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Hanö Poelzig, Berlin Festspielnaxis in Salzburg

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Das Wesen der Form <strong>in</strong> der maiscnen<br />

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£>auikunst.<br />

Die Abbildung S. 285 gibt e<strong>in</strong>e Pagode <strong>in</strong> Coconada, S. 286 <strong>in</strong> Conjeevaram. Welches ist die<br />

Struktur? Denken -wir zum Vergleich an die Säulenhallen griechischer Tempel, die Pfeilerräume<br />

gotischer Dome, das Eisengerüst des Eiffelturms: Hier ist nichts von alledem; wir haben e<strong>in</strong>e<br />

zusammenhängende Masse vor uns. Wie Ausschwellungen e<strong>in</strong>er kompakten Masse ersche<strong>in</strong>en die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Glieder, und doch darf man nicht Glieder sagen, weil diese immer etwas relativ Selbständiges<br />

haben, hier ist aber ke<strong>in</strong>e Trennung zwischen Kern Und Außengehale, sondern alles ist<br />

mite<strong>in</strong>ander verwachsen, untrennbare E<strong>in</strong>heit und Zusammenhang. Wie Risse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dicken Haut<br />

ersche<strong>in</strong>en die Schattenl<strong>in</strong>ien, von autfen nach <strong>in</strong>nen; unser Auge bleibt an der Oberfläche, kann<br />

nicht wie bei Gerüstbauten <strong>in</strong> die Tiefe dr<strong>in</strong>gen, fühlt aber die Masse. Auch wenn e<strong>in</strong> Bau aus<br />

mehreren Blöcken besteht wie der Ballora-Tempel, S. 287, haben wir den E<strong>in</strong>druck des völligen<br />

Verwachsense<strong>in</strong>s, nicht den von äußerlich zusammengesetzten Blöcken.<br />

Nun die Behandlung der Oberfläche. Glatte Flächen wie bei den Dächern des 2, und 4. Baues auf<br />

Abbildung S. 288 s<strong>in</strong>d selten, fast immer herrscht e<strong>in</strong>e verwirrende Vielheit von E<strong>in</strong>zelheiten. Gewiß<br />

gibt es Abschnitte, Abbildung S, 285; wieviel s<strong>in</strong>d es eigentlich? E<strong>in</strong>e große Anzahl, mehr als man mit<br />

e<strong>in</strong>em Blick zählen kann; man soll sie auch gar nicht zählen, sondern den E<strong>in</strong>druck der Vielheit<br />

haben. Und dann s<strong>in</strong>d sie alle von völlig gleicher Form; es kommt nicht zu e<strong>in</strong>er Hervorhebung von<br />

Hauptl<strong>in</strong>ien, die die anderen beherrschen, sondern zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>ordnung aller <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Vielheit gleichberechtigter.<br />

Weiter werden die größeren Abschnitte geteilt <strong>in</strong> immer kle<strong>in</strong>ere und kle<strong>in</strong>ste Teilchen,<br />

und zwar "wieder durch Häufung immer gleicher Elemente. Dabei lösen sich aber z. B. die vier<br />

Türmchen oder wie man sie nennen will, die, seitlich vom Mittelteil, die Stufen von Coconada füllen,<br />

nicht vone<strong>in</strong>ander, sondern umziehen den Bau wie e<strong>in</strong> sich buchtendes Band. Der Mittelteil greift<br />

über die wagerechten Teilungen der Stufen über, macht sie zunichte. Es ist e<strong>in</strong> Verflechten und<br />

Verweben der e<strong>in</strong>zelnen Elemente <strong>in</strong>e<strong>in</strong>ander. Besonders bei der Pagode von Gonjeevaram fehlt<br />

jegliche feste ungebrochene gerade L<strong>in</strong>ie; noch e<strong>in</strong>e senkrechte Teilung tritt h<strong>in</strong>zu, so daß man den<br />

E<strong>in</strong>druck e<strong>in</strong>er gekräuselten Oberfläche erhält. Und immer wieder die Gleichheit der gehäuften<br />

Teile; dazu noch e<strong>in</strong> Wechsel von Hell und Dunkel, aber auch er immer gleich.<br />

Malerisch ist man versucht e<strong>in</strong>en solchen Bau zu nennen, aber man muß doch diesen Begriff<br />

vermeiden, denn er ist von der europäischen Kunst abgeleitet, <strong>in</strong> der die Formpr<strong>in</strong>zipien der Auflösung<br />

und Verflechtung, die man als malerische bezeichnet, e<strong>in</strong>en grundverschiedenen E<strong>in</strong>druck hervorrufen;<br />

sie dienen, um Bewegung zu erzeugen, <strong>in</strong> der <strong>in</strong>dischen Kunst dagegen geben sie Ruhe. Dies ist der<br />

Begriff für die Charakterisierung der Spannungsenergie, die als drittes noch untersucht werden muß.<br />

Sehen wir die Dächer der Tempel, Abbildung S. 288, besonders von S. 286 und S. 288. Man gleitet <strong>in</strong><br />

europäischer Gewöhnung die Dachl<strong>in</strong>ie mit dem Auge entlang, aber man hat nicht das Gefühl des Gezogenwerdens,<br />

eher des Anhaltens und Haftens an jeder beliebigen Stelle, nicht nur an der aufgesetzten<br />

Spitze, die nur schließt, nicht weiter weist wie <strong>in</strong> der Gotik. Streicht man über die Fläche,so fühlt man<br />

nicht e<strong>in</strong>e scharfe Festigkeit und kristall<strong>in</strong>ische Undurchdr<strong>in</strong>glichkeit,wie sie die ägyptische Kunst hat;<br />

auch Elastizität ist nicht das richtige Wort, da es e<strong>in</strong>e potenzielle Kraft ausdrückt, vielmehr ist es<br />

e<strong>in</strong> passives Beharren wie bei Gallert oder dickfleischigen Pflanzen, nicht Totheit und Starrheit,<br />

sondern Beharrungsvermögen e<strong>in</strong>es organischen Körpers* Wie s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zelnen gleichen Abschnitte<br />

von Abbildung S.285 über e<strong>in</strong> andergesetzt? Es gibt ke<strong>in</strong> Lasten und Stemmen, ke<strong>in</strong> »B<strong>in</strong>den«, sondern e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>faches Übere<strong>in</strong>anderse<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Zusammenpassen: jeder Teil ist an se<strong>in</strong>em Ort, bleibend, unverrückt, ohne<br />

das Bestreben überzuquellen, zu drücken oder zu tragen; es gibt nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches »da« se<strong>in</strong>, Ist die<br />

Oberfläche auch noch so aufgelöst, die Fülle der Teile auch noch so groß, Abbildung S.286 und S.289,<br />

so wirkt sie doch nicht auf das Auge bewegend, sondern betäubend, also beruhigend. Aus den<br />

gleichen tiefsten Gründen wie die Kunst steigt auch die Religion empor, daher ist es ke<strong>in</strong> Zufall,<br />

daß die Inder als religiöses Symbol den Lotus haben, ihren Kuppeln Lotusform geben: Orbis pictus 1,<br />

Indische Baukunst, Abbildung 37. Haben nicht auch die Formen der Kunst die gleiche weiche<br />

Massigkeit wie das Lotusblatt? Auch das AVachsen der Pflanze sieht man nicht, bleibend sche<strong>in</strong>en<br />

die Formen, aber man fühlt das organische Leben, Die Fülle gleicher Teile und deren Zusammenhalt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em massigen Ganzen f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> der Kunst und dem auf dem Wasser unbeweglich<br />

schwimmenden Lotus, und die Ruhe, <strong>in</strong> der der Inder die Erlösung sucht. Kurt Müller.<br />

Die Abbildungen S.285—289 s<strong>in</strong>d dem I.Bande der Sammlung * Orbis pictus« : Paul Westneim,IndiscncBaukunst,6.— lO.Tausend,<br />

<strong>Berl<strong>in</strong></strong>* Ernst Wannuth A.-G., entnommen,<br />

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