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Ausgabe 45 - Landesverband Paritätischer Niedersachsen e.V.

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Von der Suche nach einem neuen Zuhause<br />

Ich bin ein integrierter Türkisch-Deutscher - oder etwa doch nicht?<br />

Die Pädagogik sagt, dass<br />

Kinder mit Tieren zusammenleben<br />

sollen. Mein<br />

Sohn möchte gerne einen<br />

Hund haben und aus diesem<br />

Grund soll er ihn auch<br />

bekommen. Aber die Familie<br />

stellt fest: Die Wohnung<br />

ist zu klein für einen Hund.<br />

Wie grausam so eine Demokratie<br />

doch sein kann<br />

Das allgemeine Problem:<br />

Nicht integrierte Jugendliche<br />

und unsere Freunde<br />

und Bekannte, die unseren<br />

Wohnort als „Ghetto“ bezeichnen<br />

und uns fast nicht<br />

mehr besuchen kommen<br />

wollen. Da meine Familie<br />

und ich in einem demokratischen<br />

Land leben,<br />

berufe ich, als integriertes<br />

deutsches Familienoberhaupt,<br />

zur Diskussion, Ideensammlung<br />

und vielleicht<br />

Problemlösung einen Familienrat<br />

ein. Demokratisch<br />

erhält jedes Familienmitglied<br />

eine Stimme – auch<br />

die Frauen! Wir entscheiden<br />

demokratisch unseren<br />

Wohnort zu wechseln. Nur<br />

mein in Deutschland geborener<br />

Sohn, vollkommen integriert<br />

und mit deutschem<br />

Pass und Ideen legt Widerspruch<br />

ein. Da er der Minderheit<br />

angehört wird er<br />

überstimmt. Wie grausam<br />

so eine Demokratie doch<br />

manchmal sein kann.<br />

Allah möge ihm geben,<br />

was er uns gegeben hat<br />

Nun müssen wir noch unsere<br />

Eigentumswohnung<br />

im Ghetto loswerden. Ein<br />

schwieriges Unterfangen.<br />

Doch, Allah sei Dank, interessiert<br />

sich mein russischer,<br />

ach mein deutscher Nachbar,<br />

für unsere Wohnung.<br />

Nach nur einer Woche finden<br />

wir uns gemeinsam<br />

beim Notar wieder und verkaufen<br />

die Wohnung an unseren<br />

ebenfalls integrierten<br />

Nachbarn. In drei Monaten<br />

müssen wir unsere Wohnung<br />

verlassen und uns eine<br />

neue Bleibe suchen. Was tut<br />

ein integrierter, hart arbeitender<br />

Familienvater nicht<br />

alles um eine Wohnung zu<br />

finden. Er kauft jede Woche<br />

eine bestimmte Regionalzeitung<br />

um die Anzeigen<br />

des Wohnungsmarktes zu<br />

studieren.<br />

Alles vorbei bevor ich weitere<br />

Fragen stellen kann<br />

Das Angebot ist doch sehr<br />

vielfältig und so greife ich<br />

zum Telefon: „Guten Tag,<br />

mein Name ist Feyzullah<br />

Gökdemir. Ich bitte um<br />

Entschuldigung für die Störung.<br />

Meine Frage ist, ob<br />

die Wohnung, die Sie zu<br />

vermieten haben, noch frei<br />

ist.“ Bevor ich weitere Fragen<br />

stellen kann teilt man<br />

mir mit, dass die Wohnung<br />

leider schon vergeben ist.<br />

Nach dem siebzehnten Telefonat<br />

komme ich auf die<br />

Idee meine Frau anrufen<br />

zu lassen. Man sagt doch,<br />

vallahi (ich schwöre), dass<br />

meine Frau dialektfrei<br />

Deutsch spricht. Die ersten<br />

Erfolge setzen ein, wir können<br />

eine Wohnung besichtigen.<br />

Ich schlage meiner<br />

Frau vor, sie solle alleine<br />

zur Besichtigung, um weiteren<br />

Problemen aus dem<br />

Weg zu gehen. Nach dem<br />

ersten Termin kommt meine<br />

geliebte Frau niedergeschlagen<br />

nach Hause. Auch<br />

diese Wohnung ist bereits<br />

vergeben. Meine Frau erzählt,<br />

dass die Vermieterin<br />

sie sich bei ihrem Telefonat<br />

blond vorgestellt hatte.<br />

Ich gebe meine Hoffnung<br />

nicht auf und suche weiter<br />

Unsere Hoffnung ist verloren.<br />

Meine Mutter, die nach<br />

30 Jahren Arbeit als Rentnerin<br />

in die Türkei zurückgekehrt<br />

ist, würde sagen:<br />

„Mein Sohn, Allah ist groß,<br />

gib deine Hoffnung nicht<br />

auf!“ Ich gebe also meine<br />

Hoffnung nicht auf und suche<br />

nun ein Haus mit Garten.<br />

Ein Haus mit Garten<br />

muss es sein, da ich in der<br />

Vergangenheit schlechte Erfahrungen<br />

mit einer Gartenkolonie<br />

gemacht habe, die<br />

keine integrierten Türken in<br />

ihrer Kolonie haben wollte.<br />

Nach eingehenden Überprüfungen<br />

und mit dem<br />

Versprechen, dass meine<br />

Frau kein Kopftuch trägt,<br />

wir nicht viel feiern und wir<br />

tüchtig wie die Deutschen<br />

arbeiten würden, bekamen<br />

wir den Garten schließlich.<br />

Aus Zeitmangel mussten<br />

wir ihn nach neun Monaten<br />

aber schließlich wieder an<br />

Deutsche abgeben.<br />

Ich warte und warte<br />

doch nichts geschieht<br />

Nun wieder zurück zur<br />

Haussuche. Nach unserer<br />

erfolglosen Suche nach einer<br />

Mietwohnung schlägt<br />

meine Finanzberaterin mir<br />

vor, dass ich eine Anzeige<br />

in der Zeitung aufgeben<br />

soll. Gesagt, getan. Ich<br />

schreibe: Junges, türkisches<br />

Ehepaar mit zwei Kindern<br />

und festem Einkommen<br />

sucht ein Haus mit Garten<br />

zur Miete oder zum Kauf.<br />

Anbei füge ich meine Email-<br />

Adresse und Telefonnummer.<br />

Ich warte von Samstag<br />

bis Dienstag, doch nichts<br />

geschieht. Aber siehe da,<br />

kurz bevor ich aufgeben will<br />

ruft eine gute Bekannte an,<br />

die uns ein Haus vermittelt.<br />

Endlich kann hier der Hund<br />

meines Sohnes und auch<br />

die Katze meiner Tochter,<br />

die als gleichberechtigtes<br />

Familienmitglied eine weitere<br />

Forderung gestellt hatte,<br />

in unserem neuen Haus<br />

mit Garten und der garantiert<br />

Ausländer freien Umgebung<br />

sicher leben und<br />

spielen. Entschuldigen Sie<br />

nochmals zum Schluss, ich<br />

muss mich korrigieren, ich<br />

meine natürlich „garantiert<br />

nicht integrierter Ausländer<br />

freien Umgebung“. (gök)<br />

ZWISCHENRUF 25

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