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Politik - 17<br />

also auch Wi<strong>de</strong>rstand im Rechtsstaat”. (siehe hierzu:<br />

Deutscher Richterbund Nordrhein-Westfalen, Heft<br />

Nr. 127 vom Juni 2001, Seite 6) Wohlgemerkt, er re<strong>de</strong>t<br />

von Wi<strong>de</strong>rstand, nicht von Protest!<br />

Paul Spiegel stütze sich dabei auf <strong>de</strong>n großen Juristen<br />

Fritz Bauer, <strong>de</strong>r in seinem Aufsatz “Wi<strong>de</strong>rstandsrecht<br />

und Wi<strong>de</strong>rstandspflicht <strong>de</strong>s Staatsbürgers” die potentiellen<br />

Einwän<strong>de</strong> an<strong>de</strong>rer JuristInnen wi<strong>de</strong>rlegte und<br />

feststellt, dass “zum Abwarten kein Anlaß” besteht:<br />

“Wir haben in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik das Bun<strong>de</strong>s¬verfa<br />

ssungsgericht, das über Grundrechtsverletzungen<br />

entschei<strong>de</strong>t und gewiß in manchen Fragen, zum Beispiel<br />

<strong>de</strong>s Wahlrechtes, <strong>de</strong>s för<strong>de</strong>rativen Aufbaus <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik (…) und <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r freien Meinungsäußerung<br />

Beachtliches geleistet hat. Aber die<br />

Verfassungsbeschwer<strong>de</strong> macht Wi<strong>de</strong>rstandshandlungen<br />

nicht überflüssig; sie ist kein Allheilmittel. (..)<br />

Der große Wi<strong>de</strong>rstand im Unrechtsstaat bleibt nur<br />

möglich, wenn <strong>de</strong>r kleine Wi<strong>de</strong>rstand gegen das Unrecht<br />

im staatlichen Alltag geübt und wie eine kostbare<br />

Pflanze gehegt und gepflegt wird.” (Fritz Bauer,<br />

Die Humanität <strong>de</strong>r Rechtsordnung, Campus Verlag,<br />

1998, S. 195ff)<br />

War die Situation im Jahr 2010 so, dass Wi<strong>de</strong>rstand<br />

geboten war? Ja, sie war so! Am 28.10.2010 beschloss<br />

die Mehrheit <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Bun<strong>de</strong>stages eine Laufzeitverlängerung<br />

für die <strong>de</strong>utschen Atomkraftwerke<br />

und verwan<strong>de</strong>lte die <strong>de</strong>n bis dahin gelten<strong>de</strong>n halbherzigen<br />

“Atomausstieg“ festschreiben<strong>de</strong>n Gesetzesblätter<br />

in einen Haufen Altpapier. Eine Welle <strong>de</strong>r<br />

Empörung ging durch die Bevölkerung, <strong>de</strong>ren Mehrheit<br />

<strong>de</strong>n Ausstieg aus <strong>de</strong>r Atomkraft wollte und will.<br />

Erster Kulminationspunkt <strong>de</strong>r Proteste und <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rstands<br />

war <strong>de</strong>r für November 2010 angekündigte<br />

Castor-Transport in das sogenannte Zwischenlager<br />

Gorleben. Ich erspare uns eine Aufzählung <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>,<br />

die gegen die Atommülltransporte und gegen<br />

das drohen<strong>de</strong> Endlager Gorleben sprechen, ich gehe<br />

davon aus, dass sie auch von Seiten <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft<br />

nicht bestritten wer<strong>de</strong>n.<br />

Gab es 2010 die Möglichkeit für betroffene BürgerInnen,<br />

das Problem Castortransport juristisch zu lösen?<br />

Nein, die gab es nicht. 25 Jahre haben beispielsweise<br />

nie<strong>de</strong>rsächsische Verwaltungsgerichte die von<br />

Greenpeace unterstützten Klagen von Anwohnern<br />

<strong>de</strong>r Castortransportstrecke nahe <strong>de</strong>m nie<strong>de</strong>rsächsischen<br />

Zwischenlager Gorleben mit <strong>de</strong>r lapidaren<br />

Begründung abblitzen lassen, die betroffenen BürgerInnen<br />

seien gar nicht klageberechtigt. Erst vor<br />

wenigen Wochen, am 14. März 2013, entschied das<br />

Bun<strong>de</strong>sverwaltungsgericht, dass BürgerInnen die für<br />

<strong>de</strong>n Transport <strong>de</strong>s Atommülls erteilte Genehmigung<br />

vor Gericht angreifen können. (BVerwG 7 C 34.11 und<br />

BVerwG 7 C 35.11) und hob an<strong>de</strong>rslauten<strong>de</strong> Urteile<br />

<strong>de</strong>r Vorinstanzen auf.<br />

Der juristische Weg war 2010 nicht existent, spätestens<br />

damit war aber eine Situation existent, bezüglich<br />

<strong>de</strong>rer Paul Spiegel und Fritz Bauer konstatieren:<br />

es “reifen die Wi<strong>de</strong>rstandsrechte <strong>de</strong>s Einzelnen”.<br />

Und in <strong>de</strong>r Tat, im November 2010 haben viele Ein-<br />

zelne mit ihrem Gewissen gerungen und sich dann<br />

entschie<strong>de</strong>n, Wi<strong>de</strong>rstand zu leisten. Viele haben sich<br />

zu Sitzblocka<strong>de</strong>n auf Straßen und Gleisen ermächtigt,<br />

viele haben geschottert und viele an<strong>de</strong>re haben mit<br />

zahllosen kreativen Aktionen bis hin zu Beton-Pyrami<strong>de</strong>n<br />

und Lastwagen-Blocka<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand gegen<br />

ein lebensbedrohen<strong>de</strong>s Übel geleistet. Ich bin sicher,<br />

in späteren Zeiten, wenn sich niemand mehr an die<br />

Namen <strong>de</strong>r Menschen in diesem Raum hier erinnert,<br />

wird man noch anerkennend von <strong>de</strong>n Vielen re<strong>de</strong>n,<br />

die jahrzehntelangen zähen Wi<strong>de</strong>rstand im Wendland<br />

geleistet haben.<br />

Fritz Bauer hatte gefor<strong>de</strong>rt: “Der Wi<strong>de</strong>rstand muß<br />

immer <strong>de</strong>r Rechtsverletzung adäquat sein.” (Fritz<br />

Bauer, Die Humanität <strong>de</strong>r Rechtsordnung, Campus<br />

Verlag, 1998, S. 195ff). Ich habe damals öfter darüber<br />

nachgedacht, ob das zeitweise Unbefahrbarmachen<br />

<strong>de</strong>r Castor-Gleise adäquat ist. Angesichts <strong>de</strong>r<br />

Gefahren, die von <strong>de</strong>r atomaren Strahlung für Leib<br />

und Leben <strong>de</strong>s Einzelnen und für die menschliche<br />

Gesellschaft insgesamt ausgeht und angesichts <strong>de</strong>r<br />

jahrelang fortgeführten Rechtsverletzung u.a. durch<br />

das Verwaltungsgericht Braunschweig und das Oberverwaltungsgericht<br />

Lüneburg, wie sie ja jetzt vom<br />

Bun<strong>de</strong>sverwaltungsgericht festgestellt wur<strong>de</strong>n, bin<br />

ich damals zum Entschluss gekommen, dass das<br />

Unbefahrbarmachen <strong>de</strong>r Castor-Gleise legitim ist.<br />

Beschädigte Castor-Gleise können repariert wer<strong>de</strong>n<br />

– verstrahlte Menschen können nicht geheilt wer<strong>de</strong>n,<br />

von <strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>n für die nichtmenschliche Natur<br />

ganz zu schweigen.<br />

Mein Beitrag zum vielfältigen und legitimen Wi<strong>de</strong>rstand<br />

gegen <strong>de</strong>n Castor-Transport war das Vermitteln<br />

von Informationen über die Motive, Absichten,<br />

Ziele und Mittel <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Kampagne Castor Schottern<br />

beteiligten tausen<strong>de</strong>n AktivistInnen an die<br />

JournalistInnen. Zu diesem Zwecke wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r<br />

Pressegruppe <strong>de</strong>r Kampagne zahlreiche Mails mit<br />

presserelevanten Informationen an JournalistInnen<br />

versandt, wur<strong>de</strong>n Pressekonferenzen abgehalten<br />

und eine größere Zahl von JournalistInnen während<br />

<strong>de</strong>r Aktionstage betreut. An dieser Arbeit, die selbstverständlich<br />

von allen ehrenamtlich und unentgeltlich<br />

geleistet wur<strong>de</strong>, habe ich mich gerne beteiligt.<br />

Knapp vier Monate später, wur<strong>de</strong> auf furchtbare<br />

Weise klar, wie notwendig <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand gegen <strong>de</strong>n<br />

atomaren Wahnsinn war, ist und bleibt. Am 11.3.2011<br />

fand die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima<br />

statt, die seit<strong>de</strong>m die Umgebung und das japanische<br />

Meer verseucht. Wenig später verfügte Bun<strong>de</strong>skanzlerin<br />

Merkel angesichts spontaner Massenproteste<br />

in Deutschland die sofortige Stilllegung von sieben<br />

Atomkraftwerken, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Bun<strong>de</strong>stag beschloss<br />

am 30.6.2011 mit 513 Stimmen in namentlicher Abstimmung<br />

<strong>de</strong>n schrittweisen Ausstieg aus <strong>de</strong>r Atomenergie<br />

bis zum Jahr 2022. Auch wenn diese Politik<br />

von Halbheiten und Täuschungen geprägt ist, so<br />

wird doch <strong>de</strong>utlich, dass die offizielle Politik die Ablehnung<br />

<strong>de</strong>r Atomkraft durch die überwältigen<strong>de</strong><br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung erkennt.<br />

Lei<strong>de</strong>r bleibt die Bedrohung <strong>de</strong>r Menschen durch die<br />

Atomwirtschaft brandaktuell. Während am 1. Mai in<br />

Hamburg tausen<strong>de</strong> Menschen am Fischmarkt die Eröffnung<br />

<strong>de</strong>s evangelischen Kirchentages feierten und<br />

an <strong>de</strong>n Landungsbrücken an <strong>de</strong>r Maikundgebung <strong>de</strong>s<br />

DGB teilnahmen, brannte nur wenige hun<strong>de</strong>rt Meter<br />

entfernt ein Frachtschiff. Wie erst vor wenigen Tagen<br />

bekannt wur<strong>de</strong>, hatte die “Atlantic Cartier” 20<br />

Tonnen radioaktive Fracht gela<strong>de</strong>n, darunter neun<br />

Tonnen hochgefährliches Uranhexafluorid. Erst auf<br />

parlamentarische Anfragen räumte <strong>de</strong>r Hamburger<br />

Senat diesen Umstand ein. Hamburg hat es seiner<br />

Feuerwehr zu verdanken, dass es hier nicht zu einer<br />

Katastrophe für Menschen und Umwelt gekommen<br />

ist. Die KollegInnen haben unter widrigsten Umstän<strong>de</strong>n<br />

und unter Lebensgefahr die Uran-Container vom<br />

brennen<strong>de</strong>n Schiff geholt. Und <strong>de</strong>r Wahnsinn geht<br />

weiter: Zwei LKW mit mehr als 200kg Plutonium als<br />

Fracht sollen quer durch Belgien, Holland und mitten<br />

durch Hamburg rollen. Wür<strong>de</strong> bei einem Unfall ein<br />

Behälter undicht und das Plutonium durch Bran<strong>de</strong>inwirkung<br />

über eine größere Fläche verteilt, dann<br />

hätte das in <strong>de</strong>r dichtbesie<strong>de</strong>lten Millionenstadt<br />

Hamburg fatale Folgen. Denn schon wer wenige Millionstel<br />

Gramm dieses Ultragiftes einatmet, ist akuter<br />

Krebsgefahr ausgesetzt und schon eine Dosis im<br />

zweistelligen Milligrammbereich ist für Menschen<br />

tödlich. Eine rechtzeitige Evakuierung in einer dichtbesie<strong>de</strong>lten<br />

Großstadt wäre kaum möglich. Konkrete<br />

Katastrophenschutzpläne für einen Unfall mit einem<br />

Plutonium-Transport gibt es nicht. Was also sollen<br />

Menschen, <strong>de</strong>ren Leib und Leben von ihren Regieren<strong>de</strong>n<br />

in dieser Art bedroht wer<strong>de</strong>n, tun? Was sollen<br />

sie, nach einer <strong>de</strong>nkbaren Katastrophen, ihren<br />

möglicherweise schwer geschädigten Kin<strong>de</strong>rn und<br />

Enkelkin<strong>de</strong>rn erzählen? Wir durften <strong>de</strong>n Wahnsinn<br />

nicht stoppen, weil uns sonst ein Gerichtsverfahren<br />

gedroht hätte?<br />

Was immer wir in diesem Raum <strong>de</strong>nken mögen; solange<br />

es lebensbedrohen<strong>de</strong>s Unrecht wie die auf Gewinnerzielung<br />

ausgerichteten Aktivitäten <strong>de</strong>r Atomwirtschaft<br />

gibt, solange wird es auch <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand<br />

dagegen geben. Vielleicht nicht immer nach <strong>de</strong>n zu<br />

diesem Zeitpunkt gelten<strong>de</strong>n Buchstaben <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

legal – aber immer legitim.<br />

(Mischa Aschmoneit / Fotos: visual.rebellion)<br />

Castor Schottern wird sein Versprechen umsetzten,<br />

nieman<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>r Repression allein zu<br />

lassen. Wir zahlen Prozess-, Anwalts- und Fahrtkosten<br />

und unterstützen die Leute praktisch darin, mit ihrem<br />

politischen Anliegen vor Gericht in die Öffentlichkeit<br />

zu kommen. Wir hatten dafür auch bereits eine Reserve<br />

gebil<strong>de</strong>t. Aber wenn wir Beispielsweise bis zum<br />

Bun<strong>de</strong>sgerichtshof ziehen wird sie nicht ausreichen.<br />

Um die Leute, die jetzt noch vor Gericht kommen zu<br />

unterstützen, brauchen wir <strong>de</strong>shalb eure Unterstützung:<br />

Name: Castor Schottern<br />

Konto-Nr.: 1120074500<br />

BLZ: 43060967<br />

GLS Gemeinschaftsbank<br />

IBAN: DE25430609671120074500<br />

BIC: GENODEM1GLS

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