Julia Franck, Ihre fünf Bücher im Vergleich - Sursee
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MATURAARBEIT<br />
<strong>Julia</strong> <strong>Franck</strong> – <strong>Ihre</strong> 5 Bücher <strong>im</strong> <strong>Vergleich</strong><br />
5. Mutter-Kind-Beziehungen<br />
In dem Kapitel möchte ich mich auf die Werke „Der neue Koch“, „Lagerfeuer“ und „Die<br />
Mittagsfrau“ beschränken, da vor allem in diesen drei Büchern jeweils die Beziehung von Mutter<br />
und Kind eine wichtige Rolle spielt. Mir ist aufgefallen, dass die Protagonistinnen oft einen sehr<br />
speziellen Charakter haben, der Ausdruck „am Rande des Wahnsinns“ scheint mir gar nicht so<br />
unpassend. Ich werde nun versuchen, herauszufinden, inwiefern die Protagonistinnen von den<br />
Beziehungen zu ihren Müttern geprägt wurden und den Umgang der Protagonistinnen mit den<br />
eigenen Kindern analysieren.<br />
5.1. Der neue Koch<br />
„Sie [Madame Piper] besucht mein Hotel schon länger, als ich [Protagonistin] lebe, das sagt sie<br />
mir häufig, sie kannte meine Mutter länger als ich, und ich behaupte, sie meint damit, sie kannte sie<br />
besser. Mir ist das recht, denn ich wollte meine Mutter nie genauer kennen, als ich ohnehin<br />
musste.“ 48<br />
Die starke Ablehnung, die die Protagonistin ihrer Mutter entgegenbringt, scheint daraus zu<br />
resultieren, dass die Mutter sich – natürlich als sie noch lebte – <strong>im</strong>mer mehr für sich selbst und ihre<br />
Hotelgäste zu interessieren schien, als für ihre Tochter. Beispielsweise an dem Tag, an dem sie<br />
Anton Jonas, den Dichter, kennen lernte, war die Aufmerksamkeit der Mutter in solchem Ausmaß<br />
auf den Künstler gerichtet, dass sie nicht bemerkte, dass Anton Jonas sich auf den Stuhl ihrer<br />
Tochter setzte. Das Mädchen setzte sich auf einen anderen Platz, denn sie wollte die Mutter nicht in<br />
Verlegenheit bringen, wurde von jener allerdings erst bemerkt, als der Dichter das Kind dazu<br />
aufforderte, ein Gedicht vorzutragen. Die Befürchtung der Mutter, die Protagonistin könne sie in<br />
Verlegenheit bringen, bestätigte sich, dem Dichter gefiel der Vortrag des Mädchens nicht. Anstatt<br />
sie zu trösten, versuchte die Mutter, dem Künstler die Unfähigkeit ihrer Tochter zu erklären.<br />
Auch nach den für die Protagonistin traumatischen Begegnungen mit dem Sohn des Bestatters<br />
Stöber (vgl. Kapitel 4.1) in ihrer Kindheit, war die Mutter nicht für sie da, sondern in ihrem Z<strong>im</strong>mer<br />
mit dem Blumenverkäufer beschäftigt. Damals tröstete sich das Mädchen selbst, indem es<br />
Einkaufen ging.<br />
„Früher, wenn meine Mutter mich einkaufen schickte, genoss ich es, aus dem Hotel rauszukommen,<br />
mit einer Aufgabe in der Hand, mit dem Gefühl, nützlich und brauchbar zu sein, […]. Wenn ich<br />
zurückkam, war ich sehr stolz, ich hatte etwas vollbracht.“ 49<br />
Heute mag die Protagonistin das Einkaufen nicht mehr. Die Menschen außerhalb des Hotels hätten<br />
sich verändert, alles sei schlechter geworden und selbst Frau Meyer, die nette Ladenbesitzerin, war<br />
nicht mehr da, um ihr zu helfen.<br />
Außerdem lebt ihre Mutter nun nicht mehr, sie muss nicht mehr um deren Aufmerksamkeit und<br />
Zuneigung kämpfen. Im Gegenteil, oft wird sie dazu aufgemuntert, etwas mehr wie ihre Mutter zu<br />
sein, die von den Gästen gemocht wurde und die Männer um ihren Finger wickelte, und jedes Mal<br />
entscheidet sich die Protagonistin, das Entgegengesetzte zu tun. Madame „kontrolliert, ob [sie] <strong>im</strong><br />
Hotel alles richtig mach[t], ebenso richtig wie [ihre] Mutter. [<strong>Ihre</strong>] Mutter mochte Freesien, es ist<br />
demnach falsch, wenn [sie] Lilien kauf[t], und darauf weißt [sie] Madame hin. [Sie] kauf[t]<br />
48 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Der neue Koch, 2. Auflage: Oktober 2007, 1998, S. 7<br />
49 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Der neue Koch, 2. Auflage: Oktober 2007, 1998, S. 19 f.<br />
Sandra Tanner, Klasse 6c, 2008 30