Julia Franck, Ihre fünf Bücher im Vergleich - Sursee
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MATURAARBEIT<br />
<strong>Julia</strong> <strong>Franck</strong> – <strong>Ihre</strong> 5 Bücher <strong>im</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
gemeinsames Essen wäre. Bei der Gelegenheit fiel ihm ein, dass es zu jenem letzten gemeinsamen<br />
Essen nicht anwesend sein könnte.“ 12<br />
Bei genauerer Überlegung aber zeigt sich, dass auch hier Form und Inhalt übereinst<strong>im</strong>men. Ich<br />
denke, <strong>Julia</strong> <strong>Franck</strong> versucht den Zynismus aufzuzeigen, auf welchen den Grossvater in seiner<br />
schrecklichen Angst vor dem Tod angewiesen ist, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen.<br />
3.3.7. Der Hausfreund<br />
Auffallend am Aufbau dieser chronologisch erzählten Kurzgeschichte ist, dass niemals wirklich ein<br />
Höhepunkt erreicht wird. Man steigt gleich am Anfang mitten ins Geschehen ein und zum Schluss<br />
ist klar, dass die Geschichte noch lange nicht beendet ist.<br />
Die Protagonistin, das kleine, verunsicherte Mädchen, wird aus ihren Wahrnehmungen nicht schlau.<br />
Da die Geschichte aus ihrer Sicht geschildert wird, muss der Leser zwischen den Zeilen lesen und<br />
die für das Mädchen unverständlichen Ereignisse interpretieren, um die Geschichte zu verstehen,<br />
wie man beispielsweise aus der folgenden Schilderung einen Kuss erahnen kann: „Dann beugt sie<br />
[die Mutter] sich über ihn [Thorsten] und drückt ihr Gesicht in seins.“ 13<br />
Man könnte sagen, der Text sei beinahe „verschlüsselt“ geschrieben: Durch das „Opium von Onkel<br />
Klaus aus dem Westen“ ist anzunehmen, dass die Familie <strong>im</strong> Osten lebt, die verzerrte<br />
Wahrnehmung und die lähmende Müdigkeit der Protagonistin und deren Schwester sind wohl auf<br />
Schlafmittel zurückzuführen und die Strassenschilder mit der Aufschrift „Tempelhof, Marienfelde“<br />
lassen darauf schliessen, dass die Mutter und ihre beiden Kinder mit Thorsten in den Westen<br />
gefahren sind und sich nun ins Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde begeben werden.<br />
3.3.8. Mir nichts, dir nichts<br />
Der Text ist <strong>im</strong>mer wieder durchsetzt mit Rückblenden, denn während Emily sich bei der<br />
Protagonistin ausheult, muss diese <strong>im</strong>mer wieder an die vergangene Nacht mit Paul, Emilys Freund,<br />
zurückdenken.<br />
Der Aufbau der Geschichte lässt sich mit dem eines Dramas vergleichen. Die Spannung n<strong>im</strong>mt zu,<br />
indem Emily sich in ihre Verzweiflung hineinsteigert, die Protagonistin dadurch <strong>im</strong>mer stärker zur<br />
Weissglut treibt und diese schliesslich beinahe damit herausplatzt, wie es ist, mit Paul zu schlafen.<br />
Dann aber gibt es eine Art retardierendes Moment, als die Protagonistin in Emily wieder eine<br />
Freundin sieht, könnte man denken, dass alles wieder gut wird. Zum Schluss kommt allerdings die<br />
Katastrophe, als die Protagonistin Emily den Tod wünscht, ist klar, die Freundschaft ist zum<br />
Scheitern verurteilt.<br />
Da „Mir nichts, dir nichts“ durch die Wahrnehmungen und besonders durch die Gedanken der<br />
Protagonistin wiedergegeben wird, passt sich die Länge und der Aufbau der Sätze der emotionalen<br />
Verfassung des „Ichs“ an. Am deutlichsten ist dies zu erkennen, wenn sich die Protagonistin in<br />
Stresssituationen befindet, denn dann werden die Sätze überd<strong>im</strong>ensional lang. Beispielsweise gleich<br />
zum Beginn der Geschichte klingelt es an der Tür der Protagonistin, welche sich noch völlig nackt<br />
in der Wohnung befindet. Alles, was sich zwischen dem Klingeln und dem Öffnen der Tür abspielt,<br />
wird in einem Satz, der sich über eine halbe Seite erstreckt, geschildert.<br />
12 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen, 3. Auflage Dezember 2007, 2002, S. 73<br />
13 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen, 3. Auflage Dezember 2007, 2002, S. 93<br />
Sandra Tanner, Klasse 6c, 2008 16