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Kalender - Diako

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Das Thema Wirtschaftlichkeit und Medizin bzw.<br />

Wirtschaftlichkeit und Pflege ist zu einem Megathema,<br />

auch in der internationalen Medizin geworden.<br />

Im Oktober 2010 fand in München der<br />

10. Europäische Gesundheitskongress statt. Ein<br />

Motto der Tagung war: „Die neue Rolle des Patienten<br />

als Wirtschaftsfaktor“. Dazu haben sich Mediziner<br />

der Universität Harvard im „New England<br />

Journal of Medicine“ mit einem interessanten<br />

Artikel geäußert, den die Süddeutsche Zeitung<br />

am 13. Oktober aufgegriffen hat.<br />

Der Bericht trägt die Überschrift: Rettet die Medizin<br />

vor der Ökonomie – Harvard-Mediziner warnen<br />

vor einer Industrialisierung der Heilkunde. Dies<br />

sei ein Alarmruf und aus ihm spreche mindes-<br />

tens so viel Trauer wie Empörung. Schließlich<br />

stehe die Zukunft der Medizin auf dem Spiel.<br />

Die Harvard-Mediziner Pamela Hartzband und<br />

Jerome Groopman beklagen unter anderem die<br />

neue Sprache in der Medizin. Sie spiegele ein<br />

großes Problem wider: Die Umwertung von der<br />

individuell ausgerichteten Fürsorge hin zur<br />

industrialisierten Krankenbehandlung.<br />

Patienten sind demnach keine Patienten mehr,<br />

sondern Kunden oder Konsumenten. Ärzte und<br />

Pflegekräfte werden zu medizinischen Leistungs-<br />

erbringern, beklagen die Wissenschaftler. In Medien,<br />

in Fachmagazinen und sogar während der<br />

Visite im Krankenhaus würden diese Begriffe immer<br />

häufiger verwendet. Synonym seien sie aber<br />

keineswegs. Patient leitet sich vom lateinischen<br />

patiens ab, was soviel bedeutet wie leiden und<br />

aushalten können. Der Begriff Doktor kommt von<br />

docere. Das bedeutet lehren. Der Arzt leitet sich<br />

vom griechischen iatros ab, dem Heiler. In Wortschöpfungen<br />

wie „medizinische Dienstleister“<br />

oder „Leistungserbringer“ finden sich die ärztliche<br />

Fürsorge und der diakonische Aspekt nicht wieder.<br />

Für Hartzband und Groopman sind diese sprachlichen<br />

Veränderungen Ausdruck einer Krise, in der<br />

sich die Medizin in vielen Industrienationen befindet.<br />

Die ständigen Reformen dienten oft einzig<br />

dem Ziel, die Krankenversorgung zu standardisieren.<br />

Archaische Begriffe wie Patient, Arzt oder<br />

Pfleger passen demnach scheinbar nicht mehr in<br />

einen Krankenhausalltag, der den Fertigungsprozessen<br />

in der Industrie angepasst werden soll.<br />

Auf das Verhältnis zwischen Ärzten, Pflegekräften<br />

und Patienten wirke sich die Wortwahl aus. Diese<br />

individuelle Beziehung werde in die Sprache von<br />

Geschäftskontakten überführt.<br />

Auch in Deutschland haben viele Ärzte Sorge vor<br />

der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin.<br />

Standardisierte Verfahren wie sogenannte Disease<br />

Management Programme für die Arztpraxen<br />

fassen Krankheiten zusammen, dabei kommen<br />

individuelle Bedürfnisse der Kranken oft zu kurz.<br />

In Kliniken wird nach codierten Diagnosen und<br />

DRG (Diagnosis Related Groups) abgerechnet.<br />

Hartzband und Groopman konstatieren, dass der<br />

Patient zum Kunden wird, der etwas kauft, der<br />

Arzt zum Verkäufer. Die wichtigen psychologischen,<br />

spirituellen und humanistischen Aspekte<br />

der Beziehung zum Patienten, Altruismus und<br />

Barmherzigkeit, drohen darüber verloren zu gehen.<br />

Dabei hätten sie die Medizin für viele erst<br />

zu einer Berufung gemacht. Dass der Doktor den<br />

Kranken lehren könnte, wie es zu seiner Krankheit<br />

gekommen ist und wie er wieder gesunden kann,<br />

verschwinde hinter den neuen Dienstleistungsbegriffen<br />

der Medizin ebenso wie die fürsorgliche<br />

Arbeit der Pflegenden.<br />

Der Hinweis auf diesen Bericht in einer der wichtigsten<br />

Ärztezeitungen stammt von einem unserer<br />

Ärzte in der stadtklinik. Wir haben uns lange<br />

und intensiv darüber unterhalten und ich bin<br />

zum einen sehr dankbar, dass wir Ärzte in unserem<br />

diako haben, die weiterhin vom Menschen<br />

her denken und sich nicht durch neue Abrechnungsmodalitäten<br />

bestimmen lassen wollen.<br />

Zum anderen habe ich diese Gedanken eingebracht<br />

in den Vorgesprächen zu einer „Charta<br />

für ein soziales Bayern“ – Eine gemeinsame Erklärung<br />

der Fraktionen im Bayerischen Landtag und<br />

der Verbände der freien Wohlfahrt in Bayern.<br />

Der <strong>Diako</strong>nische Rat hat sich in mehreren Sitzungen<br />

unter meiner Leitung als Vorsitzender mit der<br />

Formulierung einer solchen Charta befasst. In einem<br />

ersten Entwurf wurde folgendes festgehalten:<br />

Unser Fundament<br />

Soziale Sicherheit ist entscheidendes Fundament<br />

für das Leben in einer demokratischen Gesellschaft.<br />

Der Sozialstaat schafft Voraussetzungen<br />

für Chancengerechtigkeit und Teilhabegerechtigkeit.<br />

Er garantiert ein von der individuellen Leistungsabhängigkeit<br />

unabhängiges Leben in Würde<br />

und Freiheit. Er tritt ein, wo Eigenverantwortung<br />

ihre Grenzen erreicht und Unterstützung benötigt<br />

wird. Er ermöglicht und sichert den sozialen Frieden<br />

im Land. Ein handlungsfähiger und moderner<br />

Sozialstaat ist Ausdruck der wechselseitigen Solidarität<br />

seiner Bürgerinnen und Bürger.

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