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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-04-19 (Vorschau)

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17<br />

<strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />

1 7<br />

4 1 98065 805008<br />

Paradies Deutschland<br />

Träumt weiter!<br />

Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

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Einblick<br />

Deutschland geht’s gut. Zu gut? Erfolg macht<br />

übermütig. Der Boom ist künstlich mit Schulden<br />

aufgepumpt und nicht nachhaltig. Von Roland Tichy<br />

Wunschkonzert<br />

FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Man kann nicht meckern: Rentengeschenke<br />

im Wert von 230<br />

Milliarden Euro; Mindestlöhne<br />

auf breiter Front; zum ersten<br />

Mal seit 45 Jahren ein ausgeglichener<br />

Haushalt; erstmals 42 Millionen Beschäftigte<br />

und für eine so hoch entwickelte<br />

Wirtschaft respektable Wachstumsraten.<br />

Deutschland geht es gut. Mehr noch:<br />

Verglichen mit den europäischen Nachbarstaaten<br />

und deren wachsender Rekordverschuldung,<br />

schauerlicher Jugendarbeitslosigkeit,<br />

sind das paradiesische<br />

Zustände. Die warmen Tage sollte man genießen<br />

und die feinen Zahlen auf der Zunge<br />

zergehen lassen, stehen sie doch in<br />

einem krassen Gegensatz zur Gräuelpropaganda,<br />

mit der vor einem halben Jahr<br />

noch die heutigen Regierungsmitglieder<br />

der SPD durch das Land zogen: Da zeichneten<br />

sie das Zerrbild einer innerlich zerrissenen<br />

Gesellschaft, in der die Reichen<br />

immer reicher und die vielen Armen immer<br />

ärmer werden. Da war viel von Prekariat<br />

und <strong>vom</strong> Elend ganzer Bevölkerungsgruppen<br />

und Regionen die Rede. Seit der<br />

Bundestagswahl wiederum läuft ein<br />

Wunschkonzert. Noch nie hat eine Bundesregierung<br />

so viel Geschenke unters<br />

Volk gebracht, nicht nur an Rentner, Mieter<br />

und pfiffige Randgruppen-Lobbyisten.<br />

Mit dem Neustart der Energiewende werden<br />

Solarbauern und Windmüller, Großverbraucher<br />

und Biogasbauern mit Milliarden<br />

verwöhnt. So scheint es, als habe<br />

die große Koalition den Schlüssel zu einer<br />

Schatzkammer gefunden, aus der immer<br />

verteilt werden kann und die alle Lügen<br />

straft, die von Knappheit, Sparzwängen<br />

und Wachstumsblockaden reden. Die Fesseln<br />

des Neoliberalismus scheinen gesprengt,<br />

ein sanft lenkender, alle behütender<br />

und jede Not lindernder Staat<br />

verwöhnt seine Untertanen. Selbst der<br />

Winter scheint seine Strenge abgelegt zu<br />

haben.<br />

Vieles daran ist verdient, aber trotzdem<br />

zeigt unsere Analyse über das Paradies<br />

Deutschland im Frühsommer ernste Bedrohungen:<br />

Die deutsche Exportindustrie<br />

lebt nicht nur von eigener Leistung, sondern<br />

von niedrigen Zinsen. Und von einem<br />

Euro, der wegen seiner vielen darbenden<br />

Mitgliedswirtschaften sehr viel niedriger<br />

zum Dollar notiert, als es früher die strengen<br />

grauen Männer der Deutschen Bundesbank<br />

zugelassen hätten, solange sie<br />

noch was zu sagen hatten: Geld ist heute<br />

gratis, die Zinsen sind zu niedrig, und Investitionen<br />

so lohnend wie kaum je zuvor.<br />

BOOM DURCH NIEDRIGZINSEN<br />

Der Bundesfinanzminister konnte seinen<br />

Haushalt nur wegen der extrem niedrigen<br />

Zinsen ausgleichen. Jede Zinserhöhung<br />

um einen Prozentpunkt steigert seine Finanzierungskosten<br />

um 13 Milliarden Euro.<br />

Ohne diesen durch die Euro-Krise bedingten<br />

Zinsrabatt müsste Schäuble bei einem<br />

normalen Zinsniveau von sechs Prozent<br />

jährlich knapp 60 Milliarden mehr für<br />

Zinslasten aufwenden und wäre genauso<br />

bettelarm wie sein Vorvorgänger Hans Eichel,<br />

der Schuldenkönig. Die Zeche zahlen<br />

Sparer, Riester- und Lebensversicherte, deren<br />

Vermögen real schrumpft. Jetzt zeigt<br />

sich, dass die Krise des Euro keineswegs<br />

gelöst ist. Nur Zinsen an der Null-Grenze<br />

stabilisieren die Schuldendemokratien<br />

und suggerieren einen Aufschwung, hinter<br />

dem ökonomisch keine Substanz steht.<br />

Noch sind die Babyboomer der Sechzigerjahre<br />

in Lohn und Brot und zahlen kräftig<br />

Steuern und Sozialbeiträge. Doch schon<br />

in spätestens sechs Jahren kippt der Arbeitsmarkt:<br />

Dann steigt nur noch die Zahl<br />

der Rentner. Kann aber das schrumpfende<br />

Heer ergrauender Arbeitnehmer erwirtschaften,<br />

was den Rentnern und Pensionären<br />

heute versprochen wird? Oder werden<br />

die wenigen Jungen davonlaufen vor dieser<br />

Belastung? Daran zeigt sich: Diese Regierung<br />

hält sich selbst die Augen ganz fest zu,<br />

um der brutalen Wirklichkeit nicht ins Gesicht<br />

sehen zu müssen, und behauptet das<br />

Gegenteil von dem, was ist und sie weiß.<br />

Sie geriert sich sozial und bewirkt das Gegenteil<br />

und zerstört die Grundlagen des<br />

Sozialstaates. Aber das Wunschkonzert<br />

spielt weiter und wird erst enden, wenn die<br />

heute Regierenden längst andere Pöstchen<br />

ihr Eigen nennen.<br />

n<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 3<br />

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Überblick<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

6 Seitenblick Falsche Paradiese<br />

8 Zoll: Schwarzgeldschmuggel über die<br />

Grenze steigt dramatisch<br />

9 Steuergeheimnis: Grundrecht für Steuersünder<br />

| IKB: Prüfbericht zensiert<br />

10 Vapiano: Neue Strategie mit Neubauten |<br />

Radisson Hotels: Angriff auf Motel One<br />

12 Zynga: Rückzug aus Deutschland |<br />

Ecomotors: Neuer Wundermotor | Uber:<br />

Wütende EU-Kommissarin<br />

14 Chefsessel | Start-up Kyl<br />

16 Chefbüro Claudio Luti, Chef des italienischen<br />

Möbelherstellers Kartell<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

18 Essay Paradies Deutschland: Wie krisenfest<br />

ist unser Wirtschaftsmodell?<br />

24 Streitgespräch: Marcel Fratzscher und<br />

Hans-Werner Sinn diskutieren über Rente,<br />

Löhne, Sparpolitik und die Euro-Rettung<br />

29 Branchen Hohe Kosten, neue Wettbewerber<br />

und staatliche Eingriffe gefährden den<br />

Wohlstand ganzer Regionen<br />

34 Technik Was kreativen Köpfen zur Innovationsfreude<br />

der Deutschen einfällt<br />

36 Euro-Krise Italien und Frankreich wollen<br />

mit neuen Schulden Wachstum schaffen |<br />

Trotz Rückkehr auf den Kapitalmarkt ist in<br />

Griechenland noch viel zu tun<br />

41 Berlin intern<br />

Der Volkswirt<br />

42 Kommentar | Umfrage<br />

43 Denkfabrik Thorsten Polleit warnt vor einer<br />

Überregulierung des Finanzsystems<br />

44 Weltwirtschaft Südeuropas Banken haben<br />

vor allem heimische Staatsanleihen gekauft<br />

– eine Gefahr für die Bankenunion<br />

Unternehmen&Märkte<br />

46 Investitionsschutz-Abkommen Schiedsverfahren<br />

für Konflikte zwischen Investoren<br />

und Staaten sind für Unternehmen existenziell<br />

| Interview: Atlantik-Brücke-Chef<br />

Friedrich Merz fordert mehr Transparenz<br />

bei Schiedsgerichtsentscheidungen<br />

52 Interview: Werner Müller Der Chef der<br />

RAG-Stiftung will Millionen im Mittelstand<br />

anlegen und rügt die Energiekonzerne<br />

56 Spanien So profitieren deutsche Unternehmen<br />

<strong>vom</strong> Wiederaufstieg des Landes<br />

60 Start-ups Aufstieg, Fall und Neustart von<br />

MyParfum-Gründer Matti Niebelschütz<br />

62 Spezial Business IT Die USA wehren sich<br />

gegen deutsche Pläne zur Spionageabwehr<br />

Technik&Wissen<br />

64 Klimawandel So bereiten sich Stadtplaner,<br />

Gesundheitsexperten, Landwirte und<br />

Küstenschützer auf den Klimawandel vor<br />

Titel Paradies Deutschland<br />

Schöner<br />

Schein<br />

Billigere Standardprodukte<br />

aus<br />

Schwellenländern,<br />

hohe Energiekosten,<br />

Technikfeindlichkeit<br />

und<br />

Provinzialität<br />

bedrohen deutsche<br />

Vorzeigebranchen<br />

und -regionen.<br />

Seite 29<br />

Ankommen<br />

Neun Menschen aus<br />

Japan, Brasilien oder<br />

Frankreich erzählen,<br />

warum sie künftig in<br />

Deutschland leben<br />

wollen. Seite 98<br />

Die Wirtschaft brummt, die Stimmung<br />

ist prima, und die Politik feiert sich<br />

selbst:Nie zuvor hatten in Deutschland<br />

so viele Menschen so gute Perspektiven<br />

wie heute. Doch ist unsere Wohlfühl-<br />

Gesellschaft tatsächlich nachhaltig und<br />

auch krisenfest? Seite 18<br />

TITELILLUSTRATION: TIM MCDONAGH<br />

4 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 17, <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong><br />

»Wir sind keine<br />

Heuschrecke«<br />

Die RAG-Stiftung steigt ins<br />

Beteiligungsgeschäft ein.<br />

Chef Werner Müller über<br />

Investitionspläne und<br />

warum er mehr Verständnis<br />

für Russlands Präsidenten<br />

Putin als für deutsche<br />

Energieversorger hat.<br />

Seite 52<br />

68 Gesundheit Können uns Bakterien helfen,<br />

gefährliche Krankheiten zu bekämpfen?<br />

71 Valley Talk<br />

Management&Erfolg<br />

72 Gründer Was aus den Siegern des<br />

WirtschaftsWoche-Gründerpreises wurde |<br />

Gründertagebuch<br />

Geld&Börse<br />

80 Aktien Warum Aktien ein wichtiger Depotbaustein<br />

bleiben, was bei Anleihen, Gold<br />

und Lebensversicherung droht | Zehn<br />

deutsche Nebenwerte mit langfristig guten<br />

Aussichten im Einzelcheck<br />

88 Anwälte Wer Patienten und Ärzte im Streit<br />

um Behandlungsfehler am besten berät<br />

90 Steuern und Recht Rentenpflicht für<br />

Angestellte im Versorgungswerk | Abgeltungsteuer<br />

überrascht Google-Aktionäre<br />

92 Geldwoche Kommentar: Versicherer<br />

müssen transparent werden – oder sterben |<br />

Trend: Griechenland-Anleihe | Dax-Aktien:<br />

Adidas | Hitliste: Tops und Flops der<br />

Weltbörsen | Aktien: Coca-Cola | Anleihe:<br />

Singulus | Chartsignal: Palladium | Fonds:<br />

Immobilienfonds | Nachgefragt:Meag-<br />

Anlagechef Philipp Waldstein glaubt an steigende<br />

Aktienkurse, kauft aber keine Aktien<br />

FOTOS: DDP IMAGES/JÖRG SARBACH, PRIVAT, INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CORBIS/GEORG STEINMETZ<br />

Halte durch!<br />

Wer bereit ist, Strategie, Geschäftsmodell und Zielgruppe immer<br />

wieder zu überdenken, bleibt erfolgreich. Das zeigen auch ehemalige<br />

Sieger des WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerbs. Seite 72<br />

Mit dem Klimawandel leben<br />

Die Erderwärmung ist kaum noch zu stoppen. Wir müssen uns<br />

daher an künftige Hitzewellen, Dürren und Überflutungen<br />

anpassen. Pilotprojekte zeigen schon heute, wie es geht. Seite 64<br />

Perspektiven&Debatte<br />

98 Neue Nachbarn Menschen aus aller Welt<br />

erzählen, was sie nach Deutschland zieht<br />

102 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

3 Einblick, 1<strong>04</strong> Leserforum,<br />

105 Firmenindex | Impressum, 106 Ausblick<br />

n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

Diese Woche unter anderem<br />

mit einem Videoplädoyer<br />

fürs Gründen, Audioausschnitten<br />

<strong>vom</strong> Interview<br />

mit Werner Müller und<br />

Bildern von bedrohten<br />

Paradiesen in aller Welt.<br />

wiwo.de/apps<br />

n Büroleben Zwischen Mobbing,<br />

Mittagspause und Rückenschmerzen.<br />

WiWo.de bietet Tipps und<br />

Überlebensstrategien für den Mikrokosmos<br />

Büro. wiwo.de/buero<br />

facebook.com/<br />

wirtschaftswoche<br />

twitter.com/<br />

wiwo<br />

plus.google.com/<br />

+wirtschaftswoche<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 5<br />

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Seitenblick<br />

PARADIESE<br />

Etikettenschwindel<br />

In Deutschland gibt es zwar viele selbst ernannte Paradiese,<br />

doch wirklich himmlisch wirken sie selten.<br />

Berlin-Charlottenburg<br />

Berlin-Marzahn<br />

Berlin-Wedding<br />

6 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Jena-Paradies, Thüringen<br />

Kreis Soest, Nordrhein-Westfalen<br />

Berlin-Lichtenberg<br />

FOTOS: POP-EYE/KEMPERT, LAIF/HOEHN/HOFFMANN, TRANSIT/BUSSE, ULLSTEIN BILD/HELLER,<br />

AXEL M. MOSLER, IMAGO/FELLECHNER, CARO/WAECHTER, EPD-BILD/FRANK VAN BEBBER<br />

Neustrelitz, Mecklenburg-Vorpommern<br />

Konstanz, Baden-Württemberg<br />

Berlin WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 7<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

573 Millionen einkassiert<br />

Finanzminister Schäuble<br />

SCHWARZGELD<br />

Geldschwemme an der Grenze<br />

Schwarzgeldaufgriffe in der deutschschweizerischen<br />

Grenzregion steigen<br />

rasant. Auch Österreichs Zoll sucht deutsche<br />

Steuerhinterzieher.<br />

Die deutsch-schweizerische Grenze wird wohl<br />

auch <strong>2014</strong> die beliebteste Route für Bargeldschmuggler<br />

nach Deutschland bleiben. Trotz der<br />

Rekordaufgriffe im vergangenen Jahr berichten<br />

Zollbeamte zurzeit von einer steigenden Zahl<br />

Schmuggler. „Zum Teil werden wir bei jedem dritten<br />

Auto fündig“, sagt Hagen Kohlmann <strong>vom</strong><br />

Hauptzollamt Ulm. Er ist für die Grenzen im Dreiländereck<br />

Deutschland-Österreich-Schweiz zuständig.<br />

Neben der Zahl der Delikte steigen auch<br />

die geschmuggelten Summen. Laut Kohlmann liegen<br />

die immer häufiger im sechsstelligen Bereich.<br />

Die Obergrenze für die Einfuhr von undeklariertem<br />

Bargeld in die EU liegt aktuell bei 10 000 Euro.<br />

Dabei dürfte Bundesfinanzminister Wolfgang<br />

Schäuble schon über die Zahlen aus dem letzten<br />

Jahr zufrieden sein. Satte 573 Millionen Euro illegales<br />

Bargeld hatten seine Zollbeamten 2013 an<br />

Deutschlands Grenzen einkassiert. Zum Vergleich:<br />

2012 waren es gerade einmal 9,3 Millionen Euro.<br />

Der Höhepunkt des Bargeldschmuggels dürfte<br />

trotz dieser Rekordwerte noch nicht erreicht sein.<br />

Denn nachdem Österreich und die Schweiz angekündigt<br />

haben, Kapitalerträge von Ausländern<br />

künftig an deren Heimatstaaten zu melden (WirtschaftsWoche<br />

14/<strong>2014</strong>), werden offenbar auch<br />

hartgesottene Steuerhinterzieher nervös. Beim Zoll<br />

mutmaßt man noch über einen weiteren Grund:<br />

„Der Fall Hoeneß hat viele aufgeschreckt.“<br />

Bei den Rückholaktionen des unversteuerten<br />

Geldes greifen manche Deutsche tief in die Trickkiste.<br />

„Wir stoßen immer öfter auf Autos mit vier<br />

oder sogar fünf Insassen, von denen jeder 9800<br />

oder 9900 Euro dabei hat“, heißt es <strong>vom</strong> Zoll. Vor Ermittlungen<br />

schützt der Trick allerdings nicht. Zwar<br />

können die Zollbeamten kein Bußgeld verhängen,<br />

wenn die Reisenden unter der meldepflichtigen<br />

Summe bleiben. Allerdings können sie das zuständige<br />

Finanzamt über den Bargeldfund informieren.<br />

Auch andere Fundstücke meldet der Zoll zurzeit<br />

regelmäßig an Finanzämter: Etwa Schlüssel von<br />

Bankschließfächern, die die Beamten laut Kohlmann<br />

häufiger entdecken – ein Indiz dafür, dass<br />

viele Steuerhinterzieher ihre Konten leergeräumt<br />

und das Geld in Schließfächer gesteckt haben.<br />

Deutschen, die versuchen Schweizer Schwarzgeld<br />

über Österreich einzuführen, macht der österreichische<br />

Zoll immer häufiger einen Strich durch<br />

die Rechnung. Der kontrolliert gut informierten<br />

Kreisen zufolge schwerpunktmäßig auch deutsche<br />

Bürger. 2013 stellten die Österreicher an der<br />

Schweizer Grenze mehr als eine Million Euro Bargeld<br />

sicher, eine Verdopplung gegenüber 2012.<br />

daniel schönwitz, andreas macho | mdw@wiwo.de<br />

Erwischt<br />

Beschlagnahmte<br />

Zahlungsmittel an der<br />

deutschen Grenze<br />

2011<br />

14,4 Mio.€<br />

2012<br />

9,3 Mio.€<br />

2013<br />

573,0 Mio.€<br />

Quelle:Zollverwaltung<br />

FOTOS: LAIF/HANS CHRISTIAN PLAMBECK, VISUM/STEFAN BONESS, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

8 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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STEUERGEHEIMNIS<br />

Schutz durch Grundgesetz<br />

Am Pranger Bei Alice<br />

Schwarzer wurde das<br />

Steuergeheimnis<br />

gebrochen<br />

Die Verletzung des Steuergeheimnisses<br />

im Fall von Alice<br />

Schwarzer, Uli Hoeneß und<br />

anderen Sündern ist ein besonders<br />

schwerwiegender Verstoß,<br />

weil Verfassungsrechte gebrochen<br />

wurden. Dieser Schluss<br />

ergibt sich aus einem Gutachten<br />

der Wissenschaftlichen<br />

Dienste des Bundestages. Zwar<br />

ist das Steuergeheimnis nur in<br />

der Abgabenordnung geregelt,<br />

einem Steuergesetz, und habe<br />

anders als das Brief-, Post- und<br />

Fernmeldegeheimnis nicht den<br />

Rang eines Grundrechts, heißt<br />

es darin. Jedoch trage es „in erster<br />

Linie verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben Rechnung“, insbesondere<br />

dem Recht auf<br />

informationelle Selbstbestimmung.<br />

„Dieses Recht ist Bestandteil<br />

des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,<br />

das durch<br />

das Grundgesetz geschützt<br />

wird“, so die Wissenschaftler.<br />

Ihr Fazit: „Eine Abschaffung des<br />

Steuergeheimnisses wäre mithin<br />

aus verfassungsrechtlichen<br />

Gründen nicht zulässig.“<br />

Durch die Studie gerät die<br />

mutmaßliche Praxis, in einigen<br />

Fällen prominente Steuerbürger<br />

mit Indiskretionen unter<br />

Druck zu setzen, weiter ins<br />

Zwielicht. Es sei richtig, am<br />

Steuergeheimnis festzuhalten,<br />

sagt der CDU-Abgeordnete<br />

Martin Pätzold: „Aber wir müssen<br />

gesellschaftlich für mehr<br />

Steuerehrlichkeit werben.“<br />

christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />

Fundstücke<br />

Aldi auf Mallorca Erstmals eröffnet<br />

Aldi eine Filiale auf Mallorca,<br />

in der Gemeinde Marratxí.<br />

Aldi Nord hat noch eine weitere<br />

Filiale beantragt. Konkurrent<br />

Lidl ist schon seit 2001 auf<br />

der Insel – inzwischen mit 14<br />

Filialen.<br />

2. BinSchUOuaAbwVÄndV In<br />

wenigen Sprachen gibt es so<br />

lange Worte wie im Deutschen.<br />

Und auch eine in dieser Woche<br />

in Kraft getretene Verordnung<br />

ist rekordverdächtig, sie versammelt<br />

gleich zwei Bandwurmworte.<br />

Der Titel: „Zweite Verordnung<br />

zur Änderung der<br />

Gemeinsamen Verordnung zur<br />

vorübergehenden Abweichung<br />

von der Binnenschiffsuntersuchungsordnung<br />

und von der<br />

Binnenschifferpatentverordnung“.<br />

Zum Glück hat das<br />

Rechtswerk auch eine wohl klingende<br />

Abkürzung: „2.<br />

BinSchUOuaAbwVÄndV“.<br />

IKB<br />

Bericht<br />

geschwärzt<br />

Ex-Aktionäre der Düsseldorfer<br />

Bank IKB erhoffen sich <strong>vom</strong><br />

Bericht des Sonderprüfers<br />

Harald Ring eigentlich Aufschluss<br />

darüber, wer Schuld an<br />

der Fast-Pleite des Geldhauses<br />

während der Finanzkrise war.<br />

Die Hoffnung könnte angesichts<br />

einer umfangreichen<br />

Zensur durch die Bank nun enttäuscht<br />

werden. Sechs Wochen<br />

hatte die inzwischen dem amerikanischen<br />

Finanzinvestor Lone<br />

Star gehörende IKB Zeit, den<br />

Bericht zu schwärzen. Selbst<br />

das reichte offenbar nicht für<br />

das 1800 Seiten starke Traktat,<br />

sodass Ring dem Bankvorstand<br />

unter Hans Jörg Schüttler<br />

jetzt eine einwöchige Fristverlängerung<br />

gewähren musste.<br />

Das Aktienrecht erlaubt solche<br />

Schwärzungen, wenn die Stellen<br />

wichtige Firmengeheimnisse<br />

preisgeben – aber keinen<br />

Aufschluss über Pflichtverletzungen<br />

geben. Den Ex-Aktionären<br />

bleibt eine Hoffnung: Das<br />

Düsseldorfer Landgericht muss<br />

nun Absatz für Absatz entscheiden,<br />

ob die Schwärzungen<br />

durch den Vorstand legal sind.<br />

Das aber dürfte mehrere Monate<br />

dauern.<br />

mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />

Auf der schiefen Bahn<br />

DieDeutsche Bahn bewertet erstmals ihre weltweiten Märkte nach der Höhe von Wirtschaftskriminalität und Korruption*<br />

(gewichtet auf einer Skala von 0bis 100)<br />

Myanmar<br />

Afghanistan<br />

Angola,<br />

Turkmenistan<br />

Sudan<br />

Libyen<br />

2 9 11 13 14<br />

Länder mit schlechtestemRanking<br />

Großbritannien,<br />

Australien,<br />

Schweden Finnland Norwegen Neuseeland Luxemburg<br />

88 89 91 92 93<br />

Länder mit bestem Ranking<br />

FOTO:<br />

*Auswahl aus rund 140 Partnerländern; Quelle: Deutsche Bahn<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

FLOSKELCHECK<br />

Paradies<br />

Wiederholte politische<br />

Versuche, mit aller<br />

internationalen Macht<br />

den Garten Eden auf<br />

Erden zu errichten, haben<br />

bekanntermaßen<br />

regelhaft mit Mord<br />

und Totschlag geendet.<br />

Auf allen Kontinenten<br />

ungelöst blieb dabei<br />

stets das Relativitätsproblem:<br />

Denn jedes<br />

Anglerparadies ist<br />

immer auch eine<br />

Hölle für die Fische.<br />

Experten raten daher<br />

zu Bescheidenheit<br />

für jedes erträumte,<br />

irdische Vize-Paradies:<br />

Spendete nicht schon<br />

das Lächeln einer schönen<br />

Frau im Glühbirnenlicht<br />

der verrauchten<br />

Kneipe einstmals –<br />

Glück?<br />

DER FLOSKELCHECKER<br />

Carlos A. Gebauer, 49,<br />

arbeitet als Rechtsanwalt in<br />

Düsseldorf, wurde auch als<br />

Fernsehanwalt von RTL und<br />

SAT.1 bekannt.<br />

VAPIANO<br />

Kiew, Kairo und Kleinstädte<br />

Keine deutsche Gastronomie-<br />

Neugründung wuchs in den<br />

vergangenen Jahren so rasant<br />

wie Vapiano. Die 2002 gegründete<br />

Italo-Kette zählt heute 140<br />

Restaurants in 27 Ländern. 2013<br />

verkaufte sie Pasta und Pizza im<br />

Wert von 336 Millionen Euro.<br />

Geht es nach Vapiano-Chef<br />

Gregor Gerlach, ist das aber<br />

erst der Anfang: „Wir wollen die<br />

Zahl der Restaurants alle drei<br />

Jahre verdoppeln.“<br />

Je verbreiteter die Bonner<br />

Kette ist, desto schwieriger wird<br />

allerdings die Expansion – vor<br />

allem in Deutschland. „Je mehr<br />

wir in kleine Städte gehen, umso<br />

schwerer ist es, geeignete Locations<br />

zu finden“, sagt Gerlach.<br />

Daher ändert er nun die Strategie.<br />

Während Vapiano bisher<br />

nur leer stehende Flächen in Innenstädten<br />

anmietete, wird das<br />

Unternehmen künftig wie<br />

McDonald’s auch eigene Gebäude<br />

bauen – am Stadtrand, in<br />

Gewerbegebieten oder an der<br />

Autobahn. Der Mailänder Architekt<br />

Matteo Thun hat einen<br />

Prototyp entwickelt. Der soll<br />

RADISSON RED<br />

Angriff auf<br />

Motel One<br />

Rezidor, der Mutterkonzern der<br />

internationalen Hotelketten<br />

Park Inn und Radisson Blu, will<br />

mit neuen, billigeren Radisson-<br />

Red-Hotels Anbietern wie Motel<br />

One und Ibis Style Kunden<br />

abjagen. Zielgruppe ist laut Rezidor-Chef<br />

Wolfgang M.<br />

Neumann die zwischen <strong>19</strong>77<br />

und <strong>19</strong>94 geborene Generation<br />

Y. Geplant seien neue Angebote<br />

für Tablet- und Smartphone-<br />

Nutzer sowie ein mobiles<br />

Check-in oder Check-out. Die<br />

Bei Hotelmarken durchgelüftet<br />

Rezidor-Chef Neumann<br />

Ende des Jahres in Fürth eröffnen,<br />

derzeit wartet Vapiano auf<br />

die Baugenehmigung. Insgesamt<br />

plant Gerlach in Deutschland<br />

<strong>2014</strong> acht neue Restaurants,<br />

darunter zwei in Berlin,<br />

am Alexanderplatz und im Europacenter.<br />

International will Vapiano vor<br />

allem in England und Spanien<br />

wachsen. Aber auch im Ausland<br />

wird die Expansion<br />

schwieriger. So sanken 2013 die<br />

Gebäude für Gewerbegebiete<br />

Prototyp von Vapiano<br />

Zimmer bei Radisson Red werden<br />

etwas kleiner als bei Radisson<br />

Blu und der Service eingeschränkt<br />

sein. „Bis 2020 wollen<br />

wir 60 Hotels dieser Marke eröffnen“,<br />

sagt der Manager. Das<br />

erste Musterhaus will er demnächst<br />

vorstellen. Neumann<br />

krempelt zurzeit ohnehin das<br />

Verkäufe außerhalb Europas<br />

um 1,6 Prozent. „Ein, zwei Länder<br />

liefen unrund, da hatten wir<br />

falsche Partner“, sagt Gerlach.<br />

Trotzdem plant er Restaurants<br />

in bis zu fünf weiteren Ländern.<br />

Selbstläufer dürften das nicht<br />

werden. Denn neben Kuwait<br />

und Aserbaidschan stehen<br />

auch Ägypten und die Ukraine<br />

auf dem Expansionsplan. Am<br />

Nil lagen die Pläne wegen der<br />

politischen Umbrüche bereits<br />

ein halbes Jahr auf Eis. Doch<br />

Gerlach ist optimistisch, mit der<br />

Expertise lokaler Franchisepartner<br />

in diesem Jahr in Kairo und<br />

Kiew zu starten: „Auch in diesen<br />

Ländern geht ja das Leben<br />

weiter.“<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

gesamte Markenportfolio in seinem<br />

Konzern um. Neu dazu<br />

kommt die Luxusmarke Quorvus<br />

Collection. Allein in Europa<br />

plant er 20 Hotels – neben<br />

Traditionshäusern sollen auch<br />

Boutique-Hotels und Resorts<br />

dazugehören.<br />

Verschwinden werden die<br />

Marken Regent und Missoni.<br />

Bei Missoni habe sich zu wenig<br />

getan. In den acht Jahren Partnerschaft<br />

mit dem italienischen<br />

Modehaus entstanden<br />

nur zwei neue Hotels. Die Regent-Hotels<br />

sind dem Konzernchef<br />

dagegen zu stark standardisiert:„Luxushotels<br />

brauchen<br />

heute je nach Standort unterschiedliche<br />

Themen wie Kunst<br />

oder Architektur, um erfolgreich<br />

zu sein.“<br />

hans-juergen.klesse@wiwo.de<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTOS: PR<br />

10 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

ZYNGA<br />

Rückzug aus<br />

Deutschland<br />

Seit dem gefloppten Börsendebüt<br />

versucht sich der US-Spielehersteller<br />

Zynga gesundzuschrumpfen.<br />

In Deutschland<br />

stellte er seine Entwicklung jetzt<br />

komplett ein. Schon letzten<br />

Sommer hatte der Konzern im<br />

Zuge eines Sparprogramms die<br />

Standorte Mainz und Frankfurt<br />

dichtgemacht. Das Bielefelder<br />

Entwicklerstudio sollte bestehen<br />

bleiben. Ende 2013 kündigten<br />

die Farmville-Macher aber<br />

an, weltweit weitere 15 Prozent<br />

der Stellen zu streichen. Im Zuge<br />

dessen wurde nun auch das<br />

Studio in Bielefeld dichtgemacht,<br />

so das Unternehmen.<br />

Dabei galten die Bielefelder<br />

als Spezialisten für Handyspiele<br />

– das Segment, in dem Zynga<br />

wachsen will. Die Brüder<br />

Thomas und Matthias Hoechsmann<br />

hatten das Studio 2009<br />

gegründet und ein Zombie-<br />

Spiel fürs iPhone entwickelt.<br />

2011 kaufte Zynga das Studio.<br />

Zynga will jetzt mit dem Klassiker<br />

Farmville Boden gutmachen.<br />

Im letzten Quartal sank<br />

die Zahl der täglichen Spieler<br />

auf 27 Millionen– halb so viele<br />

wie vor einem Jahr. Eine speziell<br />

für Handys konzipierte Version<br />

von Farmville 2 soll nun die<br />

Wende bringen. oliver.voss@wiwo.de<br />

UBER<br />

Kroes gegen<br />

Taxi-Kartell<br />

Per Smartphone-App vermittelt<br />

das US-Unternehmen Uber Limousinen<br />

samt Chauffeur. Vor<br />

allem Taxifahrer hassen die<br />

neue Konkurrenz, in Paris attackierten<br />

sie schon die Autos von<br />

Uber-Fahrern. Nun erklärte<br />

Wütet via Twitter<br />

EU-Kommissarin Kroes<br />

17.<strong>04</strong>. Ukraine-Gespräche Bei einem Vierertreffen<br />

kommen am Donnerstag die Außenminister von<br />

Russland, der Ukraine, den USA und der EU in<br />

Genf zusammen. Vom Ausgang des Treffens wird<br />

wohl auch abhängen,<br />

ob die EU ernsthafte<br />

Wirtschaftssanktionen<br />

gegen Russland verhängen<br />

wird.<br />

20.<strong>04</strong>. Automesse In Peking startet am Sonntag die Auto<br />

China <strong>2014</strong>, die wichtigste chinesische Automesse.<br />

Audi wird dort zum Beispiel eine 420 PS starke<br />

Quattro-Sport-Version des Modells TT vorstellen.<br />

21.<strong>04</strong>. China Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel<br />

tritt am Montag seine viertägige China-Reise an.<br />

Im Schlepptau hat er auch eine Delegation deutscher<br />

Unternehmensvertreter. Im Juli will dann<br />

auch Angela Merkel nach China reisen.<br />

23.<strong>04</strong>. Staatsschulden Die Statistikbehörde Eurostat veröffentlicht<br />

am Mittwoch die Staatsverschuldung<br />

der einzelnen Mitgliedstaaten für 2013. Mit Spannung<br />

werden Griechenlands Zahlen erwartet, das<br />

wieder einen Überschuss erwirtschaftet haben<br />

soll, lässt man Schuldzinsen außer Acht.<br />

Petersburger Dialog In Leipzig beginnt das alljährliche<br />

zweitägige deutsch-russische Diskussionsforum,<br />

dass zur Verständigung beider Nationen beitragen<br />

soll. Ursprünglich wurden auch Wladimir<br />

Putin und Angela Merkel erwartet. Aufgrund der<br />

aktuellen Entwicklung in der Ukraine werden sie<br />

nun doch nicht an dem Treffen teilnehmen.<br />

25.<strong>04</strong>. Schuldenfonds Die US-Ratingagentur Standard &<br />

Poor’s veröffentlicht am Freitag eine Einschätzung<br />

über die Kreditwürdigkeit des Europäischen Schuldenfonds<br />

EFSF.<br />

TOP-TERMINE VOM 17.<strong>04</strong>. BIS 27.<strong>04</strong>.<br />

auch ein Brüsseler Gericht das<br />

Angebot in Belgien für unzulässig<br />

und droht für jede Fahrt mit<br />

einer Strafe von 10 000 Euro.<br />

Doch Uber-Chef Travis Kalanick<br />

bekommt überraschend<br />

prominente Unterstützung.<br />

„Verrückte Entscheidung“, wettert<br />

EU-Digitalkommissarin<br />

Neelie Kroes. Sie sei geschockt<br />

und außer sich twitterte<br />

die Niederländerin und rief den<br />

Hashtag #UberIsWelcome ins<br />

Leben. Kurz darauf hatte die<br />

frühere Wettbewerbskommissarin<br />

einen empörten Eintrag<br />

auf ihrem offiziellen Blog<br />

veröffentlicht. „Es geht darum,<br />

dass Taxi-Kartell zu<br />

schützen“, schimpft Kroes<br />

und ruft zu Protesten bei<br />

der belgischen Verkehrsministerin<br />

auf.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

ECOMOTORS<br />

Neuer alter<br />

Wundermotor<br />

Das Konzept für seinen vermeintlichen<br />

Wundermotor hat<br />

Peter Hofbauer schon in den<br />

Achtzigerjahren als Motorchef<br />

von Volkswagen entwickelt. Er<br />

eignet sich für Benzin, Diesel,<br />

Erdgas sowie Methanol und<br />

verbraucht bis zu 50 Prozent<br />

weniger als ein moderner Turbodiesel,<br />

ist dabei nur halb so<br />

groß und deutlich günstiger.<br />

Nun soll der Zweitakter in<br />

Serie gehen. Hofbauers Firma<br />

Warten auf Piëch<br />

Motorentwickler Hofbauer<br />

Ecomotors, die er 2008 in den<br />

USA gegründet hat, richtet dafür<br />

ein Gemeinschaftsunternehmen<br />

mit dem chinesischen<br />

Konzern First Auto Works<br />

(FAW) ein. Für 200 Millionen<br />

Dollar entsteht eine neue Fabrik.<br />

Dort sollen ab 2015 jährlich<br />

rund 100 000 Motoren gebaut<br />

werden. Weitere 150 000<br />

Lkw-Motoren sollen aus einer<br />

zweiten Fabrik mit dem chinesischen<br />

Zuliefererkonzern<br />

Zhongding kommen. Hofbauer<br />

hofft, dass der Wundermotor<br />

auch in Modelle seines Ex-Arbeitgebers<br />

einzieht. Die VW-<br />

Tochter IAV war schon an der<br />

Entwicklung beteiligt, zudem<br />

ist FAW auch ein VW-Partner in<br />

China. Aber noch will Hofbauer<br />

VW-Patriarch Ferdinand Piëch<br />

den Motor nicht zeigen: „Er<br />

wird wissen wollen, ob er sich<br />

auf der Straße bewährt hat.“<br />

martin.seiwert@wiwo.de | New York<br />

FOTOS: LAIF/POLARIS/XINHUA, SCOTT STEWART FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/DANIEL PILAR<br />

12 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

START-UP<br />

CONTINENTAL<br />

Elke Strathmann, 56,<br />

seit Januar 2012 Personalvorstand<br />

und Arbeitsdirektorin<br />

beim Autozulieferer Continental<br />

in Hannover, muss<br />

sich einen neuen Job suchen:<br />

Ihr Ende <strong>2014</strong> auslaufender<br />

Vertrag wird überraschend<br />

nicht verlängert.<br />

Angeblich, weil sie „zu vielen<br />

Männern mit ihrer selbstbewussten<br />

Art auf die Füße getreten“<br />

ist, wie aus dem Aufsichtsrat<br />

kolportiert wird.<br />

Strathmann sollte die unterschiedlichen<br />

Unternehmenskulturen<br />

in dem durch<br />

mehrere Übernahmen – darunter<br />

die ehemalige Siemens-Tochter<br />

VDO – gewachsenen<br />

Reifen- und<br />

Autoelektronikkonzern vereinheitlichen.<br />

Die diplomierte<br />

Mathematikerin gilt<br />

als erfahrene Personalmanagerin<br />

und war vor ihrem<br />

Conti-Amtsantritt bei den<br />

Konsumgüterriesen Nestlé,<br />

Johnson & Johnson und<br />

Procter & Gamble.<br />

CABRIOS<br />

1,7Millionen<br />

TELEKOM<br />

Marion Schick, 55, verlässt<br />

das Unternehmen aus gesundheitlichen<br />

Gründen. Die Personalchefin<br />

wird bereits seit einiger<br />

Zeit von Datenschutzvorstand<br />

Thomas Kremer vertreten.<br />

VOLKSWAGEN<br />

Wolfgang Dürheimer, 55,<br />

kehrt nach fast einjähriger Pause<br />

als Vorstand des VW-Konzerns<br />

in das operative Geschäftzurück:Am<br />

1. Juni übernimmt<br />

er die Leitung der Luxusmarken<br />

Bentley und Bugatti. Die Verantwortung<br />

dafür hatte der Ingenieur<br />

bereits 2011 und 2012,<br />

bevor er zum Technik-Vorstand<br />

von Audi berufen wurde. Dort<br />

hielt er sich aber nur drei Monate.<br />

Wolfgang Schreiber, 56,<br />

der Bentley und Bugatti seit<br />

September 2012 geführt hatte,<br />

soll in Kürze eine neue Aufgabe<br />

im Konzern übernehmen.<br />

RENAULT<br />

Olivier Gaudefroy, 50, übernahm<br />

Karfreitag als neuer<br />

Vorstandschef die Leitung von<br />

Renault Deutschland. Der Franzose<br />

löste überraschend Achim<br />

Schaible, 45, ab, der den Importeur<br />

fünf Jahre geführt und<br />

trotz schwieriger Bedingungen<br />

den Marktanteil von Renault<br />

und Dacia stabilisiert hatte. Der<br />

darf sich eine neue berufliche<br />

Herausforderung suchen.<br />

Cabrios sind in Deutschland zugelassen, davon 40 Prozent auf<br />

Frauen. Unter allen Pkw-Haltern machen Frauen dagegen nur 33<br />

Prozent aus. Zudem leisten sich eher Jüngere ein Cabrio. Nur 21<br />

Prozent aller Cabrio-Halter sind älter als 60 Jahre. Von allen Pkw-<br />

Besitzern haben 27 Prozent diese Altersgrenze überschritten.<br />

KYL<br />

Das Magnum der Matrix<br />

Fakten zum Unternehmen<br />

Finanzierung bislang aus Eigenmitteln<br />

200 000–250 000 Euro,<br />

nun per Crowdfunding bei Companisto<br />

mehr als 135 000 Euro<br />

Produktion geplant sind täglich<br />

25 000 bis 35 000 Stück<br />

Science-Fiction-Filme nehmen viele Neuerungen vorweg, doch<br />

kulinarisch bleiben die Zukunftsvisionen erstaunlich fad. So fragte<br />

sich David Marx, welches Eis die Helden in Matrix oder Minority<br />

Report statt eines Magnums essen würden? Und hat das „Eis der<br />

Zukunft“ erfunden. Seine Kreationen haben abstrakte geometrische<br />

Formen, die pyramidenförmigen Waben sind schon mal<br />

pechschwarz. Für die Rezepturen arbeitet Marx mit Sterneköchen<br />

wie Juan Amador zusammen. Für das futuristische Aussehen wird<br />

die Masse mit flüssigem Stickstoff bei –<strong>19</strong>6 Grad schockgefroren.<br />

„So gehen keine Zellen kaputt“, sagt Marx. Denn es entstehen<br />

keine Eiskristalle. Dadurch benötigt das Moleküleis auch weniger<br />

Zucker, Luft und Fett, welche sonst für die Konsistenz nötig sind.<br />

Allerdings produzierte Kyl das Eis bislang nur für Modenschauen,<br />

Filmpremieren oder zuletzt die World Science Gala in<br />

New York. Nun baut die Firma in Berlin eine Fabrik, die im November<br />

öffnen soll. Geld sammelt Kyl derzeit per Crowdfunding,<br />

die erhofften 100 000 Euro kamen in 24 Stunden zusammen. Ab<br />

2015 will Marx das Eis mit Partnern und online verkaufen. „Die<br />

Nachfrage macht uns fertig“,<br />

sagt er. Es gebe zahlreiche<br />

Anfragen von großen<br />

Hotels und Caterern.<br />

Zudem will Marx den<br />

US-Markt erobern. Als<br />

Türöffner hat er John Lika<br />

gewonnen – Ex-Marketingchef<br />

von Ben & Jerrys.<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

FOTOS: LAIF/CHRISTIAN BURKERT, PR<br />

14 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Claudio Luti<br />

Chef des italienischen Möbelherstellers Kartell<br />

An der Tischkante steht ein halbes<br />

Dutzend Familienfotos, in<br />

der Ecke ein Exemplar der<br />

Tischlampe Bourgie – eines von<br />

mehr als 20 Kunststoffmöbeln<br />

aus der Produktion der vergangenen<br />

20 Jahre, die Claudio Luti,<br />

67, in seinem Büro stets um sich<br />

hat. Wie seinen Augapfel aber<br />

hütet er den Aktenstapel vor<br />

ihm, der nie zu schrumpfen<br />

scheint:die neuesten Umsatzzahlen,<br />

aktuelle Entwürfe seiner<br />

Designer, Kataloge mit den Kollektionen<br />

der Konkurrenz.<br />

Als „mein ganz privates Chaos“<br />

beschreibt der Eigentümer und<br />

Vorstandschef des italienischen<br />

Kunststoffmöbel-Herstellers<br />

Kartell die Papierflut<br />

auf seinem ovalen Schreibtisch,<br />

den seine Schwiegermutter<br />

Anfang der<br />

Siebzigerjahre entworfen<br />

hat, die legendäre<br />

italienische<br />

Designerin Anna<br />

Castelli Ferrieri. „Da<br />

darf auch meine Sekretärin<br />

nur ein, zwei<br />

360 Grad<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

Mal pro Jahr ran“, sagt Luti.<br />

<strong>19</strong>88 übernahm der Ökonom<br />

das Unternehmen, das seine<br />

Schwiegereltern <strong>19</strong>49 vor den<br />

Toren Mailands gegründet hatten.<br />

In seinem mehr als 100<br />

Quadratmeter großen Büro will<br />

Luti ungern gestört werden.<br />

Hier empfängt er allenfalls Stardesigner<br />

wie Philippe Starck,<br />

die er in den vergangenen 25<br />

Jahren immer wieder<br />

beauftragt hat. „Ich<br />

organisiere den kreativen<br />

Prozess“, beschreibt<br />

Luti seine<br />

Aufgabe, die er in<br />

den Achtzigerjahren<br />

schon als rechte<br />

Hand des Designers<br />

Gianni Versace verinnerlicht<br />

hatte. Lutis Credo: „Kreativität<br />

braucht Freiheit.“ Aber auch<br />

Kontrolle: Ein Entwurf geht nur<br />

in Produktion, wenn Luti ihn<br />

für gut befunden hat – also<br />

„wenn er mir gefällt und er Marge<br />

verspricht“. Offenbar mit Erfolg:<br />

Kartell ist in 126 Ländern<br />

präsent und laut Luti „hochprofitabel“.<br />

Seit einigen Jahren arbeiten<br />

auch seine beiden Söhne<br />

im Unternehmen mit;amtsmüde<br />

ist der 67-Jährige, der seit<br />

Oktober 2012 auch der Mailänder<br />

Möbelmesse vorsteht, allerdings<br />

nicht. „Vorerst“, sagt Luti,<br />

„bleibe ich auf der Suche nach<br />

neuen Ideen.“<br />

manfred.engeser@wiwo.de<br />

FOTO: PIETRO MADASCHI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

16 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Paradies Deutschland<br />

Das bedrohte Idyll<br />

ESSAY | Die Wirtschaft brummt, die Stimmung ist prima, und die Politik<br />

feiert sich selbst: Nie zuvor hatten in Deutschland so viele Menschen<br />

so große Lebenschancen wie heute. Doch ist unsere Wohlfühl-<br />

Gesellschaft tatsächlich ein nachhaltiges Modell? Von Dieter Schnaas<br />

Im „Rückblick aus dem Jahr 2000 auf<br />

das Jahr 1887“ des amerikanischen Science-Fiction-Schriftstellers<br />

Edward Bellamy<br />

erwacht die Hauptfigur Julian West<br />

in einem idealen Gemeinwesen der Zukunft.<br />

Julian wundert sich über die saubere Luft in der<br />

Großstadt, staunt über Kreditkarten und eine Art<br />

Streaming-Dienst, der verkabelte Haushalte mit musikalischer<br />

Unterhaltung versorgt. Das utopische Potenzial<br />

des in Boston spielenden Romans aus dem<br />

Jahre 1888 ist verblüffend. Die vielleicht schönste Passage<br />

beschreibt eine Unterhaltung zwischen Julian<br />

und seinem Hausherrn Dr. Leete. Julian ist irritiert,<br />

weil sein Gastgeber das Mittagessen, obwohl es regnet,<br />

auswärts einnehmen will – bis er bemerkt, dass<br />

die Trottoirs durch ein wasserdichtes Dach geschützt<br />

sind. Leete dient der „gut erleuchtete und vollkommen<br />

trockene Korridor“ nicht nur praktischen Zwecken,<br />

er deutet ihn auch als politisches Zeitzeichen:<br />

Während die Bewohner Bostons im <strong>19</strong>. Jahrhundert<br />

bei schlechtem Wetter 300 000 Privatregenschirme<br />

über ihren Köpfen aufgespannt hätten, so Leete,<br />

zeichne sich die moderne Gesellschaft dadurch aus,<br />

dass in ihr alle Menschen durch einen einzigen Regenschirm<br />

beschützt seien.<br />

Natürlich hat Bellamy das damals marxistisch gemeint:<br />

Seine Kolonnaden symbolisieren den postindividualistischen<br />

Traum von einer klassenlosen Solidarität<br />

aller mit allen. Heute wissen wir, dass die Regenschirm-Utopie<br />

sich nicht in einem sozialistischen<br />

Musterland, sondern im Deutschland der sozialen<br />

Marktwirtschaft aufs Schönste verwirklicht hat. Der<br />

800 Milliarden Euro schwere Sozialstaat ist der Riesenregenschirm,<br />

den sich Kapitalisten, Selbstständige,<br />

Angestellte und Arbeiter Jahr für Jahr erarbeiten,<br />

um sich unter seinen Schutz zu stellen – ein Riesenregenschirm,<br />

der nicht nur alle existenziellen Gefahren<br />

und individuellen Lebenskrisen abwettert, sondern<br />

unter dessen Schirm-Herrschaft auch eine historisch<br />

beispiellose Komfortzone erblüht ist, ein üppig pran-<br />

gendes Wohlstandsparadies, in dem Pflicht und Fleiß<br />

und Feierabend florieren und in dem die Deutschen<br />

ihren einmal erworbenen Status hegen: Gärtner in<br />

Eden, gesegnet mit einem grünem Daumen. So wie<br />

einst bei Adam und Eva besteht auch für die Deutschen<br />

heute das Tagwerk vor allem darin, den Überfluss<br />

zu pflücken und die Fülle zu pflegen.<br />

Was für eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet<br />

der Sämann des deutschen Prosperitätsparadieses<br />

den real existierenden Sozialstaat wie eine<br />

Hölle vorgestellt hat! Die Regenschirm-Wohlfahrt war<br />

für Ludwig Erhard, den „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“,<br />

das Werk eines paternalistischen<br />

Teufels, der „die menschliche Verantwortung erschlaffen<br />

und die individuelle Leistung absinken<br />

lässt“. Erhards Utopie der sozialen Marktwirtschaft<br />

entwarf dagegen eine entproletarisierte Gesellschaft<br />

emsiger Eigentumsbürger, die sich dank Wettbewerbsordnung<br />

und Wirtschaftswachstum maßgeschneiderte<br />

Privatregenschirme leisten können. Mit<br />

deren Kauf sollten sich die Deutschen zugleich das<br />

individuelle Glück erwerben, von Schlechtwetterphasen<br />

unabhängig, also ausdrücklich nicht auf<br />

staatliche Riesenregenschirme angewiesen zu sein!<br />

GOLDENES GEHEGE<br />

Nähme man Erhard beim Wort, müsste man die sieben<br />

deutschen Nachkriegsjahrzehnte nicht als Erfolgs-,<br />

sondern als große Verfallsgeschichte beschreiben.<br />

Das deutsche Paradies erschiene als goldenes<br />

Gehege, in das wir uns von einem paternalistischen<br />

Staat wie willenlose, mit regierungsamtlichem<br />

Optimismus geimpfte Herdentiere haben einpferchen<br />

lassen – ein Paradies, das wegen sozialstaatlicher<br />

Überdüngung vorübergehend wächst und wuchert,<br />

dessen Böden aber ausgelaugt sind, immer weniger<br />

Ertrag abwerfen und zuletzt verwüsten werden.<br />

Bedrohtes Paradies? Ach was! „Nie zuvor hatten so<br />

viele Menschen so große Lebenschancen wie heute“,<br />

sagte der große liberale Soziologe Ralf Dahrendorf<br />

»<br />

Verfallsgeschichte<br />

Deutschlands Unternehmen<br />

fahren ihre<br />

Investitionen hierzulande<br />

seit Jahren<br />

zurück. Der Kapitalstock<br />

veraltet, das<br />

langfristige Wachstumspotenzial<br />

sinkt.<br />

Ausrüstungsinvestitionen in<br />

Prozent des BIPs<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6 <strong>19</strong>70 2013<br />

Quelle:Destatis<br />

ILLUSTRATIONEN: TIM MCDONAGH; DMITRI BROIDO<br />

18 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 <strong>19</strong><br />

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Paradies Deutschland<br />

»<br />

Zahl der registrierten<br />

Arbeitslosen in Millionen<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2 <strong>19</strong>91 2013<br />

Quelle:Sachverständigenrat<br />

Deutsche Warenexporte<br />

in Billionen Euro<br />

1,2<br />

1,0<br />

0,8<br />

0,6<br />

0,4<br />

0,2 <strong>19</strong>91 2013<br />

Quelle: Sachverständigenrat<br />

Menschen über 65<br />

Deutschlands Bevölkerung<br />

altert. Für<br />

die nachwachsende<br />

Generation steigt die<br />

Finanzierungslast –<br />

es sei denn, sie kündigt<br />

den Generationenvertrag<br />

durch<br />

Auswanderung auf.<br />

Über 65-Jährige in Prozent<br />

der 20- bis 64-Jährigen<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10 <strong>19</strong>50 2011 2060<br />

ab 2011 Prognose;<br />

Quelle: Sachverständigenrat<br />

einmal, und tatsächlich:Die Spielräume aller Deutschen<br />

haben sich durch Wirtschaftswachstum und Sozialstaatsausbau,<br />

Globalisierung, Wiedervereinigung<br />

und europäische Integration ins historisch Beispiellose<br />

vergrößert. Nie war es hierzulande leichter, seines<br />

Glückes Schmied zu sein, seine Selbstverwirklichung<br />

auf die Spitze zu treiben, einen von Krisen und Kriegen<br />

unbeeinflussten, glückenden Roman seines Lebens zu<br />

schreiben. Jeder Schulabbrecher erhält heute eine<br />

zweite und dritte Chance. Jeder Realschüler kann<br />

sich zum Akademiker weiterbilden, jeder Student zwei<br />

Semester in Paris oder Budapest einlegen, jeder Hochschulabsolvent<br />

in Australien oder Indien erste Berufserfahrungen<br />

sammeln. Deutschland ist fest verwurzelt<br />

in Europa. 57 Prozent unserer Ausfuhren gehen in<br />

Länder der EU, unser Handelsvolumen mit den Niederlanden,<br />

Polen und Tschechien ist größer als unser<br />

Warenaustausch mit den USA und China. Wir genießen<br />

sechs Wochen Urlaub im Jahr, können täglich<br />

Flugananas, Sushi oder Bioschwein essen, kaufen im<br />

Internet nur TÜV-geprüfte Sicherheitsprodukte und<br />

radeln sonntags an garantiert sauberen Seen und Flüssen<br />

entlang. Für eine neue Waschmaschine arbeiten<br />

wir im Schnitt nicht länger als drei Tage (<strong>19</strong>60: 27 Tage),<br />

für zehn Eier bloß acht Minuten (<strong>19</strong>60: 51 Minuten).<br />

Nur noch knapp 15 Prozent unseres Haushaltsbudgets<br />

geben wir für Nahrungsmittel aus, <strong>19</strong>80 waren<br />

es 20 Prozent, <strong>19</strong>70 sogar 25 Prozent. Der Rest ist Schöner<br />

Wohnen, Mode, Unterhaltung, Reisen.<br />

Weltniveau erreicht Deutschland dabei vor allem<br />

dank seiner Bürokratie und Provinzialität. Weil hier<br />

alles seinen (vorschriftsmäßigen) Gang geht. Und<br />

weil wir in der Breite Spitze sind, in Maß und Mitte<br />

Meister. Personengeführte Unternehmen aus Freiberg<br />

und Tuttlingen sichern unseren Wohlstand, Universitäten<br />

in Gießen und Greifswald, Fachhochschulen<br />

in Mönchengladbach und Merseburg. Es gibt in<br />

Bayreuth einen Lehrstuhl für die afrikanischen Bantu-<br />

und Gursprachen und in Zwickau einen Diplomstudiengang<br />

Gebärdendolmetschen, in Weil am<br />

Rhein ein Design-Museum, in Meiningen und Detmold<br />

zwei von 140 öffentlichen Theatern und bundesweit<br />

7230 Opernaufführungen pro Saison – mehr<br />

als in den USA, Russland, Frankreich, Italien und<br />

Großbritannien insgesamt. Kurzum, „Deutschland ist<br />

zivilisiert, frei, wohlhabend, gesetzestreu, bescheiden<br />

und umsichtig“, fasst es der britische Historiker Timothy<br />

Garton Ash trefflich zusammen: ein Land, in dem<br />

die „Banalität des Guten“ herrscht.<br />

Die ganze Welt schaut voller Bewunderung auf<br />

Berlin. Der britische Rundfunksender BBC hat vor<br />

knapp einem Jahr 26 000 Menschen in 25 Ländern<br />

gefragt, welche Nation einen besonders positiven<br />

Einfluss auf globale Entwicklungen hat – Deutschland<br />

landete auf Rang eins. Dabei wird die antiimperiale<br />

Außenpolitik der Bundesrepublik genauso geschätzt<br />

wie ihre globalpolitische Vorreiterrolle in Klimafragen<br />

und ihre ökonomische Solidität. Deutschland<br />

hat die schwerste Weltwirtschaftskrise seit <strong>19</strong>45<br />

fast unbeschadet überstanden. Während die Schulden<br />

in den USA ins Unermessliche wachsen, sich in<br />

China eine massive Kreditkrise ankündigt und in Europa<br />

Massenarbeitslosigkeit um sich greift, sprach<br />

der Internationale Währungsfonds vergangene Woche<br />

mit Blick auf Deutschland nur von erfreulichen<br />

„Aufwärtsrisiken“: Alles deute darauf hin, dass man<br />

seine ohnehin günstige Wachstumsprognose für<br />

Deutschland (1,7 Prozent) nach oben korrigieren<br />

müsse. Stabiler Arbeitsmarkt, steigende Binnennachfrage,<br />

mehr Verbrauchervertrauen, eine anziehende<br />

Kreditvergabe und das allmähliche Wiederaufblühen<br />

der Investitionen – die Bravo-Liste ist beeindruckend<br />

lang.<br />

KONJUNKTUR LÄUFT RUND<br />

Kein Wunder, dass die deutsche Politik vor Selbstzufriedenheit<br />

platzt. „Wir können uns das leisten“, sagte<br />

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)<br />

vergangene Woche im Bundestag mit Blick auf das bis<br />

zu 230 Milliarden Euro schwere Rentenpaket der großen<br />

Koalition – und legte für 2015 stolz den ersten<br />

(fast) ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 45 Jahren<br />

vor. Tatsächlich scheinen die jüngsten Eckdaten<br />

Schäubles Füllhorn-Erzählung zu bestätigen.<br />

Deutschlands Ausfuhren lagen im Februar um 4,6<br />

Prozent höher als im Vorjahresmonat. Gleichzeitig<br />

übersprang die Zahl der Erwerbstätigen zum ersten<br />

Mal in der Geschichte die saisonbereinigte Marke von<br />

42 Millionen. Die Arbeitslosenquote hat sich seit zwei<br />

Jahren bei moderaten sieben Prozent eingependelt,<br />

die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit knapp sechs Prozent<br />

noch darunter. In Bayern (3,5 Prozent) und Baden-Württemberg<br />

(2,9 Prozent) herrscht unter den<br />

unter 25-Jährigen beinahe Vollbeschäftigung. Als sei<br />

das alles noch nicht genug, wird Deutschland auch<br />

noch von der Industrieländer-Organisation OECD<br />

dafür gelobt, dass in keinem Land der Anteil der<br />

Langzeitarbeitslosen stärker zurückgegangen sei. Alles<br />

läuft rund. Warum sollte sich daran etwas ändern?<br />

Ja, warum eigentlich? Bleibt die Apokalypse aus Sozialstaatskollaps,<br />

Schuldentod und demografischer<br />

Zeitbombe, die uns liberale Politiker und Forscher<br />

seit Jahrzehnten prophezeien, nicht seit Jahrzehnten<br />

schon verlässlich aus? Die Unternehmen überweisen<br />

dem Staat in diesem Jahr mit 120,1 Milliarden Euro<br />

mehr als 30 Prozent mehr Steuern als noch 2009. Aber<br />

kündet das nun von einem gefräßigen Staat – oder<br />

doch eher von der blendenden Gesundheit unserer<br />

Wirtschaft? Die Energiepreise in Deutschland liegen<br />

um 40 Prozent über denen in Frankreich und den<br />

Niederlanden, gewiss. Aber ist das nur ein Wettbewerbsnachteil<br />

– oder nicht doch auch ein Anreiz, der<br />

Konkurrenz in puncto Effizienz ständig einen Schritt<br />

voraus zu sein? Die USA jedenfalls benötigen doppelt<br />

so viel Erdöl pro Wertschöpfungseinheit wie<br />

Deutschland. Der Altenquotient – also der Anteil von<br />

älteren Menschen über 65 im Vergleich zu den 20- bis<br />

64-Jährigen – steigt bis 2030 in Deutschland auf 51,4<br />

Prozent (2011: 33,7 Prozent; <strong>19</strong>60: 18 Prozent), sicher.<br />

Aber droht der demografische Wandel wirklich unse-<br />

ILLUSTRATIONEN: TIM MCDONAGH; DMITRI BROIDO<br />

20 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Deutschlands Schuldenberg<br />

beträgt alles in allem bereits<br />

5000 Milliarden Euro<br />

re Sozialkassen zu sprengen – oder ist die Altenrepublik<br />

nicht eine frohe Botschaft für den Arbeitsmarkt?<br />

In den nächsten zwei Jahrzehnten gehen die geburtenstarken<br />

Jahrgänge in Rente; die Unternehmen<br />

werden Fachkräfte suchen und die Grundschüler von<br />

heute sich gute Jobs aussuchen können. Höhere Löhne,<br />

mehr Produktivität, bessere Produkte, steigende<br />

Rentenbeiträge: Auch im Paradies kann man sich die<br />

Zukunft immer noch paradiesischer vorstellen.<br />

So geht das schon seit 40 Jahren. Die Politik redet<br />

sich das Land schön und bringt desto mehr Dünger<br />

im Garten Eden aus, je weniger es auf naturökonomischem<br />

Wege in ihm wächst und gedeiht. Denn tatsächlich<br />

sind die Quellen des Paradieses seit den Siebzigerjahren<br />

vergiftet – seit Deutschland nicht mehr im<br />

Schwellenland-Tempo wächst und die Finanzmärkte<br />

zum Vehikel einer Politik verkommen sind, die nicht<br />

Wohlstand aus erwirtschaftetem Kapital, sondern<br />

Wohlstandsillusionen aus Schulden generiert. In der<br />

vergangenen Dekade ist die deutsche Wirtschaft um<br />

durchschnittlich ein Prozent „gewachsen“ – auf Kosten<br />

von mehr als 300 Milliarden Euro Neuverschuldung.<br />

Drückt ein solches „Wachstum“ wirklich noch<br />

ökonomische Gesundheit aus? Allein die Verbindlichkeiten<br />

des Bundes betragen mittlerweile rund 1300<br />

Milliarden Euro. Zu ihrer Tilgung überweisen die<br />

Deutschen den Banken jährlich 30 Milliarden – bei<br />

historisch niedrigen Zinsen, wohlgemerkt. Stiege der<br />

Preis des Geldes auch nur um einen mickrigen Prozentpunkt<br />

an, schlüge das im Haushalt mit 13 Milliarden<br />

zu Buche – und Schäuble könnte seinen ausgeglichenen<br />

Etat wieder einpacken. Und das ist noch der<br />

angenehmste Teil der Schulden-Wahrheit. Rechnet<br />

man die Obligationen der Bundesländer, die künftigen<br />

Pensions- und Rentenansprüche der geburtenstarken<br />

Jahrgänge sowie die steigenden Gesundheitsund<br />

Pflegekosten mit ein, belaufen sich Deutschlands<br />

Schulden nach Projektionen des Finanzwissenschaftlers<br />

Bernd Raffelhüschen bereits auf 5000 Milliarden<br />

Euro. Geht noch dazu der Euro zu Bruch, kann Schäuble<br />

nach Berechnungen des ifo Instituts weitere 374<br />

Milliarden Minus einbuchen.<br />

Angesichts solcher Zahlen davon zu sprechen,<br />

Deutschland könne sich das „Rentenpaket“ der großen<br />

Koalition leisten, ist mindestens frivol. Noch viel<br />

frivoler ist, dies im Namen der sozialen Gerechtigkeit<br />

zu tun. Bereits als der damalige Wirtschaftsminister<br />

Otto Graf Lambsdorff (FDP) <strong>19</strong>82 den Vorschlag<br />

machte, ein paar besonders ausladende Zweige des<br />

Sozialstaates zu stutzen, schwante ihm, dass eine solche<br />

Politik „als unsozial diffamiert“ würde. Dabei gäbe<br />

es heute wie damals keine sozialere Politik als die,<br />

die sich ernsthaft einer Lösung der öffentlichen Finanzierungsprobleme<br />

verschreiben würde. Die<br />

auf steigende Zinsen und restriktive Geldpolitik setzt<br />

und mit dem vorsichtigen Umbau eines Sozialstaates<br />

beginnt, der nicht mehr alle Lebensrisiken absichert,<br />

wohl aber den Aufbau von Eigentum prämiert:Eigentum,<br />

das seinen Besitzern nicht nur materiellen<br />

Schutz bietet, sondern ihnen auch als mentale Kraftquelle<br />

nützlich ist. Es ist schließlich kein Naturgesetz,<br />

dass der Sozialstaat unsere Gesundheit (300 Milliarden<br />

Euro) und unser Alter (250 Milliarden Euro) absichert<br />

und Familien mit Kindergeld und Elterngeld<br />

(knapp 50 Milliarden Euro) dafür beschenkt, Familien<br />

zu sein. Der Riesenregenschirm wird schrumpfen<br />

müssen. Sonst werden sich am Ende nicht mal mehr<br />

die Invaliden von ihm beschützt fühlen, die tatsächlich<br />

von seiner Protektion abhängig sind – und für die<br />

er heute gerade mal 60 Milliarden Euro lockermacht.<br />

PROBLEME VERTAGT UND VERSCHOBEN<br />

Wird die Politik die Kraft dazu aufbringen – und das<br />

Paradies zukunftsfest machen? Wenig spricht dafür.<br />

Schließlich hat sie sich exakt das Geschäftsmodell zu<br />

eigen gemacht, für das sie die Finanzmärkte zu Recht<br />

kritisiert: So wie in Frankfurt Kredite nicht mehr zurückgezahlt,<br />

sondern verbrieft, verbreitet und versteckt<br />

werden, werden in der Politik Finanzprobleme<br />

nicht mehr gelöst, sondern verschoben, vertagt, zum<br />

Verschwinden gebracht – bis sie dereinst durch die<br />

normative Kraft des Faktischen auf der Tagesordnung<br />

landen. Die umlagefinanzierte Rente etwa ist faktisch<br />

längst bankrott. Die „stabilen Beiträge“ werden einerseits<br />

durch einen jährlichen Steuerzuschuss (Ökosteuer,<br />

Mehrwertsteuer) in Höhe von rund 80 Milliarden<br />

Euro erzielt, andererseits durch ein sinkendes<br />

Rentenniveau, das einem Durchschnittsrentner nach<br />

45 Beitragsjahren 2030 nur noch 43,7 Prozent seines<br />

Einkommens sichert (<strong>19</strong>84: 58,1 Prozent). Auch die<br />

Schuldenproblematik ist praktisch nicht mehr in den<br />

Griff zu bekommen. Graf Lambsdorff hat in den Achtzigerjahren<br />

vielleicht noch darauf hoffen dürfen, mit<br />

Steuersenkungen ein Wirtschaftswachstum zu ent-<br />

»<br />

Niedrige Zinsen<br />

Der Anteil der Zinsausgaben<br />

am Bundeshaushalt<br />

ist bis<br />

zur Jahrtausendwende<br />

rasant gestiegen.<br />

Der anschließende<br />

Rückgang ist in<br />

erster Linie das Ergebnis<br />

der Niedrigzinspolitik<br />

der EZB.<br />

Zinsausgaben des Bundes in<br />

Prozent des Bundeshaushalts<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0 <strong>19</strong>70 2013<br />

Quelle: BMF<br />

Schulden<br />

Die Geldschöpfung<br />

der Banken aus dem<br />

Nichts hat es dem<br />

Staat erlaubt, immer<br />

mehr Schulden<br />

aufzunehmen. Die<br />

Zinsen dafür müssen<br />

künftige Generationen<br />

bezahlen.<br />

Staatsschulden in Prozent<br />

des BIPs<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0 <strong>19</strong>70 2013<br />

Quelle: BMF<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 21<br />

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Paradies Deutschland<br />

» fachen, dessen Erträge von morgen die Ausfälle<br />

von heute übertreffen würden. Eine solche Hoffnung<br />

gibt es heute nicht mehr. Die Schulden sind schlicht<br />

Staatsausgaben zu hoch. Sie lassen sich nicht mehr durch Wachstum,<br />

schon gar nicht durch höhere Steuern, allen-<br />

Der Ausbau des<br />

Wohlfahrtsstaates in falls noch durch steigende Preise einholen. Eine Inflation<br />

von vier, fünf Prozent aber verzehrt nicht nur<br />

den Siebzigerjahren<br />

hat die Staatsausgaben<br />

in die Höhe Geldvermögen seiner Bürger. Die Möglichkeiten der<br />

die Verbindlichkeiten des Staates, sondern auch die<br />

getrieben. Derzeit Selbstvorsorge schwinden, die Abhängigkeit <strong>vom</strong><br />

fließen 44 Prozent „Kolossalvormund Staat“ (Wilhelm Röpke) wächst<br />

des Bruttoinlandsprodukts<br />

durch die senregenschirm der „sozialen Gerechtigkeit“ wer-<br />

weiter – und die Ausbauarbeiten der Politik am Rie-<br />

Hände des Staates. den sich fortsetzen. Pflegezeiten, Mietpreisbremsen,<br />

Die wohlhabendere Energiezuschüsse – es gibt nichts im (Schein-)Paradies<br />

Deutschland, von dem die Politik annimmt, es<br />

Schweiz kommt mit<br />

einer Staatsquote nicht noch (schein-)paradiesischer gestalten zu<br />

von 33 Prozent aus. können.<br />

Die schädliche Betriebsamkeit der Politik geht dabei<br />

paradoxerweise Hand in Hand mit ihrer schädli-<br />

Staatsausgaben in Prozent<br />

des BIPs<br />

chen Tatenlosigkeit: Ihre Bereitschaft, jeden Anspruch<br />

auf Gestaltung aufzugeben, wächst komple-<br />

60<br />

mentär zu ihrer Neigung, die News-Oberfläche<br />

50<br />

möglichst intensiv zu bearbeiten. Bundeskanzlerin<br />

40<br />

Angela Merkel (CDU) hat es in beiden Disziplinen<br />

zu großer Meisterschaft gebracht. Ihre Führung erschöpft<br />

sich mit situativer, ideell anspruchsloser,<br />

30<br />

bestenfalls pragmatisch-professioneller Politik nach<br />

20 <strong>19</strong>70 2013<br />

Vorschrift und Geschäftsordnung. In der prozessualen<br />

Begleitung des Tagesaktuellen und in der nachsorgenden<br />

Bearbeitung aktuell anfallender Dring-<br />

Quelle:BMF<br />

lichkeiten hat sie ihre stärksten Stunden. Ein gesellschaftliches<br />

Leitbild jedoch, ein ordnendes Ziel, der<br />

Wille zu einer konzeptionellen, nachhaltigen Politik<br />

– das alles fehlt Merkel. Sie ist die Kanzlerin, die dem<br />

Lauf der Dinge hinterheramtiert, um sich stets auf<br />

der Höhe der gegenwärtigen Mehrheitsmeinung zu<br />

befinden.<br />

VERFÜHRERISCHE BERLINER SCHEINWELT<br />

Entsprechend lesen sich Wahlanalysen der CDUnahen<br />

Konrad-Adenauer-Stiftung wie entschiedene<br />

Aufforderungen zur Unentschlossenheit. „Langfristige<br />

Orientierungen spielen insgesamt eine untergeordnete<br />

Rolle“, heißt es da, „kurzfristige... Verstimmungen<br />

und Enttäuschungen hingegen eine große“.<br />

Merkel hat daraus den Schluss gezogen, sich möglichst<br />

unauffällig zu verhalten, im Strom der Gegenwart<br />

mitzuschwimmen – und aus Stimmungen<br />

Stimmen zu extrahieren. Wenn in einer Umfrage des<br />

Marktforschungsinstituts Rheingold vor der Bundestagswahl<br />

81 Prozent der Deutschen angeben, soziale<br />

Gerechtigkeit solle das primäre Ziel der neuen<br />

Regierung sein, führt Merkel eben keine Diskussion<br />

darüber, was die Deutschen sich vielleicht besser<br />

unter „Gerechtigkeit“ vorzustellen hätten, sondern<br />

Mietpreisbremsen und Mütterrenten ein. Anders<br />

gesagt: Merkels Regieren erschöpft sich darin, eine<br />

verführerisch heile Scheinwelt im Großen und Ganzen<br />

auf sich beruhen zu lassen, um sie mit Blick auf<br />

81 Prozent der Deutschen<br />

halten soziale Gerechtigkeit<br />

für ein primäres Regierungsziel<br />

direktdemoskopische Erfolge im Kleinen und Konkreten<br />

ständig aufhübschen zu können.<br />

Begünstigt wird Merkels weichzeichnende Statusquo-Politik<br />

von der Beschleunigung des News-Geschäfts.<br />

Journalisten müssen heute auch in Echtzeit<br />

twittern, bloggen, facebooken – mit der Folge, dass<br />

man sich viele Redakteure heute nicht mehr als nachrichtenfilternde<br />

Analysten des Weltgeschehens vorzustellen<br />

hat. Im Bereich des politischen Journalismus<br />

profitieren davon vor allem die scheinbar Handelnden<br />

– weil eine nominell „tätige“ Bundesregierung<br />

kaum noch an der Lösung komplexer Probleme<br />

gemessen, sondern für die Bearbeitung offensichtlicher<br />

Gegenwartsphänomene prämiert wird.<br />

So diskutieren wir leidenschaftlich über Teilzeitarbeit,<br />

Frauenquoten, die Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf, den neuen Mann und petrischal erzeugte<br />

Kinder, echauffieren uns über Hoeneß, Wulff und<br />

Schwarzer, schauen abends, in der Halbzeit der<br />

Champions League, leicht betroffen und erleichtert<br />

zugleich, mal eben in Syrien und auf der Krim vorbei.<br />

Allein das Unwichtige <strong>vom</strong> Wichtigen zu trennen fällt<br />

uns immer schwerer. Die Wahrheit ist, dass „die Politik“<br />

und ihre Aufbereitung längst zum Anhängsel einer<br />

popkulturellen Unterhaltungsindustrie geworden<br />

sind, die sich durch multimediale Massenmenschhaltung,<br />

den flächendeckenden Einsatz von Erregungshormonen<br />

und die effiziente Verarbeitung von<br />

Informationsresten auszeichnet. In einer Mediendemokratie<br />

aber, in der die augenblickliche Welt die<br />

Welt selbst ist, spielt es keine Rolle, ob es das Paradies<br />

Deutschland wirklich gibt oder nicht, ob es gefährdet<br />

ist und womöglich warum – solange wir uns den Aufenthalt<br />

im Paradies laufend genug bestätigen. n<br />

ILLUSTRATIONEN: TIM MCDONAGH; DMITRI BROIDO<br />

22 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Paradies Deutschland<br />

Bleibt Deutschland auf Kurs?<br />

STREITGESPRÄCH | Marcel Fratzscher und Hans-Werner Sinn diskutieren über Mindestlohn, Rentenreform,<br />

Gefahren für den Standort und über die Frage, ob die Euro-Rettung Erfolge vorweisen kann.<br />

DER WACHSTUMS-PREDIGER<br />

Fratzscher, 43, ist seit Februar 2013 Präsident des Deutschen Instituts<br />

für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und Professor für Makroökonomie<br />

und Finanzen an der Humboldt-Universität. Von 2001<br />

bis 2012 arbeitete er bei der Europäischen Zentralbank (EZB), zuletzt<br />

als Leiter der Abteilung für wirtschaftspolitische Analysen.<br />

DER REFORM-EIFERER<br />

Sinn, 66, ist seit Februar <strong>19</strong>99 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

in München und Professor für Nationalökonomie<br />

und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität. Darüber<br />

hinaus ist er Fellow des National Bureau of Economic Research<br />

Cambridge (USA).<br />

Herr Professor Sinn, Herr Professor Fratzscher,<br />

jahrelang galt Deutschlands Standortqualität<br />

als beispielhaft. Jetzt aber<br />

steigen Energiepreise und Löhne kräftig.<br />

Sind wir dabei, unsere Wettbewerbsfähigkeit<br />

aufs Spiel zu setzen?<br />

Fratzscher: Deutschland steht im internationalen<br />

Vergleich gut da. Dank der starken<br />

Exportindustrie haben wir die Finanzkrise<br />

relativ glimpflich überstanden. Die Ausfuhren<br />

werden auch in Zukunft eine wichtige<br />

Stütze unserer Wirtschaft bleiben. Allerdings<br />

haben die großen Dax-Konzerne<br />

im vergangenen Jahr knapp 36 000 neue<br />

Arbeitsplätze im Ausland geschaffen, aber<br />

nur 6000 neue Jobs in Deutschland. Aus<br />

Sicht der Unternehmen mag dies klug sein,<br />

um ihr geografisches Risiko zu diversifizieren<br />

und Marktchancen zu nutzen. Dem<br />

Standort Deutschland aber drohen Nachteile,<br />

wenn die einheimischen Investitionen<br />

lahmen und der Standort im internationalen<br />

Vergleich zurückfällt.<br />

Sinn: Die Beschlüsse zum Mindestlohn<br />

werden die gesamte Lohnskala hochdrücken<br />

und Deutschland wieder in eine reale<br />

Aufwertung treiben, weil die Gewerkschaften<br />

und die Marktkräfte versuchen werden,<br />

die alten Lohnabstände zu verteidigen. Damit<br />

wird die mühsam errungene Wettbe-<br />

werbsfähigkeit wieder gefährdet. Das ist in<br />

gewisser Weise zwar nötig, wenn der Euro<br />

überleben soll. Deutschland ist zu billig im<br />

Vergleich zu den anderen Ländern der<br />

Euro-Zone, aber…<br />

Verstehen wir Sie richtig: Kräftige Lohnerhöhungen<br />

hierzulande sind gut, weil sie<br />

den Euro zusammenhalten?<br />

Sinn: …aber es kommt auf den Grund für<br />

die Lohnerhöhungen an. Setzt der Staat die<br />

Löhne hoch, droht eine Stagflation, also eine<br />

Kombination von Stagnation und Inflation.<br />

Das strahlt dann auch auf die Krisenländer<br />

ab, weil diese weniger Produkte<br />

nach Deutschland liefern können. Steigen<br />

FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

24 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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die Löhne dagegen als Reaktion auf eine<br />

Erhöhung der Nachfrage nach Arbeitskräften,<br />

geht das in Ordnung. Deutschland benötigt<br />

eine nachfragegetriebene Inflation,<br />

die von einem Investitionsboom ausgelöst<br />

wird. Ein solcher Boom findet oder fand ja<br />

statt. Die Sparer trauen sich nicht mehr aus<br />

Deutschland heraus und flüchten in deutsches<br />

Betongold, was einen Bauboom ausgelöst<br />

hat. Aber die europäische Politik tut<br />

leider alles, die Ersparnisse wieder aus<br />

Deutschland herauszulocken zu Orten, wo<br />

es eigentlich nicht mehr hinwill.<br />

Fratzscher: Deutschland ist nicht zu billig<br />

im Vergleich zu den anderen Ländern der<br />

Euro-Zone. Deutsche Unternehmen stehen<br />

mehr mit Unternehmen aus den USA,<br />

Südkorea und Japan im Wettbewerb als mit<br />

Unternehmen aus Portugal oder Spanien.<br />

Zudem sollten wir die Frage der Wettbewerbsfähigkeit<br />

nicht allein auf die preisliche<br />

Dimension verengen. Deutschland ist<br />

nicht erfolgreich, weil es billig ist, sondern<br />

weil unsere Unternehmen mit qualitativ<br />

hochwertigen Produkten Nischen auf dem<br />

Weltmarkt besetzen.<br />

Davon haben die Arbeitnehmer hierzulande<br />

kaum etwas gespürt, die Reallöhne<br />

sind jahrelang gesunken.<br />

Fratzscher: Ein Grund dafür ist unsere geteilte<br />

Wirtschaft. Auf der einen Seite gibt es<br />

die sehr produktiven und exportstarken<br />

Branchen wie die Autoindustrie, den Maschinenbau<br />

und die Chemieindustrie, wo<br />

die Unternehmen sehr gute Löhne zahlen.<br />

Auf der anderen Seite stehen viele Dienstleistungssektoren,<br />

die wenig investieren<br />

und deren Produktivität niedrig ist. Dort<br />

stagnieren die Löhne zum Teil schon seit<br />

Jahren. Das ist eine Enttäuschung.<br />

Sinn: Was Sie als Enttäuschung bezeichnen,<br />

war die Voraussetzung für die Beschäftigungsgewinne<br />

der vergangenen<br />

Jahre. Vor zehn Jahren hatten wir in<br />

Deutschland eine zu geringe Lohnspreizung<br />

und waren Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit<br />

von gering Qualifizierten.<br />

Das hat sich durch die Agenda 2010 geändert.<br />

Die rot-grüne Regierung unter Gerhard<br />

Schröder hat die Arbeitslosenhilfe für<br />

mehr als zwei Millionen Menschen auf das<br />

niedrigere Sozialhilfeniveau gesenkt. Dadurch<br />

waren die Menschen bereit, auch zu<br />

niedrigeren Löhnen zu arbeiten, und zu<br />

niedrigeren Löhnen wurden mehr Jobs geschaffen.<br />

Anders als befürchtet hat dies die<br />

Einkommensverteilung nicht ungleicher<br />

gemacht, denn wer nicht genug verdient,<br />

kann Zuschüsse aus öffentlichen Kassen<br />

beanspruchen. So haben wir es geschafft,<br />

gering Qualifizierte in den Arbeitsmarkt zu<br />

integrieren und ihr Existenzminimum zu<br />

sichern. Die Bundesregierung betreibt die<br />

Rückabwicklung der Agenda.<br />

Fratzscher: Da widerspreche ich Ihnen entschieden.<br />

Höhere Löhne bedeuten nicht<br />

zwingend mehr Arbeitslosigkeit. Investitionen<br />

und eine dynamische Produktivität führen<br />

sowohl zu höheren Löhnen als auch zu<br />

mehr Beschäftigung, auch für die Arbeitnehmer<br />

mit geringen Einkommen. Genau<br />

darum muss es auch der Wirtschaftspolitik<br />

gehen, und deshalb sollten wir den Mindestlohn<br />

nicht in Bausch und Bogen verdammen.<br />

Derzeit verdienen rund 4,5 Millionen<br />

Menschen weniger als 8,50 Euro in<br />

der Stunde. Studien zufolge könnte der Mindestlohn<br />

rund 200000 Arbeitsplätze vernichten,<br />

auch wenn Vorsicht geboten ist,<br />

denn es kann keine zuverlässige Prognose<br />

geben. Für diese Betroffenen ist das eine<br />

Tragödie. Die Politik hat sich jedoch entschieden,<br />

dass ihr die Einkommenszuwächse<br />

für die restlichen 4,3 Millionen wichtiger<br />

ist. Ich habe für eine vorsichtigere und differenzierte<br />

Ausgestaltung des Mindestlohns<br />

plädiert. Nun sollten wir jedoch die politische<br />

Entscheidung akzeptieren und versuchen,<br />

zumindest die Risiken zu minimieren.<br />

Sinn: Ich weiß nicht, woher Sie die Schätzung<br />

nehmen, dass der Mindestlohn nur<br />

200 000 Jobs kostet. Andere Berechnungen<br />

deuten eher auf Arbeitsplatzverluste von<br />

900 0000 hin. Bundesweit trifft der Mindestlohn<br />

14 bis 15 Prozent der Arbeitnehmer,<br />

in den neuen Bundesländern sogar 20<br />

Prozent. In ein paar Jahren wird man diejenigen<br />

verdammen, die ihn heute einführen.<br />

Wir schaffen uns wieder ein Proletariat,<br />

das Sozialhilfe-Karrieren von Generation<br />

zu Generation vererbt.<br />

Fratzscher: Sie tun so, als hätten wir keine<br />

Möglichkeiten, die Risiken des Mindestlohns<br />

für die Arbeitsplätze zu begrenzen.<br />

Das Gros der Menschen, die heute weniger<br />

als 8,50 Euro verdienen, hat keinen Berufsabschluss<br />

oder eine unzureichende Ausbildung.<br />

Zudem muss die Politik handeln, um<br />

Ausweichreaktionen in Minijobs, Scheinselbstständigkeit<br />

oder Schwarzarbeit zu bekämpfen.<br />

Wir sollten also nicht den Kopf in<br />

den Sand stecken, sondern an der Ausgestaltung<br />

arbeiten, um die Risiken zu reduzieren,<br />

auch wenn der Mindestlohn kurzfristig<br />

zweifelsohne Arbeitsplätze kosten wird.<br />

Sinn: Der davon ausgelöste Lohnschub<br />

wird flächendeckend sein. Im Übrigen geht<br />

es aber nicht nur um diejenigen, die schon<br />

einen Job haben. Derzeit sind rund drei<br />

Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos.<br />

Das sind drei Millionen zu viel. Ich<br />

hätte mir gewünscht, dass man auf dem<br />

Weg der Agenda 2010 noch einen Schritt<br />

weiter gegangen wäre und die Lohnzuschüsse<br />

erhöht hätte. Die Marktlöhne hät-<br />

»Die Rente<br />

mit 63<br />

dreht die<br />

Agenda<br />

2010<br />

zurück«<br />

ten sich dann noch weiter ausspreizen<br />

können, bis die Arbeitslosigkeit verschwunden<br />

ist. Jetzt hat die Regierung die<br />

Weichen in die andere Richtung gestellt.<br />

Wenn deutlich wird, dass der Mindestlohn<br />

Jobs vernichtet, wird man den Arbeitgebern<br />

Lohnzuschüsse gewähren, damit sie<br />

die Kosten des Mindestlohns nicht in vollem<br />

Umfang tragen müssen.<br />

Fratzscher: Sie gehen davon aus, dass die<br />

Märkte funktionieren und die Löhne die<br />

Produktivität der Arbeitskräfte widerspiegeln.<br />

Viele Unternehmen zahlen aber Löhne,<br />

die unter der Produktivität liegen. In<br />

diesen Fällen bewirkt der Mindestlohn,<br />

dass sich die Löhne der Produktivität annähern,<br />

ohne Arbeitsplätze zu gefährden. Zudem<br />

können die Unternehmen durch Investitionen<br />

die Produktivität ihrer Arbeitskräfte<br />

erhöhen. Eine Ausweitung staatlicher<br />

Transfers, wie Sie sie vorschlagen,<br />

kann keine langfristige Lösung sein, denn<br />

die Menschen, die ihr Lohneinkommen<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 25<br />

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Paradies Deutschland<br />

»<br />

mit staatlichen Transfers aufstocken,<br />

können auch davon keine vernünftige Altersvorsorge<br />

aufbauen, und die Altersarmut<br />

wird weiter steigen.<br />

Sinn: Dass die meisten Arbeitskräfte ihren<br />

Job trotz Mindestlohn behalten, heißt doch<br />

nicht, dass dieser unschädlich ist. Entscheidend<br />

sind die Grenzanbieter, also diejenigen,<br />

deren Produktivität unter dem<br />

Mindestlohn liegt. Die werden ihren Job<br />

verlieren und landen dann in der von Ihnen<br />

beklagten Altersarmut. Denen nutzt<br />

der höhere Lohn nichts, weil sie durch ihn<br />

ihren Job verlieren.<br />

Die Bundesregierung plant auch die Rente<br />

mit 63 und die Begrenzung der Zeitarbeit.<br />

Dagegen deregulieren Krisenländer wie<br />

Spanien ihre Arbeitsmärkte, um sich<br />

wieder fit zu machen. Wird Deutschland<br />

zum nächsten Spanien?<br />

Fratzscher: Die Zukunftschancen der<br />

deutschen Wirtschaft sind bei Weitem<br />

nicht so gut, wie viele dies glauben wollen.<br />

Unsere Wirtschaft ist in den vergangenen<br />

15 Jahren nur sehr gering und in den letzten<br />

beiden Jahren nur um 0,4 beziehungsweise<br />

0,7 Prozent gewachsen. In diesem<br />

Jahr dürfte die Rate bei knapp zwei Prozent<br />

liegen – eine Aufholreaktion nach zwei<br />

schwachen Vorjahren. Die gesamtwirtschaftliche<br />

Produktivität ist schon länger<br />

schwach, wir haben eine der niedrigsten<br />

Investitionsquoten weltweit. Daher ist es<br />

problematisch, wenn wir jetzt das Rad der<br />

Reformen vor allem in der Rentenpolitik<br />

zurückdrehen. Ohne die Reformen hätten<br />

wir bis 2017 rund 20 Milliarden Euro Überschüsse<br />

in den öffentlichen Kassen. Das<br />

Geld könnten wir gut für Investitionen in<br />

die Bildung sowie die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur<br />

gebrauchen.<br />

Sinn: Die staatliche Infrastruktur in<br />

Deutschland verkommt, die Nettoinvestitionen<br />

sind seit Jahren negativ. Nach Artikel<br />

115 Grundgesetz, der die Kreditaufnahme<br />

des Staates auf die Höhe der Investitionen<br />

begrenzt, hätten wir eigentlich gar keine<br />

Kredite mehr aufnehmen dürfen, sondern<br />

Schulden tilgen müssen. Wir vererben<br />

unseren Kindern einen mangelhaften<br />

Kapitalstock, hohe Staatsschulden und ungedeckte<br />

Forderungen aus der Euro-Rettung.<br />

Es zeigt sich, dass wir ein ausgewachsenes<br />

Demokratieproblem haben. Der<br />

Staat verteilt Geschenke an die älteren<br />

Wähler und vernachlässigt die Zukunft,<br />

weil die Kinder noch nicht wählen können.<br />

Es ist ein Konstruktionsfehler unseres Systems,<br />

dass die Eltern bei Wahlen kein<br />

Stimmrecht für ihre Kinder haben.<br />

Fratzscher: Wir sollten unsere Staatsfinanzen<br />

nicht schlechtreden. Verglichen mit<br />

anderen Industrieländern, hat Deutschland<br />

durchaus Konsolidierungserfolge vorzuweisen.<br />

Seit 2012 erwirtschaften wir<br />

Überschüsse im Staatshaushalt. Das Problem<br />

besteht darin, dass wir die Überschüsse<br />

zu wenig für Investitionen in die<br />

Zukunft und für zukünftige Generationen<br />

ausgeben. Wir sollten uns daher fragen,<br />

welche Staatsausgaben sinnvoll sind und<br />

welche nicht. Die Rente mit 63 und die<br />

Mütterrente hilft auch zu selten den Menschen,<br />

die am bedürftigsten sind.<br />

Sinn: Die Mütterrente ist durchaus berechtigt.<br />

Unser Rentensystem benachteiligt diejenigen,<br />

die Kinder großziehen und dafür<br />

auf eine kontinuierliche Erwerbsbiografie<br />

verzichten. Die Schaffenskraft unserer Kinder<br />

wird in unserem Rentensystem sozialisiert.<br />

Die Mütterrente reduziert das Ausmaß<br />

der Umverteilung zulasten der Mütter<br />

ein wenig und geht daher in die richtige<br />

Richtung. Die Rente mit 63 dagegen dreht<br />

die Agenda 2010 zurück und wird Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmer über die Beiträge<br />

Milliarden kosten. Das belastet die Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Wäre es nicht vernünftig, die staatliche<br />

Infrastruktur zu privatisieren, um den<br />

Staatshaushalt zu entlasten?<br />

Fratzscher: Ich sehe da durchaus Potenzial.<br />

Weltweit werden 75 Prozent der Verkehrsinfrastruktur<br />

privat finanziert. Wir<br />

hängen in Deutschland noch der Vorstellung<br />

an, der Staat müsse die Infrastruktur<br />

finanzieren. Angesichts der Schuldenbremse,<br />

die wir uns verordnet haben, müssen<br />

wir von dieser Vorstellung Abschied<br />

nehmen.<br />

Sinn: Ich halte die öffentlich-privaten Partnerschaften<br />

großenteils für Mogelpackungen.<br />

Dabei handelt es sich meistens um eine<br />

verdeckte Staatsverschuldung, weil der<br />

Staat für die Nutzung der Straße Leasingraten<br />

an das private Unternehmen zahlt, das<br />

die Straßen baut. Der Staat zahlt auf diese<br />

Weise mehr Zinsen, als wenn er sich direkt<br />

verschuldet, aber der optische Vorteil ist,<br />

dass er die Schulden nicht verbuchen<br />

muss.<br />

Private Unternehmen könnten aber auch<br />

mit einer Maut die Finanzierung selbst<br />

übernehmen.<br />

Sinn: Es spricht zwar viel für die Maut, aber<br />

sie allein kann die Kosten für den Bau von<br />

Straßen nicht decken. Um staatliche Zuschüsse<br />

wird man nicht umhinkommen.<br />

Private können Straßen nur bei Monopolpreisen<br />

rentabel betreiben. Die dürften<br />

aber kaum erwünscht sein.<br />

»Seit 2000<br />

haben wir<br />

400 Milliarden<br />

Euro<br />

im Ausland<br />

verloren«<br />

Fratzscher: Sie unterstellen, dass der Staat<br />

die öffentlichen Güter genauso effizient<br />

betreiben und produzieren kann wie private<br />

Anbieter. In der Realität gibt es aber viele<br />

öffentliche Güter, die von Privaten effizienter<br />

betrieben werden als <strong>vom</strong> Staat. Deshalb<br />

machen öffentlich-private Partnerschaft<br />

durchaus Sinn.<br />

Nicht nur beim Staat, auch bei den Unternehmen<br />

entwickeln sich die Investitionen<br />

zurück – und das schon seit den Siebzigerjahren,<br />

wenn wir die Phase der Einheit<br />

einmal weglassen. Wie kommt das?<br />

Fratzscher: Die deutschen Unternehmen<br />

verfügen zwar über riesige Finanzreserven,<br />

aber sie investieren nicht in Deutschland,<br />

weil die europäische Krise für eine große<br />

Verunsicherung sorgt. Aber auch die Rahmenbedingungen<br />

in Deutschland sind<br />

schwächer geworden: Die Verkehrsinfrastruktur<br />

wird schlechter, Fachkräfte sind<br />

rar, und kein Unternehmen weiß heute, ob<br />

in zwei Jahren seine Energiekosten um 10,<br />

20 oder 40 Prozent höher liegen werden.<br />

Das macht es enorm schwierig, zu planen,<br />

und setzt Anreize, eher im Ausland zu investieren.<br />

FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

26 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Sinn: 36 Prozent der deutschen Exporte gehen<br />

aber nur in die Euro-Zone. Ich stimme<br />

aber zu, dass Deutschland wieder viel<br />

mehr im Inland investieren sollte. Das<br />

Geld, das ins Ausland wanderte, kommt<br />

häufig nicht mehr zurück.<br />

Wie meinen Sie das?<br />

Sinn: Die Banken in Nordamerika haben<br />

es verstanden, mit getürkten Finanzprodukten<br />

den Sparern der Welt das Geld aus<br />

der Tasche zu ziehen. Die deutschen Landesbanken<br />

haben da irrsinnig viel Geld<br />

verbraten, aber auch die HRE und andere<br />

private Banken. Das war sinnlos investiertes<br />

Kapital, da ist man in irgendwelche Finanzfallen<br />

hineingetappt, und das Geld ist<br />

weg. Auf der anderen Seite haben wir auch<br />

in Europa viel Geld vergeudet. Wegen minimaler<br />

Zinsgewinne haben Banken und<br />

Versicherungen das Geld der deutschen<br />

Sparer in Südeuropa angelegt – und dieses<br />

Geld bekommen wir ebenfalls zu einem<br />

großen Teil nicht zurück – wir haben viele<br />

Hundert Milliarden Euro Abschreibungen<br />

auf unsere Auslandsforderungen vornehmen<br />

müssen. Diese Fehlallokation ist<br />

durch den Euro noch bestärkt worden, weil<br />

er den Anlegern das Gefühl vermittelt hat,<br />

dass in der Währungsunion Banken und<br />

Staaten nicht pleitegehen können.<br />

Fratzscher: Da bin ich 100-prozentig bei<br />

Ihnen. Seit 2000 haben wir 400 Milliarden<br />

Euro im Ausland verloren. Die Verantwortung<br />

dafür liegt jedoch in erster Linie bei<br />

uns Deutschen, und nicht bei anderen<br />

Ländern oder dem Euro. Zudem haben die<br />

europäischen Rettungsprogramme vor allem<br />

deutsches Vermögen geschützt.<br />

Sinn: Das war der Bail-out, den es eigentlich<br />

gar nicht hätte geben dürfen. Die ganze<br />

Rettungsarchitektur mit dem ESM und<br />

der Ankündigung der EZB, notfalls Staatsanleihen<br />

aufzukaufen, führt dazu, dass<br />

sich die Krisenländer noch weiter verschulden.<br />

Und das, ohne dass die Märkte<br />

nervös werden. Warum? Weil die Gemeinschaft<br />

dahintersteht. So lösen wir zwar für<br />

den Augenblick ein Problem, schaffen aber<br />

gleichzeitig ein viel größeres, das dann irgendwann<br />

nicht mehr beherrschbar ist.<br />

Wenn es dann knallt, knallt es richtig.<br />

Fratzscher: Mitte 2012 ist es uns gelungen,<br />

die Abwärtsspirale in den Krisenländern<br />

umzudrehen. Die Finanzmärkte haben sich<br />

beruhigt, die Volkswirtschaften erholen<br />

sich langsam. Die meisten Länder haben ihre<br />

Hilfsprogramme erfolgreich abgeschlossen,<br />

und Kredite werden bereits seit 2012<br />

wieder zurückgezahlt. Nicht alle, aber viele<br />

Rettungsmaßnahmen waren ein Erfolg.<br />

Sinn: Die Kollektivierung der Anlagerisiken<br />

hat die Anleger veranlasst, sich wieder<br />

mit niedrigeren Zinsen zufriedenzugeben,<br />

und bei den niedrigen Zinsen verschulden<br />

sich die Krisenländer wieder<br />

mehr. Das schafft kurzfristige Nachfrageeffekte,<br />

die schnell verpuffen, dreht die<br />

Verschuldungsspirale indes nur noch<br />

schneller.<br />

Fratzscher: Das sehe ich genau umgekehrt.<br />

Wir haben durch die Hilfsprogramme<br />

bisher eine tiefe Depression in Europa<br />

vermeiden können. Die Länder haben so<br />

Zeit bekommen, die richtigen Reformen<br />

umzusetzen.<br />

»Kaum werden<br />

die Zügel<br />

gelockert,<br />

steigen die<br />

Preise schon<br />

wieder«<br />

»Die Euro-<br />

Hilfen haben<br />

eine tiefe<br />

Depression<br />

in Europa<br />

vermieden«<br />

Sinn: Gerade deshalb aber gibt es keine<br />

wirksamen Reformen!<br />

Fratzscher: Das entspricht nicht der Realität.<br />

Es gibt viele erfolgreiche Reformen.<br />

Portugal und Irland kommen aus den Programmen<br />

heraus....<br />

Sinn: Sie kommen heraus, weil die Investoren<br />

von den Steuerzahlern anderer Staaten<br />

geschützt werden, ohne dass man sie gefragt<br />

hätte, nicht weil sie wieder wettbewerbsfähig<br />

sind. Portugal müsste um 30<br />

Prozent billiger werden, um wettbewerbsfähig<br />

zu werden. Das Land hatte zwar angefangen,<br />

die Preise ein bisschen zu senken.<br />

Kaum wurden die Zügel etwas gelockert,<br />

stiegen die Preise wieder.<br />

Wie erklären Sie sich dann, Herr Sinn,<br />

dass die Krisenländer inzwischen alle Leistungsbilanzüberschüsse<br />

haben – und das<br />

ohne Ausnahme.<br />

Sinn: Das liegt am Kollaps der Wirtschaft<br />

und an den Zinsnachlässen durch die Rettungsschirme.<br />

Wenn Sie sich die Zahlen<br />

ansehen, dann haben die Exporte in keinem<br />

Land den Vorkrisentrend überschritten.<br />

Dagegen sind die Importe überall dramatisch<br />

eingebrochen, was eben daran<br />

liegt, dass die Wirtschaftsleistung eingebrochen<br />

ist Das ist leider kein Zeichen für<br />

eine Gesundung, sondern genau das Gegenteil<br />

davon.<br />

Fratzscher: Wir sollten anerkennen, dass<br />

Spanien zum Beispiel Reformen auf dem<br />

Arbeitsmarkt und im Sozialsystem umgesetzt<br />

hat, die noch weitreichender sind als<br />

die der Agenda 2010 in Deutschland. Die<br />

Länder müssen sicherlich noch weitere Reformen<br />

realisieren, aber es braucht Zeit, bis<br />

die Erfolge sichtbar sein werden. Und wir<br />

sollten etwas bescheidener sein: In<br />

Deutschland hat es fünf Jahre gebraucht,<br />

bis sich die Erfolge der Agenda 2010 ausgewirkt<br />

haben. Ich sehe keinen Grund, weshalb<br />

das in Spanien, Frankreich oder Irland<br />

anders sein sollte. »<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 27<br />

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Paradies Deutschland<br />

»<br />

Sinn: Spanien hat eine Double-Dip-Depression<br />

erlebt. Die Industrieproduktion<br />

ist 30 Prozent unter Vorkrisenniveau, und<br />

die Arbeitslosigkeit liegt bei 27 Prozent. Es<br />

hat um fünf Prozent real abgewertet, müsste<br />

aber um 30 Prozent abwerten, um wieder<br />

zu gesunden. Nur in Irland ist wirklich<br />

was passiert. Das Land hat seit 2006 bis<br />

heute um real 15 Prozent abgewertet. Als<br />

die Iren in die Krise kamen, gab es noch<br />

keine Rettungsschirme. Deswegen haben<br />

sie sofort schmerzhafte Reformen beschlossen.<br />

Das haben die Länder in Osteuropa,<br />

die ihre Währungen an den Euro gekoppelt<br />

hatten, aber keine Hilfen erhielten,<br />

genauso getan. Die südeuropäischen Länder<br />

dagegen, die nach der Lehman-Pleite<br />

gemeinsam in die Krise schlitterten, haben<br />

sich einfach das Geld gedruckt, das sie sich<br />

nicht mehr leihen konnten. Deshalb kamen<br />

die Reformen später.<br />

Die Kardinalfrage ist doch, wie kommen<br />

wir von der immens hohen Staatsverschuldung<br />

herunter. Reichen Reformen<br />

aus, oder brauchen wir doch noch einmal<br />

einen radikalen Schuldenschnitt?<br />

Sinn: Diese Länder kommen nur aus ihrer<br />

Krise heraus, indem sie die Löhne und<br />

Preise kräftig senken. Aber das passiert nur,<br />

wenn die Wirtschaft in der Flaute ist. Das<br />

wollen die Politiker natürlich verhindern,<br />

und deshalb werden sie versuchen, durch<br />

immer neue Schulden ein wenig Schein-<br />

Wachstum zu erzeugen. So steigen die<br />

Schulden immer weiter – und das ist keine<br />

Lösung. Was wir brauchen, ist ein großer<br />

Schuldenschnitt für die Staatsschulden,<br />

die Bankschulden und die Target-Schulden<br />

der Euro-Krisenländer. Darüber sollte<br />

auf einer großen Konferenz verhandelt<br />

werden. Nach einem solchen Schuldenschnitt<br />

können wir die Euro-Zone nach Regeln,<br />

die besser funktionieren als die alten,<br />

neu konstruieren. Und einige Mitglieder<br />

werden die Währungsunion dann auch<br />

verlassen müssen.<br />

Fratzscher: Das wäre das beste Rezept, um<br />

ein Desaster zu verursachen! Ein Schuldenschnitt<br />

für Länder wie Italien oder Spanien<br />

ist der falsche Weg: Er würde unweigerlich<br />

zu einer tiefen Depression in Europa und<br />

auch in Deutschland führen. Es würde niemanden<br />

helfen und die wirtschaftliche Erholung<br />

um viele Jahre verzögern. Eine<br />

nachhaltige Entschuldung kann nur über<br />

eine weitere Konsolidierung der Staatsausgaben<br />

und über Wachstum gelingen.<br />

Sinn: Die Politik hat leider kein Instrument,<br />

mit dem sie Wachstum erzeugen<br />

könnte.<br />

»Wir brauchen<br />

einen<br />

Schuldenschnitt<br />

für die Euro-<br />

Krisenländer«<br />

Fratzscher: Deutschland hat dies nach<br />

2000 gezeigt. Der Staat hat den Arbeitsmarkt<br />

reformiert, mehr Wettbewerb geschaffen<br />

und seinen Haushalt konsolidiert.<br />

Das alles hat mit dazu geführt, dass wir<br />

heute so stabil dastehen. Wenn Sie also sagen,<br />

die Wirtschaftspolitik ist irrelevant,<br />

dann stimme ich nicht mit Ihnen überein.<br />

Sinn: Die Lohnsenkung selbst kommt aber<br />

nur durch eine vorangehende Flaute zustande.<br />

Diese Länder müssen erst durch<br />

das Tal der Tränen. Das ist unvermeidlich.<br />

Fratzscher: Es gibt bessere Alternativen als<br />

die Strategie des „Gesundschrumpfens“.<br />

Ohne Sparen und ohne Reformen geht es<br />

nicht, aber wir müssen auch über neue<br />

Wege nachdenken, um das Wachstum zu<br />

stärken. Es gibt Projektfinanzierungen von<br />

der Europäischen Investitionsbank, auch<br />

bilaterale Kredite können helfen, und es<br />

gibt eine ganze Reihe von Beispielen, wie<br />

man Anreize an Unternehmen geben<br />

kann, damit sie investieren und Beschäftigung<br />

schaffen. Das ist der einzige Weg, aus<br />

der europäischen Krise herauszukommen.<br />

Wir brauchen Wachstum.<br />

Sie beide sagen, Löhne und Preise<br />

müssen sinken, und tatsächlich geschieht<br />

das ja auch, wenn wir uns die Inflationsraten<br />

in den Krisenländern und in der<br />

Euro-Zone ansehen. Nun grassiert bereits<br />

die Warnung, Europa könne in eine<br />

gefährliche Deflation abrutschen. Ist das<br />

wirklich eine Gefahr – oder sehen wir hier<br />

nur eine notwendige Preiskorrektur?<br />

Sinn: Eine allgemeine Deflation wäre schädlich.<br />

Die relative Preisänderung über Deflation<br />

in einzelnen Euro-Ländern ist dagegen<br />

Teil der nötigen Korrektur der Ungleichgewichte.<br />

Wobei klar sein sollte, dass dies eine<br />

Belastung für die Gesellschaften ist.<br />

Fratzscher: Ich sehe ein großes Risiko in einer<br />

Verstetigung der Deflationserwartung.<br />

Unternehmen investieren weniger, wenn<br />

sie erwarten, dass die Preise über die<br />

nächsten Jahre fallen werden. Denn dann<br />

sinkt die Rendite von Investitionen, der Realzins<br />

und die Schuldenlast wachsen. Das<br />

heißt dann auch weniger Beschäftigung,<br />

weniger Einkommen, weniger Wachstum,<br />

und damit entsteht eine Spirale, in der sich<br />

der Deflationsdruck verfestigt.<br />

Sinn: Aber diese Spirale kann es doch gar<br />

nicht geben, solange es sich nur um eine<br />

Korrektur der relativen Preise in einem<br />

Teilgebiet der Währungsunion handelt. Irgendwann<br />

ist die Wettbewerbsfähigkeit<br />

wieder erreicht, und wenn die Preise dann<br />

noch weiter fallen würden, würde ja die<br />

Nachfrage überborden.<br />

Fratzscher: Nein, die Nachfrage wird nicht<br />

überborden – im Gegenteil, eine solche<br />

Spirale führt zu einem weiteren Fall der<br />

Nachfrage, da noch mehr Menschen ihre<br />

Beschäftigung verlieren und die Einkommen<br />

weiter sinken. Eine solche Deflationsdynamik<br />

hat nichts Positives; sie zerstört<br />

permanent einen Teil der Leistungsfähigkeit<br />

einer Volkswirtschaft.<br />

Sinn: Klar, aber es kann keine Spirale ins<br />

Bodenlose geben nach Art einer säkularen<br />

Stagnation wie in Japan. In einem Teil der<br />

Währungsunion kann das nicht sein, das<br />

könnte nur für eine ganze Währungsunion<br />

insgesamt gelten – und davon sind wir weit<br />

entfernt.<br />

Fratzscher: Der Schaden einer Deflation<br />

gilt für jede Volkswirtschaft, egal, ob innerhalb<br />

oder außerhalb einer Währungsunion.<br />

Und das Risiko ist akut: Die Deflationserwartungen<br />

an den Finanzmärkten ist<br />

deutlich unter dem Ziel von zwei Prozent,<br />

selbst in Ländern wie Frankreich und Italien<br />

fällt ein Drittel der Güterpreise. Eine<br />

Verstetigung dieser Erwartungen hätte<br />

dann negative Auswirkungen auf das<br />

Wachstum in der Euro-Zone insgesamt. n<br />

konrad.handschuch@wiwo.de, malte fischer<br />

FOTO: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

28 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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UNTERNEHMEN<br />

Meyer Werft<br />

In der jüngsten Vergangenheit<br />

kam Meyer bei lukrativen Aufträgen<br />

mehrmals nicht zum<br />

Zug, weil er beim Preis nicht<br />

mithalten konnte oder wollte:<br />

Die beiden Neubauten für TUI<br />

Cruises entstehen auf der<br />

STX Europe Werft in Turku,<br />

die zwei Aida-Dampfer baut<br />

Mitsubishi Heavy Industries<br />

in Yokohama.<br />

Schleichende Auszehrung<br />

BRANCHEN | Hohe Kosten, neue Wettbewerber, strategische Versäumnisse, staatliche Eingriffe<br />

und Bequemlichkeit gefährden den Wohlstand einzelner Unternehmen und ganzer Regionen.<br />

FOTO: DDP IMAGES/JÖRG SARBACH<br />

Die Stadtteile tragen so lustige Namen<br />

wie Untenende und Obenende,<br />

das Zentrum wird von<br />

schmalen Kanälen durchzogen. Mit<br />

Klappbrücken, Backsteinhäusern und<br />

der Windmühle erinnert das im äußersten<br />

Norden des Emslandes gelegene Papenburg<br />

an Städte in Holland. Vor dem<br />

Rathaus der 36 000-Einwohner-Stadt<br />

liegt der historische Frachtsegler „Friederike<br />

von Papenburg“. Entstanden ist der<br />

originalgetreue Nachbau in den Achtzigerjahren<br />

in der Lehrwerkstatt der Meyer<br />

Werft. Das 1795 gegründete Unternehmen<br />

ist in sechster Generation im Familienbesitz<br />

und wird von Bernard Meyer geleitet.<br />

Der unauffällige 65-Jährige genießt<br />

höchsten Respekt in der Stadt: „Das’n<br />

ganz feiner Mensch und so bescheiden“,<br />

lobt ein Taxi-Fahrer den Werftchef.<br />

Für Papenburg ist Meyer die Verbindung<br />

zur großen weiten Welt, für den<br />

ansonsten kaum noch existenten deutschen<br />

Schiffbau so etwas wie das letzte<br />

Paradies: Meyer zählt zu den Marktführern<br />

bei Kreuzfahrtschiffen. Allein sieben<br />

Musikdampfer für jeweils 2200 »<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 29<br />

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Paradies Deutschland<br />

»<br />

Passagiere wurden in den vergangenen<br />

Jahren für den deutschen Marktführer Aida<br />

gebaut, je zehn für die US-Reedereien Celebrity<br />

und Norwegian Cruise. Sieben weitere<br />

Traumschiffe für bis zu 4500 Kreuzfahrer<br />

und im Wert von jeweils 600 bis 700 Millionen<br />

Euro sind im Bau oder stehen in den<br />

Auftragsbüchern.<br />

GOOD-ENOUGH-PRODUKTE<br />

Doch das Paradies ist in Gefahr – nicht nur<br />

in Papenburg. Vom Norden bis zum Süden<br />

der Republik gibt es Unternehmen, Branchen<br />

oder Regionen, in denen es heute<br />

noch brummt, die aber schon morgen Probleme<br />

bekommen können: durch zu hohe<br />

Energie- und Personalkosten, Technikfeindlichkeit<br />

und Provinzialität, Fachkräftemangel<br />

oder Internet, politische und unternehmerische<br />

Fehlentscheidungen –<br />

oder weil Produkte und Dienstleistungen<br />

zur standardisierten Massenware werden.<br />

„Die Commodity-Falle droht immer<br />

dann, wenn Technologien und die darauf<br />

»Neue Marktteilnehmer erodieren die<br />

Wettbewerbsfähigkeit«<br />

aufbauenden Produkte einen hohen Reifegrad<br />

erlangt haben und keine wesentlichen<br />

technischen Fortschritte mehr realisiert<br />

werden“, warnt Michael Zollenkop, Principal<br />

der Strategieberatung Roland Berger<br />

und Autor der Studie „Commodity Trap“,<br />

die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegt.<br />

„Schrumpft der Know-how-Vorsprung bestimmter<br />

Produkte, werden die Einstiegshürden<br />

für neue Anbieter niedriger, und<br />

der Wettbewerb nimmt zu. So geraten die<br />

Margen der etablierten Anbieter immer<br />

stärker unter Druck.“ 76 Prozent der befragten<br />

Unternehmen spüren solche Auswirkungen<br />

bereits.<br />

Das ist auch das Problem der Papenburger:<br />

Der technische Vorsprung<br />

schrumpft, andere Schiffbauer haben dazugelernt.<br />

Hinzu kommt: Weil es zu viele<br />

Frachtschiffe gibt, werden weniger Neubauten<br />

bestellt, die Werften suchen nach<br />

neuen Erlösquellen. Der Bau von Kreuzfahrtschiffen<br />

mit seiner hohen Wertschöpfung<br />

ist eine der wenigen profitablen Nischen<br />

– Meyer bekommt neue Konkurrenz.<br />

Weil auch der Wettbewerb zwischen den<br />

Kreuzfahrtreedereien härter wird, sind<br />

Roland-Berger-Berater Michael Zollenkop<br />

mals nicht zum Zug, weil er beim Preis<br />

nicht mithalten konnte oder wollte. „Die<br />

Angebote lagen kilometerweit auseinander“,<br />

machten Gerüchte an der Küste die<br />

Runde. Die Rede war von Preisunterschieden<br />

von bis zu 25 Prozent.<br />

Die beiden Neubauten für TUI Cruises<br />

entstehen darum auf der STX Europe Werft<br />

im finnischen Turku – die Helsinki vor gut<br />

einem Jahr mit millionenschweren Finanzhilfen<br />

vor der Pleite bewahrte. Die zwei Aida-Dampfer<br />

der nächsten Generation baut<br />

Mitsubishi Heavy Industries in Yokohama<br />

bei Tokio. Die Reederei nimmt dafür in<br />

Kauf, ein halbes Jahr länger auf das erste<br />

Schiff zu warten und einige Reisen absagen<br />

zu müssen. Die Japaner machen bei dem<br />

Auftrag fast 430 Millionen Euro Miese.<br />

Berger-Berater Zollenkop schätzt, dass<br />

mittlerweile fast zwei Drittel aller deutschen<br />

Unternehmen von der Commodity-<br />

Falle bedroht sind. „Betroffen sind fast alle<br />

Branchen, Automobilzulieferer ebenso wie<br />

Logistikunternehmen, Finanzdienstleister<br />

wie IT-Firmen oder Pharmakonzerne.“<br />

Neue Marktteilnehmer, vor allem aus<br />

Asien, gefährden die Marktposition etab-<br />

die nicht mehr bereit, den technologischen<br />

Vorsprung der Papenburger – ob beim<br />

lasergesteuerten Zuschnitt der Stahlplatten,<br />

der Konstruktion geschlossener Kläranlagen<br />

oder kompletter Theater inklusive<br />

versenkbarer Orchestergräben – mit entsprechend<br />

höheren Preisen für die neuen<br />

Schiffe zu honorieren.<br />

Die Werft ist der größte Arbeitgeber der<br />

Region, rund 3100 Mitarbeiter sind dort direkt<br />

beschäftigt, mehrere Tausend weitere<br />

bei Zulieferern. Vor knapp einem Jahr geriet<br />

das Unternehmen wegen Lohndumpings<br />

bei einem Werkvertragspartner in die<br />

Schlagzeilen. Seitdem lässt Meyer seine<br />

Zulieferer und deren Arbeitsbedingungen<br />

<strong>vom</strong> TÜV Rheinland überprüfen, eine Sozialcharta<br />

soll solche Fälle verhindern.<br />

Was nachträglich betrachtet wie ein Menetekel<br />

für den Anfang <strong>vom</strong> Ende des Paradieses<br />

wirkt, kostet die Werft viel Geld und<br />

geht letztlich auf Kosten der Wettbewerbsfähigkeit:<br />

In der jüngsten Vergangenheit<br />

kam Meyer bei lukrativen Aufträgen mehrlierter<br />

Unternehmen und erodieren ihre<br />

Wettbewerbsfähigkeit. „Auf längere Sicht<br />

kann diese Entwicklung die Existenz vieler<br />

Firmen bedrohen“, sagt Zollenkop. „Retten<br />

können sich die Betroffenen entweder, indem<br />

sie ihre Wettbewerbsposition verbessern<br />

oder indem die betroffenen Unternehmen<br />

aus der Commodity-Falle ausbrechen,<br />

etwa durch Produktdifferenzierung,<br />

Ausweichen auf andere Märkte oder ein<br />

anderes Geschäftsmodell.“<br />

HOHE ENERGIEPREISE<br />

Auch Deutschlands wichtigste Exporteure,<br />

die Maschinen- und Anlagenbauer, drohen<br />

in die Commodity-Falle zu tappen: Ingenieurkunst<br />

made in Germany galt jahrzehntelang<br />

weltweit als Goldstandard für<br />

innovative Technik. 2013 exportierten die<br />

rund 6200 Unternehmen der Branche Güter<br />

im Wert von rund 206 Milliarden Euro.<br />

Aber einstige Schwellenländer wie Indien<br />

und China bieten inzwischen selbst abgespeckte,<br />

aber ausreichende Technik an –<br />

weltweit und billiger. Auch in Europa finden<br />

ihre Maschinen Abnehmer.<br />

„Rund 80 Prozent der deutschen Unternehmer<br />

haben die Gefahr dieser Goodenough-Technik<br />

noch nicht erkannt“,<br />

warnt Stefan Herr, Leiter Industry & Technology<br />

bei der Beratung Simon Kucher. Die<br />

Bereitschaft der weltweiten Käufer, für<br />

deutsche Spitzentechnik Aufgeld zu zahlen,<br />

nimmt rapide ab. Deutsche Ingenieure<br />

mit ihrem Hang zum Over-Engineering –<br />

alles, was technisch machbar ist, in ein<br />

Produkt hinzustopfen – laufen Gefahr, an<br />

den veränderten Bedürfnissen ihrer Zielgruppe<br />

vorbeizuproduzieren.<br />

„Über kurz oder lang werden Goodenough-Produkte<br />

in vielen Bereichen die<br />

etablierte, aber komplexe Technik deutscher<br />

Maschinenbauer verdrängen“, fürchtet<br />

Ralf Russ, Geschäftsführer Industrial<br />

Software bei der Beratung Accenture. Weltweit<br />

steige die Nachfrage nach einfacheren,<br />

robusten und billigeren Produkten,<br />

und „es wird für die Deutschen keine geschützten<br />

Highend-Bereiche mehr geben“,<br />

warnt Simon-Kucher-Experte Herr. „Die<br />

Branche sollte sich darauf einstellen und<br />

einfachere und günstigere Produkte für die<br />

Bedürfnisse der Schwellenländer entwickeln“,<br />

sagt Berger-Berater Zollenkop.<br />

Beim Softwarekonzern SAP könnten die<br />

hohen Kosten am Standort Deutschland<br />

sogar zu einer Verlagerung in die USA führen.<br />

Noch genießen die knapp 13 000 Beschäftigten<br />

am Stammsitz Walldorf jede<br />

Menge Privilegien: überdurchschnittliche<br />

30 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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BRANCHEN<br />

Maschinenbau<br />

Deutsche Ingenieure mit ihrem Hang<br />

zum Over-Engineering laufen Gefahr,<br />

an den veränderten Bedürfnissen ihrer<br />

Zielgruppe vorbeizuproduzieren: Ehemalige<br />

Schwellenländer wie Indien und<br />

China bieten inzwischen abgespeckte<br />

Technik an – weltweit und billiger.<br />

FOTO: DDP/JENS-ULRICH KOCH<br />

Bezahlung, jährliche Beteiligung am Unternehmensgewinn,<br />

selbst das Kantinenessen<br />

ist für alle Beschäftigten kostenlos.<br />

Doch das Paradies ist bedroht: SAP-Mitgründer<br />

Hasso Plattner ist der Laden zu<br />

schwerfällig geworden: „Hauptquartiere<br />

von Unternehmen werden gerne bürokratisch<br />

– genau so ist es uns ergangen.“ Seit<br />

geraumer Zeit hält sich daher das Gerücht,<br />

Plattner könnte eine Verlagerung des Unternehmenssitzes<br />

in die USA anstreben.<br />

Mit weitreichenden Folgen für Walldorf –<br />

angefangen beim Bedeutungsverlust der<br />

Zentrale bis zum möglichen Wegfall zahlreicher<br />

Verwaltungsfunktionen.<br />

Zwar haben Plattner und die beiden Co-<br />

Vorstandschefs Bill McDermott und Jim<br />

Hagemann Snabe solche Pläne bisher dementiert.<br />

Wirklich beruhigt hat das aber<br />

niemanden, zumal der Amerikaner<br />

McDermott ab Ende Mai allein auf dem<br />

Chefsessel des weltgrößten Herstellers von<br />

Unternehmenssoftware sitzt. Und der hat<br />

gute Gründe, das Umzugsprojekt wieder<br />

aus der Schublade zu holen: Die USA sind<br />

der wichtigste Softwaremarkt der Welt.<br />

Andere Unternehmen geraten eher wegen<br />

Kostenerhöhungen unter Druck, auf<br />

die sie keinen Einfluss haben – zum Beispiel<br />

der Chemieriese BASF in Ludwigshafen.<br />

Noch läuft im Stammwerk, mit einer<br />

Größe von zehn Quadratkilometern das<br />

größte Chemie-Areal der Welt, alles rund.<br />

Neue Anlagen sind im Bau, etwa zur Herstellung<br />

von Kunststoff-Vorprodukten.<br />

Rund zehn Milliarden Euro investiert BASF<br />

zwischen 2010 und 2015 am Standort,<br />

33 000 Mitarbeiter arbeiten hier, knapp 30<br />

Prozent der Gesamtzahl.<br />

Das könnte sich ändern. „In den nächsten<br />

fünf Jahren wird der Anteil Deutschlands<br />

an den weltweiten Investitionen von<br />

einem Drittel auf nur noch ein Viertel sinken“,<br />

kündigt BASF-Vorstandschef Kurt<br />

Bock an. Der „schleichende Auszehrungsprozess“<br />

werde mittel- und langfristig nicht<br />

ohne Auswirkungen auf die Zahl der Arbeitsplätze<br />

in Deutschland bleiben.<br />

Grund ist die teure Energie. Je nach Produkt<br />

macht sie bis zu 60 Prozent der gesamten<br />

Herstellkosten aus. Bock will darum<br />

vor allem in den USA investieren.<br />

Dank der billigen Schiefergasförderung ist<br />

Energie um etwa die Hälfte billiger. In<br />

Deutschland dagegen ist das sogenannte<br />

Fracking politisch umstritten. BASFs sogenannter<br />

Cracker zur Herstellung chemischer<br />

Grundstoffe im texanischen Port Arthur<br />

wurde bereits auf Gasbetrieb umgerüstet,<br />

am Golf von Mexiko will BASF eine<br />

Ammoniakanlage bauen – ebenfalls wegen<br />

der Energiepreise. Ludwigshafen dürfte<br />

das Nachsehen haben.<br />

TEURE ABRÜSTUNG<br />

Politische Entscheidungen bestimmen<br />

häufig über die Existenz ganzer Standorte,<br />

im oberbayrischen Manching zum Beispiel.<br />

Sanfte Hügel, stille Seen: Die Idylle<br />

stört bisher nur der Lärm der Eurofighter,<br />

die Europas größter Luftfahrtkonzern Airbus<br />

hier baut und Probe fliegt.<br />

Von 2017 an dürfte es ruhiger werden.<br />

Weil die europäischen Verteidigungsminister<br />

sparen wollen, ordern sie weniger<br />

Kampfflieger, und bei den verbleibenden<br />

Produkten drücken sie auf den Preis. Die<br />

Abrüstung hat Nebenwirkungen: Weil<br />

dann die Produktion des Kampffliegers<br />

ausläuft, verliert die 13 000-Einwohner-Gemeinde<br />

rund 1000 der gut 4000 High-Tech-<br />

Jobs. Ein ähnliches Schicksal droht anderen<br />

Gemeinden im Süden Bayerns und Baden-Württembergs.<br />

Ob Unterschleiß-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 31<br />

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Paradies Deutschland<br />

»<br />

heim, Ulm, Donauwörth, Immenstaad<br />

oder Friedrichshafen: Alle leben zu einem<br />

Großteil von der Militärluftfahrt und vor allem<br />

von Airbus.<br />

In vielen Fabriken enden die paradiesischen<br />

Zustände: Die Bundeswehr zahlte<br />

nach dem Prinzip „Cost plus“. Die Anbieter<br />

durften berechnen, was sie der Bau von<br />

Panzern oder Fliegern kostet, obendrauf<br />

kam ein Gewinnzuschlag. Wurde es teurer,<br />

schoss der Bund nach. Das sorgte für üppige<br />

Strukturen. „Würden wir den Eurofighter<br />

rein wirtschaftlich bauen, wäre er<br />

wohl mindestens ein Viertel billiger“, gibt<br />

ein hochrangiger Airbus-Manager zu.<br />

Künftig wollen die Wehrbeschaffer das<br />

nicht mehr akzeptieren. Die Folge: Airbus<br />

baut Jobs ab und verlagert andere ins französische<br />

Toulouse. Der Druck dürfte auch<br />

auf Zulieferer der zivilen Produktion abstrahlen.<br />

Die arbeiten laut einer Studie der<br />

Beratung Arthur D. Little zwar profitabler,<br />

weil sie dank ihrer oft hoch spezialisierten<br />

Produkte Airbus gegen den Rivalen Boeing<br />

von 870 Millionen Euro. Doch die Zeichen<br />

für den Wandel mehren sich: Allein im Februar<br />

wurden YouTube-Filmchen in<br />

Deutschland 414 Millionen Mal aufgerufen.<br />

Alarmierend für die Privatsender: Junge<br />

Zuschauer brechen mit den Sehgewohnheiten<br />

ihrer Eltern. Laut ARD/ZDF-<br />

Online-Studie schauen fast 90 Prozent der<br />

14- bis <strong>19</strong>-Jährigen mindestens einmal wöchentlich<br />

Videos im Internet. Zugleich<br />

sank die tägliche TV-Zeit der 14- bis 29-Jährigen<br />

um 13 auf 128 Minuten.<br />

Die Werbung folgt den Nutzern: Martin<br />

Sorrell, Chef des Werberiesen WPP, kündigte<br />

an: „<strong>2014</strong> zielen wir bei Google auf<br />

<strong>Ausgabe</strong>n in Höhe von annähernd drei<br />

Milliarden Dollar.“ 2013 waren es erst 2,5<br />

Milliarden. Tendenz: steigend.<br />

Das Internet verändert nicht nur die<br />

Strukturen der Unterhaltungsindustrie.<br />

Noch mehr unter Druck steht der stationäre<br />

Handel. Tausende Passanten schieben<br />

sich Tag für Tag durch die Kaufinger Straße<br />

in München, Deutschlands teuerste Ein-<br />

»Denken und Handeln im Konzern<br />

müssen neu justiert werden«<br />

ausspielen konnten. Doch das ist vorbei:<br />

„Zulieferer, die ihre Preise nicht senken,<br />

sind draußen“, sagt Boeing-Chef Jim<br />

McNerney. Airbus-Lenker Tom Enders<br />

sieht das nicht anders.<br />

Die Bedrohung ist klein, flach und<br />

schwarz, und sie passt genau in Peter Larsens<br />

rechte Hand. Der Amazon-Manager<br />

stellte Anfang April die Streaming-Box Fire<br />

TV in New York vor. Das Teil, kaum dicker<br />

als eine CD-Hülle, beamt Filme und Serien<br />

aus dem Online-Angebot von Amazon auf<br />

den TV-Schirm. Auf Fire dabei sind zum<br />

Verkaufsstart in den USA auch Micky-<br />

Maus-Konzern Disney, die Online-Videothek<br />

Netflix und der Clip-Kanal YouTube.<br />

Nicht nur Amazon macht etablierten<br />

Sendern den Platz auf der Glotze streitig.<br />

Apple bietet eine vergleichbare TV-Box an,<br />

Google verkauft seinen High-Tech-Stecker<br />

Chromecast jetzt ebenfalls in Deutschland,<br />

Yahoo plant eigene Online-Serien.<br />

Für den deutschen Privat-TV-Marktführer<br />

RTL wird es enger. Noch liefert der Sender<br />

fette Gewinne an Mehrheitseigner Bertelsmann:<br />

5,9 Milliarden Euro setzte RTL<br />

2013 um und erzielte einen Rekordgewinn<br />

VW-Chef Martin Winterkorn<br />

kaufsmeile: Bis zu 360 Euro pro Quadratmeter<br />

und Monat müssen Einzelhändler<br />

hier berappen. Hamburgs Spitalerstraße<br />

und Frankfurts Zeil folgen mit Spitzenmieten<br />

von jeweils 295 Euro pro Quadratmeter.<br />

Paradiesische Zeiten für die Vermieter<br />

von Handelsimmobilien? Internationale<br />

Investoren scheinen davon überzeugt. Allein<br />

in den ersten drei Monaten <strong>2014</strong> wurden<br />

dem Immobilienberatungsunternehmen<br />

CBRE zufolge mehr als 2,5 Milliarden<br />

Euro in deutsche Einzelhandelsimmobilien<br />

investiert – 33 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.<br />

Doch Experten sehen die<br />

Sause skeptisch: Der Online-Boom könnte<br />

allzu optimistische Mietkalkulationen über<br />

den Haufen werfen. Binnen weniger Jahre<br />

stiegen die E-Commerce-Umsätze in<br />

Deutschland auf 39,1 Milliarden Euro, allein<br />

2013 um 42 Prozent. Für die Gesamtbranche<br />

meldete der Handelsverband gerade<br />

mal ein Plus von 1,1 Prozent. Das Minimalwachstum<br />

wird demnach fast nur<br />

aus den Online-Zuwächsen gespeist.<br />

Doch wenn immer mehr Umsatz ins<br />

Netz abfließt, stellt sich für viele stationäre<br />

Geschäfte die Existenzfrage. „Der Online-<br />

Boom kann auf Dauer nicht ohne Auswirkungen<br />

auf die Ladenmieten bleiben“, sagt<br />

CBRE-Experte Karsten Burbach. In Gefahr<br />

sind weniger die prominenten Shoppingmeilen<br />

der großen Citys. Joachim Stumpf<br />

von der auf Handelsthemen spezialisierten<br />

Münchner Beratung BBE sieht vor allem jene<br />

Städte unter Druck, die über keine „Solitärlage“<br />

verfügten: „Wer beim Wochenendeinkauf<br />

etwas erleben will, fährt in die<br />

nächstgelegene Großstadt. Und wer genau<br />

weiß, was er braucht, shoppt online.“<br />

NICHT SCHNELL GENUG<br />

Kommen dann ein Bevölkerungsrückgang,<br />

ein Mangel an touristischen Highlights und<br />

eine ohnehin schwache Innenstadt hinzu,<br />

wird es eng für die örtlichen Einzelhändler<br />

– und für ihre Vermieter.<br />

Auch Größe und gute Ergebnisse sind<br />

keine Garanten für den Erfolg von morgen.<br />

Das spürt gerade VW. Fast 1300 Gäste waren<br />

vor wenigen Wochen beim VW Group<br />

Event in Genf dabei, als die Wolfsburger<br />

neue Modelle zeigten. Nur Aufsichtsratschef<br />

Ferdinand Piëch mochte nicht jubeln:<br />

„Wir sind nicht wirklich gut unterwegs –<br />

nur besser als andere“, mäkelte er in kleiner<br />

Runde. Piëch geht es auf dem Weg in die<br />

Zukunft nicht schnell genug.<br />

Die Absatzzahlen stiegen zwar im ersten<br />

Quartal um knapp sechs Prozent auf rund<br />

2,4 Millionen Fahrzeuge. Aber der Marsch<br />

an die Weltspitze kostet mehr Kraft als gedacht.<br />

In Asien laufen die Geschäfte ordentlich,<br />

in Westeuropa aber nur aufgrund massiver<br />

Verkaufsfördermaßnahmen. In Südamerika<br />

sank der Absatz um fast 25 Prozent,<br />

in den USA – trotz vieler Incentives – um fast<br />

sieben Prozent. In Russland sorgt die Abwertung<br />

des Rubel um fast 20 Prozent für<br />

tiefrote Zahlen. Zudem schwebt über dem<br />

VW-Werk in Kaluga wegen der Wirtschaftssanktionen<br />

der EU gegen Russland das Damoklesschwert<br />

der Verstaatlichung.<br />

Und dann nervt den Autoriesen auch<br />

noch Newcomer Tesla, der ein alltagstaugliches<br />

Elektroauto auf die Räder stellte und<br />

nun mit dem Bau einer Giga-Fabrik für<br />

preiswerte Lithium-Ionen-Batterien das<br />

Erfolgsmodell des VW-Konzerns bedroht,<br />

das noch stark auf dem Verkauf von Pkws<br />

mit Verbrennungsmotoren basiert.<br />

„Manchmal hilft nur eine radikale Änderung<br />

des Geschäftsmodells, um aus der<br />

Defensive herauszukommen“, sagt Berger-<br />

Berater Zollenkop. VW muss sich sputen,<br />

um den technologischen Wandel zu meistern<br />

und auf gesellschaftliche Veränderungen<br />

zu reagieren. Vorstandschef Martin<br />

32 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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REGION<br />

München<br />

Die satte Bräsigkeit der heimlichen<br />

Hauptstädter im Süden verhindert<br />

Infrastrukturerweiterungen: Der Baueiner<br />

zusätzlichen S-Bahn-Linie wird<br />

seit Jahren diskutiert und droht an der<br />

Finanzierung zu scheitern, die Flughafenerweiterung<br />

wurde abgelehnt.<br />

kämpft. In vielen Stadtteilen fehlen Kindergarten-<br />

und Krippenplätze, Gymnasien<br />

und Realschulen platzen aus allen Nähten,<br />

der öffentliche Nahverkehr ist überlastet.<br />

Der Bau einer zusätzlichen S-Bahn-Linie<br />

wird seit Jahren diskutiert, droht aber am<br />

Finanzierungs-Hickhack zwischen München<br />

und Berlin zu scheitern. Die wohlhabenden<br />

Familien im schicken Stadtteil<br />

Haidhausen freut’s: Sie wehren sich in Bürgerinitiativen<br />

gegen den Bau.<br />

Die satte Bräsigkeit der heimlichen<br />

Hauptstädter im Süden verhindert auch<br />

andere Infrastrukturerweiterungen. Den<br />

Bau einer dritten Startbahn am Flughafen<br />

haben die Münchner vor zwei Jahren bei<br />

einer Volksbefragung abgelehnt. Die Lufthansa<br />

zog schon erste Konsequenzen: Eine<br />

Reihe von Asienflügen wurde von München<br />

nach Frankfurt verlegt. Bislang war<br />

der Airport einer der Jobmotoren der Stadt.<br />

FOTO: LAIF/JENS SCHWARZ<br />

Winterkorn hat das erkannt: „Denken und<br />

Handeln im Konzern müssen neu justiert<br />

werden“, fordert er. Die Modellzyklen sollen<br />

kürzer werden, die konsequente Modularisierung<br />

von Fahrzeugen und Fabriken<br />

durch die Baukastenstrategie dabei<br />

helfen, das Paradies zu verteidigen.<br />

Wie Regionen auf-, aber auch wieder absteigen<br />

können, zeigt das Ruhrgebiet. Für<br />

die einstige Herzkammer der deutschen<br />

Wirtschaft begann der Abstieg mit dem<br />

Einsetzen der Globalisierung. Billige Kohle<br />

und Stahl aus Südamerika und Asien untergruben<br />

die Wettbewerbsfähigkeit. Staatliche<br />

Milliardenhilfen konnten den Trend<br />

nicht aufhalten. München und Umland<br />

könnte es irgendwann ähnlich ergehen.<br />

Noch gilt die Region als Paradies Deutschlands.<br />

Eine geschickte Politik, auch mutige<br />

Entscheidungen haben die Region vorangebracht.<br />

Bei Lebensqualität und Wirtschaftskraft<br />

landet Bayerns Landeshauptstadt<br />

in Rankings stets vorne. Doch wer<br />

oben steht, muss besonders aufpassen.<br />

Die Wohnungsnot ist nur eines von vielen<br />

Problemen, mit denen München<br />

ÜBERKOMMENE VORSCHRIFTEN<br />

Kaum weniger groß war der Jubel, als<br />

2013 die Bewerbung für die Olympischen<br />

Winterspiele 2022 abgelehnt wurde. Die<br />

Schickeria in den Bars und Bistros an<br />

der Maximilianstraße hat keine Lust auf<br />

Baulärm und Belästigungen. Dabei hätten<br />

die Spiele für einen Modernisierungsschub<br />

der Infrastruktur sorgen können. Die Erfolge<br />

der Vergangenheit, so klagen manche,<br />

hätten bei vielen Münchnern zu Selbstgefälligkeit<br />

und Bequemlichkeit geführt.<br />

Noch geht es ihnen besser als dem Rest<br />

der Republik. Die Metropole gilt als sicher,<br />

mit LMU und TU haben zwei der besten<br />

Hochschulen Deutschlands ihren Sitz in<br />

München, mit dem FC Bayern sogar der<br />

weltbeste Fußballclub. Sechs der 30 Dax-<br />

Konzerne haben hier ihre Zentralen, es<br />

herrscht praktisch Vollbeschäftigung.<br />

Doch will die Isar-Metropole langfristig<br />

erfolgreich bleiben, müssten sich Stadt<br />

und bayrische Landesregierung von einigen<br />

überkommenen Vorschriften trennen<br />

und Reformen anstoßen. So hat Bayern<br />

als einziges Bundesland kein eigenes<br />

Ladenschlussgesetz. Wer in München<br />

nach 20 Uhr einen Liter Milch kaufen<br />

will, muss wie vor 20 Jahren in Köln oder<br />

Berlin zur nächsten Tanke oder zum Bahnhof<br />

fahren. Und bezahlbarer Wohnraum<br />

ist auch deshalb knapp, weil nirgendwo in<br />

der Stadt höher als die 1488 errichtete<br />

Frauenkirche gebaut werden darf: genau<br />

98,57 Meter. n<br />

hans-juergen.klesse@wiwo.de, anke henrich, henryk hielscher,<br />

matthias kamp | München, rüdiger kiani-kress,<br />

franz rother, jürgen salz, peter steinkirchner<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 33<br />

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Paradies Deutschland<br />

»Deutsche Biotech-<br />

Firmen haben sehr<br />

viele hochinnovative<br />

Ansätze für moderne<br />

medizinische Therapien.<br />

Leider fehlt oft das Geld, um<br />

damit neue deutsche<br />

Pharmafirmen aufzubauen.<br />

Die Projekte gehen ins<br />

Ausland – die Arbeitsplätze<br />

dazu entstehen anderswo.«<br />

Helga Rübsamen-Schaeff,<br />

Chefin des Pharmaunternehmens Aicuris<br />

»Die Begeisterung der Deutschen<br />

für technische Konsumgüter<br />

wie Handys, Kühlschränke oder<br />

Fernseher ist ungebrochen. Bei externer<br />

Technik wie Windrädern, Autobahnen oder<br />

Stuttgart 21 besteht dagegen<br />

großer Rechtfertigungszwang.«<br />

Ortwin Renn, Professor für Technik- und<br />

Umweltsoziologie, Universität Stuttgart<br />

»Innovation und Deutschland – eine<br />

Tragödie: Zwar gibt es sehr kreative<br />

Entwickler, Unternehmer und Manager,<br />

zugleich aber gelten in Politik und<br />

Unternehmen die Führungsprinzipien Vermeidung<br />

von Risiko und >Fehlern


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Politik&Weltwirtschaft<br />

Schuss nach hinten<br />

EURO-KRISE | Die Regierungen Italiens und Frankreichs schicken sich an, den Sparkurs aufzuweichen.<br />

Unter dem Rettungsschirm der EZB wandelt sich die Euro-Zone mehr und mehr zur Schuldenunion.<br />

Schlechter hätte der Start in die Karwoche<br />

für Matteo Renzi kaum ausfallen<br />

können. Rund 15 000 Italiener<br />

protestierten am vergangenen Wochenende<br />

in Rom gegen die Sparpolitik ihres Regierungschefs.<br />

Zuerst zogen die von linken<br />

Gruppen organisierten Demonstranten<br />

friedlich durch die ewige Stadt, dann flogen<br />

plötzlich Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper<br />

in Richtung Polizei. Die antwortete<br />

mit Tränengas und Schlagstöcken.<br />

Das Ergebnis: 30 Verletzte, darunter 20<br />

Polizisten, von denen viele im Krankenhaus<br />

behandelt werden mussten.<br />

Proteste gab es auch in Frankreichs<br />

Hauptstadt Paris. Mehr als 25 000 Menschen<br />

zogen dort gegen die Sparpläne der<br />

Regierung unter dem neuen Premier Manuel<br />

Valls zu Felde. „Gegen die Sparpolitik,<br />

für die Verteilung des Reichtums“, war auf<br />

den Plakaten der Demonstranten zu lesen.<br />

Gewerkschaften, Kommunisten und linksradikale<br />

Parteien hatten zum Marsch gegen<br />

Valls Sparpolitik aufgerufen.<br />

Knüppel aus dem Sack Die Bürger in Rom<br />

machen Front gegen den Sparkurs<br />

Die Parolen der Demonstranten sind einigermaßen<br />

skurril. Denn weder in Rom<br />

noch in Paris hat es bisher nennenswerte<br />

Sparmaßnahmen gegeben. Zwar wollen<br />

Renzi und Valls in den nächsten Jahren die<br />

<strong>Ausgabe</strong>n des Staates senken, um geplante<br />

Steuersenkungen zu finanzieren. Bisher<br />

aber sind das nur Lippenbekenntnisse.<br />

Weder Renzi noch Valls haben Interesse<br />

daran, sich den Zorn der reformunwilligen<br />

Bürger zuzuziehen. „Natürlich müssen die<br />

öffentlichen Finanzen saniert werden,<br />

doch ohne unser Sozialmodell und unseren<br />

öffentlichen Dienst kaputt zu machen,<br />

ansonsten akzeptieren es die Franzosen<br />

nicht“, relativierte denn auch Valls seine<br />

Sparankündigungen. Klarer könnte die Absage<br />

an eine durchgreifende Sanierung des<br />

Staatshaushalts kaum ausfallen.<br />

Valls und Renzi setzen darauf, dass die<br />

Europäische Zentralbank (EZB) ihnen zu<br />

Hilfe eilt und die geldpolitischen Schleusen<br />

weiter öffnet. So warf Valls der EZB<br />

jüngst vor, ihre Geldpolitik sei nicht expansiv<br />

genug. Sie blockiere daher den Aufschwung<br />

in Europa. Auch innerhalb der<br />

EZB wächst der Druck der Vertreter aus<br />

den Südländern, die Schuldenpolitik der<br />

Regierungen mit der Notenpresse zu finanzieren.<br />

Die Währungsunion steht vor einer<br />

Zäsur.<br />

ENDE DER SPARDISZIPLIN<br />

Dabei ist es gerade einmal zwei Jahre her,<br />

dass sich die EU-Länder auf Drängen<br />

Deutschlands mit dem Fiskalpakt zu strikter<br />

Haushaltsdisziplin verpflichtet haben.<br />

Bei seinem Besuch Anfang dieser Woche in<br />

Berlin gelobte Frankreichs Premier Valls<br />

zwar, sein Land werde das Haushaltsdefizit,<br />

das derzeit bei mehr als vier Prozent<br />

des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt,<br />

nächstes Jahr wie vereinbart auf drei Prozent<br />

senken. Doch ob es ihm damit wirklich<br />

ernst ist, ist fraglich. Wenige Tage zuvor<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

36 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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hatte Frankreichs Finanzminister Michel<br />

Sapin lauthals gefordert, die EU-Kommission<br />

solle Frankreich mehr Zeit geben, um<br />

das Defizit zu senken.<br />

Doch schon jetzt kommt das Land von<br />

seinen hohen Schulden nicht herunter. Auf<br />

94,2 Prozent des BIPs belief sich der Schuldenstand<br />

Ende 2013. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass er bis zum Ende der Amtszeit von<br />

Staatschef François Hollande 2017 bei 100<br />

Prozent oder sogar darüber liegt, ist hoch.<br />

„Die Parameter, die wir im Augenblick haben,<br />

sind eine Inflation unter einem Prozent,<br />

ein Wachstum unter einem Prozent<br />

und ein Haushaltsdefizit von über vier Prozent.<br />

Da steigen die Staatsschulden jedes<br />

Jahr um zwei bis drei Prozentpunkte“, sagt<br />

Ulrich Hege, Professor an der Wirtschaftshochschule<br />

HEC Paris. Frankreich komme<br />

in eine Zone, „in der das Tabu bricht, dass<br />

ein Staat nicht bankrott gehen kann“.<br />

ZU VIEL STAAT<br />

Die hohen Schulden sind Folge der ausufernden<br />

Staatstätigkeit. So zählt Frankreich<br />

90 Beamte pro 1000 Einwohner<br />

(Deutschland: 60), hat eines der komfortabelsten<br />

Systeme zur Unterstützung von<br />

Arbeitslosen und ein gesetzliches Renteneintrittsalter<br />

von 62 Jahren. Die Staatsausgaben<br />

belaufen sich auf 56,9 Prozent der<br />

jährlichen Wirtschaftsleistung. Weil die<br />

Lohnstückkosten seit Jahren steigen, während<br />

andere Länder sie gesenkt haben, verlieren<br />

französische Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Nun will Valls die Betriebe<br />

demnächst finanziell entlasten. Schon<br />

im vergangenen Jahr wurden Steuergutschriften<br />

von insgesamt 20 Milliarden Euro<br />

für Arbeitgeber beschlossen, die Arbeitnehmer<br />

beschäftigen, die höchstens das<br />

2,5-Fache des Mindestlohns verdienen.<br />

Diese Lohnsubvention soll bis 2016 um<br />

weitere zehn Milliarden Euro aufgestockt<br />

werden.<br />

Nach Ansicht des Arbeitgeberverbands<br />

Medef kommt die Entlastung, die dann für<br />

90 Prozent aller Beschäftigten gilt, zu spät.<br />

Das gilt auch für die Körperschaftsteuersenkung,<br />

die erst 2020 voll umgesetzt sein<br />

soll. Dazu kommt, dass Valls es bisher im<br />

Dunkeln gelassen hat, wie er seine Steuergeschenke<br />

finanzieren will. Angekündigt<br />

hat er lediglich, bis 2017 insgesamt 50 Milliarden<br />

Euro einzusparen. Dazu sollen die<br />

Krankenversicherungen und die Kommunen<br />

jeweils zehn Milliarden Euro beitragen.<br />

Ob dies gelingt, steht in den Sternen.<br />

Die Ökonomen des Finanzdienstleisters<br />

IHS bleiben daher skeptisch. Sie rechnen<br />

auch für 2015 mit einem Defizit von mehr<br />

als drei Prozent.<br />

Kaum besser ist es um die Staatsfinanzen<br />

in Italien bestellt. Zwar ist der Fehlbetrag<br />

im Staatshaushalt mit rund drei Prozent<br />

des BIPs etwas geringer als beim Nachbarn<br />

Frankreich. Regierungschef Renzi hat<br />

jüngst öffentlichkeitswirksam die überzogenen<br />

Gehälter der Manager in den Staatskonzernen<br />

ins Visier genommen. Doch<br />

durch die Kürzung der Spitzengehälter allein<br />

wird er den Staatshaushalt nicht sanieren<br />

können. Daher setzt er auch darauf,<br />

dass sich die Konjunktur belebt. Doch die<br />

von der Regierung avisierten 0,8 Prozent<br />

Wirtschaftswachstum sind nicht gerade<br />

Tief in den roten Zahlen<br />

Haushaltssaldo Frankreichs und Italiens<br />

in Prozent <strong>vom</strong> BIP<br />

0<br />

–2<br />

–4<br />

–6<br />

Maastricht-<br />

Kriterium<br />

–8<br />

2007 08 09 10 11 12<br />

Quelle: IHS<br />

Italien<br />

Frankreich<br />

13 14<br />

üppig. Daher will Renzi die Nachfrage ankurbeln,<br />

indem er zehn Millionen Niedrigverdiener<br />

mit Steuererleichterungen von<br />

80 Euro im Monat beglückt. Die Kosten von<br />

6,7 Milliarden Euro sollen zu zwei Dritteln<br />

durch <strong>Ausgabe</strong>nkürzungen und zu einem<br />

Drittel durch einmalige Mehreinnahmen<br />

finanziert werden.<br />

MANGEL AN REFORMEN<br />

Für ein nachhaltiges Wachstum, das die<br />

Steuerquellen kräftig sprudeln lässt, ist das<br />

jedoch zu wenig. Dazu müsste der selbst<br />

ernannte Reformer den verkrusteten Arbeitsmarkt<br />

aufbrechen. In den vergangenen<br />

Wochen hat Renzi zwar die Zeitverträge<br />

liberalisiert, ohne ein Veto der Gewerkschaften<br />

oder des linken Parteiflügels zu<br />

provozieren. Nun will er das starre System<br />

landesweit gültiger Tarifverträge aus den<br />

Angeln heben. So strebt er einen einheitlichen<br />

Garantielohn auf sehr niedrigem Niveau<br />

an, der durch betriebliche Vereinbarungen<br />

ergänzt wird. Für Italien wäre das<br />

eine Revolution. Das Problem ist nur: Bisher<br />

haben es die Gewerkschaften und die<br />

hypertrophierte Bürokratie in dem Mittelmeerland<br />

noch immer geschafft, alle Revolutionen<br />

im Keim zu ersticken.<br />

Klappt es mit Reformen, Wachstum und<br />

dem Sparen nicht, ist eine fortgesetzte<br />

Kletterpartie der Staatsschulden vorgezeichnet.<br />

So rechnet Italiens Finanzminister<br />

Pier Carlo Padoan schon damit, dass die<br />

Schuldenquote seines Landes in diesem<br />

Jahr auf knapp 135 Prozent nach oben<br />

springt, nachdem sie 2013 noch bei 132<br />

Prozent lag.<br />

GEFÄHRLICHE STELLSCHRAUBEN<br />

Am Ende blieben für die überschuldeten<br />

Südländer nur drei Stellschrauben übrig,<br />

um den Kollaps der Staatsfinanzen zu verhindern:<br />

ein Schuldenschnitt, höhere Inflation<br />

und niedrigere Zinsen. Da die Politiker<br />

den Schuldenschnitt fürchten wie der<br />

Teufel das Weihwasser, wächst der Druck<br />

auf die EZB. Und dieser Druck zeigt Wirkung.<br />

Schon arbeiten die Frankfurter Währungshüter<br />

an Plänen, in großem Stil<br />

Staatsanleihen der Euro-Länder zu kaufen.<br />

Offiziell begründen sie dies mit dem Risiko,<br />

die Euro-Zone könne wegen der derzeit geringen<br />

Teuerungsrate von 0,5 Prozent in<br />

die Deflation rutschen, also eine Phase mit<br />

nachhaltig sinkendem Preisniveau. Tatsächlich<br />

aber steckt hinter den Ankaufplänen<br />

von Anleihen ein anderes Ziel: Niedrigere<br />

Zinsen sollen im Zusammenspiel mit<br />

höheren Inflationsraten den Schuldenberg<br />

der Euro-Länder abschmelzen.<br />

Doch der Schuss dürfte nach hinten losgehen.<br />

Sinken die Zinsen für Staatskredite<br />

im Gefolge der Anleihekäufe, dürften alle<br />

Hemmungen der Regierungen fallen. Europa<br />

stünde dann vor dem Schulden-<br />

Dammbruch. Statt zu sparen, werden die<br />

Politiker in Rom, Paris, Madrid und Athen<br />

es bei den Staatsausgaben wohl so richtig<br />

krachen lassen. Unter Verweis auf die<br />

schwache Konjunktur dürften sie dann<br />

versuchen, was noch nie funktioniert hat:<br />

Wachstum durch neue Schulden zu erzeugen.<br />

„Wir wollen mehr denn je die Richtung<br />

Europas ändern“, gibt Italiens Regierungschef<br />

Renzi die Stoßrichtung seiner<br />

Strategie zu. Stellt die EZB die Weichen entsprechend<br />

den Wünschen der Südländer<br />

um, droht die Euro-Zone im Schuldenmorast<br />

zu versinken.<br />

n<br />

malte.fischer@wiwo.de, katrin finkenzeller | Paris,<br />

ulrike sauer | Rom<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 38 »<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 37<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

EURO-KRISE<br />

Noch nicht am Ziel<br />

Griechenland bedient sich wieder mit neuen Krediten – und hofft<br />

zugleich auf weitere Erleichterungen bei den Altschulden.<br />

Der griechische Ministerpräsident liebt<br />

plakative Worte. Als sich die staatliche<br />

Schuldenagentur PDMA jüngst nach vierjähriger<br />

Pause wieder an den Kapitalmarkt<br />

wagte und eine fünfjährige Anleihe<br />

über drei Milliarden Euro platzieren konnte,<br />

stellte Antonis Samaras triumphierend<br />

fest: „Griechenland hat es geschafft!“<br />

Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel fand bei ihrem Besuch vergangene<br />

Woche lobende Worte. Im<br />

Herbst 2012 war sie zuletzt in Athen gewesen;<br />

damals zitterte das Land um den<br />

Verbleib im Euro. Seither habe sich „sehr,<br />

sehr viel getan“, lobte die Kanzlerin nun.<br />

Und in der Tat: Die Defizitquote ist von<br />

15,6 Prozent 2009 auf 2,2 Prozent in diesem<br />

Jahr gefallen. Erstmals seit <strong>19</strong>48<br />

schrieb das Land 2013 in der Leistungsbilanz<br />

schwarze Zahlen. Rund 200 000<br />

Stellen wurden im öffentlichen Dienst gestrichen<br />

(Ersparnis: acht Milliarden Euro),<br />

und ein Jahr früher als gefordert erzielte<br />

Athen 2013 im Primärhaushalt (ohne<br />

Schuldendienst) einen Überschuss. Nach<br />

sechs Jahren Rezession soll die griechische<br />

Wirtschaft <strong>2014</strong> wieder wachsen<br />

(siehe Grafik). Die Industrieproduktion<br />

legt seit drei Monaten zu. Das Wirtschaftsklima<br />

ist so günstig wie zuletzt<br />

2008 vor der Lehman-Pleite. Die Talsohle<br />

sei durchschritten, sagt Premier Samaras,<br />

„die Märkte haben für Griechenland<br />

gestimmt“.<br />

LANGER WEG<br />

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.<br />

Zwar war der Bond mehr als achtfach<br />

überzeichnet. Eine „Rückkehr zur Normalität“,<br />

wie Samaras behauptet, ist das<br />

aber noch lange nicht. Die Anleger rissen<br />

sich um die Anleihe, weil sie fast fünf Prozent<br />

Rendite bietet – bei überschaubarem<br />

Risiko. Denn die Rettungsschirme für<br />

Griechenland bleiben aufgespannt.<br />

Die Rückkehr an den Kapitalmarkt bedeute<br />

daher nicht das Ende aller Probleme,<br />

warnt Euro-Gruppen-Chef Jeroen<br />

Dijsselbloem: „Griechenland hat noch einen<br />

langen Weg zu gehen.“ Im Verlauf der<br />

Hoffnung in Hellas<br />

Bruttoinlandsprodukt* und Staatsverschuldung**<br />

Griechenlands<br />

Staatsverschuldung<br />

129,7<br />

148,3<br />

170,3<br />

156,9<br />

177,3<br />

177 171,9<br />

–3,1 –4,9 –7,1 –6,4 –3,9 0,6 2,9<br />

2009 2010 2011 2012 2013 <strong>2014</strong> 2015<br />

Prognose<br />

* zum Vorjahr; ** in Prozent des BIPs;<br />

Quelle: EU-Kommission<br />

BIP<br />

Bessere Position Griechenlands<br />

Ministerpräsident Samaras<br />

Krise hat das Land ein Viertel seiner Wirtschaftskraft<br />

verloren. Die Arbeitslosenquote<br />

kletterte von 7,8 auf 27 Prozent. Trotz Sparkurs<br />

stieg die Schuldenquote von 130 auf<br />

175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.<br />

Von der Summe her ist die jüngste Emission<br />

zudem eher unbedeutend. Die drei Milliarden<br />

Euro erscheinen klein in Relation zu<br />

den Staatsschulden von 321 Milliarden –<br />

und auch gering im Vergleich zu den knapp<br />

25 Milliarden, die Griechenland in diesem<br />

Jahr tilgen muss. Dafür stehen Hilfsgelder<br />

der Euro-Partner und des Internationalen<br />

Währungsfonds (IWF) zur Verfügung.<br />

Griechenland braucht die drei Milliarden<br />

also gar nicht, das Land ist für <strong>2014</strong><br />

durchfinanziert.<br />

Die Bedeutung der Emission liegt vielmehr<br />

darin, dass sich neue Refinanzierungsmöglichkeiten<br />

für Banken und<br />

Unternehmen eröffnen könnten. Die<br />

Rückkehr des Staates an den Kapitalmarkt<br />

habe „positive Effekte für andere<br />

Kreditnehmer in Griechenland“ und könne<br />

helfen, die Wirtschaft anzukurbeln,<br />

hofft Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsfonds<br />

ESM. Nach dem geglückten<br />

Test werde Griechenland wohl in diesem<br />

Jahr erneut an den Markt gehen, möglicherweise<br />

sogar mit zwei weiteren Emissionen,<br />

heißt es in Athener Finanzkreisen.<br />

Sicher ist: Griechenland braucht spätestens<br />

2015 wieder mehr Geld. Die Troika<br />

sieht für die beiden kommenden Jahre<br />

eine Lücke von mindestens elf Milliarden<br />

Euro. Mit der Rückkehr an den Kapitalmarkt<br />

hofft Samaras ein drittes Rettungspaket<br />

überflüssig zu machen. Denn<br />

weitere Hilfskredite wären mit neuen<br />

Sparauflagen verbunden – und die glaubt<br />

er nicht durchsetzen zu können.<br />

NEUER SCHULDENSCHNITT<br />

Wenn die Renditen nicht schnell weiter<br />

sinken, könnte die Refinanzierung am<br />

Markt Griechenland allerdings noch tiefer<br />

in die Schuldenfalle treiben. Für seine<br />

Schulden, die inzwischen zu mehr als 80<br />

Prozent bei öffentlichen Gläubigern liegen,<br />

zahlt das Land aktuell nur rund zwei<br />

Prozent Zinsen. Die jüngste Anleihe ist<br />

mehr als doppelt so teuer.<br />

Umso mehr muss sich Griechenland<br />

anstrengen, wenn es seine Schuldenquote,<br />

wie mit EU und IWF vereinbart, bis<br />

2022 „substanziell unter 110 Prozent“<br />

drücken will. Selbst unter optimistischen<br />

Wachstumsannahmen und bei größter<br />

Haushaltsdisziplin ist das kaum zu schaffen.<br />

Einen zweiten Schuldenschnitt, der<br />

diesmal die öffentlichen Gläubiger treffen<br />

würde, schließen zwar alle Beteiligten<br />

aus. Aber gleich nach der Europawahl<br />

wollen die Euro-Finanzminister über<br />

Schuldenerleichterungen verhandeln.<br />

Denkbar wären niedrigere Zinsen und längere<br />

Laufzeiten für Altkredite. Auch wenn<br />

das „S-Wort“ tabu ist: Letztlich wäre auch<br />

das eine Art Schuldenschnitt.<br />

gerd höhler | Athen, politik@wiwo.de<br />

FOTO: LAIF/NIKOS PILOS<br />

38 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

BERLIN INTERN | Beim politischen Wünsch-dir-Was<br />

sind die Wähler gern dabei – die Kosten ignorieren<br />

sie. In der Schweiz führt die Mitsprache der Bürger zu<br />

sparsamer Politik. Von Henning Krumrey<br />

Fruchtloser Baum<br />

FOTOS: WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/KEYSTONE SCHWEIZ<br />

Denkt er an Deutschland, fühlt<br />

sich Klaus-Peter Schöppner<br />

zurückversetzt in Weimarer<br />

Zeiten. Die Staaten taumelten<br />

durch die Weltwirtschaftskrise, doch in<br />

den Salons der Hauptstadt spielten die<br />

Kapellen den Charleston einfach etwas<br />

lauter. „Das ist wie im Berlin der Zwanzigerjahre:<br />

Wir merken, dass um uns<br />

herum durch Finanzkrise und Staatsschulden<br />

alles bröckelt und machen noch einmal<br />

richtig Party.“ Der Mann, der 22 Jahre<br />

Auf der Bremse anstehen Die Schweizer<br />

reden mit – und verzichten auf <strong>Ausgabe</strong>n<br />

lang als Meinungsforschungs-Geschäftsführer<br />

„Mister emnid“ war und jetzt sein<br />

eigener Herr im Beratungsinstitut Mente-<br />

Factum ist, sieht eine Tragik: Statt das<br />

Wohlstandsparadies zu retten, nähmen<br />

die Wähler lieber noch mit, was geht.<br />

„Das Wünschenswerte dominiert das<br />

Realistische“, ist Schöppners Erfahrung mit<br />

dem Bürger und der politischen Klasse, die<br />

er seit Jahrzehnten berät. Die Unfinanzierbarkeit<br />

der Rentenreform, der Kostenwahnsinn<br />

der Energiewende, das Arbeitsplatzrisiko<br />

des Mindestlohns, die Zeitbombe der<br />

Staatsverschuldung – alle Langfristrisiken<br />

würden überdeckt durch Konjunktur, Exportrekorde,<br />

den Ruhm als EU-Musterland.<br />

Natürlich wollen die Deutschen keine<br />

höheren Steuern, Schulden und Sozialversicherungsbeiträge.<br />

Aber sie wollen höhere<br />

Renten, bessere Straßen, mehr Bildung. Sie<br />

wollen die Energiewende, aber nicht so viel<br />

teureren Strom. Die Widersprüche fallen ihnen<br />

nicht auf, weil sie nicht danach gefragt<br />

werden. Denn, so MenteFactum-Mann<br />

Schöppner: „Es sind ja nicht wir, die Bürger,<br />

die etwas verursachen, es sind immer<br />

die Politiker.“ So sprächen sich die Wähler<br />

von jeder Verantwortung frei. Der Baum der<br />

Erkenntnis, er trägt nicht einmal Früchte.<br />

In der Schweiz geht das so einfach nicht.<br />

Ab einer bestimmten <strong>Ausgabe</strong>nsumme entscheidet<br />

das Volk. Und das handelt kostenbewusst.<br />

So stoppten die Bürger der Stadt<br />

Zürich im vergangenen September mit<br />

knapper Mehrheit einen Kredit über 216<br />

Millionen Euro für den Bau eines Fußballstadions.<br />

Der FC Zürich und die Grashoppers<br />

sollten sich gefälligst eine private<br />

Finanzierung organisieren. Auf allen staatlichen<br />

Ebenen ist das Volk gefragt, wenn es<br />

um die Steuern geht. 2008 beschloss eine<br />

Mehrheit, die Mehrwertsteuer von 7,6 auf<br />

8 Prozent zu erhöhen, um die Invalidenversicherung<br />

besser auszustatten. Um<br />

einen dauerhaften Aderlass zu vermeiden,<br />

wurde der Zuschlag zeitlich begrenzt.<br />

„Die Erfahrung in der Schweiz zeigt, dass<br />

die direkte Demokratie eine effizientere<br />

Politik und sparsamere <strong>Ausgabe</strong>n hervorbringt“,<br />

hat Lars Feld festgestellt, der<br />

Direktor des Walter Eucken-Instituts in Freiburg.<br />

„Teure Prestigeprojekte werden<br />

vermieden, aber notwendige Infrastrukturprojekte<br />

scheitern nicht.“ Der Eisenbahn-<br />

Alpentransversale haben die Schweizer<br />

nach einer deutlichen Kostensteigerung<br />

sogar ein zweites Mal zugestimmt.<br />

Auch Feld berät seit Jahren die Politiker<br />

in Berlin. In Deutschland gibt es direkte Mitsprache<br />

der Bürger nur auf Länderebene,<br />

dort seien die Ergebnisse „gemischt, weil<br />

die Länder keine echte Steuerhoheit haben<br />

und weil es in Deutschland so viele Mischfinanzierungen<br />

gibt. Wenn ein anderer zahlt<br />

– beispielsweise die EU mit Zuschüssen<br />

oder die anderen Bundesländer über den<br />

Länderfinanzausgleich –, dann ist der Bürger<br />

auch bei den <strong>Ausgabe</strong>n großzügiger.“<br />

Von der großen Koalition wünscht sich<br />

Feld vor allem eines: Untätigkeit. „Unterlassen<br />

wäre derzeit wichtiger als Handeln.<br />

Denn Mindestlohn und Rente mit 63 drehen<br />

erfolgreiche Reformen wieder zurück.“<br />

Die Vertreibung aus dem Paradies, sie fand<br />

bei der Bundestagswahl eine Mehrheit.<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 41<br />

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Der Volkswirt<br />

KOMMENTAR | Investitionsfaule<br />

Betriebe, skeptische Verbraucher:<br />

In Japan stoßen die „Abenomics“<br />

an ihre Grenzen. Von Bert Losse<br />

Nippons Nöte<br />

Manchmal sind es<br />

kleine Dinge, die<br />

signalisieren, dass<br />

auf großer Bühne<br />

etwas schiefläuft. Ende März<br />

warnten Supermärkte in Tokio<br />

vor „Klopapierknappheit“ und<br />

rationierten ihre Bestände. Der<br />

Grund: befürchtete Hamsterkäufe<br />

im Vorfeld einer Mehrwertsteuererhöhung.<br />

Dass Regierungschef Shinzo<br />

Abe die drohende WC-Krise<br />

registriert hat, ist eher unwahrscheinlich,<br />

denn er muss sich<br />

ganz andere Sorgen machen. Es<br />

läuft nicht mehr rund in der drittgrößten<br />

Volkswirtschaft der Welt.<br />

Die <strong>vom</strong> Regierungschef verordnete<br />

Mixtur aus staatlichen Konjunkturprogrammen<br />

und ultralockerer<br />

Geldpolitik, „Abenomics“<br />

genannt, hatte Ökonomen und<br />

Börsianer zunächst entzückt. Die<br />

Aktienkurse stiegen, das Wachstum<br />

zog an, die Arbeitslosenquote<br />

fiel. Doch nun könnte eintreten,<br />

was Skeptiker stets<br />

befürchteten: Das Programm<br />

entfacht nur ein Strohfeuer.<br />

Zwar hat es die Regierung geschafft,<br />

die jahrelange Deflation<br />

zu beenden. Die Preise steigen<br />

seit neun Monaten. Die Bank of<br />

Japan (BoJ) wurde auf ein Inflationsziel<br />

von zwei Prozent<br />

verpflichtet, was sie womöglich<br />

schon in diesem Jahr erreicht.<br />

Dennoch zeigt sich immer stärker<br />

eine offene Flanke der Abe-Strategie:<br />

Die Konsumenten, die für<br />

60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

stehen, sind steigende<br />

Preise schlicht nicht gewöhnt.<br />

Erstmals seit Jahren sehen sie<br />

sich mit Reallohnverlusten konfrontiert,<br />

die noch nirgendwo in<br />

der Welt ein Konsumfeuerwerk<br />

entfacht haben. Erschwerend<br />

kommt hinzu, dass die Regierung<br />

Anfang April die Mehrwertsteuer<br />

von fünf auf acht Prozent erhöht<br />

hat, um das Schuldenwachstum<br />

zu begrenzen – Japan ist der am<br />

höchsten verschuldete Industriestaat<br />

der Welt. Anders als für<br />

Europäer, die Steuererhöhungen<br />

gewöhnt sind, ist es für die Japaner<br />

der erste Anstieg seit gut 15<br />

Jahren. Der Index des Verbrauchervertrauens<br />

ist innerhalb eines<br />

Dreivierteljahres von 45,7 auf<br />

rund 38 Zähler heruntergekracht.<br />

Ebenso problematisch für die<br />

japanische Konjunktur ist die<br />

Investitionsunlust der Unternehmen.<br />

Umfragen zufolge wollen<br />

die Betriebe ihre Investitionen<br />

um gut vier Prozent zurückfahren.<br />

Für das im April begonnene<br />

Tendenz fallend<br />

Wachstums- und Inflationsrate<br />

in Japan (in Prozent)<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

BIP<br />

*Prognose; Quelle: IWF<br />

Inflation<br />

–1<br />

10 11 12 13 14* 15*<br />

Bilanzjahr <strong>2014</strong> rechnen Ökonomen<br />

nur noch mit einem Wachstum<br />

von knapp einem Prozent.<br />

Manche Analysten erwarten<br />

sogar, dass Japan spätestens in<br />

der zweiten Jahreshälfte in eine<br />

Rezession taumelt.<br />

Was dann passiert, ist ziemlich<br />

klar: Die BoJ, die schon jetzt jährlich<br />

Wertpapiere in Höhe von umgerechnet<br />

424 bis 495 Milliarden<br />

Euro ankauft, wird ihre Geldschleusen<br />

noch weiter öffnen –<br />

mit allen Risiken, die damit verbunden<br />

sind.<br />

EXKLUSIVUMFRAGE<br />

Was das Herz begehrt<br />

Der Einfluss der Gewerkschaften auf die Politik hat<br />

sich nach Einschätzung der Unternehmen drastisch<br />

erhöht, sagt eine Umfrage für die WirtschaftsWoche.<br />

Für Detlef Wetzel ist die<br />

Sache klar: „Themen wie<br />

der Mindestlohn und die<br />

Rente mit 63 sind endlich in der<br />

Mitte der Gesellschaft angekommen.<br />

Und wir haben dabei etwas<br />

mitgeholfen“, frohlockt der Vorsitzende<br />

der IG Metall. Sein Befund:<br />

„Wir haben wieder eine<br />

Regierung, die sich traut, Gesetze<br />

zu beschließen, von denen<br />

Arbeitnehmer profitieren.“<br />

Widerspruch der Arbeitgeber<br />

zu dieser Aussage ist bis auf<br />

Weiteres nicht zu erwarten.<br />

Rund 65 Prozent der mittelständischen<br />

Unternehmer sehen<br />

aktuell einen „hohen“ oder gar<br />

„sehr hohen“ Einfluss der Gewerkschaften<br />

auf die Politik der<br />

Bundesregierung. Vor einem<br />

Jahr – damals regierte noch die<br />

Koalition von Union und FDP –<br />

waren es satte 20 Prozentpunkte<br />

weniger (siehe Grafik). An<br />

einen nur geringen politischen<br />

Einfluss von IG Metall, Verdi<br />

und Co. glauben mittlerweile<br />

nur noch sechs Prozent (vorher:<br />

elf Prozent). Das hat eine Mitgliederumfrage<br />

der Wirtschaftsverbände<br />

„Die Familienunternehmer-ASU“<br />

und „Die Jungen<br />

Unternehmer-BJU“ exklusiv für<br />

die WirtschaftsWoche ergeben,<br />

an der sich knapp 650 Firmenchefs<br />

beteiligten.<br />

Druck von links<br />

Wie schätzen Sie den Einfluss<br />

der Gewerkschaften auf die Regierungspolitik<br />

ein (in Prozent)*<br />

8<br />

23<br />

sehr<br />

hoch<br />

II/2013<br />

37 42 40<br />

II/<strong>2014</strong><br />

21<br />

11 6<br />

hoch mittel gering/<br />

sehr gering<br />

*Rest auf 100 Prozent: weiß nicht; Quelle:<br />

ASU/BJU-Umfrage bei 650 Unternehmen<br />

„Von der Regulierung flexibler<br />

Beschäftigungsformen bis<br />

hin zum Mindestlohn – der Koalitionsvertrag<br />

gibt alles her,<br />

was das Gewerkschaftsherz begehrt“,<br />

findet Lutz Goebel, Präsident<br />

der Familienunternehmer.<br />

Den Verbandschef sorgt,<br />

dass „drei von fünf Spitzenleuten<br />

des Bundesarbeitsministeriums<br />

einen Gewerkschaftshintergrund“<br />

haben. Neben<br />

Ministerin und IG-Metall-Mitglied<br />

Andrea Nahles, die einst<br />

im IG-Metall-Verbindungsbüro<br />

Berlin arbeitete, sind dies die<br />

Parlamentarischen Staatssekretärin<br />

Anette Kramme (Mitglied<br />

bei IG Metall und Verdi) und<br />

der beamtete Staatssekretär<br />

Thorben Albrecht, der vier Jahre<br />

Referatsleiter beim DGB-<br />

Bundesvorstand war.<br />

Gut läuft unterdessen offenbar<br />

die Zusammenarbeit der<br />

Chefs mit dem eigenen Betriebsrat<br />

– sofern ein solcher<br />

existiert. Von den 27 Prozent<br />

der befragten Firmen, die eine<br />

Mitarbeitervertretung haben,<br />

vergeben immerhin 75,6 Prozent<br />

die Noten „gut“ oder<br />

„sehr gut“ für die innerbetriebliche<br />

Kooperation. Vor einem<br />

Jahr waren es 3,5 Prozentpunkte<br />

weniger.<br />

Gute Noten<br />

Wie bewerten Sie die<br />

Zusammenarbeit mit Ihrem<br />

Betriebsrat (in Prozent)*?<br />

58,3<br />

17,3 16,1<br />

sehr gut gut mittelmäßig<br />

*Rest auf 100 Prozent: weiß nicht;<br />

Quelle: ASU/BJU-Umfrage bei 180<br />

Unternehmen mit Betriebsrat<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

8,4<br />

schlecht/<br />

sehr<br />

schlecht<br />

FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

42 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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DENKFABRIK | Mit der umfassenden Überwachung der Banken und Finanzmärkte wollen<br />

die Zentralbanken und Aufsichtsbehörden künftige Risiken für die Finanzstabilität<br />

abwehren. Doch daraus droht eine Regulierungsorgie zu werden, die einer Verstaatlichung<br />

des Bank- und Finanzsystems gleichkommt. Von Thorsten Polleit<br />

Der verstaatlichte Kredit<br />

FOTOS: VISUM/MARTIN LEISSL, GETTY IMAGES<br />

Ein sperriges Wortgebilde<br />

macht in Politik und<br />

Ökonomie die Runde:<br />

makroprudentielle<br />

Überwachung. Es lädt nicht<br />

gerade zum Verweilen ein. Ziel<br />

der makroprudentiellen Überwachung<br />

ist es, Risiken im<br />

Finanzsystem frühzeitig zu erkennen,<br />

um Gegenmaßnahmen<br />

ergreifen und einen Beitrag zur<br />

Finanzstabilität leisten zu können.<br />

Staatliche Stellen – allen<br />

voran Zentralbanken und<br />

Finanzaufsichtsbehörden –<br />

sollen weitreichende Eingriffsmöglichkeiten<br />

in das Finanzsystem<br />

erhalten. Sie sollen<br />

etwa den Geschäftsbanken<br />

erhöhte Kapitalpuffer, Verschuldungs-<br />

und Beleihungsobergrenzen,<br />

Vorgaben<br />

zur Liquidität oder zu ihren<br />

Refinanzierungsformen auferlegen<br />

können.<br />

REINE SYMPTOMKUR<br />

Dass der Staat das Banken- und<br />

Finanzsystem sicher machen<br />

will, dürfte in der Öffentlichkeit<br />

vermutlich Unterstützung finden.<br />

Schließlich ist der Glaube<br />

weit verbreitet, es seien vor<br />

allem die Geschäftsbanken gewesen,<br />

die die jüngste Finanzund<br />

Wirtschaftskrise verursacht<br />

hätten. Daher sei es richtig, die<br />

Banken enger an die Kandare<br />

zu nehmen.<br />

Doch Vorsicht: Die Idee der<br />

makroprudentiellen Überwachung<br />

ist nicht etwa aus einer<br />

einsichtigen Diagnose der wahren<br />

Krisenursache erwachsen.<br />

Sie ist vielmehr der ungelenke<br />

Versuch einer Symptomkur,<br />

weil man sich davor scheut, die<br />

eigentliche Ursache der Krise<br />

anzupacken. Es waren die staatlichen<br />

Zentralbanken, die mit<br />

ihrem unablässigen Ausweiten<br />

von Kredit- und Geldmengen, bereitgestellt<br />

zu immer tieferen Zinsen,<br />

die Überschuldungsmisere<br />

möglich gemacht haben. Doch<br />

nun schrecken sie davor zurück,<br />

die Kredit- und Geldschwemme<br />

zu stoppen, weil sie – berechtigterweise<br />

– fürchten, dass der gesamte<br />

Schuldenturm kollabiert<br />

und mit ihnen die Volkswirtschaften.<br />

Stattdessen soll den Fehlentwicklungen,<br />

die die fortgesetzte<br />

Politik des billigen Geldes verursacht<br />

hat, mit Regulieren und Reglementieren<br />

begegnet werden.<br />

Sollten zum Beispiel die Hausbaukredite<br />

zu stark wachsen und eine<br />

»Freier Wettbewerb<br />

der<br />

Währungen<br />

sorgt für bessere<br />

Banken als<br />

jede staatliche<br />

Regulierung«<br />

Immobilienpreisblase drohen,<br />

kann der Staat dank makroprudentieller<br />

Überwachung einschreiten,<br />

indem er den Banken<br />

durch höhere Eigenkapitalanforderungen<br />

die Vergabe von<br />

Hypothekenkrediten erschwert.<br />

Die makroprudentielle Überwachung<br />

wird am Ende alle wichtigen<br />

betriebswirtschaftlichen Entscheidungen<br />

der Banken durch staatliches<br />

Regulierungswerk ersetzen.<br />

Sie läuft damit auf eine Verstaatlichung<br />

des Banken- und Finanzsystems<br />

hinaus. Wir erleben<br />

mithin die Verstaatlichung des<br />

Kredits, wie es bereits Karl Marx in<br />

Weiter hoch hinaus? Finanzdistrikt<br />

in London<br />

ßen und gehen früher oder später<br />

in den Staatsbesitz über.<br />

Ein düsteres, aber durchaus<br />

schlüssiges Szenario. Es ist logische<br />

Folge des staatlichen<br />

Zwangsgeldmonopols: Die staatseigene<br />

Zentralbank produziert in<br />

Kooperation mit den Geschäftsbanken<br />

neues Geld durch Kredite,<br />

die durch nichts gedeckt sind,<br />

gewissermaßen aus dem Nichts<br />

geschaffen. Das staatliche Geldmonopol<br />

schafft nicht nur inflationäres<br />

Geld, es sorgt auch für<br />

wiederkehrende Finanz- und Wirtschaftskrisen.<br />

Und es führt die<br />

Volkswirtschaften in eine Über-<br />

seinem Kommunistischen Manifest<br />

im Jahr 1848 gefordert hat.<br />

Wie immer, wenn der Marktprozess<br />

durch staatliche Lenkung ersetzt<br />

wird, kommt es zur Fehlallokation<br />

knapper Ressourcen auf<br />

breiter Front, zu Unterversorgung<br />

hier und Überversorgung da, zu<br />

genereller Misswirtschaft. Sind<br />

die Marktkräfte im Banken- und<br />

Finanzsystem erst einmal ausgeschaltet,<br />

erlischt auch das Interesse<br />

privater Investoren am<br />

Bankgeschäft. Die Klugen steigen<br />

aus, die weniger Talentierten harren<br />

aus. Die Geldhäuser werden<br />

unprofitabel, sie bekommen kein<br />

neues Eigenkapital mehr von auschuldungssituation,<br />

die letztlich<br />

im Bankrott endet.<br />

Um dem Kollaps hier und<br />

heute zu entkommen, setzen<br />

Zentralbanken und Aufsichtsbehörden<br />

die auf Korrektur drängenden<br />

Marktkräfte außer Kraft.<br />

Und die makroprudentielle<br />

Überwachung soll dabei helfen.<br />

IN DIE SACKGASSE<br />

Das Bekämpfen der Marktwirtschaft<br />

führt jedoch in die ökonomische<br />

Sackgasse. Deshalb<br />

ist der produktive Gegenentwurf<br />

zur makroprudentiellen Überwachung<br />

die konsequente<br />

Rückbesinnung auf den freien<br />

Markt als spontane Ordnungskraft.<br />

Der entscheidende Befreiungsschlag<br />

wäre das Beenden<br />

des staatlichen Geldmonopols,<br />

an dessen Stelle der freie Währungswettbewerb<br />

tritt. Bekanntlich<br />

ist der Wettbewerb ein<br />

bewährtes Verfahren, um die<br />

Wünsche der Nachfrager bestmöglich<br />

und zu niedrigsten Kosten<br />

zu befriedigen. Ohne freien<br />

Wettbewerb gäbe es heute keine<br />

Mobilfunkgeräte, Laptops,<br />

iPhones und vieles mehr. Eine<br />

ähnliche produktive Wirkung<br />

hätte der freie Währungswettbewerb:<br />

Er würde besseres Geld<br />

schaffen, als es der Staat bereitstellt,<br />

und er würde für bessere<br />

Banken sorgen, als sie die makroprudentielle<br />

Überwachung<br />

jemals herbeiregulieren kann.<br />

Es ist Zeit, umzudenken.<br />

Polleit ist Chefvolkswirt der<br />

Degussa Goldhandel. Zuvor<br />

arbeitete der in Münster promovierte<br />

Volkswirt als Chefökonom<br />

für Deutschland bei<br />

der britischen Investmentbank<br />

Barclays Capital.<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 43<br />

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Der Volkswirt<br />

WELTWIRTSCHAFT<br />

Verhängnisvoller Pakt<br />

Mit einer billionenschweren Liquiditätsspritze an die Banken wollte die Europäische<br />

Zentralbank die Realwirtschaft der Euro-Zone reanimieren. Stattdessen haben<br />

südeuropäische Geldhäuser den Geldsegen vor allem zum Kauf heimischer Staatsanleihen<br />

genutzt. Das wird nun zum Risiko für die Bankenunion.<br />

Man muss sich Mario<br />

Draghi als optimistischen<br />

Menschen vorstellen.<br />

„Wir sehen Fortschritte“,<br />

erklärte der Präsident der Europäischen<br />

Zentralbank (EZB) im<br />

März vor dem EU-Parlament in<br />

Brüssel und machte klar, was er<br />

bereits für einen Fortschritt<br />

hält: „Die Kreditflüsse sind<br />

noch immer gedämpft – aber<br />

sie gehen in einem langsameren<br />

Tempo zurück.“<br />

Dass Draghi bereits Zuversicht<br />

verbreitet, wenn sich ein<br />

Rückschritt verlangsamt, zeigt<br />

den immensen Druck, unter<br />

dem die Frankfurter Währungshüter<br />

stehen. Die EZB hat in<br />

den vergangenen beiden Jahren<br />

mit einem Billionen-Euro-Programm<br />

für die Banken versucht,<br />

die Kreditvergabe an Unternehmen<br />

und Konsumenten zu beleben<br />

und die Konjunktur anzukurbeln.<br />

Es war ein historisch<br />

einmaliger finanzieller Kraftakt<br />

– und trotzdem sind die Erfolge<br />

ausgeblieben. In den rezessionsgeplagten<br />

Krisenländern<br />

schrumpft trotz dieser beispiellosen<br />

Geldspritze die Kreditvergabe<br />

an die Privatwirtschaft<br />

weiter. Damit nicht genug: Wie<br />

sich jetzt zeigt, haben die Banken<br />

Italiens, Portugals und Spaniens<br />

die billige EZB-Liquidität<br />

stattdessen in hohem Maß in<br />

heimische Staatsanleihen investiert<br />

und damit ihre Bilanzen<br />

aufgebläht. Das bringt die EZB<br />

nun als zukünftige Aufsichtsbehörde<br />

in der Europäischen Bankenunion<br />

in die Bredouille.<br />

Neben Offenmarktgeschäften<br />

mit einwöchiger Laufzeit gewährt<br />

die EZB den Banken Liquidität<br />

in Form so genannter<br />

Long Term Refinancing Operations<br />

(LTRO), die normalerweise<br />

nur über drei Monate laufen.<br />

Als aber 2011 die Zinsspreads<br />

für Staatsanleihen von Portugal,<br />

Italien, Irland, Griechenland<br />

und Spanien in die Höhe schossen<br />

und die Euro-Zone in die<br />

Rezession taumelte, beschloss<br />

die EZB, den Banken im Rahmen<br />

von zwei LTRO-Geschäften<br />

Liquidität von über einer<br />

Billion Euro mit einer Frist von<br />

drei Jahren zuzuführen. Erklärtes<br />

Ziel der im EZB-Jargon<br />

„Dicke Bertha“ genannten<br />

Mammut-Tender : die Geldpolitik<br />

„effektiv in die Realwirtschaft<br />

zu übertragen“, damit die<br />

Banken „die Kreditvergabe an<br />

Haushalte und Unternehmen in<br />

der Euro-Zone aufrecht erhalten<br />

und ausweiten“.<br />

In Schieflage<br />

Bankenviertel<br />

in Madrid<br />

Für die Banken bedeutete das<br />

billiges Geld: Sie zahlen für die<br />

Tender einen Zinssatz, der sich<br />

nach dem Durchschnitt ihrer<br />

Laufzeit bemisst und der seit<br />

Ende 2011 von 1,0 auf heute<br />

0,25 Prozent gefallen ist. Vor<br />

allem südeuropäische Geldhäuser<br />

griffen begeistert zu,<br />

während die deutschen und<br />

französischen Institute ihre Engagements<br />

begrenzt hielten<br />

oder wieder zurückfuhren (siehe<br />

Grafik Seite 45). So haben die<br />

italienischen Banken ihre Mittelaufnahme<br />

bei der EZB von<br />

knapp 30 Milliarden Euro Anfang<br />

2011 auf 217 Milliarden<br />

Euro Mitte Januar <strong>2014</strong> gesteigert.<br />

Zwischenzeitlich hingen<br />

sie sogar mit 272 Milliarden Euro<br />

am LTRO-Tropf der EZB.<br />

Der Kreditfluss an Betriebe und<br />

Verbraucher kommt nicht in Gang<br />

Auch Spaniens unter der geplatzten<br />

Immobilienblase leidende<br />

Banken langten kräftig<br />

zu. Von knapp 40 Milliarden<br />

Euro Anfang 2011 kletterte das<br />

Volumen bis August 2012 auf<br />

338 Milliarden Euro. Zwar reduzierten<br />

sie dann ihre LTRO-<br />

Bestände, Mitte Januar <strong>2014</strong><br />

standen die spanischen Kreditinstitute<br />

aber immer noch mit<br />

178 Milliarden Euro bei der EZB<br />

in der Kreide. Portugals Banken<br />

schließlich wiesen zuletzt längerfristige<br />

EZB-Finanzierungen<br />

in Höhe von 50 Milliarden Euro<br />

aus, die zu 90 Prozent aus den<br />

beiden Drei-Jahres-Tendern<br />

stammen.<br />

GELD KOMMT NICHT AN<br />

In der Realwirtschaft Südeuropas<br />

kam das Geld aber nicht an.<br />

In Italien schrumpfte die Kreditvergabe<br />

an die heimischen<br />

Unternehmen von 915 Milliarden<br />

Euro im November 2011 bis<br />

Dezember 2013 um insgesamt<br />

100 Milliarden Euro. In Spanien<br />

ging das Kreditvolumen an die<br />

Privatwirtschaft von Ende 2011<br />

bis Mitte 2013 um 13 Prozent, in<br />

Portugal um 4,6 Prozent zurück.<br />

Für Italien gilt auch nicht, was<br />

Draghi für die Euro-Zone insgesamt<br />

als hoffnungsvollen Trend<br />

ausgibt. Dort hat sich der Rückgang<br />

keinesfalls verlangsamt.<br />

Der Banca d’Italia zufolge beschleunigte<br />

sich der Schrumpfprozess<br />

im vergangenen Jahr<br />

sogar noch von 2,6 Prozent im<br />

ersten Quartal auf 5,4 Prozent<br />

im vierten Quartal. Im Januar<br />

<strong>2014</strong> betrug das Minus immer<br />

noch fünf Prozent – doppelt so<br />

viel wie vor einem Jahr.<br />

Dass die Banken die Milliardenhilfe<br />

nicht wie von der EZB<br />

beabsichtigt per Kredit an Konsumenten<br />

und Unternehmen<br />

weiterreichen, entsprach allerdings<br />

betriebswirtschaftlicher<br />

Logik . „Die Qualität der Kredite<br />

verschlechtert sich“, klagt etwa<br />

die Banco de Portugal. Mit 15<br />

respektive 17 Prozent ist vor allem<br />

die Ausfallquote der Unternehmens-<br />

und Konsumentenkredite<br />

hoch. Ähnlich prekär ist<br />

FOTO: LAIF/GUNNAR KNECHTEL<br />

44 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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die Lage in Italien: Hier hat sich<br />

der Bestand an notleidenden<br />

Krediten seit 2010 in etwa verdoppelt.<br />

Das Ausfallrisiko liegt<br />

bei gut 13 Prozent. Auch in<br />

Spanien hat das Volumen fragwürdiger<br />

Kredite zugenommen<br />

– innerhalb eines Jahres um<br />

mehr als fünf Prozent.<br />

Deshalb müssen die Banken<br />

mit Blick auf Basel III ihr Kreditgeschäft<br />

mit mehr Eigenkapital<br />

unterlegen – woran es ihnen<br />

mangelt. Oder sie müssen ihr<br />

Kreditportfolio zurückfahren,<br />

wollen sie die Vorgaben einhalten<br />

– genau dies tun sie gerade.<br />

Statt für Kredite an Unternehmen<br />

und Konsumenten kaufen<br />

die Banken mit dem billigen<br />

EZB-Geld lieber heimische<br />

Staatstitel. Denn im Unterschied<br />

zu Unternehmenskrediten gilt<br />

für Euro-Staatsanleihen nach<br />

wie vor die Fiktion, sie seien frei<br />

von Ausfallrisiken. Deshalb<br />

brauchen die Banken dafür kein<br />

teures Eigenkapital vorzuhalten<br />

– und erzielen mit den Staatsanleihen<br />

ähnlich hohe Zinsen wie<br />

bei Unternehmenskrediten.<br />

So haben Italiens Banken ihren<br />

Bestand an heimischen<br />

Staatstiteln in den beiden vergangenen<br />

Jahren um 160 Milliarden<br />

Euro aufgestockt. Das<br />

entspricht in etwa dem Betrag,<br />

der ihnen in dieser Zeit aus<br />

Frankfurt zufloss – und um den<br />

die italienische Staatsschuld in<br />

dieser Zeit netto stieg. Für die<br />

Banken ein gutes Geschäft: Für<br />

die Frankfurter Milliarden zahlen<br />

sie weniger als ein Prozent<br />

Zinsen, italienische Staatsanleihen<br />

brachten ihnen je nach<br />

Laufzeit zwischen vier und<br />

sechs Prozent Zinsen. Ende<br />

2013 machten italienische<br />

Staatsanleihen bereits zehn<br />

Prozent der Bilanzsumme italienischer<br />

Banken aus, ein Anstieg<br />

um 1,3 Punkte binnen eines<br />

Jahres.<br />

Auch die spanischen Banken<br />

haben in erheblichem Umfang<br />

heimische Staatsanleihen gekauft.<br />

Ihr Bestand stieg in den<br />

beiden Jahren bis Mitte 2013<br />

um 147 Milliarden Euro. Portugals<br />

Banken wiesen Mitte vergangenen<br />

Jahres 57 Milliarden<br />

Euro Staatsanleihen – überwiegend<br />

portugiesische – in ihren<br />

Bilanzen aus. Der Anteil dieser<br />

Staatsschulden am Wertpapierportfolio<br />

der Banken hat sich<br />

seit 2009 fast vervierfacht und<br />

liegt heute bei 37 Prozent.<br />

Geldsegen für Südeuropa<br />

Mittelaufnahmender nationalen<br />

Banken aus dem LTRO-<br />

Programm der EZB (in Mrd. €)<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

Spanien<br />

Deutschland<br />

2011 2012 2013 14<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

Italien<br />

Frankreich<br />

Fakt ist:Banken und Staaten<br />

sind einen verhängnisvollen<br />

Pakt eingegangen. Nicht nur<br />

können die Banken Staatsanleihen<br />

bei der EZB als Sicherheit<br />

für LTRO-Gelder hinterlegen,<br />

um diese dann – wie in einer<br />

Pyramide – wieder in Staatsanleihen<br />

anzulegen. Die EZB hat<br />

auch ihre Sicherheitsanforderungen<br />

reduziert. So dürfen die<br />

Banken auch eigene Schuldverschreibungen<br />

als Sicherheit<br />

hinterlegen, wenn diese Titel<br />

von ihren Regierungen garantiert<br />

werden. Die Politik ziert<br />

sich wenig – damit die Banken<br />

erneut heimische Anleihen<br />

kaufen. Die Geldhäuser sind so<br />

in ihren Ländern zu den Hauptabnehmern<br />

von Staatsanleihen<br />

avanciert.<br />

Durch die von den LTRO-Geldern<br />

angeheizte Nachfrage<br />

nach Staatsanleihen konnten<br />

Italien, Spanien und Portugal<br />

zudem ihre Schuldtitel bequem<br />

unterbringen, ohne höhere<br />

Renditen zahlen zu müssen. So<br />

erleichterte das LTRO-Programm<br />

den Krisenstaaten das<br />

Schuldenmachen – und verringerte<br />

den Reformdruck.<br />

Die Schieflage in den<br />

Bankenbilanzen durch das<br />

Übergewicht an Staatsanleihen<br />

der überschuldeten Südländer<br />

wird für die EZB nun zum Problem:<br />

Anfang November übernimmt<br />

sie die Aufsicht über die<br />

rund 130 größten und systemrelevanten<br />

Banken. Derzeit prüft<br />

Unwucht im Bankensektor<br />

Anteil derStaatsanleihen an<br />

der Bilanzsumme der Banken<br />

(in Prozent)<br />

2010*<br />

2013**<br />

5,1<br />

10,0<br />

12,8<br />

17,2<br />

9,4<br />

11,8<br />

Italien Spanien Portugal<br />

*Ende 2010; ** Juni; Quelle: Banco de<br />

España, Banca d’Italia, Banco de Portugal<br />

sie deren Bilanzen, um nicht die<br />

Verantwortung für etwaige Krisenbanken<br />

aufgehalst zu bekommen.<br />

Dazu müsste die EZB<br />

eigentlich auch die Risiken bei<br />

jenen Banken berücksichtigen,<br />

die massenhaft Staatsanleihen<br />

von Krisenländern halten.<br />

STRESSTEST IM MAI<br />

Doch solange Euro-Staatsanleihen<br />

als risikolos gelten, ist die<br />

EZB gezwungen, diese Schlagseite<br />

zu tolerieren. Als Bankenaufsicht<br />

kann sie in dieser<br />

Frage nicht auf einmal strenge<br />

Maßstäbe an die Banken anlegen,<br />

nachdem sie selbst die Anreize<br />

gesetzt hat, die die Banken<br />

in den Anleihenkaufrausch trieben.<br />

„Die EZB wird an ihrer laxen<br />

Geldpolitik festhalten und<br />

den Banken weiter Liquidität zu<br />

Niedrigstzinsen gewähren, damit<br />

diese nicht in neue Schwierigkeiten<br />

geraten“, prophezeit<br />

der Bonner Geldtheoretiker<br />

Manfred J. Neumann.<br />

Die EZB ignoriert auch die<br />

Folgen für die gemeinsame Haftung<br />

in der Bankenunion, wenn<br />

ein Land seine Schulden nicht<br />

mehr bedienen kann, die EZB<br />

zuvor aber den hohen Anteil<br />

von Staatsanleihen in den Bankenbilanzen<br />

nicht beanstandet<br />

hat. In dem im Mai startenden<br />

Stresstest, bei dem die EZB die<br />

Auswirkungen einer Finanzund<br />

Wirtschaftskrise auf die<br />

Bankbilanzen simuliert, werde<br />

dieser Fall in den Szenarien der<br />

EZB nicht auftauchen, ist sich<br />

ein Bankvolkswirt sicher.<br />

Nicht umsonst warnte der Internationale<br />

Währungsfonds<br />

Ende 2013 in einem Bericht zur<br />

Stabilität der italienischen Banken:<br />

„Die Verbindung zwischen<br />

Finanzsektor und italienischem<br />

Staat bleibt eines der Hauptrisiken<br />

für das Bankensystem.“<br />

Eine implizite Kritik auch an<br />

der Banca d’Italia, zu deren Aufgaben<br />

die Aufsicht über die italienischen<br />

Banken gehört und<br />

an deren Spitze Draghi von<br />

2006 bis 2011 stand.<br />

Als der EZB-Chef im März zu<br />

den Europaabgeordneten in<br />

Brüssel sprach, veröffentlichte<br />

Eurostat fast zeitgleich den Januarwert<br />

für die Kreditvergabe<br />

an Unternehmen und Haushalte<br />

im Euro-Raum. Diese war den<br />

21. Monat in Folge gesunken –<br />

trotz „Dicker Bertha“. Analysten<br />

rätseln nun, was die EZB jetzt<br />

noch im Köcher hat. Draghi<br />

spricht vage von „unkonventionellen<br />

Instrumenten“, mit denen<br />

die EZB der angeblichen<br />

Deflationsgefahr zu Leibe rücken<br />

müsse. Doch dazu müsste<br />

die Inflationsrate weiter fallen,<br />

meint Stefan Schilbe, Chefökonom<br />

bei HSBC Trinkaus. Er<br />

rechnet deshalb mit einer Entscheidung<br />

erst zur Jahresmitte.<br />

Von Parlamentariern darauf<br />

hingewiesen, dass die Bank of<br />

England ihre Liquiditätshilfen<br />

für Banken an die Verpflichtung<br />

zu einer Kreditvergabe an die<br />

Realwirtschaft knüpfe, antwortete<br />

Draghi in militärischer Diktion:<br />

„Das ist ein Instrument,<br />

das wir in unserer Artillerie haben<br />

– und wir denken darüber<br />

auch nach.“<br />

Optimismus klingt irgendwie<br />

anders.<br />

n<br />

klaus.methfessel | politik@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 45<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Kampf um Verlässlichkeit<br />

INVESTITIONSSCHUTZABKOMMEN | Schiedsverfahren für Konflikte zwischen Investoren<br />

und Staaten sind so in Verruf gekommen, dass die Freihandelsverhandlungen<br />

mit den USA deswegen zu scheitern drohen. Auch wenn Gegner sie zu Unrecht als<br />

Hinterzimmer-Rechtsprechung schmähen: Für Unternehmen sind sie existenziell.<br />

Die Investition schien eine sichere<br />

Sache zu sein. Im Sommer<br />

2011 erwarb der Fonds RREEF<br />

Infrastructure, eine Tochter der<br />

Deutschen Bank, für rund 400<br />

Millionen Euro 45 Prozent an zwei Solaranlagen<br />

in Guadix in der spanischen Provinz<br />

Granada. Das sonnige Klima und der spanische<br />

Einspeisetarif für Solarstrom ließen<br />

hohe Renditen erwarten. „Beide Anlagen<br />

profitieren von einem transparenten, stabilen<br />

und attraktiven Regulierungsumfeld mit<br />

einer Abnahmegarantie während ihrer Betriebsdauer“,<br />

warb der in Luxemburg ansässige<br />

Fonds bei Profi-Anlegern.<br />

Doch im Dezember 2011 wechselte in<br />

Madrid die Regierung. Als eine seiner<br />

ersten Amtshandlungen strich Ministerpräsident<br />

Mariano Rajoy die großzügigen<br />

Subventionen für erneuerbare Energien<br />

radikal zusammen. Der 2007 für 25 Jahre<br />

festgezurrte Einspeisepreis entfiel komplett.<br />

Damit schrumpft der Gewinn von Solaranlagen<br />

um rund 45 Prozent, schätzt der<br />

spanische Branchenverband Unef.<br />

Die spanischen Konservativen argumentieren,<br />

dass die Subventionen, die zwischen<br />

2005 und 2013 um den Faktor acht<br />

explodierten, in der Krise nicht mehr finanzierbar<br />

waren. Der Fonds der Deutschen<br />

Bank dagegen hält den unangekündigten<br />

Politikschwenk für illegal. Unter Berufung<br />

auf den internationalen Energiecharta-Vertrag<br />

hat RREEF daher ein Verfahren<br />

gegen Spanien vor dem Schiedsgericht<br />

der Weltbank eingeleitet, dem International<br />

Centre for Settlement of Investment<br />

Disputes (ICSID). Der Fonds klagt somit<br />

sein Recht als Investor auf ein verlässliches<br />

Umfeld ein.<br />

Der Fall mit dem Aktenzeichen ARB/13/<br />

30 steht für einen Trend. Zunehmend wehren<br />

sich Unternehmen vor Schiedsgerichten<br />

gegen politische Entscheidungen,<br />

wenn es um Diskriminierung, Enteignung<br />

oder willkürliche Strategiewechsel geht.<br />

Schiedsverfahren nehmen seit der Jahrtausendwende<br />

rasant zu (siehe Grafik), und<br />

die Zahl dürfte weiter steigen.<br />

Mehr Klagen gegen Staaten<br />

Anzahl derweltweiten Schiedsverfahren*<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

Verfahren beim Schiedsgericht<br />

der Weltbank<br />

Verfahren bei anderen<br />

Schiedsgerichten<br />

<strong>19</strong>87 2000 2012<br />

*Gesamtbestand; Quelle: Unctad<br />

Klagefreudige Deutsche<br />

Zahl der Schiedsverfahren nach<br />

Herkunftsland des Investors bis<br />

Ende 2012<br />

USA<br />

Niederlande<br />

Großbritannien<br />

Deutschland<br />

Kanada<br />

Frankreich<br />

Schweiz<br />

Quelle:Unctad, ICSID<br />

20 40 60 80 100<br />

120<br />

Für Unternehmen sind solche Verfahren<br />

existenziell. Globalisierungskritiker haben<br />

sie allerdings so diffamiert, dass die laufenden<br />

Verhandlungen über das transatlantische<br />

Freihandelsabkommen TTIP zwischen<br />

der EU und den USA an diesem Thema<br />

zu scheitern drohen. Auch deutsche<br />

Politiker, allen voran Sozialdemokraten,<br />

betrachten die Schiedsverfahren als Angriff<br />

auf die Demokratie.<br />

Auslöser für die neue Betrachtungsweise<br />

ist das Novum, dass sich die Klagen verstärkt<br />

gegen entwickelte Länder richten.<br />

Betrafen die Investoren-Staat-Klagen in<br />

den vergangenen Jahrzehnten vor allem<br />

Entwicklungs- und Schwellenländer, häufen<br />

sich jetzt Verfahren gegen europäische<br />

Staaten. 2013 betraf fast jedes dritte neue<br />

Verfahren bei ICSID ein Land in Europa.<br />

ANGRIFF AUF DIE DEMOKRATIE?<br />

Basis für diese Klagen sind – neben der<br />

Energie-Charta – Investitionsschutzabkommen,<br />

von denen bis 2012 alleine<br />

Deutschland 131 mit anderen Ländern<br />

eingegangen ist. Weltweit gibt es mehr<br />

als 3000 solcher völkerrechtlichen Verträge,<br />

die meist Schiedsgerichte vorsehen,<br />

um Streit zwischen Investoren und<br />

Staaten beizulegen. Die Idee: Eine neutrale<br />

dritte Partei schlichtet, damit sich nicht<br />

jedes Mal der Außenminister einschalten<br />

muss.<br />

„Nachdem der Bundestag die Abkommen<br />

abgesegnet hatte, fand jahrelang<br />

keine Diskussion darüber statt, auch nicht<br />

in der Wissenschaft“, sagt Christian Tietje,<br />

Juraprofessor an der Martin-Luther-<br />

Universität Halle-Wittenberg und einer<br />

der profiliertesten Kenner der Materie.<br />

»<br />

FOTO: ACTION PRESS/DIE BILDSTELLE<br />

46 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Streitfall<br />

VATTENFALL<br />

gegen<br />

DEUTSCHLAND<br />

Der schwedische Staatskonzern<br />

verließ sich auf die angekündigte<br />

Verlängerung der Laufzeiten für<br />

Atomkraftwerke und investierte in<br />

Deutschland. Dann kam die Energiewende.<br />

Vattenfall fordert nun Schadensersatz.<br />

Der Fall rüttelte die Politik auf, weil<br />

erstmals ein Investor in großem Stil von<br />

Berlin Verlässlichkeit einfordert. Lange<br />

richteten sich Investor-Staat-Klagen nur<br />

gegen unterentwickelte Länder.<br />

Streitwert 3,8 Milliarden Euro<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 47<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Seit Investorenschutz und Schiedsverfahren<br />

Teil des TTIP werden sollen, ist die<br />

Meinungsfreude allerdings schlagartig angestiegen.<br />

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)<br />

wie die Lobbykritiker von Corporate Europe<br />

Observatory (CEO) in Brüssel stellen die<br />

Investor-Staat-Klagen als Angriff auf die<br />

Demokratie dar, die Steuerzahlern Entschädigungszahlungen<br />

in Milliardenhöhe<br />

aufbürden und gleichzeitig den Aktionsradius<br />

der Politik stark einengen. Denn jeder<br />

Politikwechsel könnte teure juristische<br />

Auseinandersetzungen vor Schiedsgerichten<br />

nach sich ziehen. „Die internationalrechtliche<br />

Zementierung der Konzernherrschaft<br />

ist in vollem Gange“, befürchtet<br />

CEO-Frontfrau Pia Eberhardt.<br />

Die Kritik von CEO und anderen Globalisierungsgegnern<br />

findet in der Politik Widerhall.<br />

So sagt Umweltministerin Barbara<br />

Hendricks (SPD) über den Investitionsschutz<br />

im TTIP: „Ein solches Schlupfloch<br />

würde die Errungenschaften von 150 Jahren<br />

Arbeiterbewegung, 100 Jahren Frauenbewegung<br />

und 50 Jahren Umweltbewegung<br />

mit einem Federstrich zerstören.“ Ihr<br />

Parteifreund, Bundeswirtschaftsminister<br />

Sigmar Gabriel, plädiert dafür, den Investorenschutz<br />

ersatzlos aus TTIP zu streichen.<br />

Wegen der harschen Kritik hat EU-Handelskommissar<br />

Karel de Gucht die Verhandlungen<br />

mit den USA zum Investorenschutz<br />

ausgesetzt. Um die öffentliche Meinung<br />

zu drehen, hat er eine Anhörung begonnen,<br />

bei der alle Interessierten Stellung<br />

nehmen können. In Brüssel herrscht die<br />

Überzeugung, dass Deutschland mit einem<br />

Bestand von mehr als 1,144 Billionen<br />

Euro Direktinvestitionen im Ausland viel<br />

zu verlieren hätte, würde der Investorenschutz<br />

geschwächt.<br />

Streitfall<br />

DEUTSCHE BANK<br />

gegen<br />

SPANIEN<br />

Die Regierung Rajoy<br />

kürzte radikal<br />

die auf 25 Jahre<br />

angelegte Förderung<br />

erneuerbarer<br />

Energien. Eine<br />

Deutsche-Bank-<br />

Tochter, die 400<br />

Millionen Euro in<br />

zwei Solaranlagen investierte,<br />

sieht ihre<br />

Rendite wegbrechen.<br />

Auch RWE erwägt eine<br />

Klage wegen schlechterer<br />

Förderbedingungen.<br />

DIE UNTERNEHMEN SCHWEIGEN<br />

Doch die Wirtschaft meldet sich nur zögerlich<br />

zu Wort. Der Bundesverband der<br />

Deutschen Industrie (BDI) weist in einem<br />

Positionspapier darauf hin, dass Investor-<br />

Staats-Schiedsverfahren „unabkömmlich“<br />

seien, um „Investitionen im Ausland angemessen<br />

zu schützen“. Die großen Unternehmen<br />

und ihre Juristen bleiben dagegen<br />

erschreckend still. „Im Einzelfall mag ein<br />

Schiedsverfahren überlebenswichtig für<br />

ein Unternehmen sein“, sagt Christoph Benedict,<br />

Syndikus des Anlagenbauers Alstom<br />

in Deutschland, der in seiner Laufbahn<br />

schon zwei Verfahren begleitet hat.<br />

„Aber es ist ungefähr so, als wollte man<br />

Yachtbesitzer für eine Debatte über Rettungsinseln<br />

begeistern. Die reden lieber<br />

über Regatten.“<br />

In der öffentlichen Debatte dominiert<br />

dagegen die Angst. Seit der schwedische<br />

Versorger Vattenfall Deutschland vor dem<br />

Schiedsgericht der Weltbank wegen der<br />

Energiewende verklagt hat, erscheinen Investor-Staat-Verfahren<br />

hierzulande in einem<br />

neuen Licht. „Investorenschutz ist<br />

keine Einbahnstraße“, sagt Reinhard Quick,<br />

Handelsexperte des Verbands der Chemischen<br />

Industrie. „Aber das war vielen in<br />

Berlin wohl nicht bewusst.“<br />

Vielen Abgeordneten erscheint ungeheuerlich,<br />

dass ein ausländischer Staatskonzern<br />

die Energiewende infrage stellt.<br />

Dabei pochen die Schweden nur auf ihr<br />

gutes Recht. Das Unternehmen argumentiert,<br />

dass es sich auf die ursprüngliche Verlängerung<br />

der Laufzeit von Atomkraftwerken<br />

verlassen und entsprechend investiert<br />

habe. Dem Vernehmen nach fordert Vattenfall<br />

3,8 Milliarden Euro Schadensersatz<br />

von Deutschland.<br />

Für Urban Rusnák, Generalsekretär des<br />

Sekretariats der Energie-Charta, auf die<br />

sich Vattenfall beruft, ist die Klage logisch.<br />

Die Energie-Charta sei geschaffen worden,<br />

um Investoren vor abrupten Politikveränderungen<br />

zu schützen. „Gerade im Bereich<br />

Energie, wo Investitionen auf 40, 50 oder<br />

gar 60 Jahre kalkuliert werden, brauchen<br />

Unternehmen Berechenbarkeit“, sagt Rusnák.<br />

Andernfalls sinke der Anreiz für Investitionen,<br />

die teurer würden, weil dann eine<br />

Risikoprämie anfiele.<br />

Doch in Europa tun sich viele Regierungen<br />

schwer mit dem Gedanken, dass Investoren<br />

von ihnen Verlässlichkeit einfordern<br />

können.<br />

Die USA sind beim Thema Investitionsschutz<br />

schon weiter, weil die <strong>19</strong>94 gegründete<br />

Freihandelszone Nafta – ein Zusammenschluss<br />

von den USA, Kanada und Mexiko<br />

– das Thema ins öffentliche Bewusstsein<br />

gerückt hat.<br />

Weil damals Investoren aus Mexiko und<br />

Kanada begannen, den amerikanischen<br />

Staat zu verklagen, und damit indirekt US-<br />

Gesetze infrage stellten, gerieten die Investitionsschutzvereinbarungen<br />

bald in die<br />

Kritik. Auslöser der Debatte war die Klage<br />

der kanadischen Methanex <strong>19</strong>99, die sich<br />

durch neue kalifornische Umweltgesetze<br />

um Marktchancen betrogen sah.<br />

NOCH NIE VERLOREN<br />

Die USA wurden seither 17-mal auf der Basis<br />

des Nafta-Abkommens auf Schadensersatz<br />

verklagt, 34-mal traf es Kanada, 25-mal<br />

Mexiko. Die USA steckten viel Energie in<br />

ihre Verteidigung. „Als ein Land, das nach<br />

den Regeln spielt und die Gesetze achtet,<br />

haben wir bis heute nicht eine einzige Investitionsschutzklage<br />

verloren“, heißt es<br />

stolz aus dem Weißen Haus.<br />

Amerikanische Investoren und Anwaltskanzleien<br />

lernten Ende der Neunzigerjahre<br />

schnell, die Investitionsschutzabkommen<br />

für sich zu nutzen. Nicht nur das Nafta-Abkommen<br />

beflügelte ihre millionenteuren<br />

Prozesse, sondern auch die Argentinien-<br />

Krise zwischen <strong>19</strong>98 und 2002.<br />

„Es gab als Folge der Umbrüche in Argentinien<br />

rund 40 Klagen, die meisten aus<br />

den USA“, sagt der Washingtoner Anwalt<br />

Ian Laird, Partner der Kanzlei Crowell &<br />

Moring, einer der führenden US-Experten<br />

für internationale Schiedsverfahren. „Das<br />

war die erste Welle, die das Thema bekannt<br />

machte. Seither boomt es.“<br />

FOTOS: PANOS PICTURES / VISUM; BLOOMBERG VIA GETTY IMAGES/BRENT LEWIN<br />

48 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Im Zuge der Argentinien-Krise verdreifachte<br />

sich die Zahl neuer Investitionsschutzklagen<br />

gegen das Land auf gut zehn<br />

pro Jahr. Auch deutsche Unternehmen gingen<br />

gegen Argentinien vor Schiedsgerichten<br />

vor, darunter Siemens, der Öl- und<br />

Gasproduzent Wintershall sowie Daimler<br />

Financial Services.<br />

In Berlin blenden Politiker bei der Diskussion<br />

aus, dass auch deutsche Unternehmen<br />

häufig auf Schiedsverfahren zurückgreifen.<br />

27 Fälle, in denen sie Staaten verklagt<br />

haben, sind bekannt. Das macht die<br />

Deutschen zur viertaktivsten Klägergruppe<br />

hinter Amerikanern, Briten und Niederländern<br />

(siehe Grafik Seite 46).<br />

Der Infrastruktur-Fonds der Deutschen<br />

Bank etwa wäre wohl kaum gegen Spanien<br />

vorgegangen, hätten die Frankfurt Banker<br />

nicht schon einmal ein internationales<br />

Schiedsverfahren gewonnen. 2012 sprach<br />

ICSID der Deutschen Bank 60 Millionen<br />

Dollar Schadensersatz zu, weil Sri Lanka<br />

vorzeitig ein Hedging-Geschäft aufkündigte.<br />

Der Fall erregte in der Fachwelt Aufsehen,<br />

weil Sri Lanka der Deutschen Bank<br />

zusätzlich fast acht Millionen Dollar Anwaltskosten<br />

ersetzen musste.<br />

Die meisten Verfahren schaffen es allerdings<br />

nicht in die deutsche Presse. So<br />

nahm kaum jemand davon Notiz, dass die<br />

Deutsche Telekom im vergangenen September<br />

Indien bei der ICSID verklagt hat,<br />

weil die Regierung 2011 einen öffentlichen<br />

Auftrag zurückgezogen hatte.<br />

Das indische Start-up Devas Multimedia,<br />

an dem die Telekom mit 20 Prozent beteiligt<br />

ist, hatte eine Ausschreibung gewonnen,<br />

um entlegene Gegenden via Satellit mit<br />

Breitband-Internet zu versorgen. Der damalige<br />

Telekom-Chef René Obermann sah<br />

in Indien einen vielversprechenden Markt.<br />

Er kannte den Wankelmut der Regierung<br />

noch nicht. Die argumentierte plötzlich,<br />

dass die staatlichen Satelliten ausschließlich<br />

für „strategische Bedürfnisse“ wie Verteidigung<br />

zur Verfügung stehen müssten,<br />

und zog den Auftrag zurück. Die Telekom<br />

verlangt nun Schadensersatz in unbekannter<br />

Höhe, die beiden US-Investoren Columbia<br />

Capital und Telecom Ventures fordern<br />

eine Entschädigung von 1,6 Milliarden<br />

Euro.<br />

LANGE VERFAHRENSDAUER<br />

Volten bei der Auftragsvergabe sind ein<br />

häufiges Problem für Investoren im Ausland.<br />

So gab 2007 Algerien dem Gelsenkirchener<br />

Versorger Gelsenwasser den Zuschlag,<br />

um die Infrastruktur für Trink- und<br />

Streitfall<br />

DEUTSCHE TELEKOM<br />

gegen<br />

INDIEN<br />

Mit der Beteiligung<br />

an dem Startup<br />

Devas wollte<br />

die Telekom in<br />

den indischen<br />

Markt einsteigen.<br />

Doch die Regierung<br />

zog den<br />

Auftrag zurück,<br />

entlegene Gegenden<br />

mit Breitband-Internet<br />

zu versorgen.<br />

Im gleichen Fall fordern<br />

zwei Co-Investoren 1,6<br />

Milliarden Dollar.<br />

Abwasser für eine Million Menschen in<br />

den Regionen Annaba und El Tarf zu organisieren.<br />

Vorstandschef Manfred Scholle<br />

jubelte damals über die Internationalisierung<br />

seines Unternehmens.<br />

Doch die Regierung brach den über fünfeinhalb<br />

Jahre geschlossenen Vertrag schon<br />

drei Jahre vor dem Ende ab. Den Deutschen<br />

fehle es an Fachkenntnissen, hieß es<br />

zur Begründung. Nun treffen sich die beiden<br />

Parteien vor dem Schiedsgericht der<br />

Weltbank in Washington wieder.<br />

Gelsenwasser wird sich allerdings in Geduld<br />

üben müssen. Denn Fälle wie Fraport<br />

und Walter Bau belegen, wie sich die Verfahren<br />

in die Länge ziehen können. Seit<br />

2003 streitet Fraport mit den Philippinen<br />

bei ICSID um Terminal 3 des Hauptstadtflughafens<br />

in Manila. Die Frankfurter hatten<br />

den Zuschlag für Bau und Betrieb erhalten,<br />

2002 verfügte die damalige Präsidentin<br />

Gloria Macapagal Arroyo aber die<br />

Enteignung, weil ausländische Investoren<br />

nicht über Beteiligungen in die heimische<br />

Versorgungswirtschaft gelangen sollten.<br />

Fraport fordert eine Entschädigung von<br />

425 Millionen Dollar.<br />

Einen noch längeren Atem beweist der<br />

Insolvenzverwalter des Augsburger Bauunternehmens<br />

Walter Bau, der seit 20 Jahren<br />

um eine Entschädigung für Bau und<br />

Betrieb einer Mautautobahn zum Flughafen<br />

Bangkok streitet. Die erhofften Erträge<br />

blieben aus, weil Thailand parallel eine<br />

mautfreie Straße baute.<br />

FLUGZEUG GEPFÄNDET<br />

ICSID hat dem Kläger mehr als 35 Millionen<br />

Euro plus Zinsen zugesprochen.<br />

„Doch seit fast zehn Jahren versucht Thailand<br />

mit allen möglichen Mitteln, aus der<br />

Zahlungsverpflichtung herauszukommen“,<br />

sagt der Insolvenzverwalter von Walter<br />

Bau, Werner Schneider.<br />

Als einziger deutscher Schiedsfall schaffte<br />

es diese Auseinandersetzung bis in die<br />

Klatschspalten der „Bunte“: Schneider ließ<br />

2011 einen Jet der Royal Thai Air Force in<br />

München pfänden, die der thailändische<br />

Kronprinz als sein persönliches Eigentum<br />

ansah. Um die Maschine zurückzubekommen,<br />

hat Thailand inzwischen eine Bankbürgschaft<br />

als Sicherheit für die schuldigen<br />

Millionen hinterlegt.<br />

Wie die meisten Investoren hat Schneider<br />

versucht, die Regierung in Bangkok<br />

zum Einlenken zu bringen, ehe er zum<br />

Schiedsverfahren griff. Leichtfertig lässt<br />

sich kein Unternehmen darauf ein, schon<br />

allein wegen der Verfahrenskosten: Die beziffert<br />

die Welthandelskonferenz Unctad<br />

auf durchschnittlich acht Millionen Dollar.<br />

Oft entscheiden sich Investoren auch erst<br />

für ein Schiedsverfahren, wenn sie sich aus<br />

einem Land ohnehin zurückziehen wollen.<br />

Es ist dann ein Schlussstrich unter eine<br />

schwierige Beziehung.<br />

Meist haben Unternehmen schon mehrere<br />

Eskalationsstufen hinter sich, bevor sie<br />

ein Schiedsverfahren anstreben. Auf die<br />

ersten Verhandlungen folgt ein formalisiertes<br />

Verfahren, wie die Schadensersatzansprüche<br />

aus der Welt zu schaffen seien. Oft<br />

gelingt es in den Vorstufen, den Streit beizulegen.<br />

Alleine die Androhung eines<br />

Schiedsverfahrens kann dabei helfen.<br />

Oder Investoren erleben, dass ein<br />

Schiedsverfahren Bewegung in verfahrene<br />

Gespräche bringt, weil ihr Anliegen plötzlich<br />

zur Chefsache wird. „Auf einmal sind<br />

Außen- und Wirtschaftsministerium da-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 49<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

INTERVIEW Friedrich Merz<br />

»Öffentlich tagen«<br />

Der Anwalt und Chef des Netzwerks Atlantik-Brücke spricht sich für<br />

internationale Schiedsgerichte aus – und mehr Transparenz dabei.<br />

Herr Merz, die EU hat die Verhandlungen<br />

zu Investitionsschutz und Schiedsgerichten<br />

ausgesetzt. In der Öffentlichkeit<br />

dominieren die NGOs. Wer hat versagt<br />

– die Politik oder die Wirtschaft?<br />

Da hat niemand versagt, es geht um ein<br />

ernsthaftes und komplexes Abkommen.<br />

TTIP muss kommen, weil es für beide<br />

Seiten viel Positives enthält:den Abbau<br />

der Zölle, die Marktöffnung und die<br />

schrittweise gegenseitige Anerkennung<br />

und Harmonisierung der technischen<br />

Standards. Wenn dann noch die in solchen<br />

Verträgen allgemein übliche Investitionsschutzklausel<br />

in den Vertrag<br />

käme, wäre es gut. Aber daran darf TTIP<br />

nicht scheitern. Im Übrigen: Es gibt<br />

auch NGOs, die TTIP befürworten – die<br />

Atlantik-Brücke ist eine davon.<br />

Internationale Schiedsgerichte stehen<br />

in vielen Verträgen. Warum ist es mit<br />

den USA ein Problem?<br />

Es gibt Zweifel, ob man zwischen Staaten<br />

mit stabilen Rechtsordnungen solche<br />

Schutzklauseln überhaupt braucht. Am<br />

Ende geht es darum, ob europäische Investoren<br />

in Amerika und amerikanische<br />

Investoren in Europa sich allein auf die<br />

ordentliche Gerichtsbarkeit verlassen<br />

sollen, wenn es um die Wahrung ihrer<br />

Rechte und den Schutz ihres Eigentums<br />

geht. Für europäische Unternehmen<br />

könnte es vorteilhafter sein, solche Fragen<br />

vor einem internationalen Schiedsgericht<br />

klären zu lassen als vor US-<br />

Gerichten. Vor denen sind Verfahren ja<br />

nicht nur extrem teuer, sondern auch<br />

unkalkulierbar in ihren Ergebnissen.<br />

Kann man Missbrauch ausschließen?<br />

Manche juristische Begriffe wie „de<br />

facto-Enteignung“ oder „Gebot gerechter<br />

und billiger Behandlung“ sind nach<br />

unserer Rechtsordnung nur schwer justitiabel.<br />

Deshalb muss eine Investitionsschutzklausel<br />

klar und eindeutig formuliert<br />

werden. Es gibt ja ohnehin keine<br />

Standardklausel. Man könnte auch eine<br />

Berufungsinstanz einführen, um die<br />

Abhängigkeit von einer Instanz zu verringern.<br />

Aber Investitionsschutzabkommen<br />

sind grundsätzlich nichts Neues, die<br />

WTO zählt 377 solcher Abkommen, die in<br />

Kraft sind. Deutschland ist Vertragspartner<br />

in mehr als 140 dieser Abkommen.<br />

Die Gerichte tagen im Geheimen, am<br />

Ende muss der Staat aber vielleicht Milliardensummen<br />

zahlen. Wie ist das dem<br />

Steuerzahler zu vermitteln?<br />

Die spektakulären Fälle, die immer genannt<br />

werden, sind drei: Philip Morris gegen<br />

Australien, Vattenfall gegen Deutschland<br />

und Lone Pine gegen Kanada. Diese Verfahren<br />

sind noch nicht abgeschlossen und<br />

DER TRANSATLANTIKER<br />

Merz, 58, ist Partner mit Sitz in Düsseldorf<br />

bei der internationalen Anwaltskanzlei Mayer<br />

Brown und Vorsitzender des deutschamerikanischen<br />

Netzwerks Atlantik-Brücke.<br />

Bis 20<strong>04</strong> war Merz für die CDU in der<br />

Bundespolitik, zuletzt als Vize-Fraktionschef.<br />

taugen deshalb auch nicht als Argumente<br />

gegen ein Abkommen mit den USA. Im Übrigen<br />

bestreitet niemand, dass die europäischen<br />

Staaten genauso wie die USA das<br />

Recht behalten müssen, ihre Gesetze zu ändern,<br />

ohne dass es zu Schadensersatzforderungen<br />

der Unternehmen kommt mit Hinweis<br />

auf das Investitionsschutzabkommen.<br />

Der wesentliche Vorteil einer solchen Vereinbarung<br />

liegt vor allem in der geschützten<br />

und einklagbaren Gleichbehandlung<br />

inländischer und ausländischer Unternehmen.<br />

Und daran müssten wir Europäer<br />

doch ein hohes Interesse haben.<br />

Wie problematisch ist die Verdunkelung?<br />

Entscheidung und vor allem<br />

Begründung bleiben oft geheim.<br />

Ich sehe keinen Grund, warum Schiedsgerichte<br />

nicht öffentlich tagen sollten,<br />

wie ordentliche Gerichte auch. Die meisten<br />

Schiedsgerichtsentscheidungen werden<br />

nach Abschluss der Verfahren ja<br />

auch veröffentlicht. Wenn nicht, haben<br />

oft die beklagten Staaten kein Interesse<br />

an einer Veröffentlichung, um eigene<br />

Fehler zu vertuschen. Verfahren, die die<br />

Steuerhaushalte betreffen, können und<br />

müssen aus meiner Sicht öffentlich sein.<br />

Amerikanische Anwälte gelten als einfallsreich<br />

und geschäftstüchtig. Werden<br />

europäische Staaten mit fadenscheinigen<br />

Klagen überzogen, vielleicht noch<br />

gestützt von Prozessfinanzierern?<br />

Die Gefahr sehe ich nicht, denn es werden<br />

ja nur sehr eingegrenzte Sachverhalte<br />

in die Zuständigkeit der Schiedsgerichte<br />

fallen. Wenn das Abkommen klare<br />

Regelungen trifft und lediglich eine<br />

Meistbegünstigungsklausel enthält und<br />

den Grundsatz der Gleichbehandlung<br />

inländischer und ausländischer Unternehmen,<br />

dann gibt es mit Sicherheit keine<br />

Klagewelle vor den Schiedsgerichten,<br />

weder in den USA noch in Europa. Änderungen<br />

von Umweltstandards, Arbeitsbedingungen,<br />

Gesundheitsvorschriften<br />

und Verbraucherschutzinteressen würden<br />

nicht in den Anwendungsbereich<br />

des Abkommens fallen.<br />

Wird die Politik durch die Entscheidungen<br />

der Schiedsgerichte zu stark in ihrer<br />

Handlungsfähigkeit eingeschränkt?<br />

Auch diese Kritik teile ich nicht. Ordentliche<br />

Gerichte und genauso die Schiedsgerichte<br />

sind Ausdruck der Gewaltenteilung<br />

in unserer Rechtsordnung, in<br />

Europa wie in den USA. Die Frage ist nur,<br />

welche Zuständigkeiten welchen Gerichten<br />

zugeordnet werden. Wenn die<br />

Staatsgewalt rechtswidrig handelt, muss<br />

sie sich von der dritten Gewalt eben korrigieren<br />

lassen. Deshalb haben wir ein<br />

modernes Staatshaftungsrecht. Aber<br />

natürlich bleiben Regierungen und Parlamente<br />

frei, im Rahmen der Verfassung<br />

Gesetze zu ändern, auch zulasten der<br />

Unternehmen, mit und ohne Investitionsschutzabkommen.<br />

n<br />

henning.krumrey@wiwo.de | Berlin<br />

FOTOS: LAIF/MARTIN LENGEMANN; W.M.WEBER/TV-YESTERDAY<br />

50 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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»<br />

mit betraut und nicht nur das Bauministerium“,<br />

erinnert sich Alstom-Syndikus Benedict.<br />

Manchmal ist es dann gar nicht<br />

mehr nötig, dass die Schiedsrichter tatsächlich<br />

in Aktion treten.<br />

Für Experten wie Rechtsprofessor Tietje<br />

füllt der Investitionsschutz eine wichtige<br />

Rechtslücke: „Unternehmen sind völkerrechtlich<br />

letztlich rechtlos, wenn sie ins<br />

Ausland gehen. Die internationalen Menschenrechte<br />

schützen kein Unternehmen,<br />

auf Handelsrecht können diese sich genauso<br />

wenig berufen.“<br />

Globalisierungskritiker bemängeln die<br />

Intransparenz der Investor-Staat-Klagen.<br />

Doch dieser Vorwurf ist eher bei den höchst<br />

verschwiegenen Schiedsverfahren zwischen<br />

zwei Unternehmen berechtigt. „Doch<br />

80 Prozent der Schiedssprüche bei Investor-<br />

Staat-Klagen sind mittlerweile öffentlich<br />

verfügbar“, schätzt August Reinisch, Experte<br />

für internationales Wirtschaftsrecht der<br />

Universität Wien. Seit 2006 werden bei<br />

ICSID die Schiedssprüche veröffentlicht –<br />

außer die Parteien vereinbaren ausdrücklich<br />

Geheimhaltung. „ICSID ist mittlerweile<br />

transparenter als das Bundesverfassungsgericht,<br />

wo es aus Gründen des Datenschutzes<br />

kein Verfahrensregister gibt“, sagt eine in<br />

Schiedsverfahren erfahrene Anwältin.<br />

ICSID räumt NGOs ein Recht auf Stellungnahmen<br />

ein, wovon diese etwa bei<br />

Umweltthemen regen Gebrauch machen.<br />

ICSID hat auch schon Zuschauer zugelassen,<br />

indem die Verhandlungen per Video<br />

in einen Nachbarsaal übertragen wurden.<br />

Das Interesse hält sich allerdings in Grenzen.<br />

„Das ist kein Reißer, sondern eher fad“,<br />

sagt Jurist Reinisch.<br />

Streitfall<br />

WALTER BAU<br />

gegen<br />

THAILAND<br />

Vor 20 Jahren hatte<br />

der Insolvenzverwalter<br />

des<br />

Bauriesen<br />

Thailand verklagt,<br />

weil Zusagen<br />

beim Bau einer<br />

Mautstraße<br />

nicht eingehalten<br />

wurden. Das<br />

Schiedsgericht gab<br />

dem Kläger recht. Der<br />

ließ ein Flugzeug des<br />

Königshauses pfänden,<br />

weil Thailand nicht zahlte.<br />

REFORMEN NOTWENDIG<br />

Auch den Vorwurf, dass Investor-Staat-Klagen<br />

die Gestaltungsfreiheit von Regierungen<br />

aushöhlen, halten Experten für unzutreffend.<br />

Sie verordnen allerdings Konsistenz:<br />

„Ein Staat darf nicht willkürlich handeln“,<br />

sagt Experte Tietje. Die Statistik<br />

spricht übrigens dagegen, dass Schiedsgerichte<br />

Konzerne bevorzugen würden: Die<br />

Mehrzahl der Verfahren haben in der Vergangenheit<br />

die Staaten gewonnen.<br />

Länder haben es selbst in der Hand,<br />

ob sie verklagt werden, indem sie eine konsistente<br />

Politik verfolgen. Spaniens Nachbarland<br />

Portugal etwa spricht seine Energiewende<br />

gerade mit Investoren ab und hat<br />

noch kein einziges Verfahren verzeichnet.<br />

Allerdings gestehen auch überzeugte Verteidiger<br />

des Verfahrens ein, dass Reformen<br />

notwendig sind. „Das System ist in den vergangenen<br />

15 Jahren zu schnell gewachsen,<br />

sodass Sand im Getriebe ist“, sagt etwa<br />

Richard Happ, der Vattenfall gegen die<br />

Bundesrepublik Deutschland vertritt.<br />

Der BDI fordert etwa Schutzmechanismen,<br />

um ungerechtfertigte Klagen abzuwehren.<br />

Damit könnte verhindert werden,<br />

dass Staaten mit Klagen überzogen werden,<br />

weil eine Klageindustrie Gewinne<br />

wittert. Die wachsende Zahl von Prozessfinanzierern<br />

lässt die Angst davor steigen.<br />

Doch Erfahrungen in den USA sprechen<br />

eher dagegen. Dort finanzieren Investoren<br />

Prozesse, wenn sie später am Schadensersatz<br />

beteiligt werden. Allerdings lassen sie<br />

sich nur darauf ein, wenn sie sich des Erfolgs<br />

sehr sicher sind. Bevor sie sich engagieren,<br />

lassen sie teure Gutachten erstellen.<br />

Es gibt bisher keine Anzeichen, dass<br />

Prozessfinanzierer zu einem Anstieg der<br />

Klagen geführt haben.<br />

Ungerechtfertigte Klagen ließen sich<br />

auch einschränken, indem in der Verfahrensordnung<br />

festgelegt würde, dass der<br />

Gewinner des Verfahrens Anspruch auf die<br />

Erstattung der Prozesskosten hat.<br />

Auch bei der Personalauswahl wären<br />

Verbesserungen wünschenswert. Bisher<br />

agieren dieselben Juristen abwechselnd als<br />

Anwälte und Richter in den dreiköpfigen<br />

Schiedsgerichten, weil der Pool der Experten<br />

vergleichsweise gering ist. Nur rund<br />

1000 Juristen sind weltweit in Investor-<br />

Staat-Verfahren tätig, schätzen Experten,<br />

davon nur 600 regelmäßig. Die EU-Kommission<br />

will nun eine Liste mit zugelassenen<br />

Experten aufstellen. Wie damit Interessenkonflikte<br />

vermieden werden können,<br />

ist allerdings noch offen.<br />

SIGNAL AN CHINA<br />

Der BDI regt außerdem einen Berufungsmechanismus<br />

an. Bisher gibt es keine<br />

Möglichkeit, in Revision zu gehen. Bei<br />

schweren Mängeln gibt es wohl aber eine<br />

begrenzte Überprüfungsmöglichkeit. Liegt<br />

ein Verfahrensfehler vor, kann man die<br />

Entscheidung auch annullieren lassen und<br />

ein neues Verfahren anstreben.<br />

Der Wiener Rechtsexperte Reinisch<br />

könnte sich gut ein internationales permanentes<br />

Schiedsgericht für Investorenstreitigkeiten<br />

vorstellen, mit einer Berufungsmöglichkeit<br />

wie etwa bei der Welthandelsorganisation<br />

WTO: „Allerdings muss das<br />

die Staatengemeinschaft auch wollen.“ Bisher<br />

bestehe dazu kein Konsens.<br />

Sollte Europa beim Freihandelsabkommen<br />

mit den USA auf Investorenschiedsverfahren<br />

verzichten, wäre dies ein verheerendes<br />

Signal. Damit würden automatisch<br />

auch die Chancen sinken, die Verfahren im<br />

Investitionsschutzabkommen mit China<br />

zu verankern, über das die EU gerade verhandelt.<br />

Die Chinesen würden die USA als<br />

Präzedenzfall betrachten, heißt es im Bundeswirtschaftsministerium,<br />

und sich dann<br />

verweigern. Gerade gegenüber China sei<br />

es jedoch wichtig, dass sich Unternehmen<br />

wehren könnten, heißt es in Brüssel.<br />

Die Chinesen haben die Bedeutung von<br />

Schiedsverfahren bereits erkannt: Der Versicherer<br />

Ping An hat Belgien wegen der<br />

Verstaatlichung der maroden Bank Fortis<br />

2008 verklagt. Der Versicherer musste damals<br />

seine Beteiligung von 3,8 Milliarden<br />

Dollar fast komplett abschreiben, was chinesische<br />

Investoren nachhaltig verunsicherte.<br />

Die nächste Klage bei ICSID ist nur<br />

eine Frage der Zeit.<br />

n<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel, martin seiwert | New York<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 51<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Wir sind keine<br />

Heuschrecke«<br />

INTERVIEW | Werner Müller<br />

Der Chef der RAG-Stiftung<br />

verkündet die erste Beteiligung<br />

an einem Mittelständler, gibt<br />

den Stromkonzernen die Schuld<br />

an ihrer desolaten Lage und<br />

zeigt Verständnis für den russischen<br />

Präsidenten Wladimir Putin.<br />

DER POLITMANAGER<br />

Müller, 67, ist der Vater des Atomausstiegs<br />

sowie des Endes des<br />

Steinkohlebergbaus in Deutschland<br />

bis Ende 2018. Der ehemalige<br />

Manager des heutigen Düsseldorfer<br />

Energiekonzerns E.On formte die<br />

Bergbaugesellschaft Ruhrkohle um<br />

und spaltete sie auf in die Zechengesellschaft<br />

RAG und den heutigen<br />

Essener Chemiekonzern Evonik,<br />

der mehrheitlich der von der Politik<br />

kontrollierten RAG-Stiftung gehört.<br />

Damit es nicht den Steuerzahler<br />

trifft, soll die Stiftung nach 2018 mit<br />

ihrem Vermögen die Milliarden-Folgekosten<br />

des Bergbaus begleichen.<br />

Als Chef der RAG-Stiftung und des<br />

Evonik- Aufsichtsrats liegt es in<br />

Müllers Verantwortung, für die Erfüllung<br />

dieses Auftrags zu sorgen.<br />

FOTOS: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; DPA PICTURE-ALLIANCE (3); PHOTOTHEK VIA GETTY IMAGES; PR (4)<br />

52 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Herr Müller, Sie haben die vornehme<br />

Aufgabe, den Steuerzahler davor zu bewahren,<br />

dass er die Milliarden-Folgekosten<br />

des deutschen Steinkohlebergbaus<br />

bezahlen muss. Reicht das Vermögen, das<br />

die RAG-Stiftung dazu besitzt?<br />

Nach heutigem Stand betragen die Verpflichtungen<br />

der Ewigkeitslasten der RAG-<br />

Stiftung Ende 2018, wenn die letzte Zeche<br />

hierzulande geschlossen wird, rund 18<br />

Milliarden Euro. Wir haben heute einen<br />

Kapitalstock von rund 13,4 Milliarden Euro,<br />

davon – Stand Anfang April – neun Milliarden<br />

Euro in Aktien des Evonik-Konzerns,<br />

an dem wir rund 68 Prozent besitzen.<br />

Der Rest sind unsere 30-prozentige<br />

Beteiligung an der Immobilienfirma Vivawest<br />

sowie unser breit gestreutes Kapitalanlagen-Portfolio.<br />

Kann der deutsche Steuerzahler sicher<br />

sein, dass Sie bis Ende 2018 die erforderlichen<br />

18 Milliarden Euro zusammenbekommen,<br />

die notwendig sein werden,<br />

um jedes Jahr mindestens 200 Millionen<br />

Euro für das Leerpumpen der Stollen und<br />

für sonstigen Folgeaufwand aufzubringen?<br />

Ich weiß natürlich nicht, wo Anfang 20<strong>19</strong><br />

der Kurs der Evonik-Aktie steht. Ich kann<br />

aber nach allem, was wir heute wissen, sagen,<br />

dass die erwarteten jährlichen <strong>Ausgabe</strong>n<br />

dann mit Sicherheit durch die laufenden<br />

Einnahmen aus dem Vermögen der<br />

RAG-Stiftung gedeckt sind.<br />

Woher nehmen Sie diese Sicherheit?<br />

Durch die niedrigen Zinsen wird Ihr Kapitalstock<br />

doch langsamer wachsen, als es<br />

zum Start der Stiftung 2007 geplant war?<br />

Wir sind beim Aufbau der Stiftung neben<br />

unserer großen Evonik-Beteiligung stark in<br />

sehr sichere Staatspapiere gegangen, die<br />

vor der Finanzkrise schöne Zinsen abwarfen.<br />

Das können wir heute zum Beispiel<br />

mit unserer Dividende von Evonik, die zuletzt<br />

rund 300 Millionen Euro betrug, nicht<br />

mehr tun. Das würde bei den derzeitig<br />

niedrigen Zinsen zu einem Verzehr unseres<br />

Vermögens führen.<br />

Deshalb haben Sie angekündigt, Anteile<br />

an mittelständischen Unternehmen in<br />

Deutschland und Österreich erwerben zu<br />

wollen. Wie weit sind Sie damit?<br />

Aktuell bauen wir die notwendigen Strukturen<br />

auf, um selbst und nicht nur über<br />

Fonds investieren zu können. Einen wichtigen<br />

Schritt haben wir Anfang April mit<br />

der Gründung der RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft<br />

mbH getan.<br />

Nach welchen Kriterien suchen Sie<br />

Firmen aus, von denen die RAG-Stiftung<br />

Anteile erwerben soll?<br />

Vorsitzender<br />

Jürgen<br />

Großmann<br />

Evonik<br />

Streubesitz<br />

14,2<br />

CVC 17,9<br />

Im Auftrag des Steuerzahlers<br />

Organisation und Beteiligungen der RAG-Stiftung<br />

Kuratorium der RAG-Stiftung<br />

Annegret Wolfgang<br />

Kramp-Karrenbauer Schäuble<br />

Ministerpräsidentifinanzminister,<br />

Bundes-<br />

Saarland, CDU CDU<br />

Werner<br />

Müller<br />

(Vorsitz)<br />

Vorstand<br />

RAGAG<br />

100<br />

Hannelore<br />

Kraft<br />

Minister<br />

präsidentin<br />

NRW, SPD<br />

Bärbel<br />

Bergerhoff-<br />

Wodopia<br />

(Personal)<br />

Beteiligungen der RAG-Stiftung (inProzent)<br />

67,9 RAG-Stiftung<br />

Bergbaugesellschaft<br />

Sigmar<br />

Gabriel<br />

Bundeswirtschaftsminister,SPD<br />

Helmut<br />

Linssen<br />

(Finanzen)<br />

DieRAG-Stiftunghat dieAufgabe,die Folgelasten („Ewigkeitskosten“) des Bergbaus in NRWund<br />

im Saarlandnach 2018 in Höhe vonmindestens200 Millionen Euro jährlich zu finanzieren.<br />

Quelle:RAG-Stiftung, Evonik,Vivawest<br />

Wir suchen Mittelständler mit einem Umsatz<br />

um die 100 Millionen Euro, die in den<br />

Weltmärkten gut positioniert sind. Zusammen<br />

mit dem jeweiligen Eigentümer versuchen<br />

wir, die Entwicklung der Unternehmen<br />

über unsere Beteiligung zu unterstützen.<br />

Wichtig sind uns Firmen, bei denen<br />

man davon ausgehen kann, dass sie in der<br />

Perspektive Weltmarktführer bleiben. Dabei<br />

halten wir zum Beispiel Ausschau nach<br />

Eigentümern im Alter von etwa 50 bis 55<br />

Jahren, die gern noch 10 bis 15 Jahre weitermachen<br />

wollen, aber ihren Kindern<br />

lieber Geld als das Unternehmen vererben.<br />

Wieso sollen solche Unternehmer einer<br />

staatlichen Stiftung mehr vertrauen als<br />

erfahrenen Investoren, die es in genügender<br />

Zahl und Ausprägung gibt?<br />

Weil wir als privatrechtliche Stiftung an<br />

sehr dauerhaften Engagements interessiert<br />

sind. Wir sind somit keine jener Private-<br />

Equity-Firmen, also keine Heuschrecke,<br />

die ein Unternehmen meist finanziell<br />

Kuratoriumsmitglieder (plussiebenweitere ungenannte Mitglieder)<br />

Michael<br />

Vassiliadis<br />

Chef der<br />

IG BCE<br />

Vivawest-Immobilien<br />

IG BCE<br />

26,7<br />

11,0<br />

Evonik<br />

25,0<br />

30,0<br />

RAG-<br />

Stiftung<br />

7,3<br />

RAGAG<br />

Evonik-Pensionstreuhand e.V.<br />

schwächt und nach fünf, sechs Jahren weiterverkaufen<br />

will.<br />

Sucht die RAG-Stiftung selbst nach<br />

Bereitwilligen oder lässt sie suchen?<br />

Beides. Wir setzen auf der einen Seite auf<br />

externe Manager, die für uns gerade einen<br />

Fonds aufbauen, der künftig mittelständische<br />

Unternehmensbeteiligungen enthalten<br />

soll. Dazu haben wir bereits einen<br />

Rechtsmantel namens Maxburg GmbH &<br />

Co. KG. Hierüber haben wir auch bereits<br />

ein erstes Investment getätigt. Es handelt<br />

sich dabei um eine Minderheitsbeteiligung<br />

an dem mittelständischen Pharmaunternehmen<br />

ZellBios mit operativem Sitz in<br />

Deutschland und Produktionsstätten hier<br />

sowie in Italien und der Schweiz. Auf der<br />

anderen Seite haben wir, wie gesagt, die<br />

RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft, die<br />

ebenfalls in unserem Auftrag in Mittelständler<br />

investieren wird.<br />

Woher hat die RAG-Stiftung Leute,<br />

die das können?<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 53<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Für die RAG-Stiftung Beteiligungsgesellschaft<br />

haben wir Jürgen Wild gewonnen, den<br />

früheren Chef der M+W Group des österreichischen<br />

Industrie-Investors Georg Stumpf.<br />

Herr Wild hat schon zweimal sehr erfolgreich<br />

ein Beteiligungsportfolio aufgebaut,<br />

zuletzt im Wert von rund drei Milliarden Euro.<br />

Das will er als Geschäftsführer unserer<br />

Beteiligungsgesellschaft zusammen mit der<br />

RAG-Stiftung nun ein drittes Mal tun und<br />

sich zugleich persönlich daran beteiligen.<br />

Ihr Beteiligungsunternehmen Evonik<br />

schwimmt durch den mehrheitlichen<br />

Verkauf der Immobilientochter Vivawest<br />

in Geld und verfügt über die riesige Eigenkapitalquote<br />

von 43 Prozent. Als Steuerzahler<br />

fragen wir uns, wieso die RAG-Stiftung<br />

keine Sonderausschüttung verlangt.<br />

Evonik will ja die Dividende pro Aktie für<br />

2013 auf 1 Euro erhöhen. Das ist schon mal<br />

was. Im Übrigen dürfen Sie sicher sein,<br />

dass ich das Thema Sonderausschüttung<br />

anders diskutieren würde, wenn Sie mir sagen<br />

würden, wo ich das Geld renditeträchtiger<br />

anlegen könnte, als es jetzt schon bei<br />

Evonik möglich ist. Wir haben schon jetzt<br />

das Luxusproblem, dass wir jedes Jahr zusätzlich<br />

unser Jahresergebnis, derzeit rund<br />

330 Millionen Euro, anlegen müssen.<br />

Wieso investieren Sie nicht in Großunternehmen<br />

etwa aus dem Dax, von denen<br />

Sie wissen, dass die seit Jahren gut<br />

funktionieren und auf dem Kapitalmarkt<br />

bestens eingeführt sind?<br />

Zum einen tun wir dies schon, denn zu unseren<br />

diversifizierten Kapitalanlagen gehört<br />

auch eine Aktienquote. Andererseits<br />

erhalten Sie dann aber Dividendenrenditen<br />

von durchschnittlich nicht mehr als<br />

drei Prozent...<br />

...wie viel hätten Sie denn gern?<br />

Ein bisschen mehr dürfte es schon sein.<br />

Ein großes Thema in Deutschland ist die<br />

Position gegenüber dem Anschluss der<br />

Krim durch Russlands Präsident Wladimir<br />

Putin. Das eine Lager ist für eine harte<br />

Haltung und Wirtschaftssanktionen, das<br />

andere ist dagegen und fordert Verständnis<br />

für Putin. Wem rechnen Sie sich zu?<br />

Eindeutig dem zweiten Lager. Das Verstehen<br />

der jeweils anderen Seite ist die<br />

Grundvoraussetzung für einen Dialog. Ich<br />

bin davon überzeugt, dass die EU eine andere<br />

Politik gegenüber der Ukraine gemacht<br />

hätte, wenn sich die Verantwortlichen<br />

vorher überlegt hätten, was dies für<br />

Russland bedeutete.<br />

Was werfen Sie der EU konkret vor?<br />

Als normaler Bürger sage ich: Da hat ein<br />

Staat einen Großteil seiner Flotte auf der<br />

»Ich halte im Grundsatz<br />

nichts von Handelskriegen.<br />

Sie haben<br />

nur wenig bewirkt«<br />

Krim stationiert und sieht Gespräche über<br />

einen EU-Beitritt der Ukraine. Und nach<br />

dem Fall des Eisernen Vorhangs erfolgte<br />

nach einem EU-Beitritt zumeist auch der<br />

Beitritt zur Nato. Dann bestand aus Sicht<br />

des Inhabers dieser Flotte ein gewisser<br />

Handlungsbedarf.<br />

Dass Putin damit das Völkerrecht gebrochen<br />

hat, stört Sie nicht?<br />

Aktien-Info Evonik<br />

ISINDE000EVNK013<br />

110<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

Umsatz (in Mrd. Euro)<br />

Ebitda (in Mrd. Euro)<br />

Ebitda-Marge (in Prozent)<br />

Mitarbeiter<br />

KGV<br />

Aktienkurs (in Euro)<br />

Börsenwert (in Mrd. Euro)<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Lanxess<br />

Quelle:Thomson Reuters<br />

Evonik<br />

2013 <strong>2014</strong><br />

Evonik<br />

12,9<br />

2,0<br />

15,6<br />

33650<br />

15,5<br />

28,9<br />

13,4<br />

Lanxess<br />

8,3<br />

0,7<br />

8,9<br />

17 343<br />

20,5<br />

54,7<br />

4,5<br />

EingroßerErfolg warder Evonik-Börsengang<br />

(25.4.2013)nicht. Allerdings finden sichauchnur<br />

14,2 Prozentder Aktien im Streubesitz; denRest<br />

halten RAG-Stiftung undder Finanzinvestor CVC.<br />

Zwar istEvonikprofitabler als der Mitbewerber<br />

Lanxess, leidetaberunter der immernoch<br />

schwachen Chemiekonjunktur.<br />

Hoch<br />

Meiner Meinung nach ist sich Herr Putin<br />

der schwierigen Lage, in die er Russland<br />

gebracht hat, durchaus bewusst. Deshalb<br />

glaube ich, dass man nach einer gewissen<br />

Zeit wieder zu einem vernünftigen Miteinander<br />

finden wird.<br />

Wie kann das nach allem, was geschah,<br />

aussehen?<br />

Ich glaube, dass die territorialen Veränderungen<br />

nicht zurückzudrehen sind. Ich<br />

halte im Grundsatz wirklich nichts von<br />

Handelskriegen, sie haben in der Historie<br />

im Grunde nur wenig bewirkt.<br />

Wären Sie in der Position von Siemens-<br />

Chef Joe Kaeser ebenfalls zu Putin nach<br />

Moskau gereist?<br />

Ja, warum nicht? Europa ist für mich generell<br />

eine Einheit, und dazu gehört grundsätzlich<br />

auch Russland. Es ist ja nicht so, als<br />

ob Westeuropa mit allen Reichtümern, die<br />

man zum Leben braucht, gesegnet wäre.<br />

Ich kann wenig Sinn darin erkennen, beispielsweise<br />

kategorisch zu sagen, ich will<br />

kein russisches Erdgas mehr. Ganz abgesehen<br />

davon, dass ich das auch nicht für so<br />

einfach machbar halte. Es würde lange<br />

dauern, bis wir eine Versorgung auf Flüssiggasbasis<br />

etwa aus dem Nahen Osten<br />

oder aus Nordamerika aufgebaut haben.<br />

Da ist es mir lieber, wir haben einen geregelten<br />

Wirtschaftsverkehr mit Russland.<br />

Die Befürchtungen, dass maskierte<br />

Männer ohne Hoheitszeichen mit vielen<br />

Militärlastwagen auch in anderen Staaten<br />

Osteuropas einfallen, teilen Sie nicht?<br />

Das sehe ich nicht so. Denn Politik besteht<br />

ja nun zunächst einmal in der moderneren<br />

Variante darin, dass man über so etwas redet,<br />

sich also gedanklich in die Position des<br />

Gegenübers versetzt.<br />

Sie haben als Wirtschaftsminister der rotgrünen<br />

Koalition 2002 die Laufzeit der<br />

Atomkraftwerke in Deutschland verkürzt.<br />

Schwarz-Gelb hat sie 2010 verlängert und<br />

Kanzlerin Merkel sie nach der Fukushima-<br />

Katastrophe 2011 stärker als zuvor zurückschraubt.<br />

Wohin steuert die Energiewende?<br />

Wenn Sie die Historie bemühen, muss ich<br />

das auch tun. Ich habe 2002 nicht nur die<br />

Laufzeit der Kernkraftwerke verkürzt, sondern<br />

ich habe auch für eine Änderung des<br />

Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, des<br />

EEG, gesorgt. Dadurch erhielten die Energieversorgungsunternehmen,<br />

insbesondere<br />

also die Betreiber von Kernkraftwerken,<br />

ausdrücklich das Recht, ebenfalls Ökostrom<br />

aus Sonnen- und Windkraft zu produzieren,<br />

ihn vorfahrtsberechtigt ins Netz<br />

einzuspeisen und dafür EEG-Umlage zu<br />

kassieren. Das war im EEG von <strong>19</strong>97<br />

»<br />

FOTOS: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

54 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: PR; DPA PICTURE-ALLIANCE/MARIJAN MURAT<br />

»<br />

Pharma-Investment<br />

Die RAG-Stiftung hat sich am Wirkstoff-<br />

Spezialisten ZellBios aus Raubling bei<br />

München beteiligt. ZellBios bündelt seine<br />

weltweiten Aktivitäten in einer Luxemburger<br />

Holding. Haupteigentümer von ZellBios ist<br />

eine Private-Equity-Gruppe.<br />

Umsatz: mehr als 130 Millionen Euro<br />

Mitarbeiter: 700<br />

Profi-Investor Der Chef der RAG-Beteiligungstochter,<br />

Wild, soll Mittelständler kaufen<br />

ausdrücklich ausgeschlossen. Es erschien<br />

mir logisch und notwendig, wenn<br />

ich mit Energiekonzernen darum verhandele,<br />

Erzeugungskapazitäten stillzulegen,<br />

dass diese sich dann andere Möglichkeiten<br />

aufbauen können. Und dass sie dabei genauso<br />

subventioniert werden sollen wie jeder<br />

andere, der dies tut.<br />

Was wollen Sie uns damit sagen?<br />

Dass die Energieversorgungsunternehmen<br />

von dieser Möglichkeit in den ersten Jahren<br />

leider sehr wenig Gebrauch gemacht<br />

haben. Stattdessen haben sie immer darauf<br />

spekuliert, wenn Rot-Grün mal nicht<br />

mehr die Bundesregierung stellt, dass der<br />

Vertrag aus meiner Zeit geändert und die<br />

Laufzeit der KKWs verlängert wird...<br />

...ein harter Vorwurf.<br />

Die Unternehmen hätten ja den Aufbau von<br />

regenerativen Energien frühzeitig selbst in<br />

die Hand nehmen können. Heute leiden sie<br />

darunter, dass sie sich nicht schon damals<br />

ausreichend daran beteiligt haben.<br />

Ist die Reform des EEG von Wirtschaftsminister<br />

Sigmar Gabriel nicht zu zaghaft?<br />

Man kann nicht alles von einem Tag auf<br />

den anderen ändern. Nehmen Sie die Befreiung<br />

der Unternehmen, die ihren Strom<br />

selbst erzeugen, von der EEG-Umlage. Sie<br />

können einer BASF oder einer Bayer nicht<br />

sagen, so, jetzt zahlst du die vollen 6,24<br />

Cent pro selbst erzeugter Kilowattstunde.<br />

Man könnte sich durchaus vorstellen, zum<br />

Beispiel den Zubau erneuerbarer Energien<br />

zu kontingentieren oder ihn am Markt auszuschreiben.<br />

Nur, das System zu revolutionieren<br />

halte ich für nicht machbar.<br />

Das klingt defätistisch.<br />

Tatsache ist: Wir werden uns wohl darauf<br />

einstellen müssen, dass die Ökostromumlagen<br />

steigen. Wenn die Logik der Energiewende<br />

aber greift, dass wir uns in der Zukunft<br />

im Wesentlichen von regenerativem<br />

Strom versorgen und dies auch noch wirtschaftlich<br />

tun werden, dann wäre zu überlegen,<br />

ob man die Subventionen dafür streckt,<br />

sprich: einen Kredit dafür aufnimmt und<br />

damit die Lasten auch auf die künftigen<br />

Nutznießer verteilt. So wie dies zuletzt die<br />

ehemalige Verbraucherministerin Ilse Aigner<br />

von der CSU vorgeschlagen hat.<br />

Wie würden Sie das Problem lösen, dass<br />

der viele Ökostrom immer mehr fossile<br />

Kraftwerke zur Unwirtschaftlichkeit und<br />

zur Schließung verdammt, obwohl sie für<br />

den Fall gebraucht werden, dass einmal zu<br />

wenig Wind weht und die Sonne kaum<br />

scheint?<br />

Ich wüsste nicht, wer in diesem Fall ansonsten<br />

einspringen könnte als die vorhandenen<br />

fossilen Kraftwerke. Dafür<br />

müssten sie allerdings die übrige Zeit bezahlt<br />

werden, in der sie keinen Strom liefern.<br />

Ich stimme dem Vergleich zu, dass wir<br />

die Feuerwehr ja auch nicht nur bezahlen,<br />

wenn sie löscht. Dann wäre es billiger, ein<br />

Haus abbrennen zu lassen, als pro Liter<br />

Löschwasser, sagen wir mal 2000 Euro, bezahlen<br />

zu müssen.<br />

Was heißt das auf die Versorgungssicherheit<br />

mit Strom übertragen?<br />

Dass wir die Verantwortung für die Versorgungssicherheit<br />

klar jemandem zuweisen<br />

müssen. Denn versorgungssicherer Strom<br />

wird am Markt gehandelt. Wir haben also<br />

die Situation, dass jeder Stromlieferant für<br />

längere Zeit im Voraus eine gesicherte<br />

Stromerzeugung kaufen kann. Insofern<br />

könnte man sagen, überlassen wir alles<br />

dem Markt. Doch dies unterschlägt einen<br />

bisher sträflich vernachlässigten Punkt.<br />

Und der wäre?<br />

Dass derjenige Kunde, der sicher mit Strom<br />

versorgt sein will, diese Versorgung auch<br />

abnimmt. Dies ist nicht der Fall, wenn zum<br />

Beispiel die privaten Haushalte ihren Versorger<br />

ständig wechseln. Ein Stadtwerk<br />

beispielsweise wird Ihnen keine definitive<br />

Versorgungssicherheit garantieren und dafür<br />

am Markt für sicheren Strom einkaufen,<br />

wenn der Stromkunde ganz einfach zu einem<br />

anderen Anbieter wechseln kann. Da<br />

sind die Rechte und Pflichten der Marktteilnehmer<br />

nicht eindeutig zugeordnet.<br />

Wie würden Sie das Problem lösen?<br />

Wenn wir nicht zu dem alten System zurückkehren,<br />

in dem man den Stromanbieter<br />

nicht wechseln konnte, könnte die Garantie<br />

der Versorgungssicherheit auf einen<br />

staatlich organisierten Kapazitätsmarkt hinauslaufen.<br />

Das könnte die Bundesnetzagentur<br />

sein, die im Namen des Gesetzgebers<br />

eine bestimmte vorzuhaltende Erzeugungskapazität<br />

festlegt, die dann zum Beispiel<br />

auf dem Markt ersteigert werden<br />

kann und die dann von den Stromkunden<br />

bezahlt werden muss.<br />

Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der<br />

Bergbau-, Chemie- und Energiegewerkschaft<br />

IG BCE, hat vorgeschlagen, die<br />

Steinkohlekraftwerke in einer Gesellschaft<br />

zu bündeln. Was halten Sie davon?<br />

Das ist eine sehr vernünftige Idee. Immer<br />

mehr Stromerzeuger beantragen bei der<br />

Bundesnetzagentur die Stilllegung von<br />

Kraftwerken und fragen: Wenn ich nicht<br />

stilllege, was zahlst du mir? Da halte ich es<br />

für besser, einzelne Kraftwerke irgendwo<br />

einzubringen, zum Beispiel in ein Gemeinschaftsunternehmen,<br />

das für den Erhalt der<br />

notwendigen Kraftwerke sorgt und bezahlt...<br />

... was die endgültige Verstaatlichung der<br />

Energieversorgung wäre.<br />

Das muss ja kein Staatsunternehmen sein.<br />

Im Übrigen ist die Stromversorgung ohnehin<br />

schon vielfach eine staatliche Veranstaltung,<br />

die durch steuerähnliche Abgaben<br />

wie die EEG-Umlage bezahlt wird.<br />

Wandern energieintensive Unternehmen<br />

durch die Energiewende ab, oder ist das<br />

nur eine Drohung der Industrie?<br />

Wenn Sie zum Beispiel die Aluminiumproduktion<br />

oder die Elektrolyse nehmen, wäre<br />

diese in Deutschland ohne Befreiung von<br />

der EEG-Umlage unmöglich. Generell<br />

glaube ich, dass hohe Strompreise nicht direkt<br />

Arbeitsplätze hierzulande vernichten.<br />

Sie beschleunigen aber die Standortverlagerungen<br />

in die Wachstumsmärkte im Zuge<br />

der Globalisierung. Im Moment werden<br />

Ersatzinvestitionen noch in Deutschland<br />

getätigt, Erweiterungsinvestitionen dagegen<br />

zunehmend im Ausland, wo die Märkte<br />

und Kunden sind. Die hohen Strompreise<br />

hier forcieren diesen Prozess.<br />

n<br />

reinhold.boehmer@wiwo.de, roland tichy<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 55<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Tabus brechen<br />

SPANIEN | Deutsche Unternehmen tun sich bisher schwer damit,<br />

von der jüngsten wirtschaftlichen Gesundung des Landes zu profitieren.<br />

Zwei Beispiele zeigen, welche Chancen es für Mutige gibt.<br />

Engländer in Spanien<br />

Graham Johnson, Chef<br />

des IT-Unternehmens<br />

Connectis, glaubt an<br />

Spaniens Aufschwung<br />

Das Büro von Graham Johnson bietet<br />

gerade so eben Platz für einen<br />

schlichten weißen Schreibtisch und<br />

drei Bürostühle: einer für Johnson, zwei für<br />

Besucher. Der Geschäftsführer des spanischen<br />

IT-Unternehmens Connectis mit<br />

rund 1000 Mitarbeitern, groß, breitschultrig,<br />

braun gebrannt, Bürstenschnitt, hat<br />

rund 16 weiß gestrichene Quadratmeter<br />

zur Verfügung. Ein violett gestrichenes<br />

Quadrat hinter Johnsons Rücken ersetzt<br />

den Wandschmuck.<br />

Die Bescheidenheit ist Programm.<br />

Anfang 2012 wurde Connectis, damals<br />

noch Thales Information Systems, <strong>vom</strong><br />

Münchner Finanzinvestor Aurelius übernommen.<br />

Danach zog Johnson aus der<br />

Citylage um in diese funktionalen Räume<br />

in einem Industriegebiet nördlich von Madrid<br />

und drückte die Miete um zwei Drittel.<br />

Aus Fixgehältern wurde eine Mischung aus<br />

fixem und variablem Anteil. Die Gehälter<br />

wurden insgesamt etwas eingedampft –<br />

„vor allem bei den Führungskräften“, versichert<br />

Johnson.<br />

Jetzt ist Connectis wieder profitabel. Und<br />

wächst: Aurelius, einer der aktivsten Direktinvestoren<br />

in Spaniens IT-Branche, hat<br />

in den letzten anderthalb Jahren drei weitere<br />

Anbieter gekauft, die unter dem Dach<br />

von Connectis eingegliedert werden.<br />

„Spanien ist für einen Investor, der günstig<br />

einsteigen will, derzeit sehr attraktiv“,<br />

sagt Aurelius-Chef Dirk Markus. Das spanische<br />

Wirtschaftsministerium zählte 2013<br />

ausländische Netto-Direktinvestitionen<br />

von 15,4 Milliarden Euro. 2012 verlor Spanien<br />

noch drei Milliarden Euro mehr, als<br />

neue Investitionen ins Land kamen.<br />

REKORDZUFLÜSSE ERWARTET<br />

Doch während internationale Direktinvestoren<br />

kräftig auf die wirtschaftliche<br />

Gesundung Spaniens setzen, zögern die<br />

meisten Deutschen noch. Französische<br />

Direktinvestitionen in Spanien stiegen<br />

laut Wirtschaftsministerium um mehr<br />

als 100 Prozent, britische um 86 Prozent.<br />

Die aus Deutschland sanken 2013 um 3,7<br />

Prozent.<br />

Dabei wird Spanien, das vor nicht allzu<br />

langer Zeit als einer der gefährlichsten<br />

Krisenherde Europas galt, weiter zulegen:<br />

<strong>2014</strong> wird die Rekordsumme von mehr als<br />

40 Milliarden Euro an ausländischen<br />

Direktzuflüssen (FDI) erwartet, so die Wirtschaftsprüfung<br />

und Beratung Deloitte.<br />

Die UN-Organisation für Handel und<br />

Entwicklung (Unctad) zählte für Spanien<br />

2013 FDI-Zuflüsse von 37 Milliarden<br />

»<br />

FOTO: OFELIA DE PABLO FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

56 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Betongold Der Deka Immobilienfonds<br />

investiert in das Geschäftshaus in Barcelona<br />

Dollar, 37 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />

Spanien lag europaweit an dritter Stelle,<br />

übertroffen nur von Großbritannien und<br />

Irland.<br />

Wagemutig sind in Deutschland vor allem<br />

Mittelständler, die schon im Land präsent<br />

sind und dort etwa einen Zulieferer<br />

oder Vertragspartner kaufen. „Denn für<br />

Unternehmen, die nicht vor Ort sind, sind<br />

die Risiken nur schwer einzuschätzen“, sagt<br />

Georg Abegg, Partner bei der Kanzlei Rödl<br />

& Partner in Madrid. „Denn die Rahmenbedingungen<br />

rechtfertigen eine Investition<br />

bisher nur mit einer sehr hohen Renditeerwartung.“<br />

Aurelius-Chef Markus hat solche Probleme<br />

nicht: „Spanien macht bei uns jetzt<br />

nach Mitarbeiterzahl ein Viertel des Konzerns<br />

aus und rund ein Fünftel <strong>vom</strong> Gesamtumsatz.“<br />

Der lag 2013 bei rund 1,5 Milliarden<br />

Euro. Über die investierte Summe<br />

verrät Markus nur, sie habe „im niedrigen<br />

zweistelligen Millionenbereich“ gelegen:<br />

„Spanische Unternehmen sind zurzeit<br />

günstig zu haben.“<br />

Auf Einkaufstour ist auch Deka Immobilien.<br />

Die Frankfurter, die weltweit ein<br />

Fondsvermögen im Wert von rund 50 Milliarden<br />

Euro verwalten, kauften 2013 im<br />

Zentrum Barcelonas ein Büro- und Geschäftshaus<br />

in der Ronda de Sant Pedro für<br />

<strong>19</strong> Millionen Euro. Wenige Monate später<br />

erwarb Deka in der Madrider Edel-Meile<br />

Calle Serrano das Geschäftshaus Adolfo<br />

Dominguez mit 2500 Quadratmetern für<br />

rund 18 Millionen Euro. „An solche Top-<br />

Innenstadtlagen kommen wir normalerweise<br />

als ausländischer Investor gar nicht<br />

ran“, freut sich Deka-Geschäftsführer Torsten<br />

Knapmeyer.<br />

Seit dem dritten Quartal 2013 wächst die<br />

spanische Wirtschaft wieder leicht. „Die<br />

weiteren Aussichten sind besser als erwartet,<br />

die Risikoaufschläge für die Staatsanleihen<br />

gehen entsprechend runter“, sagt<br />

Knapmeyer. „Daher haben wir 2013 entschieden,<br />

in Spanien zu kaufen.“<br />

Seine beiden Fonds Deka-Immobilien-<br />

Europa und WestInvest InterSelect halten<br />

spanische Gewerbeimmobilien im Wert<br />

von insgesamt 830 Millionen Euro. „Beide<br />

Fonds wollen ihr spanisches Portfolio ausbauen“,<br />

sagt Knapmeyer.<br />

Zwar erwartet er für 2015 einen leichten<br />

Rückgang bei den Spitzen-Büromieten in<br />

Madrid. Aber in Bezug auf die durchschnittliche<br />

Entwicklung von Mieten und<br />

Immobilienwerten von 2013 bis 2018 übertrifft<br />

Madrid mit 7,3 Prozent plus laut Deka-Immobilienresearch<br />

alle anderen europäischen<br />

Städte. Barcelona steht mit 5,7<br />

Prozent erwartetem Ertragswachstum an<br />

zweiter Stelle.<br />

Investitionen in spanische Immobilien<br />

insgesamt stiegen 2013 um 67 Prozent. „In<br />

so einer Situation können die Preise dann<br />

auch schnell wieder steigen“, sagt Knapmeyer.<br />

„Wir investieren in das erwartete<br />

Wachstum hinein.“<br />

Das ist auch die Strategie von Aurelius.<br />

„Wer absolut sicher sein will, dass die Krise<br />

zu Ende ist, der sollte vielleicht noch warten“,<br />

sagt CEO Markus. Doch schon jetzt<br />

gebe es positive Zeichen für den Wandel.<br />

Gerade der von Aurelius bisher favorisierte<br />

IT-Sektor hat in den Krisenjahren extrem<br />

gelitten, weil der Sektor stark von staatlichen<br />

Auftraggebern abhängt. Und die öffentliche<br />

Hand musste sparen. „Der Trend<br />

DerWiederaufstieg<br />

Entwicklung der Nettoinvestitionen<br />

in Spanien (in Milliarden Euro)<br />

13,3 20,8 26,5 -3,1 15,4<br />

2009 2010 2011 2012 2013<br />

Quelle: spanisches Wirtschaftsministerium<br />

ist jetzt gestoppt, wir sehen erste leichte<br />

Anzeichen, dass die Talsohle durchschritten<br />

ist“, berichtet Markus.<br />

Auch sonst sei einiges im Umbruch, beobachtet<br />

der Aurelius-Chef: „Verkrustete<br />

Strukturen werden aufgebrochen. Vonseiten<br />

der Mitarbeiter etwa ist die Bereitschaft<br />

viel größer, das ein oder andere Tabu zu<br />

brechen.“ Die gestiegene Flexibilität spürte<br />

sein Spanien-Statthalter Johnson etwa, als<br />

es um die Veränderung der Gehaltsstruktur<br />

seiner Mitarbeiter oder um Mobilität innerhalb<br />

des Unternehmens ging.<br />

LEICHT BESSERE ZAHLUNGSMORAL<br />

Verbessert habe sich auch die Zahlungsmoral<br />

bei staatlichen Kunden, allerdings<br />

nur „von hundsmiserabel zu schlecht“,<br />

so Markus. Früher zahlten Regional- und<br />

Lokalregierungen oder sonstige öffentliche<br />

Stellen ihre Rechnungen oft über<br />

Jahre nicht. 2013 beglichen öffentliche Stellen<br />

ihre Rechnungen nun im Schnitt innerhalb<br />

von 111 Tagen – immer noch fast<br />

viermal länger als die neue gesetzliche Vorgabe<br />

von 30 Tagen. Mit dieser muss der<br />

Staat nun sogar schneller zahlen als private<br />

Unternehmen, die 60 Tage Zeit haben.<br />

Bei ihnen waren es 2013 im Durchschnitt<br />

85 Tage.<br />

Unternehmen wie die Aurelius-Tochter<br />

Connectis profitierten zudem von Sonderkreditlinien<br />

in Höhe von insgesamt 42 Milliarden<br />

Euro, die die Regierung den Regionen<br />

und Gemeinden seit Mitte 2012 gewährte,<br />

damit diese ihre teilweise noch aus<br />

Peseta-Zeiten stammenden unbezahlten<br />

Rechnungen begleichen konnten. „Das hat<br />

funktioniert“, lobt Markus.<br />

Der Aurelius-Chef ist alle vier bis sechs<br />

Wochen in Spanien. Er trifft sich mit Beratern<br />

in Madrid und Barcelona oder schaut<br />

direkt bei Konzernen vorbei, die Randbereiche<br />

verkaufen wollen – das ist die Spezialität<br />

von Aurelius. Interessant seien vor<br />

allem Branchen, die „von einem wachsenden<br />

Konsum profitieren werden“.<br />

Denn die spanische Notenbank hat ihre<br />

Konjunkturprognose nach oben korrigiert<br />

und erwartet jetzt 1,2 Prozent Wachstum in<br />

diesem und 1,7 Prozent im kommenden<br />

Jahr – vor allem weil der private Konsum<br />

schneller anzieht.<br />

Für Connectis-Geschäftsführer Johnson<br />

steht indes fest: Selbst wenn sein Unternehmen<br />

stark wächst, wird er kein größeres<br />

Büro für sich reklamieren. „Es ist immer<br />

gut, die schlechten Zeiten nicht zu vergessen“,<br />

sagt der Engländer lächelnd. n<br />

anne grüttner | Madrid, unternehmen@wiwo.de<br />

FOTO: PR<br />

58 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Geistig erwachsen<br />

START-UPS | Euphorie, Demütigung, Neuanfang: Matti Niebelschütz, Gründer des Berliner Parfümversenders<br />

MyParfum, hat die Höhen und Tiefen eines Jungunternehmers persönlich durchlebt.<br />

Herr der Düfte<br />

MyParfum-Gründer<br />

Matti Niebelschütz<br />

hat als 28-Jähriger<br />

bereits alle unternehmerischen<br />

Höhen und<br />

Tiefen durchlebt<br />

Auf den ersten Blick wirkt Matti Niebelschütz<br />

wie ein typischer Vertreter<br />

der Berliner Start-up-Szene: Unter<br />

30, coole Klamotten, Chef seines eigenen<br />

Internet-Unternehmens MyParfum.<br />

Doch näher betrachtet, ist Niebelschütz<br />

das Gegenteil: ein nachdenklicher junger<br />

Mann, der trotz seiner 28 Jahre schon geprägt<br />

ist von einer berauschenden wie substanzzehrenden<br />

geschäftlichen Achterbahnfahrt.<br />

Niebelschütz hat vielen Altersgenossen<br />

eine wichtige Erfahrung voraus.<br />

Er musste am eigenen Leib erfahren, was<br />

unternehmerisches Scheitern bedeutet.<br />

Anders als in den USA ist das Thema in<br />

Deutschland fast ausschließlich negativ<br />

besetzt. In den Vereinigten Staaten ist das<br />

anders. Dort nehmen Kapitalgeber einen<br />

Gründer oftmals erst nach der Pleite richtig<br />

ernst, weil er dadurch notwendige und<br />

wichtige Erfahrungen für weitere Projekte<br />

gesammelt hat. In Deutschland dagegen<br />

gilt die Insolvenz eher als Stigma.<br />

Spannung bei der Gründung, Euphorie<br />

im Boom, Demütigung durch die Pleite,<br />

schließlich der Neuanfang – das Protokoll<br />

von sechs Jahren zwischen leidenschaftlichem<br />

Aufbruch und totaler Lähmung.<br />

August 2008 Auf diesen Moment haben<br />

Niebelschütz und sein Bruder Yannis lange<br />

hingearbeitet: MyParfum, ihr Shop im<br />

Internet, geht online. In ihm wollen die beiden<br />

individuell zusammengestellte Duftwässerchen<br />

verkaufen. Dazu haben sie<br />

gut ein Dreivierteljahr ein Duftsystem entwickelt,<br />

mit Parfümeuren verhandelt, eigenes<br />

Geld sowie ein Darlehen der Großeltern<br />

in fünfstelliger Höhe in die Unternehmensgründung<br />

gesteckt.<br />

„Die meisten Parfümeure haben abgewinkt.<br />

Aber fast alle Frauen, denen wir es<br />

erzählten, fanden die Idee gut“, erinnert<br />

sich Niebelschütz an die damalige Aufbruchstimmung.<br />

Entsprechend forsch gehen<br />

er und sein Bruder ran. Sie wollen ihre<br />

Kritiker <strong>vom</strong> Gegenteil überzeugen.<br />

September 2008 Und tatsächlich, die<br />

Sache lässt sich gut an. Die erste Pressemitteilung<br />

schlägt in der Berliner Szene<br />

ein. Die Medien steigen auf die Idee ein.<br />

Der lokale Hörfunksender Radio 1 bringt<br />

ein Interview, der Fernsehsender RTL2<br />

und diverse Zeitungen berichten.<br />

Dezember 2008: Die gute Presse sorgt<br />

geschäftlich für Fahrt. MyParfum verkauft<br />

im ersten Weihnachtsgeschäft mehr als<br />

100 Flakons am Tag. 30 Leute arbeiten inzwischen<br />

für das Unternehmen, die meisten<br />

sind Kommilitonen von Niebelschütz.<br />

Auch er ist noch Student und bleibt<br />

zunächst im Fach Jura eingeschrieben.<br />

Januar 2011 Damit ist jetzt Schluss, weil<br />

die Arbeit immer mehr Zeit frisst. Sein Bruder<br />

steigt aus MyParfum aus. Niebelschütz<br />

selbst schmeißt sein Studium hin und konzentriert<br />

sich voll auf die Professionalisierung<br />

seines Unternehmens. Seriengründer<br />

Frederick Fleck, früher beim TV-Sender<br />

9Live im Management, trifft bei Niebelschütz<br />

den Nerv. „Wenn ihr es schafft,<br />

euren Umsatz in einem Monat zu verdop-<br />

FOTOS: GÖTZ SCHLESER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; PR<br />

60 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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peln“, sagt er zu dem damals 25-Jährigen,<br />

„steige ich bei euch ein.“<br />

September 2011 Der Kick hat funktioniert,<br />

Fleck steigt bei MyParfum ein, sorgt<br />

für professionelle Strukturen und will den<br />

Absatz weiter ankurbeln. Dazu empfiehlt<br />

Fleck Perfomance-Marketing im Fernsehen,<br />

das sind Werbespots im Stile von<br />

„Gehen Sie jetzt online und bestellen!“.<br />

November 2011 Niebelschütz fährt<br />

einen ersten erfolgreichen Testlauf. Dann<br />

entscheidet er, für das bevorstehende<br />

Weihnachtsgeschäft das Werbebudget zu<br />

verdoppeln. „Meine eigene Entscheidung<br />

als Unternehmer“, freut er sich. Die Zahlen<br />

geben ihm recht: fast 400 Prozent<br />

Wachstum, am Ende des Jahres kommt<br />

MyParfum auf mehr als 70000 Euro Gewinn.<br />

Niebelschütz ist elektrisiert. Für ihn<br />

sind die Zahlen „ein Zeichen, dass unser<br />

Geschäftsmodell skalierbar ist und TV<br />

funktioniert“. Dass der Erfolg gleichzeitig<br />

den Boden für die totale Niederlage bereiten<br />

würde, kommt ihm in dieser Situation<br />

nicht in den Sinn – im Gegenteil.<br />

Mitte 2012 Der Erfolg im Weihnachtsgeschäft<br />

versetzt Niebelschütz in Überschwang.<br />

Jetzt will er’s wissen, das ganz<br />

große Rad drehen. Dazu braucht er Geld.<br />

Er besorgt sich bei einem Privatinvestor<br />

und später bei SevenVentures, einer Tochter<br />

des Fernsehsenders ProSiebenSat1,<br />

weiteres Kapital. Das Geld dient zum einen,<br />

die <strong>Ausgabe</strong>n für TV-Werbung zu verzwanzigfachen.<br />

Zum andern fährt Niebelschütz<br />

die Belegschaft auf 40 Mitarbeiter<br />

hoch und weitet die Produktion sowie die<br />

Lagerbestände aus. Mit vier statt vorher<br />

einer einzigen Maschine kann Niebelschütz<br />

nun 4600 Parfüms am Tag produzieren.<br />

„Da waren die Augen größer als der<br />

Verstand“, sagt Niebelschütz später.<br />

November 2012 Später ist bald. Wenige<br />

Wochen vor Weihnachten zeigt sich, dass<br />

Niebelschütz’ Erwartungen an die Kampagne<br />

völlig überzogen waren. In der Spitze<br />

liegen die Bestellungen maximal bei<br />

20 Prozent des erhofften Wertes. Niebelschütz<br />

und seine Leute werden nervös.<br />

Die Bestellungen bleiben mau, zusätzliche<br />

<strong>Ausgabe</strong>n für Werbung verpuffen. Mitte<br />

November fängt es bei MyParfum an, „zu<br />

kribbeln“, spürt Niebelschütz. Die hohen<br />

Fixkosten erdrücken das enttäuschende<br />

Geschäft. In seiner Not lässt Niebelschütz<br />

einen neuen TV-Spot drehen. Er weiß, die<br />

nächsten Wochen werden über die<br />

Zukunft von MyParfum entscheiden.<br />

Dezember 2012 Der Todeskampf von<br />

MyParfum beginnt. So sehr sich Niebelschütz<br />

auch müht, Anfang Dezember<br />

müssen er und seine Kombattanten einsehen,<br />

dass sie „das Minus bis Weihnachten<br />

nicht mehr aufholen können“. In seiner<br />

Not mottet Niebelschütz die neuen Produktionsmaschinen<br />

ein und entlässt 20<br />

Mitarbeiter. Bis Jahresende steigen die<br />

Schulden auf fast zwei Millionen Euro.<br />

Januar 2013 MyParfum zeigt die letzten<br />

Zuckungen. Niebelschütz kann seinen Vermieter<br />

dazu bewegen, auf Miete für einen<br />

Teil der überflüssigen Räume zu verzichten.<br />

Im Februar soll eine Sammelaktion<br />

bei Kleininvestoren übers Web laufen, die<br />

MyParfum Geld bringen könnte.<br />

Neuanfang MyParfum-Team Yannis<br />

Niebelschütz, Carina Stammermann,<br />

Matti Niebelschütz<br />

Februar 2013 Zwei Tage vor dem Notartermin<br />

bricht Niebelschütz den letzten<br />

Rettungsversuch ab.„Die Schuldenlast<br />

hätte den Großteil des Investments aufgefressen“,<br />

erkennt er, „dadurch hätten wir<br />

die 1000 Privatinvestoren veräppelt.“ Niebelschütz<br />

ist paralysiert, würde sich am<br />

liebsten einbunkern, die fünf Jahre MyParfum<br />

aus seinem Gedächtnis streichen.<br />

März 2013 Niebelschütz stellt beim<br />

Amtsgericht den Insolvenzantrag. Er ist 27<br />

und pleite. Er nutzt die Zeit zum Nachdenken;<br />

versucht, einen klaren Kopf zu bekommt<br />

– und gelangt nach nur einer Woche<br />

zur „Erkenntnis, dass ich weiter ans<br />

Geschäftsmodell von MyParfum glaube“.<br />

August 2013 Dem Gestrauchelten gelingt<br />

es, bei seinem Bruder und anderen<br />

genügend Geld aufzutreiben, um bei der<br />

Versteigerung durch den Insolvenzverwal-<br />

ter MyParfum zurückzukaufen. Er will so<br />

schnell wie möglich ein Atelier eröffnen, in<br />

dem Konsumenten und Händler seine Parfüms<br />

direkt riechen und anfassen können,<br />

„als Showroom für unser Duftsystem“.<br />

September 2013 Doch für gescheiterte<br />

Gründer ist der Neustart in Deutschland<br />

schwer. Neun von zehn Dienstleistern, die<br />

hierzulande die Zahlung per Kreditkarte im<br />

Internet anbieten, lassen Niebelschütz mit<br />

der Begründung abblitzen, dass er als Pleitier<br />

wieder Geschäftsführer sei. Einzig die<br />

Postbank willigte ein, allerdings erst nach<br />

langen Telefonaten und viel persönlichem<br />

Einsatz. Ähnliche Probleme hat Niebelschütz,<br />

als er für MyParfum ein Bankkonto<br />

eröffnen will. Und für den Showroom muss<br />

er eine Kaution von sechs Monatsmieten<br />

hinblättern plus 15000 Euro Risikoprämie<br />

aufgrund seiner Pleite.<br />

Oktober 2013 Es ist so weit, zum zweiten<br />

Mal. MyParfum hat das neue Ladenlokal in<br />

der Reinhardtstraße in Berlin Mitte bezogen.<br />

Hinter dem Empfangstresen stapeln<br />

sich die weißen MyParfum-Versandschachteln.<br />

In der Mitte des Raums steht<br />

die „Duftbar“, wie Niebelschütz sagt: fünf<br />

große Flakons mit Grunddüften, sowohl für<br />

Männer als auch für Frauen, darum herum<br />

48 kleinere Flakons mit sechs Duftnoten<br />

von Amber bis Zeder. Aus ihnen kann sich<br />

der Kunde seinen eigenen Wunschduft zusammenstellen.<br />

Niebelschütz ist zuversichtlich,<br />

mit der „Duftbar“ ein „wichtiges<br />

Element“ gefunden zu haben, „um unser<br />

Internet-Geschäftsmodell auch in die Offline-Welt<br />

zu übertragen“.<br />

Januar <strong>2014</strong> Niebelschütz hat aus seiner<br />

Pleite gelernt und macht die einstige<br />

MyParfum-Mitarbeiterin Carina Stammermann,<br />

eine Betriebswirtin, zur Geschäftsführerin.<br />

Er selbst tritt ins zweite Glied und<br />

kümmert sich um die Produktentwicklung<br />

und neue Geschäftspartner.<br />

Ostern <strong>2014</strong> Niebelschütz nutzt die<br />

Feiertage zur inneren Einkehr. „Wir wollten<br />

bestimmt zu schnell zu viel“, sagt er.<br />

„Aber das war ein unternehmerisches Risiko,<br />

das wir bewusst eingegangen sind –<br />

das gehört eben als Unternehmer dazu.“<br />

Für solch große Worte hat er eine einfache<br />

Erklärung: „Gefühlt hat mich erst die<br />

Erfahrung rund um Aufstieg, Fall und<br />

Wiederaufstehen von MyParfum geistig<br />

erwachsen werden lassen.“<br />

n<br />

michael.kroker@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 61<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Zweierlei Maß<br />

SPEZIAL BUSINESS IT | Die USA wehren sich gegen deutsche Pläne<br />

zur Spionageabwehr. Droht jetzt ein Handelskrieg im Internet?<br />

Das brisante Dokument trägt den unscheinbaren<br />

Titel „<strong>2014</strong> Section<br />

1377 Review“. Nur das Siegel auf<br />

dem Deckblatt mit dem Wappentier der<br />

USA, dem Weißkopfseeadler, verrät: Das<br />

Weiße Haus in Washington hat das Papier<br />

abgesegnet. Fein säuberlich fächern die<br />

Autoren – das US-Präsident Barack Obama<br />

unterstellte und für Freihandel kämpfende<br />

Gremium US Trade Representative (USTR)<br />

– auf 21 Seiten auf, welche Barrieren den<br />

grenzüberschreitenden Internet-Verkehr<br />

ausbremsen<br />

und welche Länder der US-<br />

Regierung die größten Sorgen<br />

bereiten.<br />

Am Pranger des jährlich<br />

veröffentlichten Berichts<br />

stehen in der Regel Staaten<br />

wie die Türkei und China,<br />

die das Grundrecht auf freie<br />

Meinungsäußerung auch<br />

im Internet mit Füßen treten.<br />

Die stärksten Restriktionen<br />

gebe es in der Türkei,<br />

klagt das USTR an. Per Gesetz<br />

werden missliebige<br />

Web-Seiten gesperrt, und<br />

die Kommunikation per<br />

Twitter wird blockiert.<br />

RADIKALE LÖSUNG<br />

Im jüngst erschienenen Bericht<br />

für <strong>2014</strong> stellt das<br />

USTR zum ersten Mal die<br />

EU auf eine Stufe mit den<br />

Internet-Zensoren in der<br />

Türkei. Ungewöhnlich scharf rügt das<br />

USTR den radikalen Vorschlag der Deutschen<br />

Telekom, zur besseren Abwehr von<br />

Spionageangriffen aus dem Ausland künftig<br />

nicht mehr alle E-Mails und Datenpakete<br />

über die Transatlantik-Route und große<br />

Internet-Knotenpunkte in den USA und<br />

Großbritannien laufen zu lassen. Sie sollen<br />

stattdessen auf direktem Weg in Deutschland<br />

(National Routing) oder zwischen den<br />

EU-Ländern mit Ausnahme von Großbritannien<br />

(Schengen-Routing) transportiert<br />

werden. Internet-Knoten in den USA und<br />

England stehen seit den Enthüllungen des<br />

Ex-NSA-Agenten Edward Snowden unter<br />

dem Generalverdacht, von den dortigen<br />

Geheimdiensten observiert zu werden.<br />

Zwischen Europa und den USA droht ein<br />

Konflikt um die Vormacht im Internet. Washington<br />

will weiter die Spielregeln im Web<br />

bestimmen und sieht das Internet, wie Vorschläge<br />

für das Transatlantische Handelsund<br />

Investitionsabkommen zeigen, als<br />

elektronische Handelsplattform an, mit einem<br />

möglichst uneingeschränkten grenzüberschreitenden<br />

Transfer von Daten. Die<br />

Dominanz der überwiegend in den USA<br />

ansässigen und für das Datensammeln bekannten<br />

Web-Giganten wie Google, Apple<br />

und Microsoft soll so verteidigt werden.<br />

Europa dagegen will sich als vertrauenswürdiger<br />

IT-Standort profilieren und ein<br />

Bollwerk gegen die Spähprogramme ausländischer<br />

Geheimdienste aufbauen. Mit<br />

besonders sicheren IT-Produkten ohne<br />

Hintertüren made in Germany soll ein<br />

Stück weit die IT-Souveränität zurückgewonnen<br />

und die Abhängigkeit von ausländischen<br />

Anbietern reduziert werden.<br />

Entzündet hat sich der Streit am National<br />

Routing, einem von der Telekom entwi-<br />

ckelten Plan zur Abwehr der Abhöraktionen.<br />

Die Idee: Ein gesetzlich vorgeschriebenes<br />

Internet der kurzen Wege für innerdeutsche<br />

und -europäische Mails und andere<br />

Datentransfers würde mehr Schutz<br />

bieten, weil kein Byte – auch nicht vorübergehend<br />

– die Grenze überschreitet.<br />

Kanzlerin Angela Merkel unterstützt den<br />

Plan. Denn er ist kurzfristig realisierbar.<br />

„Warum sollte eine E-Mail von Bonn nach<br />

Berlin über London oder New York geleitet<br />

werden?“, fragt der zuständige Telekom-<br />

Vorstand Thomas Kremer. „Zumal der Verdacht<br />

im Raum steht, dass Internet-Verkehre<br />

bewusst über bestimmte Länder geleitet<br />

werden, um Daten abzugreifen.“<br />

Die USA weisen den Vorschlag entschieden<br />

zurück. Das sei „Protektionismus“<br />

zum Schutz der europäischen IT-Industrie<br />

und eine „drakonische<br />

Maßnahme“, mit der Europa<br />

den freien Datenverkehr<br />

im Netz untergrabe. Denn<br />

profitieren würden europäische<br />

Anbieter von Kommunikations-<br />

und IT-<br />

Diensten wie Cloud Computing,<br />

wenn die Daten<br />

stärker über europäische<br />

Netze geleitet und in europäischen<br />

Rechenzentren<br />

gelagert werden. „Ausländische<br />

Anbieter würden<br />

ausgeschlossen und diskriminiert“,<br />

schimpft das<br />

USTR.<br />

Über diese Rüge wundern<br />

sich Experten wie<br />

Karl-Heinz Neumann:<br />

„Nicht zuletzt durch Subventionen<br />

der USA sind die<br />

transkontinentalen Übertragungsstrecken<br />

so kostengünstig,<br />

dass die preiswerteste<br />

Route meist über<br />

diese Knotenpunkte führt“, sagt der Direktor<br />

des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur<br />

und Kommunikationsdienste<br />

in Bad Honnef. „Damit wird dieser Datenverkehr<br />

eine leichte Beute der Abhörwut<br />

der NSA.“<br />

Auch die Telekom ist „irritiert“, dass die<br />

Kritik ausgerechnet aus den USA kommt.<br />

Denn dort schreiben die Behörden allen<br />

Mobilfunk- und Festnetzanbietern vor,<br />

sämtliche Datentransfers zwischen US-<br />

Kunden in den USA zu halten. Wenn es um<br />

die eigenen Interessen geht, messen die<br />

Amerikaner offenbar mit zweierlei Maß. n<br />

juergen.berke@wiwo.de<br />

ILLUSTRATION: THOMAS FUCHS<br />

62 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

Antifluttechnik<br />

Die Thames Barrier in<br />

London schützt die<br />

Stadt vor Hochwasser<br />

Der Pegel steigt<br />

KLIMAWANDEL | Die Erderwärmung ist kaum noch zu verhindern. Die Erkenntnis<br />

setzt sich durch: Wir müssen uns an künftige Wetterextreme mit Hitzewellen, Dürren<br />

und Überflutungen anpassen. Wie das geht, zeigen Pilotprojekte schon heute.<br />

Es war der schlimmste Wirbelsturm<br />

in der Geschichte New<br />

Yorks – Sandy. Vor zwei Jahren<br />

fegte der Hurrikan durch die<br />

Häuserschluchten, überflutete<br />

Straßen, zerriss Stromkabel und warf weite<br />

Teile der Stadt tagelang in vorelektrische<br />

Zeiten zurück. Als Michael Bloomberg, damals<br />

Bürgermeister der Stadt, das Ausmaß<br />

der Schäden sah, war für ihn klar: Die Stadt<br />

muss sich fit machen für den Klimawandel.<br />

Die Erderwärmung hatte Sandy nicht<br />

ausgelöst, wohl aber die Wucht des Sturms<br />

gefährlich verstärkt – darin waren sich die<br />

Forscher schnell einig. Bloomberg folgerte:<br />

„Die Städte der Welt wachsen ständig weiter,<br />

damit wird es immer dringlicher, sich<br />

lokal an den Klimawandel anzupassen.“<br />

Die Aufräumarbeiten nach dem Sturm<br />

liefen noch, da präsentierte Bloomberg seinen<br />

Plan: Big Apple soll künftig neue Deiche,<br />

Fluttore und eine wassersichere<br />

Stromversorgung erhalten. Es ist eine<br />

Mammutaufgabe in einer Metropole mit<br />

knapp 850 Kilometer Küstenlinie. Die Kosten:<br />

gigantische 20 Milliarden Dollar.<br />

New York ist längst nicht mehr allein.<br />

Auch London und Ho-Chi-Minh-Stadt in<br />

Vietnam wappnen sich für raueres Wetter.<br />

Selbst in Hannover erarbeiten Stadtplaner<br />

Schutzkonzepte gegen Klimaschäden. Sie<br />

alle glauben nicht mehr, der Klimawandel<br />

ließe sich noch stoppen. Was die Bürgermeister<br />

umtreibt, gilt erst recht für viele Regierungen.<br />

Nicht nur die deutsche hat<br />

schon eine „Anpassungsstrategie an den<br />

Klimawandel“ beschlossen. Auch Experten<br />

in den 48 ärmsten Staaten der Welt arbeiten<br />

an solchen Plänen.<br />

All diese Vorhaben markieren nicht weniger<br />

als eine Kehrtwende im Umgang mit<br />

der Erderwärmung. Sie ist getrieben von<br />

einer Erkenntnis, die der Ökonom Richard<br />

Tol von der britischen Universität Sussex<br />

und frühere Experte des UN-Weltklimara-<br />

FOTO: LAIF/LOOP IMAGES/RICKY LEAVER<br />

64 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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15 000 Tote<br />

forderte die Hitzewelle<br />

von 2003<br />

allein in Frankreich<br />

40 Milliarden<br />

Dollar Mehrkosten<br />

für den globalen<br />

Küstenschutz<br />

20 Grad weniger<br />

Hitze in Wüstenstädten<br />

dank optimaler<br />

Luftströmung<br />

tes (IPCC) so formuliert: „Nicht nur den<br />

Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren<br />

mindert die Folgen des Klimawandel, auch<br />

Anpassung und Wirtschaftswachstum.“<br />

Bisher dominierte bei Umweltschützern<br />

und -politikern die Meinung, die einzige<br />

Chance im Kampf gegen den Klimawandel<br />

sei es, die Emissionen an Kohlendioxid<br />

(CO 2 ) drastisch zu verringern. Nun aber<br />

setzt sich die Einsicht durch: Zu stoppen ist<br />

die Erderwärmung kaum noch. Also sollten<br />

sich die Menschen anpassen. Das zeigt<br />

auch der dritte Bericht des IPCC, den das<br />

Gremium vor wenigen Tagen veröffentlicht<br />

hat (siehe Kasten Seite 66).<br />

Noch eine Erkenntnis kommt hinzu, die<br />

der IPCC Ende März in seinem Report über<br />

den Umgang mit der Erderwärmung so formulierte:<br />

„Die Folgen des Klimawandels<br />

sind kein isoliertes Problem, sondern müssen<br />

zusammen mit Armut, Unterentwicklung<br />

und schlechter Politik bekämpft werden.“<br />

Denn je schlimmer die Armut und je<br />

unfähiger die Politiker, desto krasser wirkt<br />

sich die Erderwärmung aus.<br />

Wie erfolgreich Anpassungsstrategien<br />

sein können, zeigen heute schon Projekte<br />

auf der ganzen Welt: Stadtplaner, Gesundheitsexperten,<br />

Landwirte und Küstenschützer<br />

suchen dabei Antworten auf die<br />

dringendsten Herausforderungen des Klimawandels:<br />

mehr Hitzewellen, Wassermangel,<br />

heftigere Stürme, Starkregen und<br />

den steigenden Meeresspiegel. Woran sie<br />

arbeiten, zeigt die folgende Reise zu den<br />

Brennpunkten des Klimawandels.<br />

STÄDTEBAU Kühle Inseln<br />

London begann schon, sich an den Klimawandel<br />

anzupassen, als kaum jemand im<br />

Weltklimarat davon sprach: Die Parkverwaltung<br />

pflanzte im Jahr 20<strong>04</strong> neue Bäume,<br />

erweiterte Rasenflächen und gab Bächen<br />

ihren einstigen Lauf zurück. In das<br />

Projekt „East London Green Grid“ steckte<br />

Frühwarnsysteme<br />

prognostizieren<br />

Epidemien sechs<br />

Monate im Voraus<br />

die Stadt 24 Millionen Euro. Inzwischen gilt<br />

das Konzept für den Großraum London.<br />

Den soll bis 2025 ein Netz (Grid) grüner<br />

Flächen durchziehen, Bäume sollen 25<br />

Prozent der Stadtfläche ausmachen, heute<br />

sind es 20 Prozent.<br />

Der Effekt:Die Vegetation verringert den<br />

Hitzeinsel-Effekt. Im Zentrum Londons<br />

kann die Temperatur bis zu sieben Grad<br />

Celsius über der im Umland liegen. Die zusätzliche<br />

Begrünung soll verhindern, dass<br />

sich die rasant wachsende Stadt in den<br />

nächsten Jahren weiter aufheizt.<br />

Denn vor allem Hitzewellen, die der Klimawandel<br />

verstärkt, machen Städtern<br />

künftig zu schaffen: Im Glutsommer von<br />

2003 etwa starben in Frankreich rund<br />

15 000 Menschen mehr als in vergleichbaren<br />

Zeiträumen; die meisten im Ballungsraum<br />

Paris. Daher begrünen derzeit auch<br />

Metropolen wie Berlin, Chicago und Singapur<br />

mit Hochdruck das Stadtgebiet.<br />

Hitze ist nicht die einzige Herausforderung:<br />

Heftige Regenfälle überfordern die<br />

Kanalisation, Dürren lassen die Wasserversorgung<br />

zusammenbrechen. Städte haben<br />

aber eine ganze Reihe von Möglichkeiten,<br />

auf höhere Temperaturen zu reagieren.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 65<br />

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Technik&Wissen<br />

KLIMAKOSTEN<br />

Solaranlagen<br />

oder Deiche?<br />

Die Menschheit muss sich auf den<br />

Klimawandel einstellen. Allein der<br />

Küstenschutz kostet Milliarden.<br />

Bisher herrscht unter Ökonomen ein erbitterter<br />

Streit um die Frage, was wirtschaftlicher<br />

ist: sich dem Klimawandel<br />

anzupassen oder ihn zu verhindern.<br />

Eine Antwort kann der Vorsitzende des<br />

UN-Weltklimarates (IPCC) Rajendra<br />

Pachauri noch nicht geben. Immerhin:<br />

Bis Oktober wollen er und seine Experten<br />

dazu einen großen Report verfassen.<br />

Schon jetzt aber ist für ihn klar:<br />

„Wir müssen die Anpassung an den Klimawandel<br />

ebenso finanzieren wie die<br />

Vermeidung.“ Dahinter steckt die Einsicht:<br />

Zwei Grad wärmer wird die Welt<br />

ohnehin, auf die Folgen muss sich die<br />

Menschheit einstellen.<br />

UNGENÜGENDE STUDIEN<br />

Was es kostet, die Erderwärmung auf<br />

zwei Grad zu begrenzen, ist dagegen<br />

klar. Die Zahlen finden sich im dritten<br />

Teil des aktuellen Weltklimaberichtes,<br />

den der IPCC vergangenen Sonntag in<br />

Berlin vorgestellt hat. Der Leitautor Ottmar<br />

Edenhofer, Ökonom am Potsdam-<br />

Institut für Klimafolgenforschung (PIK),<br />

geht davon aus, dass <strong>Ausgabe</strong>n für<br />

einen wirksamen Klimaschutz wie etwa<br />

das Fördern erneuerbarer Energien das<br />

Wachstum der Weltwirtschaft pro Jahr<br />

nur um rund 0,06 Prozentpunkte abschwächen.<br />

„Klimapolitik bedeutet also<br />

nicht, dass die Welt auf Wirtschaftswachstum<br />

verzichten muss“, sagt er.<br />

Wie viel eine Anpassung an eine zwei<br />

Grad wärmere Welt kostet, beziffert der<br />

Weltklimarat nicht. Die Begründung:<br />

Bisherige Studien seien „ungenügend“.<br />

Anhaltspunkte gibt es aber. Was es<br />

etwa für den Küstenschutz bedeutet,<br />

wenn sich die Erde um fast fünf Grad<br />

erwärmt, rechneten kürzlich Forscher<br />

des Global Climate Forum, einem Berliner<br />

Thinktank, vor. Betroffene Staaten<br />

müssten jährlich bis zu 70 Milliarden<br />

Dollar investieren. Bliebe es dagegen<br />

bei weniger als zwei Grad Erwärmung,<br />

wären es höchstens 30 Milliarden.<br />

Globaler Wandel Bauern ernten Kartoffeln in Grönland (links); Dürre am Rhein (Mitte)...<br />

»<br />

Eine besonders energieeffiziente nutzt<br />

die Stadt Doha im Emirat Katar. Hier kühlen<br />

in zwei Vierteln nicht gewöhnliche Klimaanlagen<br />

die Bauten, sondern Pumpen<br />

leiten kaltes Wasser durch die Häuser. Dieses<br />

„District Cooling“ funktioniert ähnlich<br />

wie die bekannte Fernwärmeheizung, nur<br />

kommt hier Wasser mit einer Temperatur<br />

von 5,5 Grad Celsius in den Häusern an.<br />

Das System verbraucht 40 Prozent weniger<br />

Energie als konventionelle Klimaanlagen.<br />

Auch wenn es um angenehme Außentemperaturen<br />

geht, sind arabische Städte<br />

Vorbilder. In Masdar, einem Städtebauprojekt<br />

für 40 000 Einwohner und 50 000 Pendler<br />

nahe Abu Dhabi, sind die Häuserzeilen<br />

so eng gebaut, dass keine Sonne auf die<br />

Gehsteige dazwischen fällt. Die Anordnung<br />

der Gebäude schafft freie Bahn für<br />

Luftströmungen – die frische Brise soll die<br />

Sommertemperatur in Masdar City um bis<br />

zu 20 Grad Celsius gegenüber derjenigen<br />

in der Sandwüste der Umgebung senken.<br />

In bestehenden Städten hilft oft nur eine<br />

bessere Organisation. In Paris etwa hat die<br />

Stadtverwaltung nach dem tödlichen Sommer<br />

2003 einen Notfallplan entwickelt. Bei<br />

künftigen Hitzwellen sollen Hilfsbedürftige,<br />

die sich bei den Behörden registriert<br />

haben, in Herbergen versorgt werden.<br />

GESUNDHEIT Abwehr von Seuchen<br />

Im Sommer 2011 machte ein Reporter des<br />

arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera<br />

eine alarmierende Entdeckung: In Lakonien,<br />

einer Küstenregion im Süden Griechenlands,<br />

häuften sich bei Arbeitern auf<br />

den Zitrusplantagen Malariafälle. Dabei<br />

galt die Krankheit in Europa seit <strong>19</strong>70 als<br />

ausgerottet. In dem Fernsehbeitrag des<br />

Senders nannte Apostolos Veiziz, ein Mediziner<br />

im Dienst der Hilfsorganisation<br />

Ärzte ohne Grenzen, die Gründe für die<br />

Rückkehr der Tropenkrankheit: „Die Regierung<br />

hat wegen der Finanzkrise kein<br />

Geld, Insektizide zur Bekämpfung der Mücken<br />

zu versprühen“, sagte er. Gleichzeitig<br />

trügen steigende Temperaturen zur explosionsartigen<br />

Vermehrung der Mücken bei.<br />

Die griechischen Behörden schickten<br />

daraufhin Trucks der Seuchenbehörde, die<br />

den Arbeitern Blut abnahmen und sie mit<br />

Medikamenten versorgten. Auch begann<br />

sie wieder, die Schädlinge zu bekämpfen.<br />

Mit Erfolg: Zwei Jahre später wurden nur<br />

noch drei Fälle Malaria in Griechenland<br />

registriert.<br />

Für den ehemaligen IPCC-Autor Richard<br />

Tol ist klar: „Heute ist Malaria vor allem ein<br />

Problem armer Länder, und der Klimawandel<br />

wird die Situation verschlimmern.<br />

Erst mit zunehmendem Wohlstand wird<br />

das Problem verschwinden.“<br />

Das gilt auch für viele andere Krankheiten,<br />

die mit dem Klimawandel zunehmen.<br />

Dazu gehören Dengue-Fieber und Borreliose,<br />

die durch Zecken übertragen wird,<br />

aber auch Meningitis, Rifttalfieber und<br />

Cholera. Gesundheitsexperten aus dem<br />

Senegal, Malawi und Ghana arbeiten deshalb<br />

mithilfe europäischer Klimaforscher<br />

an einem Frühwarnsystem für Epidemien.<br />

In dem Projekt mit dem Namen Qweci<br />

meldeten Krankenhäuser per Funk unter<br />

anderem Malariafälle automatisch an eine<br />

zentrale Sammelstelle. Gleichzeitig lieferten<br />

Satelliten Wetterdaten für jede Region.<br />

Häuften sich die Erkrankungen und nahte<br />

für Insekten günstiges Wetter, wurden die<br />

Ärzte auch andernorts alarmiert. Das half,<br />

Medikamente rechtzeitig zu liefern und die<br />

Menschen vor Ort zu warnen. Das System<br />

FOTOS: GETTY IMAGES/AURORA, IMAGO/JOCHEN TACK, CORBIS/GEORG STEINMETZ<br />

66 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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...in Afrika forsten Küstenbewohner Mangrovenwälder (rechts) als Sturmflutschutz wieder auf<br />

wollen die Forscher nun verfeinern, um<br />

Krankheitsausbrüche bis zu sechs Monate<br />

vorab zu prognostizieren.<br />

ERNÄHRUNG Hirse statt Mais<br />

Unter „Pink Lady“ hätten sich die Deutschen<br />

noch vor Kurzem vieles vorgestellt,<br />

aber keine Apfelsorte. Heute pflanzen<br />

Obstbauer sie dank der Erderwärmung<br />

auch hierzulande. Pink Lady verträgt Hitzewellen<br />

besser als viele andere Äpfel.<br />

Darum wuchs sie früher vorwiegend in<br />

Frankreich oder Italien.<br />

Erkennbar wird der Klimawandel nicht<br />

nur in der Obstabteilung des Supermarkts,<br />

sondern auch in der Statistik. In Deutschland<br />

hat sich die Anbauperiode für Agrarpflanzen<br />

seit <strong>19</strong>70 um zwei Wochen verlängert.<br />

Das klingt positiv, kann in südlichen<br />

Ländern aber ernste Folgen haben. Die Erträge<br />

der Bauern, schätzen Experten,<br />

könnten wegen stärkerer Hitzewellen ab<br />

2050 um bis zu 25 Prozent sinken. Vor allem<br />

bei Weizen und Mais, warnt der UN-<br />

Klimarat, sind drastische Einbußen möglich.<br />

Ohne Anpassungen komme es deshalb<br />

in Zukunft zu Nahrungsengpässen,<br />

weil die Weltbevölkerung weiter wachse.<br />

Doch auch hier haben Landwirte Chancen,<br />

sich anzupassen – etwa indem sie Anbaumethoden<br />

verändern, die Bewässerung<br />

verbessern oder andere Pflanzen nutzen.<br />

Auf diese Weise haben sich die Erträge<br />

pro Hektar seit dem Zweiten Weltkrieg<br />

mehr als verdoppelt. Besonders wichtig ist,<br />

Pflanzen zu züchten, die das veränderte<br />

Klima vertragen.<br />

Trockenresistenten Varianten der Hirse<br />

schreiben Saatgutforscher eine Schlüsselrolle<br />

zu, etwa als Ersatz für Mais. Gegen<br />

längere Dürren könnten Nutzpflanzen mit<br />

längeren Wurzeln helfen. Für Trockenheit<br />

optimierte Sorten können bis zu 15 Prozent<br />

mehr Ertrag bringen als herkömmliche<br />

Arten – und so die durch den Klimawandel<br />

bedingten Ernterückgänge ausgleichen.<br />

Aber auch zu viel Wasser wird für die<br />

Bauern künftig zum Problem. Vor allem<br />

wenn es das falsche ist wie in Bangladesch.<br />

Dort ergießen sich fast jährlich Sturmfluten<br />

über die Felder, die Millionen Menschen<br />

ernähren. Extra für diesen Einsatz<br />

züchteten Forscher nun Reissorten, die resistenter<br />

gegenüber Salz sind.<br />

MEERE Hochseefische <strong>vom</strong> Land<br />

Um drei Zentimeter pro Jahrzehnt ist der<br />

Meeresspiegel seit <strong>19</strong>93 gestiegen. Bis 2100<br />

können laut UN-Klimarat weitere 30 bis<br />

100 Zentimeter dazukommen. Noch verläuft<br />

die Entwicklung langsam. London<br />

will sein großes Sturmflutwehr – die Thames<br />

Barrier – daher frühestens 2070 aufstocken.<br />

Auch in der Deutschen Bucht sind<br />

die Deiche wohl bis Mitte des Jahrhunderts<br />

sicher. Trotzdem werden sich allein durch<br />

Neue, dürreresistente<br />

Pflanzen<br />

bringen 15 Prozent<br />

mehr Ertrag<br />

Wirtschaftswachstum laut Weltbank die in<br />

Küstenstädten bedrohten Sachwerte bis<br />

2050 verzehnfachen.<br />

Und weil der Boden in dicht besiedelten<br />

Deltas durch Wasserentnahmen sinkt,<br />

wird dort schon ein Anstieg des Meeres<br />

um Zentimeter zum Problem – und Anpassung<br />

nötig. Niederländische Experten<br />

sind jetzt etwa in New York und in Bangladesch<br />

gefragt, um den Küstenschutz zu<br />

verstärken.<br />

Doch nicht nur der Meeresspiegel steigt.<br />

Auch die marine Fauna reagiert auf den<br />

Klimawandel. Fische weichen in kühlere<br />

Gewässer aus. In die Nordsee sind laut<br />

dem Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven<br />

in den letzten Jahrzehnten 40 neue Arten<br />

eingewandert, darunter Sardinen und<br />

Wolfsbarsch, während sich der Dorsch<br />

nach Norden verdrückt. Das spüren auch<br />

die Fischer: In hohen Breiten nähmen die<br />

Fänge zu; in den Tropen aber könnten sich<br />

die Mengen bis 2050 halbieren, warnt der<br />

Klimarat. Um sich anzupassen, müssen<br />

andere Arten befischt werden.<br />

Auch Aquakulturen können helfen, die<br />

Eiweißversorgung der Menschen zu sichern.<br />

Früher wurden die Kulturen oft an<br />

Küsten angelegt – und verdrängten schützende<br />

Mangroven. Inzwischen aber gibt es<br />

schonendere Ansätze – im Binnenland: In<br />

Deutschland wollen Firmen wie etwa Neomar<br />

Meeresfische wie Doraden züchten.<br />

Auch Korea besitzt inzwischen vergleichbare<br />

Aquakulturen für Meeresfische.<br />

Wer weiß: Vielleicht entdeckt auch<br />

Bloombergs Nachfolger Bill de Blasio noch<br />

das Hochseeangeln im New Yorker Binnenland<br />

– um seine Metropole auf den Klimawandel<br />

vorzubereiten.<br />

n<br />

sven titz | technik@wiwo.de, benjamin reuter<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 67<br />

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Technik&Wissen<br />

Kampf der Keime<br />

GESUNDHEIT | Bei Bakterien denken wir meist an gefährliche<br />

Erreger. Können wir sie dazu bringen, Krankheiten zu heilen?<br />

tiv simple List verfallen: Sie versuchen, die<br />

alten Machtverhältnisse, sprich die Artzusammensetzung<br />

im Darm, wiederherzustellen.<br />

Sie übertragen dazu einfach die<br />

Mikroben eines Gesunden auf den Kranken.<br />

Ganz praktisch bedeutet das – und<br />

jetzt wird es etwas anrüchig: Sie besorgen<br />

sich eine Stuhlprobe und bringen sie in<br />

den Darm des Erkrankten.<br />

Wir sind nicht allein. Nie. In uns, auf<br />

uns lebt es: Abermillionen an Bakterien<br />

und anderen Mikroorganismen<br />

betrachten uns als Biotop auf zwei<br />

Beinen. Stolze zwei Kilogramm bringt dieses<br />

Mikrobiom zusammengerechnet beim<br />

Erwachsenen auf die Waage; auf jede einzelne<br />

Zelle unseres Körpers kommen rechnerisch<br />

zehn Miniviecher.<br />

Und das ist gut so.<br />

Denn ohne die Mikroben, die uns besiedeln,<br />

könnten wir gar nicht überleben. So<br />

helfen uns Bakterien im Dünndarm – die<br />

berühmte Darmflora –, die Nahrung ordentlich<br />

zu verdauen. Mikroorganismen<br />

auf der Haut wehren gefährliche Erreger ab.<br />

Die kleinen Mitbewohner spielen – das<br />

wird erst jetzt so richtig klar – aber auch eine<br />

wichtige Rolle bei erstaunlich vielen<br />

Krankheiten: angefangen bei Darmerkrankungen<br />

über Rheuma bis hin zu Depressionen.<br />

Wie im tropischen Dschungel, in dem<br />

sich Pflanzen und Tiere in einem sensiblen<br />

ökologischen Gleichgewicht befinden, hat<br />

es auch für das Mikrobiom katastrophale<br />

Folgen, wenn sich die Zusammensetzung<br />

der Mikrobenarten verschiebt. Das Abwehrsystem<br />

des Menschen kann dadurch<br />

so irritiert werden, dass Immunzellen körpereigenes<br />

Gewebe angreifen. Chronische<br />

Wimmelbild Im Bauch tobt die Schlacht<br />

zwischen guten und schlechten Bakterien<br />

Entzündungen im Darm wie Morbus<br />

Crohn aber auch multiple Sklerose, Rheuma<br />

oder die Zuckerstoffwechselerkrankung<br />

Diabetes sind Beispiele. Oder es können<br />

sich fremde Bakterien breitmachen,<br />

die starke Durchfälle auslösen.<br />

Was tun, wenn das passiert? Gerade<br />

dann, wenn Medikamente keinerlei Wirkung<br />

zeigen und radikale Eingriffe wie etwa<br />

die Entfernung eines Teils des Darms<br />

bevorsteht, sind Ärzte jüngst auf eine rela-<br />

Eifrige Forscher<br />

Zahl derStudien und Publikationen zu<br />

Stuhltransplanationen*<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

wissenschaftliche Publikationen<br />

registrierte klinische Studien<br />

2009 2010 2011 2012 2013<br />

*inder Datenbanken Pubmed und Clinicaltrials.gov<br />

für den englischen Suchbegriff „fecal microbiota<br />

transplantation“; Quelle: Nature<br />

UNAPPETITLICH, ABER WIRKSAM<br />

Zugegeben: Die Methode ist alles andere<br />

als appetitlich. Doch sie zeigte in einzelnen<br />

Fällen auch bei Parkinson-Patienten und<br />

Menschen mit Autoimmunkrankheiten<br />

wie multipler Sklerose (MS) große Wirkung.<br />

Sogar Autisten, die sich mehr oder<br />

weniger stark von der Welt abkapseln,<br />

schien eine neue Darmflora zu mehr Weltoffenheit<br />

zu verhelfen – auch wenn die zugehörigen<br />

Publikationen umstritten sind.<br />

Denn bisher gibt es hier keine sauberen klinischen<br />

Studien, sondern lediglich Einzelfallbeobachtungen.<br />

Wenn sich die Wirksamkeit<br />

aber in Zukunft mit Studien belegen<br />

lässt, scheint das Potenzial möglicher<br />

Anwendungen geradezu fantastisch.<br />

Entsprechend groß ist das Interesse an<br />

der neuen Therapieform. Forscher wie Kliniken<br />

sind elektrisiert. Die Zahl der wissenschaftlichen<br />

Veröffentlichung zum Thema<br />

steigt derzeit sprunghaft an. Ebenso die<br />

Zahl der gerade laufenden klinischen Studien<br />

(siehe Grafik). Und immer mehr Krankenhäuser<br />

bieten die neue Heilmethode an.<br />

Manch verzweifelter Patient hat auch schon<br />

die im Internet kursierenden Do-it-yourself-Anleitungen<br />

ausprobiert, wie Stuhlproben<br />

von Freunden und Verwandten im heimischen<br />

Badezimmer aufzubereiten sind.<br />

Ausgelöst hat den derzeitigen Hype eine<br />

klinische Studie aus den Niederlanden, die<br />

Anfang 2013 veröffentlicht wurde. Es war<br />

weltweit die erste Studie, in der Ärzte die<br />

seit den Fünfzigerjahren beschriebene<br />

Methode des Transfers fremdem Stuhls<br />

systematisch unter die Lupe nahmen.<br />

Die Forscher wählten dazu Patienten aus,<br />

die an einer Infektion mit dem aggressiven<br />

Darmkeim Clostridium-difficile litten. Er<br />

verursacht schwere Durchfälle und hat sich<br />

inzwischen zu einer echten Plage entwickelt.<br />

So erfasste das Bundesamt für Statistik<br />

2012 in deutschen Krankenhäusern 28 950<br />

Clostridium-difficile-Infektionen (CDI).<br />

2250 der Patienten starben. <strong>19</strong>98, als die Erkrankung<br />

erstmals in die Statistik aufgenommen<br />

wurde, gab es nur drei Todesfälle.<br />

Bisher bekämpfen die Ärzte den Keim<br />

mit einer Reihe von Antibiotika. Doch<br />

»<br />

FOTOS: GETTY IMAGES, AGENTUR FOCUS/EYE OF SCIENCE [MONTAGE]<br />

68 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

bei einem Fünftel der Betroffenen<br />

kommt der Erreger immer und immer wieder<br />

zurück. Ein normales Leben oder eine<br />

Berufstätigkeit ist bei zehn bis zwölf Durchfallattacken<br />

pro Tag quasi unmöglich.<br />

Genau solche Rückfallpatienten behandelten<br />

die Mediziner in Amsterdam<br />

mit den Stuhltransplantaten. 15 von 16<br />

Patienten waren den Keim danach los.<br />

Doch nur 4 von 13 Patienten in der<br />

mit Antibiotika behandelten Vergleichsgruppe<br />

wurden kuriert. Die Stuhltherapie<br />

war so erfolgreich, dass die behandelnden<br />

Ärzte die Studie aus ethischen Gründen<br />

abbrachen. Es war den Patienten nicht<br />

zuzumuten, auf die so wirksame Stuhltherapie<br />

zu verzichten.<br />

Auch Kliniken in Bremen, Berlin, Jena,<br />

Heidelberg oder Ulm bieten die Therapie<br />

neuerdings an. Allerdings nur in Einzelfällen.<br />

Denn bisher weiß kein Arzt so recht,<br />

wie die rechtliche Lage ist. Auch die Deutsche<br />

Gesellschaft für Infektiologie arbeitet<br />

gerade erst daran, Leitlinien für den Umgang<br />

mit den Stuhlspenden zu entwerfen.<br />

Angesichts der großen Nachfrage zerbrechen<br />

sich auch Experten der deutschen<br />

Zulassungsbehörde – des Bundesinstituts<br />

für Arzneimittel und Medizinprodukte in<br />

Bonn – gerade die Köpfe darüber, wie der<br />

Einsatz der Methode geregelt und in sichere<br />

Bahnen gelenkt werden könnte.<br />

Klarheit will Maria Vehreschild hier<br />

schaffen. Sie leitet an der Medizinischen<br />

Klinik der Universität Köln die Studien<br />

zum Fäkal-Transfer. Sechs Patienten hat sie<br />

seither behandelt und dabei gewisse Routinen<br />

entwickelt, die in die Leitlinien einfließen<br />

sollen. Dabei geht es etwa um die<br />

Frage, auf welche Krankheitserreger Spender<br />

und Stuhlproben getestet werden müssen.<br />

Aber auch darum, ob der gereinigte<br />

und verdünnte Stuhl besser über eine Nasensonde,<br />

einen Einlauf oder per Magenspiegelung<br />

und Dünndarmsonde an Ort<br />

und Stelle gebracht wird.<br />

NOCH FEHLEN KLARE REGELN<br />

Auch ob Verwandte und Lebenspartner<br />

oder professionelle Spender sich besser<br />

eignen, will Vehreschild herausfinden. Der<br />

Charme der Bekannten-Spende: Je enger<br />

Menschen zusammenleben, desto mehr<br />

ähnelt die übertragene Darmflora der eigenen.<br />

Das Problem ist nur: Die Prozedur ist<br />

aufwendig. Viel einfacher und effektiver ist<br />

es laut Vehreschild, immer wieder Stuhlproben<br />

desselben, bereits auf Erkrankungen<br />

durchgecheckten Spenders zu nehmen.<br />

Das spart Zeit und Geld.<br />

2250 Patienten<br />

bringt Clostridium<br />

difficile proJahr<br />

in Deutschland um<br />

TAYMOUNT CLINIC<br />

Rettung oder<br />

Abzocke?<br />

Nahe London bietet eine kleine<br />

Privatklinik seit fast zehn Jahren<br />

Bakterientransplantation an.<br />

Wer unter klassisch nicht zu heilenden<br />

Darmerkrankungen leiden, für den ist<br />

die Taymount Clinic im Norden von London<br />

eine Art Rettungsinsel. Denn dort<br />

bieten Enid und Glenn Taylor seit fast<br />

zehn Jahren die Behandlung mit Stuhltransplantaten<br />

an. Die Therapie bewies<br />

2013 bei Infektionen mit dem Darmkeim<br />

Clostridium difficile ihre Wirksamkeit<br />

(siehe Haupttext). Zu Preisen<br />

zwischen knapp 2500 und 10 000 Euro<br />

saniert die geschäftstüchtige Klinik<br />

aber auch die Darmflora von Menschen<br />

mit multipler Sklerose, Autismus und<br />

chronischer Erschöpfung – auch wenn<br />

die Datenlage noch dünn ist.<br />

Langfristig muss aber eine klare Reglung<br />

her, sagt die Ärztin, um das Verfahren zu<br />

standardisieren und möglicherweise zu einem<br />

Fertigprodukt zu kommen.<br />

Daran arbeitet zum Beispiel auch das<br />

Forscherteam um Emma Allen-Vercoe an<br />

der kanadischen University of Guelph in<br />

Ontario. RePOOPulate hat Allen-Vercoe<br />

das Projekt der Darm-Wiederbesiedlung<br />

genannt. Und sie will ganz weg von der<br />

Stuhlspende. Stattdessen strebt sie an, einen<br />

ausgewählten gesunden Bakterien-<br />

Cocktail im Labor zu züchten und ihn<br />

möglicherweise in eine Medikamentenkapsel<br />

zu verpacken. Die kann der Patient<br />

dann einfach schlucken.<br />

Noch ist das Zukunftsmusik. In den USA<br />

hat Mark Smith immerhin schon eine Art<br />

Versandhandel namens OpenBiome aufgebaut.<br />

Für 250 Dollar können Ärzte dort<br />

geprüfte Stuhltransplantate beziehen. Der<br />

Mikrobiom-Forscher Smith gründete die<br />

gemeinnützige Organisation, nachdem er<br />

bei einem Freund miterlebt hatte, wie der<br />

nach qualvollen Jahren mit einer chronischen<br />

Chlostridien-Infektion endlich<br />

durch ein Stuhltransplantat geheilt wurde.<br />

Der Haken ist nur: Die US-Gesundheitsbehörde<br />

FDA hat gerade vorgeschlagen,<br />

dass Ärzte die Therapie in Zukunft nur<br />

noch im Rahmen von genehmigten Studien<br />

durchführen dürfen. Dann wäre es für<br />

Patienten sehr schwierig, einen Arzt zu finden,<br />

der die Therapie einsetzen darf. Daher<br />

hat Smith jüngst im renommierten<br />

Wissenschaftsmagazin „Nature“ Alarm geschlagen.<br />

Er forderte die Gesundheitsbehörden<br />

auf, Patienten den legalen Zugang<br />

zu Stuhltransplantaten zu ermöglichen.<br />

WENN AUS... GOLD WIRD<br />

Denn die Tatsache, dass medizinische Laien<br />

in ihrer Not zur Selbsthilfe greifen, hält<br />

er für sehr riskant. Zwar ist das Prozedere<br />

mit YouTube-Videoanleitung vermutlich<br />

ganz gut zu beherrschen. Doch diese<br />

Transplantate durchlaufen keinerlei Sicherheitscheck.<br />

Noch skurriler: Smiths<br />

OpenBiome-Stuhl-Bank bekam sogar Anfragen,<br />

ob und wie auch der Kot von Haustieren<br />

aufzubreiten sei.<br />

Auch in Deutschland ist die Versorgungslage<br />

mit heilsamen Darmbakterien<br />

noch sehr dünn. Die Therapie komme aber<br />

auch nicht für jeden CDI-Patienten infrage,<br />

sagt die Kölner Ärztin Vehreschild. Sie setzt<br />

erst nach mehreren Rückfällen auf die<br />

Neubesiedlung mit fremdem Stuhl.<br />

„Bei Anwendungsfeldern außerhalb der<br />

CDI können wir noch nicht sagen, ob die<br />

Therapie etwas bringt“, bremst sie übertriebene<br />

Erwartungen. Aber sie will es gerne erforschen.<br />

Vor allem bei anderen Darmerkrankungen<br />

– <strong>vom</strong> Reizdarm bis zu Autoimmunstörungen<br />

– sieht sie große Chancen.<br />

Für andere Einsatzfelder wie Parkinson,<br />

Autismus oder sogar Depressionen wagt<br />

Vehreschild noch keine Prognosen. „Wir<br />

wissen bisher noch gar nicht, was wir da alles<br />

übertragen und welche langfristigen Effekte<br />

das hat.“ Ihr Credo lautet deshalb: „Wir<br />

müssen unsere winzigen Mitbewohner<br />

noch viel besser erforschen.“<br />

n<br />

susanne.kutter@wiwo.de<br />

FOTO: AGENTUR FOCUS/SPL/JENNIFER HULSEY<br />

70 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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VALLEY TALK | Nach harten Jahren sind Umwelttechnik-<br />

Start-ups bei Investoren wieder beliebt. Nun tun sich<br />

andere Branchen schwer. Von Matthias Hohensee<br />

Sinuskurve der Hoffnung<br />

FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Wohl und Wehe der High-<br />

Tech-Branche sind heftigen<br />

Schwankungen unterworfen.<br />

Genau das macht sie für<br />

Investoren interessant. Die Kunst ist nur,<br />

rechtzeitig einzuschätzen, was demnächst<br />

Mode ist. Und auch, wo die Realität dem<br />

Hype den Wind aus den Segeln nimmt.<br />

Auf dieser Sinuskurve der Hoffnungen<br />

bewegte sich Umwelttechnik seit 2011 stetig<br />

nach unten. Die Produktion von Solarmodulen<br />

entpuppte sich als Milliardengrab.<br />

Der Boom alternativer Fördermethoden wie<br />

Fracking für Gas und Öl unterminierte erneuerbare<br />

Energieträger. Wagniskapitalgeber<br />

im Silicon Valley, die mit Internet-Startups<br />

teils in wenigen Monaten ihren Einsatz<br />

vervielfachen, stiegen – wie Andreesen Horowitz<br />

– erst gar nicht in klassisches Cleantech<br />

ein oder schraubten ihre Aktivitäten<br />

zurück, wie Mohr Davidow. Die Misere gipfelte<br />

in dem Bonmot von Joe Dear. „Cleantech“,<br />

unkte der Ex-Investmentchef der<br />

Pensionskasse Calpers, sei eine „noble Art,<br />

um Geld zu verlieren“. Das Zitat stammt<br />

<strong>vom</strong> Frühjahr 2013.<br />

An dieser Stelle stand damals, dass clevere<br />

Kapitalgeber die düstere Stimmung<br />

nun für den Einstieg in Umwelttechnik nutzten.<br />

Denn die Bewertungen der Start-ups<br />

waren wegen der enttäuschten Hoffnungen<br />

wieder attraktiv. Zudem bildete sich<br />

mit dem „Cleanweb“ ein neues Segment<br />

heraus, mit viel niedrigerem Risiko.<br />

Start-ups, die etwa Lösungen für effektiveren<br />

Stromverbrauch in Datenzentren,<br />

Bürobauten oder Haushalten entwickeln,<br />

benötigen weit weniger Kapital als zum Beispiel<br />

Hersteller von Solarzellen. Zugleich<br />

blieben die staatlichen Vorgaben zum stärkeren<br />

Einsatz von erneuerbaren Energien<br />

und von Einspartechnik unverändert.<br />

Inzwischen lässt sich der vorausgesagte<br />

Aufwärtstrend mit Zahlen belegen. Seit<br />

Sommer ziehen die Investitionen in Cleantech<br />

in den USA wieder an. Besonders positiv<br />

fiel das erste Quartal <strong>2014</strong> aus, wie die<br />

neueste Studie von CB Insights belegt. Der<br />

Sektor erhielt 563 Millionen Dollar Wagniskapital,<br />

38 Prozent mehr als im Jahr zuvor.<br />

Zum besseren Klima trug nicht nur der<br />

unerwartet gute Absatz von Teslas Elektroautos<br />

bei. Fantasien beflügelt auch der<br />

Verkauf von Nest Labs. Für den Hersteller<br />

vernetzter Thermostate zahlte Google 3,2<br />

Milliarden Dollar. Das Start-up verzwanzigfachte<br />

in nur dreieinhalb Jahren das eingesetzte<br />

Kapital von Investor Kleiner Perkins.<br />

ZWERGE, DIE RIESEN SCHLAGEN<br />

Positiv für den Sektor ist auch der jüngste<br />

Börsengang von Opower, der dem 2007<br />

gegründeten Start-up eine Börsenkapitalisierung<br />

von knapp einer halben Milliarde<br />

Dollar bescherte. Opower hilft Energieversorgern<br />

bei der Auswertung von Strom- und<br />

Heizungsverbrauchsdaten ihrer Kunden<br />

und dem Versand von darauf basierten<br />

Spartipps an Haushalte. Und zwar in Papierform.<br />

Google und Microsoft hatten<br />

2011 – erfolglos – Ähnliches versucht, sich<br />

anders als Opower aber auf reine Internet-<br />

Portale fokussiert. Das Beispiel inspiriert<br />

Gründer, weil es zeigt, wie sich Start-ups<br />

gegen Giganten durchsetzen können.<br />

Cleantech ist wieder in Mode. Das wirft die<br />

Frage auf, welche andere Branche überhitzt<br />

ist, in der die Sinuskurve ihren Gipfel schon<br />

wieder überschritten hat? Manches spricht<br />

dafür, dass es Start-ups trifft, die mobile<br />

Apps und Dienste anbieten? Die sammelten<br />

vergangenes Jahr die Rekordsumme von<br />

3,6 Milliarden Dollar ein. Das hat den Wettbewerb<br />

so angestachelt, dass sich ihre<br />

Geschäftsmodelle, die oft auf Aboverkauf<br />

setzen, kaum mehr durchsetzen lassen.<br />

Trotzdem wird die Korrektur wohl noch<br />

etwas dauern, vor allem nach dem Verkauf<br />

des SMS-Dienstleisters Whatsapp für <strong>19</strong><br />

Milliarden Dollar an Facebook. Was aber<br />

nichts daran ändert, dass längst nicht jedes<br />

App-Start-up bei einem Internet-Giganten<br />

sein neues Zuhause findet.<br />

Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />

im Silicon Valley und beobachtet<br />

von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />

wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 71<br />

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Management&Erfolg<br />

Erfinde dich neu<br />

GRÜNDER | Ob Schokoladeproduzent, Internet-Handelsportal oder Kohlehersteller:<br />

Der WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb zeigt: Erfolg hat nur, wer bereit ist,<br />

Strategie, Geschäftsmodell und Zielgruppe immer wieder radikal zu überdenken.<br />

Als der Druck zu<br />

groß und die Zahlen<br />

zu schlecht<br />

wurden und auch<br />

noch die Gespräche<br />

mit einem potenziellen<br />

Investor platzten, sah Friedrich<br />

von Ploetz nur noch eine Option: Er machte<br />

sich auf den Weg zum Potsdamer Amtsgericht<br />

und beantragte Insolvenz für<br />

Suncoal – das Unternehmen, das er 2007<br />

mit seinem Kompagnon Tobias Wittmann<br />

gegründet hatte. Die Idee: aus Abfällen<br />

wie Klärschlamm oder Grünschnitt Kohle<br />

zu produzieren. Sechs Jahre hatten beide<br />

viel Herzblut, Energie und Geld in die<br />

Firma gesteckt – bis sie vor einem Jahr<br />

die Reißleine zogen. „Der Schritt war eine<br />

Erleichterung“, sagt von Ploetz heute,<br />

„danach mussten wir keinen überhöhten<br />

Erwartungen mehr hinterherlaufen und<br />

konnten uns ganz darauf konzentrieren,<br />

das Unternehmen schlank und effizient<br />

neu aufzustellen.“<br />

Dass Start-ups wie Suncoal scheitern,<br />

ist eher die Regel als die Ausnahme:<br />

Laut KfW-Gründungsmonitor gibt jedes<br />

dritte Start-up innerhalb der ersten drei<br />

Jahre auf. Rund 26 000 Unternehmen meldeten<br />

laut Creditreform im vergangenen<br />

Jahr Insolvenz an – fast 80 Prozent von<br />

ihnen hatten maximal fünf Mitarbeiter.<br />

„Scheitern gilt hierzulande zu Unrecht<br />

als Schande“, sagt der Bonner Seriengründer<br />

Frank Thelen, den eines seiner ersten<br />

Unternehmen 2001 an den Rand der Privatinsolvenz<br />

getrieben hat. „Aber gerade<br />

aus solchen Krisen“, sagt der 38-Jährige,<br />

„kann man als Unternehmer besonders<br />

viel lernen.“<br />

Geld und gute Leute<br />

WasGründern derzeit die größten<br />

Sorgen bereitet (in Prozent)<br />

Finanzierung<br />

Fachkräftemangel<br />

Konkurrenzsituation<br />

Rechtliche<br />

Rahmenbedingungen<br />

Produktentwicklung<br />

Politische<br />

Rahmenbedingungen<br />

Konjunktur<br />

Steigende Kosten<br />

(z.B. Mieten)<br />

12<br />

14<br />

20<br />

Quelle: EY Start-up-Barometer Deutschland<br />

5<br />

24<br />

28<br />

36<br />

44<br />

Denn die Ursachen sind vielfältig: Manche<br />

Start-ups geraten in Schieflage, weil ihre<br />

Geschäftsidee nicht trägt; andere, weil<br />

ihre Gründer sich zerstreiten oder sie jene<br />

Ziele nicht erreichen, die sie mit ihren Investoren<br />

vereinbart haben.<br />

Kein Wunder also, dass auch Preisträger<br />

und Finalisten des WirtschaftsWoche-<br />

Gründerwettbewerbs nicht vor Krisen gefeit<br />

sind. Zwar schufen allein die 36 Startups,<br />

die es seit 2007 ins Finale geschafft haben,<br />

mehrere Hundert Jobs. Allerdings<br />

sind manche Start-ups auch verschwunden<br />

– etwa Printr.net aus Düsseldorf, Finalist<br />

2011. Die Idee, an zentralen Standorten<br />

wie Hotels Druckerterminals aufzubauen,<br />

an denen Geschäftsreisende Dokumente<br />

ausdrucken können, ging nicht auf – Ende<br />

2012 wurde Printr.net abgewickelt.<br />

Deutlich weiter brachte es Chocri, das<br />

den Wettbewerb 2009 gewann: Der Schokohersteller,<br />

an dem sich 2010 Ritter Sport<br />

beteiligte, verkauft heute nicht mehr nur<br />

eigene Schokotafeln übers Internet, sondern<br />

auch Produkte anderer Süßwarenhersteller<br />

und ist in der Branche deutschlandweit<br />

bekannt. Jetzt will Chocri in Zusammenarbeit<br />

mit Franchise-Unternehmen<br />

deutschlandweit Ladenlokale eröffnen<br />

(siehe Seite 76).<br />

HILFREICHER STRATEGIEWECHSEL<br />

Wie sehr so ein Strategiewechsel helfen<br />

kann, zeigt das Kölner Unternehmen Coupies,<br />

das 2010 im Finale stand. Lange versuchte<br />

das Start-up, mit digitalen, mobilen<br />

Rabattcoupons dem Einzelhandel neue<br />

Kunden zu bescheren, den Nutzern Geld<br />

zu sparen und dem eigenen Unternehmen<br />

Provisionen einzuspielen. Dafür aber hätten<br />

die Händler ihre Kassensysteme anpassen<br />

müssen – für viele Geschäfte schlicht<br />

zu viel Aufwand. Die Folge: Coupies kam<br />

nicht aus den Startlöchern.<br />

Also passten Frank Schleimer und seine<br />

Mitgründer 2013 ihre Idee radikal an. Heute<br />

können Kunden die Rabattgutscheine<br />

von Herstellern nutzen, indem sie Kassenbons<br />

nach ihrem Einkauf mit der App von<br />

Coupies fotografieren. Anschließend wird<br />

ihnen ein Bonus gutgeschrieben. So können<br />

Hersteller wie Ferrero Rabattaktionen<br />

starten, ohne sich mit Einzelhändlern abstimmen<br />

zu müssen. Und Coupies ist nicht<br />

mehr darauf angewiesen, dass die Händler<br />

ihr System an der Kasse integrieren.<br />

Gründern kann es auch nutzen, ihre<br />

Zielgruppe neu zu definieren – so wie Robin<br />

Behlau und Mario Kohle: Auf knapp<br />

3000 Quadratmetern und mehreren Etagen<br />

an der Berliner Friedrichstraße arbei-<br />

FOTO: NILS HENDRIK MÜLLER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

72 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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ten rund 220 Mitarbeiter für das Unternehmen<br />

Käuferportal, das 2013 rund 20 Millionen<br />

Euro umgesetzt hat. Das Unternehmen<br />

ist nach eigenen Angaben heute der<br />

größte Vermittler hochwertiger Produkte in<br />

Deutschland, von Küchen über Wintergärten<br />

bis zu Solarzellen. 2013 vermittelte es<br />

Waren im Wert von 500 Millionen Euro. Die<br />

Mitarbeiter von Käuferportal suchen bis zu<br />

drei potenzielle Anbieter in der Umgebung<br />

des Interessenten. Für die Kunden ist die<br />

Suche kostenlos, Anbieter von Ikea über<br />

Obi bis zum kleinen Handwerksbetrieb<br />

FRIEDRICH VON PLOETZ, 36<br />

TOBIAS WITTMANN, 37 (RECHTS)<br />

SUNCOAL INDUSTRIES<br />

Geschäftsidee Technologie, die Bioabfälle<br />

in energiehaltige Kohle verwandelt<br />

Gegründet 2007<br />

Bilanz Nach Insolvenz mit neuem<br />

Eigentümer wieder in der Gewinnzone<br />

Dass Käuferportal heute so erfolgreich<br />

ist, hängt mit einem Strategiewechsel zusammen:<br />

Anfangs konzentrierte sich das<br />

Unternehmen auf Firmenkunden, denen<br />

es Geräte wie Kopierer oder Telefonanlagen<br />

vermitteln wollte. Das Geschäft entwickelte<br />

sich schleppend, immer wieder<br />

drohte das Geld auszugehen. Erst als die<br />

Gründer 2010 probehalber anfingen, Fotovoltaikanlagen<br />

zu vermitteln, merkten sie,<br />

dass ihr Konzept mit Privatkunden viel<br />

besser funktioniert. Also verlagerten sie<br />

kurzerhand den Fokus – und wuchsen<br />

zahlen in der Regel zwischen 40 und 120<br />

Euro für die erfolgreiche Anbahnung des<br />

Geschäfts – und profitieren, wenn der Kunde<br />

am Ende bei ihnen kauft. »<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 73<br />

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Management&Erfolg<br />

»<br />

innerhalb von 18 Monaten von 17 auf<br />

200 Mitarbeiter.<br />

So soll es weitergehen: Im März steckte<br />

die Investitionsbank Berlin 3,3 Millionen<br />

Euro in das Berliner Unternehmen – in<br />

Form eines Darlehens und eines Forschungszuschusses.<br />

Mit dem Geld will<br />

Behlau 50 neue Mitarbeiter einstellen und<br />

in ganz Europa zum Marktführer werden.<br />

„Langfristig ist für uns sogar ein Börsengang<br />

denkbar“, sagt der Gründer. „Als Unternehmer<br />

musst du schließlich immer bereit<br />

sein, neue Dinge zu wagen.“<br />

Letzteres können auch Friedrich von<br />

Ploetz und Tobias Wittmann bestätigen.<br />

Mit ihrer Idee, Bioabfall zu Kohle zu pressen,<br />

trafen die Suncoal-Gründer 2007 nicht<br />

nur den Zeitgeist, sie überzeugten 2008<br />

auch die Jury des WirtschaftsWoche-Gründerpreises.<br />

Zunächst deutete bei dem Start-up aus<br />

Ludwigsfelde bei Berlin auch alles auf einen<br />

schnellen Erfolg hin: Die vier Gründer<br />

fanden prompt Investoren, die den Aufbau<br />

von Pilotanlagen finanzieren und schnell<br />

expandieren wollten. Doch die Erwartungen<br />

an die Gründer stiegen schneller als<br />

ROBIN BEHLAU, 29 (LINKS)<br />

MARIO KOHLE, 29<br />

KÄUFERPORTAL<br />

Geschäftsidee Vermittlungsplattform<br />

für Produkte und Dienstleistungen<br />

Gegründet 2008<br />

Bilanz Starkes Wachstum, seit das Unternehmen<br />

auf Privatkunden fokussiert<br />

Umsatz und Kundenzahl. Zum Zeitpunkt<br />

der Insolvenz waren acht Geldgeber beteiligt.<br />

„Wahrscheinlich hätten wir von Anfang<br />

an besser nach einem Industrieunternehmen<br />

als Investor und Partner suchen<br />

sollen als nach wachstumsgetriebenen<br />

Wagniskapitalgebern“, sagt Gründer von<br />

Ploetz heute.<br />

Angesichts der drohenden Pleite legten<br />

er und Wittmann 2013 den Hebel um. Sie<br />

entschieden sich für eine geplante Insolvenz<br />

im sogenannten Schutzschirmverfahren:<br />

Unternehmen können diesen Schritt<br />

gehen, wenn sie noch zahlungsfähig sind<br />

und eine Sanierung möglich ist. Dann zahlt<br />

die Bundesagentur für Arbeit drei Monate<br />

lang die Gehälter; außerdem kann das Unternehmen<br />

für diesen Zeitraum die Zahlung<br />

von Betriebsausgaben aussetzen – etwa<br />

die Miete, Leasingraten und Steuern.<br />

RETTUNG IN DREI MONATEN<br />

Von Ploetz und Wittmann retteten so innerhalb<br />

eines Vierteljahres Produktionsanlagen<br />

und Patente, machten ihre Entscheidung<br />

freiwillig öffentlich, um möglichst<br />

schnell mit neuen Geldgebern ins Gespräch<br />

zu kommen. Und fanden tatsächlich<br />

einen neuen Investor, der Suncoal<br />

komplett übernahm und die Forderungen<br />

der Gläubiger zu mehr als 25 Prozent bediente<br />

– laut einer Studie des Bonner Instituts<br />

für Mittelstandsforschung deutlich<br />

mehr, als Gläubiger in Insolvenzverfahren<br />

im Schnitt erhalten.<br />

Im Sommer 2013 nahmen die Gläubiger<br />

den Insolvenzplan an, Suncoal war gerettet.<br />

Heute haben von Ploetz und Wittmann<br />

zwar nur noch fünf statt zehn Mitarbeiter,<br />

aber wieder gut zu tun: Im Labor und in der<br />

Produktionsanlage stapeln sich jetzt Säcke<br />

mit Materialproben – etwa Grün-Abfälle<br />

aus der Palmölproduktion in Malaysia.<br />

Suncoal bestimmt die Qualität und entwickelt<br />

Projekte für Anlagenbauer vor Ort, die<br />

aus den Abfällen Biokohle machen wollen.<br />

Inzwischen peilt das Unternehmen mehrere<br />

Hunderttausend Euro Umsatz pro Jahr<br />

an und ist nach eigenen Angaben profitabel.<br />

„Geld verdienen“, sagt Gründer Wittmann,<br />

„ist schöner als Geld bei Investoren<br />

einsammeln.“<br />

Zwar ist von Ploetz bei Suncoal jetzt nur<br />

noch Angestellter statt Miteigentümer.<br />

Doch seine Lektion hat er gelernt: „Als Unternehmer<br />

durchlebst du schwierige Phasen,<br />

in denen du Durchhaltevermögen beweisen<br />

musst“, sagt er. „Du musst bereit<br />

sein, dich immer neu zu erfinden.“<br />

jens.toennesmann@wiwo.de<br />

FOTOS: PR<br />

74 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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2011 Retro in<br />

die Zukunft<br />

Erfolgreich ausgerollt Daniel, Patrik und Philipp Tykesson (von links) entwickeln ihr Zweirad<br />

Kumpan Electric permanent weiter und wollen jetzt ins Ausland expandieren<br />

2012 Tradition<br />

trifft Innovation<br />

MEINE MÖBELMANUFAKTUR Am Ende<br />

hat es nicht ganz gereicht: Mindestens<br />

1000 Möbelstücke wollte das Start-up Meine<br />

Möbelmanufaktur 2013 verkaufen.<br />

Auch wenn es weniger waren – Gründer<br />

Sebastian Schips und Birgit Gröger sind<br />

optimistisch, <strong>2014</strong> bis zu 1500 individuell<br />

angefertigte Möbel zu verkaufen. Über die<br />

Internet-Seite des Start-ups aus dem<br />

schwäbischen Köngen können Kunden<br />

Schränke, Regale und Sideboards selbst<br />

gestalten – mit Fächern, Schiebetüren und<br />

Schubladen, Krawattenhaltern und Kleiderliften.<br />

Wer bestellt, erhält die Einzelteile<br />

einige Wochen später mit einer genauen<br />

Bauanleitung. Hergestellt werden die Bauteile<br />

in der Schreinerei, die Schips’ Vater<br />

gehört und die es seit 90 Jahren gibt.<br />

MÖBEL AUS DEM NETZ SIND IN<br />

Tradition und Innovation: Mit dieser Verbindung<br />

sicherte sich Meine Möbelmanufaktur<br />

2012 den Sieg beim Gründerwettbewerb.<br />

Denn die Gründer setzen auf einen<br />

Trend: Einer Umfrage des Branchenverbands<br />

Bitkom zufolge hat bereits jeder vierte<br />

Internet-Nutzer Möbel im Netz gekauft.<br />

Laut einer Studie des Kölner Instituts für<br />

Handelsforschung gehen 60 Prozent der<br />

deutschen Konsumenten davon aus, dass<br />

das bald so alltäglich sein wird wie bei<br />

Schuhen oder Kleidung. Für 2013 prognostizierte<br />

die Studie einen Anstieg des Online-Umsatzes<br />

mit Möbeln um 40 Prozent.<br />

Sebastian Schips hat das rechtzeitig erkannt:<br />

Nach seinem Holztechnik-Studium<br />

wurde ihm klar, dass er ein neues Unternehmen<br />

und eine neue Marke braucht, um<br />

der Schreinerei seines Vaters auch künftig<br />

Aufträge zu bescheren und die rund 25 Arbeitsplätze<br />

zu erhalten. In wochenlanger<br />

Arbeit programmierte er einen Konfigurator,<br />

mit dem sich Schränke virtuell gestalten<br />

lassen. Vor gut zwei Jahren war es so<br />

weit: Meine Möbelmanufaktur eröffnete.<br />

Damals waren Schips und Mitgründerin<br />

Birgit Gröger noch allein auf weiter Flur.<br />

Gröger arbeitete sogar noch nebenher für<br />

ein anderes Unternehmen. Das hat sich<br />

inzwischen geändert: Seit Herbst vergangenen<br />

Jahres konzentriert sie sich voll auf<br />

ihr Start-up, das inzwischen drei Mitarbeiter<br />

beschäftigt. Aktuell sucht<br />

Gröger einen Marketingassistenten.<br />

Knapp 60 Kandidaten<br />

haben sich beworben.<br />

Nach langer Anlaufzeit ist es<br />

dem Unternehmen außerdem<br />

gelungen, ein drängendes Problem<br />

zu lösen. Im Juni wird eine Maschine<br />

geliefert, mit der sich die Möbelteile passgenau<br />

verpacken lassen. Damit können<br />

die Gründer Möbel jetzt schneller und<br />

günstiger versenden. Außerdem lassen<br />

sich die Möbel jetzt in 3-D-Ansicht konfigurieren,<br />

und das Start-up hat einen<br />

Partner gefunden, der für Kunden gegen<br />

Aufpreis Räume ausmisst.<br />

Und wenn etwas mal trotzdem nicht so<br />

passt wie bestellt? Dann kümmern sich die<br />

Gründer persönlich. Neulich etwa bemerkte<br />

ein Kunde aus Zürich, dass an einem<br />

Schrank ein Ausschnitt fehlt. Kurzerhand<br />

schnappte sich Schips das nötige Werkzeug,<br />

kam vorbei und sägte die Ecke aus.<br />

„Hat Spaß gemacht“, sagt der Gründer,<br />

„und der Kunde war glücklich.“<br />

E-BILITY Wer dem Start-up E-Bility in Remagen<br />

einen Besuch abstattet, begibt sich<br />

auf eine Zeitreise: Auf einer runden Freifläche<br />

zwischen den Büros stehen ein Nierentisch<br />

und Cocktailsessel; auf einem<br />

Sideboard ein alter Röhrenfernseher und<br />

ein orangefarbenes Telefon mit Wählscheibe.<br />

Dazwischen: Roller im Design der<br />

Fünfzigerjahre – mit geschwungener Verkleidung,<br />

glänzendem Lack und viel<br />

Chrom. Doch unter ihrer Sitzbank aus<br />

Kunstleder sind die Zweiräder namens<br />

Kumpan electric hochmodern: Sie besitzen<br />

bis zu drei Batterien, die sich zum Aufladen<br />

herausnehmen lassen und die Roller<br />

bis zu 120 Kilometer weit bringen – ohne<br />

Knattern und Qualmen.<br />

Mit seinen Ökorollern im Retro-Look hat<br />

E-Bility im Jahr 2011 den Gründerwettbewerb<br />

für sich entschieden. Seitdem ist das<br />

junge Unternehmen kontinuierlich gewachsen:<br />

Heute listet es rund 220 Händler<br />

und Servicepartner in ganz Deutschland,<br />

beschäftigt hierzulande 20 Mitarbeiter und<br />

fünf in China, wo es die Roller bei verschiedenen<br />

Produzenten fertigen lässt, bevor<br />

sie in Remagen für den Einsatz im Straßenverkehr<br />

zusammenmontiert werden. Im<br />

Lager stapeln sich zeitweise bis zu 1500<br />

mannshohe Kartons mit Rollern; im Keller<br />

türmen sich Reifen, unterm<br />

Dach Ersatzteile.<br />

Zwar will das Unternehmen<br />

keine Angaben zum<br />

Umsatz machen. „Aber seit<br />

2012 sind wir profitabel“,<br />

sagt Daniel Tykesson, der<br />

E-Bility mit seinen Brüdern Patrik und Philipp<br />

2009 gegründet hat. Jetzt hat das Trio<br />

die nächste Stufe gezündet: Noch im April<br />

werden sich zwei Privatinvestoren aus der<br />

Automobilzulieferindustrie und dem Telekommunikationssektor<br />

sowie die Wagnisfinanzierungsgesellschaft<br />

für Technologieförderung<br />

in Rheinland-Pfalz (WFT) mit<br />

zehn Prozent an dem jungen Unternehmen<br />

beteiligen. Zurzeit befinden sich die<br />

Gründer in den letzten Vertragsverhandlungen.<br />

Zur Höhe der Investition schweigen<br />

die Gründer, allerdings sei das Unternehmen<br />

mit einem höheren Millionenbetrag<br />

bewertet worden. „Damit sind wir sehr<br />

zufrieden“, sagt Daniel Tykesson, der sich<br />

bei E-Bility um Finanzfragen kümmert,<br />

„außerdem haben wir Investoren gefun-»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 75<br />

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Management&Erfolg<br />

»<br />

den, die zu 100 Prozent an unsere Vision<br />

und Strategie glauben und gut zum Unternehmen<br />

passen.“<br />

Das frische Kapital wollen die Gründer<br />

in die Vermarktung stecken, denn die Zahl<br />

ihrer Wettbewerber steigt. Außerdem wollen<br />

sie zukünftig stärker ins Ausland expandieren<br />

und suchen dafür nach finanzstarken<br />

Partnern. Bisher verkauft E-Bility<br />

mehr als 80 Prozent seiner Roller an Kunden<br />

im Inland. Dafür klappern mehrere<br />

Vertriebler Tag für Tag Autohäuser und<br />

Fahrradgeschäfte, Solaranlagenbauer und<br />

Kaufhäuser ab, um die Inhaber von ihren<br />

Elektrorollern zu überzeugen.<br />

„Manchmal holen<br />

wir uns dabei<br />

immer noch eine<br />

blutige Nase“, sagt<br />

Philipp Tykesson,<br />

im Gründerteam<br />

für den Vertrieb<br />

zuständig. Im besten Fall nehmen die<br />

Händler dagegen nicht nur einige Zweiräder<br />

ab, sondern gleich ein ganzes<br />

Shop-in-Shop-System, das sie auf ihrer<br />

Verkaufsfläche aufbauen. Wer will, kann<br />

sogar die Nierentische und Cocktailsessel<br />

dazu bestellen, die die Tykessons auch in<br />

ihrem eigenen Unternehmen aufgebaut<br />

haben.<br />

Die Tykesson-Brüder denken indes an<br />

die Zukunft: Derzeit arbeiten sie an einer<br />

kleineren Variante des Rollers im Retro-<br />

Design. Patrik Tykesson, der die Produktion<br />

leitet, ist zurzeit in China unterwegs<br />

und hat dort einen Hersteller für ein weiteres,<br />

ganz anderes Produkt gefunden: Helme<br />

im Retro-Look. Demnächst sollen die<br />

ersten 2000 angeliefert werden<br />

2010 Nachhaltig<br />

und nachgeahmt<br />

AVOCADO STORE Manche Start-ups können<br />

ohne ihre Gründer besser überleben<br />

als mit ihnen. Wie gut, das beweist das<br />

Hamburger Unternehmen Avocado Store.<br />

Auf dem gleichnamigen Ökomarktplatz im<br />

Internet bieten mehr als 300 Händler mehr<br />

als 50 000 nachhaltige Produkte an – <strong>vom</strong><br />

Babystrampler aus Biobaumwolle bis zum<br />

biologisch abbaubaren Salatbesteck. Das<br />

Start-up erwirtschaftet einen Jahresumsatz<br />

von drei Millionen Euro, beschäftigt 13 Mitarbeiter<br />

und ist profitabel. „Unser Ziel, ein<br />

grünes Amazon zu werden, ist greifbar<br />

nah“, sagt Mimi Sewalski, die Geschäftsführerin<br />

des Unternehmens.<br />

Gegründet wurde Avocado Store eigentlich<br />

von Philipp Gloeckler und dem Seriengründer<br />

Stephan Uhrenbacher. Im Jahr<br />

2009 lernten sich die beiden über den Mikroblogging-Dienst<br />

Twitter kennen, bauten<br />

die Plattform gemeinsam auf und gewannen<br />

2010 den WirtschaftsWoche-<br />

Gründerwettbewerb. Während Uhrenbacher<br />

nach wie vor als Investor an Avocado<br />

Store beteiligt ist, sich aber aus dem operativen<br />

Geschäft heraushält, verließ Gründer<br />

Philipp Gloeckler das Unternehmen im<br />

Jahr 2012 ganz – um sich seinem neuen<br />

Projekt WhyOwnIt zuzuwenden, einer<br />

App, über die sich Gegenstände leihen und<br />

verleihen lassen.<br />

Was für andere junge Unternehmen das<br />

Todesurteil bedeuten kann, machte Avocado<br />

Store nur stärker. Mimi Sewalski übernahm<br />

das Ruder. Sie hatte Anfang 2011 bei<br />

dem Start-up angeheuert – als „Akquisegirl“,<br />

das neue Händler für die Plattform begeistern<br />

wollte, wie sie selbst sagt. Zuvor<br />

hatte sie sich als Umweltschützerin engagiert,<br />

in ihrer Heimatstadt eine Naturschutzgruppe<br />

gegründet und in Israel gegen<br />

die Verwendung von Einwegflaschen<br />

gekämpft. Obwohl sie anfangs nicht begeistert<br />

war, Chefin zu werden, übernahm<br />

sie die Leitung des Start-ups. „Man wächst<br />

mit seinen Aufgaben“, erzählt Sewalski,<br />

„und die Idee hinter Avocado Store ist etwas,<br />

wofür ich wirklich brenne.“<br />

GRÜNES AMAZON<br />

Auch immer mehr Deutsche können mit<br />

dieser Idee offenbar etwas anfangen. Einer<br />

Trendstudie der Otto Group zufolge kaufen<br />

56 Prozent der Bundesbürger häufig Produkte,<br />

die ethisch korrekt hergestellt sind –<br />

ein doppelt so hoher Anteil wie noch vor<br />

vier Jahren. Jeweils neun von zehn Befragten<br />

legen dabei Wert darauf, dass Produkte<br />

umweltfreundlich und unter menschenwürdigen<br />

Bedingungen hergestellt wurden.<br />

77 Prozent gaben an, dafür auch mehr<br />

Geld auszugeben.<br />

Der Trend hat allerdings auch dafür gesorgt,<br />

dass Avocado Store inzwischen<br />

Nachahmer gefunden hat: Andere Ökomarktplätze<br />

kämpfen nun ebenfalls um<br />

den Titel „grünes Amazon“. Mimi Sewalski<br />

lässt sich von den neuen Wettbewerbern<br />

nicht beängstigen: „Das nehmen wir als<br />

Kompliment“, sagt die Ökounternehmerin.<br />

Avocado Store gedeiht schließlich so gut,<br />

dass sie sich für dieses Jahr ein großes Ziel<br />

gesetzt hat: die Expansion ins Ausland.<br />

Dick im Geschäft Chocri-Gründer Michael<br />

Bruck (links) und Franz Duge<br />

2009 Schokolade<br />

für alle<br />

CHOCRI Die Luft riecht nach Kakao, in den<br />

Regalen stehen Pralinen, Schokofiguren<br />

und mit Schokolade überzogene Früchte.<br />

Hinter der Theke verziert eine Mitarbeiterin<br />

mit roter Schürze Schokotafeln mit Zutaten<br />

wie Gewürzen, Nüssen und Früchten<br />

– genauso, wie es sich die Kunden in dem<br />

Geschäft wünschen: So stellt sich Michael<br />

Bruck den ersten Chocri-Laden vor, den er<br />

in diesem Jahr in Berlin eröffnen will. „Das<br />

Geschäft wird die Blaupause“, sagt der Unternehmer,<br />

„danach wollen wir in ganz<br />

Deutschland weitere Läden in einem Franchise-System<br />

aufbauen.“<br />

Für Bruck sind die Läden Teil seiner Multichannel-Strategie,<br />

mit der er das Berliner<br />

Unternehmen Chocri noch erfolgreicher<br />

machen will. Bisher lebt es <strong>vom</strong> Online-<br />

Handel: Im Jahr 2013 verkaufte Chocri übers<br />

Netz Süßwaren im Wert von rund 3,4 Millionen<br />

Euro – 35 Prozent mehr als im Vorjahr.<br />

38 Mitarbeiter sind fest bei Chocri angestellt,<br />

in Spitzenzeiten wächst das Team auf<br />

bis zu 80 an. Inzwischen umfasst das Sortiment<br />

160 Artikel. Wichtigster Umsatzbringer:<br />

Schokotafeln, die die Kunden auf der<br />

Web-Seite des Unternehmens selbst mit Zutaten<br />

versehen und dekorieren können.<br />

Mit dieser Idee sind Michael Bruck und<br />

sein Mitgründer Franz Duge 2008 gestartet.<br />

Ein Jahr später sicherten sie sich den Sieg<br />

beim Gründerwettbewerb und konnten<br />

mithilfe der Wettbewerbspartner Ritter<br />

»<br />

FOTO: ARCHIV-KLAR<br />

76 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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GRÜNDERPREIS<br />

Neumacher<br />

gesucht<br />

Zu gewinnen gibt es ein Paket aus<br />

Sachleistungen sowie 10 000 Euro<br />

Startkapital.<br />

DIE PREISE<br />

Die Sieger des Hauptpreises werden von<br />

der Anwaltskanzlei Osborne Clarke, der<br />

Agentur thjnk und dem High-Tech Gründerfonds<br />

ein Jahr lang unterstützt. Außerdem<br />

gehören erstmals 10 000 Euro Startkapital<br />

und ein Medienpaket zum Preis.<br />

Einen Sonderpreis gibt es für soziale<br />

Unternehmer, die mit ihrer Geschäftsidee<br />

ein gesellschaftliches Problem lösen wollen.<br />

Alle Preisträger nehmen am Accelerator<br />

Programm der Entrepreneurs’<br />

Organization teil und berichten in der<br />

WirtschaftsWoche und auf wiwo.de im<br />

Gründertagebuch über ihre Fortschritte.<br />

DIE TEILNAHME<br />

Ausgezeichnet werden Gründer, die das<br />

Zeug dazu haben, die Wirtschaft der Zukunft<br />

mitzugestalten. Teilnehmen dürfen<br />

alle seit Anfang 2012 gegründeten oder in<br />

Gründung befindlichen Unternehmen aus<br />

Deutschland, die Rechtsform spielt keine<br />

Rolle. Bewerbungen von Gründerteams<br />

sind besonders erwünscht, erstmals<br />

können sich aber auch Einzelgründer<br />

bewerben.<br />

DIE BEWERBUNG<br />

Bewerben Sie sich bitte mit einem Exposé<br />

zur Geschäftsidee und einem Teaser, mit<br />

dem Sie sich in bis zu 400 Zeichen<br />

vorstellen.<br />

DIE FRIST<br />

Bitte reichen Sie Ihre Unterlagen<br />

ausschließlich als PDF-Dokumente ein<br />

und nutzen Sie dafür unser Portal<br />

award.wiwo.de/gwb<strong>2014</strong>/<br />

Einsendungen per Post oder E-Mail werden<br />

nicht berücksichtigt. Bewerbungsschluss<br />

ist der 15. Juli <strong>2014</strong>.<br />

DIE AUSWAHLPHASE<br />

Unsere Jury aus renommierten Unternehmern<br />

wählt unter Vorsitz von Wirtschafts-<br />

Woche-Chefredakteur Roland Tichy die<br />

besten 30 Bewerber aus. Diese werden<br />

gebeten, bis Anfang. September detaillierte<br />

Unterlagen einzureichen. Sie stellen<br />

sich dann noch einmal der Jury und<br />

nehmen an einem Publikumsvoting teil.<br />

DAS FINALE<br />

Anfang November <strong>2014</strong> präsentieren die<br />

besten fünf Bewerber sowie der Gewinner<br />

des Publikumsvotings ihre Geschäftsidee<br />

vor der Jury. Die Ehrung von Siegern<br />

und Finalisten findet am 27. November<br />

im Rahmen der Gründerkonferenz Neumacher<br />

in Hamburg statt. Der Rechtsweg<br />

ist ausgeschlossen.<br />

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Management&Erfolg<br />

»<br />

Sport als Investor gewinnen. Damals waren<br />

die Gründer froh, wenn sie ein paar<br />

Hundert Tafeln im Monat verkauft haben.<br />

Heute sind es bis zu 100 000, wenn Feiertage<br />

wie Weihnachten bevorstehen.<br />

Allerdings mussten sich die Gründer den<br />

Erfolg hart erarbeiten. „Es geht nicht immer<br />

geradlinig nach oben“, sagt Duge, „wir hatten<br />

mehrere existenzielle Krisen.“ Eine frühe<br />

Expansion in die USA scheiterte genauso<br />

wie der Versuch, die schwachen Sommermonate<br />

durch den Verkauf von Eis nach<br />

Wunsch auszugleichen. Knappe Kapazitäten<br />

und unausgereifte Produktionsprozesse<br />

machten ebenfalls Probleme: „Vor Weihnachten<br />

mussten wir den Verkauf anfangs<br />

schon Mitte Dezember stoppen“, erinnert<br />

sich Gründer Bruck, „heute kann man vor<br />

Feiertagen bis zum Vortag bestellen.“<br />

Um die Kapazitäten auch in den Sommermonaten<br />

besser auszulasten, hat Bruck sich<br />

nun eine neue Idee einfallen lassen: Chocri<br />

individualisiert Produkte im Auftrag anderer<br />

Firmen. Einen ersten Großauftrag konnte<br />

das Unternehmen im Sommer 2013 an Land<br />

ziehen: Für Coca-Cola beklebte es Flaschen<br />

mit Etiketten nach Kundenwunsch. „In Spitzenzeiten<br />

haben wir 18000 Flaschen am Tag<br />

rausgehauen“, erzählt Unternehmer Bruck.<br />

Für Franz Duge war es das letzte große<br />

Chocri-Geschäft: Er verließ die Geschäftsführung,<br />

um sein neues Start-up Presenthub<br />

aufzubauen. Damit will er anderen Unternehmen<br />

helfen, ihre Kunden mit Geschenken<br />

wie Blumen, Wein oder Pralinen samt<br />

einer persönlichen Notiz zu beglücken – etwa<br />

zum Geburtstag, als Dank oder nach einer<br />

Reklamation. Für die Kunden soll das<br />

einfacher, aber nicht teurer sein, als die Geschenke<br />

selbst zu kaufen. Presenthub lebt<br />

von den Provisionen der Händler. Einer von<br />

Duges ersten Kunden: Chocri.<br />

2007 Sexy<br />

Shirts und hippe<br />

Hoodies<br />

anders gehen kann. Zusammen mit Anton<br />

Jurina hat er 2007 das Modelabel Armedangels<br />

gegründet, das auf nachhaltig und<br />

fair produzierte Kleidung setzt – ohne Kinderarbeit,<br />

Hungerlöhne und Pestizide. Die<br />

Textilien sollten zwar öko, aber trotzdem<br />

schick sein. Sexy Shirts und hippe Hoodies<br />

statt kratziger Wollpullis und Batikblusen für<br />

Korklatschenträger: Vor sieben Jahren gewann<br />

das Duo mit dieser Idee den ersten<br />

WirtschaftsWoche-Gründerwettbewerb.<br />

START IN KÖLNER WG<br />

Damals starteten die Gründer in einer Kölner<br />

WG, schrieben Künstler in aller Welt an,<br />

boten ihnen 150 Dollar für schicke T-Shirt-<br />

Designs. Als das Geld nach einigen Monaten<br />

alle war, überzeugten sie Investoren wie Stefan<br />

Glänzer und Axel Schmiegelow, sich an<br />

ihrem Start-up zu beteiligen. Und begeisterten<br />

Prominente wie das Model Eva Padberg<br />

oder Musiker Thomas D., bei öffentlichen<br />

Auftritten ihre Shirts zu tragen. Heute beschäftigt<br />

das Unternehmen 28 Mitarbeiter,<br />

der Umsatz verdoppelt sich Jahr für Jahr.<br />

„Die ersten vier Jahre waren schwierig“, erzählt<br />

Martin Höfeler. „Es gab Fehler und Kri-<br />

Ökoschick Armedangels-Gründer Martin<br />

Höfeler in Kleidung seines eigenen Labels<br />

sen, die teilweise existenziell bedrohlich waren.“<br />

Seine wichtigste Lektion: „Nicht aufgeben,<br />

wenn man an die Grundidee glaubt.“<br />

Es dauerte zum Beispiel eine Weile, bis<br />

Junggründer Höfeler und Jurina begriffen,<br />

dass die Händler vor Ort wichtige Multiplikatoren<br />

für ihre Marke sind, auch wenn die<br />

Marge im stationären Handel niedriger ist<br />

als im eigenen Online-Shop. Immer wieder<br />

gingen die Gründer auf Tour, stellten ihre<br />

Produkte Ladenbesitzern in ganz Deutschland<br />

vor. Heute vertreiben mehr als 500 Geschäfte<br />

Armedangels-Mode, Online-Handel<br />

und stationärer Handel tragen gleich stark<br />

zum Umsatz bei.<br />

Mitgründer Anton Jurina hat das Unternehmen<br />

vor zwei Jahren verlassen und baut<br />

nun ein neues Start-up auf. „Dieser Schritt<br />

war für uns beide nicht einfach, aber richtig<br />

und notwendig“, erzählt Höfeler, der das Modelabel<br />

jetzt alleine führt und nach eigenen<br />

Worten stolz ist, mit seinem Mitgründer weiterhin<br />

guten Kontakt zu haben.<br />

Jetzt will Höfeler mit den Armedangels<br />

auch international expandieren – statt<br />

Dorflandtouren stehen jetzt Reisen in<br />

die Großstädte Europas an. Sein Ziel:<br />

„Beweisen, dass es möglich ist, mit fairem<br />

Verhalten gegenüber Mensch und Natur<br />

erfolgreich zu sein.“<br />

n<br />

ARMEDANGELS Es ist genau ein Jahr her:<br />

Am 24. April stürzte in Bangladesch eine<br />

Textilfabrik in sich zusammen, 1100 Menschen<br />

starben. „Solche Katastrophen sind<br />

die Folgen der Geiz-ist-geil-Mentalität, die<br />

im Textilbereich leider den Markt dominiert“,<br />

sagt Martin Höfeler. „Und sie sind<br />

nur die Spitze des Eisbergs.“<br />

Der 31-jährige Kölner Unternehmer will<br />

das ändern – und hat bewiesen, dass es auch<br />

FOTOS: PR, THORSTEN JOCHIM<br />

78 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Filmreif<br />

GRÜNDERTAGEBUCH | Wie<br />

Secomba seine Qualitätskontrolle<br />

verbessert und warum Vizekanzler<br />

Gabriel dem Start-up<br />

einen Brief geschrieben hat.<br />

Drei Jahre: Jedes dritte Start-up erreicht<br />

dieses Alter nie. Secomba hat<br />

die kritische Marke geschafft. „Wir<br />

leben noch“, haben die Gründer Andrea<br />

Pfundmeier und Robert Freudenreich ihren<br />

Freunden auf Facebook geschrieben<br />

und zu einer großen Party eingeladen. „Wir<br />

sind noch lange nicht fertig!“<br />

Das Start-up hat eine Software namens<br />

Boxcryptor entwickelt, mit der sich beliebige<br />

Dateien verschlüsseln lassen, bevor sie auf<br />

Cloud-Speicherdienste wie Dropbox übertragen<br />

werden. Beim Abruf der Daten über<br />

den PC, Tablet oder Smartphone decodiert<br />

die Software sie wieder. Mehr als eine Million<br />

Menschen haben das Programm heruntergeladen;<br />

jeder zehnte verwendet die Premiumversion<br />

der Software, die bis zu 72 Euro<br />

im Jahr kostet. Mit der Idee haben die Gründer<br />

im Herbst 2013 die Jury des Wirtschafts-<br />

Woche-Gründerwettbewerbs gewonnen.<br />

Seitdem berichtet Andrea Pfundmeier über<br />

die Fortschritte des jungen Unternehmens.<br />

Energie zu Fragen der Informations- und<br />

Kommunikationswirtschaft, insbesondere<br />

im Hinblick auf die deutsche Start-up-Szene.<br />

Ich bin mir sicher: Zusammen können<br />

wir viel für Gründer tun.<br />

<strong>19</strong>. MÄRZ<br />

Juhu, wir sind beim Deutschen Innovationspreis<br />

unter die drei Finalisten in der Kategorie<br />

„Start-up“ gewählt worden. Heute<br />

wird ein Film über Secomba gedreht – er<br />

soll auf der Preisverleihung gezeigt werden.<br />

Sieben Stunden dauern die Dreharbeiten<br />

– für 90 Sekunden Film.<br />

Feste feiern Secomba-Mitgründer Robert<br />

Freudenreich mit Begleitung, Heinz Bonn<br />

(GUS Group) und Secomba-Mitgründerin<br />

Andrea Pfundmeier (von links) auf dem<br />

Deutschen Innovationspreis in München<br />

chen erlauben. Alle Entwickler konzentrieren<br />

sich heute darauf, jene Testsysteme zu<br />

verbessern, die wir im Alltag einsetzen.<br />

Früher haben wir immer manuell überprüft,<br />

ob sich Dateien mit jeder Version von<br />

Boxcryptor auf die 22 Cloud-Dienste hochladen<br />

lassen. Dieses Verfahren automatisieren<br />

wir jetzt – sparen so viel Zeit und erhöhen<br />

die Chance, Fehler zu finden.<br />

FOTO:<br />

27. FEBRUAR<br />

In den letzten drei Jahren habe ich viel über<br />

Leadership gelernt. Zum Beispiel: Wenn<br />

Unternehmen es schaffen, Mitarbeiter zu<br />

selbstständig handelnden und unternehmerisch<br />

denkenden „Intrapreneuren“ zu<br />

machen, lösen sich viele Motivations- und<br />

Führungsprobleme von selbst. Heute kann<br />

ich beim HVB Forum darüber berichten –<br />

im Gespräch mit HypoVereinsbank-Vorstand<br />

Theodor Weimer. Im Publikum: 300<br />

geladene Gäste – darunter viele Unternehmerinnen,<br />

die wie ich am HVB Gründerinnen<br />

Mentoring der Bank teilgenommen<br />

haben. Ich freue mich, sie wiederzutreffen.<br />

5. MÄRZ<br />

Termin beim Vizekanzler: Sigmar Gabriel<br />

hat mir vergangene Woche einen Brief geschrieben<br />

und mich in den Beirat „Junge<br />

Digitale Wirtschaft“ berufen. Dieser berät<br />

den Bundesminister für Wirtschaft und<br />

28. MÄRZ<br />

Heute findet unser monatlicher Testing<br />

Day statt. Diese Workshops haben wir zu<br />

Jahresbeginn eingeführt, um die Kontrolle<br />

unserer Software zu verbessern – bei der<br />

IT-Sicherheit dürfen wir uns keine Schwä-<br />

Was bisher geschah<br />

Das Timing war<br />

perfekt: Just als Ex-<br />

US-Geheimdienstler<br />

Edward Snowden<br />

2013 die NSA-Spähaffäre<br />

lostrat, veröffentlichte<br />

Secomba eine neue Version<br />

seiner Software. Die hatten die Gründer<br />

nur als Nebenprodukt programmiert,<br />

sie entwickelte sich aber zum Kassenschlager:<br />

Das Start-up verdoppelte<br />

seinen Umsatz, ist fast profitabel und<br />

hat nun 15 Mitarbeiter.<br />

4. APRIL<br />

Wir tragen heute Smoking und Abendkleid<br />

statt Jeans und Turnschuhe: Im Bayerischen<br />

Hof in München findet die Verleihung<br />

des Deutschen Innovationspreises<br />

statt – mit einem Galadinner. Für den ersten<br />

Platz hat es leider nicht gereicht, aber<br />

wir feiern mit den Siegern, Nominierten<br />

und Gästen trotzdem bis tief in die Nacht.<br />

9. APRIL<br />

Heute erscheint unsere Software auf drei<br />

neuen Plattformen. Somit ist Boxcryptor<br />

nun auf insgesamt acht Plattformen verfügbar,<br />

und unsere Nutzer können von fast<br />

allen Geräten auf ihre verschlüsselten Daten<br />

zugreifen. Wir stellen eine Pressemitteilung<br />

ins Netz, rufen Journalisten an und<br />

informieren unsere Nutzer per Newsletter,<br />

Facebook und Twitter. Abends stoßen wir<br />

erschöpft, aber zufrieden auf den erfolgreichen<br />

Release an.<br />

n<br />

Redaktion: jens.toennesmann@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 79<br />

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Paradies Deutschland<br />

Aktienparadies<br />

statt Zinswüste?<br />

GELDANLAGE | Immobilien sind teuer, Lebensversicherungen unattraktiv, Aktien heiß<br />

gelaufen. Da hilft nur, systematisch zu streuen. Wer Rendite will, braucht auch Aktien.<br />

Deshalb hier: zehn deutsche Werte, die Sie auch noch Ihren Kindern vererben können.<br />

Dass in der Finanzbranche<br />

jemand von anderen kein<br />

Geld mehr nimmt, kommt<br />

so selten vor wie ein Skirennen<br />

in der Sahara. Doch in<br />

diesem Jahr musste die Fondsabteilung der<br />

Schweizer Credit Suisse Anleger davor warnen,<br />

sie weiter mit Geld für ihr Produkt<br />

Equity Fund Small and Mid Cap Germany<br />

zuzuschütten. Der Fonds müsse „temporär“<br />

geschlossen werden, weil sich die Manager<br />

außer Stande sehen, mehr als ein Volumen<br />

von 700 Millionen Euro sinnvoll in<br />

deutsche Nebenwerte, für die das Produkt<br />

konzipiert ist, zu investieren.<br />

Solche Probleme haben Privatanleger<br />

nicht. Sie sehen sich eher außer Stande,<br />

real, also nach Abzug von Inflation und<br />

Steuern, ihr Geld über die Runden zu bringen.<br />

Dazu braucht es Aktien. Nicht nur,<br />

aber eben auch.<br />

ZINSWENDE ERST MAL ABGESAGT<br />

Denn die Zustände, die Anleger vorfinden,<br />

wenn sie in andere Anlageklassen investieren,<br />

sind derzeit nicht berauschend:<br />

n Anleihen. Der globale Konjunkturaufschwung<br />

ist gefährdet – die Wende zu steigenden<br />

Zinsen in weite Ferne gerückt. Die<br />

Russland-Krise, die Probleme der Schwellenländer<br />

von China bis Brasilien und die<br />

Sparprogramme in Südeuropa sorgen für<br />

Verunsicherung. Inflation, die Notenbanken<br />

zwingen würde, die Zinsen anzuheben,<br />

ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Sorgen<br />

der Finanzmärkte vor Deflation, also fallenden<br />

Preisen, sind groß wie seit Jahren nicht.<br />

Im Süden Europas fallen die Preise bereits.<br />

Die Agenda der Europäischen Zentralbank<br />

deutet daher auf weiter fallende Zinsen hin:<br />

So könnten die Zentralbanker Anleihen<br />

kaufen, Zinsen direkt senken oder gar Negativzinsen<br />

auf Einlagen berechnen.<br />

Damit würden Anleihekäufe noch unattraktiver.<br />

Immerhin: Wer bereits Anleihen<br />

besitzt, würde bei Deflation zu den Gewinnern<br />

zählen. Denn in diesem Fall würde<br />

sich das in die Anleihen investierte Kapital<br />

trotz Niedrigzins real mehren.<br />

n Immobilien. In Deutschland werden Immobilien<br />

immer teurer – noch. Laut Verband<br />

der Pfandbriefbanken stiegen die<br />

Preise für Wohnimmobilien 2012 und 2013<br />

im Schnitt um jeweils vier Prozent. Daten<br />

Aktien gehören dazu<br />

Anlageaufteilung für ein breit gestreutes<br />

Mischdepot (in Prozent)<br />

Tagesgeld<br />

Gold<br />

Rendite pro Jahr für Aktien<br />

und das Mischdepot<br />

(in Prozent)*<br />

5,8<br />

2,3<br />

25<br />

15<br />

30<br />

30<br />

13,2<br />

8,8 10,9 7,0 9,4 4,4<br />

Aktien<br />

Anleihen<br />

seit 2008 seit 2009 seit 2010 seit 2011 seit 2012<br />

*Mischdepot, bei dem die Depotanteile jedes<br />

Jahr wieder auf das Ausgangsniveau gebracht<br />

werden; Quelle: Bloomberg, eigene Berechnung<br />

21,7<br />

6,2<br />

des Internet-Dienstes Immobilienscout24,<br />

basierend auf Angebotspreisen, signalisieren<br />

in begehrten Lagen bereits Überhitzung.<br />

In Berlin etwa sind Preise bestehender<br />

Wohnungen seit 2008 um 40 Prozent,<br />

in München um 56 und in Hamburg um 46<br />

Prozent gestiegen. Jüngste Daten zeigen,<br />

dass der Preiszuwachs abflacht.<br />

n Gold. Die Aussichten für Goldinvestoren<br />

haben sich aufgehellt. Hohe Zinsen, die<br />

zinsloses Gold weniger attraktiv machen,<br />

sind nicht in Sicht. Zudem gibt es deutliche<br />

Signale, dass die Verkaufswelle bei Goldfonds<br />

ausläuft. Bei physischem Gold – also<br />

Barren und Münzen – ist die Nachfrage seit<br />

Jahren größer als das Angebot, vor allem<br />

dank chinesischer Käufer. Seit Mitte Dezember<br />

2013 hat Gold in Dollar um zehn<br />

Prozent zugelegt. Doch auch Gold ist – abgesehen<br />

von seiner wichtigen Funktion als<br />

Krisenversicherung – für Anleger derzeit<br />

kein Selbstläufer. Die physischen Käufe<br />

könnten bei einer Eintrübung der wirtschaftlichen<br />

Lage in China (Wirtschafts-<br />

Woche 16/<strong>2014</strong>) nachlassen. Schon jetzt<br />

rechnet der World Gold Council, eine Lobby-Organisation<br />

der Goldminenbetreiber,<br />

für dieses Jahr nicht mit großen Nachfragesteigerungen<br />

dort: Viele Chinesen hätten<br />

Schmuck- und Anlagekäufe 2013 vorgezogen.<br />

Zudem steckt vielen Anlegern der<br />

Preisverfall beim Gold noch in den Knochen<br />

(minus 32 Prozent seit dem Hoch bei<br />

über <strong>19</strong>00 Dollar im September 2011).<br />

n Lebensversicherung. Wer jetzt noch eine<br />

Lebensversicherung abschließt, bekommt<br />

nur noch magere 1,75 Prozent Rendite garantiert.<br />

Und die auch nicht auf seine gesamte<br />

Prämie, sondern nach Abzug von<br />

Vertriebs- und Verwaltungskosten. 2015<br />

»<br />

FOTOS: FUCHS PETROLUB, GETTY IMAGES, VARIO IMAGES<br />

80 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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17,2<br />

Prozent<br />

Kursanstieg in<br />

zwölf Monaten<br />

schafften die<br />

50 Nebenwerte<br />

aus dem MDax<br />

1,5 Prozent<br />

Rendite pro Jahr<br />

wirft eine<br />

Bundesanleihe<br />

mit zehn Jahren<br />

Laufzeit ab<br />

4,2 Prozent<br />

Verlust brachte<br />

Gold Anlegern in<br />

den vergangenen<br />

zwölf Monaten – in<br />

Dollar gerechnet<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 81<br />

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Paradies Deutschland<br />

»<br />

Seit Januar<br />

hat unser<br />

Mischdepot<br />

den Dax 30<br />

um Längen<br />

geschlagen<br />

könnte der Garantiezins für Neukunden<br />

gar auf 1,25 Prozent sinken. Im Schnitt zahlen<br />

Versicherer zwar noch deutlich mehr<br />

aus, zuletzt 4,3 Prozent. Doch die freiwillige<br />

Überschussbeteiligung sinkt, weil auch sie<br />

mit neu angelegtem Geld immer weniger<br />

Rendite schaffen. Bleibt die Zinswende<br />

dauerhaft aus, werden Versicherte das zu<br />

spüren bekommen – vor allem bei neuen<br />

Verträgen. Weil Versicherer bis vor einigen<br />

Jahren sogar noch vier Prozent garantierten,<br />

wächst jetzt für neue Kunden das Risiko,<br />

dass sie demnächst die alten Kunden<br />

ihres Versicherers subventionieren müssen.<br />

Ergo und Allianz haben neue Varianten<br />

eingeführt – ohne lebenslange Garantien,<br />

dafür mit der vagen Hoffnung auf<br />

höhere Renditen. Die<br />

wollen die Versicherer erreichen,<br />

indem sie das<br />

Geld der Kunden auch in<br />

Aktienfonds stecken.<br />

n Aktien. Ein Aktienportfolio<br />

können sich Anleger<br />

aber selbst zusammenstellen.<br />

In einem langfristig<br />

ausgerichteten Depot<br />

sollten Aktien, so die<br />

schon seit mehreren Jahren<br />

erfolgreich praktizierte<br />

Strategie (zum Beispiel<br />

WirtschaftsWoche<br />

27/2009 und 3/2012), wenigstens<br />

30 Prozent ausmachen. Um das<br />

Depot vor Kursstürzen zu schützen, fließt<br />

das restliche Geld in Anleihen (ebenfalls 30<br />

Prozent), Gold (25 Prozent) und Tagesgeld<br />

(15 Prozent). Je nach Anlagedauer und<br />

Risikoneigung können Anleger die Anteile<br />

variieren. Wichtig ist aber, an der einmal<br />

gewählten Aufteilung festzuhalten und die<br />

Depotanteile wieder auf das Ausgangsniveau<br />

zu bringen, etwa ein Mal jährlich.<br />

Seit Jahresbeginn hat ein so ausgerichtetes<br />

Depot 2,2 Prozent plus gebracht, während<br />

der Dax 2,9 Prozent verlor. Seit Anfang<br />

2008 kamen Anleger mit dem Mischdepot<br />

sogar auf 5,8 Prozent Rendite pro Jahr – mit<br />

einem reinen Dax-Investment nur auf 2,3<br />

Prozent (siehe Grafik Seite 80). Seit 2009<br />

sind die Aktienkurse aber wieder kräftig gestiegen<br />

– ohne Aktien wäre der Erfolg des<br />

Mischdepots auf Dauer also nicht möglich.<br />

Einzelinvestments, die nur kurzfristig<br />

reüssieren, sind angesichts des Säbelrasselns<br />

zwischen Russland und der Nato sowie<br />

drohenden Problemen aus China und<br />

den anderen Schwellenländern prinzipiell<br />

riskant. Anleger können auf kostengünstige<br />

Indexfonds (ETFs) ausweichen, die alle<br />

Aktien eines Index abdecken. Auch für Unternehmensanleihen<br />

gibt es passende<br />

ETFs, zum Beispiel von iShares (ISIN<br />

DE0002511243). Gold kaufen Anleger am<br />

besten physisch, etwa Anlagemünzen wie<br />

den Krügerrand.<br />

CHANCEN IN DER ZWEITEN REIHE<br />

Doch auch mit Einzelaktien lässt sich das<br />

Risiko streuen. Ein Korb aus Aktien von<br />

Unternehmen verschiedener Branchen,<br />

mit zyklischem und nichtzyklischem Geschäft,<br />

mit oft attraktiven Dividenden und<br />

meist zu vernachlässigenden Schulden<br />

sollte auf lange Sicht das Depot bereichern.<br />

Dass Großinvestoren wie Credit Suisse<br />

gerade mit Investitionen in Werte aus der<br />

zweiten Reihe, aus den<br />

Indizes abseits des Dax,<br />

den jeweils 50 Werte umfassenden<br />

MDax und<br />

SDax und den 30 Werte<br />

umfassenden TecDax,<br />

werben, ist kein Zufall.<br />

Gemessen an wichtigen<br />

Kennzahlen wie dem<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />

und der Dividendenrendite<br />

sind die Nebenwerte<br />

zwar in der Regel einen<br />

Tick teurer als der Dax.<br />

Allerdings sind sie auch<br />

häufig wachstumsstärker,<br />

und viele haben, im Gegensatz zu etlichen<br />

Großkonzernen, keine Schuldenprobleme.<br />

Dazu kommt, dass es oft straff geführte Familienunternehmen<br />

sind, die bereits jede<br />

Menge politischer und wirtschaftlicher<br />

Krisen überstanden haben. Andere wiederum<br />

haben in der Vergangenheit gezeigt,<br />

dass ihr Geschäft robust genug ist, sich<br />

nach jedem Börsencrash aufzurappeln.<br />

Investments in kleinere Unternehmen<br />

eignen sich für aktive Anleger vor allem<br />

deshalb, weil sie in der Regel weniger<br />

Aufmerksamkeit von Analysten und Investoren<br />

genießen als höher kapitalisierte<br />

Werte. „Gerade institutionelle Anleger<br />

bevorzugen in der Regel große Titel, weil<br />

diese eine größere Liquidität aufweisen.<br />

Das führt tendenziell zu einer fundamentalen<br />

Unterbewertung der kleinen Werte“,<br />

so Will Jump, Investmentstratege bei Axa<br />

Rosenberg.<br />

Mit unserem Korb aus zehn interessanten<br />

Nebenwerten aus dem MDax, dem<br />

SDax und dem TecDax können Anleger intelligent<br />

den Aktienanteil ihres breit gestreuten<br />

Depots abdecken.<br />

christof.schuermann@wiwo.de, niklas hoyer<br />

DMG Mori Seiki<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

74 Prozent/1810 Prozent<br />

Kaufargument: Starke globale Allianz<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

So leicht geht es Börsianern noch nicht<br />

über die Lippen: Aus Gildemeister ist vor<br />

einem halben Jahr DMG Mori Seiki geworden.<br />

Die Bielefelder sind mit den Japanern<br />

seit Jahren verbunden: Diese halten ein<br />

knappes Viertel der Aktien an DMG, die<br />

Deutschen wiederum gut zehn Prozent an<br />

Mori Seiki Nippon. Bis 2020 soll die Komplettfusion<br />

stehen, so das Ziel. Im Angebot<br />

haben die Partner High-Tech-Maschinen,<br />

den dazugehörigen Service sowie Software-<br />

und Energielösungen. Werkzeugmaschinen<br />

sind dabei Kernkompetenz. In<br />

mehr als 140 nationalen und internationalen<br />

Standorten arbeiten 6700 Mitarbeiter.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

DMG Mori Seiki ist auf Rekordkurs. 2013<br />

erreichten sowohl das Vorsteuerergebnis<br />

als auch der Konzernjahresüberschuss jeweils<br />

den höchsten Wert in der langen,<br />

knapp 144 Jahre währenden Unternehmensgeschichte.<br />

Der Umsatz stieg von<br />

2037 auf rekordhohe 2054 Millionen Euro.<br />

Exporte machten zwei Drittel aus. Noch ist<br />

ordentlich Bestand abzuarbeiten: Per 31.<br />

Dezember lagen Aufträge über 1032 Millionen<br />

Euro vor – drei Prozent mehr als ein<br />

Jahr zuvor. Im ersten Quartal sollen die<br />

neuen Orders um gut 30 auf rund 550 Millionen<br />

Euro zulegen. Rasant wuchs das Eigenkapital:<br />

Der verbesserte Jahresüberschuss<br />

und Kapitalerhöhungen zogen das<br />

den Aktionären zustehende Kapital um gut<br />

389 Millionen auf mehr als 1164 Millionen<br />

Euro nach oben. Die Eigenkapitalquote<br />

liegt damit bei sehr üppigen 57,9 Prozent.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Ordentlich. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf<br />

Basis des für <strong>2014</strong> geschätzten Gewinns liegt<br />

bei 14,5, der Marktwert von 1,7 Milliarden<br />

Euro macht stolze 80 Prozent des erwarteten<br />

Jahresumsatzes für <strong>2014</strong> aus. Am 16. Mai<br />

wird die Hauptversammlung voraussichtlich<br />

50 Cent je Aktie als Dividende beschließen:<br />

Das entspricht 2,3 Prozent Rendite.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Die Bielefelder sind finanzschuldenfrei,<br />

abwertungsgefährdete Prämien aus Übernahme<br />

(Goodwill) machen nur sechs Pro-<br />

82 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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inden“, nennt Fuchs eine Herausforderung<br />

für Fuchs in der Zukunft.<br />

Fazit: Bei den Mannheimern kommt alles<br />

zusammen, was sich Aktionäre wünschen.<br />

Neue Anleger kaufen sich aber teuer ein.<br />

Pfeiffer Vacuum<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

125 Prozent/25 Prozent<br />

Kaufargument: Einzigartige Spezialtechnik<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

Auf die Kette bekommen<br />

DMG Mori Seiki steigert<br />

Gewinn auf Rekordwert<br />

zent der Bilanz aus, ein Investment ist angesichts<br />

der starken Marktposition langfristig<br />

mit relativ geringen Risiken behaftet.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Zurückgekaufte Aktien wurden zuletzt auf<br />

den Markt geworfen, zudem sind bilanzierte<br />

Steueransprüche über 48 Millionen Euro<br />

möglicherweise nicht realisierbar.<br />

Fazit: DMG Mori Seiki zählt zu den eher<br />

konservativen Anlagen bei Nebenwerten.<br />

Fuchs Petrolub Vz.<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

56 Prozent/81 Prozent<br />

Kaufargument: Top-Position im Markt<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Die <strong>19</strong>31 als Familienunternehmen in<br />

Mannheim gegründete Fuchs Petrolub ist<br />

heute ein Konzern von globaler Reichweite<br />

und unter den 590 konzernunabhängigen<br />

Wettbewerbern der weltweit größte Anbieter<br />

mit einem vollständigen Sortiment von<br />

Schmierstoffen. Insgesamt ist Fuchs die<br />

Nummer neun am Markt. Fuchs stellt mit<br />

3800 Mitarbeitern Schmierstoffe für Autos<br />

und Motorräder, Gütertransport, Stahlindustrie,<br />

Bergbau, Fahrzeug- und Maschinenbau<br />

sowie Bau- und Agrarwirtschaft<br />

her. Fuchs zählt mehr als 100 000 Kunden,<br />

für die 10 000 Produkte gefertigt werden.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Der Gewinn nach Steuern ist in den letzten<br />

zehn Jahren um durchschnittlich 18,5 Prozent<br />

pro Jahr gestiegen, deutlich mehr als<br />

die Erlöse, die gleichzeitig um durchschnittlich<br />

5,8 Prozent zulegten. „Mit einer<br />

Nettorendite von über zehn Prozent sowie<br />

einer schuldenfreien Bilanz mit einer Eigenkapitalquote<br />

von 73 Prozent sind wir<br />

zukunftsfähig und hervorragend aufgestellt.<br />

Unser Ziel ist weiteres profitables<br />

Wachstum“, sagt Vorstandschef Stefan<br />

Fuchs, der auf eine Nettoliquidität von<br />

167,4 Millionen Euro zurückgreifen kann.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Sehr hoch. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis<br />

liegt bei 21,4. Der Börsenwert des Unternehmens<br />

beim 2,7-Fachen des Umsatzes.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Das Unternehmen ist stark innovationsgetrieben:<br />

385 Ingenieure und Naturwissenschaftler<br />

sind in der Forschung und Entwicklung<br />

beschäftigt, um Fuchs weitere<br />

Anteile in einem weltweit 35 Millionen<br />

Tonnen starken Markt zu sichern. „Unser<br />

Wachstum unterstützen wir mit erheblichen<br />

Investitionen in den Werksneubau in<br />

Entwicklungsmärkten und Werksausbau in<br />

unseren bestehenden Märkten, einer Vielzahl<br />

von Neueinstellungen mit dem<br />

Schwerpunkt Technik und Vertrieb sowie<br />

steigende <strong>Ausgabe</strong>n für Forschung und<br />

Entwicklung“, sagt Fuchs. Die Familie hält<br />

51,7 Prozent der Stammaktien. Die Dividende<br />

wurde in den vergangenen zehn<br />

Jahren im Schnitt jährlich um 22,8 Prozent<br />

erhöht. Zudem läuft ein Aktienrückkaufprogramm<br />

bis März 2015, ein 1:1-Aktiensplit<br />

soll die Aktie optisch billiger machen.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

An erster Stelle eine Wirtschaftskrise. Zudem<br />

sei es „zunehmend schwieriger, geeignetes<br />

Fachpersonal insbesondere für die<br />

Bereiche Technik und Vertrieb zu finden<br />

und langfristig an das Unternehmen zu<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Obwohl vor 18 Jahren einer der deutschen<br />

Pioniere an Wall Street und <strong>19</strong>98 dann am<br />

Neuen Markt, ist Pfeiffer schon über 120<br />

Jahre Spezialist für Vakuumtechnik und gilt<br />

als Weltmarktführer für Vakuumpumpen.<br />

Eingesetzt werden Vakuumlösungen in<br />

Reinräumen, etwa in Laboren oder in der<br />

Halbleiterindustrie; überall, wo Staub stört.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Das Eigenkapital ist hoch, mit einer Quote<br />

an der Bilanzsumme von 64,1 Prozent. 53,6<br />

Millionen Euro Netto-Bares liegen auf der<br />

Kante – solide. Umsatz und Gewinn waren<br />

zuletzt wegen der Schwäche wichtiger<br />

Märkte stark rückläufig. 2013 blieben bei<br />

408,7 Millionen Euro Umsatz (minus 11,4<br />

Prozent) netto 34,8 Millionen Euro Ertrag<br />

übrig – fast ein Viertel weniger als 2012.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

In der Summe aller Kennzahlen ist die Aktie<br />

moderat, aber nicht sehr billig bewertet.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

So aktionärsfreundlich wie Pfeiffer sind<br />

nur wenige Unternehmen: Seit 2006 wandern<br />

regelmäßig drei Viertel des Konzerngewinns<br />

als Ausschüttung in die Taschen<br />

der Anteilseigner. Am 23. Mai sollen es 2,65<br />

Euro je Aktie sein, 80 Cent weniger als vor<br />

Jahresfrist, aber dennoch ordentliche gut<br />

drei Prozent Rendite. Wenn auch rückläufig,<br />

ist die Marge vor Steuern und Zinsen<br />

(Ebit) mit 12,4 Prozent deutlich zweistellig.<br />

Dieses Jahr erwartet das Management eine<br />

verbesserte Marge bei höheren Erlösen.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Der positive Ausblick könnte bei Konjunkturschwierigkeiten<br />

Makulatur sein.<br />

Fazit: Als Einzel-Investment ist die Aktie<br />

nicht billig genug. Einem ausgewogenen<br />

Depot kann der Zykliker aber Kick geben.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 83<br />

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Paradies Deutschland<br />

Mehr Quellen anzapfen<br />

Kabelhersteller Leoni will die<br />

Europa-Abhängigkeit senken<br />

Leoni<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

81 Prozent/–138,1 auf +105,5 Mio. Euro<br />

Kaufargument: Kluge Expansionsstrategie<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Leoni ist einer der führenden europäischen<br />

Anbieter von Kabelsystemen für die<br />

Autobranche (75 Prozent Erlösanteil) und<br />

weitere Industrien. Die Nürnberger entwickeln,<br />

produzieren und verkaufen weltweit<br />

Drähte und optische Fasern, Kabel und Kabelsysteme,<br />

dazu kommen Services. Im<br />

Bereich Fahrzeugleitungen für Automobile<br />

und Spezialkabel für die Solarindustrie ist<br />

die <strong>19</strong>17 gegründete Leoni Weltspitze.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

827,6 Millionen Euro Eigenkapital und eine<br />

Quote von 34,5 Prozent sind angemessen<br />

für einen Automobilzulieferer. Die Nettofinanzschulden<br />

stiegen zuletzt leicht, sie<br />

sind aber mit nur 257 Millionen Euro überschaubar.<br />

2013 legte der Umsatz auf einen<br />

Rekordwert von 3,92 (2012: 3,81) Milliarden<br />

Euro zu. Der Überschuss sackte dagegen<br />

auf 105,5 nach 155,7 Millionen Euro ab.<br />

Erwartungsgemäß, da im Vorjahr der Verkauf<br />

einer Tochter gewinnsteigernd war.<br />

Das reduziert die Dividende je Aktie auf<br />

1,00 von 1,50 Euro. Zahltag ist der 9. Mai.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Die Aktie ist mit einem KGV <strong>2014</strong> von 12,2<br />

recht günstig bewertet. Das Kurs-Umsatz-<br />

Verhältnis bleibt mit gut 0,4 im Rahmen.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Leoni will klotzen und legt die Messlatte<br />

hoch. 2016 soll Leoni fünf Milliarden Euro<br />

Umsatz erreichen und will dabei sieben<br />

Prozent Ebit-Marge schaffen, das wären<br />

dann 350 Millionen Euro Gewinn vor Zinsen<br />

und Steuern. Bis 2025 wollen die Franken<br />

um durchschnittlich acht Prozent jährlich<br />

wachsen, die Erlöse könnten dann bei<br />

zehn Milliarden Euro liegen. Zudem soll<br />

die Europa-Abhängigkeit reduziert werden.<br />

Zuletzt trug Europa noch zwei Drittel<br />

zum Umsatz bei, 2018 soll der Anteil auf<br />

knapp 60 Prozent zurückgehen. Langfristig<br />

strebt Leoni eine Gleichverteilung des Geschäfts<br />

auf Europa, Asien und Amerika an.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Der überraschend angekündigte Abschied<br />

von Konzernchef Klaus Probst, der seinen<br />

Vertrag auf eigenen Wunsch nur um ein<br />

halbes Jahr bis zum 30. Juni 2015 verlängerte,<br />

ist ein Belastungsfaktor; ein Nachfolger<br />

soll erst im kommenden Jahr vorgestellt<br />

werden. Der muss die von Probst aufgestellten<br />

Pläne dann erst einmal umsetzen.<br />

Fazit: Gehen Leonis ehrgeizige Pläne auf<br />

und bewertet die Börse die Aktie langfristig<br />

wie heute, müsste der Kurs je nach Kennzahl<br />

um zehn bis zwölf Prozent pro Jahr zulegen<br />

– plus Dividende.<br />

Grenkeleasing<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

65 Prozent/91 Prozent<br />

Kaufargument: Skalierbares Geschäft<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Grenke konzentriert sich auf das Leasing<br />

für Bürokommunikation und dabei auf Anschaffungen<br />

ab 500 Euro und bis zu 25 000<br />

Euro. Auf fast 370 000 Verträge kam das<br />

<strong>19</strong>78 von Wolfgang Grenke gegründete Unternehmen<br />

Ende 2013. Das Vermietvolumen<br />

lag bei 3023 (Vorjahr: 2602) Millionen<br />

Euro. Zum Großteil werden IT-Produkte<br />

verleast; dazu Medizin- und Sicherheitstechnik,<br />

Fahrzeuge und Maschinen. 2009<br />

wurde die Hesse Newman Bank gekauft<br />

und zur Grenke Bank umgebaut. Seither finanziert<br />

sich Grenke auch direkt über die<br />

Einlagen privater und gewerblicher Kunden.<br />

Die Bank richtet sich vorrangig an<br />

deutsche mittelständische Kunden, das<br />

begrenzt die Risiken. Die Einlagen stiegen<br />

2013 um 22 Prozent auf 255,6 Millionen Euro.<br />

Als drittes Standbein betreibt Grenke<br />

das margenstarke Geschäft der Eintreibung<br />

von Geldforderungen (Inkasso).<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Um elf Prozent auf 47 Millionen Euro legte<br />

Grenkeleasing 2013 beim Gewinn zu. Vor<br />

allem die verbesserte Differenz aus Zinsausgaben<br />

und -einnahmen mit einem Plus<br />

von gleich 17 Prozent auf 130,5 Millionen<br />

Euro zeigte sich stark. Die Eigenkapitalquote<br />

von 16,7 Prozent ist für einen Finanzdienstleister<br />

komfortabel.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Schon mehr als eine Milliarde Euro ist die<br />

einst kleine Leasingschmiede jetzt wert.<br />

Investoren honorieren damit die seit Jahren<br />

starken kontinuierlichen Gewinnsteigerungen.<br />

Das KGV von gut <strong>19</strong> ist der Preis<br />

für so viel Gewinn-Qualität.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Das Unternehmen strebt einen „nachhaltig<br />

hohen Return on Equity bei gleichzeitig<br />

solider Eigenkapitalausstattung an“, sagt<br />

Jörg Eicker, Finanzvorstand der Grenkeleasing.<br />

Als Zielgröße für die Nachsteuerrendite<br />

auf das Eigenkapital nennt Eicker<br />

„16 Prozent“. Für <strong>2014</strong> erwartet das Management<br />

ein Wachstum des Neugeschäftes<br />

zwischen 13 und 16 Prozent. Der<br />

Konzernüberschuss soll zwischen 52 und<br />

56 Millionen Euro liegen. Zudem internationalisiert<br />

Grenke sein Geschäft. In Europa<br />

sollen die letzten weißen Flecken getilgt<br />

werden, etwa „durch den Eintritt in Kroatien“,<br />

so Eicker. Außerhalb Europas startete<br />

Grenke zuletzt schon in Brasilien, Dubai<br />

und Kanada. Vorteil: „Unser erfolgreiches<br />

Geschäftsmodell lässt sich aufgrund der<br />

maximalen Effizienz und Standardisierung<br />

schnell auf neue regionale Märkte übertragen“,<br />

so Eicker.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Neue Konkurrenz. Die Eintrittsbarrieren<br />

ins Leasinggeschäft sind vergleichsweise<br />

gering. Zudem ist es für das Unternehmen<br />

wichtig, „besondere, über das normale<br />

Maß hinausgehende Risiken frühzeitig zu<br />

erkennen“, so Eicker. Sonst stiegen die Leasingausfälle,<br />

was auf den Gewinn drückt.<br />

Fazit: In ein ausgewogenes Nebenwerte-<br />

Portfolio gehört die Aktie auf jeden Fall.<br />

FOTOS: PR<br />

84 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Sartorius Vz.<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

47 Prozent/–7,3 auf +52,4 Mio. Euro<br />

Kaufargument: Margenfantasie<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

1500 Prozent – so lautet die Performance<br />

der Sartorius-Vorzugsaktie seit fünf Jahren.<br />

Zum Vergleich: Mit Apple-Aktien gewannen<br />

Anleger nur 500 Prozent. „Sartorius ist<br />

einer der global führenden Biopharmaund<br />

Laborzulieferer. Wir positionieren uns<br />

in diesen wachstumsstarken, hochattraktiven<br />

Märkten als Anbieter, der seinen Kunden<br />

integrierte Lösungen und nicht nur<br />

Produkte anbietet“, erklärt Vorstandschef<br />

Joachim Kreuzburg die eigene Erfolgsstrategie.<br />

Im Segment „Bioprocess Solutions“,<br />

das für rund die Hälfte der Umsätze steht,<br />

entwickeln die Göttinger Membrane und<br />

Filter für die Industrien Pharma, Biotech,<br />

Chemie, Lebensmittel und Getränke. Die<br />

Sparte „Lab Products & Services“ steht für<br />

hochwertige Laborinstrumente. Im kleinsten<br />

Segment „Industrial Weighing“ vertreibt<br />

Sartorius Messsysteme. „Regional sehen<br />

wir die größten Potenziale für organisches<br />

Wachstum in den USA und in Asien,<br />

aus diesem Grund verstärken wir in beiden<br />

Regionen unseren Vertrieb“, sagt Kreuzburg.<br />

Zudem plant der Vorstandschef, das<br />

Sartorius-Portfolio über „komplementäre<br />

Zukäufe und Allianzen“ auszubauen.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Der Umsatz legte 2013 um 42 auf gut 887<br />

Millionen Euro zu, der den Aktionären zustehende<br />

Konzerngewinn stieg um knapp<br />

4,0 auf 52,4 Millionen Euro. Die Eigenkapi-<br />

Zukunftsmarkt Anleger<br />

trauen Sartorius viel zu<br />

talquote von Sartorius ist mit 38 Prozent<br />

angemessen, die Finanzverbindlichkeiten<br />

schlugen zuletzt mit 345 Millionen Euro<br />

netto zu Buche. Das ist angesichts der gut<br />

kalkulierbaren Mittelzuflüsse der Göttinger<br />

tragbar.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Hoch. Die Aktie kostet den 35-fachen Jahresgewinn<br />

2013. Die niedrigeren KGVs <strong>2014</strong><br />

und 2015 ergeben sich nur auf Basis bereinigter<br />

Zahlen, die Analysten verwenden.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Sartorius besitzt ein lukratives Produktportfolio<br />

in Märkten mit viel Wachstumsfantasie.<br />

„Bis zum Jahr 2020 wollen wir den<br />

Umsatz mehr als verdoppeln, auf etwa<br />

zwei Milliarden Euro“, sagt Vorstandschef<br />

Kreuzburg. Rund zwei Drittel des Wachstums<br />

sollen „aus eigener Kraft“ kommen,<br />

ein Drittel „über Akquisitionen“. Im gleichen<br />

Zeitraum „wollen wir unseren Gewinn<br />

verdreifachen“. Die operative Marge<br />

vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen und<br />

Amortisation (Ebitda), die Ende 2013 bei<br />

<strong>19</strong>,5 Prozent lag, „soll bis 2020 auf rund 23<br />

Prozent steigen“, so Kreuzburg.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Die Ziele von Sartorius „sind ambitioniert,<br />

aber machbar“, wie Vorstandschef Kreuzburg<br />

selbst sagt. Zielverfehlungen dürfte<br />

der Aktienkurs der Göttinger angesichts<br />

der hohen Bewertung nicht so leicht wegstecken.<br />

Fazit: Einst deutlich unterbewertet, ist die<br />

Sartorius-Aktie mittlerweile keine graue<br />

Maus mehr. Das dürfte so bleiben und Anleger<br />

locken.<br />

BB Biotech<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

--/24 450 Prozent<br />

Kaufargument: Top-Erfahrung im Sektor<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Die Schweizer sind eine Holding, die sich<br />

seit <strong>19</strong>93 an Biotech-Unternehmen beteiligt,<br />

vorwiegend aus den USA, aber auch<br />

aus Europa. Die fünf größten aus 35 Beteiligungen<br />

sind Celgene (USA), Actelion<br />

(Schweiz), Gilead (USA), Isis Pharmaceuticals<br />

(USA) und Incyte (USA). Diese machten<br />

Ende 2013 gut 56 Prozent des 2,1 Milliarden<br />

Schweizer Franken schweren Portfolios<br />

aus. „Als Beteiligungsgesellschaft ermöglichen<br />

wir Investoren auf einfache Art<br />

und Weise an der Entwicklung des globalen<br />

Wachstumsmarkts Biotechnologie zu<br />

partizipieren. Mit unserer Anlagestrategie<br />

zielen wir auf Beteiligungen ab, welche innovative,<br />

also effiziente und sichere Medikamente<br />

auf den Markt bringen“, sagt Daniel<br />

Koller, BB-Chefbeteiligungsmanager.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Die Börsenhausse trieb den Gewinn 2013<br />

von 368 auf 932 Millionen Franken. Für BB<br />

Biotech als reine Holding sind andere Bilanz-Kennzahlen<br />

irrelevant.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

BB Biotech kostet derzeit 1,35 Milliarden<br />

Euro, der innere Wert der Beteiligungen<br />

liegt bei fast 1,6 Milliarden Euro. Am 26.<br />

März gab es sieben Franken Dividende, das<br />

wären aktuell 5,1 Prozent Rendite.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

BB Biotech strebt langfristig eine Wertsteigerung<br />

des Portfolios in Dollar von 15 Prozent<br />

pro Jahr an. „Seit Gründung liegen wir<br />

mit 14,4 Prozent nur unmerklich darunter“,<br />

sagt Chefmanager Koller. Der Biotech-Sektor<br />

ist generell gerade den Kinderschuhen<br />

entwachsen und entwickelt sich noch sehr<br />

dynamisch, ganz im Gegensatz zu Pharma.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Die Bewertung der Branche ist nicht ohne,<br />

Investoren sitzen auf guten Gewinnen.<br />

Wenn die Börsen deutlich nachgeben, sind<br />

Biotech-Papiere trotz ihrer positiven Langfristperspektive<br />

kein sicherer Hafen.<br />

Fazit: Biotech-Aktien sind lohnenswert,<br />

Einzelanlagen aber riskant. Dieses Risiko<br />

limitiert BB Biotech auf ein Minimum.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 85<br />

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Paradies Deutschland<br />

CTS Eventim<br />

Kurvenreich<br />

CTS Eventim<br />

vermarktet auch<br />

Konzerte von<br />

Helene Fischer<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

35 Prozent/53 Prozent<br />

Kaufargument: Konjunkturresistent<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Ob Metallica bei Rock am Ring, die Reunion<br />

der legendären Status Quo in Originalbesetzung<br />

nach 30 Jahren oder Helene Fischer<br />

in Riesa – ein Unternehmen profitiert<br />

immer mit: CTS Eventim. Der Vermarkter<br />

mischt die großen Bühnen aber nicht nur<br />

über den Verkauf von Tickets auf, sondern<br />

tritt auch selbst als Veranstalter auf: 2013<br />

setzen die Bremer zum Beispiel Neil<br />

Young, Elton John und Mark Knopfler in<br />

Szene. Erst im März trieb CTS Eventim mit<br />

der Übernahme von drei Ticketvermarktern<br />

in Spanien, den Niederlanden und in<br />

Frankreich die internationale Expansion<br />

voran. Insgesamt mehr als 180 000 Veranstaltungen<br />

mit 100 Millionen verkauften<br />

Tickets begleitet Eventim jährlich. Im Segment<br />

„Ticketing“ ist CTS Eventim in Kontinentaleuropa<br />

Marktspitze und im „Live-<br />

Entertainment“ weltweit die Nummer drei.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Bei den Erlösen legte CTS mächtig Tempo<br />

vor: Gegenüber 2012 wuchsen die Bremer<br />

vergangenes Jahr um 20,8 Prozent auf 628,3<br />

Millionen Euro Umsatz. Der Jahresüberschuss<br />

legte von 56,3 auf 61,1 Millionen Euro<br />

zu. Der Mittelzufluss aus laufender Geschäftstätigkeit<br />

erhöhte sich üppig von 108<br />

auf 143 Millionen Euro. Der Kassenbestand<br />

liegt bei 180 Millionen Euro netto, die Eigenkapitalausstattung<br />

ist mit knapp 29<br />

Prozent solide. Die Dividende je Aktie soll<br />

von 57 auf 64 Cent steigen. Darüber entscheiden<br />

die Aktionäre am 8. Mai.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Mächtig hoch. Die Aktie kostet den 36-fachen<br />

2013er-Gewinn und den 3,5-fachen<br />

Umsatz 2013. Mit der Erwartung weiterer<br />

höherer Gewinne und den starken Mittelzuflüssen<br />

relativiert sich das allerdings.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

CTS Eventim gehört zu den wenigen Unternehmen,<br />

die von der Konjunktur entkoppelt<br />

wachsen. Selbst in den Jahren 2008<br />

und 2009, als die Finanzkrise viele Industrie-Bilanzen<br />

einknicken ließ, wuchsen die<br />

Bremer unvermindert weiter. Das Internet-<br />

Ticketing soll ebenso weiter ausgebaut werden<br />

wie die internationale Präsenz.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Das Geschäft von Eventim funktioniert nur<br />

dann, wenn der Konzern erfolgreich mit<br />

nationalen und internationalen Künstlern<br />

viele Besucher anlockt. Klappt das nicht,<br />

dann wären auch in der Bilanz aktivierte<br />

Übernahmeprämien (Goodwill) bedroht<br />

und müssten abgeschrieben werden. Die<br />

liegen mit 257 Millionen Euro sogar höher<br />

als das Eigenkapital (253 Millionen Euro).<br />

Zudem soll die Hauptversammlung am<br />

8. Mai einen Rechtsformwechsel in eine<br />

Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)<br />

beschließen, was derzeit etwas belastet.<br />

Fazit: CTS ist dick im Geschäft und zunehmend<br />

weniger von Wettbewerb bedroht.<br />

Als konjunkturunempfindliches Investment<br />

sollte die Aktie begehrt bleiben.<br />

Jungheinrich Vz.<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

37 Prozent/–55,2 auf +106,9 Mio. Euro<br />

Kaufargument: Straff familiengeführt<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Jungheinrich bietet weltweit Fahrzeuge in<br />

der Flurförderzeug-, Lager- und Materialflusstechnik<br />

an. Ziel ist, „die dauerhafte<br />

Zugehörigkeit zu den drei weltweit führenden<br />

produzierenden Dienstleistern und<br />

Lösungsanbietern der Intralogistik“, sagt<br />

Hans-Georg Frey, Vorsitzender des Vorstandes<br />

von Jungheinrich. In Europa will<br />

Frey „einen Marktanteil gemessen am Auftragseingang<br />

in Stück von deutlich über 20<br />

Prozent erreichen“. Im Programm haben<br />

die Hamburger Gabelstapler und Logistiksysteme<br />

und bieten zudem Dienstleistungen<br />

sowie Absatzfinanzierung dafür an.<br />

„Strategisch sind wir primär auf den Direktvertrieb<br />

ausgerichtet, der in bestimmten<br />

Ländern durch Vertriebsaktivitäten<br />

über Händler ergänzt wird. Zudem verfolgt<br />

Jungheinrich eine Ein-Marken-Strategie<br />

mit Schwerpunkt auf Produkten und<br />

Dienstleistungen im Premiumsegment des<br />

Weltmarktes für Flurförderzeuge“, so Frey.<br />

Das Unternehmen legt dabei vor allem<br />

Wert auf organisches Wachstum. Die Hamburger<br />

verstehen sich als Familienunternehmen<br />

– die 18 Millionen stimmberechtigten<br />

Stammaktien liegen fest in Familienhand,<br />

die 16 Millionen stimmrechtslosen<br />

Vorzugsaktien sind hingegen breit gestreut.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

72 500 Fahrzeuge produzierte Jungheinrich<br />

im vergangenen Jahr 2013, der Umsatz<br />

legte um 0,9 Prozent auf den Rekordwert<br />

von 2,29 Milliarden Euro zu. Das Ergebnis<br />

vor Steuern und Zinsen (Ebit) lag bei 172<br />

Millionen Euro und sank ebenso wie das<br />

Nachsteuerergebnis von 107 Millionen Euro<br />

leicht, um fünf Millionen Euro. Deswegen<br />

bleibt auch die an die Aktionäre Mitte<br />

Mai ausgezahlte Dividende von 86 Cent je<br />

Vorzugsaktie gegenüber dem Vorjahr nur<br />

konstant. Die Eigenkapitalquote ist mit 30<br />

Prozent nicht rasend hoch; das relativiert<br />

sich aber, da rund ein Drittel der Bilanzsumme<br />

aus dem Finanzierungsgeschäft<br />

der Hamburger besteht. Wer dieses Leasing<br />

herausrechnet, kommt zum Ergebnis,<br />

dass Jungheinrich im Industriegeschäft<br />

netto finanzschuldenfrei ist.<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/PEDERSEN<br />

86 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Wie bewertet die Börse?<br />

Gut 850 Millionen Euro sind die Vorzugsaktien<br />

schwer, dazu kommt rechnerisch noch<br />

einmal ein um 12,5 Prozent höherer Marktwert<br />

für die nicht börsennotierten Stammaktien.<br />

Das KGV für dieses Jahr liegt bei 15,<br />

in etwa mit dem Markt.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Jungheinrich zählt zu den von ruhiger<br />

Hand geführten Unternehmen, die keinen<br />

Hype um die eine oder andere Quartalszahl<br />

machen, sondern lieber stetig wachsen.<br />

„Unsere Umsatzzielsetzung orientiert<br />

sich an einer Größenordnung, die mittelfristig<br />

oberhalb der Drei-Milliarden-Euro-<br />

Grenze liegt. Wir setzen auf ein organisches<br />

Umsatzwachstum, wobei gezielte<br />

Akquisitionen zur Abrundung des Produktportfolios<br />

nicht auszuschließen sind“,<br />

sagt Vorstandschef Frey. Für das Gesamtjahr<br />

werden ein Rekordumsatz zwischen<br />

2,3 und 2,4 Milliarden Euro und ein Gewinn<br />

vor Steuern und Zinsen in der Spanne<br />

von 170 bis 180 Millionen Euro erwartet.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

„Herausforderungen resultieren für uns<br />

aus der globalen konjunkturellen Entwicklung.<br />

Insbesondere in den europäischen<br />

Kernmärkten haben konjunkturzyklische<br />

Schwankungen Einfluss“, sagt Frey. „Der<br />

Markt für Flurförderzeuge ist außerdem<br />

durch einen intensiven Wettbewerb mit<br />

fortschreitenden Konsolidierungstendenzen<br />

geprägt.“<br />

Fazit: Knapp an die zwei Milliarden Euro<br />

Marktwert sind derzeit fair.<br />

Schaltbau<br />

Umsatz/Gewinnwachstum 2009–2013:<br />

45 Prozent/75 Prozent<br />

Kaufargument: Stetige Bilanzverbesserung<br />

Was zeichnet das Unternehmen aus?<br />

Die Schaltbau-Gruppe gehört mit ihren<br />

2000 Mitarbeitern zu den führenden Anbietern<br />

von Komponenten und Systemen<br />

für Verkehrstechnik und Investitionsgüterindustrie.<br />

Schaltbau liefert viel Infrastruktur,<br />

zum Beispiel komplette Bahnübergänge,<br />

Rangier- und Signaltechnik, Türsysteme<br />

für Busse und Bahnen, dazu Industriebremsen<br />

für Kräne und Windkraftanlagen,<br />

außerdem Hoch- und Niederspannungskomponenten<br />

für Schienenfahrzeuge.<br />

Wie sieht die Bilanz aus?<br />

Schaltbau verbessert seit Jahren sukzessive<br />

wichtige Kennzahlen wie den Verschuldungsgrad,<br />

der gemessen am Ergebnis vor<br />

Steuern, Zinsen, Abschreibungen und<br />

Amortisation nur noch den geringen Faktor<br />

von 0,9 ausmacht. Das Eigenkapital legte<br />

2013 um 18,3 auf 89,4 Millionen zu; die<br />

Eigenkapitalquote von 33,4 Prozent ist in<br />

Ordnung, sollte aber noch etwas dicker<br />

werden. Der Gewinn je Aktie verbesserte<br />

sich 2013 stark von 3,09 auf 3,48 Euro, bei<br />

einem um 7,7 Prozent erhöhten Konzernumsatz<br />

von 390,7 Millionen Euro – beides<br />

sind Unternehmensbestwerte.<br />

Wie bewertet die Börse?<br />

Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von<br />

um die 13 ist die Aktie moderat bewertet.<br />

Allerdings geht Schaltbau dieses Jahr von<br />

einem nur sehr geringen Gewinnanstieg<br />

aus, sodass größere Bewertungssprünge<br />

erst einmal nicht in Sicht sind. Die Dividende,<br />

die für das abgelaufene Geschäftsjahr<br />

um <strong>19</strong> auf 96 Cent je Aktie steigen soll<br />

und damit einer Rendite von rund zwei<br />

Prozent auf den Kurs entspricht, dürfte für<br />

<strong>2014</strong> zumindest stabil sein; zumal die Ausschüttungsquote<br />

von nur 27,6 Prozent<br />

noch deutlich Spielraum nach oben gibt.<br />

Was treibt langfristig den Kurs?<br />

Die Münchner Schaltbau betreibt konsequent<br />

eine Internationalisierungsstrategie,<br />

auch über Akquisitionen, und erschließt<br />

sich so neue Märkte auf der ganzen Welt.<br />

Der Konzern ist unter anderem bereits in<br />

China, Südkorea, den USA, Großbritannien<br />

und Osteuropa präsent und expandiert<br />

auch nach Südamerika. So können<br />

die Risiken vor Einbrüchen in einzelnen<br />

Regionen inzwischen recht gut austariert<br />

werden. So macht etwa der Russland-Anteil<br />

nur etwas mehr als zwei Prozent <strong>vom</strong><br />

Umsatz aus.<br />

Was könnte den Kurs belasten?<br />

Eine globale Wirtschaftskrise und möglicherweise<br />

wegen Schuldenproblemen verschobene<br />

Infrastrukturprojekte könnten<br />

Schaltbau treffen und zeitweise das Geschäft<br />

verderben.<br />

Fazit: Klein, aber fein: Die Schaltbau-Aktie<br />

hat auf Sicht von mehreren Jahren und darüber<br />

hinaus sicher noch einiges an Potenzial<br />

zu bieten.<br />

n<br />

christof.schuermann@wiwo.de<br />

Viel Wert<br />

Kennzahlen ausgewählter Aktien aus der zweiten Reihe<br />

Aktie (Index)<br />

BB Biotech (TecDax)<br />

CTS Eventim (SDax)<br />

DMG Mori Seiki (MDax)<br />

Fuchs Petrolub Vz. (MDax)<br />

Grenkeleasing (SDax)<br />

Jungheinrich Vz. (SDax)<br />

Leoni (MDax)<br />

Pfeiffer Vacuum (TecDax)<br />

Sartorius Vz. (TecDax)<br />

Schaltbau (SDax)<br />

Branche<br />

Biotech-Holding<br />

Vermarktung<br />

Werkzeugmaschinen<br />

Schmierstoffe<br />

Leasing und Bank<br />

Fahrzeuge<br />

Automobilzulieferung<br />

Vakuumtechnik<br />

Laborzulieferung<br />

Verkehrstechnik<br />

Kurs<br />

(in Euro)<br />

113,95<br />

46,25<br />

21,41<br />

70,17<br />

74,00<br />

53,50<br />

53,10<br />

83,00<br />

94,80<br />

45,88<br />

Stoppkurs<br />

(in Euro)<br />

90,00<br />

35,00<br />

14,00<br />

49,00<br />

55,00<br />

39,00<br />

39,00<br />

61,00<br />

74,00<br />

29,00<br />

Börsenwert<br />

(in Millionen<br />

Euro)<br />

1 Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis der durchschnittlichen Analystenprognosen für den jeweiligen Gewinn pro Aktie; 2 für 2013 angekündigt, beschlossen oder erwartet, bei<br />

einigen Unternehmen bereits gezahlt; BB-Biotech-Dividende von 7,00 Schweizer Franken umgerechnet zum Kurs von 1,2143 Schweizer Franken pro Euro;<br />

3 1 = niedrig, 10 = hoch; Quelle: Bloomberg; Stand: 14. April <strong>2014</strong><br />

1350<br />

2220<br />

1687<br />

4762<br />

1088<br />

18<strong>19</strong><br />

1735<br />

8<strong>19</strong><br />

1834<br />

282<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnis 1<br />

<strong>2014</strong><br />

–<br />

26,8<br />

14,5<br />

21,4<br />

<strong>19</strong>,4<br />

15,1<br />

12,2<br />

17,0<br />

22,5<br />

13,1<br />

2015<br />

–<br />

23,4<br />

12,8<br />

20,0<br />

17,1<br />

13,5<br />

9,6<br />

14,2<br />

<strong>19</strong>,9<br />

12,0<br />

Dividende<br />

pro Aktie 2<br />

(in Euro)<br />

5,76<br />

0,64<br />

0,50<br />

1,40<br />

1,00<br />

0,86<br />

1,00<br />

2,65<br />

1,02<br />

0,96<br />

Dividendenrendite<br />

(in Prozent)<br />

5,1<br />

1,4<br />

2,3<br />

2,0<br />

1,4<br />

1,6<br />

1,9<br />

3,2<br />

1,1<br />

2,1<br />

Chance/<br />

Risiko 3<br />

6/4<br />

6/4<br />

5/3<br />

6/5<br />

5/3<br />

5/4<br />

6/4<br />

7/6<br />

6/5<br />

5/4<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 87<br />

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Geld&Börse<br />

Aufgeklärt und<br />

streitbar<br />

ANWÄLTE | Wer hilft Patienten, nach medizinischen Kunstfehlern<br />

recht zu bekommen? Und wem vertrauen Ärzte und Kliniken?<br />

Eigentlich wollte der<br />

48-jährige Westfale nur<br />

eine Routine-Vorsorgeuntersuchung<br />

machen<br />

lassen, eine Darmspiegelung,<br />

wie sie etwa alle<br />

zehn Jahre empfohlen<br />

wird. Doch die Routineuntersuchung<br />

ging<br />

schief, der Chirurg perforierte ihm versehentlich<br />

seinen Darm, letzten Endes wurde<br />

der Mann durch die Folgen der Untersuchung<br />

berufsunfähig. Der Fehler des Chirurgen<br />

löste eine ganze Kette von Katastrophen<br />

aus: Wenige Tage nach der Spiegelung<br />

musste der Patient als Notfall operiert<br />

werden. Daraufhin bekam er, was öfter bei<br />

dieser Konstellation passiert, eine Bauchfellentzündung.<br />

Der Horror ging weiter:<br />

mehrere Operationen, danach Monate auf<br />

der Intensivstation. Am Ende bekam der<br />

Mann einen künstlichen Darmausgang<br />

und wurde zum Frührentner – mit 100 Prozent<br />

Behindertenquote.<br />

Der Mann klagte gegen das Krankenhaus<br />

und gewann. Dass der Patient eine<br />

Einverständniserklärung auf einem Vordruck<br />

unterschrieben hatte, genügte dem<br />

Hochansteckend<br />

Krankenhauskeim<br />

ist inklusive<br />

Gericht nicht: Formulare und Merkblätter<br />

ersetzten kein Aufklärungsgespräch mit<br />

dem Arzt. Mangelhafte Aufklärung des Patienten<br />

ist ein häufig angesetzter Hebel für<br />

Schadensersatzklagen. Hätte der Patient<br />

einer Darmspiegelung zugestimmt, wenn<br />

er geahnt hätte, was passieren kann? Nein,<br />

urteilte das Oberlandesgericht Hamm und<br />

sprach dem Mann 220 000 Euro Schmerzensgeld<br />

zu (Aktenzeichen 26 U 85/12).<br />

WENIGER PERSONAL, MEHR FÄLLE<br />

Gemessen an den gravierenden Folgen des<br />

Fehl-Eingriffs, scheint die gezahlte Summe<br />

nicht sonderlich hoch. „Patienten sind<br />

meist bitter enttäuscht, wenn sie Ärzte<br />

oder Kliniken auf Schmerzensgeld verklagen“,<br />

sagt Medizinrechtler Martin Stellpflug,<br />

Partner bei Dierks + Bohle in Berlin.<br />

Zwar sind auch hierzulande die pro Einzelfall<br />

gezahlten Schmerzensgeldsummen in<br />

den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen,<br />

in der Zahnmedizin haben sie sich<br />

binnen 15 Jahren sogar verdoppelt. Doch<br />

von hohen Millionenzahlungen wie in den<br />

USA sind sie noch weit entfernt. „Betroffene<br />

orientieren sich leider oft an TV-Serien<br />

über Kliniken und Law Firms und nicht an<br />

der deutschen Rechtsprechung aus einschlägigen<br />

Tabellen wie der Beck’schen<br />

Schmerzensgeldtabelle oder der <strong>vom</strong><br />

ADAC“, sagt Bernd Schwarze, Medizinrechtler<br />

und Partner bei BLD Bach Langheid<br />

Dallmayr in Köln.<br />

Die andere große Kategorie der Streitfälle,<br />

bei denen Patienten vor Gericht gute<br />

Karten haben, sind Befunderhebungsfehler,<br />

vulgo: unterlassene Untersuchungen.<br />

So wurde ein Krankenhaus im westfälischen<br />

Dorsten verklagt, weil die Ärzte bei<br />

einer bewusstlosen Patientin nicht rechtzeitig<br />

einen Neurologen zur Beurteilung<br />

einer Computertomografie hinzuzogen.<br />

Deshalb sei ein massiver Hirnstamminfarkt<br />

unerkannt geblieben, infolgedessen<br />

die Patientin am Ende starb. 50 000 Euro<br />

Schmerzensgeld sollten ihre Kinder laut<br />

Urteil des Oberlandesgerichts Hamms bekommen<br />

(Aktenzeichen 3 U 122/12).<br />

Weil Patienten inzwischen aufgeklärter<br />

und streitbarer sind, bekommen spezialisierte<br />

Anwälte seit Jahren mehr Arbeit.<br />

Hinzu kommt: Zwischen <strong>19</strong>91 und 2012 ist<br />

die Zahl der Behandlungsfälle in deutschen<br />

Krankenhäusern um mehr als vier<br />

Millionen auf 18 Millionen Behandlungen<br />

im Jahr gestiegen, so die „Ärztezeitung“.<br />

Gleichzeitig aber ist die Zahl der Klinikmitarbeiter<br />

um rund 90 000 gesunken, auf zuletzt<br />

694 900. Mehr Behandlungen und weniger<br />

Mitarbeiter bedeuten mehr Zeitdruck<br />

und damit auch mehr Fehler.<br />

„Der Bereich wächst und ist für Anwälte<br />

auch wirtschaftlich interessant“, sagt<br />

Schwarze. Auseinandersetzungen zwischen<br />

Patienten und Kliniken oder Krankenkassen<br />

rechnen Anwälte nach der gesetzlichen<br />

Gebührenordnung ab. Nur in<br />

Ausnahmefällen werden Stundenhonorare<br />

zwischen 220 und 300 Euro fällig.<br />

Kliniken und Ärzte sichern Risiken in der<br />

Regel bei großen Versicherern ab. Wer es<br />

als Anwalt schafft, sich bei denen einen guten<br />

Namen zu machen, gewinnt Versicherer<br />

oft als dauerhafte Mandanten für viele<br />

Fälle. Große Player im Krankenhausgeschäft<br />

sind die Versicherer R+V, Allianz,<br />

Basler Securitas und Ergo. Bei den niedergelassenen<br />

Ärzten kommen noch Axa, HDI<br />

Gerling und Generali dazu.<br />

Anders als sonst bei den Rankings der<br />

WirtschaftsWoche-Top-Kanzleien sind die<br />

Medizinjuristen nicht in ganz Deutschland<br />

aktiv. Ihr Geschäft ist in der Regel regional<br />

begrenzt. Der simple Grund dafür: Die Versicherer<br />

wollen die Reisekosten der Anwälte<br />

niedrig halten und beauftragen entsprechend<br />

Juristen aus der Umgebung, sagt<br />

FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/ROSE<br />

88 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Anwalt Stellpflug. Tatsächlich führen die<br />

Versicherer Listen mit Anwältenamen<br />

nach Gerichtsbezirken. Aber auch Patienten<br />

haben viel Kommunikationsbedarf<br />

und wollen ihren Anwalt regelmäßig vor<br />

sich sehen, berichtet Schwarze.<br />

Verfahren ziehen sich lange hin. „Bevor<br />

ein Gerichtsprozess losgeht, vergehen in 60<br />

Prozent der Fälle zwei Jahre mit dem Anfertigen<br />

von Gutachten und Gegengutachten“,<br />

sagt Anwalt Schwarze. Das Gerichtsverfahren<br />

dauert im Schnitt zwei bis vier<br />

Jahre. Geht der Fall in die Berufung, kommen<br />

noch mal eineinhalb Jahre dazu.<br />

KASSEN HOLEN GELD ZURÜCK<br />

Die Gemengelage bei Rechtsstreitigkeiten<br />

wegen Arzt- und Klinikpannen ist obendrein<br />

sehr kompliziert. Beteiligt sind zum<br />

einen die Patienten oder deren Erben, die<br />

Schadensersatz, Schmerzensgeld oder<br />

Renten fordern. Zum anderen klagen<br />

Krankenkassen die zusätzlichen Kosten<br />

ein, die ihnen für Patienten nach Behandlungsfehlern<br />

entstehen. Pflegekassen wiederum<br />

fordern die Pflegekosten ein, die<br />

durch Ärzte-Fehler verursacht werden.<br />

Die teuersten Fälle sind Schädigungen,<br />

die bei der Geburt oder im frühen Kindesalter<br />

verursacht werden. Hier können die<br />

in Versicherungsverträgen vereinbarten<br />

Deckungssummen bisweilen sogar nicht<br />

ausreichen, sodass Ärzte in Privatinsolvenz<br />

gehen müssen. In einem Fall wurden wegen<br />

eines Fehlers bei einer Geburt Erben<br />

eines Gynäkologen noch 20 Jahre später<br />

von einem Landkreis verklagt. Dieser forderte<br />

die Leistungen zurück, die er über die<br />

Jahre für einen seit Geburt behinderten Sozialhilfeempfänger<br />

aufgewendet hatte.<br />

Besonders oft verklagen Patienten Ärzte<br />

nach Hüft-, Knie-, Wirbelsäulen- und<br />

Schönheitsoperationen. Schädigungen<br />

durch Krankenhauskeime führen zu Klagen<br />

gegen Kliniken. Häufig drehen sich<br />

Prozesse auch um Fehler bei der Vorsorge,<br />

etwa „wenn Ärzte einen Tumor übersehen<br />

haben“, so die Berliner Anwältin Britta<br />

Konradt, die auch Medizinerin ist. „Das<br />

größte Problem ist immer die Kausalität“,<br />

sagt Konrad – der Patient muss nachweisen,<br />

dass sein Leiden durch den Fehler des<br />

Mediziners verursacht wurde und nicht<br />

ohnehin ähnlich schlimm verlaufen wäre.<br />

Sieht ein Versicherer ein Haftungsrisiko,<br />

enden 90 Prozent der Fälle mit einem Vergleich.<br />

Zu dem kommt es auch recht<br />

schnell, wenn eine Klinik Imageschäden<br />

durch Negativschlagzeilen befürchtet.<br />

claudia.toedtmann@wiwo.de<br />

Acht Top-Kanzleien für Ärzte<br />

Welchen Anwalt die Experten Ärzten<br />

und Kliniken empfehlen<br />

Kanzlei, Ort<br />

Dierks + Bohle,<br />

Berlin<br />

Preißler Ohlmann &<br />

Partner, Fürth<br />

Ratzel Rechtsanwälte,<br />

München<br />

Vogl Rechtsanwälte,<br />

Göppingen<br />

Weimer Bork,<br />

Bochum<br />

BLD Bach Langheid<br />

Dallmayr, Köln<br />

Rehborn Rechtsanwälte,<br />

Dortmund<br />

Anwalt<br />

Quelle: WiWo-Expertenpanel und Jury<br />

Christian Dierks,<br />

Dr. Martin H. Stellpflug<br />

Reinhold Preißler<br />

Rudolf Ratzel<br />

Werner Vogl<br />

Christoph Bork,<br />

Tobias Weimer<br />

Jens Muschner,<br />

Bernd Schwarze<br />

Prof. Martin Rehborn<br />

METHODIK UND JURY<br />

Wie die Anwälte ausgewählt wurden<br />

Die Auswahl der Top-Kanzleien zum Patientenrecht<br />

und Arzthaftungsrecht basiert<br />

auf umfangreichen Recherchen. Im<br />

ersten Schritt wurde in Datenbankrecherchen<br />

und Gesprächen mit Experten aus<br />

der Branche festgestellt, welche Kanzleien<br />

und Anwälte positiv genannt wurden<br />

und auf sich aufmerksam gemacht haben.<br />

Die ausgewählten 108 Kanzleien und<br />

111 Anwälte wurden in der zweiten Runde<br />

von sechs Experten bewertet. Anders als<br />

in anderen Rechtsgebieten beraten Medizinrechtskanzleien<br />

selten sowohl Patienten<br />

als auch Ärzte und Kliniken gleichzeitig.<br />

Das Ranking wurde deshalb gesplittet.<br />

LANGFRISTIG ERFOLGREICH<br />

Dazu wurden in einem nächsten Schritt<br />

sowohl für die Patientenseite als auch für<br />

die Seite der Ärzte und Kliniken je 30 Anwälte,<br />

die besonders empfohlen wurden,<br />

einer neutralen Jury zur Bewertung vorgelegt.<br />

Bei der Endwertung der Kanzleien<br />

und deren Anwälten in der Schlussrunde<br />

spielten als Kriterien nachweisbare Erfolge,<br />

langjährige Erfahrung und Spezialisierung<br />

eine Rolle. Die Kanzleien und ihre<br />

Anwälte, die dabei die höchsten Punktzahlen<br />

erreichten, stehen in der Tabelle.<br />

Da die Ergebnisse auf subjektiven Einschätzungen<br />

beruhen, kann und will die<br />

WirtschaftsWoche nicht ausschließen,<br />

dass hier nicht aufgeführte Anwälte ihre<br />

Mandanten ebenso angemessen beraten.<br />

Acht Top-Kanzleien für Patienten<br />

Welchen Rechtsanwalt die Experten<br />

medizingeschädigten Patienten für<br />

Klagen empfehlen würden<br />

Kanzlei, Ort<br />

Roland Uphoff, Bonn<br />

Makiol & Kollegen,<br />

Neuss<br />

Meinecke & Meinecke,<br />

Köln<br />

Bürgle Schäfer,<br />

Wiesbaden<br />

Britta Konradt, Berlin<br />

Frank Teipel, Berlin<br />

Matthias Teichner,<br />

Hamburg<br />

Anwalt<br />

Roland Uphoff<br />

Achim Makiol<br />

Dr. Boris Meinecke<br />

Quelle: WiWo-Expertenpanel und Jury<br />

Dr. Michaela Bürgle<br />

Dr. Britta Konradt<br />

Frank Teipel<br />

Matthias Teichner<br />

CHRISTINE ELKER<br />

ist Teamleiterin der Barmer<br />

GEK für Behandlungsfehler<br />

und Rechtsverfolgung<br />

HANSJÖRG GEIGER<br />

ist Professor und Vorstand<br />

der A.-Lang-Stiftung für<br />

Patientenrechte<br />

STEFFEN GREBNER<br />

ist Geschäftsführer der Kliniken<br />

Ernst von Bergmann in<br />

Potsdam und Bad Belzig<br />

SÖREN HENNIGES<br />

ist Abteilungsdirektor Leistung<br />

bei Deurag Deutsche<br />

Rechtsschutz-Versicherung.<br />

HELMUT PLOTE<br />

ist der Bereichsleiter Leistung<br />

bei der D.A.S Rechtsschutz.<br />

CORNELIA SÜFKE<br />

ist Rechtsanwältin für die<br />

Asklepios Kliniken und leitet<br />

den Bereich Versicherungen<br />

ROLAND TICHY<br />

ist Chefredakteur der<br />

WirtschaftsWoche<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 89<br />

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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />

VERSORGUNGSWERKE<br />

Angestellte ohne Freischein<br />

Wann Freiberufler zurück in die gesetzliche Rentenversicherung müssen.<br />

Freiberufler, die Mitglied einer<br />

Kammer sind, können sich von<br />

der Pflicht, Beiträge in die gesetzliche<br />

Rentenversicherung<br />

zu zahlen, befreien lassen. Stattdessen<br />

zahlen sie in ein berufsständisches<br />

Versorgungswerk<br />

ein. Solche Versorgungswerke<br />

ähneln einer Pensionskasse, ersetzen<br />

für die Freiberufler aber<br />

die gesetzliche Rentenversicherung.<br />

Diese Versorgungswerke<br />

haben derzeit etwa 830 000 Mitglieder:<br />

Rechtsanwälte, Ärzte,<br />

Apotheker, Architekten, Ingenieure,<br />

Wirtschaftsprüfer und<br />

Psychotherapeuten.<br />

ES DROHT SIPPENHAFT<br />

Das Bundessozialgericht hat<br />

kürzlich entschieden, dass Anwälte,<br />

die für ein Unternehmen<br />

arbeiten, das keine Kanzlei ist,<br />

sich nicht mehr von der gesetzlichen<br />

Rente befreien können<br />

(B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R,<br />

B5 RE 3/14 R): Diese angestellten<br />

Anwälte seien rechtlich<br />

nicht als Rechtsanwälte tätig.<br />

Noch liegt die Urteilsbegründung<br />

nicht vor, aber es ist zu erwarten,<br />

dass das BSG-Urteil<br />

auch Auswirkungen auf andere<br />

Freiberufler, beispielsweise<br />

Ärzte, Apotheker oder Architekten,<br />

haben wird. „Das BSG<br />

macht die Befreiung von der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung<br />

nicht davon abhängig, ob jemand<br />

als Arzt oder Architekt<br />

zugelassen ist, sondern wie der<br />

Betroffene aktuell beschäftigt<br />

ist“, sagt Alexander Lorenz,<br />

Rechtsanwalt der Kanzlei Baker<br />

Tilly Roelfs in Frankfurt.<br />

Freiberufler, die nicht in dem<br />

beruflichen Umfeld arbeiten,<br />

das für eine Befreiung maßgeblich<br />

ist, müssen in die staatliche<br />

Rentenkasse einzahlen. „Bereits<br />

seit 2012 prüft die Rentenversicherung<br />

zunehmend bei<br />

angestellten Architekten“, sagt<br />

Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer<br />

Nordrhein-<br />

Westfalen.<br />

Folgende Gruppen könnten<br />

ihre Befreiung verlieren.<br />

n Rechtsanwälte: Etwa 30 000<br />

zugelassene Anwälte arbeiten<br />

als Angestellte außerhalb von<br />

Kanzleien in Industrieunternehmen,<br />

im öffentlichen Dienst<br />

oder bei Verbänden.<br />

n Ärzte: Von den etwa 350 000<br />

in Deutschland praktizierenden<br />

Ärzten arbeitet nur ein Drittel<br />

als selbstständige niedergelassene<br />

Ärzte. Die Hälfte arbeitet<br />

als angestellte Mediziner im<br />

Krankenhaus. Das größte Risiko,<br />

in die gesetzliche Rentenversicherung<br />

zu müssen, tragen<br />

die rund 30 000 Mediziner, die<br />

für Unternehmen, Behörden<br />

und Verbände arbeiten.<br />

n Apotheker: In dieser Berufsgruppe<br />

ist das Gros gut<br />

geschützt. Von den 59 290 Apothekern<br />

arbeiten 48 690 in<br />

öffentlich zugänglichen Apotheken.<br />

Weitere <strong>19</strong>66 in Krankenhausapotheken.<br />

Die restlichen<br />

8635, die für die Industrie und<br />

die öffentliche Hand arbeiten,<br />

müssen sich am ehesten Sorgen<br />

machen.<br />

n Architekten: Bei Architekten<br />

und Stadtplanern ist der Anteil<br />

derjenigen, die zurück in die gesetzliche<br />

Rentenversicherung<br />

müssten, besonders groß. Lediglich<br />

45 Prozent arbeiten freischaffend.<br />

Der Rest sind Angestellte<br />

oder Beamte außerhalb<br />

der Architekturbranche.<br />

FALLE JOBWECHSEL<br />

Wer bereits Mitglied eines Versorgungswerks<br />

ist, genießt zwar<br />

Bestandsschutz – aber nur so<br />

lange, wie er den Arbeitgeber<br />

oder den Arbeitsplatz nicht<br />

wechselt. Verändern sich Mitglieder<br />

der Versorgungswerke<br />

beruflich, müssen sie erneut einen<br />

Antrag auf Befreiung stellen,<br />

den die Rentenversicherung<br />

ablehnen kann.<br />

DOPPELBELASTUNG<br />

Wer bereits Mitglied eines Versorgungswerks<br />

ist, bleibt es<br />

auch, wenn er die Befreiung<br />

von der gesetzlichen Rente verliert.<br />

Allerdings bleibt weniger<br />

Geld für die betriebliche Altersvorsorge.<br />

Derzeit zahlen Arbeitnehmer<br />

in den alten Bundesländern<br />

maximal 562,28 Euro<br />

pro Monat aus eigener Tasche<br />

in die gesetzliche Rentenversicherung.<br />

Nur, wenn danach<br />

noch etwas übrig bleibt, könnten<br />

Freiberufler zusätzlich sparen.<br />

Der Mindestbeitrag etwa<br />

beim Versorgungswerk der<br />

Rechtsanwälte in NRW liegt bei<br />

112,46 Euro pro Monat.<br />

NACHZAHLUNGEN<br />

Das BSG-Urteil könnte auch für<br />

Arbeitgeber zu einem teuren Risiko<br />

werden. Stellt die Rentenkasse<br />

fest, dass das Arbeitsgebiet<br />

beispielsweise eines<br />

angestellten Architekten nicht<br />

mehr dem Berufsbild entspricht,<br />

das für die Befreiung<br />

maßgeblich war, muss ein neuer<br />

Antrag gestellt werden. Wird<br />

dieser Antrag abgelehnt, muss<br />

der Arbeitgeber bis zu vier Jahre<br />

rückwirkend die Beiträge zur<br />

staatlichen Rentenkasse nachzahlen.<br />

„Arbeitgeber können<br />

für Arbeitnehmer ein Status-<br />

Verfahren bei der Rentenversicherung<br />

beantragen“, sagt<br />

Anwalt Lorenz von Baker Tilly<br />

Roelfs. So könnten sie zwar<br />

nicht verhindern, dass Angestellte<br />

wieder in die staatliche<br />

Rentenkasse müssen, aber<br />

es fielen in den meisten Fällen<br />

keine Nachzahlungen an.<br />

martin.gerth@wiwo.de<br />

FOTOS: WESTEND61/MITO IMAGES, MAURITIUS IMAGES/ALAMY, PR<br />

90 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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ABGELTUNGSTEUER<br />

Langjährige Google-Aktionäre im Pech<br />

Trennt sich eine Aktiengesellschaft<br />

von einem Teil ihres Unternehmens<br />

und teilt Aktionären<br />

dafür neue Aktien zu, fiel<br />

früher vor allem bei ausländischen<br />

Unternehmen sofort<br />

Steuer an. Mit einem neuen Gesetz<br />

hat sich das geändert. Doch<br />

viele Kapitalmaßnahmen, wie<br />

jüngst ein Aktiensplit bei Google,<br />

können weiter zu steuerlichen<br />

Nachteilen führen.<br />

ABSPALTUNG<br />

Nach einer Mitte 2013 beschlossenen<br />

Gesetzesänderung sind<br />

zusätzliche Aktien nicht steuerpflichtig,<br />

wenn es sich rechtlich<br />

um eine Abspaltung handelt<br />

und diese seit 2013 erfolgt ist<br />

(Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz).<br />

Das Bundesfinanzministerium<br />

hat die Anwendung<br />

zu Jahresbeginn<br />

erneut konkretisiert (IV C 1 - S<br />

2252/09/100<strong>04</strong> :005).<br />

n Ausländische Unternehmen:<br />

Vor der Gesetzesänderung verlangte<br />

der Fiskus bei ausländischen<br />

Gesellschaften meist<br />

Steuer auf den kompletten<br />

Kurswert des Spin-offs, obwohl<br />

der Börsenwert des Mutterkonzerns<br />

zeitgleich sank, Aktionäre<br />

also keinen Nettovorteil hatten.<br />

2012 hatte sich zum Beispiel<br />

der US-Lebensmittelkonzern<br />

Kraft Foods in zwei Teile gespalten<br />

(Mondelez und Kraft Foods<br />

Group). Für den abgespaltenen<br />

Teil Kraft Foods Group wurde<br />

Abgeltungsteuer fällig, obwohl<br />

der Wert der Aktien in Summe<br />

nicht gestiegen war.<br />

n Deutsche Unternehmen:<br />

Unproblematisch waren dagegen<br />

schon früher Abspaltungen<br />

bei deutschen Konzernen.<br />

Beispiel: Siemens spaltete im<br />

vergangenen Jahr die Glühbirnen-Tochter<br />

Osram ab. Aktionäre<br />

erhielten für zehn<br />

Siemens-Aktien eine zusätzliche<br />

Osram-Aktie. Ein Teil des<br />

Anschaffungspreises der gehaltenen<br />

Siemens-Aktien wird auf<br />

die zusätzlichen Osram-Anteile<br />

übertragen. Hat der Anleger<br />

zehn Siemens-Aktien für insgesamt<br />

800 Euro angeschafft, erhält<br />

er zusätzlich eine Osram-<br />

Aktie. Die Anschaffungskosten<br />

der Siemens-Aktien sinken auf<br />

720 Euro, die Osram-Aktie ist 80<br />

Euro wert. Wurden die Siemens-<br />

Aktien vor 2009 gekauft, fällt bei<br />

einem späteren Verkauf beider<br />

Aktien auf Gewinne keine Steuer<br />

an. Sind die Siemens-Aktien<br />

erst seit 2009 im Depot greift die<br />

Abgeltungsteuer.<br />

AKTIENTEILUNG<br />

Anders sieht es aus, wenn es<br />

sich rechtlich nicht um eine Abspaltung<br />

handelt. Der Internet-<br />

Konzern Google hat seine Anteile<br />

Anfang April geteilt (Split).<br />

Jeder Aktionär erhielt zu den<br />

bereits gehaltenen Anteilen die<br />

gleiche Menge gratis hinzu, der<br />

Kurs halbierte sich. Bei den<br />

Gratisaktien handelt es sich um<br />

Papiere einer neuen, stimmlosen<br />

Anteilsklasse. Die Finanzverwaltung<br />

wertet die Zuteilung<br />

als Dividende und verlangt Abgeltungsteuer.<br />

Viele Aktionäre<br />

wittern böse Abzocke. Doch für<br />

alle Aktionäre, die seit Anfang<br />

2009 eingestiegen sind, entsteht<br />

kein Steuernachteil. Zwar müssen<br />

sie jetzt Abgeltungsteuer<br />

zahlen, ohne entsprechende<br />

Geldzuflüsse zu haben. Im Gegenzug<br />

sparen sie beim späteren<br />

Verkauf der alten Aktien<br />

aber genauso viel Steuer, wie sie<br />

jetzt zahlen müssen. „In diesem<br />

Fall kommt es nur zu einer zeitlichen<br />

Verlagerung“, sagt Daniel<br />

Sahm, Steuerberater bei Ecovis<br />

in München. Große Nachteile<br />

entstehen hingegen langjährigen<br />

Google-Aktionären, die vor<br />

2009 und damit vor Einführung<br />

der Abgeltungsteuer gekauft<br />

haben. Sie müssen nun Steuer<br />

auf einen Teil der aufgelaufenen<br />

Kursgewinne zahlen, obwohl<br />

diese sonst steuerfrei geblieben<br />

wären. Außerdem<br />

verlieren die Aktionäre für die<br />

Hälfte ihres Investments die<br />

Aussicht auf künftige steuerfreie<br />

Kursgewinne, da als Kaufdatum<br />

für die neuen Aktien das<br />

Datum des Splits gilt. Bei einem<br />

Investment von 50 000 Euro<br />

kann dies schnell zu über 10 000<br />

Euro Steuernachteil führen. Stehen<br />

bei anderen Unternehmen<br />

ähnliche Kapitalmaßnahmen<br />

an, sollten Altaktionäre ihre Aktien<br />

besser vorher verkaufen,<br />

um wenigstens aufgelaufene<br />

Kursgewinne steuerfrei zu halten.<br />

VERKAUF<br />

Vodafone hat seinen Anteil an<br />

der US-Tochter Verizon Wireless<br />

für 130 Milliarden Dollar an<br />

den US-Telekomkonzern Verizon<br />

verkauft. Die Vodafone-Aktionäre<br />

erhielten im Februar<br />

dieses Jahres Bardividende und<br />

Verizon-Aktien. Für beides verlangt<br />

das Finanzamt Abgeltungsteuer,<br />

da es sich nicht um einen<br />

Spin-off, sondern um den<br />

Verkauf eines Unternehmensteils<br />

handelt. Wie bei Google<br />

gilt: Für alle seit 2009 eingestiegenen<br />

Aktionäre verschiebt sich<br />

die Steuerlast nur – von später<br />

auf jetzt. Altaktionäre, die schon<br />

länger als seit 2009 dabei sind,<br />

haben hingegen erhebliche<br />

Steuernachteile.<br />

martin.gerth@wiwo.de, niklas hoyer<br />

ERB-EINKÜNFTE<br />

JOSEF K. ZEITLER<br />

ist Fachanwalt<br />

für<br />

Erbrecht in<br />

der Bayreuther<br />

Kanzlei<br />

Dr. Zeitler.<br />

n Herr Zeitler, oft hat eine<br />

Erbengemeinschaft nur geringe<br />

Miet- oder Zinseinnahmen.<br />

Wie lässt sich das<br />

steuerlich einfach regeln?<br />

Wird ein Nachlass zum gemeinschaftlichen<br />

Vermögen,<br />

liegen dem Finanzamt üblicherweise<br />

die Erbanteile und<br />

Steuernummern aller Miterben<br />

vor. Es kann dann problemlos<br />

die Einkünfte jedes Einzelnen<br />

aus Immobilien, Grundstücken<br />

oder Kapitalvermögen ermitteln.<br />

Sobald es ein sogenannter<br />

Fall von geringer Bedeutung<br />

ist, wird es steuerlich einfach.<br />

n Ist die „geringe Bedeutung“<br />

abhängig von der Höhe<br />

der Einkünfte?<br />

Nein. Der Begriff bezieht sich<br />

nur darauf, dass sich die Erbquoten<br />

und Mieten, Pacht und<br />

Kapitaleinkünfte problemlos<br />

ermitteln lassen. Das Nachlass-Finanzamt<br />

schickt den<br />

Miterben dann keine Steuerbescheide,<br />

sondern gibt nur<br />

die Höhe der Einkünfte jährlich<br />

an ihre Finanzämter weiter.<br />

Sie übernehmen das in die<br />

Einkommensteuerbescheide.<br />

Das geht so lange, wie die<br />

Erbengemeinschaft besteht.<br />

n Ist es noch einfacher,<br />

wenn Erben alles aufteilen?<br />

Ja. Vereinbaren sie innerhalb<br />

von sechs Monaten nach dem<br />

Erbfall, wer welche Vermögenswerte<br />

bekommt, können<br />

die Einkünfte rückwirkend einem<br />

oder mehreren Erben zugerechnet<br />

werden. Am besten<br />

wäre es allerdings, wenn der<br />

Erblasser zu Lebzeiten ein<br />

Testament macht und die Erbengemeinschaft<br />

verhindert,<br />

in der es häufig Streit gibt.<br />

heike.schwerdtfeger@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 91<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Dem Druck von<br />

Kunden und EU halten Lebensversicherer<br />

nur mit mehr Transparenz<br />

stand. Von Heike Schwerdtfeger<br />

Rückrufaktion<br />

Schaulaufen<br />

Kanzlerin Merkel<br />

auf Stippvisite<br />

in Athen<br />

Bescheiden haben<br />

viele heutige Versicherungsriesen<br />

einst<br />

angefangen – als<br />

Sterbekassen. Witwen und<br />

Waisen waren froh über jeden<br />

Groschen, der ihnen beim Tod<br />

des Ernährers blieb. Heute stehen<br />

den geschickt in Lebensversicherung<br />

umtitulierten Kassen<br />

keine hilflosen, sondern<br />

streitbare Kunden gegenüber,<br />

die die Auszahlung immer öfter<br />

erleben. Zum Glück.<br />

Doch ausgerechnet langjährigen<br />

Kunden, die dem Ziel ihrer<br />

Sparbemühungen sehr nahe<br />

kommen, will die Versicherungsbranche<br />

etwas wegnehmen: Sie<br />

versucht, sich beim Gesetzgeber<br />

mit der Forderung durchzusetzen,<br />

Kunden den Anteil an bestimmten<br />

Überschüssen zu kürzen,<br />

Bewertungsreserven<br />

genannt. Dabei geht es je nach<br />

Vertragsumfang um einige Hundert<br />

bis einige Tausend Euro.<br />

Der Eingriff zerstört das Vertrauen<br />

der Versicherten, denn sie<br />

könnten auch nicht einfach folgenlos<br />

ihre Prämie reduzieren.<br />

Jahrzehnte wurde ihnen vorgegaukelt,<br />

sie müssten nichts<br />

<strong>vom</strong> Kapitalmarkt verstehen.<br />

Doch genau das wird jetzt von<br />

ihnen verlangt, wenn es in der<br />

Diskussion um die Unterschiede<br />

zwischen Buchwerten und Zeitwerten<br />

bei Anleihen geht, die als<br />

Reserve ausgeschüttet werden.<br />

Statt mit offenen Karten zu spielen<br />

und Kunden ordentlich über<br />

die angehäuften Reserven und<br />

Anteile aus anderen Überschusstöpfen<br />

aufzuklären, werden<br />

sie wie Bittsteller mit unvollständigen<br />

Zahlen abgefertigt.<br />

Dass für Versicherte Manna <strong>vom</strong><br />

Himmel fällt, egal, was an den<br />

Märkten passiert, glaubt künftig<br />

niemand mehr.<br />

Die Reservediskussion ist wie<br />

die Rückrufaktion eines Autoherstellers<br />

– ein Eingeständnis,<br />

dass Fehler gemacht wurden.<br />

Beim Kunden bleibt hängen,<br />

dass ihm in die Tasche gegriffen<br />

wird, wenn etwas schiefläuft. Die<br />

Geldanlage ist seit jeher ein<br />

Kerngeschäft der Versicherer,<br />

und da ist es üblich, dass Reserven<br />

angezapft werden müssen.<br />

Wer sich damit verschätzt, sollte<br />

<strong>vom</strong> Markt verschwinden. Und<br />

bevor jetzt zwischen Überschüssen,<br />

Schlussgewinnen und Reserven<br />

umverteilt wird, sollten<br />

die Versicherer den Mumm haben,<br />

den Garantiezins für Neukunden<br />

<strong>vom</strong> Gesetzgeber weiter<br />

senken zu lassen – wenn nötig,<br />

auf null. Eine Änderung bei<br />

den Reserven allein macht ihre<br />

Zukunft nicht rosiger.<br />

KEIN VERSTECK MEHR<br />

Denn auch in Brüssel bei der EU<br />

dringt die Versicherungslobby<br />

nicht mehr mit Extrawünschen<br />

durch. In spätestens drei Jahren<br />

bekommen auch Lebensversicherungskunden<br />

die Basisinformationsblätter<br />

für verpackte Anlageprodukte<br />

ausgehändigt, so<br />

hat es das EU-Parlament beschlossen.<br />

Damit werden erstmals<br />

Kosten, Renditechancen<br />

und Risiken mit denen von<br />

Fonds und Zertifikaten vergleichbar.<br />

Ein Riesenfortschritt!<br />

Deshalb ist es gut, dass alle Versuche,<br />

die Lebensversicherer<br />

von der Transparenz zu entbinden,<br />

in Brüssel bislang ins Leere<br />

gelaufen sind. Behauptet ein Anbieter<br />

künftig, er sei günstig,<br />

können Anleger die Fakten überprüfen.<br />

Bis dahin hält sich das<br />

Gerücht, dass die Unternehmen<br />

mit den Lebenspolicen mehr<br />

verdienen als mit Fonds – und<br />

deshalb so an ihnen hängen.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Nächster Akt einer Farce<br />

Die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt ist<br />

der vorläufige Gipfel einer surrealen Entwicklung.<br />

Am Freitag vorvergangener Woche<br />

reiste Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel für sechs Stunden<br />

nach Athen und hat, wie üblich,<br />

die Griechen für ihre angeblichen<br />

Fortschritte bei der Krisenbewältigung<br />

gelobt. Dabei<br />

ist die Rettung Griechenlands<br />

schon lange eine Farce. Die<br />

durchschnittliche Laufzeit der<br />

Kredite aus dem Euro-Rettungsfonds<br />

beträgt 30 Jahre, der<br />

Zins liegt im Schnitt bei 1,5 Prozent.<br />

Zinsen zahlt Athen wegen<br />

eines zehnjährigen Zinsmoratoriums<br />

aber keine, getilgt wird<br />

erst in den 2<strong>04</strong>0er-Jahren. Konditionen<br />

für einen Pleitestaat,<br />

der nicht pleitegehen darf.<br />

Der Gipfel der surrealen Entwicklung<br />

ist jetzt die Rückkehr<br />

des Landes an den Kapitalmarkt.<br />

Platziert wurde eine<br />

fünfjährige Staatsanleihe über<br />

drei Milliarden Euro mit<br />

4,75 Prozent Kupon (ISIN<br />

GR0114028534). Es gingen<br />

Kaufaufträge über 20 Milliarden<br />

Euro ein. Natürlich wissen die<br />

Käufer – ein Drittel ging an<br />

meist angelsächsische Hedgefonds<br />

–, dass Griechenland mit<br />

Schulden in Höhe von 177 Prozent<br />

der Wirtschaftsleistung<br />

weder 4,75 Prozent Zinsen zahlen<br />

noch die Schulden tilgen<br />

kann. Aber irgendwer wird<br />

schon zahlen, so ihre Logik. Die<br />

Anleihe wurde nach britischem<br />

Recht begeben, was einen erzwungenen<br />

Forderungsverzicht<br />

gegen den Willen der Gläubiger<br />

ausschließt. Wer also zahlt letztlich<br />

4,75 Prozent Zins und rettet<br />

die Hedgefonds? Richtig, der<br />

europäische Steuerzahler.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 15.4.<strong>2014</strong> / 18.02 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9173,71 –3,3 +18,9<br />

MDax 15661,85 –3,6 +18,8<br />

Euro Stoxx 50 3091,52 –2,7 +17,8<br />

S&P 500 1820,30 –1,7 +17,3<br />

Euro in Dollar 1,3803 +0,2 +5,5<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,51 –0,05 2 +0,27 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,65 –0,06 2 +0,94 2<br />

Rohöl (Brent) 3 108,76 +2,3 +9,8<br />

Gold 4 1298,00 –0,9 –7,0<br />

Kupfer 5 6630,00 –0,3 –6,9<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 939,42 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS, BLOOMBERG/ARDIAN<br />

92 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Abgeschossen<br />

Die Fokusmärkte von Adidas – vor allem Russland<br />

und China – stehen im Fokus der Finanzmärkte.<br />

HITLISTE<br />

Neben Nordamerika gehören<br />

China und die Gemeinschaft<br />

Unabhängiger Staaten (GUS)<br />

mit Russland zu den Fokusmärkten<br />

von Adidas. Knapp<br />

die Hälfte des bis 2015 angestrebten<br />

Umsatzwachstums<br />

von 2,5 Milliarden Euro auf<br />

dann 17 Milliarden Euro soll<br />

aus diesen drei Regionen<br />

kommen. Vielleicht müssen<br />

die Franken ihre „Route 2015“<br />

noch einmal überarbeiten.<br />

Rund ein Fünftel des Umsatzes<br />

machte Adidas zuletzt<br />

in Russland und China. In<br />

beiden Ländern ist die Arbeitslosigkeit<br />

nach offiziellen Daten<br />

mit 5,6 Prozent (Russland) und<br />

4,1 Prozent (China) gering, die<br />

Konsumenten kaufen dank steigender<br />

Löhne, die Marke Adidas<br />

ist angesagt. Nur kann die<br />

Stimmung rasch kippen, wenn<br />

etwa Russland Rohstoffeinnahmen<br />

wegbrechen und in China<br />

erste Unternehmen schließen.<br />

Denn gerade wegen der höheren<br />

Löhne und dem festen Renminbi<br />

hat sich China in vielen<br />

Branchen preislich aus dem<br />

Markt geschossen.<br />

Bullenritt<br />

Börse Jakarta legte<br />

<strong>2014</strong> gut 20 Prozent zu<br />

WELTBÖRSEN<br />

Rückkehr auf Zeit<br />

Die Börsen der sogenannten „Fragile Five“ haben<br />

sich zuletzt überraschend kräftig erholt.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2013 <strong>2014</strong> <strong>2014</strong><br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 9173,71 –3,3 +18,9<br />

Aktie<br />

Stand: 15.4.<strong>2014</strong> / 18.01 Uhr<br />

Adidas 77,33 –0,6 –0,7 4,51 4,38 18 16179 1,75<br />

Allianz 117,20 –3,7 +9,4 12,65 13,59 9 53437 3,84<br />

BASF NA 76,98 –2,9 +12,2 5,88 5,91 13 70705 3,38<br />

Bayer NA 91,51 –4,4 +12,2 5,66 6,11 15 75674 2,08<br />

Beiersdorf 70,15 +1,5 +1,5 2,38 2,56 27 17678 1,00<br />

BMW St 88,<strong>19</strong> –3,5 +32,7 7,77 8,65 10 56639 2,83<br />

Commerzbank 12,50 –9,2 +45,1 0,50 0,72 17 14231 -<br />

Continental 161,10 –5,5 +85,7 10,02 12,57 13 32221 1,40<br />

Daimler 63,99 –8,5 +62,3 4,56 5,90 11 68433 3,52<br />

Deutsche Bank 31,16 –3,5 0 4,08 3,52 9 31759 2,41<br />

Deutsche Börse 52,08 –6,5 +11,5 3,79 3,87 13 10051 4,42<br />

Deutsche Post 25,81 –4,5 +46,5 1,45 1,70 15 31<strong>19</strong>9 2,71<br />

Deutsche Telekom 11,05 –3,1 +26,2 0,69 0,64 17 49185 6,33<br />

E.ON 13,49 –3,2 –6,7 1,29 0,95 14 26993 8,15<br />

Fresenius Med.C. St 48,51 –4,6 –11,6 3,75 3,63 13 149<strong>19</strong> 1,55<br />

Fresenius SE&Co 105,45 –4,7 +6,8 5,82 6,38 17 23798 0,90<br />

Heidelberg Cement St 62,<strong>04</strong> –2,3 +16,7 3,56 3,97 16 11633 0,76<br />

Henkel Vz 76,32 –0,2 +4,6 4,03 4,30 18 3<strong>19</strong>42 1,60<br />

Infineon 7,93 –6,0 +39,0 0,26 0,40 20 8567 1,51<br />

K+S NA 23,07 –1,0 –31,8 2,92 1,29 18 4415 6,07<br />

Lanxess 53,15 –2,9 +1,4 3,31 2,59 21 4422 1,88<br />

Linde 141,95 –2,0 –0,8 8,48 8,37 17 26353 1,90<br />

Lufthansa 18,06 –7,3 +27,1 1,25 1,88 10 83<strong>04</strong> -<br />

Merck 113,10 –4,2 –5,1 8,57 9,17 12 7309 1,50<br />

Münchener Rückv. 159,10 ±0 +4,4 16,94 17,05 9 28533 4,40<br />

RWE St 28,44 –0,7 –5,7 3,91 2,38 12 17225 3,52<br />

SAP 57,50 –1,2 –2,4 3,37 3,45 17 70639 1,91<br />

Siemens 94,89 –3,2 +23,4 4,80 6,74 14 83598 3,16<br />

ThyssenKrupp <strong>19</strong>,28 –3,4 +41,3 -0,55 0,50 39 9917 -<br />

Volkswagen Vz. 189,25 –0,3 +30,7 21,42 21,84 9 86925 1,88<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

Brasilien, Indien, Indonesien,<br />

Südafrika und die Türkei sind<br />

wegen hoher Leistungsbilanzdefizite<br />

besonders auf Kapitalzuflüsse<br />

aus dem Ausland<br />

angewiesen. Deshalb werden<br />

diese Länder auch als „Fragile<br />

Five“ bezeichnet. Die im Mai<br />

2013 einsetzende Diskussion<br />

um die Rückführung der Anleihekäufe<br />

durch die US-Notenbank<br />

Fed brachte ihre Währungen<br />

und Aktienmärkte stark<br />

unter Druck. Seit einigen Monaten<br />

traut sich Kapital aber<br />

vorerst zurück in diese Länder.<br />

Wie sich die Weltbörsen seit Jahresanfang in der Landeswährung<br />

und in Euro entwickelt haben 1<br />

Börse<br />

Jakarta<br />

Mailand<br />

Manila<br />

Lissabon<br />

Mumbai<br />

Kopenhagen<br />

Istanbul<br />

Bangkok<br />

Dublin<br />

São Paulo<br />

Sydney<br />

Brüssel<br />

Athen<br />

Bogota<br />

Johannesburg<br />

Zürich<br />

Singapur<br />

Madrid<br />

Paris<br />

Taipeh<br />

Toronto<br />

in Landeswährung<br />

+13,8<br />

+10,9<br />

+11,9<br />

+10,6<br />

+6,9<br />

+8,2<br />

+7,4<br />

+7,0<br />

+7,1<br />

+0,7<br />

+0,1<br />

+4,1<br />

+4,0<br />

+4,4<br />

+4,0<br />

+1,0<br />

+1,5<br />

+1,5<br />

+1,2<br />

+2,9<br />

+4,7<br />

(Prozent)<br />

in Euro<br />

+20,4<br />

+10,9<br />

+10,6<br />

+10,6<br />

+8,9<br />

+8,1<br />

+7,7<br />

+7,7<br />

+7,1<br />

+6,7<br />

+5,0<br />

+4,1<br />

+4,0<br />

+3,3<br />

+3,1<br />

+1,9<br />

+1,7<br />

+1,5<br />

+1,2<br />

+0,9<br />

+0,7<br />

Börse<br />

Warschau<br />

Seoul<br />

Prag<br />

Oslo<br />

Kuala Lumpur<br />

Santiago<br />

Hongkong<br />

New York<br />

Stockholm<br />

Amsterdam<br />

Helsinki<br />

Shanghai<br />

London<br />

Buenos Aires<br />

Frankfurt<br />

Wien<br />

Mexiko-Stadt<br />

Budapest<br />

Caracas<br />

Tokio<br />

Moskau<br />

in Landeswährung<br />

+0,8<br />

–0,7<br />

+0,2<br />

–1,6<br />

–0,8<br />

+3,9<br />

–1,2<br />

–1,8<br />

+0,3<br />

–2,3<br />

–2,3<br />

+0,7<br />

–3,1<br />

+20,0<br />

–3,1<br />

–3,6<br />

–5,5<br />

–4,6<br />

–8,5<br />

–14,6<br />

–10,7<br />

(Prozent)<br />

1 gemessen am jeweiligen Hauptindex, Quelle: Bloomberg; Stand: 14. April <strong>2014</strong><br />

in Euro<br />

0,0<br />

–0,3<br />

–0,3<br />

–0,5<br />

–0,5<br />

–1,5<br />

–1,8<br />

–2,0<br />

–2,2<br />

–2,3<br />

–2,3<br />

–2,5<br />

–2,8<br />

–2,8<br />

–3,1<br />

–3,6<br />

–6,3<br />

–7,8<br />

–9,0<br />

–12,2<br />

–18,6<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 93<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

AKTIE Coca-Cola<br />

Das Brause-Imperium<br />

schlägt zurück<br />

ANLEIHE Singulus<br />

Lange<br />

notiert<br />

Hält dicht Coca-Cola legt in<br />

den Schwellenländern zu<br />

Mit zwei Prozent weniger<br />

Umsatz und fünf Prozent weniger<br />

Reingewinn war das<br />

Jahr 2013 für Coca-Cola enttäuschend.<br />

Anders als der<br />

Dow Jones haben Coke-Aktien<br />

seit einem Jahr an Wert<br />

verloren. Doch das Brause-<br />

Imperium kommt wieder. Im<br />

ersten Quartal verringerten<br />

sich die Erlöse zwar noch einmal<br />

um vier auf 10,58 Milliarden<br />

Dollar und der Nettogewinn<br />

schrumpfte um gut<br />

sieben Prozent auf 1,62 Milliarden<br />

Dollar. Doch das Absatzvolumen<br />

zog weltweit<br />

wieder an um zwei Prozent.<br />

In den Industrieländern ist<br />

Coke bei Softdrinks die Nummer<br />

eins, etwa in den USA mit<br />

42 Prozent Marktanteil. In den<br />

Schwellenländern legt Coca-<br />

Cola zu. Dazu kommen Neuerungen.<br />

Für 1,25 Milliarden<br />

Dollar ist Coke beim Kaffeeröster<br />

Keurig Green Mountain<br />

eingestiegen. Damit hat Cola<br />

den Zugang zum hochrentablen<br />

Kapsel-Kaffeemarkt; außerdem<br />

sind portionierte<br />

Kaltgetränke geplant. Mit der<br />

Beteiligung am kalifornischen<br />

Start-up Zico mischt Cola<br />

beim Trend Kokoswasser mit.<br />

Nach dem Rückschlag im<br />

vergangenen Jahr könnte Coca-Cola<br />

<strong>2014</strong> wieder etwas zulegen.<br />

Der Umsatz dürfte den<br />

bisherigen 2012er-Rekordwert<br />

von 48 Milliarden Dollar<br />

übertreffen. Dank eingeleiteter<br />

Sparmaßnahmen (bis 2016<br />

sollen jährlich eine Milliarde<br />

Dollar Kosten wegfallen) dürften<br />

rund neun Milliarden Dollar<br />

Reingewinn bleiben.<br />

Die hohen Mittelzuflüsse aus<br />

dem laufenden Geschäft geben<br />

Spielraum für Aktienrückkäufe.<br />

Deren Volumen könnte <strong>2014</strong> bis<br />

zu drei Milliarden Dollar erreichen.<br />

Das würde auch negative<br />

Effekte eines geplanten und von<br />

Aktionären kritisierten Mitarbeitervergütungsprogramms<br />

abmildern, mit dem Coca-Cola<br />

im großen Stil Aktien an Mitarbeiter<br />

ausgeben will („<strong>2014</strong><br />

Equity Plan“).<br />

Als Dividende gibt es für 2013<br />

insgesamt 1,12 Dollar je Anteil;<br />

für <strong>2014</strong> sind als 1,22 Dollar<br />

möglich. Das wären mehr als<br />

drei Prozent Rendite.<br />

Und die Ausschüttung dürfte<br />

fast so sicher sein wie bei einer<br />

guten Anleihe: Seit 52 Jahren<br />

hat Coca-Cola nicht nur immer<br />

Dividende gezahlt, sondern sie<br />

in jeder Saison auch angehoben.<br />

Kein Wunder, dass strategische<br />

Langfristinvestoren an<br />

Bord sind: Warren Buffett, dessen<br />

Berkshire Hathaway etwa<br />

neun Prozent an Coca-Cola in<br />

der Hand hat.<br />

Coca-Cola<br />

ISIN: US<strong>19</strong>12161007<br />

44<br />

42<br />

40<br />

38<br />

36<br />

50-Tage-Linie<br />

34<br />

200-Tage-Linie<br />

32<br />

2012 2013 14<br />

Kurs/Stoppkurs (in Dollar): 38,80/32,90<br />

KGV 2013/<strong>2014</strong>: <strong>19</strong>,9/18,6<br />

Dividendenrendite(in Prozent):3,1<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Quelle:FactSet<br />

Anleiheinvestoren haben die<br />

Qual der Wahl: Sie können<br />

Anleihen kaufen, die die Europäische<br />

Zentralbank, solange<br />

es geht, aufkauft, das heißt<br />

mit den Steuergeldern der<br />

Euro-Staaten stützen will. Also<br />

etwa solche aus Spanien,<br />

Italien und, ja, seit Neuestem<br />

auch aus Griechenland. Wer<br />

jedoch glaubt, dass eine solche<br />

Planwirtschaft irgendwann<br />

vor die Wand fahren<br />

wird, der schaut sich lieber<br />

am noch real existierenden<br />

Kapitalmarkt um.<br />

Zu den Papieren dort, für<br />

die mit Sicherheit kein müder<br />

Cent Rettungsgeld fließen<br />

würde, gehört eine Anleihe<br />

von Singulus Technologies.<br />

Dabei ist nicht ausgeschlossen,<br />

dass auch die Hessen<br />

einmal Stützungsgelder brauchen<br />

werden. Denn das Papier<br />

gehört zur Klasse der riskanten<br />

Hochzinsbonds.<br />

Singulus entwickelt, produziert<br />

und vertreibt weltweit<br />

Maschinen und Anlagen zur<br />

Herstellung von optischen<br />

Speichermedien (Blu-ray,<br />

DVD), Solarzellen und Halbleitern.<br />

Obwohl auch ein klassischer<br />

Mittelständler, sollten<br />

Anleger das Unternehmen<br />

nicht in einen Topf werfen mit<br />

all den Zameks, Renas oder<br />

Solaranbietern, deren Papiere<br />

im neuen Markt für Mittelstandspapiere<br />

gerade geplatzt<br />

sind. Denn Singulus hat eine<br />

schon recht lange Börsenhistorie:<br />

Die Aktie ist seit Ende<br />

<strong>19</strong>97 an der Börse notiert.<br />

2013 wuchsen die Umsätze<br />

deutlich von 107,5 auf 133,4<br />

Millionen Euro, unterm Strich<br />

schrieben die Hessen mit einem<br />

Nettoverlust von 0,7 Millionen<br />

Euro leicht rote Zahlen,<br />

nach tiefroten im Vorjahr.<br />

Die Bilanz hat sich denn auch<br />

Läuft rund Singulus schaffte es<br />

von tiefroten in leicht rote Zahlen<br />

verbessert. Den bilanzierten<br />

Anleiheschulden über 56,3 Millionen<br />

Euro stehen 51 Millionen<br />

Euro liquide Mittel gegenüber.<br />

Bankverbindlichkeiten gib es<br />

keine. Die Eigenkapitalquote<br />

liegt bei guten 38 Prozent.<br />

Für das Jahr <strong>2014</strong> erwartet<br />

Singulus „wieder eine gute Entwicklung<br />

des Geschäftsverlaufes<br />

mit einem positiven Ergebnis<br />

auf operativer Basis“, wie es<br />

heißt. Mit operativ ist dabei das<br />

Ergebnis vor Steuern und Zinsen<br />

(Ebit) gemeint.<br />

Risikobewusste Anleger erhalten<br />

für das Papier derzeit sieben<br />

Prozent jährliche Zitterprämie.<br />

Das ist viel, angesichts<br />

eines gar nicht mal so üblen<br />

Zahlenwerkes. Zweimal schon<br />

sind die 7,75 Prozent Zinskupon<br />

seit der Vorstellung der Anleihe<br />

zur Emission geflossen (WirtschaftsWoche<br />

13/2012).<br />

Wie viele Papiere hat die Anleihe<br />

Klauseln. Im kommenden<br />

Jahr kann sie zu einem Kurs von<br />

102 Prozent und 2016 zu 101<br />

Prozent gekündigt und zurückgezahlt<br />

werden. Eine vorzeitige<br />

Kündigung hält das Unternehmen<br />

selbst „aus derzeitiger<br />

Sicht allerdings für sehr unwahrscheinlich“.<br />

Kurs (%) 101,45<br />

Kupon (%) 7,75<br />

Rendite (%) 7,<strong>19</strong><br />

Laufzeit bis 23. März 2017<br />

Währung<br />

Euro<br />

ISIN<br />

DE000A1MASJ4<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/PHOTOSHOT, PR<br />

94 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />

Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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CHARTSIGNAL<br />

Achtung, explosiv!<br />

Palladium ist das Edelmetall mit dem höchsten<br />

Preissteigerungspotenzial.<br />

Gut 40 Prozent der Weltproduktion<br />

von Palladium<br />

stammt aus Russland. Das im<br />

Katalysatorenbau eingesetzte<br />

Edelmetall gehört zu den wenigen<br />

Rohstoffen, deren Preise<br />

im Zuge der Ukraine-Krise<br />

zulegen konnten. Der Preisanstieg<br />

über 750 Dollar pro<br />

Unze und der Durchbruch<br />

der Trendlinie T1 gaben ein<br />

mittel- bis langfristiges Kaufsignal<br />

(1). Damit endete die<br />

Anfang 2011 einsetzende<br />

Konsolidierung. Deren Verlauf<br />

gibt einen Hinweis auf die<br />

interne Stärke des Marktes.<br />

Nach dem Preisanstieg von<br />

unter 200 auf über 800 Dollar<br />

(Strecke A–B) wäre eine große<br />

Preiskorrektur zu erwarten<br />

gewesen. Langen Aufwärtstrends<br />

folgen oft ausgedehnte<br />

Korrekturen, in deren Verlauf<br />

nicht selten 50 Prozent des vorherigen<br />

Preisanstieges aufgezehrt<br />

werden. Nicht so bei Palladium.<br />

Der Preis testete<br />

lediglich die Unterstützung von<br />

2008 und 2010 (2, 3). Im Wesentlichen<br />

erfolgte die Konsolidierung<br />

des vorherigen Preisanstiegs<br />

über die Zeitschiene.<br />

Das zeichnet einen starken<br />

Markt aus. Charttechnikern signalisiert<br />

die auffallend flach<br />

verlaufende Abwärtstrendlinie<br />

T1 einen Markt mit latentem<br />

Drang nach oben. Allerdings ist<br />

der Palladiumpreis weit in ein<br />

als Konsolidierungsformation<br />

geltendes symmetrisches Drei-<br />

1000 Dollar im Blick<br />

Der Palladiumpreis könnte in den kommenden Monaten spürbar zulegen<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

300<br />

200<br />

Quelle: FactSet<br />

Palladium<br />

(in Dollar pro Unze)<br />

Unterstützung<br />

B<br />

A<br />

2008 2009 2010 2011 2012 2013 14<br />

eck hineingelaufen. Ein Markt<br />

mit mehr Dynamik wäre schon<br />

Mitte 2013 nach dem erfolgreichen<br />

Test der Trendlinie T2<br />

über T1 ausgebrochen. Doch<br />

bis zum endgültigen Ausbruch<br />

scheiterten seit Anfang 2013<br />

fünf Anläufe an T1. Entsprechend<br />

bedeutend aber ist der<br />

T2<br />

2<br />

T1<br />

Potenzieller Aufwärtstrendkanal<br />

1<br />

3<br />

Symmetrisches<br />

Dreieck<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

Ausbruch jetzt. Die Kursziele<br />

reichen bis auf 1200 Dollar. An<br />

dieser Marke verläuft aktuell die<br />

Parallele zu T2 und damit die<br />

Begrenzung eines potenziellen<br />

Aufwärtstrendkanals. Sollte der<br />

Preis unter T2 fallen, müsste die<br />

positive Einschätzung zum Palladiumpreis<br />

überdacht werden.<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

IMMOBILIENFONDS<br />

Der Fiskus verdient an<br />

der Zerschlagung<br />

An der Kreuzung Büroturm<br />

des SEB-Fonds ist jetzt Hotel<br />

Die Lust auf Immobilienfonds<br />

lässt nach: Wurden im Januar<br />

2013 noch eine Milliarde Euro<br />

netto in die Fonds investiert,<br />

war es im Januar <strong>2014</strong> nur die<br />

Hälfte. Und im Februar sanken<br />

die Zuflüsse gegenüber dem<br />

Vorjahresmonat um 400 Millionen<br />

Euro auf nur noch 100<br />

Millionen. Turnusmäßig<br />

schütten Milliardenfonds wie<br />

DekaImmobilien Europa oder<br />

Grundbesitz Europa von der<br />

Deutschen Bank im Januar Erträge<br />

an Anleger aus. Und üblicherweise<br />

wird das Geld wieder<br />

in die Fonds investiert. Aber offenbar<br />

lassen die seit Juli verschärften<br />

Rückgabefristen Anleger<br />

zögern: Wer jetzt offene<br />

Immobilienfonds über die<br />

Fondsgesellschaft kauft oder die<br />

Erträge in den Fonds zurück investiert,<br />

muss die Anteile mindestens<br />

24 Monate halten. Er<br />

kommt erst an sein Geld, wenn<br />

er zwölf Monate vorher kündigt.<br />

Die Kündigung kann der Anleger<br />

zwar schon innerhalb der ersten<br />

24 Monate aussprechen, aber die<br />

beliebte tägliche Verfügbarkeit<br />

fällt weg. Freibeträge gibt es für<br />

neue Anteile auch nicht mehr.<br />

Wer nicht mehr frei über sein<br />

Geld verfügen kann, wünscht<br />

sich offenbar mehr als die 2,0<br />

bis 2,7 Prozent, die die bewährten<br />

Fondsriesen in einem Jahr<br />

erzielten. Mehr verdienten Anleger,<br />

die Fonds über die Börse<br />

kaufen und dort zum aktuellen<br />

Kurs verkaufen können.<br />

Dort lässt sich auch mit den<br />

Fonds spekulieren, die aufgelöst<br />

werden. Oliver Weinrich,<br />

Vorstand des Beratungsunternehmens<br />

Drescher & Cie ImmoConsult,<br />

und Sandra Kielholz<br />

haben sie untersucht.<br />

Anhand der Lage und der Qualität<br />

der Gebäude, der Vermietung<br />

und des Geschicks der<br />

Fondshäuser bei der bisherigen<br />

Abwicklung haben die Immobilienexperten<br />

für die Portfolios<br />

einen fairen Wert ermittelt. Der<br />

Axa Immoselect wirkt günstig.<br />

Doch das vermeintliche<br />

Schnäppchen hat Tücken: Im<br />

Oktober geht das Portfolio an<br />

die Depotbank über, die die bereits<br />

stark abgewerteten Immobilien<br />

mit weiteren Nachlässen<br />

verkaufen darf, wenn sie Käufer<br />

findet – die Portfolioqualität ist<br />

überwiegend schlecht. Für die<br />

Übertragung der derzeit noch<br />

fünf deutschen Immobilien auf<br />

die Depotbank würde zudem<br />

Grunderwerbsteuer an den<br />

deutschen Fiskus fällig.<br />

Besser sieht es beim SEB ImmoInvest<br />

aus, der aber an der<br />

Börse nicht mehr so günstig ist.<br />

Durch erfolgreiche Neu- und<br />

Anschlussvermietungen hat die<br />

SEB das Portfolio hübsch gemacht.<br />

Und sie hat noch Zeit bis<br />

2017 für die Abwicklung. „Da<br />

potenzielle Käufer hauptsächlich<br />

auf den laufenden Ertrag<br />

schauen, ist eine gut vermietete<br />

Immobilie für sie am attraktivsten“,<br />

sagt Weinrich.<br />

Anleger des TMW Immobilien<br />

Weltfonds können nur<br />

hoffen, dass der Sieger bei<br />

der Portfolioqualität auch Käufer<br />

überzeugt. Für sie gab<br />

es seit Januar 2012 keine Ausschüttung<br />

mehr.<br />

Billig an der Börse einkaufen?<br />

Studie von DC ImmoConsult offenbart Stärken und Schwächen der großen Immobilien-Publikumsfonds, die aufgelöst werden<br />

Fondsname<br />

Axa Immoselect<br />

0,8 Okt. <strong>2014</strong> 3 24 10. 10,4 7,5 21,90 15,13 50 4 –23,0 –7,2<br />

Preise der bislang verkauften Immobilien im Schnitt 16 Prozent unter den von Sachverständigen festgestellten Werten; nur 86 Prozent der Flächen vermietet, weitere Verträge enden<br />

bald, das erschwert den Immobilienverkauf; übernimmt im Oktober die Depotbank das Immobilienportfolio zum weiteren Verkauf, wird für heimische Objekte Grunderwerbsteuer fällig.<br />

Credit Suisse CS Euroreal<br />

4,6 April <strong>2014</strong> 3 90 8. <strong>19</strong>,9 20,3 42,61 29,14 21 –2,9 –0,2<br />

Noch hoher Bestand, vor allem in Deutschland und Großbritannien; niedrige Vermietungsquote (85 Prozent) erschwert Verkauf an Investoren; rund ein Drittel des Immobilienbestands ist<br />

teurer als 100 Millionen Euro, und für diese Größenordnung gibt es nicht mehr so viele Kaufinteressenten.<br />

Degi International<br />

0,6 Okt. <strong>2014</strong> 3 13 6. 6,6 14,0 23,68 16,40 36 –5,7 –5,8<br />

73 Prozent der Immobilien sind jünger als zehn Jahre, das fördert Verkauf ebenso wie relativ gute Vermietungsquote von 90 Prozent und geringe Abhängigkeit von Banken; aber hoher<br />

Anteil der Immobilien im schwachen italienischen Markt erschwert den Verkauf.<br />

KanAm Grundinvest<br />

3,6 Dez. 2016 3 40 2. 26,1 15,0 39,27 27,41 12 –7,2 –1,7<br />

Gut vermietete Objekte, allerdings leichter Anstieg bei Leerstand; gute Standorte; vergleichsweise geringe Wertverluste; 64 Prozent der Immobilien teurer als 100 Millionen Euro<br />

erschwert Käufersuche; viele Kredite.<br />

SEB ImmoInvest<br />

5,5 April 2017 3 42 5. 29,2 9,6 34,97 22,47 21 –1,0 –0,2<br />

Hohe Abhängigkeit von finanzierenden Banken durch Kredite; niedrige Vermietungsquote von 86 Prozent und weiter auslaufende Mietverträge erschweren Verkauf; aber 60 Prozent<br />

der Immobilien unter 100 Millionen Euro Wert, solche Objekte finden mitunter schneller Käufer.<br />

TMW Immobilien Weltfonds<br />

0,4 Mai <strong>2014</strong> 3 10 1. 27,0 20,0 26,13 16,90 20 –15,1 –10,8<br />

Trotz bester Beurteilung bei der Portfolioqualität durch DC ImmoConsult in der Abwicklungsphase bislang noch keine Ausschüttung an Anleger; hohe Kreditquote macht von Banken abhängig;<br />

schlechte Vermietung von nur 69 % der Flächen erschwert Verkauf; hoher Bestand in den Niederlanden, wo Markt schwach ist; Grunderwerbsteuer bei Übergabe an Depotbank.<br />

Ohne Wertung: Degi Europa<br />

Ohne Wertung: Morgan Stanley P2 Value<br />

Fondsvolumen<br />

(in Mrd. Euro)<br />

0,4<br />

0,1<br />

Auflösung<br />

bis<br />

Depotbank 3<br />

Depotbank 3<br />

Anzahl<br />

der<br />

Immobilien<br />

7<br />

2<br />

Ranking<br />

Portfolioqualität<br />

1<br />

–<br />

–<br />

1 Bewertung durch DC ImmoConsult anhand von Immobilienlage, Gebäudequalität, Vermietung etc.; 2 in Prozent, 3 Depotbank übernimmt verbliebene Immobilien nach Auflösungstermin<br />

und verkauft ohne Zeitlimit weiter; 4 letzte hohe Ausschüttung an Anleger im März wurde bei der Berechnung noch nicht berücksichtigt; Quelle: Drescher & Cie ImmoConsult,<br />

Morningstar (Wertentwicklung); Stand: 14. April <strong>2014</strong> (Immobiliendaten: teilweise Fonds-Jahresberichte)<br />

Kreditquote<br />

2<br />

–<br />

–<br />

Liquiditätsquote<br />

2<br />

–<br />

–<br />

Offizieller<br />

Fondspreis<br />

(in Euro)<br />

13,93<br />

3,99<br />

Börsenkurs<br />

Frankfurt<br />

(in Euro)<br />

9,17<br />

2,87<br />

Börsenabschlag<br />

zum fairen<br />

Wert 1, 2<br />

–<br />

–<br />

Wertentwicklung<br />

(Basis offizieller<br />

Fondspreis)<br />

1 Jahr 2<br />

–18,1<br />

–21,1<br />

5 Jahre p.a. 2<br />

–11,8<br />

–<strong>19</strong>,3<br />

FOTOS: PALLADIUM.DE, PETER SCHINZLER<br />

96 Redaktion Fonds: Martin Gerth, Heike Schwerdtfeger<br />

Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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NACHGEFRAGT Philipp Waldstein Wartenberg<br />

»Aktien werden laufen«<br />

Der Anlagechef der Munich-Re-Tochter Meag<br />

erwartet, dass die Zinsen unten bleiben und<br />

investiert in der Euro-Peripherie. Aktien mag er<br />

auch, kauft aber keine.<br />

DER GROSSINVESTOR<br />

Waldstein, 47, ist als Geschäftsführer<br />

Portfoliomanagement<br />

beim Vermögensverwalter Meag<br />

verantwortlich für die Wertpapieranlagen<br />

des rund 230 Milliarden<br />

Euro großen Kapitalvermögens<br />

der Ergo-Versicherung und der<br />

Munich Re.<br />

»Die EZB darf<br />

ihr Pulver nicht<br />

verschießen.<br />

Sonst fehlt es in<br />

einer Rezession«<br />

Herr Waldstein, Sie kümmern<br />

sich um Versicherungsgelder<br />

und legen langfristig an.<br />

Interessiert Sie das tägliche<br />

Auf und Ab der Märkte?<br />

Ja. Allerdings ist der wirkliche<br />

Treiber selten die jüngste<br />

Schlagzeile, sondern es sind<br />

die internationalen Kapitalströme<br />

oder der grundlegende<br />

Wirtschaftstrend. Die<br />

Krim-Krise beschäftigt<br />

uns, aber die ausgelöste Korrektur<br />

am Aktienmarkt war<br />

überfällig. Inzwischen hat die<br />

Börse neue Stärke gewonnen,<br />

denn die Sanktionen sollten<br />

keine größeren Auswirkungen<br />

haben. Schon 2013 gab<br />

es mit Syrien und Nordkorea<br />

politische Krisen. Bleiben<br />

sie isoliert, wirken sie sich<br />

weniger aus als der Wirtschaftstrend.<br />

Und der ist stark?<br />

Ja, wir gehen von einer Fortsetzung<br />

des Aufschwungs in<br />

den USA und einem stärkeren<br />

Wachstum in Europa aus. Dadurch<br />

steigen auch die Gewinne<br />

der Unternehmen. Somit<br />

sehen wir an den Börsen<br />

keine Überhitzung. Viele Investoren<br />

haben noch wenig<br />

Aktien. Sie sind aber verunsichert,<br />

weil sie die Kernfrage<br />

nicht beantworten können.<br />

Und die lautet?<br />

Wo gehen die Zinsen hin?<br />

Wie ist Ihre Antwort?<br />

Wir erwarten allenfalls einen<br />

leichten Zinsanstieg. Andere gehen<br />

davon aus, dass mit dem<br />

Wirtschaftsaufschwung und<br />

dem Rückzug der US-Zentralbank<br />

aus Anleihekäufen, ab Mitte<br />

2015 die US-Zinsen stark steigen.<br />

Der Aufschwung dort ist<br />

allerdings schwächer als früher<br />

und läuft auch schon fünf Jahre.<br />

Wer jetzt nur kurzfristig für zwei<br />

bis drei Jahre in Anleihen investiert,<br />

weil er Zinserhöhungen erwartet,<br />

könnte enttäuscht werden.<br />

Aktien hingegen könnten<br />

besser laufen als gedacht.<br />

Was kaufen Sie?<br />

Da wir nur einen moderaten<br />

Zinsanstieg erwarten, investieren<br />

wir auch in Staats- und Unternehmensanleihen<br />

sowie etwa<br />

Pfandbriefe mit einer langen<br />

Laufzeit. Vereinzelt bauen wir<br />

den Bestand an Immobilien<br />

und Infrastruktur aus und investieren<br />

etwa in Gaskraftwerke<br />

sowie Wind- und Solarparks,<br />

für die langfristige Stromabnahme-Verträge<br />

bestehen. Das<br />

bringt kalkulierbare Erträge, mit<br />

denen Munich Re und Ergo die<br />

Zahlungsversprechen decken.<br />

4,5 Prozent der Versicherungsgelder<br />

stecken in Aktien.<br />

Das ist extrem wenig.<br />

Es liegt aber nicht daran, dass<br />

wir fallende Kurse erwarten.<br />

Wir müssen bei der Kapitalanlage<br />

gewährleisten, dass die<br />

Versicherungsgarantien durch<br />

Erträge der Anlagen gedeckt<br />

sind. Aktien sind durch ihre<br />

Kursschwankungen dafür wenig<br />

geeignet. Deshalb verlangt<br />

auch die Versicherungsaufsicht,<br />

dass wir für Aktien Eigenkapital<br />

zurückstellen. Bei Staatsanleihen<br />

müssen wir das nicht.<br />

Was ist besser: eine Lebensversicherung<br />

abschließen oder in<br />

Investmentfonds investieren?<br />

Das lässt sich nicht pauschal<br />

beantworten. Publikumsfonds<br />

haben allerdings bei der Anlage<br />

mehr Freiheiten. In unsere<br />

Mischfonds etwa können wir<br />

mehr Aktien packen als in die<br />

Versicherungsportfolios. In einem<br />

langfristigen Börsenaufschwung<br />

ist die Rendite höher.<br />

Welche Anleihen lohnen?<br />

Anleihen der Euro-Schuldenländer<br />

wie Irland, Italien, Spanien,<br />

Portugal sind interessant.<br />

Die Sanierung der Haushalte<br />

über den niedrigen Zins statt<br />

die Währung scheint zu funktionieren.<br />

Ich bin überzeugt, dass<br />

die angestoßenen Reformen<br />

langsam wirken.<br />

Die Zinsen sind kaum höher als<br />

die deutscher Staatsanleihen.<br />

Bei Spanien stimmt das. Eine<br />

fünfjährige spanische Anleihe<br />

rentiert nur noch mit 1,7 Prozent,<br />

seit die Europäische Zentralbank<br />

über Anleihekäufe<br />

nachdenkt. Sie wirft damit so<br />

viel ab wie US-Anleihen. Allerdings<br />

gibt es bei Spanien auch<br />

kein Währungsrisiko.<br />

Ist die neue Griechenland-Anleihe<br />

mit 4,95 Prozent Rendite<br />

für Sie interessant?<br />

Nein. Griechenland ist eine Nische<br />

und politisch beladen.<br />

Aber die große Linie stimmt in<br />

der Peripherie. Anleihen der<br />

Euro-Schuldenstaaten bieten<br />

einen gewissen Schutz vor Zinserhöhungen.<br />

Läuft die Konjunktur<br />

im Euro-Land besser,<br />

würden die Zinsen erhöht. Die<br />

Risikoaufschläge zu deutschen<br />

Bundesanleihen könnten sinken,<br />

weil sich die wirtschaftliche<br />

Lage und die Zahlungsfähigkeit<br />

verbessern würden.<br />

Haben Sie niedrige Kurse bei<br />

Schwellenländer-Anleihen zum<br />

Kauf genutzt?<br />

Nein. Wir halten sie bereits,<br />

sind jetzt aber vorsichtiger. Viele<br />

Länder bauen Defizite auf, während<br />

die Euro-Peripherie sich<br />

entschuldet. Spanien hat einen<br />

Leistungsbilanzüberschuss,<br />

und Anleger kaufen spanische<br />

Anleihen, dafür ziehen sie Geld<br />

etwa aus Brasilien ab.<br />

Hat die Europäische Zentralbank<br />

ein gutes Händchen?<br />

Ja. Das Zinsniveau bleibt niedrig,<br />

und die Peripherie entwickelt<br />

sich. Aber die EZB und die<br />

US-Notenbank müssen aus<br />

dem außerordentlichen Modus<br />

herauskommen, bevor es eine<br />

neue Rezession gibt. Sonst haben<br />

sie ihr Pulver verschossen,<br />

wenn sie es brauchen. Außerdem<br />

steigt die Gefahr, dass eine<br />

überbordende Geldversorgung<br />

am Aktien- und Immobilienmarkt<br />

Blasen aufpumpt.<br />

heike.schwerdtfeger@wiwo.de | Frankfurt<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 97<br />

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Paradies Deutschland<br />

Herzlich willkommen!<br />

EINWANDERER | Ärzte, Elektriker oder Künstler – neun Menschen erzählen, warum sie<br />

künftig in Deutschland leben wollen.<br />

UNGARN<br />

1| MIKLÓS BARNA, 27, FILM- UND<br />

FOTOWISSENSCHAFTLER<br />

RUSSLAND<br />

2| VALENTIN DOMBROVSKI, 29,<br />

UNTERNEHMER AUS MOSKAU<br />

Ich ziehe wegen meiner Arbeit bald<br />

nach Deutschland. Vor drei Jahren gründete<br />

ich ein Start-up, mit dem ich den<br />

Verkauf von Eintrittskarten, Reisetickets<br />

und Hotelbuchungen in einem Service<br />

bündeln wollte. Im vergangenen Jahr<br />

sind dann Partner aus Deutschland eingestiegen<br />

und wollten, dass ich in München<br />

für sie arbeite. Mir passte das wunderbar.<br />

Mein Projekt war sowieso als Grundlage<br />

gedacht, um irgendwann ins Ausland zu<br />

ziehen. Deutschland kenne ich vor allem<br />

aus Erzählungen von Freunden und von<br />

meinen Geschäftspartnern. In meinen Augen<br />

ist es in erster Linie ein Land mit klaren<br />

Regeln. Das Gesetz steht über allem. Bei<br />

uns in Russland wird oft über Stabilität gesprochen,<br />

dabei ist das alles ein großes Fake.<br />

Du weißt im Endeffekt nicht, was dich<br />

morgen erwartet, ob nicht vielleicht noch<br />

irgendwas verboten wird. In Deutschland<br />

ist das bestimmt anders. Das Land entwickelt<br />

sich stetig weiter, alles ist geregelt. Das<br />

mag zwar für jemanden langweilig erscheinen,<br />

aber die Spielregeln sind klar.<br />

Dazu kommt noch die Lebensqualität.<br />

Ich merke in letzter Zeit, wie schlecht die<br />

Umwelt hier in Moskau ist. Ich und meine<br />

Frau denken langsam an Familie, und in<br />

Moskau kann ich mir das schlecht vorstellen.<br />

Einen günstigen Kredit für eine eigene<br />

Wohnung bekommt man hierzulande<br />

nicht, anders als in Deutschland. Von guter<br />

Medizin und Ausbildung ganz zu schweigen.<br />

Deutschland scheint mir ein sehr<br />

komfortabler Ort zu sein. Zudem ist man<br />

mitten in Europa und kann schnell und<br />

günstig überall hinreisen.<br />

Deutschland ist ideal fürs Geschäft. Zumal<br />

kleine Unternehmen dort, anders als in<br />

Russland, gefördert werden. Freunde erzählten<br />

mir, dass es in Deutschland Familienunternehmen<br />

gibt, die schon seit über einem<br />

Jahrhundert existieren, das hat mir sehr<br />

imponiert. Zudem hängen deutsche Unternehmen<br />

nicht so sehr von der politischen Situation<br />

ab, wie in Russland. Wegen der Krim<br />

„Als ich, kurz vor dem Abitur, beschloss, ei-<br />

ne Karriere in den Medien anzustreben,<br />

schien es so, als ob uns in Ungarn eine<br />

wunderbare Zukunft erwarten würde. Ungarn<br />

war gerade der EU beigetreten Doch<br />

kurz danach war schnell Schluss mit lustig.<br />

Und seitdem Viktor Orbán an die Macht<br />

kam, geht in den ungarischen Medien<br />

nichts mehr. Die berüchtigten Mediengesetze<br />

führten zwar keine Zensur ein, doch<br />

die überwiegende Mehrheit der Journalisten,<br />

Regisseure und Künstler passen schon<br />

sehr gut auf und überlegen dreimal, bevor<br />

sie etwas sagen. Langsam reicht es.<br />

Deshalb habe ich beschlossen, zumindest<br />

für eine Weile eine Pause zu nehmen.<br />

Das sehe ich viel mehr als normale Arbeitsmobilität<br />

als klassische Auswanderung. Es<br />

ist eine Art Transitetappe. Und dafür ist<br />

Berlin, mit seiner Kunst- und Medienszene,<br />

ideal. Außerdem lässt sich in Berlin billiger<br />

leben als in Budapest, wenn man eine<br />

Arbeit – jede Arbeit – hat.<br />

drohen uns jetzt Sanktionen. So etwas gibt es<br />

in Deutschland nicht. In Russland ist Kritik<br />

an den Machthabern zunehmend unerwünscht.<br />

Das gefällt mir nicht. Für Unternehmer<br />

ist negatives Feedback sehr wichtig,<br />

ansonsten scheitert man früher oder später.<br />

Das Gleiche gilt auch für den Staat.<br />

FRANKREICH<br />

3| MARINA PREYSSAT, 18 JAHRE,<br />

STUDENTIN<br />

Am 1. Oktober geht es nach Deutschland.<br />

Ich bin schon sehr gespannt. Immerhin bin<br />

ich wegen meines Faibles für Deutschland<br />

extra von meinem Heimatort Aix-en-Provence<br />

in Südfrankreich nach Lothringen an<br />

das deutsch-französische Hochschulinstitut<br />

für Technik und Wirtschaft in Metz gewechselt.<br />

Wenn mir das nun die Möglichkeit<br />

eines Studienjahrs in Saarbrücken eröffnet,<br />

so hoffe ich, dass ich dort Karriere machen<br />

und mir ein Leben aufbauen kann.<br />

Für mich ist Deutschland nicht nur der<br />

Inbegriff eines wirtschaftlich prosperierenden<br />

Landes. Ich finde auch, dass Deutschland<br />

kulturell und landschaftlich sehr reich<br />

ist. Was das Arbeitsleben angeht, habe ich<br />

diese Vorstellung von Teamgeist und Arbeit<br />

in Gruppen, die für mich gleichbedeutend<br />

mit Erfolg sind.<br />

THAILAND<br />

4| THOSSAPORN SAENSAWATT, 26,<br />

JURASTUDENT AUS BANGKOK<br />

Deutschland-Fan bin ich seit 2002. Ich<br />

war 14 Jahre alt. Es war Sommer und die<br />

FOTOS: AUSTIN BUSH/ADENOR GONDIM/FYODOR SAVINTSEV FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PRIVAT (4)<br />

98 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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1| MIKLÓS BARNA,<br />

UNGARN<br />

2| VALENTIN DOMBROVSKI, RUSSLAND<br />

3| MARINA PREYSSAT,<br />

FRANKREICH<br />

4| THOSSAPORN SAENSAWATT, THAILAND<br />

5| MARIA MARTA UND<br />

CLAUDIO ZOLLINGER, BRASILIEN<br />

6| MAHO<br />

MIZOGUCHI,<br />

JAPAN<br />

7| MARK KESSEL, USA<br />

Fußball-WM in Japan und Südkorea.<br />

Deutschland schoss sich bis ins Finale gegen<br />

Brasilien. Bei den Deutschen gab es<br />

keine Stars wie Ronaldo. Die Mannschaft<br />

war stark, weil alle Spieler gemeinsam auf<br />

den Erfolg hingearbeitet haben. Das hat<br />

mir imponiert.<br />

In der Wissenschaft ist das ähnlich:<br />

Es gibt kein Harvard, Cambridge oder Oxford.<br />

Aber ein dichtes Netz an hervorragenden<br />

Hochschulen, die Deutschland<br />

einzigartig machen. Wenn meine Freunde<br />

erzählen, dass sie in Amerika studiert haben,<br />

lautet die erste Frage immer: „An wel-<br />

cher Universität?“ Anders ist das, wenn<br />

man sagen kann: „Ich habe in Deutschland<br />

studiert.“ Das reicht als Qualitätsnachweis.<br />

Ich werde in den kommenden Jahren an<br />

der Universität Passau über die Grundprinzipien<br />

des Grundgesetzes promovieren.<br />

Ich glaube, dass Deutschland eine der<br />

besten Verfassungsordnungen der Welt<br />

hat. In meiner Heimat Thailand wird die<br />

Verfassung oft missbraucht.<br />

Ich war bereits in Deutschland. Einmal<br />

war ich mit einer thailändischen Studentengruppe<br />

unterwegs. Wir besuchten die<br />

Frankfurter Uni und waren mit der Assistentin<br />

eines Professors verabredet. Wie das<br />

in Thailand üblich ist, kamen wir zehn Minuten<br />

zu spät. Die Gastgeberin war verärgert.<br />

Sie sagte: „Das geht so nicht, ihr müsst<br />

pünktlich sein.“ So direkt würde in Thailand<br />

nie jemand Kritik üben. In Thailand<br />

geht man Konflikten aus dem Weg. In<br />

Deutschland ist man ehrlicher. Das ist gewöhnungsbedürftig,<br />

aber ich glaube, es ist<br />

unter dem Strich besser. Ein Höhepunkt<br />

steht für mich schon fest: Public Viewing<br />

bei der Fußball-WM. Dieses Mal klappt es<br />

vielleicht gegen Brasilien.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 99<br />

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Paradies Deutschland<br />

BRASILIEN<br />

5| MARIA MARTA, 48, UND<br />

CLAUDIO ZOLLINGER, 52,<br />

ÄRZTE AUS SALVADOR/BAHIA<br />

Die Idee, nach Deutschland zu ziehen,<br />

ist konkreter geworden, je älter unsere<br />

beiden Söhne wurden. Wir wollen ihnen<br />

ein anderes Gesellschaftsmodell zeigen.<br />

In Brasilien wachsen die Kinder in einer<br />

anarchischen Gesellschaft auf. Konsum ist<br />

König, das überdrehte Chaos der Alltag.<br />

Wir sehnen uns nach Deutschland, wo<br />

wir nach unseren Kurzbesuchen den Eindruck<br />

haben, dass die Jugendlichen noch<br />

viel unschuldiger sind, ruhiger aufwachsen<br />

können als in Brasilien. Die Kinder<br />

können in Deutschland länger Kinder bleiben.<br />

In Brasilien schminken und kleiden<br />

sich 15-jährige Mädchen schon wie Filmstars<br />

und schicken Fotos herum von sich<br />

im Bikini. Der ganze Alltag ist übersexualisiert<br />

hier in Brasilien. Jugendliche agieren<br />

hier schon in der Pubertät wie Erwachsene.<br />

Wir schätzen an Deutschland die verlässlichen<br />

Regeln. Die Ernsthaftigkeit, mit<br />

der dort Dinge behandelt werden: Vom<br />

Sport bis zur Tierhaltung und Umweltschutz,<br />

alles ist wohldurchdacht organisiert.<br />

Es ist letztendlich eine gesellschaftliche<br />

Reife, die Deutschland für uns attraktiv<br />

macht.<br />

JAPAN<br />

6| MAHO MIZOGUCHI, 32,<br />

JOURNALISTIN AUS TOKIO<br />

Am liebsten wäre ich nach Brasilien ausgewandert.<br />

Das Land entwickelt sich rasant,<br />

und ich liebe seinen Kampftanz<br />

Capueira. Aber jetzt habe ich einen Deutschen<br />

geheiratet und ziehe zu ihm nach<br />

Deutschland. Mein Mann und ich haben<br />

lange überlegt, ob er nicht in Japan leben<br />

und arbeiten sollte. Ich habe hier einen<br />

guten Job als Zeitschriftenredakteurin.<br />

Aber mein Mann studiert neben der Arbeit<br />

und kann nicht weg. Daher werde ich<br />

ab Mai mit ihm in München leben und<br />

als freie Journalistin für japanische Medien<br />

arbeiten.<br />

Meistens sprechen wir Englisch. Aber er<br />

kann ein bisschen Japanisch, und ich habe<br />

für das Ehegatten-Visum etwas Deutsch<br />

gelernt. Das werde ich fortsetzen. Deutsch<br />

finde ich nicht so schwer. Da gibt es<br />

viele Wortänderungen, aber die Aussprache<br />

ist für Japaner einfach. Ich finde, die<br />

Deutschen sind uns ziemlich ähnlich: Höflich,<br />

zurückhaltend, ernsthaft und pünktlich,<br />

außer der Bahn. Die Deutschen arbeiten<br />

hart, aber machen sehr lange Urlaub.<br />

Die Männer helfen im Haushalt und die<br />

Frauen wirken sehr stark. Ein Freund in<br />

Hamburg hat mich gewarnt, dass Ausländer<br />

es oft schwer haben. Aber ist das<br />

nicht überall so?<br />

USA<br />

7| MARK KESSEL, NEW YORK<br />

Ich möchte nicht nach Deutschland auswandern.<br />

Aber ich möchte nach Berlin<br />

auswandern. Es ist nicht so, dass ich<br />

etwas gegen andere Städte oder das<br />

Land hätte. Ich kenne auch die deutsche<br />

Provinz und halte sie für reizvoll. Aber ich<br />

hätte Angst, dass ich als Ausländer dort<br />

nicht klarkomme. Berlin ist anders: So<br />

viele Menschen aus allen Himmelsrichtungen,<br />

so viel Kreativität, und sie alle<br />

haben sich auf Englisch als Sprache geeinigt.<br />

Berlin ist das New York Europas.<br />

Besser noch – Berlin ist das, was New<br />

York vor zwei Jahrzehnten war. Eine kreative<br />

Hochburg. Mein Plan, nach Deutschland<br />

zu gehen, reifte seit Langem. Ich habe<br />

früher schon in Berlin gelebt, in den verschiedensten<br />

Stadtteilen, hatte damals<br />

dreimal pro Woche Deutschunterricht,<br />

und ich habe in Deutschland und in New<br />

York viele deutsche Freunde. Sie sind wie<br />

das Klischee: ernsthaft, pünktlich, qualitätsorientiert.<br />

Ich schätze diese Eigenschaften<br />

sehr. Auch haben die Deutschen<br />

einen trockenen, klugen Humor, wie man<br />

ihn in den USA kaum findet. Deutschland<br />

fördert Künstler großzügig, hat dabei ein<br />

gutes Gespür für Qualität und hat Verständnis<br />

für Künstler, die keine Verkäufer<br />

sein wollen. Die Deutschen sehen immer<br />

die Nachteile Berlins, die schwache Wirtschaft<br />

etwa, und wissen gar nicht, dass<br />

man sich in den Künstlerszenen von New<br />

York oder London einig ist: Berlin is the<br />

place to be.<br />

China<br />

LIANG SONG, 38, HAT VOR KURZEM<br />

EINEN ANTRAG AUF EINBÜRGERUNG<br />

GESTELLT, INGENIEUR<br />

Mein Weg führte über mein Studium nach<br />

Deutschland. Ich habe Maschinenbau<br />

studiert. In diesem Fach stößt man ständig<br />

auf deutsche Produkte. Die haben den<br />

besten Ruf. 2001 erhielt ich ein Stipendium<br />

für einen Studienaufenthalt in München.<br />

Ich lernte die Sprache und zog später<br />

nach Berlin, um dort weiterzustudieren.<br />

Nach meinem Abschluss fing ich bei einer<br />

deutschen Maschinenbau-Firma an. Um<br />

deren China-Niederlassung besser führen<br />

zu können, zog ich nach Peking zurück.<br />

Langfristig aber möchte ich in Deutschland<br />

leben. Ich schätze die Gleichheit hier.<br />

Chinas Wirtschaft wächst zwar. Aber gerade<br />

viele wohlhabende Leute haben Angst<br />

um ihr Vermögen. Was China fehlt, ist eine<br />

rechtsstaatliche Sicherheit. Heute liegen<br />

die Luftverschmutzungswerte in Peking<br />

wieder einmal über 400. Der Grenzwert<br />

der Weltgesundheitsorganisation WHO<br />

liegt bei 25. Es geht nicht zuletzt auch um<br />

meine Gesundheit. Hinzu kommen praktische<br />

Gründe, die für die Emigration sprechen.<br />

Mit einem deutschen Visum kann<br />

ich in die meisten Länder problemlos reisen.<br />

Chinesische Staatsbürger müssen oft<br />

wochenlang auf ihre Visa warten. Geld dagegen<br />

ist für mich kein Grund. Mein<br />

Gehalt ist in China sogar höher als in<br />

Deutschland, meine Lebenshaltungskosten<br />

geringer.<br />

SPANIEN<br />

ANDRÉS TOLÓN, 27,<br />

JOURNALIST AUS SEVILLA<br />

Ich weiß, worauf ich mich einlasse in<br />

Deutschland. Ich habe mein Abi auf<br />

der Deutschen Schule in Sevilla gemacht.<br />

Später ging ich für ein Erasmus-Jahr<br />

nach Braunschweig, dann gab es noch<br />

ein halbjähriges Praktikum in Berlin.<br />

Jetzt bin ich zusammen mit meiner Freundin<br />

nach Frankfurt gezogen und suche<br />

einen Job.<br />

Deutschland hat viel Natur, riesige Wälder.<br />

Vor allem mag ich diese Ernsthaftigkeit,<br />

mit der man in Deutschland arbeitet.<br />

Die Deutschen arbeiten gut und methodisch.<br />

Wenn etwas heute fertig werden<br />

muss, wird es auch tatsächlich fertig. Man<br />

hält sich an die Regeln. Und die Gehälter<br />

sind viel höher als in Spanien.<br />

Die Regelhörigkeit kann natürlich<br />

manchmal auch nerven. Zum Beispiel finde<br />

ich es leicht übertrieben, wie die Deutschen<br />

stur an roten Fußgängerampeln stehen<br />

bleiben, auch wenn weit und breit kein<br />

Auto zu sehen ist. Aber daran gewöhnt<br />

man sich.<br />

n<br />

alexander busch, karin finkenzeller, martin fritz,<br />

anne grüttner, maxim kreev, philipp mattheis, silviu mihai,<br />

mathias peer, martin seiwert | perspektiven@wiwo.de<br />

100 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS?<br />

REZA VAZIRI<br />

Vorsitzender der<br />

Geschäftsführung von<br />

3M Deutschland<br />

Aktien oder Gold?<br />

Aktien, Immobilien und Gold<br />

als ausgewogene Anlage.<br />

Cabrio oder SUV?<br />

SUV, weil viel praktischer.<br />

Apartment oder Villa?<br />

Top-Lage ist ausschlaggebend!<br />

Wenn es dann noch<br />

geht, die Villa!<br />

Fitnessstudio oder Waldlauf?<br />

Weder noch, Handball<br />

schauen und Spa.<br />

Paris oder London?<br />

London, nicht wegen des<br />

Essens, aber wegen der<br />

Premier League.<br />

Dusche oder Wanne?<br />

Dusche, aber mit Regenbrause.<br />

Nass oder trocken rasieren?<br />

Weder noch!<br />

Maßschuhe oder Sneakers?<br />

Maßschuhe, trotz amerikanischen<br />

Konzerns.<br />

Rotwein oder Weißwein?<br />

Rotwein, ist besser für die<br />

Gesundheit.<br />

Jazz oder Klassik?<br />

Jazz, für mich keine Frage.<br />

Mountainbike oder Rennrad?<br />

Weder noch, gutes Essen!<br />

Tee oder Kaffee?<br />

Kaffee morgens und mittags,<br />

Tee am Nachmittag.<br />

FOTOAUSSTELLUNG IN BERLIN<br />

Andere Länder, andere Ziele<br />

Wer ist das Ziel, wer soll getroffen werden? Diese Frage stellt sich automatisch<br />

jeder Betrachter, der die Sammlung von Fotografien sieht, die unter dem Titel<br />

„Targets“ das Historische Museum Berlin <strong>vom</strong> 9. Mai an zeigt. Die Fotografin<br />

Herlinde Koelbl hat sich mit der militärischen Ausbildung beschäftigt und<br />

innerhalb von sechs Jahren in 25 Ländern die Ziele für die Schießübungen von<br />

Soldaten fotografiert. Truppenplätze von Äthiopien über Norwegen bis in den<br />

USA waren ihr künstlerischer Jagdgrund. dhm.de<br />

JAZZFESTIVAL<br />

Moerser Töne<br />

Die Chance, in wenigen Tagen<br />

neue Strömungen im Jazz kennenzulernen,<br />

ist seit Jahren sehr<br />

groß beim Moers Festival. In der<br />

43. Auflage <strong>vom</strong> 6. bis 9. Juni<br />

werden die Konzerte nach Jahren<br />

im Zirkuszelt nun erstmals<br />

in der neuen Festivalhalle aufgeführt.<br />

Schwerpunkt dieses Jahr<br />

sind große Ensembles, gleich<br />

sieben Stück aus Finnland, Norwegen,<br />

Frankreich, den USA,<br />

Brasilien und Israel reisen an,<br />

unter anderem das Orchestre<br />

National de Jazz. Als Kontrapunkt<br />

treten vier Duos mit<br />

Schlagzeugbeteiligung auf. Programm<br />

unter moers-festival.de<br />

THE NEW YORKER<br />

„We loved Tuscany. The cell reception was fantastic<br />

and the Wi-Fi was to die for.“<br />

FOTOS: HERLINDE KOELBL, ROLFES, CARTOON: ROBERT MANKOFF/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

102 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />

Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | Großbritannien GBP5,40 | Italien €6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

Leserforum<br />

Nadelstreifen hinter Gittern<br />

Was Manager im Knast erleben<br />

Geld&Börse<br />

Steuern sparen: Wie Sie von neuen<br />

Regeln und laufenden Gerichtsverfahren<br />

profitieren. Heft 16/<strong>2014</strong><br />

Hilfreich<br />

Alle Jahre wieder behandelt die<br />

WirtschaftsWoche dieses so<br />

wichtige Thema. Wer verzichtet<br />

denn schon gerne freiwillig auf<br />

den mühsam erarbeiteten Euro!<br />

Auch wenn vieles schon bekannt<br />

sein dürfte, sind die kurz<br />

aufbereiteten 25 Tipps nützlich.<br />

Für Anleger dürfte die Möglichkeit<br />

besonders interessant sein,<br />

Altverluste zu verrechnen.<br />

Von der doppelten Haushaltsführung<br />

über das Kindergeld<br />

bis hin zu Tipps für Vermieter<br />

haben Sie alles sehr kompakt<br />

und übersichtlich aufbereitet.<br />

Kompliment, eine sehr hilfreiche<br />

und zudem lesenswerte<br />

Lektüre.<br />

Heinz Diepholz<br />

via E-Mail<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Welche Folgen hat der Mindestlohn<br />

für die neuen Bundesländer.<br />

Heft 16/<strong>2014</strong><br />

16<br />

14 Seiten Energiespezial<br />

So bleibt unser Strom bezahlbar<br />

Steuern sparen –<br />

ganz ehrlich<br />

25 Tipps für Ihre Steuererklärung<br />

14.3.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />

1 6<br />

4 1 98065 805008<br />

Selbst bezahlen<br />

Ich wage die Behauptung, dass<br />

die Bezieher von Mindestlöhnen<br />

diese werden selbst bezahlen<br />

müssen. Denn gerade sie<br />

gehören zu den Verbrauchern,<br />

die überwiegend Leistungen<br />

von Unternehmen im Billiglohnsektor<br />

beziehen. Oder will<br />

jemand annehmen wollen, dass<br />

Arbeitgeber die steigenden<br />

Lohnkosten ohne Preiserhöhung<br />

selbst, von einem imaginären<br />

Gewinn oder Vermögen<br />

tragen?<br />

Friedemann Ungerer<br />

Wahlendow (Mecklenburg-Vorpommern)<br />

WirtschaftsWoche/Spezial<br />

Eine Exklusivstudie zeigt, wie die<br />

Energiewende billiger zu haben ist.<br />

Heft 16/<strong>2014</strong><br />

Zerschreddert<br />

„Grüne“ Stromerzeugung ist<br />

nicht sauber, sondern zerstört<br />

durch ihren enormen Landschaftsverbrauch<br />

von Zigtausenden<br />

Quadratkilometern die<br />

Natur, zerschreddert Vögel,<br />

bedroht die Artenvielfalt und<br />

ersetzt dennoch kein einziges<br />

thermisches Kraftwerk. Auch<br />

Herstellung, Bau, Montage und<br />

Wartung dieser Anlagen ist alles<br />

andere als „sauber“.<br />

Prof. Dr.-Ing Jürgen Althoff<br />

St. Wendel (Saarland)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Innovation: Zwölf ungewöhnliche<br />

Ideen, die Deutschland weiterbringen.<br />

Heft 15/<strong>2014</strong><br />

Überfordert<br />

Unter den zwölf Ideen für<br />

Deutschland sind sicher einige<br />

interessante Vorschläge. Bloß<br />

darauf, unsere hoch bezahlten<br />

Volksvertreter so, wie es jedem<br />

Selbstständigen selbstverständlich<br />

ist, an der finanziellen<br />

Verantwortung wenigstens an<br />

den gröbsten Fehlern zu beteiligen,<br />

das überfordert offenbar<br />

die Kreativität. Da werden Bundesminister,<br />

die 500 Millionen<br />

in den Sand setzen, zur Belohnung<br />

zum Innenminister<br />

befördert.<br />

Günther Sigle<br />

Fichtenberg (Baden-Württemberg)<br />

Einblick<br />

Chefredakteur Roland Tichy über<br />

Innovationen und die neuesten<br />

Trends. Heft 15/<strong>2014</strong><br />

Umdenken<br />

Auf den Punkt bringt es Roland<br />

Tichy. Es sind nicht die Innovationen,<br />

an denen es Deutschland<br />

mangelt, sondern die<br />

anschließende Finanzierung<br />

und gewinnbringende Verwertung<br />

derselben. In unserem<br />

mittelständischen Unternehmen<br />

werden Innovationen, die<br />

nicht binnen kurzer Zeit dreistelligen<br />

Umsatz generieren,<br />

wieder aufgegeben. Bezeichnend<br />

ist das Beispiel des Fraunhofer-Instituts,<br />

das zwar den<br />

Audiostandard MP3 entwickelte,<br />

aber die gewinnbringenden<br />

Stückzahlen werden in den USA<br />

produziert. Da müsste bei der<br />

deutschen Industrie ein Umdenken<br />

stattfinden.<br />

Erik Schneider<br />

Frankfurt am Main<br />

Bremser<br />

In der Summe pflichte ich den<br />

Ausführungen von Roland<br />

Tichy unumwunden bei. In der<br />

Tat ist die deutsche Wirtschaft<br />

eine der leistungsfähigsten der<br />

Welt. Nicht zuletzt das Zusammenspiel<br />

zwischen den Unternehmen,<br />

über Jahrzehnte<br />

gepflegt und gewachsen, generierte<br />

es. Doch über die Jahre<br />

beobachte ich mit großem Entsetzen,<br />

dass sich die Politik mit<br />

ihrem Beamtenapparat als<br />

Bremser statt als Förderer zeigt.<br />

Die von uns so geschätzte soziale<br />

Marktwirtschaft nach Ludwig<br />

Erhard ist längst passé. Es fehlt<br />

die Ausgewogenheit der Wirtschaftspolitik,<br />

mit ordnungspolitischem<br />

Weitblick.<br />

Karl Heinz Schmehr<br />

Lampertheim (Hessen)<br />

Wissen sammeln<br />

Für „Big Data“ ist allenfalls der<br />

Name innovativ. Viel spannender<br />

ist „Big Wisdom“ – eine tatsächlich<br />

innovative Recherche-<br />

Technik, die nicht mehr nach<br />

einzelnen Stichworten oder<br />

Datenbankinhalten sucht, sondern<br />

genau wie ein guter Rechercheur<br />

assoziativ Wissen<br />

sammelt. Sie verkürzt damit die<br />

für gründliche Recherchen nötige<br />

Zeit, sei es im Internet oder<br />

in großen proprietären Dokumentenbasen,<br />

von Monaten auf<br />

etwa eine halbe Stunde. Interessanterweise<br />

propagierte schon<br />

der Erfinder des Elektronenrechners,<br />

Konrad Zuse, in Vorträgen<br />

und Veröffentlichungen<br />

diesen Gedanken. Aber damals<br />

überstieg er bei Weitem die<br />

Möglichkeiten der Rechentechnik<br />

und der verfügbaren Netztechnologie.<br />

Heute ist das nicht<br />

mehr der Fall.<br />

Dr. Peter Schupp<br />

Hoyerswerda (Sachsen)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Justiz: Die fragwürdigen Nebenverdienste<br />

deutscher Richter.<br />

Heft 14/<strong>2014</strong><br />

Qualitätsverlust<br />

Ich danke Ihnen sehr für diesen<br />

nötigen Artikel und möchte die<br />

Aufzählung der Nebentätigkeiten<br />

noch ergänzen: Treuhänder<br />

für Banken und Versicherungen,<br />

Abgeordnete in Kommunalparlamenten<br />

und Herausgeber von<br />

Fachzeitschriften. Als Leiter von<br />

betrieblichen Einigungsstellen<br />

haben gemäß dem hessischen<br />

Ministerium der Justiz im Jahr<br />

2012 elf Arbeitsrichter jeweils<br />

zwischen 25 500 und 49 564 Euro<br />

verdient. Diese vielen Nebentätigkeiten<br />

gefährden die richterliche<br />

Unabhängigkeit. Dass ein<br />

Teil der Arbeitskraft zweckentfremdet<br />

wird, kann zudem zu einem<br />

Qualitätsverlust der richterlichen<br />

Entscheidungen führen.<br />

Die Nebentätigkeiten vertragen<br />

sich auch nicht mit der Behauptung<br />

der Richterschaft, sie<br />

sei mit richterlichen Aufgaben<br />

überlastet. Der Bundesjustizminister<br />

und die Justizminister<br />

der Länder sind gefordert, richterliche<br />

Nebentätigkeiten, die zu<br />

Interessenkollisionen führen<br />

können, zu untersagen.<br />

Horst Trieflinger<br />

Frankfurt<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

Postfach 10 54 65<br />

40<strong>04</strong>5 Düsseldorf<br />

E-Mail: leserforum@wiwo.de<br />

Bei Zuschriften per E-Mail bitten wir<br />

um Angabe Ihrer Postadresse.<br />

TITELFOTO: PRISMA/WAVEBREAK MEDIA<br />

1<strong>04</strong> Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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Firmenindex<br />

Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

Gegründet <strong>19</strong>26<br />

Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart<br />

40<strong>04</strong>5 Düsseldorf, Postfach 105465,<br />

(für Briefe)<br />

40213 Düsseldorf, Kasernenstraße 67,<br />

(für Pakete, Päckchen und Frachtsendungen)<br />

Fon (0211) 887–0, E-Mail wiwo@wiwo.de<br />

REDAKTION<br />

Chefredakteur Roland Tichy<br />

Stellvertretende Chefredakteure Henning Krumrey,<br />

Franz W. Rother<br />

Geschäftsführende Redakteurin/Chefin <strong>vom</strong> Dienst<br />

Angela Kürzdörfer<br />

Creative Director/Leiter Produktentwicklung Holger Windfuhr<br />

Chefreporter Dieter Schnaas<br />

Chefreporter international Florian Willershausen<br />

Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

Thomas Stölzel, Oliver Voß<br />

Politik & Weltwirtschaft Konrad Handschuch; Bert Losse,<br />

Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Nele Hansen, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />

Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />

Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen, Management:<br />

Julia Leendertse*<br />

Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />

(Dossiers), Wolfgang Kempkens (Autor)*, Susanne Kutter,<br />

Andreas Menn, Jürgen Rees<br />

Management & Erfolg Manfred Engeser; Lin Freitag, Daniel Rettig,<br />

Kristin Schmidt, Claudia Tödtmann<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Christof Schürmann, Frank Doll,<br />

Martin Gerth, Stefan Hajek, Niklas Hoyer, Sebastian Kirsch,<br />

Dr. Anton Riedl<br />

Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

Dr. Christopher Schwarz (Reporter)<br />

Layout Svenja Kruse (stv. AD); Beate Clever, Karin Heine,<br />

Claudia Immig, Horst Mügge<br />

Bildredaktion Silke Eisen; Lena Flamme, Patrick Schuch<br />

Syndication wiwo-foto.de<br />

Bildbearbeitung Uwe Schmidt<br />

Informationsgrafik Anna Tabea Hönscheid, Konstantin Megas,<br />

Carsten Stollmann, Gerd Weber<br />

Schlussredaktion Martina Bünsow; Dieter Petzold<br />

Produktion Markus Berg, Petra Jeanette Schmitz<br />

BÜROS<br />

Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

Christian Schlesiger, Dieter Schnaas, Cordula Tutt (Autorin)<br />

Askanischer Platz 3, 10963 Berlin,<br />

Fon (030) 61686–121, Fax (030) 61686–170<br />

Brüssel Silke Wettach*, 13b, Av. de Tervuren, B-1<strong>04</strong>0 Bruxelles,<br />

Fon (00322) 2346452, Fax (00322)2346459<br />

E-Mail silke.wettach@wiwo.de<br />

Frankfurt<br />

Melanie Bergermann (Reporterin), Florian Zerfaß<br />

Unternehmen & Märkte Mark Fehr, Cornelius Welp,<br />

Politik & Weltwirtschaft Angela Hennersdorf<br />

Geld & Börse Hauke Reimer; Annina Reimann, Heike Schwerdtfeger<br />

Eschersheimer Landstraße 50, 60322 Frankfurt<br />

Fon (069) 2424–4903, Fax (069) 2424594903<br />

London Yvonne Esterházy*, 1 Mansel Road,<br />

London SW<strong>19</strong> 4AA, Fon (0<strong>04</strong>4) 2089446985,<br />

E-Mail yvonne.esterhazy@wiwo.de<br />

München Matthias Kamp, Nymphenburger Straße 14,<br />

80335 München, Fon (089) 545907–28, Fax (0211) 887–978718<br />

New York Martin Seiwert, 44 Wall Street, 7 th floor, Suite 702,<br />

New York, NY 10005, Fon (001) 6465900672<br />

E-Mail martin.seiwert@wiwo.de<br />

Paris Karin Finkenzeller*, 21 Boulevard de la Chapelle,<br />

75010 Paris, Fon (0033) 695929240<br />

E-Mail karin.finkenzeller@wiwo.de<br />

São Paulo Alexander Busch*, R. Otavio de Moraes<br />

Dantas, N.° 15, apto. <strong>04</strong> – Vila Marina, CEP <strong>04</strong>012–110<br />

São Paulo, Brasilien, Fon/Fax (005511) 50281112,<br />

E-Mail alexander.busch@wiwo.de<br />

Shanghai Philipp Mattheis*, 100 Changshu Lu, No 2/App. 105,<br />

200<strong>04</strong>0 Shanghai,<br />

Fon (0086137) 64118414,<br />

E-Mail philipp.mattheis@wiwo.de<br />

Silicon Valley Matthias Hohensee*, 809 B Cuesta Drive # 147,<br />

Mountain View, CA 94<strong>04</strong>0,<br />

Fon (001650) 9629110,<br />

E-Mail matthias.hohensee@wiwo.de<br />

Tokio Martin Fritz*, c/o Foreign Correspondents’ Club of Japan<br />

Yurakucho Denki North Building 20F, Yurakucho 1–7–1, Chiyoda-ku,<br />

100–0006 Tokyo, Japan<br />

Fon/Fax (008150) 36435446,<br />

E-Mail martin.fritz@wiwo.de<br />

(*Freie/r Mitarbeiter/in)<br />

Verantwortlich für diese <strong>Ausgabe</strong> i.S.d.P.<br />

Konrad Handschuch (Politik&Weltwirtschaft, Der Volkswirt),<br />

Reinhold Böhmer (Unternehmen&Märkte), Hauke Reimer<br />

(Geld&Börse), Manfred Engeser (Management&Erfolg),<br />

Thorsten Firlus (Perspektiven&Debatte), Hermann J. Olbermann<br />

(Menschen der Wirtschaft), Lothar Kuhn (Technik&Wissen)<br />

ONLINE<br />

Leitung Franziska Bluhm<br />

Chefin <strong>vom</strong> Dienst Dr. Silke Fredrich<br />

Redaktion Rebecca Eisert, Stephan Happel, Ferdinand Knauß, Saskia<br />

Littmann, Meike Lorenzen, Tim Roman Rahmann, Andreas Toller<br />

E-Mail online@wiwo.de<br />

VERLAG<br />

Handelsblatt GmbH<br />

(Verleger im Sinne des Presserechts)<br />

Geschäftsführung Jörg Mertens, Claudia Michalski, Gabor Steingart<br />

Abonnement/Vertriebsservice<br />

Kundenservice WirtschaftsWoche<br />

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65,00 Euro. Vorzugspreis für Schüler und Studenten Inland (gegen<br />

Nachweis) 169,00 Euro, bei vierteljährlicher Zahlung 45,90 Euro.<br />

Abopreis Ausland 321,90 Euro, für Schüler und Studenten<br />

(gegen Nachweis) 232,90 Euro, zuzüglich MwSt. in den EU-Ländern.<br />

Luftpostzuschläge auf Anfrage.<br />

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e.V. (bdvb) erhalten die WirtschaftsWoche im Rahmen Ihres Mitgliedsbeitrags<br />

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Studentische Mitglieder des Bundesverbandes der Börsenvereine<br />

an Deutschen Hochschulen (BVH) erhalten die WirtschaftsWoche im<br />

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Mitglieder des EWH – Europäischer Wirtschaftsverband für<br />

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im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

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Woche zum Mitglieds-Sonderpreis.<br />

Mitglieder des VDE – Verband der Elektrotechnik, Elektronik,<br />

Informationstechnik e.V. erhalten die WirtschaftsWoche zum Mitglieds-<br />

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Young Professionals des BME – Bundesverband Materialwirtschaft,<br />

Einkauf und Logistik e.V. erhalten das Wirtschafts-Woche eMagazin im<br />

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Mitglieder des b.b.h. – Bundesverband selbständiger Buchhalter<br />

und Bilanzbuchhalter erhalten die WirtschaftsWoche im Rahmen ihrer<br />

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<strong>Wirtschaftswoche</strong> (USPS no 0009592) is published weekly by Handelsblatt GmbH. Subscription price for USA is $270 per annum.<br />

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Die Angaben bezeichnen den<br />

Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

Accenture........................................... 29<br />

Aida Cruises........................................ 29<br />

Airbus................................................. 29<br />

Alstom................................................ 46<br />

Amazon...............................................29<br />

Andreesen Horowitz.............................71<br />

Apple............................................ 29, 62<br />

Arthur D. Little.....................................29<br />

Aurelius.............................................. 56<br />

Avocado Store.....................................76<br />

B<br />

BASF.............................................29, 52<br />

Bayer.................................................. 52<br />

BB Biotech..........................................82<br />

BBE.................................................... 29<br />

Roland Berger..................................... 29<br />

Bertelsmann........................................29<br />

Boeing................................................ 29<br />

C<br />

Calpers............................................... 71<br />

CB Insights..........................................71<br />

CBRE.................................................. 29<br />

Celebrity Cruise Line............................29<br />

Coca-Cola........................................... 94<br />

Columbia Capital................................. 46<br />

Connectis............................................56<br />

Crowell & Moring................................. 46<br />

CTS Eventim........................................82<br />

D<br />

Daimler Financial Services................... 46<br />

Deka................................................... 56<br />

Deloitte...............................................56<br />

Deutsche Bank....................................46<br />

Deutsche Lufthansa.............................29<br />

Deutsche Telekom.........................46, 62<br />

Devas..................................................49<br />

Disney.................................................29<br />

DMG Mori Seiki....................................82<br />

Drescher & Cie ImmoConsult................96<br />

E<br />

E.On....................................................52<br />

E-Bility................................................75<br />

Evonik.................................................52<br />

F<br />

Facebook............................................ 71<br />

First Auto Works.................................. 12<br />

Fortis.................................................. 46<br />

Fraport................................................46<br />

Fuchs Petrolub.................................... 82<br />

G<br />

Gelsenwasser......................................46<br />

Google.....................................29, 62, 71<br />

Grenkeleasing..................................... 82<br />

H<br />

High-Tech Gründerfonds......................77<br />

HypoVereinsbank.................................79<br />

I<br />

IAV......................................................12<br />

Ibis Style............................................. 10<br />

IKB....................................................... 9<br />

J<br />

Jungheinrich....................................... 82<br />

K<br />

Kartell.................................................16<br />

Kleiner Perkins.................................... 71<br />

L<br />

Leoni...................................................82<br />

Lone Pine............................................50<br />

Lone Star.............................................. 9<br />

M<br />

M+W Group.........................................52<br />

Meag...................................................97<br />

Meine Möbelmanufaktur......................75<br />

Methanex............................................46<br />

Meyer Werft........................................ 29<br />

Microsoft.......................................62, 71<br />

Missoni............................................... 10<br />

Mitsubishi Heavy Industries................. 29<br />

Mohr Davidow..................................... 71<br />

Motel One........................................... 10<br />

MyParfum........................................... 60<br />

N<br />

Nest Labs............................................71<br />

Netflix.................................................29<br />

9Live...................................................60<br />

Norwegian Cruise Line......................... 29<br />

O<br />

OpenBiome......................................... 68<br />

Opower............................................... 71<br />

Osborne Clarke....................................77<br />

P<br />

Park Inn.............................................. 10<br />

Pfeiffer Vacuum...................................82<br />

Philip Morris........................................50<br />

Ping An............................................... 46<br />

ProSiebenSat.1................................... 60<br />

R<br />

Radisson Blu....................................... 10<br />

RAG-Stiftung.......................................52<br />

Regent................................................ 10<br />

Rezidor............................................... 10<br />

Rödl & Partner.....................................56<br />

RTL.....................................................29<br />

RWE....................................................48<br />

S<br />

SAP.....................................................29<br />

Sartorius............................................. 82<br />

Schaltbau............................................82<br />

Secomba.............................................79<br />

SevenVentures.................................... 60<br />

Siemens..............................................46<br />

Simon Kucher......................................29<br />

Singulus.............................................. 94<br />

STX Europe..........................................29<br />

T<br />

Telecom Ventures................................46<br />

Tesla.............................................29, 71<br />

thjnk................................................... 77<br />

TUI Cruises..........................................29<br />

Twitter................................................ 76<br />

U<br />

Uber................................................... 12<br />

V<br />

Vapiano...............................................10<br />

Vattenfall.................................46, 47, 50<br />

Vivawest............................................. 52<br />

Volkswagen................................... 12, 29<br />

W<br />

Walter Bau.......................................... 46<br />

Whatsapp............................................71<br />

WhyOwnIt........................................... 76<br />

Wintershall..........................................46<br />

WPP....................................................29<br />

Y<br />

Yahoo..................................................29<br />

YouTube.............................................. 29<br />

Z<br />

ZellBios...............................................52<br />

Zhongding...........................................12<br />

Zynga..................................................12<br />

WirtschaftsWoche <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> Nr. 17 105<br />

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Ausblick<br />

„Am 1. Januar 2016 wird<br />

die Pkw-Maut scharf gestellt.<br />

Und am 1. Juli 2018<br />

kommt die Lkw-Maut auf allen<br />

Bundesstraßen.“<br />

Alexander Dobrindt<br />

Bundesverkehrsminister (CSU)<br />

„Das Projekt Rente mit 63<br />

ist komplett falsch, und ich sehe<br />

auch keine Kompromisslösung.“<br />

Eric Schweitzer<br />

Präsident des Deutschen Industrieund<br />

Handelskammertages<br />

„Wenn wir die Niederländer<br />

auf ihren Ausflügen ins<br />

Sauerland abkassieren, wird es<br />

nicht lange dauern, bis sie<br />

uns auf dem Weg zur Nordseeküste<br />

zur Kasse bitten.“<br />

Michael Groschek<br />

Verkehrsminister in Nordrhein-<br />

Westfalen (SPD), zur Einführung von<br />

Mautgebühren<br />

„Wir dürfen uns durch die<br />

Erfolge nicht <strong>vom</strong> richtigen Weg<br />

abbringen lassen. Die größte<br />

Gefahr ist, dass man sich auf<br />

seinen Erfolgen ausruht.“<br />

Wolfgang Schäuble<br />

Bundesfinanzminister (CDU), zum<br />

Reformkurs in Europa<br />

„Der Aufschwung geht weiter,<br />

er ist moderat.“<br />

Mario Draghi<br />

Präsident der Europäischen Zentralbank<br />

(EZB), über die wirtschaftliche<br />

Entwicklung in der Euro-Zone<br />

„Zu viel Leiden,<br />

zu wenig Hoffnung –<br />

das ist die Lage Frankreichs.“<br />

Manuel Valls<br />

Frankreichs neuer Premierminister<br />

„Ich bin nicht abhängig von<br />

Politik, ich habe was Ordentliches<br />

gelernt. Ich könnte auch<br />

wieder zurück in die Wirtschaft.<br />

Das gibt eine Menge Freiheit.<br />

Ich habe keine Leichen im<br />

Keller. Mir kann keiner was.“<br />

Hannelore Kraft<br />

Ministerpräsidentin von Nordrhein-<br />

Westfalen (SPD) und frühere<br />

Unternehmensberaterin<br />

„Die große Koalition spielt nicht<br />

,Wünsch dir was‘<br />

nach den Regeln des CDU-<br />

Wirtschaftsrates.“<br />

Ralf Stegner<br />

stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender,<br />

über Nachverhandlungen<br />

bei der Rente mit 63<br />

»Der Hochgeschwindigkeitszug<br />

zur Treibhausgasminderung<br />

muss jetzt schnell abfahren, und die<br />

Welt muss darauf aufspringen.«<br />

Rajendra Pachauri<br />

Vorsitzender des Weltklimarats (IPCC)<br />

„Meine Söhne sind froh, dass<br />

der Papa ihnen den Rücken<br />

fürs operative Geschäft freihält.<br />

Ich bin so etwas wie die Allzweckwaffe<br />

für meine Familie.“<br />

Dirk Roßmann<br />

Gründer und Geschäftsführer der<br />

Drogeriemarktkette Rossmann<br />

„Wir haben das Ergebnis erzielt,<br />

dass wir weiter diskutieren.“<br />

Rainer Bretschneider<br />

Vize-Aufsichtsratschef des neuen<br />

Berliner Flughafens BER, zum Streit<br />

über zusätzliche Kosten von<br />

1,1 Milliarden Euro<br />

„Die Bekleidungsindustrie<br />

trägt viel dazu bei, die Armut in<br />

diesem armen Land zu lindern.“<br />

Karl-Johan Persson<br />

Chef des schwedischen Modekonzerns<br />

Hennes & Mauritz (H&M), zur<br />

Produktion in Bangladesch<br />

„Langfristiges Ziel muss sein,<br />

dass wir den politischen<br />

und wirtschaftlichen Kollaps<br />

der Ukraine verhindern<br />

und dafür sorgen, dass diese<br />

Ukraine als Land beieinanderbleibt.<br />

Das ist schwieriger,<br />

als sich viele vorstellen.“<br />

Frank-Walter Steinmeier<br />

Bundesaußenminister (SPD)<br />

„Wer diese Gefahr nicht<br />

erkennt, ist taub und blind.“<br />

Jean-Claude Juncker<br />

Spitzenkandidat der konservativen<br />

Europäischen Volkspartei (EVP) für<br />

die Europawahl, über das soziale<br />

Ungleichgewicht in der EU<br />

„Ein großer Teil der modernen<br />

Technik irritiert mich. Was sind<br />

das für Menschen, die mit iPads<br />

in Konzerte kommen und dann<br />

alles filmen? Die schauen sich<br />

gar nicht mehr die Show an,<br />

sondern starren nur noch auf<br />

ihr iPad! Das ist doch krank.“<br />

Elton John<br />

britischer Sänger und Komponist<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

106 Nr. 17 <strong>19</strong>.4.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />

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