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Julia Franck, Ihre fünf Bücher im Vergleich - Sursee

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MATURAARBEIT<br />

<strong>Julia</strong> <strong>Franck</strong> – <strong>Ihre</strong> 5 Bücher <strong>im</strong> <strong>Vergleich</strong><br />

heruntergekommenen Lager <strong>im</strong> Westen zu wohnen, wo sie ihren Kinder nichts bieten kann, beginnt<br />

sie langsam zu verstehen, was ihr Bekannter Hans ihr einmal klarmachen wollte:<br />

„ »Wir sind hier <strong>im</strong> Lager, nicht <strong>im</strong> Westen. […] Du hast vielleicht den Osten verlassen und ich das<br />

Gefängnis dort. Aber wo bist du gelandet? Ist dir nicht aufgefallen, dass wir in einem Lager<br />

wohnen mit einer Mauer drumherum, in einer Stadt mit einer Mauer drumherum, mitten in einem<br />

Land mit einer Mauer drumherum. Du meinst, hier drinnen, <strong>im</strong> Innern der Mauer, ist der goldene<br />

Westen, die grosse Freiheit? « “ 66<br />

<strong>Julia</strong> <strong>Franck</strong> berichtet in ihrem Buch „Lagerfeuer“ von einem Schicksal, dass seit der Errichtung der<br />

Berliner Mauer 1961 bis zu ihrem Abriss 1990 viele ertragen mussten. Und die Schriftstellerin<br />

weiss, wovon sie spricht: Dass sie 1978 mit ihrer Familie den Osten verliess und anfangs <strong>im</strong><br />

Notaufnahmelager Marienfelde lebte, erklärt, warum sie die Situation, in welcher sich die<br />

Protagonistin befindet, so eindrücklich schildern kann.<br />

Allerdings bleibt unklar, ob die <strong>im</strong> Buch geschilderten Befragungen, Untersuchungen und<br />

Leibesvisitationen in diesem Ausmass stattgefunden haben, ob diese Schilderungen also den<br />

wirklichen Verhältnissen entsprechen.<br />

6.2. Die Mittagsfrau<br />

„<strong>Julia</strong> <strong>Franck</strong> erzählt in ihrem grossen neuen Roman ein Leben, das in die Mühlen eines<br />

furchtbaren Jahrhunderts gerät, und die Geschichte einer faszinierenden Frau.“ 67<br />

Der von schweren Schicksalsschlägen durchfurchte Lebensweg der Protagonistin Helene Würsich<br />

beginnt am Vorabend des ersten Weltkriegs in Bautzen in der Lausitz, wo ihr Vater Ernst Ludwig in<br />

der Tuchmacherstrasse eine Druckerei betreibt. Zu dieser Zeit, in welcher alle Welt von<br />

Mobilisierung spricht, und das Volk doch noch nicht recht daran zu glauben vermag, muss 1914<br />

plötzlich alles sehr schnell gehen: Als Russland <strong>im</strong> Osten mit der Mobilmachung beginnt, um<br />

Serbien <strong>im</strong> Kampf gegen Österreich beizustehen, muss Deutschland möglichst schnell gegen<br />

Frankreich vorgehen, um den Schlieffenplan verwirklichen zu können. Somit ist das 3. Sächsische<br />

Husaren-Reg<strong>im</strong>ent schon nach Frankreich geritten, als Ernst mit Verspätung in der Kaserne<br />

eintrifft. Obwohl er schon vor seinem ersten Schuss als einfacher Soldat <strong>im</strong> mühsamen<br />

Stellungskrieg von einer fehlgezündeten Handgranate sein Bein und ein Auge verloren hat, kann er<br />

sich erst zwei Jahre nach Kriegsende (1918) auf den He<strong>im</strong>weg machen, wo er an seinen<br />

Kriegsverletzungen stirbt, ohne je über den Kriegsausgang Bescheid gewusst zu haben.<br />

Während der Abwesenheit des Vaters läuft die Druckerei <strong>im</strong>mer schlechter, die Teuerung hat<br />

begonnen, die totale Wirtschaftsblockade von Großbritannien gegen die Mittelmächte zeigt<br />

Wirkung. Die Menschen in Deutschland wollen nach dem Kriegsende möglichst schnell mit dem<br />

Krieg abschließen und ihre Niederlage vergessen, was durch die Versailler-Verträge beinahe<br />

unmöglich gemacht wird. Schon bald n<strong>im</strong>mt die Inflation ihr volles Ausmaß an. „Nie war das Brot<br />

so teuer wie morgen. […] wer konnte, floh nach Breslau, Dresden oder Leipzig; jede grössere Stadt<br />

versprach bessere Möglichkeiten, an Essbares und eine beheizte Bleibe zu gelangen“ 68 Und somit<br />

machen sich auch Helene und ihre Schwester Martha auf nach Berlin, das „Paris des Ostens“, um<br />

dort bei ihrer Tante Fanny zu wohnen, zu arbeiten und vielleicht sogar zu studieren. Nur schon die<br />

66 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Lagerfeuer, 4. Auflage Januar 2008, 2003, S. 275<br />

67 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Die Mittagsfrau, 9. Auflage: Dezember 2007, 2007, Bucheinband<br />

68 <strong>Franck</strong>, <strong>Julia</strong>, Die Mittagsfrau, 9. Auflage: Dezember 2007, 2007, S. 137<br />

Sandra Tanner, Klasse 6c, 2008 37

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