machen, zum Beispiel<br />
bei der Sanierung des Finanzamtes in<br />
Zwickau.<br />
SELBSTREINIGENDE DÄCHER<br />
Auch bei Großbauten wie Fußballstadien<br />
treten die High-Tech-Gewebe zunehmend<br />
mit bisherigen Plastikplanen aus PTFE-<br />
Kunststoff in Konkurrenz, die als Dachkonstruktion<br />
Sonne, Wind oder Regen abhalten.<br />
Dabei veredeln die Entwickler ihre Gewebe<br />
zudem mit Zusatzstoffen wie Titandioxid.<br />
Dank einer chemischen Reaktion lösen<br />
Partikel dieses Minerals Schmutz –<br />
vom Vogeldreck bis zum Schlammspritzer<br />
– mithilfe von Sonnenlicht in Kohlendioxid<br />
und Luft auf. So reinigen sich die Stoffdächer<br />
kurzerhand selbst.<br />
Ganz nebenbei ermöglicht der Wechsel<br />
zum flexiblen Stoff nicht nur neue Designentwürfe.<br />
Er ist auch Grundlage für wahrhaft<br />
globale Geschäfte: So produziert der<br />
niederrheinische Textilspezialist Ceno Tec<br />
neben riesigen Gewebetanks für deutsche<br />
Biogasanlagen auch Dach und Fassade für<br />
das Fußballstadion im brasilianischen<br />
Manaus. „Wir sind ein Schneiderbetrieb“,<br />
sagt Ceno-Tec-Vertriebschef Klaus Gipperich.<br />
Nur arbeitet das Unternehmen nicht<br />
FOTOS: CENO TEC, GMP ARCHITEKTEN, KIT<br />
74 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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mit Schere und Nadel, sondern mit Computern<br />
und automatischen Nähmaschinen.<br />
Die Wahl des Werkstoffs hat gleich zwei<br />
Vorteile. Zum einen lassen sich Dächer aus<br />
Stoff viel schneller fertigen und montieren<br />
als solche aus starren Baustoffen. Vor allem<br />
aber ließen sie sich nicht auf einem anderen<br />
Kontinent fertigen. So aber ist globaler<br />
Hochbau kein Problem: Die deutschen<br />
Hersteller nähen die Stadienhüllen und<br />
verschicken den Stoff gefaltet in 42 Containern<br />
nach Südamerika.<br />
Dort wird das Material, 32 000 Quadratmeter<br />
teflonbeschichtetes Glasfasergewebe,<br />
am Stahlgerüst aufgezogen. Zum Start<br />
der Fußball-WM im Juni 2014 soll es stehen.<br />
Dabei sind die Häuser-Näher vom<br />
Niederrhein nicht die Einzigen, die mit der<br />
Technik vor der WM im Einsatz sind. Auch<br />
bei den Stadiondächern in Rio de Janeiro,<br />
Porto Alegre und Natal fiel die Wahl auf<br />
Stoff. Und wieder kommt er aus Deutschland:<br />
von den Nähmaschinen des Herstellers<br />
Hightex aus Bernau am Chiemsee.<br />
Lebensrettendes Pflaster Gewebebandagen<br />
stützen Bauten in Erdbebengebieten<br />
STROM UND WÄRME AUS FASERN<br />
In Deutschland haben sich Stoff-Dächer<br />
wegen der – bislang – schlechten Wärmedämmung<br />
nicht durchgesetzt. Doch dieses<br />
Manko haben Forscher vom Institut für<br />
Textil- und Verfahrenstechnik in Denkendorf<br />
mittlerweile behoben.<br />
Den Weg zur Lösung wiesen ausgerechnet<br />
Eisbären: Deren Haut erwärmt sich in<br />
der Sonne, weil die durchsichtigen Haare<br />
das Licht zum Körper leiten, gleichzeitig<br />
isoliert der dichte Pelz gegen die Kälte. Zudem<br />
speichern die hohlen Haare die Temperaturen.<br />
Nach dem Prinzip haben die<br />
Denkendorfer Wissenschaftler im Januar<br />
2013 ein erstes stoffgedecktes Haus eingeweiht.<br />
Der Eisbär-Pavillon genannte Bau<br />
sammelt im Sommer so viel Wärme im<br />
Stoffdach, dass er im Winter keine Heizung<br />
mehr braucht.<br />
Mehrere Lagen dunkler Stoff aus Silikon,<br />
Polyester und Glasfasern auf dem Dach<br />
bilden den Sonnenkollektor. Darüber erhitzt<br />
sich die Luft auf bis zu 140 Grad. Die<br />
Hitze wird chemisch in einem Tank gespeichert<br />
und im Winter wieder freigesetzt.<br />
„Die textilen Sonnenkollektoren sind nicht<br />
teurer als herkömmliche Systeme“, versichert<br />
der Denkendorfer Bauingenieur<br />
Thomas Stegmaier. Er möchte die textile<br />
Solarheizung schon in fünf Jahren etwa für<br />
Einfamilienhäuser zur Marktreife bringen.<br />
Und nicht nur Wärme lässt sich mit den<br />
smarten Stoffen erzeugen. Auch Licht.<br />
Möglich macht das ein Mix aus Licht leitenden<br />
Glas- oder Kunststofffasern und<br />
mikroskopisch kleinen Leuchtdioden. Unternehmen<br />
wie der Faserspezialist Bedea<br />
aus Aßlar bei Wetzlar fertigen daraus<br />
leuchtende Vorhänge. Selbst strahlende<br />
Tapeten als Beleuchtung für Hotels oder<br />
Bars ließen sich theoretisch aus dem technischen<br />
Gewebe fertigen. Oder ein leuchtender<br />
Dachhimmel fürs Auto.<br />
Und sogar den benötigten Strom wollen<br />
innovative Entwickler bald mithilfe von<br />
Dächern und Fassaden produzieren. Ro-<br />
INNOVATIONSPREIS<br />
Ideengeber gesucht<br />
Wer sind die innovativsten Unternehmen?<br />
Und wer sind die Köpfe hinter den<br />
Ideen? Diese Fragen beantwortet der<br />
Deutsche Innovationspreis, den die<br />
WirtschaftsWoche mit Accenture und<br />
Evonik ausrichtet. Bewerben können<br />
sich Großunternehmen, Mittelständler<br />
und Startups aller Branchen. Neben<br />
Produktinnovationen zeichnet der Preis<br />
auch Geschäftsmodelle, Dienstleistungen<br />
und Marketinginstrumente aus,<br />
die in Deutschland entwickelt wurden.<br />
Die Gewinner werden auf einer festlichen<br />
Gala in München geehrt. Zudem<br />
porträtiert die WirtschaftsWoche Sieger<br />
und Finalisten im Heft. Bewerben Sie<br />
sich bis zum 31. Oktober unter<br />
www.der-deutsche-innovationspreis.de<br />
bert Mather, Chef des Unternehmens<br />
Power Textiles aus dem schottischen Selkirk,<br />
arbeitet genau daran. Auf Polyestergewebe<br />
haben die Briten eine Aluminiumschicht<br />
sowie eine Schicht leitfähigen<br />
Kunststoff aufgetragen und das Ganze mit<br />
mehreren Lagen Silizium überzogen. Fertig<br />
ist die Fotovoltaikanlage auf Stoff.<br />
Derzeit läuft die Arbeit am Feinschliff.<br />
Mather will die Technik widerstandsfähiger<br />
gegen Wind und Wetter machen und<br />
den Wirkungsgrad verbessern. Aktuell liegt<br />
er erst bei knapp einem Prozent, rund ein<br />
Zehntel handelsüblicher Module. In wenigen<br />
Monaten will Mather aber bereits den<br />
ersten Prototypen mit fünf Prozent Wirkungsgrad<br />
präsentieren.<br />
Gewächshausbetreiber seien bereits an<br />
der Technik interessiert, berichtet er. Mit<br />
textilen Solarkollektoren könnten sie die<br />
Seiten ihrer Bauten versehen und die<br />
Pflanzen mit der am Tag gesammelten<br />
Energie nachts beleuchten. Statt zwei Mal<br />
im Jahr könnten Bauern dann vier Mal ernten.<br />
Ob das Turbogemüse schmeckt, weiß<br />
bisher niemand. Aber Mather staunt noch<br />
immer über die kuriose Idee seiner potenziellen<br />
Kunden.<br />
WIE STEINE IN EINEM BACH<br />
Denn oft ahnen nicht einmal die Erfinder,<br />
was mit ihren Produkten möglich wird. Das<br />
gilt auch für den vogtländischen Familienbetrieb<br />
Wetzel, der mehrere Millionen Euro<br />
in eine neue Fabrik investiert für zwei<br />
neue, je 30 Meter lange Stickmaschinen.<br />
Neben Schneelastsensoren soll dort bald<br />
auch ganz anderes, aber nicht minder elaboriertes<br />
High-Tech-Stickwerk vom Band<br />
laufen: ein Spezialgewebe, aus dem Glasfasern,<br />
ähnlich einem Traktorreifenprofil,<br />
bis zu fünf Millimeter in die Höhe ragen.<br />
Damit könnten Kommunen künftig ihre<br />
Abwasserkanäle auskleiden. Denn weil die<br />
Deutschen immer weniger Wasser verbrauchen,<br />
spült es kaum noch den dort<br />
abgelagerten Schlamm weg.<br />
Statt wie bisher mit Frischwasser spülen<br />
zu müssen, könnten Städte und Gemeinden<br />
auf Stickerei setzen, hofft Unternehmer<br />
Marco Wetzel: „Unser Produkt wirkt<br />
wie Steine im Bach, um die sich Stromschnellen<br />
bilden. Der Schlick wird aufgewirbelt,<br />
und der Kanal reinigt sich auch mit<br />
weniger Wasser selbst.“ Wetzel ist Sticker in<br />
fünfter Generation. Dass seine Familie –<br />
neben Borten und Spitzen – einmal Stoffe<br />
für Dächer und sogar für Abwasserrohre<br />
stickt, hätte er sich nie träumen lassen. n<br />
susanne donner | technik@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 75<br />
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Technik&Wissen<br />
Der Boom der digitalen Börsen<br />
MOBILFUNK | Supermarkt, Hotel, Restaurant – wo immer Kunden heute noch zum <strong>Geld</strong>beutel greifen,<br />
springt künftig das Smartphone ein. Neue Bezahlsysteme machen die Technik endlich alltagstauglich.<br />
Sie ist schwarz, hat im Durchschnitt 30<br />
Euro gekostet und ist des Deutschen<br />
liebstes Utensil: die <strong>Geld</strong>börse, wie<br />
Statistiker sie zusammenstellen würden.<br />
Darin 5,90 Euro in Münzen, 100 Euro in<br />
Scheinen, vier Plastikkarten – je eine von<br />
Hausbank, Krankenversicherung, Bonusprogramm<br />
Payback und einem Kreditkartenanbieter.<br />
Genau dieser <strong>Geld</strong>börse geht es jetzt ans<br />
Leder: 45 Prozent der Deutschen können<br />
sich vorstellen, ganz darauf zu verzichten,<br />
ermittelte der Marktforscher TNS Infratest.<br />
Statt mit Bargeld oder Karte wollen sie lieber<br />
mit ihrem Mobiltelefon bezahlen.<br />
Dass die Vision der Handybrieftasche –<br />
obwohl nicht neu – bisher trotzdem nicht<br />
Realität wurde, lag an einem dreifachen<br />
Mangel im System: Es fehlten geeignete<br />
Kassensysteme in den Läden, passende<br />
Handys bei den Verbrauchern und eine gemeinsame<br />
Strategie von Handel, Banken<br />
und Mobilfunkanbietern.<br />
Das aber ändert sich nun: Jedes dritte<br />
Mobiltelefon, das dieses Jahr auf den Markt<br />
kommt, ist bereits mit einem sogenannten<br />
NFC-Funkchip ausgestattet, mit dem die<br />
Handys Kontakt zu modernen Supermarktkassen<br />
aufnehmen. Gleichzeitig ist<br />
die Zahl dieser Kassenterminals weltweit<br />
schon auf einige Millionen gestiegen, in<br />
Deutschland gibt es sie etwa in Aral-Tankstellen<br />
und McDonald’s-Filialen. Auch<br />
strategisch geht es voran: Die großen Mobilfunker<br />
Telefónica, Vodafone und die<br />
Deutsche Telekom bringen nach Jahren<br />
des Wartens jetzt Smartphone-<strong>Geld</strong>börsen<br />
und arbeiten mit den Kreditkartenriesen<br />
Visa und MasterCard zusammen.<br />
Dazu kommen neue Anbieter aus anderen<br />
Branchen, die den Markt entwickeln;<br />
darunter der vom Handelskonzern Otto<br />
gegründete Bezahldienst Yapital sowie<br />
Startups wie Cashcloud oder Paij. Und sogar<br />
die lange zögernden Handelskonzerne<br />
haben sich entschieden, Handyzahlungen<br />
zu akzeptieren: Netto und Edeka haben<br />
schon eigene Apps eingeführt, Anfang November<br />
zieht Rewe nach und schließt sich<br />
der Bezahlplattform Yapital an.<br />
BÖRSE ALS SMARTER ASSISTENT<br />
„Der Markt für das Zahlen per Smartphone<br />
kommt in Bewegung“, sagt Ercan Kilic, Leiter<br />
der Arbeitsgruppe Mobile Payment<br />
beim Handelsdienstleister GS 1. Schon<br />
nächstes Jahr, sagt Kilic, werde die Zahl der<br />
Geschäfte, die Handyzahlungen akzeptieren,<br />
„erheblich zunehmen“.<br />
Für die Technik, die in Japan und selbst<br />
in Kenia schon Millionen Verbraucher nutzen,<br />
gibt es gute Gründe: Ersetzt das Handy<br />
<strong>Geld</strong>scheine und Kreditkarten, kann nicht<br />
FOTOS: MARKUS SCHWALENBERG FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PR<br />
76<br />
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nur die schwere Lederbörse daheim bleiben;<br />
auch Schlangestehen am <strong>Geld</strong>automaten<br />
erübrigt sich, weil Euros nur noch<br />
elektronisch den Besitzer wechseln. Obendrein<br />
haben Taschendiebe keine Chance<br />
mehr, an die begehrten Scheine zu kommen,<br />
weil der Safe im Handy per Passwort<br />
geschützt ist. Geht das Handy verloren,<br />
kann der Besitzer via Internet alle Bezahlfunktionen<br />
sperren oder entfernen.<br />
Am Ende steht die digitale Brieftasche,<br />
englisch eWallet genannt, die auch Rabattmarken<br />
und Treuepunkteheftchen, Flugtickets<br />
und Zugfahrkarten, Hotelzimmerschlüssel<br />
und Reisepass integriert. Stück<br />
für Stück wandelt sich die <strong>Geld</strong>börse so<br />
zum smarten Assistenten: Gefüttert mit Informationen<br />
aus dem Internet, weist er seinen<br />
Besitzer auf personalisierte Sonderangebote<br />
hin, hat dank GPS-Peilung bei Ankunft<br />
in einer neuen Stadt die Hoteldaten<br />
parat oder löst in der Straßenbahn von<br />
selbst das preiswerteste Ticket.<br />
Was den Konsumenten mehr Komfort<br />
verheißt, verspricht den Anbietern ein riesiges<br />
Geschäft: 721 Milliarden Dollar werden<br />
im Jahr 2017 via Handy fließen, glauben<br />
die Marktforscher von Gartner. Wer<br />
diese Zahlungsflüsse abwickelt, kann dem<br />
Das Smartphone<br />
wird zum <strong>Geld</strong>automat<br />
für die Tasche<br />
Handel bei jedem Einkauf bis zu drei Prozent<br />
Gebühr berechnen.<br />
Drei Techniken drängen in Telefone und<br />
Shoppingmeilen: Yapital, Netto und Edeka<br />
nutzen sogenannte QR-Codes – Quadrate<br />
aus Pixeln, die der Nutzer per Handy an der<br />
Kasse abfotografiert. Das klappt mit allen<br />
modernen Handys, hat aber einen Nachteil:<br />
<strong>Ist</strong> der Akku leer oder das Netz<br />
schwach, bleibt die Kasse zu. Dafür sind<br />
die Kosten der Technik gering. Den meisten<br />
Kassengeräten reicht ein Software-Update,<br />
um die Pixel-Codes anzuzeigen.<br />
Mehr Aufwand verursacht die Methode,<br />
auf die auch die großen Mobilfunker setzen<br />
– der Near Field Communication genannte<br />
Kurzstreckenfunk, kurz NFC:<br />
Handy und Kasse brauchen dafür einen<br />
fingernagelgroßen Funkchip. Nähert sich<br />
das Handy auf wenige Millimeter der Kasse,<br />
tauschen die Chips die Kontodaten aus.<br />
Alles auf dem Schirm<br />
Was bisher <strong>Geld</strong>börsen<br />
aus Stoff und Leder füllte,<br />
sollen künftig virtuelle<br />
Smartphone-Brieftaschen<br />
von Anbietern wie etwa<br />
Telefónica, Yapital oder<br />
Cashcloud übernehmen.<br />
Handys wie das Xperia Z1<br />
von Sony ermöglichen<br />
digitales Bezahlen per<br />
NFC-Funkchip<br />
Eine dritte Technik hat vor wenigen Wochen<br />
der US-Zahldienstleister Paypal vorgestellt:<br />
Bluetooth-Funksender von der<br />
Größe eines USB-Sticks, auch Beacons genannt,<br />
die mit dem Handy über Meter hinweg<br />
Kontakt aufnehmen. Betritt ein registrierter<br />
Kunde eine Boutique, erscheint auf<br />
deren Kassendisplay sein Name und sein<br />
Passfoto. Beim Hinausgehen ruft der Käufer<br />
dem Kassierer bloß noch zu, was er mitnimmt.<br />
Der Verkäufer trägt die Waren in<br />
der Kasse ein, aktiviert den Kauf – und das<br />
neue Outfit ist bezahlt.<br />
ZIEL ANPEILEN, SCANNEN, ZAHLEN<br />
Wie die neue Bezahlwelt schon bald bundesweit<br />
aussehen soll, zeigt der Einkauf an<br />
einem Montagabend im Oktober auf der<br />
Düsseldorfer Einkaufsstraße Kö. „Sie<br />
möchten mit Yapital bezahlen?“, fragt die<br />
Verkäuferin beim Schuhhändler Görtz, als<br />
der Kunde an der Kasse sein Smartphone<br />
vorzeigt. Schon am Samstag davor hatten<br />
zwei Käufer ihre Rechnung mit Ottos neuem<br />
Handydienst beglichen.<br />
Das erinnert an Tontaubenschießen.<br />
Ziel anfordern – die Verkäuferin schiebt ein<br />
Display über den Kassentresen. Anvisieren:<br />
Der Kunde peilt den QR-Code mit der<br />
Handykamera an. Und Schuss: Der Kunde<br />
knipst den Code. Anschließend erscheint<br />
der Kaufpreis auf dem Handydisplay. Kurz<br />
auf Bestätigen gedrückt, schon sind 6,50<br />
Euro für eine Tube Schuhcreme bezahlt.<br />
Um den Dienst zu nutzen, melden sich<br />
Verbraucher bei Yapital an, laden eine App<br />
aufs Smartphone und buchen per Fingertipp<br />
<strong>Geld</strong> vom Bankkonto ab. Yapital-Chef<br />
Nils Winkler nennt das „einen <strong>Geld</strong>automaten<br />
für die Tasche“. Neben Görtz akzeptieren<br />
auch die Online-Shops von Sport<br />
Scheck, H.I.S.-Jeans und der Outdoormodehändler<br />
Arqueonautas die neue<br />
Form der Handyzahlung. Rewe folgt im<br />
November. „Zeitnah“, sagt Yapital-Manager<br />
Winkler, „werden weitere große Dienstleister<br />
und Einzelhändler dazukommen.“<br />
Auf rasch wachsende Partnernetzwerke<br />
setzen auch die drei großen Mobilfunker,<br />
deren Handybrieftaschen allerdings auf<br />
NFC-Technik basieren. Telefónica hat mit<br />
seiner O2 Wallet und dem Bezahldienst<br />
mpass bereits Angebote im Markt. Die<br />
Deutsche Telekom, die in Polen schon eine<br />
Wallet anbietet, will mit der Handygeldtasche<br />
nun in Deutschland starten. Und<br />
auch Vodafone rüstet fürs Mobile Payment.<br />
In der Konzernkantine in Düsseldorf etwa<br />
können 5000 Mitarbeiter bereits Rehrücken<br />
und Birne Helene bezahlen, indem<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 77<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
sie ihr Handy kurz an ein NFC-Lesegerät<br />
an der Kasse halten. Im ersten Quartal 2014<br />
will der Mobilfunker dann allen seinen<br />
Kunden eine virtuelle Brieftasche als App<br />
zum Download anbieten. Und bald darauf<br />
sollen sich auch Kredit- und EC-Karten in<br />
die eWallet integrieren lassen. „Wir verhandeln<br />
schon mit einer Handvoll Banken“,<br />
sagt Jochen Bornemann, der bei Vodafone<br />
Deutschland für Bezahldienste zuständig<br />
ist. „Stück für Stück wird sich die<br />
Brieftasche mit weiteren Diensten füllen.“<br />
Parallel dazu entwickelt sich das Bezahlhandy<br />
zum Werkzeug für Rabattjäger –<br />
denn das Telefon speichert auch Kundenkarten<br />
und Couponhefte.<br />
Einfach draufhalten Der Kunde bezahlt bei<br />
Yapital per Code und Smartphone-Foto<br />
Neue Bezahl-Apps<br />
machen Telefone<br />
zu Rabattjägern<br />
Was die überquellende Brieftasche entlastet,<br />
ermöglicht Herstellern, Händlern<br />
und Dienstleistern neue Werbeformen –<br />
etwa ortsbezogene, personalisierte Gutscheine,<br />
die den Geschmack ihrer Adressaten<br />
genauer treffen, als es Prospekte oder<br />
Plakate je vermochten.<br />
Solche Angebote haben etwa das Kölner<br />
Gutschein-Startup Coupies und das<br />
Münchner Bonussystem 10stamps. Keiner<br />
aber setzt das virtuelle Gutscheinheft so<br />
konsequent um wie das Luxemburger<br />
Startup Cashcloud. Der Bezahldienstleister<br />
hat eine App entwickelt, deren Nutzer sich<br />
gratis und binnen Sekundenbruchteilen<br />
<strong>Geld</strong> überweisen können. Cashcloud weiß<br />
aber demnächst nicht nur, mit wem ein<br />
Nutzer befreundet ist, sondern auch, was<br />
er eingekauft hat. Denn ab November will<br />
das Startup auch NFC-Sticker verschicken,<br />
die man auf sein Handy kleben kann, um<br />
damit an Kassen mit modernen Visa- und<br />
Mastercard-Terminals zu zahlen.<br />
Künftig können Unternehmen in der<br />
App gegen Gebühr Gutscheine platzieren,<br />
die auf das Kaufverhalten der Handybesitzer<br />
zugeschnitten sind. „Wir wollen nicht<br />
an der <strong>Geld</strong>transaktion verdienen, sondern<br />
an der Werbung“, sagt Geschäftsführer<br />
Olaf Taupitz. Eine Frittenbude könnte<br />
etwa in der Cashcloud-App Gutscheine an<br />
Bewohner einer bestimmten Stadt verteilen,<br />
die häufig Fast Food essen.<br />
TELEFON ÖFFNET MIETWAGEN<br />
Sogar eine eigene Währung will Cashcloud<br />
etablieren, sogenannte Cashcredits. Die<br />
bekommt, wer Freunde für die Plattform<br />
wirbt oder Gutscheine einlöst. Später lassen<br />
sich die Credits für Einkäufe nutzen.<br />
Rabatte gegen Daten, das ist das Geschäft.<br />
Aber die Handygeldbörse soll künftig<br />
nicht nur im Supermarkt funktionieren. So<br />
will etwa Vodafone seinen Mitarbeitern<br />
noch ab November ein elektronisches Jobticket<br />
des örtlichen Nahverkehrsunternehmens,<br />
der Rheinbahn, aufs Handy spielen.<br />
Kommt der Kontrolleur, müssen die Mobilfunker<br />
nur zum Telefon greifen, statt die<br />
Plastikkarte herauszufummeln.<br />
Im Laufe des kommenden Jahres plant<br />
der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen,<br />
das Handy als universelle Fahrkarte<br />
in ganz Deutschland anzubieten. Später<br />
sollen sich sogar spontane Fahrten abrechnen<br />
lassen: Statt ein Ticket zu kaufen, hält<br />
der Kunde das NFC-Handy zweimal kurz<br />
an ein Lesegerät, das in Bussen und Bahnen<br />
befestigt ist – einmal beim Einsteigen,<br />
einmal beim Aussteigen. Die App berechnet<br />
den günstigsten Fahrpreis.<br />
Das Wiesbadener Zahldienst-Startup<br />
Paij will derweil 15 000 Taxis so aufrüsten,<br />
dass die Fahrgäste bargeldlos per Handy-<br />
App bezahlen können. Im Stockholmer<br />
Hotel der Clarion-Kette öffnen NFC-Handys<br />
schon Zimmertüren, und der Autozulieferer<br />
Continental arbeitet an Autoschlössern,<br />
die sich per Smartphone entriegeln<br />
lassen. Das könnte Car-Sharing-<br />
Dienste wie Car2Go oder DriveNow noch<br />
komfortabler machen.<br />
Bis wann all die Funktionen im Smartphone<br />
verschmolzen sind, ist noch offen.<br />
Genauso wie die Frage, ob sich eine Technik<br />
durchsetzt oder mehrere nebeneinander<br />
existieren. Eines aber ist klar: Ledern ist<br />
an der <strong>Geld</strong>börse der Zukunft allenfalls<br />
noch die Schutzhülle fürs Handy. n<br />
andreas.menn@wiwo.de<br />
MOBILE PAYMENT<br />
App-bezahlt<br />
Sechs Smartphone-Brieftaschen,<br />
die Sie heute schon in deutschen<br />
Geschäften nutzen können.<br />
YAPITAL<br />
Die QR-Code-App der Otto-<br />
Gruppe gilt ab November<br />
in 3300 Rewe-Filialien und<br />
schon jetzt beim Schuhhändler Görtz sowie<br />
Lieferungen von Otto, Sport Scheck,<br />
H.I.S. Jeans und anderen Anbietern.<br />
CASHCLOUD<br />
Ermöglicht kostenlosen<br />
<strong>Geld</strong>transfer an Freunde.<br />
Ab November verschickt<br />
das Luxemburger Startup NFC-Tags<br />
zum Zahlen an allen NFC-fähigen<br />
MasterCard- und Visa-Terminals.<br />
MPASS<br />
Kunden des vom<br />
Mobilfunker Telefónica<br />
betriebenen mpass-<br />
Dienstes zahlen per NFC-Handy oder<br />
mit Funkstickern in mehr als 10 000<br />
Geschäften mit Paypass-Terminal<br />
von Mastercard, darunter Douglas und<br />
Aral-Tankstellen.<br />
NETTO<br />
In den rund 400 Filialen<br />
der Einzelhandelskette<br />
Netto können Kunden per<br />
QR-Code-App zahlen. Das Programm<br />
zeigt dem Nutzer auch aktuelle Angebote<br />
und Coupons an.<br />
EDEKA<br />
Rund 100 Edeka-Filialen<br />
in Berlin und Hamburg<br />
akzeptieren QR-Code-Zahlungen.<br />
Auch Einkaufzettel, Lieblingsrezepte<br />
und aktuelle Wochenangebote<br />
enthält die Software.<br />
PAYCASH<br />
Bei 20 Filialen der Kaffeekette<br />
Cafetiero, einigen<br />
Hochschul-Mensen sowie<br />
mehreren Restaurants in Düsseldorf<br />
und Luxemburg können Kunden bereits<br />
Essen und Trinken mit der QR-Code-<br />
App von Paycash bezahlen.<br />
FOTO: PR<br />
78 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Technik&Wissen<br />
VALLEY TALK | Kalifornien treibt mit strengen<br />
Umweltvorgaben die Innovation in der Autobranche<br />
an. Und profitiert davon. Von Matthias Hohensee<br />
Auflagen und Privilegien<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Behindern politische Vorgaben<br />
wie Flottenverbrauch oder Obergrenzen<br />
für Schadstoffausstoß<br />
die Autobranche? Oder fördern<br />
sie womöglich gar die Innovation? Kalifornien<br />
ist Beleg für Letzteres, mindestens<br />
wenn man als Maßstab den Boom der<br />
Hybridautos und Elektrofahrzeuge nimmt.<br />
Nun soll das Modell aus Zuschüssen von<br />
Land und Bund, Privilegien und strengen<br />
Abgasauflagen auch Brennstoffzellenautos<br />
befeuern. Bis 2024 sollen in Kalifornien<br />
mindestens 100 Tankstellen mit Wasserstoff-Zapfsäulen<br />
ausgerüstet werden. Den<br />
Plan vom Wasserstoff-Highway gibt es zwar<br />
schon seit 2004. Doch die Ölkonzerne, die<br />
hier die meisten Tankstellen besitzen, drohten<br />
mit Klage, falls sie zur Modernisierung<br />
gezwungen würden. Jetzt sagt ihnen der<br />
Staat bis zu zwei Millionen Dollar pro umgerüsteter<br />
Tankstelle als Hilfe zu. Das <strong>Geld</strong><br />
stammt aus Autozulassungsgebühren.<br />
Ein zusätzlicher Anreiz ist, dass viele<br />
Ölkonzerne inzwischen in die Wasserstoff-<br />
Produktion eingestiegen sind. Autohersteller<br />
wie Toyota und Honda haben bereits<br />
angekündigt, ab 2015 in Kalifornien Brennstoffzellen-Fahrzeuge<br />
anzubieten.<br />
Das setzte Kaliforniens einzigen Autohersteller,<br />
Tesla Motors, unter Druck. Doch<br />
dessen Chef, Elon Musk, ist überzeugt,<br />
dass mit Akkus angetriebene Elektroautos<br />
effizienter sind als Brennstoffzellenautos.<br />
Zumal wenn die Preise für Akkus bei höheren<br />
Stückzahlen fallen.<br />
Wie der Wettbewerb auch ausgeht, Kalifornien<br />
wird vorn <strong>dabei</strong> sein. Der bevölkerungsreichste<br />
Bundesstaat der USA ist seit<br />
den Sechzigerjahren Vorreiter in den USA<br />
für saubere Luft – und wegen seiner hohen<br />
Autodichte entsprechend verschärfter<br />
Regeln beim Abgasausstoß. Obwohl die Kalifornier<br />
mit den (nach Hawaii) höchsten<br />
Benzinpreisen der USA leben müssen, ist<br />
der Rückhalt für bessere Luft durch gedrosselten<br />
Schadstoffausstoß groß.<br />
Trotzdem hätten Hybridautos, vor allem<br />
Toyotas Prius, nie solch einen Boom erlebt,<br />
wenn sie nicht unter anderem massiv mit<br />
Steuerzuschüssen gefördert worden wären.<br />
Wobei wohl weder diese noch der geringere<br />
Benzinverbrauch wichtigste Kaufanreize<br />
waren. Es war jener gelbe Aufkleber, den<br />
sich Hybridkäufer ab August 2005 auf die<br />
rechte hintere Stoßstange pappen und so<br />
auch als Solo-Fahrer die Sonderfahrspur für<br />
den Berufsverkehr nutzen durften.<br />
BEGEHRTE PLAKETTE<br />
Seit Ende 2011 ist die begehrte Plakette,<br />
die im Silicon Valley die Fahrzeit im Berufsverkehr<br />
erheblich verkürzen kann, Fahrzeugen<br />
mit Flüssiggasantrieb, Hybriden mit<br />
Elektromotor sowie reinen Elektrofahrzeugen<br />
vorbehalten. Tesla Motors profitiert<br />
nicht nur vom Steuerzuschuss von 10 000<br />
Dollar pro Modell, sondern auch von der<br />
Plakette. Ein Facebook-Manager, der mir<br />
jüngst stolz von seiner Tesla S Limousine<br />
vorschwärmte, gestand ein, dass ihm das<br />
gesparte Benzin egal sei. Wichtiger war<br />
ihm, ein besonderes Auto zu fahren und mit<br />
diesem bei der Fahrt von seinem Wohnsitz<br />
in San Francisco ins Facebook-Hauptquartier<br />
in Menlo Park auf der Sonderspur am<br />
Berufsverkehr vorbeirauschen zu können.<br />
Ob Elektro- oder Brennstoffzellenautos<br />
tatsächlich wirtschaftlich sind? Ob sie wirklich<br />
die Umwelt retten? Ob also die Steuergelder<br />
gut angelegt sind, darüber lässt sich<br />
debattieren. Unbestritten aber ist, dass<br />
alle namhaften Autohersteller inzwischen<br />
nicht nur Designstudios, sondern auch Forschungsabteilungen<br />
in Kalifornien unterhalten,<br />
um auf der Höhe der Zeit zu sein. Und<br />
das auch in Entwicklungsbereichen, die mit<br />
dem E-Antrieb nichts zu tun haben. Wie etwa<br />
dem intelligenten Auto, das via Internet<br />
mit Informationen gefüttert wird und so vielleicht<br />
schon ab 2020 ohne menschlichen<br />
Fahrer durch die Gegend rollt.<br />
Dass es kommt, scheint sicher. Ob es<br />
Wasserstoff tanken wird oder Strom, eher<br />
noch nicht. Aber wenn es irgendwo die Auswahl<br />
hat, dann sicher in Kalifornien.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 81<br />
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Management&Erfolg<br />
Auf der Überholspur<br />
SPEZIAL | Best of Consulting Porsche Consulting und Boston Consulting Group sind<br />
Deutschlands beste Unternehmensberatungen. Der Wettbewerb zeigt:<br />
Kleine, spezialisierte Berater ziehen in der Gunst der Auftraggeber mit den<br />
Universalberatern gleich.<br />
Mal sind es Klinikärzte,<br />
die fast die Hälfte ihrer<br />
Zeit mit Verwaltungsarbeiten<br />
vergeuden, statt<br />
sich ihren Patienten zu<br />
widmen, mal Autobahnbaustellen,<br />
auf denen allein<br />
ein störungsfreier<br />
Materialfluss beim Asphaltieren Zeit und<br />
Kosten halbieren könnte: Verschwendung<br />
ist Eberhard Weiblen ein Graus. Ob Krankenhäuser<br />
oder Baufirmen, ob große Konzerne<br />
oder Mittelständler: Seit 15 Jahren<br />
hat der Chef der Unternehmensberatung<br />
Porsche Consulting dem Schlendrian den<br />
Kampf angesagt. Weiblens Credo: „Unternehmen,<br />
die Spitzenleistungen erzielen<br />
wollen, müssen sich auf das Wesentliche<br />
konzentrieren.“<br />
Keine Zeit und Ressourcen zu verschwenden<br />
und so mehr Zeit und Ressourcen<br />
zu haben, um das Richtige richtig zu<br />
machen: Dieses Erfolgsprinzip hat Porsche<br />
zum profitabelsten Autoproduzenten der<br />
Ruf und Realität<br />
Wieangesehen undleistungsfähigDeutschlands besteBeratungshäuser sind*<br />
Wertsteigerung<br />
2,5<br />
2,3<br />
2,1<br />
1,9<br />
1,7<br />
1,5<br />
SternStewart<br />
Oliver Wyman<br />
Deloitte<br />
1,2 1,3 1,1<br />
EY<br />
ATK&PwC<br />
Horváth<br />
Bain<br />
1,5<br />
KPMG<br />
Porsche<br />
1,6 1,7 1,8<br />
Markenstärke<br />
Berger<br />
1,9<br />
McK<br />
*die Größeder Kreiseentsprichtden Umsatzverhältnissen, dieAmpelfarben reflektieren den Ruf<br />
(dunkelgrün: sehr gut/dunkelrot: sehr schlecht); Quelle:Prof. Lars Wellejus (FHFrankfurt)<br />
Welt gemacht. Und die hauseigene Beratertruppe<br />
zu einem der gefragtesten Consultingunternehmen<br />
Deutschlands, weit<br />
hinaus über die Grenzen nicht nur des eigenen<br />
Unternehmens, sondern auch der<br />
Autoindustrie. Offenbar wollen in Zeiten,<br />
in denen keiner etwas zu verschwenden<br />
hat, Manager aus vielen Branchen dem<br />
Beispiel des Sportwagenherstellers nacheifern.<br />
Und engagieren deshalb die Berater<br />
aus dem Stuttgarter Speckgürtel.<br />
„Gute Beratung ist keine Frage von Größe<br />
oder Internationalität“, sagt Gerd Kerkhoff,<br />
Gründer und Chef der auf die Organisation<br />
von Logistikketten spezialisierten<br />
gleichnamigen Unternehmensberatung.<br />
„Wir sind äußerst flexibel und verstehen<br />
unsere Kunden, für die wir stets exklusiv da<br />
sind – das können die großen Beratungshäuser<br />
gar nicht leisten.“<br />
Dass es sich hier nicht nur um Werbung<br />
in eigener Sache handelt, belegt auch der<br />
diesjährige Wettbewerb Best of Consulting<br />
(BoC), in dem die WirtschaftsWoche<br />
2,0<br />
2,1<br />
BCG<br />
2,2<br />
2,3<br />
Deutschlands beste Unternehmensberatungen<br />
eruiert. Ergebnis des dreiteiligen<br />
Verfahrens, das Markenstärke, Wertsteigerung<br />
und Projekterfolg jeweils aus der kritischen<br />
Warte der Kunden misst: Porsche<br />
Consulting verbessert sich um vier Plätze<br />
und ergattert mit deutlichem Abstand auf<br />
die Wettbewerber die Poleposition im Gesamtranking.<br />
Die vermeintlich unangreifbaren<br />
Platzhirsche – Vorjahressieger Boston<br />
Consulting Group und Marktführer<br />
McKinsey – müssen sich im Gesamtranking<br />
mit Platz zwei und drei begnügen.<br />
IMMER WÄHLERISCHER<br />
Was den beiden Marktführern besonders<br />
missfallen dürfte: In der Umfrage unter<br />
1500 Top-Managern schnappte ihnen der<br />
mit 350 Mitarbeitern vergleichsweise kleine<br />
Konkurrent nicht nur den Gesamtsieg,<br />
sondern auch den Titel als bester Wertsteigerer<br />
weg. „Der Sieg des vermeintlichen<br />
Nischenplayers über die bisherigen Platzhirsche<br />
zeigt, dass es heute nicht mehr ausreicht,<br />
eine allseits bekannte und renommierte<br />
Marke zu haben“, sagt Branchenexperte<br />
Frank Höselbarth. „Die Auftraggeber<br />
von Beratern werden immer wählerischer.“<br />
Was auch daran liegt, dass auf Kundenseite<br />
mittlerweile selbst jede Menge ehemalige<br />
Berater sitzen. Die Alumni von<br />
McKinsey, BCG oder Roland Berger wissen<br />
aus eigener Erfahrung, dass in den Beratungshäusern<br />
nur mit Wasser gekocht<br />
wird. Sie vergeben nur noch die dringlichsten<br />
Aufträge an externe Consultants. Das<br />
hat zur Entmystifizierung der Branche und<br />
der großen Beratermarken geführt. Und<br />
die Preise sinken lassen, zumal für die erfolgsverwöhnten<br />
großen Platzhirsche.<br />
FOTO: ANDREAS KÖRNER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
82 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Transparenz statt Schlendrian Porsche-<br />
Consulting-Chef Eberhard Weiblen<br />
„Der Trend zum Spezialistentum in der<br />
Beraterbranche hält an“, so Alexander Moscho,<br />
BoC-Jurymitglied und Leiter Konzernentwicklung<br />
bei dem Leverkusener<br />
Chemiekonzern Bayer.<br />
Für die großen Universalanbieter wird es<br />
vor diesem Hintergrund immer schwerer,<br />
die kleineren Spezialisten auf Distanz zu<br />
halten. „Sie fordern konkret messbare Ergebnisse<br />
und bevorzugen schlanke, überschaubare<br />
Teams, die innovative Ideen ins<br />
Unternehmen hereintragen, die per Hilfe<br />
zur Selbsthilfe anschließend von den eigenen<br />
Mitarbeitern umgesetzt werden können“,<br />
sagt Lars Wellejus, BoC-Juror und<br />
Professor für Betriebswirtschaft an der<br />
Fachhochschule Frankfurt.<br />
Genau hier setzt der Erfolg von Porsche<br />
Consulting an. „Statt von oben herab Prozesse<br />
in das Unternehmen hereinzudrücken,<br />
interessieren wir uns vor allem für<br />
den Mitarbeiter. An seiner Seite erkennen<br />
wir sehr schnell, wo es hakt im Prozess“,<br />
sagt Porsche-Consulting-Partner Ulrich<br />
Guddat. „Danach sorgen wir gemeinsam<br />
mit dem Mitarbeiter dafür, dass die Erfüllung<br />
seiner Aufgabe störungsfrei möglich<br />
ist. Nur so kann er seine Kompetenz voll<br />
entfalten. Davon profitieren alle – Mitarbeiter,<br />
Unternehmen und Kunden.“<br />
So ist etwa Jim Hagemann Snabe nicht<br />
nur begeistert von den besseren Zahlen,<br />
sondern auch vom Kulturwandel, den Porsche<br />
Consulting in seinem Unternehmen<br />
angestoßen hat:„Wir geben unseren Entwicklern<br />
die Möglichkeit, kreativer und<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 83<br />
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Management&Erfolg | Spezial<br />
»<br />
enger mit unseren Kunden zusammenzuarbeiten“,<br />
sagt der Co-Vorstandssprecher<br />
des Softwarekonzerns SAP, „und<br />
bringen Innovationen heute wesentlich<br />
schneller an den Markt.“<br />
Doch nicht nur umsetzungsstarke Managementberatungen<br />
wie Porsche Consulting,<br />
die in der Lage sind, Führungskräfte<br />
wie Mitarbeiter gleichermaßen für sich<br />
einzunehmen, bringen die großen Beratungshäuser<br />
zunehmend unter Druck. Das<br />
zeigt die große Wertschätzung, die sich etwa<br />
die Strategieberatung Stern Stewart bei<br />
deutschen Top-Managern erarbeitet hat.<br />
In den Neunzigerjahren vor allem bekannt<br />
für die Entwicklung der Kennzahl<br />
Economic Value Added (EVA), über die<br />
sich der Wert einer Investition berechnen<br />
lässt, begleiten die 60 Berater in Deutschland<br />
heute Dax-Konzerne wie große Mittelständler<br />
bei Fusionen, Zukäufen und<br />
Restrukturierung, aber auch, wenn einfach<br />
mal die Kosten runter müssen. Dabei<br />
scheuen die Berater nicht davor zurück,<br />
Unternehmen auch schon mal vehement<br />
von letztlich unsinnigen Großinvestitionen<br />
abzuraten oder radikalere Umbauarbeiten<br />
in der Zentrale vorzuschlagen. Offenheit,<br />
die sich auszahlt: War sie im vergangenen<br />
Jahr noch von der Konkurrenz abgeschlagen,<br />
schaffte die Boutique den Sprung<br />
unter die Top Ten.<br />
„Kleine Strategieberatungshäuser gehen<br />
oft forscher und frecher vor als die etablierten<br />
Strategieberater“, sagt Thomas Deelmann,<br />
BoC-Jurymitglied und Professor für<br />
Corporate Management und Consulting<br />
an der Business and Information Technology<br />
School in Iserlohn. „Das kann frischen<br />
Wind in Unternehmen bringen.“<br />
julia leendertse | erfolg@wiwo.de<br />
Sieger Kategorie<br />
WETTBEWERBSSTRATEGIE<br />
Projekt: Restrukturierung der Softwareentwicklung<br />
Kunde: SAP<br />
Jim Hagemann Snabe (SAP, links)<br />
Ulrich Guddat (Porsche Consulting)<br />
Exzellent: PwC<br />
Prämiert: A.T. Kearney<br />
PORSCHE CONSULTING<br />
Wissen im Takt<br />
Lässt sich die Arbeit von Softwareentwicklern<br />
takten wie die Produktion eines Autos?<br />
Das fragte sich Jim Hagemann Snabe, als er<br />
vor fünf Jahren das Porsche-Montagewerk<br />
besuchte. Das Problem des SAP-Co-Chefs,<br />
damals Vorstand für Produktentwicklung:<br />
Technologisch waren die SAP-Programme<br />
gut, aber ihre Entwicklung dauerte zu lange.<br />
Von der Festlegung der Spezifikationen<br />
bis zur Auslieferung beim Kunden vergingen<br />
15 Monate, Nachbesserungen dauerten<br />
nochmal genau so lange.<br />
Hagemann Snabes Ziel: kleinere Programmpakete,<br />
Verbesserungen in Häppchen,<br />
von Anfang an Mitsprache für die<br />
Nutzer. Dafür brauchte er neue Organisationsformen<br />
– warum nicht wie bei Porsche?<br />
„Software lässt sich zwar nicht im Vier-<br />
Minuten-Takt entwickeln“, sagt Hagemann<br />
Snabe. „Aber mit dem Lean-Management-<br />
Ansatz, den auch Porsche verfolgt, können<br />
wir unsere Softwareentwickler von unnötigen<br />
Tätigkeiten entlasten und ihnen mehr<br />
Freiraum für Innovation verschaffen.“<br />
Unterstützt durch Porsche Consulting,<br />
analysierte SAP-Projektleiter Martin Fassunge<br />
die Tagesabläufe der Entwickler. Das<br />
Ergebnis: zeitfressende Abstimmungsrunden<br />
und Arbeitsunterbrechungen wegen<br />
parallel laufender Projekte, hohe Wartezeiten<br />
durch falsche Prioritäten. Heute arbeiten<br />
SAP-Programmierer mit Experten für<br />
Dokumentation, Vertrieb, Benutzeroberflächen<br />
oder Design zusammen, müssen im<br />
Zwei-Wochen-Takt klar definierte Arbeitspakete<br />
abarbeiten. „Wie bei Porsche in der<br />
Produktion weiß heute auch bei SAP jeder,<br />
wer welche Rolle im Gesamtablauf hat“,<br />
sagt Fassunge. „Das spart Zeit.“<br />
Und belebt die Firmenkultur: „Unsere<br />
Mitarbeiter sollen lernen, die richtigen Fragen<br />
zu stellen, Aufgaben klar zu definieren<br />
und so zu verteilen, dass die Teams sie in<br />
vorgegebener Zeit abarbeiten können“, sagt<br />
Hagemann Snabe. Die Folge: Statt 15 Monaten<br />
dauert die Softwareentwicklung nur<br />
noch sieben bis acht Monate. „Kurze Entwicklungszeiten“,<br />
sagt Manfred Bruhn, BoC-<br />
Fachbeirat und Professor für Unternehmensführung<br />
an der Universität Basel, „sind<br />
in Märkten mit sinkenden Produktlebenszyklen<br />
ein klarer Wettbewerbsvorteil.“<br />
»<br />
julia leendertse | erfolg@wiwo.de<br />
Klein schlägt groß<br />
Deutschlands beste Berater<br />
Platz (Vorjahr)<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
9<br />
10<br />
(5)<br />
(1)<br />
(2)<br />
(6)<br />
(3)<br />
(8)<br />
(4)<br />
(9)<br />
(15)<br />
(–)<br />
Beratung<br />
Porsche Consulting<br />
BCG<br />
McKinsey<br />
PwC<br />
Roland Berger<br />
Bain<br />
A.T. Kearney<br />
Horváth<br />
Oliver Wyman<br />
Stern Stewart<br />
Punkte*<br />
2,27<br />
2,16<br />
2,08<br />
1,89<br />
1,84<br />
1,81<br />
1,78<br />
1,78<br />
1,73<br />
1,68<br />
* die Punktzahl ergibt sich als gewichtete Durchschnittsnote<br />
der Einzelkategorien Markenstärke,<br />
Wertsteigerung und Projekterfolg (siehe Methode)<br />
METHODE<br />
Für Alleskönner<br />
Wie die besten Unternehmensberatungen<br />
ermittelt wurden.<br />
Im Auftrag der WirtschaftsWoche entwickelten<br />
Branchenexperte Frank Höselbarth<br />
und Lars Wellejus, BWL-Professor<br />
an der Fachhochschule Frankfurt,<br />
Deutschlands bislang umfangreichsten<br />
Beratercheck: In einem dreiteiligen Verfahren<br />
ermittelten sie erst Markenstärke<br />
und die Fähigkeit zur Wertsteigerung, jeweils<br />
anhand des Urteils von Deutschlands<br />
1500 größten Unternehmen. Punkten<br />
konnten die Beratungen außerdem mit<br />
Projekten, die sie in sieben Kategorien einreichen<br />
konnten und die von einem Fachbeirat<br />
und einer Jury bewertet wurden.<br />
Aus den drei Einzelergebnissen errechnet<br />
sich die Note fürs Gesamtranking.<br />
Aufgrund dieser Methode ist es möglich,<br />
die Arbeit von Platzhirschen wie McKinsey<br />
oder der Boston Consulting Group mit<br />
Leistungen weniger bekannter, aber ambitionierter<br />
Spezialberatungen zu vergleichen.<br />
Und so Licht in eine bislang recht<br />
intransparente Branche zu bringen.<br />
Ausführliche Informationen unter<br />
award.wiwo.de/boc2013/<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
84 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Management&Erfolg | Spezial<br />
ACCENTURE<br />
Raus aus der<br />
Warteschleife<br />
Wer 2011 Strom vom Energieversorger Vattenfall<br />
bezog und dem Kundenservice per<br />
Telefon eine Frage zu seinem Vertrag stellte,<br />
musste Geduld mitbringen. In der Regel<br />
landete er erst minutenlang in der Warteschleife.<br />
Und dann oft bei einem Callcenter-Mitarbeiter,<br />
der die Frage nicht beantworten<br />
konnte. Rückrufe klappten selten.<br />
Heute gibt es im Kundenservice von Vattenfall<br />
keine Callcenter mehr. „Floor-Mitarbeiter“<br />
heißen die internen und externen<br />
Kundenberater heute und sitzen in neuen,<br />
hellen Großraumbüros. Sie haben alle das<br />
gleiche Basiswissen, um einfache Anfragen<br />
zu bearbeiten. Nur noch bei komplizierteren<br />
Fällen wie rückwirkenden Korrekturen<br />
von Rechnungen wird ein Mitarbeiter mit<br />
Spezialkenntnissen hinzugezogen. „Nahe<br />
Führung“ nennt Vattenfall das neue Konzept:<br />
Es gibt täglich morgendliche Teammeetings,<br />
alle zwei Wochen spricht der<br />
Teamleiter mit jedem Mitarbeiter konkrete<br />
Fälle durch, jeden Monat gibt es Feedback.<br />
Für „einmalig in der Energieversorger-<br />
Landschaft“ hält Gunnar Wilhelm, Geschäftsführer<br />
Kundenservice bei Vattenfall<br />
Europe, den Umbau seiner Kundenservice-Abteilung.<br />
Gestemmt hat er das Projekt<br />
namens Wow (Ways of Working) mithilfe<br />
der Unternehmensberatung Accenture.<br />
Als der Energiekonzern die Berater<br />
engagierte, hatten die Vattenfall-Kundenservice-Manager<br />
in Deutschland schon<br />
von ähnlichen Projekten in den Niederlanden<br />
und Schweden gelernt. „Eine Situation,<br />
wie ein Berater sie sich wünscht“, erinnert<br />
sich Clemens Oertel, Leiter des Bereichs<br />
Kundenbeziehungsmanagement<br />
bei Accenture. „Der Kunde hatte eine klare<br />
Vision davon, wie er sich verbessern will,<br />
war unseren Vorschlägen gegenüber<br />
gleichzeitig sehr offen.“<br />
Wohl auch, weil der Kundenservice bei<br />
Energieversorgern als besonders komplex<br />
gilt: Allein die Bundesnetzagentur ändert<br />
jedes halbe Jahr die technischen Anforderungen.<br />
Um seinen Kundenservice zu verbessern,<br />
schickte Vattenfall Mitarbeiter in<br />
Trainings, investierte in neue Informationstechnologie<br />
und baute die Büroflächen um.<br />
Der Erfolg ist augenscheinlich: Die Kosten<br />
sanken um 30 Prozent. Und die Vattenfall-Kunden<br />
waren in diesem Sommer mit<br />
ihrem Stromanbieter so zufrieden wie nie<br />
zuvor.<br />
astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />
Sieger Kategorie<br />
MARKETING/VERTRIEB<br />
Projekt: Kostensenkung und<br />
Verbesserung im Kundenservice<br />
Kunde: Vattenfall Europe<br />
Gunnar Wilhelm (Vattenfall, links)<br />
Clemens Oertel (Accenture)<br />
Exzellent: Allianz Inhouse<br />
Consulting<br />
Prämiert: Solution Providers<br />
Sieger Kategorie<br />
FINANZ- UND RISIKO-<br />
MANAGEMENT<br />
Projekt: Globale Vereinheitlichung<br />
des Finanz- und Rechnungswesens<br />
Kunde: Evonik<br />
Bettina Uhlich (Evonik)<br />
Stefan Zeibig (Horváth & Partners)<br />
Exzellent: EY<br />
Prämiert: –<br />
HORVÁTH & PARTNERS<br />
Äpfel und Birnen<br />
Zusatzstoffe für Weichspüler, Bindemittel<br />
für Lacke, neue Materialien für die Luftfahrtindustrie:<br />
Evonik ist mit vielen seiner Spezialchemieprodukte<br />
Weltmarktführer. „Wir<br />
sind auf Wachstum getrimmt“, sagt Evonik-<br />
Managerin Bettina Uhlich. „Geringe Komplexität,<br />
schlanke Abläufe, Transparenz und<br />
globales Denken helfen uns <strong>dabei</strong>.“<br />
Dass Wunsch und Wirklichkeit auch mal<br />
voneinander abweichen, stellt sich bei einer<br />
internen Überprüfung im Mai 2011 heraus:<br />
Im Konzern gibt es 25 Definitionen<br />
für den Deckungsbeitrag, 17 Arten, ein Ergebnis<br />
zu berechnen, keinen einheitlichen<br />
Kontenplan, dafür zehn Reportingsysteme.<br />
Selbst innerhalb einzelner Einheiten weichen<br />
Definitionen betriebswirtschaftlicher<br />
Größen voneinander ab. Damit Evonik-<br />
Controller nicht länger Äpfel mit Birnen<br />
vergleichen müssen, sollen die Berater von<br />
Horváth & Partners, spezialisiert auf Unternehmenssteuerung<br />
mit Kennzahlen, das<br />
weltweite Finanz- und Rechnungswesen<br />
des Konzerns vereinheitlichen.<br />
Hauptkriterium der neuen Systematik:<br />
Kosten werden dort ausgewiesen, wo sie anfallen.<br />
„Nun sind Informationen an Verantwortung<br />
gekoppelt“, sagt Horváth-Berater<br />
Stefan Zeibig. „Manager sind nur für das verantwortlich,<br />
was sie beeinflussen können.“<br />
„Es gilt, die Mitarbeiter vom Wert der<br />
Kennzahlen zu überzeugen“, sagt BoC-<br />
Jury-Mitglied Ulrich Becker. „Das war Präzisionsarbeit.“<br />
»<br />
astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />
FOTOS: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
86 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Management&Erfolg | Spezial<br />
KERKHOFF CONSULTING<br />
Erste Sahne<br />
Neue Verpackung, kurzfristige Werbeaktionen,<br />
höhere Stückzahlen – und alles am<br />
besten schon gestern erledigt: Ständig kamen<br />
im Sommer 2011 neue Änderungswünsche<br />
englischer Kunden auf den Tisch.<br />
„Immer wieder wollten sie neue Varianten<br />
ihrer Cheesecakes“, erinnern sich Tobias<br />
Heinemann, Leiter des Materialmanagements,<br />
und Wolfram Wacker, verantwortlich<br />
für das Lieferkettenmanagement beim<br />
Tortenhersteller Coppenrath & Wiese, an<br />
den Beginn der Weihnachtsproduktion vor<br />
zwei Jahren. „Wie sollten wir dieses zusätzliche<br />
Pensum bloß bewältigen?“<br />
Denn Käsekuchen kann das Familienunternehmen<br />
aus Osnabrück damals nur auf<br />
einer seiner 23 Produktionslinien herstellen.<br />
Der Kraftakt gelingt schließlich – allerdings<br />
nur mithilfe teurer Sonderschichten<br />
und zusätzlichen Mitarbeitern. Weihnachten<br />
2011 steht für die Manager fest:Auf solche<br />
kurzfristigen Auftragsänderungen<br />
muss das Unternehmen künftig besser vorbereitet<br />
sein.<br />
Sieger Kategorie<br />
SUPPLY CHAIN MANAGEMENT<br />
Projekt: Umbau der Lieferkette<br />
Kunde: Coppenrath & Wiese<br />
Tobias Heinemann, Wolfram Wacker<br />
(beide Coppenrath & Wiese), Bardo<br />
Hassemer (Kerkhoff, von links)<br />
Exzellent: EY J&M Management<br />
Consulting<br />
Prämiert: Mieschke Hofmann &<br />
Partner<br />
Der 1975 gegründete Tortenproduzent ist<br />
seit der Wende stark gewachsen: Fast eine<br />
Million Torten und Kuchen produziert der<br />
Mittelständler im Jahr. Täglich werden<br />
80000 Liter Sahne geschlagen, 170 Mal ändert<br />
sich das Sortiment im Jahr. Die Unternehmensstrukturen<br />
aber bilden das<br />
schnelllebige Geschäft schon lange nicht<br />
mehr ab: Der Absatz wird ohne Rücksicht<br />
auf Marktforschung und ausländische<br />
Märkte geplant. Änderungen erreichen die<br />
Logistik nicht, eine durchgängige Bedarfsplanung<br />
existiert nicht, der Einkauf muss<br />
auf viele Quellen zugreifen.<br />
„Die Nahtstellen zwischen Vertrieb und<br />
Produktion, aber auch zwischen Marketing,<br />
Finanzen und Beschaffung mussten verbessert<br />
werden“, sagt Bardo Hassemer vom Logistikberater<br />
Kerkhoff Consulting, den Coppenrath<br />
& Wiese ins Haus geholt hatte, um<br />
seine Strukturen dem komplexen Geschäft<br />
anzupassen.<br />
Die Berater verbessern den Informationsfluss<br />
zwischen Vertrieb und Bestands-, Logistik-,<br />
Produktions- und Einkaufsplanung.<br />
Weil Schritte entfallen, werden die Aufgaben<br />
schneller erledigt, die Zahl der kurzfristigen<br />
Umplanungen sinkt, das Unternehmen<br />
spart Material und Lagerraum und<br />
kann schneller liefern. „Wir haben nicht nur<br />
unsere Prozesse verbessert“, sagt Coppenrath<br />
& Wiese-Manager Wacker. „Wir sind zu<br />
einer lernenden Organisation geworden.“<br />
astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />
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FOTOS: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Sieger Kategorie<br />
IT-MANAGEMENT<br />
Projekt: Frachtkostenmanagement<br />
Kunde: BMW<br />
Kirsten Commer (BMW)<br />
Josef Packowski (links), Mario<br />
Baldi (beide Camelot)<br />
Exzellent: Mieschke Hofmann &<br />
Partner<br />
Prämiert: ConVista Consulting<br />
CAMELOT ITLAB<br />
Fast automatisch<br />
Jeder Transport bedeutete Unmengen an<br />
Papier: Wenn die Niederlassung Kiel einen<br />
BMW 3er orderte, quittierte der Spediteur<br />
im Regensburger Werk, schrieb nach dem<br />
Transport eine Quittung, schickte eine<br />
Rechnung an BMW, die wiederum geprüft<br />
und freigegeben werden musste. Erst dann<br />
kam das <strong>Geld</strong>.<br />
Manuell gepflegte Excel-Tabellen waren<br />
bei BMW jahrzehntelang das Kernwerkzeug,<br />
um die Frachtkosten im gesamten<br />
Konzern zu managen. Von denen, die das<br />
System einst aufgebaut hatten, waren viele<br />
bereits pensioniert. Als „Spaghetti-System“<br />
gelten solche Konstellationen in Branchenkreisen,<br />
weil die erst über Jahrzehnte<br />
wachsen und dann für Außenstehende<br />
kaum mehr zu entwirren sind.<br />
„Da wir in den kommenden Jahren mit<br />
einer wachsenden Zahl jährlich produzierter<br />
Pkws rechnen, brauchen wir mehr denn<br />
je einen Frachtabrechnungsprozess, der<br />
reibungslos funktioniert“, sagt BMW-Projektleiterin<br />
Kirsten Commer.<br />
Dafür sollten die Berater von Camelot<br />
ITLab sorgen: Sie führten eine weltweit<br />
erstmals verwendete SAP-Software ein, an<br />
deren Entwicklung sie beteiligt waren. „Wir<br />
verstehen nicht nur die Möglichkeiten der<br />
IT, sondern auch die Anforderungen der<br />
Geschäftsprozesse und der Unternehmensorganisation“,<br />
sagt Camelot-Chef Josef<br />
Packowski.<br />
Heißt auch: Spediteure, die für den Autokonzern<br />
tätig sein wollen, müssen sich<br />
nun als BMW-Partner qualifizieren und zu<br />
vorher festgelegten Bedingungen liefern.<br />
Gezahlt wird nach Vorkostenkalkulation<br />
per Gutschrift. Dadurch entfallen viele Prozessschritte,<br />
der Papierkram wird weniger.<br />
Manuell nachgebessert wird nur noch in<br />
Ausnahmen, das Gros läuft automatisiert.<br />
„Das Konzept von Camelot ITLab hat<br />
uns beeindruckt“, sagt Jury-Mitglied Thomas<br />
Deelmann. „Der Dreischritt aus Strategie,<br />
Prozessen und IT-Unterstützung ist<br />
gelungen.“<br />
MERCER<br />
Grenzenlos<br />
astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />
Wer bei BMW arbeitete und das Angebot<br />
bekam, auf einen Posten ins Ausland zu<br />
wechseln, hatte lange Zeit ein Problem.<br />
Denn zur ersten Freude etwa über einen<br />
neuen Job in den USA gesellte sich rasch<br />
ein Gefühl der Unsicherheit: Schließlich<br />
ließ sich nicht ohne Weiteres sagen, ob der<br />
neue Job außerhalb Deutschlands einen<br />
Aufstieg bedeutete oder zumindest auf der<br />
gleichen Karrierestufe angesiedelt war.<br />
Oder ob man sich gar verschlechterte.<br />
Denn bei dem bayrischen Automobilhersteller<br />
gab es einen bunten Strauß von<br />
Funktionsbewertungssystemen. In England,<br />
wo die Rolls-Royce- und Mini-Produktion,<br />
Motorenwerke sowie Vertriebsund<br />
Finanzorganisationen zum Unternehmen<br />
gehören, existierte eine Insellösung.<br />
Im Reich der Mitte hinkte das Job-Grading-<br />
System dem rasanten Wachstum von BMW<br />
China hinterher. Weltweit waren viele Führungspositionen<br />
erst gar nicht eingeordnet.<br />
Um die Führungspositionen für 106000<br />
Mitarbeiter global zu harmonisieren und<br />
Mitarbeiter durch mehr Transparenz und<br />
marktgerechte Bezahlung langfristig ans<br />
Unternehmen zu binden, engagierte der Autobauer<br />
aus München Mitte 2010 den Personal-<br />
und Vergütungsspezialisten Mercer.<br />
80 Referenzpositionen wurden so idealtypisch<br />
charakterisiert und mehr als 2000<br />
konkrete Stellen nach diesen Kriterien<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 89<br />
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Management&Erfolg | Spezial<br />
»<br />
bewertet. Weil die Führungsstruktur<br />
nun weltweit nachvollziehbar ist und Mitarbeiter<br />
erkennen, wie die Stelle in der<br />
Nachbarabteilung oder ausländischen<br />
Niederlassung eingeordnet ist, wissen sie<br />
auch, ob ein Wechsel als Aufstieg gewertet<br />
werden kann.<br />
„Das neue Bewertungssystem fördert<br />
das Denken über Ressortgrenzen hinaus<br />
und ist die Grundlage für eine globale Personalentwicklung“,<br />
sagt Konzern-Personaler<br />
Johannes Trauth, Leiter des Bereichs<br />
Vergütung. „Die Umsetzung hat gut funktioniert,<br />
weil alle Beteiligten weltweit von<br />
Anfang an eingebunden wurden.“<br />
In der Pilotphase etwa diskutierten<br />
Deutsche, Malaysier mit Polen und Südamerikanern<br />
über die Bewertung von Positionen.<br />
Jury-Mitglied Axel Wachholz ist begeistert:<br />
„Eines der anspruchsvollsten Personalprojekte,<br />
die ich je gesehen habe.“<br />
astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />
Sieger Kategorie<br />
PERSONAL<br />
Projekt: Globale Harmonisierung<br />
der Personalbewertung<br />
Kunde: BMW<br />
Günter Schmidt (Mercer, links)<br />
Johannes Trauth (BMW)<br />
Exzellent: ICUnet<br />
Prämiert: Promerit<br />
PWC<br />
Minenfelder<br />
umschifft<br />
Von der Automatendreherei im Schwarzwald<br />
zum weltweit agierenden Spezialisten<br />
für Umformtechnik: Seit seiner Gründung<br />
im Jahr 1942 hatte sich Mittelständler Neumayer<br />
Tekfor im Laufe mehrerer Jahrzehnte<br />
zum erfolgreichen Automobilzulieferer<br />
gemausert, mit 3500 Mitarbeitern, Standorten<br />
und Aufträgen in der ganzen Welt.<br />
Doch im Sommer 2012 droht das Aus: In<br />
Südeuropa und Brasilien brechen die<br />
Märkte ein, die Gesellschafter sind zerstritten,<br />
das Unternehmen ist hoch verschuldet,<br />
die Zahlungsunfähigkeit droht.<br />
Nach der Bestandsaufnahme durch die<br />
Berater von PricewaterhouseCoopers beantragt<br />
das Management des Mittelständlers<br />
Insolvenz nach dem neuen Schutzschirmverfahren<br />
„Schon der Name indiziert, dass ein solches<br />
Verfahren weniger schädigend für Reputation<br />
und Kundenbeziehungen ist als<br />
ein reguläres Insolvenzverfahren“, sagt<br />
PricewaterhouseCoopers-Partner Joachim<br />
Englert.<br />
Die Jury<br />
ULRICH BECKER<br />
verantwortet als Managing Director<br />
den Bereich Fusionen und Zukäufe bei<br />
Credit Suisse<br />
THOMAS DEELMANN<br />
leitet die Strategieentwicklung bei T-Systems<br />
und lehrt als Professor für Corporate<br />
Management und Consulting an der BiTS-<br />
Hochschule in Iserlohn<br />
ALEXANDER MOSCHO<br />
Leiter Corporate Development bei Bayer<br />
Sieger Kategorie<br />
RESTRUKTURIERUNG<br />
Projekt: Unternehmensrettung<br />
durch Schutzschirmverfahren<br />
Kunde: Neumayer Tekfor<br />
Joachim Englert (PwC)<br />
Exzellent: Allianz Inhouse<br />
Consulting<br />
Prämiert: EnBW Inhouse Consulting<br />
Das damals größte deutsche Schutzschirmverfahren<br />
habe Vorbildfunktion –<br />
auch, weil PwC die Restrukturierung mit<br />
„hoher Detailgenauigkeit exzellent geplant<br />
und bis zum Schluss ohne Abweichungen<br />
durchgeführt hat“, bestätigt Insolvenzverwalter<br />
Joachim Exner, der das Schutzschirmverfahren<br />
als Interims-Geschäftsführer<br />
begleitet hat.<br />
Das Ergebnis nach wenigen Monaten:<br />
Die Schulden sinken, das Unternehmen ist<br />
wieder profitabel, alle Arbeitsplätze bleiben<br />
erhalten. Gezielt wird in neue Maschinen<br />
investiert, die Abläufe werden neu<br />
organisiert. „Dank PwC war das Unternehmen<br />
wieder etwas wert“, sagt Credit-<br />
Suisse-Manager und BoC-Jurymitglied<br />
Ulrich Becker. Auch in den Augen von<br />
Investoren: Im März 2013 übernahm der<br />
indische Komponentenhersteller Amtek<br />
den deutschen Mittelständler.<br />
„Ein erfolgreiches Projekt – trotz echter<br />
Minenfelder“, lobt BoC-Juror Becker die<br />
Berater, die neben Methoden- und Branchenkenntnissen<br />
auch die Fähigkeit gezeigt<br />
hätten, zwischen den Interessengruppen<br />
zu moderieren. „Das“ sagt Juror Becker,<br />
„war eine riesengroße Kraftanstrengung.“<br />
n<br />
astrid oldekop | erfolg@wiwo.de<br />
PETER STROBEL<br />
Direktor der konzerninternen Beratungssparte<br />
der Deutschen Bank, zuständig für<br />
den Vergabeprozess zur Erteilung externer<br />
Beratungsmandate<br />
ROLAND TICHY<br />
Chefredakteur der WirtschaftsWoche<br />
AXEL WACHHOLZ<br />
verantwortet in der Geschäftsführung des<br />
mittelständischen Bad- und Armaturenherstellers<br />
Viega die Ressorts Finanzen<br />
und Informationstechnologie<br />
LARS WELLEJUS<br />
Professor für Betriebswirtschaftslehre an<br />
der Fachhochschule Frankfurt und Aufsichtsratsvorsitzender<br />
der European<br />
Technologies Holding<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PR, DIETER MAYR FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
90 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
PREISVERLEIHUNG<br />
Gipfel der Berater<br />
Mehr als 100 hochrangige Gäste von Beratungsunternehmen,<br />
aus Industrie und<br />
Wissenschaft feierten im Düsseldorfer Nobelhotel<br />
Hyatt Deutschlands beste Unternehmensberater.<br />
Die Sieger des von der<br />
WirtschaftsWoche ausgelobten Preises Best<br />
of Consulting (BoC), Deutschlands umfassendstem<br />
Ranking der Beraterindustrie:<br />
Boston Consulting genießt nach wie vor den<br />
besten Ruf in der Branche. Bester Wertsteigerer<br />
und Gesamtsieger wurden dieses Jahr<br />
aber die Berater von Porsche Consulting,<br />
die auch das am höchsten bewertete Projekt<br />
eingereicht hatten: Für den Kunden<br />
SAP entwickelte die Consulting-Tochter des<br />
Automobilherstellers eine neue Organisationsstruktur<br />
für die 15 000 Softwareentwickler,<br />
die Strukturen aus der Porsche-<br />
Montage auf die Arbeit der Programmierer<br />
überträgt. Und so die Entwicklungszeiten<br />
für neue Programme von 15 auf 6 Monate<br />
reduziert.<br />
Ziel des Wettbewerbs, der die Leistung<br />
der Consultants präzise misst: mehr Transparenz<br />
in eine verschwiegene Branche zu<br />
bringen. „Wir wollen den blinden Fleck<br />
lösen“, sagt Frank Höselbarth, Geschäftsführer<br />
der Markenberatungsagentur People<br />
Brand und Mitentwickler der BoC-Methode.<br />
„Und die heimlichen Stars der Branche ans<br />
Licht holen.“ Mehr Bilder vom Abend unter<br />
www.wiwo.de/boc2013/<br />
1 2<br />
3<br />
1|Galadinner im Hotel Hyatt, Düsseldorf<br />
2|Joachim Englert (PwC)<br />
3|Norbert Wittemann (PwC)<br />
4|Verena Barth (EnBW)<br />
5|Gerd Kerkhoff (Kerkhoff Consulting)<br />
6|Janina Klein (ICUnet)<br />
7|Dieter Kern (Mercer)<br />
8|Philip Wenzel (BMW)<br />
9|Roland Tichy (WirtschaftsWoche),<br />
Frank Höselbarth (People Brand),<br />
Wolfgang Lindheim (Porsche Consulting),<br />
Prof. Lars Wellejus (FH Frankfurt)<br />
FOTOS: ROBERT POORTEN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
6 7<br />
5<br />
4 8<br />
9<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 91<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse<br />
Nur nicht lockerlassen<br />
GESCHLOSSENE FONDS | Anleger, die sich an Immobilien, Windparks oder Schiffen beteiligt<br />
haben, stehen vielfach vor einem Scherbenhaufen. Häuser sind mieterlos, Windräder<br />
rosten vor sich hin, und Seefrachtraten stürzen ab. Wie die Fondsanbieter tricksen, um<br />
Investoren trotzdem bei der Stange zu halten. Wie sich Anleger wehren können.<br />
Christoph Schmidt sieht gar<br />
nicht aus wie ein Rebell. Der<br />
49-jährige Diplom-Mathematiker<br />
entspricht in vielen Details<br />
eher dem Klischeebild eines<br />
Hanseaten: korrekt nicht nur bei der Kleidung<br />
und ein wenig unterkühlt – so wie<br />
man die Hamburger kennt. Doch als er seine<br />
15 000 Euro und das <strong>Geld</strong> der anderen<br />
Anleger in einem 2005 aufgelegten, geschlossenen<br />
Fonds des Emissionshauses<br />
Wölbern Invest in Gefahr sah, verlor<br />
Schmidt seine Contenance. Wölbern versuchte<br />
über einen Liquiditätspool <strong>Geld</strong><br />
von einem Fonds in den anderen umzuschichten.<br />
Schnell organisierte Schmidt als<br />
2012 gewählter Anlegerbeirat den Widerstand<br />
gegen Wölbern: „Wir wollten verhindern,<br />
dass unser <strong>Geld</strong> aus dem Immobilienfonds<br />
Österreich 04 an notleidende<br />
Fonds verliehen wird“, sagt Schmidt.<br />
SELTENER SIEG<br />
Es kommt selten vor, dass sich Anleger gegen<br />
die Emittenten eines geschlossenen<br />
Fonds durchsetzen. Anders als Sparer in<br />
offenen Fonds, in die beispielsweise Aktien<br />
oder Anleihen eingekauft werden und die<br />
täglich an der Börse zu einem exakten und<br />
fairen Gegenwert verkauft werden können,<br />
tragen Investoren in geschlossenen Fonds<br />
ein unternehmerisches Risiko – bis hin<br />
zum Totalverlust. Geschlossen sind die<br />
Fonds deshalb, weil sie in der Regel eine<br />
Laufzeit zwischen 10 und 15 Jahren haben,<br />
währenddessen ein Ausstieg kaum oder<br />
nur zu hohen Abschlägen möglich und ein<br />
fairer Wert eher unbekannt ist.<br />
Trotz dieser Konstruktion haben deutsche<br />
Anleger in den vergangenen Jahren<br />
insgesamt rund 200 Milliarden Euro in<br />
solch riskante Portfolios gesteckt (siehe<br />
Grafik). In 1,9 Millionen Beteiligungen<br />
hängt das <strong>Geld</strong> fest; zuletzt legten Sparer<br />
im Schnitt 25 350 Euro pro Neubeteiligung<br />
an. Einfach aussteigen geht nicht: Als im<br />
vergangenen Jahr das Hamburger Emissionshaus<br />
MPC Capital vorübergehend in<br />
Schieflage geriet, konnten sich nur die Aktionäre<br />
in Sicherheit bringen.<br />
Anleger, die ihr <strong>Geld</strong> in geschlossene Beteiligungen,<br />
beispielsweise von MPC oder<br />
anderen Initiatoren, investiert haben, können<br />
dagegen ihre Anteile nur schwer losschlagen.<br />
Meist gelingt dies nur mit hohen<br />
Abschlägen.<br />
Wenn sie solche Notverkäufe vermeiden<br />
wollen, müssen sie sich mit ihren Anbietern<br />
herumschlagen, so wie die Anleger<br />
des Fonds Österreich 04. Die betroffenen<br />
Anleger des Österreich-Fonds leisteten<br />
Anlegergelder einbetoniert<br />
In welcheVermögenswerte geschlossene<br />
Fondsinvestieren (inProzent)<br />
PrivateEquity<br />
Lebensversicherung<br />
Energie 4,5<br />
Flugzeuge<br />
Leasing<br />
7,4<br />
3,7 3,4<br />
4,0<br />
14,2<br />
Gesamt:<br />
195<br />
Milliarden<br />
Euro*<br />
25,8<br />
Schiffe<br />
Sonstige<br />
37,0<br />
*inklusive Fremdkapital;Quelle:BSI Bundesverband<br />
Sachwerteund Investmentvermögen<br />
Immobilien<br />
auch deshalb Widerstand gegen den Liquiditätspool,<br />
weil sie vermuten, dass sie<br />
nachträglich bereits getätigte Transfers absegnen<br />
sollen.<br />
IN DEN BEIRAT GEBOXT<br />
Denn in einem aktuellen Schreiben von<br />
Wölbern an die Anleger heißt es, dass sie<br />
den „in diesem Zusammenhang stehenden<br />
durchgeführten vorbereitenden Maßnahmen<br />
und Transaktionen“ zustimmen<br />
sollen. Zudem befürchten viele Anleger,<br />
dass bisher intakte Fonds in den Sog maroder<br />
Beteiligungen geraten könnten. Wölbern<br />
schreibt dazu: „Dennoch kann ein<br />
Ausfall einzelner oder mehrerer teilnehmender<br />
Darlehensnehmer nicht ausgeschlossen<br />
werden...“ Wölbern gab bis<br />
Redaktionsschluss dazu keine Stellungnahme<br />
ab.<br />
Mathematiker Schmidt boxte sich 2012<br />
in den Anlegerbeirat des Österreich 04.<br />
Seither geht dieser gegen den Ursprungsgeschäftsführer<br />
vor: Es geht um angeblich<br />
ungültige Beschlüsse, manipulierte Wahlen<br />
und verweigerte Daten. Nach vorläufig<br />
zwölf Prozessen vornehmlich an Hamburger<br />
Gerichten haben die Anleger des<br />
Österreich 04 ein Etappenziel erreicht: Der<br />
Geschäftsführer wurde geschasst.<br />
Umstrittene Vorgänge wie bei den<br />
Fondsinitiatoren S&K, deren Chefs sich<br />
derzeit in Untersuchungshaft befinden,<br />
und Fairvesta (WirtschaftsWoche 42/2013)<br />
tragen nicht gerade zum Vertrauen in die<br />
Branche der Beteiligungsfonds bei.<br />
Verschärfte gesetzliche Regeln, Überkapazitäten<br />
bei Schiffen etwa oder die gekürzte<br />
Solarförderung in Deutschland machen<br />
den Anbietern geschlossener<br />
»<br />
FOTO: ANNA-LENA MUTTER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
92 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Zäher Kämpfer<br />
Mathematiker Schmidt setzte sich im<br />
Kleinkrieg um ungültige Beschlüsse,<br />
manipulierte Wahlen und verweigerte<br />
Daten gegen den Initiator seines<br />
Fonds durch<br />
3500 Anleger haben in<br />
den Immobilienfonds Wölbern<br />
Österreich 04 investiert<br />
15 000 von<br />
176 Millionen Euro zahlte<br />
Christoph Schmidt<br />
12 Prozesse haben die<br />
Gesellschafter des Fonds<br />
bisher gegen Wölbern geführt<br />
93<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse<br />
Abgehängt Laue Lüftchen statt<br />
starker Brise machen Windparkfonds<br />
zum Verlustgeschäft<br />
»<br />
Fonds bereits das Leben schwer. Das<br />
Berliner Research-Haus Scope rechnet daher,<br />
dass die Fonds dieses Jahr 40 Prozent<br />
weniger Anlegerkapital einwerben als<br />
2012. Einen Teil der Probleme haben sich<br />
die Initiatoren selbst eingebrockt. Zwar<br />
war die Finanzkrise nicht vorherzusehen.<br />
Aber es war leichtfertig, das Wachstum<br />
von Mieten oder Frachtraten linear fortzuschreiben.<br />
100 NOTVERKÄUFE<br />
Insbesondere Schiffsfonds sind in einen<br />
Abwärtsstrudel geraten. Weil der Leitindex<br />
Baltic Dry zur Messung der Frachtraten seit<br />
Ende 2009 zeitweise um zwei Drittel eingebrochen<br />
ist, kommen immer mehr Schiffe<br />
unter den Hammer. Das Hamburger Analyseunternehmen<br />
Deutsche Fonds Research<br />
zählte allein im ersten Halbjahr<br />
2013 rund 100 Notverkäufe von Schiffen,<br />
die von geschlossenen Fonds finanziert<br />
wurden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr<br />
zuvor wurden insgesamt nur 86 Schiffe<br />
ausgemustert. In diesem Jahr erwischte es<br />
die Hamburger Schiffsfondsanbieter GHF<br />
und EEH Elbe (siehe Tabelle Seite 96).<br />
Dass den Überlebenden der Beteiligungsbranche<br />
nun oft das Wasser bis zum<br />
Hals steht, zeigt der Fall des Dortmunder<br />
Beteiligungshauses Dr. Peters. Das forderte<br />
von seinen Investoren bereits geleistete<br />
Ausschüttungen aus einem Schiffsfonds<br />
zurück.<br />
Zwei Anleger weigerten sich und klagten<br />
erfolgreich bis zum Bundesgerichtshof. Allein<br />
der Umstand, dass die Beträge unabhängig<br />
von einem erwirtschafteten Gewinn<br />
ausgeschüttet wurden, lässt keinen<br />
Rückzahlungsanspruch entstehen, urteilten<br />
die Richter (II ZR 73 11 und II ZR 74 11).<br />
Nach den BGH-Urteilen meldete der Dr.<br />
Peters jedoch für mehrere Schiffsfonds Insolvenz<br />
an.<br />
Auch Gertrud Wiesinger* könnte mit ihren<br />
Beteiligungen Schiffbruch erleiden.<br />
Die Selbstständige erbte 2004 von einem<br />
verstorbenen Verwandten aus Italien rund<br />
70 000 Euro. Das <strong>Geld</strong> wollte die über<br />
70-jährige Frankfurterin für ihre Altersvorsorge<br />
zurücklegen. <strong>Ihr</strong>e Hausbank empfahl<br />
drei geschlossene Fonds, zwei von Wölbern<br />
(Holland 52, Real Estate Deutschland<br />
01) und einen weiteren von MPC (Sachwert<br />
Rendite Fonds Holland 50). Anfangs<br />
lief es durchaus rund, die Fonds zahlten<br />
pünktlich ihre Ausschüttungen. Von 2011<br />
an gab es jedoch kein <strong>Geld</strong> mehr. Wiesinger<br />
soll nun ebenfalls bereits erhaltene Gewinne<br />
zurückzahlen, um die Fonds zu stützen.<br />
Dagegen geht die Unternehmerin nun<br />
anwaltlich vor.<br />
Die Rückzahlungsforderungen der Initiatoren<br />
gehen vor allem auf den Druck der<br />
»Der Ton gegenüber<br />
den Anlegern<br />
wird rauer«<br />
Alexander Schaal, Kanzlei von Buttlar<br />
Banken zurück, die um ihre Kredite fürchten.<br />
„Der Ton gegenüber den Anlegern<br />
wird rauer“, sagt Anwalt Alexander Schaal<br />
in der Kanzlei von Buttlar in Stuttgart. Wo<br />
früher gebeten wurde, werde jetzt gefordert.<br />
Anderenfalls, so die Drohung, sei der<br />
Totalverlust der Einlage nicht mehr zu verhindern.<br />
BANKER GREIFEN ZUERST ZU<br />
Banken, die über Kredite Schiffe oder<br />
Windparks mitfinanzieren, haben über ihre<br />
Sicherheiten wie etwa Hypotheken als<br />
erste Zugriff auf die Vermögenswerte des<br />
Fonds. Deshalb müssen Anleger bei einem<br />
Notverkauf von Schiffen, Flugzeugen oder<br />
Immobilien mit hohen Verlusten rechnen.<br />
Fatal für Investoren: Die Fondsmacher<br />
bringen einzelne Pleiten nicht in Bedrängnis.<br />
Denn deren Vertrieb hat die Provision –<br />
oft mehr als zehn Prozent – längst kassiert,<br />
die Projektierungskosten sind eingefahren,<br />
und die Verwaltungsgebühren sind auch<br />
dann weiter geflossen, während der Fonds<br />
schon Verluste machte. Allerdings sind die<br />
Anleger nicht völlig wehrlos. Der Gesetzgeber,<br />
Gerichtsurteile und nicht zuletzt die<br />
Gesellschafterverträge setzen eigenmächtigen<br />
Initiatoren inzwischen harte Grenzen.<br />
Es dauerte allerdings bis Juli dieses Jahres,<br />
ehe der Gesetzgeber den geschlossenen<br />
Fonds einen rechtlichen Rahmen verpasste.<br />
Nach dem neuen Kapitalanlagegesetzbuch<br />
(KAGB) müssen Fondsanbie-<br />
»<br />
* Name von der Redaktion geändert<br />
FOTO: A1PIX/MATTHIAS KRÜTTGEN<br />
94 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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WARNSIGNALE<br />
Gefährliche Sonderrechte<br />
Wo Fallen in den Gesellschafterverträgen für geschlossene Fonds liegen<br />
können, welche Investments Anleger möglichst meiden sollten.<br />
Initiatoren haben große Freiheiten beim<br />
Aufsetzen eines Gesellschaftsvertrags,<br />
der rechtlichen Grundlage für geschlossene<br />
Fonds. Viele nutzen diese zu ihren<br />
Gunsten. Scheinbar harmlose Klauseln<br />
können dramatische Folgen für die Anleger<br />
haben. So werden ihre Rechte auf Gesellschafterversammlungen<br />
beschnitten,<br />
die Arbeit von Beiräten blockiert oder<br />
umstrittene Beschlüsse durchgedrückt.<br />
GESCHÄFTSZWECK<br />
Ein geschlossener Fonds ist zwar eine unternehmerische<br />
Beteiligung, kann aber<br />
nicht handeln wie ein Unternehmen. <strong>Ist</strong><br />
das Investitionsobjekt nicht mehr gefragt<br />
– zuletzt waren es vor allem Containerschiffe<br />
–, gerät der Fonds unweigerlich in<br />
Schieflage. Wer anlegt, sollte überhitzte<br />
oder krisenanfällige Branchen meiden.<br />
BLINDANLAGEN<br />
Bei Auflage des Fonds ist nicht bekannt,<br />
in welche Objekte, etwa Immobilien oder<br />
Schiffe, investiert wird (Blind-Pool).<br />
Anleger können das Risiko ihres Investments<br />
nicht abschätzen. Tipp: Blind-<br />
Pools meiden. Geschäftsberichte sollte<br />
das Emissionshaus zeitnah veröffentlichen.<br />
Zudem sollte der Initiator eine lückenlose<br />
Leistungsbilanz vorlegen können.<br />
Hat der Initiator bereits eine Reihe<br />
von Fonds aufgelegt, deren Anteile am<br />
Zweitmarkt für geschlossene Fonds<br />
(www.zweitmarkt.de) mit hohen Abschlägen<br />
gehandelt werden oder die bereits<br />
abgewickelt wurden, dann sollte das ein<br />
Warnsignal sein.<br />
HOHE KOSTEN<br />
Vorsicht, wenn Vertrieb, Verwaltung und<br />
Dienstleister mehr als 15 Prozent des investierten<br />
Kapitals schlucken.<br />
MEHRHEITSVERHÄLTNISSE<br />
Je größer der Fonds und je niedriger die<br />
Mindestanlagesumme ist, desto mehr Gesellschafter<br />
gibt es – und desto schwieriger<br />
wird es, eine Mehrheit zu organisieren. Um<br />
eine Gesellschafterversammlung einberufen<br />
zu können, sind je nach Vertrag zwischen<br />
10 und 40 Prozent der Anteile am<br />
Fonds nötig. Anleger sollten Fonds meiden,<br />
die ein Quorum von mehr als 20 Prozent erfordern.<br />
Gefährlich sind auch Sonderstimmrechte<br />
für Initiatoren und Klauseln,<br />
nach denen Geschäftsführer nur mit<br />
75-prozentiger Mehrheit abgewählt werden<br />
können. So können Gesellschafter Geschäftsführer,<br />
die nicht im Interesse der<br />
Anleger handeln, kaum loswerden.<br />
Bank<br />
prüftBilanzen<br />
gibt Kredite gegen<br />
Hypothek<br />
BEIRAT<br />
Wenn ein Fonds einen Beirat vorsieht, ist<br />
das grundsätzlich positiv. Allerdings sollten<br />
diese Beiräte ausschließlich von den<br />
Gesellschaftern gewählt werden. Fonds,<br />
bei denen der Initiator einen der beiden<br />
Beiräte stellt, sind mit Vorsicht zu genießen.<br />
Beiräte dürfen Gesellschafterversammlungen<br />
einberufen, allerdings nur,<br />
wenn sie sich einig sind.<br />
VERSAMMLUNG<br />
Bei Fonds, die auch Abstimmungen übers<br />
Internet erlauben, ist es nahezu unmöglich,<br />
umstrittene Beschlüsse zu verhindern.<br />
Kritisch sind auch Klauseln, denen<br />
zufolge nur der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung<br />
leiten darf. So<br />
kann er sich weigern, über Anträge von<br />
Anlegern abstimmen zu lassen.<br />
INTERESSENKONFLIKT<br />
Einige Initiatoren beauftragen über den<br />
Fonds Dienstleister, mit denen sie privat<br />
und geschäftlich verbunden sind. Es besteht<br />
das Risiko, das Anlegergelder für<br />
überteuerte Leistungen verschwendet<br />
werden. Anleger sollten Fonds meiden,<br />
bei denen Interessenkonflikte drohen.<br />
Im Netz der <strong>Geld</strong>sammler<br />
So funktioniertein geschlossener Fonds*<br />
Emissionshaus (Initiator)<br />
legt den Fonds auf und sammelt die Anlegergelder ein<br />
Geschäftsbesorgungsvertrag<br />
Fondsgesellschaft<br />
(Komplementärin)<br />
investiertbeispielsweise<br />
in Immobilien, Flugzeuge oder Windparks,<br />
zahlt Gewinne als Ausschüttungen<br />
an die Anleger aus, erstellt<br />
Geschäftsberichte<br />
martin.gerth@wiwo.de, daniel schönwitz<br />
Fondsgeschäftsführer<br />
wirdvom Initiator<br />
eingesetzt, steuertoperativ<br />
den Fonds, beruftGesellschafterversammlungen<br />
ein und stellt Vorschläge<br />
zur Abstimmung<br />
AUSSCHÜTTUNGEN<br />
Geschlossene Fonds sollten eigentlich nur<br />
ausschütten, wenn Gewinne anfallen. Anfangs<br />
machen sie jedoch Verluste. Um die<br />
Anleger bei der Stange zu halten, schütten<br />
einige trotz Verlusten aus. Diese gewinnunabhängigen<br />
Ausschüttungen können<br />
die Initiatoren gegebenenfalls später<br />
zurückfordern. Verdächtig sind Klauseln,<br />
nach denen Ausschüttungen an Anleger<br />
„als Darlehen“ verbucht werden können.<br />
Wirtschaftsprüfer<br />
Gesellschaftsvertrag<br />
regelt, welche<br />
Rechte und<br />
Pflichten die<br />
Anleger haben<br />
Anleger (Kommanditist)<br />
zahlen in den Fonds ein, können, soweit es der<br />
Initiator zulässt, über die Gesellschafterversammlung<br />
mitbestimmen<br />
Treuhänder<br />
überwacht Mittelverwendung<br />
des Fonds<br />
Treuhandvertrag<br />
Beirat<br />
soll die Arbeit des Fondsgeschäftsführers<br />
kontrollieren<br />
und die Interessen der<br />
Anleger vertreten<br />
Gesellschafterversammlung<br />
fasst Beschlüsse, wählt den Beirat, kann<br />
Fondsgeschäftsführer abwählen oder<br />
Wirtschaftsprüfer bestellen<br />
*das Gros der geschlossenen Fonds firmiertals GmbH &Co. KG, Komplementär haftet mit gesamtem Vermögen,<br />
Kommanditist nur mit der Einlage; Quelle: eigene Recherche<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 95<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse<br />
Entfrachtet<br />
Kapazitäten weit oberhalb<br />
des Notwendigen drückten<br />
Schiffsbeteiligungen tief<br />
unter Wasser<br />
»<br />
ter neuerdings eine interne Revision<br />
einrichten und vor allem eine Bank oder<br />
eine Treuhandfirma engagieren, welche<br />
die Ein- und Auszahlungen des Fonds<br />
überwacht. Und sie sollen bewerten, „ob<br />
Kauf- und Verkaufspreise der Assets – Immobilien<br />
oder Schiffe – angemessen sind“,<br />
erklärt Frank Herring, Partner der Kanzlei<br />
Allen & Overy in Frankfurt. Zudem müssen<br />
Anbieter geschlossener Fonds bis zum<br />
21. Juli 2014 eine Zulassung bei der Bundesanstalt<br />
für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(BaFin) beantragen. Nur wer als<br />
Fondsmanager bestimmte Mindestkriterien,<br />
etwa Zuverlässigkeit und berufliche<br />
Qualifikation, erfüllt, soll künftig von den<br />
BaFin-Aufsehern als Anbieter zugelassen<br />
werden.<br />
Milliarden im Pleitestrudel<br />
Welche Anbieter geschlossener Fonds<br />
in diesem Jahr Insolvenz anmeldeten,<br />
wie viel Anlegergeld in Gefahr ist<br />
Emissionshaus<br />
DCM<br />
GHF<br />
EEH Elbe<br />
S&K Sachwerte<br />
Investments<br />
Immobilien<br />
Schiffe<br />
Schiffe<br />
Immobilien<br />
* nur Eigenkapital; Quelle: eigene Recherchen<br />
Anlagevolumen<br />
in Mio. Euro<br />
4700<br />
2600<br />
100*<br />
100<br />
UNVERSTÄNDLICHER SCHUTZ<br />
Das Problem: Wer als Initiator weniger als<br />
100 Millionen Euro Anlegerkapital verwaltet,<br />
muss die neuen Vorgaben nicht erfüllen.<br />
Das sei „unter Anlegerschutzgesichtspunkten<br />
unverständlich“, sagt Herring.<br />
Hinzu kommt: Das KAGB enthält kaum<br />
Vorgaben zu Gesellschafterverträgen, in<br />
denen zahlreiche gefährliche Klauseln<br />
schlummern. „Hier müsste die Bundesregierung<br />
für klare Standards sorgen“, fordert<br />
Patrick Elixmann, Anlegeranwalt bei der<br />
Kanzlei Göddeke in Siegburg. Damit können<br />
die Anbieter weiterhin die Verträge<br />
mehr oder weniger frei gestalten. Anleger<br />
sollten vor einem möglichen Investment<br />
den Gesellschaftsvertrag streng prüfen<br />
(siehe Kasten Seite 95). Wichtig ist auch,<br />
wie die Lasten einer Sanierung verteilt<br />
sind. Kritisch wird es, wenn ausschließlich<br />
die Anleger mit ihrem Eigenkapital zur<br />
Kasse gebeten werden, die Bank sich mit<br />
ihrem Kredit dagegen schadlos hält.<br />
Geht es hart auf hart, dann ist eine Abwahl<br />
der Geschäftsführer oft die einzige<br />
Chance für Anleger, um noch an ihr <strong>Geld</strong><br />
zu kommen. „Geschäftsführer und Anleger<br />
Leinen los<br />
DieNotverkäufe beiSchiffsfonds<br />
steigendramatisch*<br />
9 11<br />
25<br />
41 43<br />
57<br />
I. II. III. IV. I. II.<br />
2012<br />
2013<br />
*Anzahl der Schiffe;<br />
Quelle:DeutscheFondsresearch<br />
haben in der Regel entgegengesetzte Interessen“,<br />
moniert der Berliner Anlegeranwalt<br />
Timo Gansel.<br />
Anleger von Windkraftfonds, die zwischen<br />
1997 und 2005 aufgelegt wurden,<br />
wissen das sehr gut. Denn obwohl die meisten<br />
Fonds wegen teurer Reparaturen an<br />
den Anlagen und falscher Windprognosen<br />
schlecht laufen – rund 60 Prozent von ihnen<br />
liegen unter Plan, schätzt Christian Herz<br />
vom Windparkmanager Ökofair Energie –,<br />
versuchen Geschäftsführer selten, das Ruder<br />
noch herumzureißen. Eine Option wäre,<br />
ineffiziente Windräder durch neuere zu<br />
ersetzen. Solange aber die Verwaltungsgebühren<br />
erfolgsunabhängig fließen, haben<br />
die Fonds keinen wirklichen Anreiz, um ein<br />
besseres Konzept zu entwickeln.<br />
ERMITTLUNGEN AUF EIGENE FAUST<br />
Wittern die Fondsgeschäftsführer allerdings<br />
Meuterei, schlagen sie mit juristischen<br />
Mitteln hart zurück. Bis vor zwei Jahren<br />
verweigerten viele Initiatoren, Daten<br />
der übrigen Gesellschafter weiterzugeben.<br />
Der Widerstand konnte sich so nicht organisieren.<br />
Erst als der Bundesgerichtshof<br />
2011 den Anspruch der Gesellschafter auf<br />
die Daten anderer Anleger bestätigte, bröckelte<br />
der Widerstand der Emissionshäuser<br />
(BGH II ZR 187/09). Trotz BGH-Entscheid<br />
weigerte sich Wölbern unter Hinweis<br />
auf den Datenschutz aber bis heute,<br />
die Daten der übrigen Anleger an den geprellten<br />
Christoph Schmidt weiterzuleiten.<br />
Schmidt ließ sich dadurch aber nicht<br />
entmutigen und ermittelte auf eigene Faust<br />
FOTO: SHOTSHOP/SCOUT<br />
96 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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„einzelne Namen mühsam über Handelsregisterauszüge“.<br />
Inzwischen weist Wölbern<br />
in Schreiben an die Anleger auf die<br />
Urteile des BGH hin. Andere Initiatoren<br />
schreckt die Rechtsprechung des BGH offenbar<br />
immer noch nicht. Diese Erfahrung<br />
macht zumindest Anlegeranwalt Elixmann:<br />
„Ich musste bei mehreren Windkraftfonds<br />
die Herausgabe von Adressen<br />
erst gerichtlich durchsetzen.“<br />
Allein mit den Adressen anderer Teilhaber<br />
ist noch nicht viel gewonnen. Zur Rebellion<br />
gewillte Anleger müssen danach<br />
erst noch die schwerste Hürde nehmen –<br />
eine Mehrheit gegen die Fondsgeschäftsführung<br />
zu gewinnen. Laut Gesellschaftervertrag<br />
sind oft 75 Prozent der Anteilseigner<br />
notwendig, um einen neuen Geschäftsführer<br />
installieren zu können (siehe<br />
Kasten Seite 95). Erschwerend kommt hinzu,<br />
das sich manche Initiatoren bei Auflage<br />
der Fonds solche Gesellschafter ins Boot<br />
»Selbst eindeutige<br />
Beschlüsse werden<br />
angefochten«<br />
Patrick Elixmann, Kanzlei Göddeke<br />
holen, von denen keine große Opposition<br />
zu erwarten ist. So werden beispielsweise<br />
gerne Chefs von Finanzvertrieben beteiligt<br />
– sie haben kein Interesse, den Geschäftsführer,<br />
der sie nährt, abzusetzen. „Fondsanbieter<br />
wollen unbedingt vermeiden,<br />
dass Anleger Einfluss nehmen können“,<br />
sagt Anwalt Gansel.<br />
Aber nicht immer gelingt das. Tapfer<br />
kämpften im vergangenen Jahr 175 Anleger<br />
gegen das Management des Windparks<br />
Erfurt-Möbisburg. Ein großer Teil des Anlegergelds<br />
ging für Vertrieb, Verwaltung und<br />
weitere Nebenkosten drauf. Die Gesellschafter<br />
schafften es, eine Mehrheit zu organisieren<br />
und setzten im Mai 2011 den<br />
Geschäftsführer und Ventimotor-Chef Stephan<br />
Hloucal ab. An seine Stelle rückte der<br />
unabhängige Windparkmanager Ökofair<br />
Energie Mettmann.<br />
Hloucal zog gegen den Beschluss der<br />
Gesellschafter bis vors Oberlandesgericht<br />
Jena, aber ohne Erfolg (2 U 650/11). Derartige<br />
Streitfälle häufen sich: „Selbst eindeutige<br />
Gesellschafterbeschlüsse werden immer<br />
wieder angefochten“, berichtet Elixmann,<br />
der die Möbisburg-Anleger beraten<br />
hat. Beim Windpark Amesdorf-Wellen<br />
»<br />
RECHT & STEUERN<br />
Nicht filmreif<br />
Welche Ansprüche Anleger bei<br />
geschlossenen Fonds haben und wie<br />
sie ihr <strong>Geld</strong> noch retten können.<br />
TRANSPARENZ<br />
Geschlossene Fonds müssen die Namen<br />
und Anschriften der übrigen Anleger gegenüber<br />
Gesellschaftern offenlegen, um<br />
einen Informationsaustausch zu gewährleisten.<br />
Dies entschied der Bundesgerichtshof<br />
in mehreren Urteilen (II ZR<br />
187/09, II ZR 134/11). So können Anleger<br />
Mehrheiten für Beschlüsse auch gegen<br />
den Willen des Fondsgeschäftsführers<br />
organisieren.<br />
NACHSCHUSSPFLICHT<br />
Anleger haften bei einem als Kommanditgesellschaft<br />
konzipierten Fonds nur mit<br />
ihrer Einlage. Eine automatische Nachschusspflicht<br />
gibt es nicht. Ausnahme:<br />
Schüttet der Fonds unabhängig von Gewinnen<br />
aus, kann der Initiator dieses <strong>Geld</strong><br />
zurückfordern. Dies gilt aber nur, wenn<br />
diese Ausschüttungen laut Gesellschaftsvertrag<br />
ausdrücklich als Darlehen gewährt<br />
werden (Bundesgerichtshof, II ZR<br />
73 11, II ZR 74 11). Ohne diese Klausel,<br />
so entschieden die Richter, dürfen die<br />
Anleger die Ausschüttungen behalten<br />
oder zu Unrecht überwiesenes <strong>Geld</strong> zurückverlangen.<br />
Anders sieht es bei einem<br />
Fonds aus, der als Gesellschaft bürgerlichen<br />
Rechts (GbR) konstruiert ist. Bei einer<br />
GbR haften die Gesellschafter auch<br />
mit ihrem gesamten Vermögen.<br />
MITSPRACHERECHTE<br />
Initiatoren dürfen nicht eigenmächtig Immobilien<br />
oder Schiffe verkaufen – auch<br />
nicht bei einem Liquiditätsengpass. Sie<br />
brauchen dazu eine Mehrheit der Anleger.<br />
Wie groß der Anteil sein muss, steht<br />
im Gesellschaftervertrag. Vor einem Beschluss<br />
haben die Gesellschafter Anspruch<br />
auf Informationen über die aktuelle<br />
Geschäftsentwicklung. Zwei bis drei<br />
Jahre alte Geschäftsberichte sind keine<br />
ausreichende Entscheidungsgrundlage.<br />
SCHADENSERSATZ<br />
Wenn ein geschlossener Fonds kriselt,<br />
besteht gegenüber Beratern, Bank oder<br />
Fonds unter Umständen ein Anspruch auf<br />
Schadensersatz oder die Rückabwicklung<br />
des gesamten Geschäfts. Ansprüche können<br />
bestehen:<br />
n wenn der Berater Provisionen gar nicht<br />
oder nicht detailliert genug offengelegt<br />
hat. Selbst wenn der Prospekt die Vergütung<br />
und deren Empfänger korrekt angibt,<br />
muss der Berater darüber aufklären;<br />
n wenn der Fonds als risikoloses Investment<br />
für die Altersvorsorge beworben<br />
wurde, obwohl es sich um eine unternehmerische<br />
Beteiligung handelt, bei der<br />
Anleger ihren Einsatz verlieren können;<br />
n wenn der Initiator zum Nachteil der<br />
Anleger Geschäfte mit eigenen Firmen<br />
gemacht hat. Dies ist etwa der Fall, wenn<br />
eine Reederei Schiffe überteuert an hauseigene<br />
Fonds verkauft, ohne dass dies im<br />
Prospekt steht;<br />
n wenn das <strong>Geld</strong> zweckentfremdet wurde.<br />
So sammelte beispielsweise die Commerzbank<br />
<strong>Geld</strong> für Medienfonds ein, das aber<br />
nur zu einem kleinen Teil in die Produktion<br />
von Spielfilmen floss;<br />
n wenn der Prospekt falsche Angaben<br />
enthält, etwa über die Höhe der Kosten<br />
oder über unternehmerische Risiken;<br />
n wenn von der Gesellschafterversammlung<br />
beschlossene Änderungen der<br />
Geschäftsgrundlagen juristisch angreifbar<br />
sind. Dazu gehören beispielsweise der<br />
zeitweise Verzicht auf Mieten oder die<br />
Verpflichtung, <strong>Geld</strong> in einen kriselnden<br />
Fonds nachzuschießen.<br />
VERJÄHRUNG<br />
Ansprüche auf Schadensersatz gegen<br />
Vermittler, Fonds oder Bank verjähren<br />
nach drei Jahren. Die Frist läuft am Ende<br />
des Jahres an, in dem Anleger von der<br />
Falschberatung oder dem Prospektfehler<br />
hätten wissen müssen. Dieser Zeitpunkt<br />
kann je nach Einzelfall auch erst viele Jahre<br />
nach Vertragsschluss eingetreten sein.<br />
Nur wenn die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit<br />
beruht, besteht kein Anspruch<br />
auf Schadensersatz.<br />
VERLUSTVERRECHNUNG<br />
Anfangsverluste des Fonds lassen sich<br />
nur mit Gewinnen aus der geschlossenen<br />
Beteiligung verrechnen. Das Finanzamt<br />
akzeptiert allerdings nur Verluste bis zur<br />
Höhe der Einlage. Zweifelt das Finanzamt<br />
an der Gewinnerzielungsabsicht des<br />
Fonds, weil dieser nur Verluste produziert,<br />
muss der Anleger die Steuervorteile<br />
nachträglich zurückerstatten.<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 97<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse<br />
»<br />
in Sachsen-Anhalt hätten die Anleger<br />
auf jeder Gesellschafterversammlung in<br />
den zurückliegenden drei Jahren die Geschäftsführer<br />
erneut abwählen müssen,<br />
weil vorherige Absetzungsbeschlüsse angefochten<br />
worden waren, berichtet Elixmann.<br />
Dies habe eine wahre Prozessflut<br />
ausgelöst. Ruhe hätten die Anleger wohl<br />
erst, wenn der Fall vor dem Bundesgerichtshof<br />
lande landen würde.<br />
Schmidt und seine Mitstreiter sind davon<br />
nicht mehr weit entfernt. Im Juli hat<br />
das Landgericht Hamburg eine einstweilige<br />
Verfügung gegen die Absetzung des<br />
Fondsgeschäftsführers abgewiesen.<br />
Der Fall Wölbern zeigt auch exemplarisch,<br />
um was es vielen kriselnden Emissionshäusern<br />
geht: um einen Verkauf des<br />
Restvermögens, im Fall von Wölbern um<br />
die Immobilien.<br />
Je mehr Fondsanleger einem Verkauf der<br />
Immobilien zustimmen, desto schneller<br />
wäre der Hamburger Initiator seine Altlasten<br />
los und könnte mit neuen Produkten<br />
wieder höhere Gebühreneinnahmen in die<br />
eigene Bilanz schaufeln.<br />
NRW-REGIERUNG MAUERT<br />
Ähnlich sieht in es Düsseldorf aus. Bei<br />
Westfonds, einer Tochter der beiden<br />
WestLB-Nachfolgegesellschaften Portigon<br />
und Erste Abwicklungsanstalt, fürchten<br />
Anleger, dass die Firmengruppe das<br />
Fondsgeschäft möglichst schnell abwickeln<br />
will – und dafür sogar bereit ist, die<br />
Immobilien zulasten der Anleger unter<br />
Wert zu verkaufen. Nachdem kritische Anleger<br />
des von Westfonds aufgelegten Fonds<br />
RWI 25 alle übrigen Gesellschafter angeschrieben<br />
haben und so das nötige 25-Prozent-Quorum<br />
für eine außerordentliche<br />
Gesellschafterversammlung erreicht hatten,<br />
verschickte Westfonds ebenfalls ein<br />
Rundschreiben – verbunden mit der Bitte,<br />
die Zustimmung zurückzuziehen (WirtschaftsWoche<br />
16/2013). Wie es mit der Büroimmobilie<br />
in Düsseldorf nun weitergehen<br />
soll, ist offen. Von der NRW-Landesregierung<br />
als ehemalige Patronin der WestLB<br />
können die Anleger keine Hilfe erwarten.<br />
Sollte Westfonds gegen Anlegerinteressen<br />
verstoßen haben, stünde den Betroffenen<br />
der Rechtsweg offen, so die Landesregierung.<br />
Für ein Eingreifen der Politik sehe sie<br />
keine Notwendigkeit. Die Landesregierung<br />
bestreitet zudem, dass die von Westfonds<br />
gehaltenen Immobilien unter Zeitdruck<br />
verramscht werden müssten.<br />
Notverkäufe aus geschlossenen Fonds<br />
haben einen, wenn auch überschaubaren<br />
Unter Wasser<br />
Durchschnittskurse am Zweitmarktfür<br />
geschlossene Fonds(2013,inProzent)*<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
Immobilien<br />
*umohneVerlusteherauszukommen,<br />
müssten Anleger 100Prozent erzielen;<br />
Quelle:FondsbörseHannover<br />
Schiffe<br />
J F M A M J J A S<br />
2013<br />
Vorteil: <strong>Geld</strong> fließt relativ schnell zurück.<br />
Allerdings ist der Preis dafür ein Erlös, der<br />
in der Regel deutlich unter dem Marktwert<br />
liegt. Denn Kaufinteressenten wissen um<br />
die Not der Verkäufer und verhandeln den<br />
Preis der Objekte hart nach unten.<br />
Ove Franz, Ex-Vorstand der Wölbern<br />
Bank, der selbst noch eine halbe Million<br />
Euro in zwei Immobilienfonds seines ehemaligen<br />
Arbeitgebers stecken hat, stimmte<br />
trotzdem einem Notverkauf des Immobilienfonds<br />
Holland 56 zu. „Wir sahen keine<br />
Alternative, weil die Mietverträge für die<br />
Fondsimmobilien 2014 ausgelaufen wären“,<br />
sagt Franz.<br />
Allerdings sind die Ertragsaussichten<br />
nicht für alle Fonds gleichermaßen<br />
schlecht. Wo die Perspektiven besser sind,<br />
lohnt es sich, um die Weiterführung des<br />
Fonds zu kämpfen – oder zumindest um eine<br />
geordnete Abwicklung des Portfolios.<br />
Wenn der Fonds nicht mehr zu retten ist,<br />
bleiben Anlegern immer noch zwei Alternativen:<br />
entweder dass komplette Geschäft<br />
per Klage rückabwickeln zu lassen oder die<br />
Fondsanteile auf dem Zweitmarkt zu verkaufen.<br />
ANLAGEBERATER HAFTEN<br />
<strong>Ist</strong> ein Emissionshaus insgesamt in Schieflage<br />
geraten, dann sollten sich die Anleger<br />
vornehmlich an die Banken und Anlageberater<br />
wenden, die ihnen die geschlossenen<br />
Fonds verkauft haben. Deren Berater haben<br />
ihre Kunden bisweilen nicht hinreichend<br />
auf Risiken hingewiesen oder auch<br />
Provisionen (Kick-Backs) verschwiegen.<br />
Der Erbin Wiesinger etwa hatte der Bankberater<br />
die riskanten Beteiligungen empfohlen,<br />
obwohl sie kundgetan hatte, eine<br />
sichere Altersvorsorge zu suchen.<br />
98 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Auch vom Risiko, die komplette Einlage<br />
zu verlieren, hätte ihr der Bankberater<br />
nichts gesagt, sagt sie. Juristen sprechen in<br />
solchen Fällen von Falschberatung (siehe<br />
Kasten Seite 97).<br />
Jeder Anleger muss <strong>dabei</strong> für sich allein<br />
kämpfen. „Wird in einem Fall ein Anlageberater<br />
wegen Falschberatung zu Schadensersatz<br />
verurteilt, dann heißt das nicht,<br />
dass auch alle anderen Kunden, die den<br />
Fonds bei der Bank gekauft haben, ihr <strong>Geld</strong><br />
zurückbekommen“, sagt Adrian Wegel, Anwalt<br />
in der Kanzlei Bouchon Hemmerich &<br />
Partner in Frankfurt.<br />
FOTO: LAIF/HOLLANDSE HOOGTE<br />
NACH DREI JAHREN VERJÄHRT<br />
Die Richter schauen sich jeden Fall genau<br />
an. Wie ist die Beratung gelaufen? Wie viel<br />
Erfahrung hat der Anleger mit riskanten<br />
Kapitalanlagen? Wann hätte der Bankkunde<br />
die Falschberatung erkennen können?<br />
Schließlich sind Schadensersatzansprüche<br />
in der Regel nach drei Jahren verjährt.<br />
Anleger sollten sich deshalb genau prüfen,<br />
bevor sie klagen. Denn ohne eine<br />
Rechtsschutzversicherung oder einen Prozessfinanzierer<br />
sprengen die Kosten des<br />
Verfahrens spätestens in der zweiten Instanz<br />
den Rahmen eines Kleinanlegers.<br />
Zudem besteht immer noch die Gefahr,<br />
dass der Anleger den Prozess verliert, denn<br />
nicht alle Gerichte sind gleichermaßen anlegerfreundlich.<br />
Dann müssen die Kläger<br />
auch noch die Anwaltskosten der Gegenseite<br />
tragen.<br />
Bei einem geringen Streitwert, schmalem<br />
<strong>Geld</strong>beutel und einem schwer kalkulierbaren<br />
Prozessrisiko kann ein Verkauf<br />
Amsterdamer Scheinriese Kriselnde Holland-<br />
Fonds investierten in überhitzten Markt<br />
über den Zweitmarkt für geschlossene<br />
Fonds die bessere Alternative sein. Allerdings<br />
lassen sich die Fondsanteile anders<br />
als etwa Aktien nicht per Mausklick losschlagen.<br />
Denn der von den Börsen Hamburg,<br />
Hannover und München betriebene Zweitmarkt<br />
für geschlossene Beteiligungen ist<br />
nicht sehr liquide. Im vergangenen Jahr<br />
setzte er lediglich 146 Millionen Euro um,<br />
die sich auf etwa 4300 Geschäfte verteilten.<br />
Am Zweitmarkt nehmen wenige Interessenten<br />
die Anteile meist nur gegen hohe<br />
Abschläge ab.<br />
So liegt der Durchschnittskurs der am<br />
Zweitmarkt gehandelten Schiffsbeteiligungen<br />
bei knapp 20 Prozent (siehe Grafik<br />
links). Bei Immobilienfonds liegt der Kurs<br />
zwischen 40 und 50 Prozent.<br />
Anleger müssen also spitz rechnen, was<br />
sich lohnt: entweder die bereits gezahlten<br />
Ausschüttungen zu behalten und den<br />
Fonds am Zweitmarkt mit Verlust zu verkaufen<br />
– oder weiter <strong>Geld</strong> nachzuschießen<br />
und auf einen höheren Erlös bei einem<br />
späteren Verkauf der Sachwerte zu hoffen.<br />
NOTAUSSTIEG VERSCHLOSSEN<br />
Für Anleger in Wölbern-Fonds ist der Notausstieg<br />
über den Zweitmarkt jedoch verschlossen:<br />
Derzeit sind die Fondsanteile<br />
vom Handel ausgesetzt. Den Betroffenen<br />
bleibt also nur, juristisch für ihre Interessen<br />
zu kämpfen.<br />
n<br />
martin.gerth@wiwo.de, daniel schönwitz | geld@wiwo.de<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse<br />
Grünschnabel Batterien von<br />
GS Yuasa als Laderaum auch<br />
für Nutzfahrzeuge<br />
Hochspannung fürs Depot<br />
AKTIEN | Hochleistungsbatterien sollen in Zukunft Millionen Elektroautos antreiben und Solarstrom<br />
speichern. Das verspricht glänzende Geschäfte. Anleger sollten aber auf der Hut sein.<br />
Batterien und Akkus werden immer<br />
kleiner: In Smartphones beispielsweise<br />
stecken heute Energiespeicher,<br />
die früher ein Vielfaches an Platz benötigt<br />
hätten. Batterien werden aber auch<br />
immer voluminöser: Die derzeit größte findet<br />
sich in einer mehr als fußballfeldgroßen<br />
Industriehalle in der chinesischen<br />
Provinz Hebei, südwestlich von Peking.<br />
Gebaut hat den größten stationären<br />
Speicher der Welt der Elektroautohersteller<br />
BYD in Zusammenarbeit mit der State Grid<br />
Corporation. Seit 2012 nutzt das chinesische<br />
Energieunternehmen als Netzbetreiber<br />
die Kapazität von 36 Megawattstunden,<br />
um Sonnenenergie aus einem Solarpark<br />
zwischenzuspeichern.<br />
Versorgungslücken von Wind- und Sonnenenergie<br />
sollen sich mit Batterien überbrücken<br />
lassen, wenn einmal Flaute<br />
herrscht oder Wolken den Himmel verhängen<br />
– ob mit Megawatt-Ungetümen oder<br />
im kleinen Stil für private Solaranlagen.<br />
TESLA VERDRÄNGT VW GOLF<br />
Im großen Stil versuchen zunehmend Automobilkonzerne,<br />
mit Batterien ihre neuen<br />
Elektroautos anzutreiben.<br />
So erwartet Thomas Weber, Entwicklungschef<br />
bei Mercedes, dass insbesondere<br />
in der Kompaktklasse „die Elektromobilität<br />
eine tragende Rolle spielen“ wird (WirtschaftsWoche<br />
42/2013). Dank staatlicher<br />
Kaufprämien, Steuererleichterungen und<br />
»Wir könnten<br />
noch eine lange<br />
Einführungsphase<br />
durchmachen«<br />
JinMing Liu, Ardour Capital<br />
anderen Privilegien ist die Akzeptanz der<br />
Stromer bei den Autokäufern in einigen<br />
Ländern Europas, Asiens und auch in den<br />
USA inzwischen deutlich gestiegen. So<br />
wurden im September in Norwegen bereits<br />
mehr Exemplare des Tesla Model S neu zugelassen<br />
als vom bisherigen Bestseller VW<br />
Golf. In Deutschland zündet die Elektromobilität<br />
hingegen noch nicht so richtig –<br />
bis Ende Januar waren hierzulande nur<br />
rund 7100 Elektroautos zugelassen. Hohe<br />
Fahrzeugkosten, bescheidene Reichweiten<br />
der Fahrzeuge und die Weigerung Berlins,<br />
den Kauf derartiger Fahrzeuge zu fördern,<br />
erschweren die Verbreitung der E-Mobile.<br />
Immerhin wächst das Angebot mit dem<br />
BMW i3 und dem VW e-Up. Und das große<br />
Ziel bleibt bestehen: Bis 2020 soll eine<br />
Million Autos mit reinem Elektroantrieb<br />
oder mit einer Kombination aus Verbrennungs-<br />
und Elektromotor zugelassen sein<br />
und Deutschland zum Leitanbieter für<br />
Techniken der Elektromobilität werden.<br />
Auch wenn die hehren Ziele nicht erreicht<br />
werden sollten – dass das Auto der<br />
Zukunft elektrisch fährt, steht inzwischen<br />
kaum mehr infrage. Für die gesamte Fahrzeugindustrie<br />
hat dies weitreichende Folgen:<br />
Zuliefererstrukturen ändern sich,<br />
neue Anbieter treten auf den Plan. Vor allem<br />
Hersteller von Hochleistungsbatterien<br />
erwarten glänzende Geschäfte, von denen<br />
auch Anleger profitieren können. „Wir sehen<br />
einen starken Wachstumssektor, der<br />
2015 bis 2017 abheben wird“, sagt Steve<br />
Minnihan, Energieanalyst von Lux Research<br />
in New York.<br />
Anleger, die in diesem Sektor investieren<br />
wollen, brauchen allerdings Mut und einen<br />
langen Atem. Denn: „Es kann sein, dass wir<br />
noch eine lange Einführungsphase der<br />
Technologien durchmachen müssen“, sagt<br />
JinMing Liu von Ardour Capital in New<br />
York. Der Erfolg hänge davon ab, „inwieweit<br />
die Regierungen Speicherobjekte unterstützen<br />
werden, wie sich die Elektroautobranche<br />
entwickelt und wie groß der<br />
Einfluss der Produzenten aus Asien wird“.<br />
Bis 2030 könnten die Batteriehersteller<br />
nach einer Schätzung der Boston Consulting<br />
Group (BCG) weltweit fast 300 Milliarden<br />
Euro mit dem Verkauf von Energiespeichern<br />
umsetzen. „Rund ein Drittel davon<br />
wird bis 2020 realisiert werden, sodass<br />
sich in den nächsten Jahren deutlich zwei-<br />
FOTO: KALMAR MOTOR AB<br />
100 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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stellige Wachstumsraten auf die heute<br />
noch recht kleine absolute Basis ergeben“,<br />
sagt Holger Rubel, BCG-Energieexperte in<br />
Frankfurt.<br />
Anleger setzen auch – ähnlich wie einst<br />
bei Solar – auf den starken Staat. In China<br />
etwa erfahren die Hersteller erheblich politische<br />
Unterstützung, denn die Stromspeicher<br />
sollen den Ausbau der erneuerbaren<br />
Energien unterstützen. Im September entschloss<br />
sich die chinesische Regierung<br />
auch, wie schon in den vergangenen Jahren,<br />
den Kauf von Elektroautos für Privatkunden<br />
weiterhin zu subventionieren.<br />
Und Wachstum verspricht nicht nur die<br />
Elektromobilität, sondern auch der Einsatz<br />
von Batterien zur stationären Speicherung<br />
von Strom. In den USA legte die kalifornische<br />
Regierung in diesem Jahr fest, bis 2020<br />
gut 1,3 Gigawatt an Speicherkapazität zu<br />
schaffen – auf die bei einem Blackout zugegriffen<br />
werden könnte. Das entspricht etwa<br />
der Nennleistung eines Kernkraftwerks.<br />
DEUTSCHE TITEL NICHT NOTIERT<br />
Im texanischen Notrees errichteten Ingenieure<br />
dafür – ähnlich wie in China – schon<br />
einen riesigen stationären Batteriespeicher<br />
für eine Windkraftanlage. „In Deutschland<br />
macht es ökonomisch nur in netzfernen<br />
Gebieten Sinn, so große Anlagen zu bauen,<br />
die längerfristig speichern können – sonst<br />
wird es unwirtschaftlich“, sagt Otmar Frey,<br />
Geschäftsführer des Batterieverbands im<br />
Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie.<br />
Seit Mai dieses Jahres fördert<br />
die staatliche Frankfurter KfW in<br />
Deutschland aber bereits Speicher für<br />
Strom, den Solaranlagen auf dem heimischen<br />
Dach generieren. „Die Speicher sind<br />
schon effizient einsetzbar“, sagt Frey. „Sie<br />
eignen sich, um Energieschwankungen<br />
aufzufangen, aber nicht, um langfristig<br />
Energie zu speichern.“<br />
»Wir sehen einen<br />
Wachstumssektor,<br />
der 2015 bis 2017<br />
abheben wird«<br />
Steve Minnihan, Lux Research<br />
Wer in die Branche investieren möchte,<br />
muss sich im Ausland umsehen. Deutsche<br />
Hersteller von Stationärspeichern wie etwa<br />
Kolibri Power Systems aus Berlin sind nicht<br />
börsennotiert, der sächsische Anbieter Litec<br />
ist ein Gemeinschaftsunternehmen<br />
von Daimler und Evonik – und Bosch ist eine<br />
Stiftung.<br />
Der chinesische E-Autohersteller BYD,<br />
der eigene Batterien fertigt und als größter<br />
Produzent auf dem chinesischen Markt<br />
gilt, bietet hingegen eine Investmentchance.<br />
Berkshire Hathaway, die Holding von<br />
Investorenlegende Warren Buffett, hält<br />
über ihre Tochter Mid-American zehn Prozent<br />
an BYD. Mit einem geschätzten Kurs-<br />
Gewinn-Verhältnis (KGV) von 79 für 2013<br />
ist die Aktie aber sehr teuer.<br />
Das Risiko: Auch die BYD-Akkus scheinen<br />
noch nicht ausgereift zu sein. In Hongkong<br />
geriet kürzlich ein Ladekabel in<br />
Brand, als ein Elektroauto zum Laden an<br />
der Steckdose hing. Nach solchen Unfällen<br />
fallen naturgemäß die Kurse, nicht nur bei<br />
BYD. Anfang Oktober zog der kalifornische<br />
Top-E-Autohersteller Tesla den Sektor<br />
nach unten, nachdem ein Fahrzeug plötzlich<br />
Feuer gefangen hatte. Wie sich später<br />
herausstellte, war ein Eisenteil in die Batterie<br />
eingeschlagen.<br />
Auch der japanische Anbieter GS Yuasa<br />
kam Anfang des Jahres in Erklärungsnot,<br />
nachdem an Bord von Boeings neuem<br />
Dreamliner die Lithium-Ionen-Batterien<br />
zu schmoren angefangen hatten. Mit den<br />
Batterien wird das Stromnetz des Fliegers<br />
betrieben. Im Frühjahr loderte dann erneut<br />
eine Yuasa-Batterie, diesmal während<br />
eines Autotests auf dem Gelände des Geschäftspartners<br />
Mitsubishi. Der Kurs des<br />
japanischen Batterieherstellers rutschte<br />
daraufhin um 17 Prozent ab. Wer sich davon<br />
nicht schrecken lässt – derartige Kurseinbrüche<br />
sind gute Kaufgelegenheiten.<br />
GS Yuasa hat seit den Zwischenfällen an<br />
der Frankfurter Börse wieder kräftig angezogen,<br />
der Kurs stieg seit dem Crash von<br />
3,12 auf 4,58 Euro. Und das BYD-Papier notiert<br />
aktuell auf einem Zwölf-Monats-Hoch<br />
(siehe Chart).<br />
KONSERVATIVE ALTERNATIVE<br />
Eine konservative Alternative zu den recht<br />
teuer bewerteten asiatischen Aktien ist das<br />
Papier des US-Herstellers Enersys, das nur<br />
den geschätzt 18-fachen Jahresgewinn kostet<br />
(siehe Tabelle Seite 102). Das Unternehmen<br />
ist Weltmarktführer für klassische<br />
Bleibatterien für Industrieanwendungen,<br />
entwickelt aber auch Lithium-Ionen-Akkus.<br />
Im letzten Geschäftsjahr per 31. März<br />
konnte Enersys den Nettogewinn um 16<br />
Prozent steigern, obwohl der Umsatz bei<br />
2,3 Milliarden Dollar stagnierte.<br />
Ebenfalls moderat bewertet die Börse<br />
den französischen Batterieproduzenten<br />
SAFT, der unter anderem den Airbus A350<br />
mit Stromspeichern ausstattet. SAFT hat<br />
im französischen Nersac eine Fabrik für Lithium-Ionen-Akkus<br />
errichtet, die in Elektromobilen<br />
und Autos mit Hybridantrieb<br />
zum Einsatz kommen – beliefert werden<br />
von hier unter anderem Mercedes, BMW<br />
und Skoda. Wegen der Überkapazitäten im<br />
Markt stehen die Preise solcher Batterien<br />
inzwischen stark unter Druck, was dem<br />
»<br />
Elektrisch getrieben mit leichten Aussetzern<br />
DieKurse vonBYD,Polypore undSAFTseit einemJahr (inEuro)<br />
3,5<br />
BYD<br />
34<br />
Polypore<br />
21<br />
SAFT<br />
3,0<br />
2,5<br />
32<br />
30<br />
20<br />
19<br />
2,0<br />
28<br />
18<br />
1,5<br />
26<br />
17<br />
2012 2013 2012 2013<br />
2012 2013<br />
logarithmisch;Quelle:Bloomberg;Stand:17. Oktober 2013<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 101<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse<br />
»<br />
Cleveres Herzstück Tesla baut auf Energiespeichern<br />
von Panasonic seine Karossen<br />
Vernehmen nach die Fertigung<br />
in Nersac unrentabel<br />
macht. Johnson Controls hatte<br />
sich deshalb schon 2011<br />
von dem Gemeinschaftsunternehmen<br />
verabschiedet.<br />
Richtig was für Zocker ist<br />
die Aktie von China Bak Battery.<br />
Das Unternehmen frisst,<br />
wie viele seiner Konkurrenten,<br />
für die Entwicklung der<br />
Batterietechnik große Mengen<br />
Kapital. Laut letztem Quartalsbericht<br />
hat das Unternehmen, dessen Marktwert<br />
bei nur 37 Millionen Dollar liegt, „signifikante“<br />
kurzfristige Schulden in Höhe von<br />
etwa 150 Millionen Dollar.<br />
Sollte eine Umschuldung nicht funktionieren,<br />
drohe die Pleite und eine teilweise<br />
Verpfändung von Anlagen, so lautete die<br />
Risikoeinschätzung des Managements von<br />
China Bak schon im Jahresbericht 2012.<br />
Außerdem bestehe die Gefahr, dass finanzielle<br />
Restriktionen die Entwicklung neuer<br />
Produkte aufhalten und den Konzern gegenüber<br />
der Konkurrenz weit zurückwerfen<br />
könnten. Da die chinesische Regierung<br />
ihre Speicherunternehmen aber dem Anschein<br />
nach bis auf Weiteres stützt, könnte<br />
die China-Bak-Aktie dennoch eine hochspekulative<br />
Chance bieten. Seit Mitte Mai<br />
hat sich der Kurs aber bereits vervierfacht.<br />
Ähnlich riskant ist Polypore, ein Hersteller<br />
für Mikromembranen, der rund drei<br />
Viertel seines Umsatzes im Bereich Energiespeicherung<br />
macht. Die Polypore-<br />
Membranen werden in Batterien eingebaut,<br />
um Kurzschlüsse zu vermeiden. „Polypore<br />
ist natürlich ein kleines Unternehmen<br />
mit einem sehr spezialisierten Produktionsbereich“,<br />
sagt Analyst Minnihan,<br />
„entweder sie werden wahnsinnig profitieren<br />
oder pleitegehen.“ Im vergangenen<br />
Jahr machte Polypore neue Schulden in<br />
Höhe von 696 Millionen Dollar, bei einem<br />
Umsatz von 717 Millionen Dollar und einem<br />
Mittelzufluss aus dem operativen Geschäft<br />
von 104 Millionen Dollar. Der muss<br />
deutlich steigen, sonst dürfte es für das Unternehmen<br />
kaum reichen, dauerhaft Investitionen,<br />
Zins und Tilgung zu stemmen.<br />
FONDS HOLT AUF<br />
Die Polypore-Aktien stecken zum Beispiel<br />
auch im von Invesco aufgelegten Indexfonds<br />
Powershares WilderHill Clean Energy<br />
Portfolio ETF (ISIN US73935X5005), der<br />
zehn Prozent der Kundengelder in Energiespeicherunternehmen<br />
verwaltet. Nach<br />
Verlusten von rund drei Vierteln<br />
seit 2008 startete der<br />
Fonds dieses Jahr eine Aufholjagd<br />
mit einem Plus von bis<br />
dato rund 25 Prozent.<br />
Wem solche Auf und Abs zu<br />
heiß sind, der investiert lieber<br />
in große Industriekonzerne,<br />
die nur einen kleinen Teil ihres<br />
Geschäfts mit Batterien machen.<br />
Der US-Gigant General<br />
Electric zum Beispiel erwartet<br />
für seinen 2012 geschaffenen Energiespeicherbereich<br />
in wenigen Jahren einen Umsatz<br />
von einer Milliarde Dollar, was 0,7 Prozent<br />
der aktuellen Gesamterlöse ausmachen<br />
würde.<br />
Die asiatischen Elektronikriesen wie<br />
Samsung, Panasonic und Sony machen<br />
Teile ihres Geschäfts mit Lithium-Ionen-<br />
Batterien. Der kalifornische Elektroautohersteller<br />
Tesla setzt für seine Modelle auf<br />
Batteriezellen von Panasonic und verhandelt<br />
aktuell mit Samsung SDI über neue<br />
Zulieferverträge. Samsung stellt die Batterien<br />
für den BMW i3 her. Der Umsatz von<br />
Panasonic im Automobilsegment stieg im<br />
Geschäftsjahr 2013 um 20 Prozent und<br />
macht bereits ein Zehntel des Konzernumsatzes<br />
aus.<br />
Grundsätzlich verhalten sich Samsung<br />
und Panasonic noch vorsichtig. „Wenn sie<br />
sehen, dass die Bedingungen stimmen,<br />
werden auch die Elektronikriesen das Segment<br />
pushen und davon profitieren“, sagt<br />
Speicherexperte Minnihan.<br />
n<br />
sebastian kirsch | geld@wiwo.de<br />
<strong>Geld</strong> speichern<br />
Welche Aktien aus dem Batteriesektor für Anleger interessant sind, wie ihre wichtigsten Kennzahlen aussehen<br />
Unternehmen<br />
Enersys<br />
BYD<br />
Polypore<br />
SAFT<br />
GS Yuasa<br />
Land<br />
USA<br />
China<br />
USA<br />
Frankreich<br />
Japan<br />
ISIN<br />
US29275Y1029<br />
CNE100000296<br />
US73179V1035<br />
FR0010208165<br />
JP3385820000<br />
Kurs<br />
(in Euro)<br />
48,22<br />
3,62<br />
31,40<br />
22,49<br />
4,58<br />
2232<br />
10067<br />
1403<br />
578<br />
1948<br />
Börsenwert<br />
Unternehmenswert<br />
1<br />
(in Millionen Euro)<br />
1 Börsenwert plus Nettofinanzschulden/minus Nettoliquidität; 2 geschätzt; 3 1 = niedrig, 10 = hoch; Quelle: Bloomberg; Stand: 17. Oktober 2013<br />
2197<br />
12466<br />
1924<br />
705<br />
2569<br />
Umsatz<br />
2013 2<br />
1764<br />
6258<br />
498<br />
621<br />
2576<br />
Kurs-Gewinn-<br />
Verhältnis<br />
2013/14 2<br />
18/17<br />
79/49<br />
31/21<br />
17/13<br />
23/17<br />
Dividendenrendite<br />
(in Prozent) 2<br />
0,4<br />
0,0<br />
0,0<br />
3,4<br />
1,3<br />
Chance/<br />
Risiko 3<br />
4/3<br />
7/6<br />
7/7<br />
5/4<br />
6/6<br />
Kommentar<br />
Weltmarktführer für Industrie-Batterien, daher nicht<br />
viel Fantasie, aber auch überschaubare Risiken.<br />
Aufträge an deutschen Börsen eng limitieren.<br />
Hersteller von E-Autos mit eigenem Batteriesegment,<br />
Warren Buffett hält zehn Prozent an BYD. Reger<br />
Handel an deutschen Börsen.<br />
Hochspezialisierter Zulieferer, aber abhängig von<br />
Entwicklung auf dem Elektroautomarkt. Aktie wird in<br />
New York besser als in Frankfurt gehandelt.<br />
Französischer Batteriespezialist, der auch die<br />
Luftfahrtindustrie beliefert. Orders am besten limitiert<br />
an die Nyse Euronext Paris geben.<br />
Wie SAFT Lieferant für Flugzeugbatterien. Exemplare<br />
von GS Yuasa gerieten im Boeing 787 Anfang 2013<br />
aber in Brand. Orders nach Frankfurt mit Limit.<br />
FOTO: BLOOMBERG NEWS/NOAH BERGER<br />
102 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse | Steuern und Recht<br />
PRIVATKREDIT<br />
Steuervorteil<br />
für Kollegen<br />
ENERGIEVERORDNUNG<br />
Alte Heizungen müssen raus<br />
Immobilieneigentümer und Bauherren werden zum Energiesparen verdonnert.<br />
Die Bundesregierung hat strengere Energiesparregeln<br />
beschlossen. Hauseigentümer müssen bis<br />
2015 alle vor 1985 eingebauten Heizungen gegen<br />
neue Geräte austauschen. Bislang galt die Austauschpflicht<br />
nur für vor 1978 eingebaute Heizkessel.<br />
Die Änderungen sollen voraussichtlich<br />
vom 1. Mai 2014 an greifen. Von der Austauschpflicht<br />
ausgenommen sind zwar betagte, aber<br />
dennoch effiziente Heizungen (Brennwertkessel<br />
und Niedertemperaturheizkessel). Gleichzeitig<br />
müssen Bauherren bei Neubauten stärker auf<br />
Energieeffizienz achten. Die Anforderungen an<br />
den maximal erlaubten Primärenergiebedarf<br />
werden in zwei Stufen (in den Jahren 2014 und<br />
2016) um jeweils 12,5 Prozent gesenkt. Der maximal<br />
erlaubte Wärmeverlust durch die Gebäudehülle<br />
sinkt für neue Gebäude dann um jeweils<br />
zehn Prozent. Für bestehende Gebäude haben<br />
diese Verschärfungen keine Relevanz. Ob die<br />
Energiesparregeln eingehalten werden, kontrollieren<br />
zum Beispiel die Schornsteinfeger. Verstöße<br />
werden als Ordnungswidrigkeit geahndet. Die<br />
nun verschärften Regeln der Energieeinsparverordnung<br />
können indirekt auch Auswirkungen<br />
auf die Immobilienfinanzierung haben. So bekommen<br />
Bauherren besonders günstige Kredite<br />
der staatlichen Förderbank KfW nur, wenn sie die<br />
Regeln der Verordnung noch übertreffen. Je nach<br />
Kredit dürfen Neubauten nur 70, 55 oder 40 Prozent<br />
des laut Verordnung zulässigen Energiebedarfs<br />
haben, damit die Bauherren Anspruch auf<br />
die Förderung haben.<br />
Ein Steuerberater nahm einen<br />
Mitstreiter in seine Beratungsgesellschaft<br />
auf. Die 57 500 Euro<br />
Einstiegssumme finanzierte der<br />
über einen Kredit vom Altgesellschafter.<br />
Das Finanzamt berechnete<br />
dem Kreditgeber auf<br />
die Zinserträge seinen persönlichen<br />
Steuersatz, nicht den<br />
niedrigeren Abgeltungsteuersatz.<br />
Begründung: Als Kollegen<br />
stünden sich die beiden nahe;<br />
außerdem übe der Altgesellschafter<br />
einen beherrschenden<br />
Einfluss auf den neuen Anteilseigner<br />
aus. Für Kredite an nahestehende<br />
Personen ist immer<br />
dann der persönliche Steuersatz<br />
fällig, wenn der Schuldner<br />
seine Ausgaben als Werbungskosten<br />
oder Betriebsausgaben<br />
absetzen kann. So sollen Steuerzahler<br />
Einkünfte nicht der<br />
normalen Besteuerung entziehen<br />
können. Sonst könnten sie<br />
mit gezielter Kreditaufnahme<br />
Einkünfte als Zinsausgaben auf<br />
einen anderen Steuerzahler<br />
verschieben, der darauf nur Abgeltungsteuer<br />
zahlt. Das Finanzgericht<br />
Münster lehnte die<br />
höhere Besteuerung hier jedoch<br />
ab (4 K 718/13 E, Revision<br />
möglich): Die Kollegen stünden<br />
sich nicht nahe. Ob der Altgesellschafter<br />
im Unternehmen<br />
beherrschenden Einfluss habe,<br />
sei für den Kredit unerheblich.<br />
RECHT EINFACH | Zugluft<br />
Gänsehaut kann vor Gericht führen<br />
– zumindest wenn Mieter<br />
frieren, weil es in ihrer Wohnung<br />
zieht wie Hechtsuppe.<br />
§<br />
Unbehaglich. Eine Familie<br />
aus Brandenburg logierte in<br />
einem ausgebauten Dachstuhl.<br />
Problem: Im Bad zog<br />
der Wind durch Fenster, Wasseranschlüsse<br />
und Steckdosen. Die<br />
Familie minderte die Miete. Zu<br />
Recht: Ein Sachverständiger bescheinigte,<br />
dass die Dämmung<br />
nicht den Standards entspreche.<br />
Die gemessene Luftgeschwindigkeit<br />
liege außerhalb des „Behaglichkeitshorizontes“.<br />
Bis zur Behebung<br />
des Problems, so die Richter, dürfe<br />
die Miete im Winter um zehn, im<br />
Frühjahr und Herbst um fünf Prozent<br />
gemindert werden (Amtsgericht<br />
Brandenburg, 31 C 279/11).<br />
Altbau. Ein Karlsruher liebte das<br />
historische Ambiente, er mietete einen<br />
Altbau aus Kaisers Zeiten. Die<br />
hohen Fenster und Flügeltüren gefielen<br />
ihm sehr. Beim Vermieter beschwerte<br />
er sich jedoch über einen<br />
„leichten Windhauch“, der besonders<br />
an kalten Tagen Frösteln verursache.<br />
Als der Hausbesitzer die<br />
nötigen Abdichtungsmaßnahmen<br />
verweigerte, zog der Mieter vor<br />
Gericht. Ohne Erfolg. Ein Bausachverständiger<br />
bescheinigte<br />
dem Mietobjekt in einem Gutachten<br />
einen seinem „Alter und seiner<br />
Konstruktion“ entsprechenden<br />
Zustand (Landgericht<br />
Karlsruhe, 9 S 157/05).<br />
Bruchbude. Ein Berliner minderte<br />
seine Miete um zehn Prozent.<br />
Grund: Die Fenster seien undicht.<br />
Vor Gericht musste der Mieter<br />
trotzdem die volle Miete zahlen.<br />
Die Richter schlossen sich der<br />
Argumentation des Vermieters an:<br />
Demnach waren die Schäden<br />
bereits beim Einzug „deutlich erkennbar“<br />
gewesen. Fazit: Gemietet<br />
wie besichtigt (Landgericht<br />
Berlin, 63 S 338/10).<br />
FOTOS: IMAGETRUST/MARKUS MATZEL, PRESSEBUERO ROTH, PR<br />
104 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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WERBUNGSKOSTEN<br />
Neue Regeln für Auswärtstätigkeit<br />
SCHEIDUNG<br />
Wille muss eindeutig sein<br />
Ein an Alzheimer erkrankter Senior<br />
heiratete eine 20 Jahre jüngere<br />
Frau. Nach acht Monaten<br />
trennten sich die beiden. Die<br />
mittlerweile eingesetzte Betreuerin<br />
des Mannes reichte die<br />
Scheidung ein. Doch die Noch-<br />
Ehefrau setzte sich dagegen zur<br />
Wehr. Sie behauptete, ihr Ehemann<br />
wolle an der Ehe festhalten.<br />
Die Richter am Oberlandesgericht<br />
Hamm lösten den<br />
Ehebund dennoch auf (3 UF<br />
43/13). Zwar habe der Mann<br />
zum Schluss der Verhandlung<br />
SCHNELLGERICHT<br />
GERINGERE KOSTEN FÜR NAMENSÄNDERUNG<br />
§<br />
Wollen Kunden nach einer Reisebuchung den Namen<br />
des Reisenden ändern, darf der Veranstalter<br />
ihnen nur die entstehenden Kosten berechnen. Das<br />
Landgericht München untersagte FTI Touristik die<br />
Verwendung einer Klausel, wonach „Mehrkosten von<br />
bis zu 100 Prozent des Reisepreises oder mehr anfallen“<br />
könnten (12 O 5413/13, nicht rechtskräftig).<br />
RENOVIERUNG TROTZ KRANKSCHREIBUNG<br />
§<br />
Renoviert ein wegen Herzproblemen krankgeschriebener<br />
Masseur während seiner Krankschreibung<br />
das Haus seiner Tochter, kann ihm fristlos gekündigt<br />
werden (Landesarbeitsgericht<br />
Rheinland-Pfalz, 10 Sa 100/13).<br />
wegen seiner fortgeschrittenen<br />
Demenz keinen Scheidungswillen<br />
mehr fassen können. Er habe<br />
jedoch im Vorfeld seinen<br />
Willen zu Trennung und Scheidung<br />
klar zum Ausdruck gebracht.<br />
Solange dieser Wille sicher<br />
feststellbar sei und die<br />
sonstigen Voraussetzungen für<br />
eine Scheidung, wie ein über<br />
ein Jahr langes Getrenntleben,<br />
erfüllt seien, stehe der Scheidung<br />
nichts im Wege. Dass die<br />
Ehefrau an der Ehe festhalten<br />
wolle, spiele dann keine Rolle.<br />
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat<br />
bei auswärts arbeitenden Angestellten<br />
wiederholt zugunsten<br />
der Steuerzahler entschieden.<br />
Nach einer Gesetzesänderung<br />
gelten die aktuellen Regeln aber<br />
nur noch dieses Jahr; Steuervorteile<br />
werden vom kommenden<br />
Jahr an in weniger Fällen zum<br />
Tragen kommen. In einem aktuellen<br />
Fall urteilten die Finanzrichter,<br />
dass ein Leiharbeitnehmer<br />
grundsätzlich über keine<br />
„regelmäßige Arbeitsstätte“ verfüge<br />
(VI R 43/12). Damit darf er<br />
beim Einsatz in einem neuen<br />
Unternehmen während der ersten<br />
drei Monate Verpflegungsmehraufwand<br />
von der Einkommensteuer<br />
abziehen und<br />
während des kompletten Einsatzes<br />
die Fahrtkosten in tatsächlicher<br />
Höhe als Werbungskosten<br />
absetzen. Damit blieben<br />
die Finanzrichter bei ihrer<br />
strengen Leitlinie, wonach es<br />
zum Beispiel nur eine einzige,<br />
regelmäßige Arbeitsstätte geben<br />
könne. Kommen Arbeitnehmer<br />
regelmäßig an verschiedenen<br />
Arbeitsstätten zum<br />
Einsatz, gilt damit oft keine dieser<br />
Arbeitsstätten als regelmäßige<br />
Arbeitsstätte. Auch hier ergeben<br />
sich Steuervorteile. Nach<br />
einer Änderung des Reisekostenrechts<br />
gelten von 2014 an<br />
andere Regeln. Der Gesetzgeber<br />
hat den Begriff der „regelmäßigen<br />
Arbeitsstätte“ gestrichen<br />
und durch den Begriff der<br />
„ersten Tätigkeitsstätte“ ersetzt.<br />
Das klingt harmlos, hat aber einige<br />
Folgen: So muss die „erste<br />
Tätigkeitsstätte“ nicht beim eigenen<br />
Arbeitgeber sein. Sind<br />
Arbeitnehmer dauerhaft einer<br />
ortsfesten betrieblichen Einrichtung<br />
zugeordnet, gilt diese<br />
als ihre „erste Tätigkeitsstätte“.<br />
Für ihre Fahrten dorthin gelten<br />
dann steuerliche Beschränkungen.<br />
So darf der Arbeitnehmer<br />
Fahrtkosten mit dem Auto nur<br />
mit 0,30 Euro Entfernungspauschale<br />
pro Kilometer der einfachen<br />
Entfernung absetzen.<br />
GRUNDERWERBSTEUER<br />
Belastung<br />
steigt weiter<br />
Die bei Bau oder Kauf einer Immobilie<br />
anfallende Grunderwerbsteuer<br />
soll 2014 vielerorts<br />
steigen. Am stärksten belastet<br />
werden Käufer in Schleswig-<br />
Holstein, wo statt 5,0 dann 6,5<br />
Prozent anfallen sollen. In Berlin<br />
soll sie von 5,0 auf 6,0 Prozent<br />
steigen; in Bremen von 4,5<br />
auf 5,0 Prozent. In den meisten<br />
Ländern werden 5,0 Prozent fällig.<br />
In Bayern und Sachsen beträgt<br />
die Steuer 3,5 Prozent.<br />
EX-MANN MUSS LOTTOGEWINN TEILEN<br />
§<br />
Selbst wenn Ehepartner seit acht Jahren getrennt<br />
leben, müssen sie einen Lottogewinn mit dem<br />
Partner teilen. Reichen sie die Scheidung erst nach<br />
dem Gewinn ein, bekommt der Partner die Hälfte<br />
(Bundesgerichtshof, XII ZR 277/12). Die Ex-Frau eines<br />
Gewinners bekam so 242 500 Euro zugesprochen.<br />
FREMDES LAUB IST HINZUNEHMEN<br />
§<br />
Fällt auf ein Grundstück viel Laub, das von einem<br />
Baum des Nachbarn stammt, kann der Eigentümer<br />
grundsätzlich eine Entschädigung verlangen.<br />
In einer „durchgrünten Wohngegend“ müssen Eigentümer<br />
das Laub jedoch ohne <strong>Geld</strong>ansprüche hinnehmen<br />
(Amtsgericht München, 114 C 31118/12).<br />
TELEFONVERTRAG<br />
REINHART LEENDERTZ<br />
ist Rechtsanwalt<br />
und<br />
Mediator<br />
in Sudwalde<br />
in Niedersachsen.<br />
n Welchen Unterschied<br />
macht es, ob ein Telefonvertrag<br />
im Geschäft, am<br />
Telefon oder im Internet<br />
abgeschlossen wird?<br />
Wer im Shop unterschreibt,<br />
hat kein Recht auf den 14-tägigen<br />
Widerruf. Das existiert nur<br />
bei Verträgen, die im Internet,<br />
telefonisch, per Fax oder an<br />
der Haustür geschlossen werden.<br />
Im Shop sollte der Kunden<br />
Fragen stellen und vor der<br />
Unterschrift das Vertragsmaterial<br />
zu Hause genau lesen.<br />
n <strong>Ist</strong> es telefonisch besser?<br />
Auch der Abschluss kann<br />
tückisch sein. Die Vertragsbestätigung,<br />
die der Kunde<br />
bekommt, enthält mitunter<br />
andere Details, als er mit<br />
dem Callcenter-Mitarbeiter<br />
besprochen und möglichst<br />
aufgeschrieben hat. Bei<br />
Unklarheiten rate ich, das<br />
Widerrufsrecht zu nutzen.<br />
n Wo lauern Fallen?<br />
Manche Festnetzverträge sind<br />
an einen weiteren Vertrag mit<br />
einem Drittanbieter gebunden,<br />
durch den die Kosten<br />
steigen. Ein Telefonvertrag<br />
läuft üblicherweise zwei Jahre,<br />
aber Gesellschaften können<br />
das frei wählen. Auch eine<br />
Kündigungsfrist ist nicht gesetzlich<br />
geregelt und frei verhandelbar,<br />
normal sind drei<br />
Monate zum Quartals- oder<br />
zum Laufzeitende. Der Kunde<br />
muss wissen, ab wann und zu<br />
welchem Termin er seinen<br />
Vertrag kündigen kann. Häufig<br />
versuchen Anbieter vor dem<br />
Laufzeitende einen neuen Vertrag<br />
abzuschließen. So beginnt<br />
die entsprechende Laufzeit<br />
erneut ohne zwischenzeitliche<br />
Kündigungsmöglichkeit.<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 Redaktion: niklas.hoyer@wiwo.de, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />
105<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse | <strong>Geld</strong>woche<br />
KOMMENTAR | Twitter will an der<br />
Börse mehr als zehn Milliarden<br />
Dollar wert sein – das ist eine<br />
ganze Menge. Von Stefan Hajek<br />
Wahnsinn?<br />
Ja, is’ denn schon wieder<br />
Jahr-2000-Boom?“ Frei<br />
nach Franz Beckenbauer<br />
kann man diese Frage<br />
derzeit mit einiger Berechtigung<br />
stellen. Der Dax stieg am<br />
Mittwoch auf ein Rekordhoch<br />
bei 8861 Punkten; der Dow<br />
Jones machte am selben Tag einen<br />
Sprung um 200 Punkte, als<br />
sich eine Einigung im US-Haushaltsstreit<br />
abgezeichnete. Die<br />
Stimmung für Börsengänge sei<br />
so gut wie seit drei Jahren<br />
nicht, sagen die Kapitalmarktforscher<br />
von Sentix. Die Hochstimmung<br />
der Anleger will nun<br />
Twitter nutzen, um seine Aktien<br />
unters zu Volk bringen. Vom 15.<br />
November an sollen zehn Prozent<br />
der Twitter-Aktien eine<br />
Milliarde Dollar einspielen. Der<br />
Kurznachrichtendienst käme<br />
auf eine Bewertung von zehn<br />
Milliarden Dollar. Wahnsinn?<br />
Auf den ersten Blick: Ja. Mit gewöhnlichen<br />
Bewertungsmaßstäben<br />
wie Kurs-Umsatzoder<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnis jedenfalls<br />
ist das Phänomen Twitter<br />
nicht zu greifen, die liegen<br />
jenseits von Gut und Böse:<br />
Zwar hat Twitter gerade beachtliche<br />
Wachstumszahlen vorgelegt:<br />
Im dritten Quartal stieg die<br />
Zahl der monatlich aktiven<br />
Kunden auf 232 Millionen, der<br />
Umsatz kletterte auf 169 Millionen<br />
Dollar, das ist doppelt so<br />
viel wie vor einem Jahr, bedeutet<br />
aber ein Kurs-Umsatz-Verhältnis<br />
von fast 30. Leider<br />
wuchs auch der Verlust: von 42<br />
auf 65 Millionen Dollar in drei<br />
Monaten. Twitter muss die vielen<br />
neuen User in größeren Rechenzentren<br />
verarzten, die kosten<br />
<strong>Geld</strong>, ebenso die Werbung,<br />
mit der Twitter derzeit Kunden<br />
wirbt. Das kommt älteren Anlegern<br />
bekannt vor: Mit rasantem<br />
Wachstum und hohen Verlusten<br />
schnell an die Börse, die<br />
Hausse-Stimmung nutzen; <strong>Geld</strong><br />
einsammeln, um Claims abzustecken<br />
im vermeintlich immer<br />
wachsenden, tollen Zukunftsmarkt.<br />
Um die Rentabilität des<br />
Geschäftsmodells kümmern wir<br />
uns später. Es erinnert an die<br />
Auswüchse am Neuen Markt,<br />
wo das nicht immer klappte.<br />
GELDVERBRENNER 2.0<br />
<strong>Ist</strong> Twitter ein <strong>Geld</strong>vernichter?<br />
Derzeit schon, das muss aber<br />
nicht so bleiben. Immerhin, echten<br />
Umsatz gibt es schon, das<br />
konnte man nicht von allen Firmen<br />
am Neuen Markt behaupten.<br />
Und der Umsatz wächst<br />
schneller als die Verluste. 2010<br />
schlug, bei 28 Millionen Dollar<br />
Umsatz, noch ein Minus von 67<br />
Millionen Dollar zu Buche, 2012<br />
waren es 79 Millionen Miese bei<br />
schon 317 Millionen Dollar Umsatz.<br />
Teils in Gewinn verwandeln<br />
kann Twitter diesen in erster Linie<br />
durch Werbung, sogenannte<br />
sponsored Tweets. Leider fallen<br />
laut Prospekt die Preise für Twitter-Werbung<br />
schon wieder. Auch<br />
eine zweite Umsatzquelle offenbart<br />
der Prospekt: 48 Millionen<br />
Dollar erlöste Twitter bereits mit<br />
dem Verkauf von Informationen<br />
über „Trends“. Das sind unter<br />
Usern schnell populärer werdende<br />
Themen, Vorlieben und Interessensgebiete.<br />
Die Kunden dieser<br />
Datenanalyse sollen<br />
Produktentwickler oder Einzelhändler<br />
sein. Ob das reicht, um<br />
in die waghalsige Bewertung<br />
hineinzuwachsen? Zum Glück<br />
brauchen sich Anleger darüber<br />
nicht den Kopf zu zerbrechen:<br />
Die Wahrscheinlichkeit, dass die<br />
Aktie irgendwann noch günstiger<br />
zu haben sein wird als beim<br />
IPO, ist recht hoch.<br />
TREND DER WOCHE<br />
Zerfallserscheinungen<br />
Während im US-Kongress Millionäre zanken, räumen<br />
arme Amerikaner bei Wal-Mart die Regale leer.<br />
So richtig ernst genommen hatten<br />
die Finanzmärkte die Diskussion<br />
über einen möglichen<br />
Zahlungsausfall der USA zwar<br />
nicht, aber etwas Erleichterung<br />
war nach der Einigung um die<br />
Anhebung der Schuldengrenze<br />
in vorletzter Minute dann doch<br />
zu spüren, zumindest mit Blick<br />
auf den Kurssprung an der Wall<br />
Street. Allerdings wird im US-<br />
Kongress das gleiche Theater in<br />
ein paar Monaten schon wieder<br />
aufgeführt. Für eine entwickelte<br />
Volkswirtschaft, zumal eine mit<br />
dem Anspruch, ökonomisch<br />
und politisch eine globale Führungsrolle<br />
zu spielen, ist das ein<br />
Trauerspiel.<br />
Ein anderes Trauerspiel, das<br />
aber ebenso den tiefen Riss in<br />
der amerikanischen Gesellschaft<br />
dokumentiert, spielte<br />
Abgeräumt<br />
Arme US-Amerikaner<br />
plötzlich ohne Limit<br />
sich am vergangenen Wochenende<br />
in einigen Wal-Mart-<br />
Stores im US-Bundesstaat<br />
Louisiana ab. Dort räumten US-<br />
Bürger, die vom Staat Zuschüsse<br />
für den Einkauf von Lebensmittel<br />
erhalten, binnen weniger<br />
Stunden die Regale leer. Aufgrund<br />
eines Computerfehlers<br />
waren ihre speziellen Plastikkarten,<br />
mit denen sie an der<br />
Kasse bezahlen können, zeitweise<br />
unlimitiert einsatzbereit.<br />
Das hatten die Besitzer schnell<br />
spitz und handelten frei nach<br />
Bertholt Brecht: „Erst kommt<br />
das Fressen, dann die Moral.“<br />
Inzwischen beziehen rund 50<br />
Millionen Amerikaner Lebensmittelsubventionen.<br />
Es mag vor<br />
diesem Hintergrund makaber<br />
klingen, aber Anleger sollten<br />
zur Aktie von Wal-Mart greifen.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 17.10.2013 / 18.03 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 8811,98 +1,5 +19,2<br />
MDax 15479,13 +2,0 +34,0<br />
Euro Stoxx 50 3010,39 +1,4 +17,1<br />
S&P 500 1726,17 +2,0 +18,2<br />
Shanghai Composite 2188,54 –0,1 +3,9<br />
Euro in Dollar 1,3662 +1,0 +4,1<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,88 +0,01 2 +0,25 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,62 –0,09 2 +0,82 2<br />
Rohöl (Brent) 3 109,35 –1,9 –4,2<br />
Gold 4 1319,25 +1,6 –24,6<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 964,65 Euro; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, REUTERS/LUCAS JACKSON, BLOOMBERG NEWS/SCOTT EELLS<br />
106 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Kein Stück hergeben<br />
Aus dem Dividendenpapier T-Aktie ist eine Wette auf<br />
die Neuordnung der Telekombranche geworden.<br />
HITLISTE<br />
Um den europäischen Telekommarkt<br />
zu stärken, forciert<br />
die EU-Kommission die Konzentration<br />
auf wenige große<br />
Anbieter. So wie auf politischer<br />
Ebene Deutschland<br />
und Frankreich den Kern der<br />
EU ausmachen, könnten die<br />
Deutsche Telekom und Orange<br />
(ehemals France Télécom)<br />
das Schwergewicht des europäischen<br />
Telekommarkts<br />
bilden. Dass mächtige Konkurrenten<br />
wie die britische<br />
Vodafone und die amerikanische<br />
AT&T ebenfalls ins Herz<br />
Europas drängen, dürfte zusätzlich<br />
zur Eile treiben. Auf<br />
mehreren Geschäftsfeldern<br />
(Einkauf, Infrastruktur) arbeiten<br />
Orange und die Telekom<br />
schon zusammen. <strong>Ist</strong> die T-Aktie<br />
deshalb ein Kauf? – Ja, aber<br />
ein spekulativer, denn die Gewinnaussichten<br />
sind moderat,<br />
die Bewertung hoch. Wer das<br />
Papier schon hat, sollte kein<br />
Stück hergeben. Und wer in<br />
den vergangenen vier Jahren<br />
gekauft hat, dem winkt dank<br />
günstigem Einstieg noch eine<br />
hohe Dividendenrendite.<br />
Goldhandel ohne Gold<br />
Umschlag von zwei Jahresproduktionen<br />
am Tag<br />
GOLD<br />
Massiv gehebelt<br />
Handelstäglich wechseln Lieferansprüche über Gold<br />
im Wert von 240 Milliarden Dollar den Besitzer.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr 2013 2014 2014<br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 8811,98 +1,5 +19,2<br />
Aktie<br />
Stand: 17.10.2013 / 18.03 Uhr<br />
Adidas 81,63 +1,2 +19,9 4,51 5,02 16 17078 1,65<br />
Allianz 122,40 +2,3 +27,7 13,08 13,42 9 55808 3,68<br />
BASF NA 72,95 +1,9 +11,4 5,36 5,88 12 67003 3,56<br />
Bayer NA 89,41 +4,4 +28,4 5,70 6,43 14 73937 2,13<br />
Beiersdorf 68,79 +0,5 +17,9 2,38 2,66 26 17335 1,02<br />
BMW St 81,94 +1,9 +32,9 7,87 8,12 10 52624 3,05<br />
Commerzbank 9,73 +4,0 –17,4 0,36 0,81 12 11082 -<br />
Continental 136,15 +3,3 +79,6 10,53 12,02 11 27231 1,65<br />
Daimler 58,46 +0,4 +51,3 4,83 5,60 10 62519 3,76<br />
Deutsche Bank 36,75 +5,0 +5,0 3,55 4,50 8 37463 2,04<br />
Deutsche Börse 58,37 +2,5 +39,5 3,66 4,11 14 11265 3,94<br />
Deutsche Post 24,10 +1,3 +53,3 1,45 1,62 15 29137 2,90<br />
Deutsche Telekom 11,71 +2,3 +29,1 0,65 0,70 17 52123 5,98<br />
E.ON 13,81 –3,1 –25,5 1,29 1,17 12 27634 7,97<br />
Fresenius Med.C. St 47,33 +0,7 –18,6 3,52 3,68 13 14556 1,58<br />
Fresenius SE&Co 92,10 +3,1 –3,5 5,82 6,54 14 20785 1,03<br />
Heidelberg Cement St 57,74 +0,1 +40,8 3,52 4,51 13 10826 0,81<br />
Henkel Vz 74,01 +1,7 +17,8 4,03 4,40 17 29769 1,28<br />
Infineon 7,15 –3,5 +37,0 0,21 0,40 18 7728 1,68<br />
K+S NA 18,73 –0,8 –49,8 2,36 1,36 14 3585 7,47<br />
Lanxess 50,52 +6,1 –18,0 1,63 3,97 13 4203 1,98<br />
Linde 142,85 +0,7 +6,6 8,31 9,35 15 26520 1,89<br />
Lufthansa 14,49 +2,5 +30,9 1,25 1,64 9 6665 -<br />
Merck 118,60 +4,9 +18,1 8,72 9,11 13 7664 1,43<br />
Münchener Rückv. 146,15 +1,7 +14,2 16,53 16,76 9 26211 4,79<br />
RWE St 27,50 +0,5 –23,1 3,91 2,93 9 16831 7,27<br />
SAP 53,31 –0,4 –2,7 3,37 3,71 14 65492 2,06<br />
Siemens 89,16 –1,7 +17,9 5,47 7,00 13 78550 3,36<br />
ThyssenKrupp 18,98 +2,9 +1,6 0,07 1,13 17 9762 -<br />
Volkswagen Vz. 177,10 +1,8 +19,6 21,04 24,07 7 81125 2,01<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Immer wieder lösten zuletzt<br />
größere Verkaufsaufträge an<br />
der New Yorker Terminbörse<br />
einen plötzlichen Goldpreiseinbruch<br />
aus. Am Freitag der<br />
vorvergangenen Woche etwa<br />
sorgte dafür ein einzelner Verkaufsauftrag<br />
über 5000 Gold-<br />
Futures-Kontrakte, die Lieferansprüche<br />
über eine halbe<br />
Millionen Unzen Gold umfassen.<br />
Um diese Goldmenge mit<br />
einem rechnerischen Marktwert<br />
von 640 Millionen Dollar<br />
an der Comex virtuell zu bewegen,<br />
muss der Verkäufer<br />
nur 44 Millionen Dollar an Sicherheitsleistung<br />
(Margin)<br />
hinterlegen.<br />
Gold ist eine sehr liquide Währung<br />
Das Volumen des Papiergoldmarktes<br />
hat sich in den vergangenen<br />
Jahren exponentiell<br />
erhöht. Zugleich ist es einer<br />
der am höchsten gehebelten<br />
Finanzmärkte überhaupt. Handelstäglich<br />
wechseln Lieferansprüche<br />
über Gold im Wert von<br />
240 Milliarden Dollar den Besitzer.<br />
Das entspricht einer Goldmenge<br />
von rund 190 Millionen<br />
Unzen. An nur einem Tag werden<br />
damit mehr als zwei Jahresproduktionen<br />
der Minen<br />
hin- und hergeschoben. Das<br />
jährliche Handelsvolumen entspricht<br />
560 Jahresproduktionen<br />
oder dem Neunfachen des jemals<br />
geförderten Goldes.<br />
Tägliche Handelsumsätze vonStaatsanleihen, Währungspaaren,<br />
Aktien undGoldderivaten(in Milliarden Dollar)<br />
Dollar/Euro<br />
Dollar/Yen<br />
US-Staatsanleihen<br />
Dollar/Pfund Sterling<br />
Japanische Staatsanleihen<br />
Gold<br />
Euro/Yen<br />
S&P500<br />
BritischeStaatsanleihen<br />
Bundesanleihen<br />
DowJones<br />
Quelle:Bloomberg,IncrementumAG, WGC, BIZ<br />
0 200 400 600 800 1000<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 107<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse | <strong>Geld</strong>woche<br />
AKTIE Schaltbau<br />
Grünes Licht für<br />
Rekordgewinne<br />
Einlegergeschäft<br />
Sberbank mit 19 000 Filialen<br />
Türen zum Profit Schaltbau<br />
liefert den Bahnbauern zu<br />
Mit seinem Geschäftsschwerpunkt<br />
Verkehrstechnik für<br />
Bahnen und Busse ist Schaltbau<br />
ein Gewinner des langfristigen<br />
Trends Infrastruktur.<br />
Der Europäische Verband der<br />
Eisenbahnindustrie rechnet<br />
pro Jahr weltweit mit 2,7 Prozent<br />
Wachstum. Kurzfristig allerdings<br />
gibt es Schwankungen;<br />
etwa wenn klamme<br />
Kommunen weniger <strong>Geld</strong> in<br />
den Ausbau des Nahverkehrs<br />
stecken – und damit auch weniger<br />
Türen und Bremsen des<br />
SDax-Wertes Schaltbau benötigt<br />
werden.<br />
Umso wichtiger ist es, dass<br />
Schaltbau international gut<br />
im Geschäft ist. Dabei geht es<br />
nicht nur um den großen<br />
Wachstumsmarkt China, auf<br />
dem sich das Gewicht vom<br />
Schnellverkehr zum Nahverkehr<br />
verlagert. Dynamischer<br />
entwickeln sich derzeit die<br />
Märkte im Nahen Osten, in<br />
Russland und Lateinamerika.<br />
Schaltbau konnte hier in den<br />
vergangenen Monaten wichtige<br />
Aufträge (für Signalanlagen,<br />
Schalter, Hochspannungstechnik)<br />
hereinholen.<br />
Insgesamt kamen im ersten<br />
Halbjahr mit 213 Millionen<br />
Euro sechs Prozent mehr<br />
Neubestellungen herein. Mit<br />
249 Millionen Euro ist das<br />
Auftragspolster so dick wie<br />
nie zuvor. Im ersten Halbjahr<br />
kletterte der Umsatz um zehn<br />
Prozent auf 194 Millionen Euro.<br />
Angesichts der guten Auftragslage<br />
sollten bis Jahresende<br />
rund 380 Millionen Euro möglich<br />
sein. Die Margen ziehen an,<br />
der Nettogewinn stieg in der<br />
gleichen Zeit um ein Viertel auf<br />
12,5 Millionen Euro. Schaltbau<br />
profitiert davon, dass die Preise<br />
für viele Metalle gesunken sind.<br />
Für 2013 ist ein Rekordgewinn<br />
von 24 Millionen Euro möglich.<br />
Schaltbau ist solide finanziert.<br />
Das Eigenkapital (78 Millionen<br />
Euro, 29 Prozent der Bilanzsumme)<br />
hat sich seit 2009<br />
mehr als verdreifacht und ist<br />
derzeit eineinhalbmal so hoch<br />
wie die Nettoschulden. Damit<br />
sind die weitere Expansion und<br />
Modernisierung gesichert.<br />
Nachdem im ersten Halbjahr<br />
die Produktionsanlagen von<br />
Bremsen erneuert wurden, entsteht<br />
in Kassel ein neues Technologiezentrum<br />
für automatische<br />
Türen.<br />
Schaltbau ist ein Basisinvestment<br />
unter deutschen Spezialwerten.<br />
Ein Euro Jahresumsatz<br />
wird an der Börse mit 65 Cent<br />
bezahlt, die für 2013 absehbaren<br />
Gewinne mit dem Elffachen.<br />
Das ist trotz der jüngsten Kurssteigerungen<br />
noch ein moderater<br />
Preis.<br />
Schaltbau<br />
ISIN:DE0007170300<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
Quelle:FactSet<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
2009 10 11 12 13<br />
Kurs/Stoppkurs(in Euro): 41,00/34,85<br />
KGV 2013/2014: 12,4/11,5<br />
Dividendenrendite(in Prozent):1,9<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
AKTIE Sberbank<br />
Kunden finanzieren<br />
solide Bilanz<br />
Absurd preiswert sei die<br />
Aktie der größten russischen<br />
Bank, sagt Klaus Ingemann.<br />
Ingemann ist Mitglied im<br />
Investmentausschuss der<br />
dänischen Investmentfirma<br />
CPH Capital, die einen der<br />
erfolgreichsten Fonds für<br />
globale Aktien steuert. Entsprechend<br />
zählen Sberbank-<br />
Aktien mit einem Fondsanteil<br />
von 2,8 Prozent auch zu den<br />
Top-Ten-Positionen im 430<br />
Millionen Euro schweren<br />
CPH Capital Global Equities<br />
(ISIN LU0616502885).<br />
Anleger, die konzentrierter<br />
in Sberbank investieren wollen,<br />
können das machen,<br />
durch den Kauf der in London<br />
und auch an deutschen Börsen<br />
notierten ADR (American<br />
Depository Receipts). Ein<br />
ADR entspricht <strong>dabei</strong> vier<br />
Sberbank-Aktien. Die, gemessen<br />
an westlichen Maßstäben,<br />
oft unzureichende Unternehmensführung<br />
relativierten<br />
sich bei Sberbank durch<br />
die attraktive Bewertung und<br />
dem weitaus durchschaubareren<br />
Geschäftsmodell als<br />
bei westeuropäischen Finanzkonzernen,<br />
sagt Ingemann.<br />
Das vor 170 Jahren gegründete<br />
Institut betreibt in<br />
Russland in mehr als 19 000<br />
Niederlassungen vor allem<br />
klassisches Bankgeschäft. Die<br />
mehrheitlich von der russischen<br />
Zentralbank (52,32 Prozent)<br />
kontrollierte Bank finanziert<br />
sich zu fast 70 Prozent aus<br />
Kundeneinlagen (340 Milliarden<br />
Dollar).<br />
Das Verhältnis von Krediten<br />
zu Einlagen liegt bei gesunden<br />
105 Prozent. Die Vermögenswerte<br />
der Bank sind im internationalen<br />
Vergleich gering<br />
schuldenfinanziert. Das<br />
Verhältnis von Eigenkapital zur<br />
Bilanzsumme liegt bei rund<br />
elf Prozent, und der Jahresgewinn<br />
von gut elf Milliarden<br />
Dollar ist enorm.<br />
Sberbank<br />
ISIN: US80585Y3080<br />
22<br />
18<br />
12<br />
14<br />
10<br />
8<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
6<br />
2011 2012 2013<br />
Kurs/Stoppkurs(in Dollar): 12,94/10,30<br />
KGV 2013/2014: 6,4/5,9<br />
Dividendenrendite(in Prozent):2,9<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle:FactSet<br />
FOTOS: MAURITIUS/AGE, BLOOMBERG NEWS/ANDREY RUDAKOV, DDP IMAGES /NEWSCOM<br />
108 Redaktion: <strong>Geld</strong>woche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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CHARTSIGNAL Nikkei<br />
Risiken überwiegen<br />
An der Marke von 15 500 Punkten fällt die Richtungsentscheidung<br />
für den japanischen Nikkei.<br />
Der japanische Aktienmarkt<br />
steht vor einer wichtigen Weichenstellung.<br />
Seit der Jahrtausendwende<br />
zeigte sich die<br />
Trendlinie T1 als unüberwindlicher<br />
Widerstand für<br />
den Nikkei. An T1 scheiterten<br />
die langfristigen Aufwärtstrends<br />
von 1999/2000 (1) und<br />
2003/2007 (2). Auch der aktuelle,<br />
Ende 2012 einsetzende<br />
Kursaufschwung könnte jetzt<br />
an T1 ausgebremst werden.<br />
Ein erster Anlauf ist bereits<br />
gescheitert (3). Doch noch<br />
bewegt sich der Nikkei oberhalb<br />
der aktuell bei 13 000<br />
Punkten verlaufenden<br />
200-Tage-Linie. Erst ein signifikanter<br />
Fall unter diesen gleitenden<br />
Durchschnitt würde<br />
die Aufwärtstendenz am Kabutocho<br />
brechen. Noch aber<br />
bestehen Chancen, dass die<br />
seit 1989 andauernde Baisse<br />
am japanischen Aktienmarkt<br />
zu Ende geht. Das passierte,<br />
wenn der Nikkei die gegenwärtig<br />
bei 15 500 Punkten verlaufende<br />
Trendlinie T1<br />
nachhaltig überspringt. Die<br />
Wahrscheinlichkeit dafür ist<br />
allerdings ziemlich gering.<br />
Starke Widerstände<br />
Die Gefahr für Anleger, in eine<br />
Bullenfalle zu tappen, ist hingegen<br />
hoch. Zu massiv erscheint<br />
die knapp oberhalb des aktuellen<br />
Indexniveaus beginnende<br />
massive Widerstandszone. Bei<br />
15 000 Punkten verläuft ein historischer<br />
Widerstand aus den<br />
Jahren 1991 ( 4), 1995 (5), 1997<br />
(6) und 1998 (7). Darüber folgen<br />
T1 und eine bis auf 18 000<br />
Punkten reichende Widerstandszone.<br />
Der leichte Weg für<br />
Kursgewinne am japanischen<br />
Aktienmarkt scheint vorbei zu<br />
sein, das Abwärtsrisiko ist dagegen<br />
beträchtlich.<br />
Seit zehn Jahren bewegt sich<br />
der Nikkei in einem großen Abwärtstrendkanal.<br />
Die untere Begrenzung<br />
dieses Trendkanals<br />
reicht gegenwärtig bis auf etwa<br />
7000 Punkte. Das Verhältnis von<br />
Chance und Risiko am Kabutocho<br />
wirkt vor diesem Hintergrund<br />
wenig attraktiv. Zumal<br />
die Kursgewinne des Nikkei seit<br />
Ende 2012 für Euro-Anleger<br />
durch hohe Währungsverluste<br />
geschmälert wurden. Anleger<br />
sollten in Nippon auf eine<br />
bessere Einstiegsgelegenheit<br />
warten.<br />
Der leichte Weg für Kursgewinne am japanischen Aktienmarkt ist vorbei<br />
40000<br />
35000<br />
30000<br />
25000<br />
20000<br />
15 000<br />
10 000<br />
5000<br />
Quelle: FactSet<br />
T1<br />
4 5 6 7<br />
Nikkei-Index<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
1<br />
Widerstandszone<br />
1990 1995 2000 2005 2010 13<br />
2<br />
Abwärtstrendkanal<br />
1. großer<br />
Widerstand<br />
3<br />
ANLEIHE Goldman Sachs<br />
Spielraum<br />
für Neues<br />
Zwei Dinge sind entscheidend<br />
für eine gute Anleihe:<br />
dass der Schuldner pünktlich<br />
Zinsen bezahlt und dass er<br />
zur Fälligkeit die Anleihe wieder<br />
voll und ganz zurückkauft.<br />
Banken gehörten seit der Finanzkrise<br />
immer weniger zu<br />
Gläubigern, denen Anleger<br />
Vertrauen und <strong>Geld</strong> entgegenbringen.<br />
Dabei gibt es darunter<br />
Adressen, die ziemlich<br />
sicher sein sollten: etwa die<br />
amerikanische Investmentbank<br />
Goldman Sachs. Euro-<br />
Anleihen von Goldman mit<br />
Laufzeit bis 2020 bringen derzeit<br />
2,6 Prozent Jahresrendite.<br />
Das ist nicht üppig, aber für<br />
eine Anlage im mittleren Investmentbereich<br />
(S&P Rating<br />
A-) kein schlechtes Angebot.<br />
Goldman Sachs, 1869 von<br />
dem deutschen Auswanderer<br />
Marcus Goldman in New York<br />
gegründet, hat vier große Einnahmequellen:<br />
Unternehmenstransaktionen,<br />
Zinseinnahmen,<br />
Wertpapierhandel<br />
und Provisionen.<br />
Bei einer Bilanzsumme von<br />
923 Milliarden Dollar könnte<br />
Goldman nach einem moderaten<br />
dritten Quartal (1,43<br />
Milliarden Dollar Reingewinn)<br />
insgesamt mehr als sieben<br />
Milliarden Dollar verdienen,<br />
gut 5,2 Milliarden Euro.<br />
Im gerade abgelaufenen<br />
Quartal drückten der schwächere<br />
Handel mit Anleihen,<br />
Währungen und Rohstoffen<br />
das Geschäft. Im Gegenzug<br />
senkte Goldman Personalkosten,<br />
vor allem Ausgaben für<br />
Bonuszahlungen. Insgesamt<br />
dürfte 2013 für Goldman damit<br />
zumindest ein mittelprächtiges<br />
Jahr werden – entsprächen<br />
sieben Milliarden<br />
Dollar netto doch etwa dem<br />
Durchschnittsgewinn der vergangenen<br />
zehn Jahre. Der<br />
Systemrelevante Hausnummer<br />
Goldman-Zentrale in New York<br />
schlechteste Abschluss war<br />
2008, das Jahre der akuten Finanzkrise.<br />
Doch auch da blieben<br />
netto 2,3 Milliarden Dollar.<br />
2008 war auch das Jahr, als Investoren-Legende<br />
Warren Buffett<br />
der Bank zu Hilfe kam, deren<br />
Aktien im Strudel des<br />
Lehman-Crashs massiv unter<br />
Druck geraten waren. Zunächst<br />
hatte Buffett der Bank fünf Milliarden<br />
Dollar geliehen; zudem<br />
sicherte er sich über Optionen<br />
Zugriff auf Stammaktien, die er<br />
sich nun vor Kurzem holte.<br />
Heute ist Buffett über seine Beteiligungsgesellschaft<br />
Berkshire<br />
Hathaway mit 2,9 Prozent an<br />
Goldman beteiligt. Weitere<br />
Großaktionäre sind die Investmentgesellschaften<br />
Capital<br />
Group (6,7 Prozent) und Blackrock<br />
(5,4 Prozent).<br />
Goldman Sachs ist eine systemrelevante<br />
Bank. Das heißt,<br />
ihr Überleben soll auch in<br />
schweren Krisen notfalls durch<br />
Staatshilfen gesichert werden,<br />
dafür aber wird sie von internationalen<br />
Aufsichtsbehörden<br />
überwacht. Mit einer Kernkapitalquote<br />
von 9,3 Prozent hat<br />
Goldman einen guten Mix aus<br />
Risikopuffer und Spielraum für<br />
neue Geschäfte.<br />
Kurs (%) 99,96<br />
Kupon (%) 2,625<br />
Rendite (%) 2,66<br />
Laufzeit bis 19. August 2020<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
XS0963375232<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 109<br />
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<strong>Geld</strong>&Börse | <strong>Geld</strong>woche<br />
FONDS FPM Stockpicker Germany Small/Mid<br />
Weniger auf Preis, als<br />
auf Qualität achten<br />
Rohr frei Norma produziert<br />
Kunststoffteile fürs Auto<br />
Die Fondsmanager Martin<br />
Wirth und Raik Hoffmann haben<br />
den Anteil zyklischer, also<br />
von der Konjunktur abhängiger<br />
Titel hochgefahren. „Seit<br />
Beginn der Finanzkrise hat<br />
die Industrie Investitionen<br />
zurückgestellt“, sagt Hoffmann.<br />
Noch liege die Industrieproduktion<br />
in Europa unter<br />
dem Vorkrisenniveau. Jetzt<br />
sollten die Unternehmen den<br />
Investitionsstau auflösen. Das<br />
Fondsmanagement hat daher<br />
unter anderem den Maschinenbauer<br />
DMG Mori Seiki<br />
(bis vor Kurzem: Gildemeister)<br />
aufgestockt. Mit Aurubis,<br />
Klöckner und Leoni hält der<br />
FPM-Fonds drei weitere konjunktursensible<br />
Aktien.<br />
„Grundsätzlich gefallen uns<br />
Unternehmen, die ihren<br />
Markt wegen Wettbewerbsvorteilen<br />
dominieren, beispielsweise<br />
der Industrieund<br />
Autozulieferer Norma“,<br />
sagt Fondsmanager Hoffmann.<br />
Im Markt für Verbindungsteile,<br />
die in Maschinen<br />
oder Fahrzeugen verbaut<br />
werden, etwa um Schläuche<br />
zu befestigen, seien die Wettbewerber<br />
deutlich kleiner als<br />
Norma. Die Größe ermögliche<br />
es dem hessischen Unternehmen,<br />
mehr <strong>Geld</strong> als die<br />
Konkurrenz in die Forschung<br />
zu investieren und sich damit<br />
schneller an neue, technische<br />
Vorgaben der Abnehmer anzupassen.<br />
Da die Verbindungsteile, die<br />
Norma produziere, einen verschwindend<br />
geringen Anteil an<br />
den Gesamtkosten des Endprodukts<br />
hätten, schauten die Abnehmer<br />
weniger auf den Preis<br />
als auf die Qualität. „Kein Autohersteller<br />
kann es sich leisten,<br />
dass das Auto stehen bleibt, nur<br />
weil sie an einer Schlauchschelle<br />
ein, zwei Cent eingespart haben“,<br />
sagt Hoffmann. So bleibe<br />
Norma, trotz des vergleichsweise<br />
geringen Produktwerts, eine<br />
überproportional hohe Marge.<br />
Am Portfoliounternehmen<br />
United Internet gefällt Hoffmann,<br />
dass das Unternehmen<br />
vor allem organisch wachse,<br />
sich nicht auf riskante Übernahmen<br />
einlasse und stattdessen<br />
lieber eigene Aktien kaufe. So<br />
habe das Unternehmen bisher<br />
schon 20 Prozent der Aktien<br />
vom Markt geräumt. Laut Beschluss<br />
der Hauptversammlung<br />
im Mai kann United Internet<br />
zusätzlich zehn Prozent seines<br />
Grundkapitals zurückkaufen.<br />
Zudem bilanziere United Internet<br />
konservativ. So würden<br />
Kosten, die nötig sind, um neue<br />
Kunden zu gewinnen, in dem<br />
Monat gebucht, in dem sie<br />
anfallen.<br />
FPMGermanySmall/Mid<br />
ISIN: LU0207947044<br />
160<br />
150<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
Chance<br />
Risiko<br />
2011<br />
Niedrig<br />
umbasiertauf 100;<br />
Quelle:Thomson Reuters<br />
12<br />
MDax<br />
13<br />
Hoch<br />
Die besten deutschen Aktienfonds<br />
Wie die erfolgreichsten Portfoliomanager abgeschnitten haben<br />
Fondsname<br />
Die Gewinner unter den volumenstärksten Fonds<br />
iShares TecDax<br />
DWS German Small/Mid Cap<br />
CS Small & Mid Cap Germany<br />
Allianz Nebenwerte<br />
iShares Mdax<br />
UBS Small Caps Germany<br />
DWS Aktien Strategie Deutschland<br />
Acatis Aktien Deutschland<br />
FPM Stockpicker Germany All Cap<br />
UniDeutschland XS<br />
Danske Invest Tyskland<br />
DWS Investa<br />
iShares DivDAX (DE)<br />
ETFlab DAXplus Maximum Div.<br />
Fidelity Germany<br />
DWS German Equities Typ O<br />
DWS Invest German Equities<br />
Akrobat Europa<br />
Baring German Growth<br />
DWS Deutschland<br />
JPM Germany<br />
Metzler Aktien Deutschland<br />
Pioneer Inv German Equity<br />
Allianz Vermögensbildung<br />
Allianz Thesaurus<br />
Deka DAX ETF<br />
iShares DAX (DE)<br />
HANSAsecur<br />
Fondak<br />
DekaLux-Deutschland<br />
DekaFonds CF<br />
Sydinvest Tyskland<br />
Allianz German Equity<br />
Concentra A EUR<br />
Mediolanum Germany Equity<br />
ComStage ETF DAX<br />
UBS Aktienfonds Special I Deutschl.<br />
Lyxor ETF Dax<br />
KBC Multi Track Germany<br />
LBBW Exportstrategie Deutschland<br />
Die Sieger bei den kleinen Portfolios<br />
FPM Stockp. Germ. Small/Mid<br />
Allianz Nebenwerte<br />
Scherrer Small Caps Europe<br />
UBS Mid Caps Germany<br />
Lupus Alpha Smaller German Ch.<br />
Multiadvisor Esprit<br />
Lux-Euro-Stocks TecDax<br />
DB Platinum III Platow R1<br />
HAIG MB Max Value<br />
Danske Invest Tyskland<br />
ISIN<br />
DE0005933972<br />
DE0005152409<br />
LU0052265898<br />
DE0008481763<br />
DE0005933923<br />
DE0009751651<br />
DE0009769869<br />
LU0158903558<br />
LU0124167924<br />
DE0009750497<br />
DK0060041564<br />
DE0008474008<br />
DE0002635273<br />
DE000ETFL235<br />
LU0048580004<br />
DE0008474289<br />
LU0740822621<br />
LU0138526776<br />
GB0000822576<br />
DE0008490962<br />
LU0111753843<br />
DE0009752238<br />
DE0009752303<br />
DE0008475062<br />
DE0008475013<br />
DE000ETFL011<br />
DE0005933931<br />
DE0008479023<br />
DE0008471012<br />
LU0062624902<br />
DE0008474503<br />
DK0060033116<br />
LU0840617350<br />
DE0008475005<br />
IE0004457085<br />
LU0378438732<br />
DE0008488206<br />
LU0252633754<br />
BE0165668899<br />
DE0009771964<br />
LU0207947044<br />
DE0008481763<br />
LI0018448063<br />
DE0009751750<br />
LU0129233093<br />
LU0090303289<br />
LU0108712554<br />
LU0247468282<br />
LU0121803570<br />
DK0060041564<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3<br />
Jahren 1<br />
12,1<br />
16,7<br />
18,6<br />
16,4<br />
18,7<br />
11,1<br />
16,2<br />
15,2<br />
1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />
(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />
Quelle: Morningstar; Stand: 17. Oktober 2013<br />
9,6<br />
11,5<br />
14,8<br />
12,8<br />
12,8<br />
7,0<br />
13,0<br />
14,1<br />
15,2<br />
14,7<br />
13,1<br />
15,4<br />
11,6<br />
11,5<br />
12,7<br />
12,5<br />
11,4<br />
11,2<br />
11,1<br />
10,0<br />
9,3<br />
8,3<br />
9,5<br />
8,8<br />
14,1<br />
13,6<br />
6,9<br />
10,5<br />
9,8<br />
10,3<br />
9,8<br />
9,5<br />
18,7<br />
16,4<br />
18,1<br />
15,8<br />
16,5<br />
16,5<br />
10,5<br />
17,7<br />
8,1<br />
14,8<br />
seit 1<br />
Jahr<br />
33,4<br />
37,9<br />
36,7<br />
34,4<br />
33,9<br />
29,2<br />
30,0<br />
22,5<br />
28,2<br />
25,5<br />
27,5<br />
28,9<br />
24,5<br />
21,3<br />
27,1<br />
24,4<br />
26,5<br />
26,8<br />
26,2<br />
26,6<br />
23,4<br />
20,1<br />
23,7<br />
24,5<br />
23,5<br />
20,4<br />
20,4<br />
20,0<br />
21,3<br />
20,6<br />
21,3<br />
18,2<br />
21,0<br />
20,7<br />
16,4<br />
17,5<br />
18,5<br />
17,4<br />
17,4<br />
17,1<br />
34,4<br />
34,4<br />
32,8<br />
32,2<br />
30,1<br />
28,6<br />
28,5<br />
28,3<br />
27,6<br />
27,5<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
17,0<br />
17,7<br />
16,4<br />
16,9<br />
16,4<br />
16,4<br />
21,1<br />
12,5<br />
17,0<br />
16,9<br />
18,0<br />
22,0<br />
19,0<br />
15,6<br />
18,1<br />
20,7<br />
21,8<br />
12,1<br />
19,1<br />
21,7<br />
18,2<br />
18,0<br />
18,6<br />
19,8<br />
19,2<br />
18,6<br />
18,6<br />
19,7<br />
19,7<br />
21,1<br />
20,2<br />
17,5<br />
18,6<br />
18,9<br />
15,8<br />
18,6<br />
17,7<br />
18,7<br />
18,4<br />
21,0<br />
15,1<br />
16,9<br />
15,6<br />
15,9<br />
15,3<br />
12,1<br />
15,5<br />
13,0<br />
18,8<br />
18,0<br />
FOTOS: PR (2)<br />
110 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
NACHGEFRAGT Markus Bachmann<br />
»Druck lässt nach«<br />
Die Goldhausse sei längst nicht vorbei, und die<br />
Minen bekämen ihre Kosten in den Griff,<br />
sagt der Fondsmanager und Bergbauexperte.<br />
Herr Bachmann, die US-<br />
Notenbank Fed druckt weiter<br />
<strong>Geld</strong>, der Leitzins bleibt<br />
unten, die Regierung in Washington<br />
ist de facto bankrott,<br />
und der Dollar sah schon<br />
besser aus. Warum steht der<br />
Goldpreis nicht höher?<br />
Grundsätzlich sind das positive<br />
Faktoren für Gold. Aber die<br />
Turbulenzen in diesem Jahr<br />
haben das Vertrauen in Gold<br />
beschädigt. Das muss zunächst<br />
noch verdaut werden.<br />
<strong>Ist</strong> Gold zufällig so stark unter<br />
Druck gekommen?<br />
Das weiß ich nicht. Fakt ist,<br />
dass der Goldpreis stark eingebrochen<br />
ist, auch wegen<br />
Gewinnmitnahmen nach<br />
über zehn Jahren Preisanstieg.<br />
Klar, es gab am Terminmarkt<br />
auch gezielte spekulative<br />
Attacken, die auf einen<br />
Preiseinbruch abzielten, vor<br />
allem an charttechnisch relevanten<br />
Unterstützungslinien.<br />
Es bringt mich und meine Arbeit<br />
aber keinen Schritt weiter,<br />
wenn ich über Verschwörungstheorien<br />
philosophiere.<br />
Anleger im Westen sind<br />
ausgestiegen, während die<br />
Nachfrage in Asien stark<br />
anzog. Mengenmäßig war das<br />
fast ein Nullsummenspiel.<br />
Aber erst der tiefere Goldpreis<br />
hat den Nachfrageschub in<br />
DER MINENINVESTOR<br />
Bachmann, 47, ist Mitgründer<br />
des Investmenthauses Craton<br />
Capital. Die auf Edelmetall- und<br />
Rohstoffminen spezialisierte Gesellschaft<br />
verwaltet von Johannesburg<br />
aus in drei Aktienfonds<br />
rund 100 Millionen Dollar.<br />
Asien ausgelöst. Diese Nachfrage<br />
wirkt wie eine Preisbremse.<br />
Warum haben westliche Investoren<br />
überhaupt Gold verkauft?<br />
Sie hatten unter anderem Gold<br />
gekauft, weil sie wegen der Ende<br />
2008 startenden Anleihekäufe<br />
der Fed einen starken Anstieg<br />
der Inflation erwartet hatten.<br />
Die Diskussion um die Rückführung<br />
der Kaufvolumina wurde<br />
im Umkehrschluss als Verkaufsgrund<br />
angesehen. Das ist<br />
natürlich Humbug.<br />
Warum?<br />
Die Beziehung zwischen den<br />
Anleihekäufen und Gold wird<br />
weit überschätzt.<br />
Immerhin hat sich das Dollar-<br />
Angebot, gemessen an Bargeld<br />
und den Reserven der Banken,<br />
bei der Fed von September<br />
2008 bis heute auf 3500 Milliarden<br />
Dollar vervierfacht.<br />
Die Fed hat ihre Bilanzsumme<br />
massiv ausgeweitet, das stimmt.<br />
Aber das <strong>Geld</strong>angebot, gemessen<br />
an der <strong>Geld</strong>menge M2...<br />
...also unter anderem Bargeld,<br />
Guthaben auf Giro- und <strong>Geld</strong>marktkonten<br />
unter 100 000<br />
Dollar und Laufzeiten bis zu<br />
zwei Jahren...<br />
...ist seitdem nur um etwa 40<br />
Prozent gestiegen. Die massive<br />
Ausweitung der Fed-Bilanz<br />
spiegelt sich also nicht auf echten<br />
Konten wider. Die Ausweitung<br />
der Fed-Bilanzsumme hat<br />
lediglich die Angst vor Inflation<br />
geschürt, falls diese Mittel über<br />
eine Kreditausweitung der Banken<br />
in die Realwirtschaft fließen.<br />
Das aber ist nicht passiert.<br />
Zum Tango braucht es immer<br />
zwei. Die Mittel blieben im Bankensystem.<br />
Die Umlaufgeschwindigkeit<br />
des <strong>Geld</strong>es hat<br />
sich in den vergangenen Jahren<br />
sogar deutlich verlangsamt. Unter<br />
solchen Bedingungen entsteht<br />
keine Inflation.<br />
War die Goldhausse eine Fata<br />
Morgana?<br />
Nein. Seit dem Hoch im<br />
September 2011 hat der Goldpreis<br />
um gut 30 Prozent korrigiert.<br />
Für mich ist das nicht<br />
der Auftakt eines strukturellen<br />
Bärenmarktes, sondern eine<br />
Korrektur in der Mitte eines<br />
langfristigen Aufwärtszyklus. Die<br />
Korrektur ging aus vom Terminmarkt<br />
und den Besitzern von<br />
Gold-ETF. Sie hatten zu voreilig<br />
auf einen starken Anstieg der<br />
Inflation gesetzt. Diese Fehleinschätzung<br />
wird nun korrigiert.<br />
Vergessen Sie aber nicht, dass<br />
sich der Goldpreis zwischen<br />
2001 und 2007 vervierfacht hat,<br />
ganz ohne Anleihekäufe der Fed.<br />
Es sind also mehr fundamentale<br />
Faktoren am Werk, die Gold<br />
unterstützen.<br />
Welche sind das?<br />
Seit der Jahrtausendwende entwickelte<br />
sich Gold immer besser<br />
bei guter Konjunktur. Viele<br />
Indikatoren deuten auf eine<br />
bessere Weltwirtschaft hin.<br />
Noch wichtiger aber sind die<br />
Craton Precious Metal<br />
ISIN: LI0016742681<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
150<br />
100<br />
Craton Precious<br />
MetalFund<br />
50<br />
2004 07 10 13<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Gold<br />
Anteilspreis in Dollar seit Auflegung, Goldpreis<br />
in Dollar je Feinunze angeglichen;Quelle:Thomson<br />
Reuters<br />
Hoch<br />
Faktoren, die bis vor 18 Monaten<br />
noch als Katalysatoren für<br />
den Goldpreisanstieg genannt<br />
wurden. Diese sind alle noch in<br />
Kraft. Die Staatsschuldenkrise<br />
in der westlichen Welt ist weit<br />
weg von einer Lösung. Regierungen<br />
weichen ihrer fiskalischen<br />
Verantwortung aus und<br />
nötigen die <strong>Geld</strong>politik, die Zinsen<br />
tief zu halten. Vor allem der<br />
Dollar ist in Gefahr. Die starke<br />
Nachfrage nach Gold aus den<br />
nicht westlichen Ländern wird<br />
deshalb robust bleiben und in<br />
Schwächephasen anziehen.<br />
Abgesehen von Minenaktien<br />
laufen Aktien seit 18 Monaten<br />
besser als Gold. Aktien gelten<br />
auch als Sachwerte, und Aktionäre<br />
bekommen Dividenden.<br />
Das Argument, Gold schwankte<br />
im Preis weniger als die Aktien,<br />
stimmt so auch nicht mehr.<br />
Warum noch Gold?<br />
Relativ zu Aktien ist Gold nicht<br />
teuer. Im Vergleich zum S&P<br />
500 etwa kostet Gold 15 Prozent<br />
weniger als im langjährigen<br />
Durchschnitt seit 1971. Und der<br />
Goldminensektor hat seine Probleme<br />
erkannt und in Angriff<br />
genommen. Die Gesamtkosten<br />
sinken jetzt, nachdem sie gut<br />
zehn Jahre gestiegen waren.<br />
Dieser Prozess wird sich noch<br />
Jahre fortsetzen, während sich<br />
das operative Management zusehends<br />
verbessert. Im letzten<br />
Kostensenkungszyklus zwischen<br />
1997 und 2002 hatte die<br />
Branche bewiesen, dass Kostensenkungen<br />
im Goldbergbau<br />
möglich sind. Damals wurden<br />
die Produktionskosten um 35<br />
Prozent gesenkt, im Nachgang<br />
eines ähnlich starken Goldpreisrückganges.<br />
Es beginnt gerade<br />
ein neuer Minenzyklus.<br />
Ohne steigenden Goldpreis?<br />
Der Goldpreis ist der entscheidende<br />
Treiber. Darüber bin ich<br />
mir im Klaren. Die aktuelle Konsolidierung<br />
könnte durchaus<br />
noch andauern und ein schneller<br />
Anstieg ausbleiben. Aber der<br />
Abwärtsdruck lässt nach. Das<br />
Schlimmste liegt hinter uns.<br />
frank.doll@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 111<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
Bodenerosionen auf<br />
dem Parkett<br />
TEPPICHE | Junge deutsche Designer zeigen, wie handgeknüpfte Teppiche<br />
das Wohnzimmer beseelen.<br />
Es ist noch gar nicht so lange her,<br />
da konnte es vorkommen, dass<br />
die Gastgeberin einer Party sich<br />
für den Perser entschuldigte, der<br />
da ganz unschuldig vorm Fernseher<br />
auf dem Parkett ausgebreitet war und<br />
als fransiges Erbstück sein Dasein fristete.<br />
Heute kann es passieren, dass eine Gastgeberin<br />
ihre Gäste mit einem Aperol Spritz in<br />
der Hand als Erstes zum Fernseher führt<br />
und Elogen über Herkunft und Gestaltung<br />
des leicht abgewetzt und dennoch edel<br />
wirkenden textilen Designerstücks hält.<br />
Es sind vor allem deutsche Designer, die<br />
dem totgesagten Perserteppich neues Leben<br />
eingehaucht haben, indem sie ihm eine<br />
zeitgenössische Formensprache verpassten.<br />
Vorneweg Jan Kath, Spross einer<br />
Bochumer Teppichhändler-Familie. Der<br />
41-Jährige ist der Star der Szene, mit einem<br />
Showroom in New York und Dependancen<br />
in Berlin, Hamburg, Stuttgart und neuerdings<br />
Köln. Er gehört zu den Urhebern des<br />
sogenannten „used look“, jener artifiziellen<br />
Schäbigkeit, die an die Strategien moderner<br />
Malerei erinnert, an Drippings, Übermalungen<br />
und Abkratzungen.<br />
In der ehemaligen Maschinenhalle am<br />
Rande der Bochumer Innenstadt, dem<br />
Kreativzentrum und Archiv der Kath’schen<br />
Designerwerkstatt, sind die Kollektionen<br />
unter mächtigen Stahlträgern aufgehängt,<br />
großformatige, je nach Blickwinkel changierende<br />
Teppiche aus Wolle, Seide und<br />
Brennnesselfasern, die mit dem Reiz des<br />
Zerschlissenen spielen, mit einer Ästhetik<br />
der Vergänglichkeit und des Verfalls. Da<br />
zerläuft das florale Dekor eines Bidjar-Teppichs<br />
zu Schlieren oder verschwindet unter<br />
einem Liniengespinst. Andere Stücke<br />
HANDARBEIT<br />
Knoten an Knoten<br />
Handgeknüpfte Teppiche werden meist<br />
aus Wolle und Seide gefertigt. Die beste<br />
Wolle stammt von den Schafen aus dem<br />
Hochland Tibets. Nach der Schur wird<br />
die Wolle gewaschen, gekämmt und von<br />
Hand zu einem mal dicken, mal dünnen<br />
Garn versponnen, das die Farbe unterschiedlich<br />
stark aufnimmt. So entsteht<br />
ein reizvolles, unregelmäßiges Farbbild,<br />
der sogenannte Abrasch.<br />
REIHE FÜR REIHE<br />
Teppiche werden an einem Knüpfstuhl<br />
mit vertikalen Kettfäden gefertigt. Die<br />
Knüpferinnen und Knüpfer sitzen nebeneinander<br />
und knüpfen die Wolle<br />
Reihe für Reihe nach einem vorgegebenen<br />
Muster ein. <strong>Ist</strong> eine Reihe beendet,<br />
werden die Knoten fixiert, mit einem<br />
Kammhammer angeschlagen, und die<br />
nächste Reihe beginnt. Je dichter die<br />
Knoten, desto feiner der Teppich. Nach<br />
Vollendung des Teppichs wird der Flor<br />
abgeschnitten und das Finishing beginnt:<br />
Der Teppich wird mehrmals gewaschen<br />
und zum Trocknen ausgelegt.<br />
Die Masse der nach Deutschland importierten<br />
Teppiche stammt aus Indien,<br />
Nepal, Iran und Pakistan. Sie werden in<br />
Manufakturen und in Heimarbeit gefertigt.<br />
Zertifizierungsstellen wie „Step“<br />
oder „good weave“ sollen garantieren,<br />
dass die Teppiche nicht in Kinderarbeit<br />
hergestellt werden.<br />
sehen aus, als seien die Farben wegradiert,<br />
verätzt und abgeblättert wie bei einer verwitterten<br />
Mauer oder als sei das Muster<br />
von wahlweise blauem oder pinkfarbenem<br />
Schimmelfraß überzogen.<br />
SPEERSPITZE DER TRADITION<br />
Kath spricht von „Erosionen“, von „Angriffen“<br />
auf das Material. Er traktiert die Oberflächen,<br />
„zermalt“ die Motive, arbeitet<br />
Farbspritzer und -klekse ein oder verwischt<br />
die vertrauten Muster – nicht, um<br />
sie zerstören, sondern, um sie zur Kenntlichkeit<br />
zu entstellen. Das „Mutterbild“ soll<br />
unter den reliefartig vorstehenden Manipulationen<br />
wie eine halb verblasste Erinnerung<br />
durchscheinen. Mit solchen Déjavu-Effekten<br />
will Kath die mittlere Kundengeneration,<br />
die mit Großmutters Perser<br />
aufgewachsen ist, wiedergewinnen. „Auferstanden<br />
aus Ruinen“, das sei sein Thema,<br />
sagt der Designer. Der Junge aus dem<br />
Ruhrgebiet ist zwischen Industrieruinen<br />
groß geworden, in einer Region, in der die<br />
Tradition, wie er sagt, nie viel galt. Gerade<br />
deshalb versteht er sich als „Speerspitze<br />
der Tradition“, als Vermittler von Neuem<br />
und Altem, der digitales Design mit der<br />
jahrhundertealten Kulturtechnik des Teppichknüpfens<br />
verbindet.<br />
Ein eigens für Kath entwickeltes Computerprogramm<br />
ermöglicht es, die Entwürfe<br />
auf Lochkarten, sogenannte Graphen, zu<br />
übertragen, auf denen jeder einzelne Knoten<br />
samt Faden und Färbung als kleiner<br />
Punkt markiert ist. Diese Graphen werden<br />
online von der Bochumer Zentrale in die<br />
Manufakturen in Nepal und Indien übermittelt<br />
und dienen als Vorlage für mehr als<br />
2600 Knüpfer, deren Arbeit vor Ort so<br />
FOTOS: DIMO FELDMANN (4)<br />
112 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Make Rugs, not War (oben) Slogans wie<br />
aus der Farbdose von Jan Kath<br />
Wie erlesener Schimmelfraß (unten)<br />
Oberflächenveredelung von Jan Kath<br />
„ziemlich genau“ kontrolliert werden<br />
kann. „In den meisten Fällen können wir<br />
exakt kalkulieren, was für ein Produkt herauskommt“,<br />
sagt Kath. Für sein neues Projekt<br />
„Space/Kosmos“ hat Kath Satellitenbilder<br />
einer Supernova in fotorealistischer<br />
Auflösung, „Pixel für Pixel“, in die Knoten-<br />
Sprache des Teppichs übersetzt. Das Ergebnis,<br />
das ihm in Kathmandu präsentiert<br />
wurde, habe ihn überzeugt.<br />
Neben avancierten Designkollektionen<br />
lässt Kath immer wieder „museumsreife“<br />
Stücke anfertigen, von stilsicheren Knüpfern<br />
und Färbmeistern altmeisterlich kopiert<br />
nach traditionellen Vorlagen, veredelt<br />
mit einem „antiken Finishing-Verfahren“:<br />
Durch wechselnde Behandlung mit Feuer<br />
und Wasser wird der Flor heruntergebrannt<br />
und erhält so die Patina eines<br />
100-jährigen Sammlerstücks. Inzwischen<br />
lässt Kath auch in Ostanatolien produzieren,<br />
wo einzelne Dörfer ihre Muster und<br />
Farben wie Erkennungszeichen pflegen.<br />
Nur den Iran, das Mutterland des Perserteppichs,<br />
meidet er: Die traditionsstolzen<br />
Iraner würden sich „an den Kopf fassen“,<br />
wenn sie seine Entwürfe sähen.<br />
Kaths Hamburger Kollege Hossein Rezvani,<br />
Jahrgang 1976, der aus einer persischen<br />
Teppichhändlerfamilie stammt und<br />
fließend Farsi spricht, hat vor wenigen Jahren<br />
den Brückenschlag gewagt, alte Geschäftskontakte<br />
des Vaters aufgefrischt. Er<br />
schickte seine Entwürfe nach Isfahan,<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 21.10.2013 Nr. 43 113<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
»<br />
wo Teppiche, zum Teil auf Seidenketten,<br />
mit einer Knotenfeinheit von bis zu einer<br />
Million Knoten pro Quadratmeter geknüpft<br />
werden, in Familienbetrieben, nur<br />
von Frauen, im Hof oder im Garten. Das irritierende<br />
Resultat: Statt roter Muster lieferten<br />
die persischen Knüpferinnen blaue,<br />
„weil sie die schöner fanden“.<br />
STRATEGIE DES WEGLASSENS<br />
Der Perser, sagt Rezvani, sei „schwer erziehbar“.<br />
Inzwischen funktioniert die Zusammenarbeit.<br />
Sogar die Dekors werden<br />
eingehalten: Rezvani reduziert bei seiner<br />
Kollektion „Persia reinvented“ die Muster<br />
auf ihre Grundstruktur. Arabesken, Eckornamente<br />
und Medaillons sind nur noch in<br />
Umrissen zu erkennen. Beim Täbris-Muster,<br />
das aus der gleichnamigen Stadt im<br />
Nordwesten des Iran stammt, hat er bis zu<br />
90 Prozent des Mittelornaments weggenommen.<br />
Das Auge soll automatisch die<br />
fehlenden Teile ergänzen. „Die Kunden erkennen<br />
die Herkunft des Produkts im Design“,<br />
sagt Rezvani, und haben das beruhigende<br />
Gefühl: Hier wird eine alte, vertraute<br />
Geschichte fortgesponnen.<br />
Diese Strategie des Weglassens und<br />
Wegbrechens der Muster hat im Teppichdesign<br />
Schule gemacht. „Kunden, die modern<br />
eingerichtet sind, holen sich damit<br />
ein historisches Zitat, und Kunden, die historisch<br />
eingerichtet sind, holen sich damit<br />
ein Stück Modernität“, sagt Jürgen Dahlmanns,<br />
neben Kath der einflussreichste<br />
deutsche Teppichdesigner. Natürlich hat<br />
auch seine Marke Rug Star Teppiche im<br />
Programm, denen die Auflösung der Muster<br />
einkomponiert ist, wie bei einem halb<br />
Weniger ist mehr Neuinterpretation eines<br />
Täbris-Musters von Hossein Rezvani<br />
Sehnsucht nach dem Ornament Aus der<br />
Belle-Époque-Serie von Jürgen Dahlmanns<br />
verblichenen Bild – die Oberflächenveredlung<br />
durch Waschen und Schrubben<br />
bringt sie zum Leuchten, verleiht ihnen<br />
den luxury-shabby-look.<br />
Dahlmanns, der am Niederrhein aufgewachsen<br />
ist und in Berlin Architektur studierte,<br />
hat schon als junger Mann Teppiche<br />
gesammelt, vor allem klassische Tibeter,<br />
die in den Achtzigerjahren mit ihren einfachen,<br />
archaisch wirkenden Farbmustern<br />
den Perser aus den deutschen Wohnzimmern<br />
verdrängten. Gerade bei modernen,<br />
fließenden Wohnungsgrundrissen, die dazu<br />
tendieren, die Raumordnung aufzulösen,<br />
erfüllt der Teppich, wie Dahlmanns<br />
findet, eine wichtige Funktion: „Er schafft<br />
Raum im Raum, zoniert die Wohnung, differenziert<br />
zwischen Wegen und Aufenthaltsflächen<br />
– und erzeugt Intimität.“<br />
Dass er auch Bewegung in die Wohnung<br />
bringen kann, hat Dahlmanns mit Teppichen<br />
gezeigt, die die Knüpftechniken des<br />
Tibet-Teppichs, dessen Knoten drei Fäden<br />
hat und deshalb besonders flauschig ist,<br />
auf den Perser übertragen: Die Serie<br />
„Splash“ arbeitet mit leuchtenden Farben,<br />
die, wie beim Action Painting, über den<br />
Teppichrand hinauszuschießen scheinen.<br />
Seine Vorbilder? Ohne die Kreationen<br />
der amerikanischen Designerin Stephanie<br />
Odegard, die als Erste, Ende der Achtzigerjahre,<br />
die traditionelle Ornamentik Indiens<br />
und der Mongolei in ein abstrahierendes,<br />
modernes Design überführte und delikate<br />
Farbmischungen Ton in Ton gefunden hat,<br />
seien seine – und Jan Kaths Arbeiten – sicher<br />
nicht möglich gewesen.<br />
Dahlmanns neueste Kreationen markieren<br />
einen Stilwechsel. Der prachtvolle,<br />
goldgelb schimmernde Teppich, der in seinem<br />
Berliner Showroom in der Rosa-Luxemburg-Straße<br />
hängt, zeigt zwei indische<br />
Königstiger. Es ist das handwerklich anspruchsvollste,<br />
perfekteste Stück der<br />
Sammlung, aus Wolle verschiedener Herkunftsländer<br />
geknüpft, in Farbmischungen<br />
von Bordeauxrot, Lila und Sandgelb; das<br />
Motiv ist einer Art-déco-Vorlage entnommen<br />
und spielt absichtsvoll mit Kitsch-Effekten,<br />
wie sie Dahlmanns südrussische<br />
und fernöstliche Kundschaft schätzt. Und<br />
die Serie Belle Époque, für die Dahlmanns<br />
in Wiener Museumsarchiven fündig geworden<br />
ist, feiert hemmungslos die Ornamentorgien<br />
des späten 19. Jahrhunderts.<br />
Dahlmanns, der in Rajastan fertigen lässt,<br />
Dependancen in Peking, Zürich und Augsburg<br />
und Kunden in 32 Ländern hat, sieht<br />
nicht nur bei Einrichtern in London, Sydney<br />
oder Shanghai, sondern auch im Kino<br />
und in der Literatur Anzeichen dafür, dass<br />
die Sehnsucht nach üppiger Ornamentik<br />
zunimmt. Je unsicherer, krisenhafter die<br />
Zeiten, so glaubt er, desto stärker das Heimweh<br />
nach Häuslich- und Heimeligkeit,<br />
nach wärmenden textilen Musterbildern.<br />
Auch bei vermögenden Kunden. Die<br />
kommen vom Prenzlauer Berg, wo sie eine<br />
schicke Fünf-Zimmer-Wohnung haben,<br />
mit dem Fahrrad vorgefahren. Oder aus<br />
Paris, wie jüngst das Paar, das erst im Autohaus<br />
einen Bentley kaufte und dann bei<br />
Rug Star zwei Teppiche. Für 29 000 Euro.<br />
Lang lebe die Krise!<br />
n<br />
christopher.schwarz@wiwo.de<br />
FOTOS: PR<br />
114 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS?<br />
MARCUS VITT<br />
Vorstandssprecher der Privatbank<br />
Donner & Reuschel<br />
Aktien oder Gold?<br />
Aktien, denn Aktien und auch<br />
Gold schaue ich mir immer<br />
wieder mit der myReturn-App<br />
an, und die lügt nie!<br />
iPhone oder Blackberry?<br />
Am liebsten hätte ich ein iPhone<br />
mit einer BB-Tastatur zum<br />
Schreiben auf der Rückseite:-)<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Im Sommer Cabrio, sonst eine<br />
Limousine einer Münchner<br />
Automarke!<br />
Apartment oder Villa?<br />
Die Lage, Lage, Lage entscheidet<br />
und die Lebensphase!<br />
Paris oder London?<br />
NEW YORK.<br />
Kragen offen oder Krawatte?<br />
Situativ... und auch mal eine<br />
stilvolle Fliege!<br />
Nass oder trocken rasieren?<br />
Meistens trocken, denn <strong>dabei</strong><br />
kann ich schon was lesen...<br />
Mountainbike oder Rennrad?<br />
Das ist mir beides zu anstrengend.<br />
Dann lieber Tandem.<br />
Berge oder Meer?<br />
...bei unseren Kunden in Chile,<br />
da gibt es beides und sehr<br />
guten Wein dazu!<br />
Tee oder Kaffee?<br />
Einen guten Kaffee aus Hamburg.<br />
Stadt oder Land?<br />
Leben in der Stadt... erholen<br />
auf dem Land!<br />
AUSSTELLUNG IM MÜNCHNER LENBACHHAUS<br />
Richters Atlas<br />
Seit mehr als 50 Jahren sammelt<br />
der Maler Gerhard Richter Fotos,<br />
Zeitungsausschnitte, Collagen<br />
und Skizzen, die er auf sogenannten<br />
Tafeln anordnet. Das gesamte<br />
Konvolut nennt er Atlas.<br />
Einzelne Motive der thematisch<br />
gruppierten Tafeln dienten dem<br />
Künstler auch als Grundlage für<br />
seine Gemälde, aus anderen<br />
entwickelte er Raumvisionen, die<br />
nur in wenigen Fällen realisiert<br />
wurden. Vom 23. Oktober 2013<br />
bis 9. Februar 2014 zeigt das<br />
Münchner Lenbachhaus Werke,<br />
die auf diese Raumvisionen<br />
Bezug nehmen. Erstmals ausgestellt<br />
werden Werkgruppen zu<br />
„Olympia 1972“, zum „Reichstag“,<br />
zu den „Domfenstern“ und zur<br />
Serie „Strip“. An ihrem Beispiel<br />
soll Richters Arbeitsweise illustriert<br />
werden. Hinzu kommen<br />
Übertragungen in andere Medien wie Teppiche oder Skulpturen aus Glas. Das<br />
Lenbachhaus kaufte den Atlas 1996 von Richter, der ihn bis zu diesem Zeitpunkt<br />
mit 583 Tafeln gefüllt hatte. Nun findet mit den letzten Tafeln, die die Summe auf<br />
783 erhöhen, die Arbeit ihren Abschluss. lenbachhaus.de<br />
KOCHBUCH<br />
Hangarküche<br />
Der österreichische Unternehmer<br />
Dieter Mateschitz erweckt<br />
mit den Aktivitäten rund um<br />
sein Red-Bull-Reich selten den<br />
Eindruck des Feinschmeckers.<br />
Doch im Restaurant Ikarus im<br />
Hangar 7 des Flughafens Salzburg<br />
hat er ein einzigartiges<br />
Restaurant geschaffen, wo<br />
unter der Leitung von Roland<br />
Trettl internationale Spitzenköche<br />
Gastspiele über mehrere<br />
Wochen geben. Das Kochbuch<br />
„Kulinarische Überflieger“<br />
protokolliert nun die Auftritte<br />
von elf Köchen, darunter Jacob<br />
Jan Boerma und Brent Savage.<br />
colletion-rolf-heyne.de<br />
THE NEW YORKER<br />
„And, for what we don’t cover, there’s insurance insurance.“<br />
GERHARD RICHTER: ELBE, 2012, EDITION (AUSSTELLUNGSKOPIE FÜR DAS LENBACHHAUS); FOTO: PR; CARTOON: JACK ZIEGLER/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
116 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />
Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | Großbritannien GBP5,40 | Italien €6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
Leserforum<br />
Finanzminister Schäuble<br />
»Wir haben genug <strong>Geld</strong>«<br />
DasEndeallerGeheimnisse<br />
Big Data verrät unser Ich<br />
DieletzteZuflucht<br />
<strong>Geld</strong>&Börse<br />
Sieben gute Gründe, die trotz des<br />
Preisrückgangs für das Gold<br />
sprechen. Heft 41/2013<br />
Klasse Vorarbeit<br />
Ein wirklich gelungener Artikel,<br />
der Sie mit Sicherheit einiges an<br />
Zeit gekostet hat. Gut für mich<br />
war, dass ich in einem Interview<br />
mit der „Financial Times“ einige<br />
<strong>Ihr</strong>er Zahlen benutzen konnte.<br />
Klasse Vorarbeit! Vielen Dank!<br />
Daniel Marburger<br />
Director, Jewellers Trade Services<br />
Limited, Member of the London<br />
Bullion Market Association (LBMA)<br />
London<br />
Gute Grafiken<br />
Ein exzellenter Artikel zum Thema<br />
Gold. <strong>Ihr</strong>e Ausarbeitungen<br />
und die sehr guten Grafiken lege<br />
ich jedem meiner Leser ans Herz.<br />
Hannes Huster<br />
Herausgeber und Chefredakteur<br />
„Der Goldreport“<br />
Birmingham<br />
Trifft den Kern<br />
Gratulation zum Artikel! Besonders<br />
gefallen hat mir <strong>Ihr</strong>e Überschrift<br />
„Von der Leitwährung zur<br />
Leid-Währung“ über dem Chart<br />
des Dollar-Index. Das ist witzig,<br />
trifft aber den Kern! Ich habe<br />
mich auf einem Vortrag gerne<br />
auf <strong>Ihr</strong>en Artikel bezogen.<br />
Ronald-Peter Stöferle<br />
CMT, Incrementum AG<br />
Vaduz (Liechtenstein)<br />
Unfruchtbar<br />
<strong>Ihr</strong>e warme Empfehlung für<br />
Gold-Investments ist befremdend.<br />
Kapital soll arbeiten und<br />
41<br />
7.10.2013|Deutschland €5,00<br />
4 1<br />
4 1 98065 805008<br />
der Wirtschaft Nutzen bringen.<br />
Gold ist ein unfruchtbares Investment,<br />
es sei denn, es wird<br />
zur Fabrikation verwendet.<br />
Salomon Katzenstein<br />
via E-Mail<br />
Sichere Lagerung<br />
An Argumenten für den Kauf<br />
von physischem Gold fehlt<br />
es nicht. Das Problem ist die<br />
sichere und vertrauenswürdige<br />
Lagerung außerhalb des Finanzsystems,<br />
sodass der Zugang<br />
wirklich immer möglich ist. Und<br />
natürlich kann es aus Sicherheitsgründen<br />
keinesfalls ein<br />
Tresor in den eigenen vier Wänden<br />
sein.<br />
Joachim Lenz<br />
Bendestorf (Niedersachsen)<br />
Technik&Wissen<br />
Klimawandel: Es ist höchste Zeit für<br />
eine neue Klimapolitik. Fünf Ansätze<br />
dazu. Heft 42/2013<br />
Politisches Getöse<br />
Der Weltklimarat bleibt mit seinem<br />
aktuellen Bericht auf der<br />
Linie, sich mit den Protagonisten<br />
des politischen Gutmenschen-Aktionismus<br />
zu verbrüdern.<br />
Das kommt mit <strong>Ihr</strong>en fünf<br />
Vorschlägen zur Klimarettung<br />
sehr schön zum Ausdruck. Dieser<br />
Beitrag ist viel weiser als das<br />
Getöse der Politiker, die es zwar<br />
nicht verstanden haben, aber<br />
trotzdem mit dem Thema punkten<br />
wollen, wie unsinnig die<br />
teuren Gegenmaßnahmen<br />
auch seien.<br />
Dipl.-Phys. Matthias Holl<br />
Essen<br />
Einblick<br />
Chefredakteur Roland Tichy über den<br />
fehlenden wirtschaftlichen Kompass<br />
des neuen Bundestags. Heft 41/2013<br />
Mut zur Tat<br />
So sehr ich auch Herrn Tichy im<br />
Allgemeinen – eigentlich immer<br />
– zustimme, jetzt muss ich doch<br />
mal kritisch intervenieren. Herr<br />
Tichy, Sie müssen irgendwann in<br />
der Schule oder Universität nicht<br />
aufgepasst haben, einen Lehrinhalt<br />
verpasst haben. Sie beklagen<br />
die ökonomische Uneinsichtigkeit<br />
der Politik, der Vertreter der<br />
Parteien, auch gelegentlich der<br />
veröffentlichten Meinung. Was<br />
da im öffentlichen Diskurs verhandelt<br />
wird, das ist jedoch<br />
Marktgeschehen der anderen<br />
Art. Statt mit Gütern und Dienstleistungen<br />
wird hier mit Gedanken-Konstrukten,<br />
mit Erwartungen,<br />
Zukunftsentwürfen,<br />
Versprechungen und Idealen<br />
gehandelt. Da soll etwas verkauft<br />
werden, also muss es<br />
angepriesen, aufgehübscht,<br />
emotional aufgeladen werden,<br />
wie am Markt der Güter und<br />
Dienstleistungen. So ist die<br />
Realität. Eigentlich liegen Sie ja<br />
richtig mit <strong>Ihr</strong>er Argumentation,<br />
aber fordern Sie mehr zur Tat auf,<br />
bringen Sie Beispiele, wie wir<br />
etwas anschieben können, machen<br />
Sie uns Mut zur Tat. Die<br />
ökonomische Vernunft sollte<br />
doch nicht nur und immer populären<br />
Jetzt-Interessen geopfert<br />
werden! Bleiben Sie am Ball!<br />
Klaus Neuhoff<br />
via E-Mail<br />
Neidkomplex<br />
Sie gehen in <strong>Ihr</strong>em Einblick unter<br />
anderem auf das Thema<br />
„Mietpreisdeckelung“ ein. Diese<br />
Maßnahme würde das Problem<br />
nur zum Teil lösen. Ich<br />
würde mir wünschen, dass die<br />
Beteiligten an dieser Diskussion<br />
einmal eine Mietpreiskalkulation<br />
erstellen. Dies unter dem<br />
Gesichtspunkt „Erbringung des<br />
ausgeglichenen Kapitaldienstes“,<br />
aber „nach Steuern“. Dem<br />
Vermieter sollte allerdings noch<br />
eine angemessene Kapitalverzinsung<br />
zugestanden sein. Mit<br />
diesem Ergebnis kann man<br />
dann in die Diskussion eintreten.<br />
Die bisherigen Beiträge<br />
entsprechen nicht der wirtschaftlichen<br />
Notwendigkeit, sie<br />
sind von einem Neidkomplex<br />
geprägt. Bedenken Sie bei künftigen<br />
Beiträgen auch den betriebs-<br />
und finanzwirtschaftlichen<br />
Aspekt. Das gilt auch für<br />
das Thema Mindestlohn.<br />
Adam Diehl<br />
Palling (Oberbayern)<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
Europa: Eine Studie mahnt eine<br />
Rückkehr zur Marktwirtschaft an.<br />
Heft 41/2013<br />
Linkslastig<br />
Es steht für mich außer Frage<br />
und ist überfällig, dass eine künftige<br />
Bundesregierung zu einer<br />
marktwirtschaftlichen Umkehr<br />
drängen muss. Über die Jahrzehnte<br />
ist Ludwig Erhard von Regierung<br />
zu Regierung immer<br />
weiter in Vergessenheit geraten.<br />
Der Grund: die Linkslastigkeit<br />
der Parteien. Allen voran SPD,<br />
Grüne und Linke. Aber auch die<br />
Union lehnte sich an vieles an,<br />
was den Markt aushebelte. Mit<br />
neuen gesellschaftlichen Herausforderungen<br />
wurden stets<br />
neue Probleme generiert. Gefragt<br />
sind wirtschafts- und ordnungspolitische<br />
Rahmenbedingungen,<br />
die ein ökonomisches<br />
und soziales Miteinander gewährleisten.<br />
Jeder an seiner Stelle<br />
mit seinen Fähigkeiten.<br />
Karl-Heinz Schmehr<br />
Lampertheim (Hessen)<br />
Management&Erfolg<br />
Warum kluges Geben langfristig mehr<br />
nutzt als rücksichtsloses Nehmen.<br />
Heft 40/2013<br />
Bosheit<br />
Seit über 20 Jahren bin ich im<br />
Berufsleben und habe, auch als<br />
Christ, immer gerne und oft gegeben,<br />
aber bis dato nichts zurückbekommen.<br />
Im Gegenteil,<br />
ich wurde gemobbt, und es<br />
wurden aus Bosheit und Neid<br />
Unwahrheiten über mich in die<br />
Welt gesetzt. Von einem Teil<br />
meiner Berufskollegen wurde<br />
ich sogar angefeindet.<br />
Peter Wienand-Casares<br />
Wirtschaftsprüfer<br />
Karlstein am Main<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
WirtschaftsWoche<br />
Postfach 10 54 65<br />
40045 Düsseldorf<br />
E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />
Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />
um Angabe <strong>Ihr</strong>er Postadresse.<br />
TITELILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />
118 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
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Firmenindex<br />
Die Angaben bezeichnen den<br />
Anfang des jeweiligen Artikels<br />
A<br />
Accenture.......................................................... 75, 86<br />
Activ Solar................................................................38<br />
Airbus.............................................................. 72, 100<br />
Aleo......................................................................... 60<br />
Amazon....................................................................68<br />
Amtek...................................................................... 90<br />
Apple........................................................... 14, 16, 18<br />
Aral....................................................................76, 78<br />
Arqueonautas...........................................................76<br />
AT&T...................................................................... 107<br />
Audi......................................................................... 12<br />
Autonetzer.de...........................................................11<br />
B<br />
BASF..................................................................50, 58<br />
BAT..........................................................................63<br />
Bayer........................................................... 50, 82, 90<br />
Bayer MaterialScience.............................................. 72<br />
Bedea......................................................................72<br />
Belectric.................................................................. 60<br />
Roland Berger...........................................................82<br />
Berkshire Hathaway........................................100, 109<br />
Biesalski & Company................................................50<br />
Bilfinger............................................................. 18, 72<br />
BMW.................................................... 12, 72, 89, 100<br />
Otto Bock.................................................................50<br />
Boeing......................................................................72<br />
Bosch...............................................................60, 100<br />
Boston Consulting Group...........................................82<br />
Burberry...................................................................18<br />
BYD....................................................................... 100<br />
C<br />
Cafetiero.................................................................. 78<br />
Camelot...................................................................89<br />
Capital Stage............................................................60<br />
Car2Go.....................................................................76<br />
Cashcloud................................................................ 76<br />
Ceno Tec..................................................................72<br />
Centrotherm.............................................................60<br />
China Bak Battery...................................................100<br />
Citibank................................................................... 58<br />
Clarion..................................................................... 76<br />
CMC Markets............................................................16<br />
Commerzbank.................................................... 38, 58<br />
Continental...............................................................76<br />
Coppenrath & Wiese................................................. 88<br />
Coupies....................................................................76<br />
Craton Capital........................................................ 111<br />
Credit Suisse............................................................ 90<br />
D<br />
DailyDeal..................................................................68<br />
Daimler............................................................ 12, 100<br />
DBS......................................................................... 58<br />
Deutsche Bahn.........................................................11<br />
Deutsche Bank............................................. 36, 60, 90<br />
Deutsche Telekom...................................... 14, 76, 107<br />
Doerr&Partner..........................................................16<br />
Douglas....................................................................78<br />
DriveNow................................................................. 76<br />
Duravit.....................................................................50<br />
E<br />
Ebay.........................................................................68<br />
Edeka.......................................................................76<br />
Enersys.................................................................. 100<br />
E-Plus...................................................................... 14<br />
EQT..........................................................................16<br />
Evonik........................................................ 75, 86, 100<br />
Expedia.................................................................... 68<br />
F<br />
Facebook................................................................. 81<br />
Ferrero.....................................................................11<br />
First Solar.................................................................60<br />
G<br />
General Electric......................................................100<br />
Goldman Sachs.......................................................109<br />
Görtz........................................................................76<br />
Grimme Gruppe........................................................ 50<br />
Groupon...................................................................68<br />
GS Yuasa................................................................100<br />
GS1..........................................................................76<br />
H<br />
H.I.S.-Jeans..............................................................76<br />
Haribo......................................................................11<br />
Herman Miller...........................................................20<br />
Horváth & Partners................................................... 86<br />
I<br />
IHS...........................................................................60<br />
IMC Agro.................................................................. 38<br />
Inreal Technologies...................................................18<br />
ISS...........................................................................16<br />
IVG...........................................................................56<br />
J<br />
Johnson Controls....................................................100<br />
K<br />
Kärcher.................................................................... 58<br />
Kerkhoff Consulting............................................ 82, 88<br />
Klingspor..................................................................38<br />
Kolibri Power Systems.............................................100<br />
KWS Saat................................................................. 50<br />
L<br />
Leoni........................................................................38<br />
Lieferando................................................................68<br />
Lieferheld.................................................................68<br />
Loewe...................................................................... 56<br />
M<br />
Maersk.....................................................................14<br />
Manpower................................................................ 16<br />
MasterCard.............................................................. 76<br />
McDonald’s.............................................................. 76<br />
McKinsey................................................................. 82<br />
Mercedes................................................................. 12<br />
Mercer..................................................................... 89<br />
Mercom Capital........................................................ 60<br />
Metzeler von der Fecht............................................. 56<br />
Microsoft..................................................................16<br />
Monsanto.................................................................50<br />
N<br />
Napster....................................................................14<br />
Netto....................................................................... 76<br />
Neumayer Tekfor...................................................... 90<br />
Nokia....................................................................... 16<br />
NPD Solarbuzz..........................................................60<br />
O<br />
O2............................................................................14<br />
Orange................................................................... 107<br />
Otto......................................................................... 76<br />
P<br />
Paij.......................................................................... 76<br />
Panalpina................................................................. 14<br />
Panasonic.............................................................. 100<br />
Payback................................................................... 76<br />
Paycash................................................................... 78<br />
Paypal......................................................................76<br />
People Brand............................................................91<br />
Peri..........................................................................50<br />
Philip Morris.............................................................63<br />
Polypore.................................................................100<br />
Porsche Consulting............................................. 82, 84<br />
Power Textiles.......................................................... 72<br />
Praktiker.................................................................. 56<br />
PricewaterhouseCoopers.......................................... 90<br />
R<br />
Reemtsma................................................................63<br />
Renolit.....................................................................50<br />
Resmio.....................................................................68<br />
Rewe........................................................................76<br />
Rhapsody................................................................. 14<br />
Roedl & Partner........................................................ 58<br />
Rolls-Royce.............................................................. 89<br />
RWE.........................................................................30<br />
S<br />
SAFT......................................................................100<br />
Samsung................................................................ 100<br />
SAP..............................................................10, 82, 84<br />
Sberbank................................................................108<br />
Schaltbau...............................................................108<br />
Schmid.....................................................................60<br />
Sennheiser............................................................... 50<br />
Simfy....................................................................... 14<br />
Solarworld................................................................60<br />
Sonora..................................................................... 14<br />
Sony.................................................................77, 100<br />
Sport Scheck......................................................76, 78<br />
Spotify..................................................................... 14<br />
SRTS........................................................................14<br />
State Grid Corporation............................................ 100<br />
Steag....................................................................... 30<br />
Stern Stewart........................................................... 82<br />
Suhrkamp.................................................................56<br />
T<br />
Taylor Wessing..........................................................58<br />
Telefónica.......................................................... 14, 76<br />
10Stamps................................................................ 76<br />
Tesla................................................................81, 100<br />
TNS Infratest............................................................ 76<br />
Toyota......................................................................81<br />
Trina Solar................................................................60<br />
V<br />
Vattenfall..................................................................86<br />
Vertu........................................................................16<br />
Viega........................................................................90<br />
Visa..........................................................................76<br />
Vodafone....................................................14, 76, 107<br />
Volkswagen............................................................ 100<br />
W<br />
Walter Services.........................................................56<br />
Dietrich Wetzel......................................................... 72<br />
Wilo......................................................................... 50<br />
Windreich.................................................................56<br />
Wirsol.......................................................................60<br />
Y<br />
Yapital......................................................................76<br />
Yougov..................................................................... 68<br />
Yves Saint Laurent....................................................18<br />
Leitung Franziska Bluhm<br />
Chefin vom Dienst Dr. Silke Fredrich<br />
Redaktion Rebecca Eisert, Ferdinand Knauß, Meike Lorenzen,<br />
Tim Roman Rahmann, Andreas Toller<br />
E-Mail online@wiwo.de<br />
BÜROS<br />
Hervorgegangen aus<br />
DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />
Gegründet 1926<br />
Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />
Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />
40045 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />
(für Briefe)<br />
40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />
(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />
REDAKTION<br />
Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />
Chefredakteur Roland Tichy<br />
Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />
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Geschäftsführende Redakteurin/Chefin vom Dienst<br />
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Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />
Chefreporter Dieter Schnaas<br />
Chefreporter international Florian Willershausen<br />
Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />
Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />
Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />
Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />
Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />
Jürgen Berke, Mario Brück, Nele Hansen, Henryk Hielscher,<br />
Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Martin Seiwert,<br />
Peter Steinkirchner, Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse,<br />
Jürgen Salz, Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />
Management: Julia Leendertse<br />
Technik & Wissen Sebastian Matthes; Thomas Kuhn,<br />
Dieter Dürand (Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor),<br />
Susanne Kutter, Andreas Menn, Jürgen Rees<br />
Management & Erfolg Manfred Engeser; Daniel Rettig,<br />
Kristin Schmidt, Claudia Tödtmann<br />
<strong>Geld</strong> & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />
Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Dr. Anton Riedl<br />
Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />
Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />
Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />
Claudia Immig, Horst Mügge<br />
Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />
Syndication wiwo-foto.de<br />
Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />
Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />
Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />
Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />
Produktion Markus Berg, Petra Jeanette Schmitz<br />
ONLINE<br />
Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />
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Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1040 Bruxelles,<br />
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E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />
Frankfurt<br />
Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />
Unternehmen + Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp<br />
<strong>Geld</strong> & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />
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London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />
London SW19 4AA, Fon (0044) 2089446985,<br />
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München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />
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New York Angela Hennersdorf, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702<br />
New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />
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Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />
75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />
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São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />
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São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112 ,<br />
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Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />
200040 Shanghai,<br />
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Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />
Mountain View, CA 94040,<br />
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(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />
Verantwortlich für diese Ausgabe i.S.d.P.<br />
Konrad Handschuch (Politik & Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />
Reinhold Böhmer (Unternehmen & Märkte), Hauke Reimer<br />
(<strong>Geld</strong> & Börse), Manfred Engeser (Management & Erfolg),<br />
Thorsten Firlus (Perspektiven & Debatte), Hermann J. Olbermann<br />
(Menschen der Wirtschaft), Sebastian Matthes (Technik & Wissen)<br />
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120 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Ausblick<br />
„Als Hobbykoch weiß ich,<br />
dass es nicht nur auf die Farbe<br />
der Zutaten ankommt,<br />
sondern auch auf die Qualität.“<br />
Peter Altmaier<br />
Bundesumweltminister (CDU),<br />
zu den Sondierungsgesprächen<br />
mit SPD und Grünen<br />
„2005 gab es wenigstens<br />
Alkohol, dieses Mal nix.“<br />
Andrea Nahles<br />
SPD-Generalsekretärin,<br />
nach einem Sondierungsgespräch mit<br />
der CDU/CSU<br />
„Sie können gern auch<br />
im Duett vortragen.“<br />
Angela Merkel<br />
Bundeskanzlerin (CDU), zu<br />
den grünen-Parteivorsitzenden<br />
Claudia Roth und Cem Özdemir, als<br />
beide gleichzeitig zu reden begannen<br />
„Es gab ein ernsthaftes<br />
Bemühen darum, Brücken<br />
zueinander zu bauen.<br />
Diese Brücken sind aber nicht<br />
so stabil, dass sie vier<br />
Jahre lang halten könnten.“<br />
Cem Özdemir<br />
Vorsitzender der Grünen, zum<br />
Scheitern der Gespräche über eine<br />
Regierungsbildung mit der CDU/CSU<br />
„Das Finanzwesen steuert<br />
die moderne Gesellschaft.<br />
Das mag sich für manche<br />
Menschen seltsam anhören,<br />
aber es ist absolut wahr.“<br />
Robert Shiller<br />
US-Wirtschaftsnobelpreisträger<br />
„Der Zeitpunkt<br />
der Spende zeigt, hier wurde<br />
nicht einfach eine Partei<br />
gekauft, sondern ein Gesetz.“<br />
Bernd Riexinger<br />
Parteichef der Linken, zu der<br />
Spende der BMW-Aktionärsfamilie<br />
Quandt an die CDU in Höhe von<br />
690 000 Euro und dem Bemühen<br />
der Regierung, die CO 2 -Vorgaben für<br />
Autos in der EU zu lockern<br />
„Schießt euch nicht<br />
selbst in den Fuß.“<br />
Jamie Dimon<br />
Chef der US-Bank JP Morgan,<br />
über die Gefahr für die Weltwirtschaft<br />
durch den US-Haushaltsstreit<br />
»Wo immer ich in den letzten<br />
Jahren auf Reisen war:<br />
Die Goldbären waren längst da.«<br />
Guido Westerwelle<br />
Bundesaußenminister (FDP), über das Unternehmensimperium<br />
des verstorbenen Haribo-Chefs Hans Riegel<br />
„Es gibt kein Leben nach einem<br />
Zahlungsausfall der USA.“<br />
Anshu Jain<br />
Co-Vorstandsvorsitzender<br />
der Deutschen Bank, zum<br />
Haushaltsstreit in den USA<br />
„China ist ein hervorragender<br />
Markt. In fünf Jahren wird<br />
das Land fürs Filmgeschäft der<br />
größte Markt der Welt sein.“<br />
Jeffrey Katzenberg<br />
US-Filmproduzent<br />
„Es ist noch ein weiter Weg.<br />
Aber endlich wird die Ära des<br />
Rettungsschirms vorbei sein.“<br />
Enda Kenny<br />
irischer Premierminister, über das<br />
Ziel, zum Jahresende auf internationale<br />
Finanzhilfe zu verzichten<br />
„Griechenland und Zypern<br />
brauchen einen<br />
Schuldenerlass. Definitiv.“<br />
Mohamed El-Erian<br />
Vorstandsvorsitzender der Allianz-<br />
Tochter Pimco, des weltweit größten<br />
Anleihe-Investors<br />
„Es muss einen grundlegenden<br />
Neustart bei der Energiewende<br />
geben, die Zeit des<br />
Durchwurschtelns ist vorbei.“<br />
Johannes Teyssen<br />
Vorstandsvorsitzender des<br />
Energiekonzerns E.On<br />
„Für mich steht fest, dass ich als<br />
Passagier nicht zwölf Stunden<br />
lang da drin sitzen möchte.“<br />
Fabrice Bregier<br />
Airbus-Chef, zum Sitzkomfort des<br />
Dreamliners, dem neuen Flugzeug des<br />
US-Konkurrenten Boeing<br />
„Wir müssen unsere Marke<br />
bekannter machen.<br />
Das ist auch der Grund, warum<br />
wir in Deutschland<br />
Borussia Dortmund sponsern.“<br />
Ping Guo<br />
Chef des chinesischen<br />
Telekommunikationskonzerns Huawei<br />
„Ja, die Rollatoren sind in der<br />
Gesellschaft angekommen.“<br />
Thomas Bischoff<br />
Geschäftsführer von<br />
Bischoff & Bischoff Medizin- und<br />
Rehabilitationstechnik, über<br />
das Geschäft mit den Gehhilfen<br />
ILLUSTRATION: PAUL TRAKIES<br />
122 Nr. 43 21.10.2013 WirtschaftsWocheß<br />
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