Workshop D - Mittlerweile habe ich's gelernt - Universität Bremen
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Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
1<br />
Kooperationspartner – an der Entwicklung und Erprobung beteiligt:<br />
Einrichtung(en): Studiengang „Gesundheits- und Pflegewissenschaften“, TU München<br />
Personen:<br />
*****<br />
Studierende der Technischen Universität München<br />
Inhaltsdimensionen der Lerninsel:<br />
bearbeitete Schlüsselprobleme:<br />
• Umgang mit geringer Therapietreue / geringer Compliance Patientenedukation<br />
vs. Empowerment; Standardisierung vs. Individualisierung<br />
zentrale bearbeitbare technische Erkenntnisse / instrumentelle Fertigkeiten:<br />
• Therapeutische Interventionen bei PatientInnen nach Hirninfarkt (Infarktherd<br />
i.d. rechten Hirnhälfte) Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Neuropsychologie;<br />
System Rehabilitation; Soziale Unterstützungsleistungen für<br />
Mütter mit langfristigen Erkrankungen; Durchführung von Rehabilitationsberatungen<br />
Mögliche curriculare Bezugspunkte in den gesetzlichen Lehrplanvorgaben:<br />
integrierte Wissensgebiete (KrPflAPrV §1.1 – Anl.1):<br />
• Kenntnisse der Gesundheits- und Krankenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege<br />
sowie der Pflege- und Gesundheitswissenschaften<br />
• Pflegerelevante Kenntnisse der Naturwissenschaften und der Medizin<br />
• Pflegerelevante Kenntnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften<br />
• Pflegerelevante Kenntnisse aus Recht, Politik und Wirtschaft<br />
angesprochene Themenbereiche (KrPflAPrV §1.1 – Anl.1) / Lernfelder Rahmenrichtlinien<br />
Niedersachsen:<br />
• Pflegesituationen bei Menschen aller Altersgruppen erkennen, erfassen und<br />
bewerten (Tb 1 u. 5)<br />
• Pflegemaßnahmen auswählen, durchführen und dokumentieren (Tb 2)<br />
• Pflegebedürftige und Angehörige beraten, anleiten und unterstützen / Bei<br />
Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention mitwirken (Tb 3 u. 6)<br />
• An Rehabilitationskonzepten mitwirken (Tb 4)<br />
• In Gruppen und Teams zusammenarbeiten (Tb 12)<br />
***********<br />
mögliche Einordnung in den bayerischen Rahmenlehrplan „Gesundheits- und<br />
Krankenpflege / Gesundheits- und Kinderkrankenpflege)<br />
3. Ausbildungsjahr<br />
• Gesundheits- und Krankenpflege (Theorie und Praxis) LF 1: Bei der Eingliederung<br />
in das alltägliche Leben mitwirken<br />
• Gesundheits- und Krankenpflege (Theorie und Praxis) LF 7: „Menschen mit<br />
Störungen in der Steuerung von Körperfunktionen pflegen“<br />
• Berufskunde LF: „Berufliches Selbstverständnis entwickeln“<br />
• Recht und Verwaltung LF: „Ökonomisch und ökologisch agieren“<br />
• Deutsch: „Kommunikationsprozesse reflektieren“<br />
„<strong>Mittlerweile</strong> <strong>habe</strong> ich’s <strong>gelernt</strong>“<br />
Das Interview, auf dem die Lerninsel basiert, dokumentiert ein Gespräch,<br />
das SchülerInnen (I.) einer Ergotherapieschule (1. Aj) mit der Patientin<br />
Hella B. (P.) geführt <strong>habe</strong>n.<br />
Hella B. ist seit mehr als 4 Jahren bei der unterrichtenden Lehrerin (L.) in<br />
ergotherapeutischer Behandlung. Das Gespräch wurde mittels Tonträger<br />
aufgenommen und transkribiert. Dabei wurden minimale sprachliche Änderungen<br />
vorgenommen, um den Text lesbarer zu gestalten.<br />
Es ist auf den folgenden Seiten vor der Entwicklung der Lerninsel in einer<br />
gekürzten Form abgedruckt, die farbigen Markierungen verweisen – wegen<br />
der Länge des Textes – jeweils schon auf die anschließende Zuordnung<br />
der Textpassage zu den Lerninhalten/-zielen und den entsprechenden<br />
Lernsequenzen.<br />
Lernfelder (AltPflAPrV § 1.1. – Anl.1):<br />
1.1 Theoretische Grundlagen in das altenpflegerische Handeln einbeziehen (<br />
1.1.3 - Handlungsrelevanz von Konzepten und Modellen der Pfege anhand konkreter<br />
Pflegesituationen / 1.1.4 – Pflegeforschung und Umsetzung von Forschungsergebnissen<br />
/ 1.1.6 – Rehabilitation)<br />
1.2 Pflege alter Menschen planen, durchführen, dokumentieren und evaluieren (<br />
1.2.7 – Pflegevisite / Fallbeispiele)<br />
1.3Alte Menschen personen- und situationsbezogen pflegen ( 1.3.1.3 - Pflegerelevante<br />
Grundlagen der Neurologie / 1.3.3 Unterstützung alter Menschen bei<br />
präventiven und rehabilitativen Maßnahmen / 1.3.4 – Mitwirkung bei geriatrischen<br />
und gerontopsychiatrischen Rehabilitationskonzepten / 1.3.18 – Überleitungspflege,<br />
Casemanagement)<br />
1.4 Anleiten, beraten und Gespräche führen ( 1.4.2 - Beratung und Anleitung alter<br />
Menschen )<br />
1.5 Bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken ( 1.5.5 – Interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit, Mitwirkung im therapeutischen Team / 1.5.6 – Mitwirkung<br />
an Rehabilitationskonzepten)<br />
3.1 Institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen beim altenpflegerischen<br />
Handeln berücksichtigen ( 3.1.1 – Systeme der sozialen Sicherung / 3.1.2 –<br />
Träger, Dienste und Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens / 3.1.7 –<br />
Institutionelle Rahmenbedingungen altenpflegerischer Arbeit<br />
4.1 Berufliches Selbstverständnis entwickeln ( 4.1.5 – Teamarbeit und Zusammenarbeit<br />
mit anderen Berufsgruppen)<br />
**************
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
2<br />
Interviewauszüge<br />
5<br />
I: Also wir wissen ja, dass sie vor vier Jahren einen Schlaganfall hatten.<br />
Wie hat sich das denn dargestellt, also wie ist es passiert?<br />
P: Ich bin eigentlich ganz normal, wie jeden Morgen, um Viertel nach<br />
sechs aufgestanden, in die Dusche gegangen, hab das Frühstück<br />
35<br />
P: Es- minimal hing mir der eine Mundwinkel etwas runter und da hieß es<br />
dann ich möchte diese Fascialistherapie machen. Es war amüsant<br />
(lacht leise) es war echt amüsant, wenn man da selber- ja im Grunde<br />
genommen mich <strong>habe</strong>n sie nach zwei Wochen dann auch raus-<br />
gemacht, hab dann meinen Kaffee geholt, hab mich im Wohnzimmer<br />
geschmissen aus dem Kurs, weil ich nur am Lachen war (lacht lei-<br />
10<br />
hingesetzt ja und denn kriegte ich Schweißausbrüche. Und zwar so<br />
stark, dass ich gedacht hab, ich hätte mich gar nicht abgetrocknet.<br />
Das lief in Sturzbächen runter. Daraufhin hat mein Mann dann gesagt<br />
ich sollte zum Arzt gehen und nicht zur Arbeit. Denn sind wir<br />
40<br />
se), wenn jemand da nicht von betroffen ist, weil du guckst dich an<br />
im Spiegel und ich, ich hatte ja nichts, es war nichts, ich hatte am<br />
Kopf nichts und ich hatte nichts am Mundwinkel, also nichts für mich.<br />
Es war- es muss so minimal gewesen sein, dass das nur die gese-<br />
erstmal zu den Ärzten gefahren, aber es war ja keiner da, es war die<br />
hen <strong>habe</strong>n<br />
15<br />
Woche nach Ostern, alles hatte Urlaub. Dann sind wir ins Krankenhaus<br />
gefahren und kurz vorm Krankenhaus ist mir schlecht geworden.<br />
Ich musst mich übergeben und dann bin ich noch bis zur Anmeldung<br />
gekommen, und an der Anmeldung hab ich dann nur noch<br />
45<br />
und dann kommt man sich lächerlich vor, es ist verlorene Zeit für<br />
jemanden der- (.) ich habs nicht eingesehen, die Logopädie.<br />
Und die wollten mich noch länger da behalten, aber ich wollte nach<br />
Hause. Sie brauchen noch weiter Therapie, <strong>habe</strong>n die immer ge-<br />
sagen können: ich glaub, ich fall gleich um und das war‘s dann auch<br />
sagt, Sie sind noch nicht so weit.<br />
20<br />
schon und dann kriegte ich nur so von ganz weit mit, wie dann ein<br />
Arzt immer nur rief: Schlaganfall! (..) von da ab weiß ich dann erstmal<br />
nichts mehr. […]<br />
I: Und wie hat sich das dann weiterentwickelt? Gab es im Krankenhaus<br />
50<br />
Das werden wir sehen, sag ich, Sie können mich hier nicht festhalten.<br />
Ich sag: vier Wochen gebe ich Ihnen, ich sag: und denn geh ich<br />
nach Haus<br />
(.) Das ging nicht für mich, ich hab zwei Kinder zu Hause, einer da-<br />
schon therapeutische Maßnahmen?<br />
von ist siebzig Prozent behindert, ich kann die nicht alleine lassen,<br />
25<br />
P: Also im Krankenhaus kam dann an dem Tag, wo ich aufgewacht bin,<br />
erstmal der Arzt. Der hat mich vollgedonnert mit Fragen, ob ich<br />
weiß wie ich heiße (.). Wusst ich, wie ich heiß und joa denn am dritten<br />
oder vierten Tag fingen die dann an mit mir, mich umdrehen und<br />
55<br />
wo sollten die hin. Ich hätt meine Kinder ja nie wieder gesehen,<br />
wenn die ins Heim kommen. Das ging gar nicht (..)<br />
I: Nachdem Sie dann zu Hause waren, dann <strong>habe</strong>n Sie ambulante Therapie<br />
bekommen?<br />
so und ich kriegte sie nicht mit (.) also im Krankenhaus hab ich nur<br />
P: Also die ersten vier Wochen kam die Ergotherapeutin ja in der ersten<br />
30<br />
Krankengymnastik gekriegt.<br />
Nachher in der Rehaklinik, da hatte ich dann (.) Ergotherapie und (.)<br />
(atmet aus) was war dieser andere Kram, wie heißt das nochmal,<br />
Fascialistherapie, diesen andern Quatschkram da (..).<br />
60<br />
war‘s die Chefin von der Praxis und dann kam die Therapeutin erst<br />
zu mir nach Hause, auch für die Krankengymnastik und nach vier<br />
Wochen hieß es dann, ich wäre fit genug, ich sollte mit Taxi in die<br />
Praxis kommen, man könnte mehr machen und seit dem fahr ich mit<br />
L: Logopädie, wegen der Fascialisparese - ist dir der Mundwinkel ein<br />
Taxi in die Praxen. Ich mach zweimal in der Woche Ergotherapie,<br />
bisschen runtergehangen (/) oder?
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
3<br />
65<br />
einmal die Woche Krankengymnastik tja und den Rest mach ich mit<br />
meinen Kindern oder ganz normalen Hausalltag.<br />
I: Wie alt waren denn ihre Kinder als-<br />
ßen hätten sie mir womöglich ins Heim gesteckt, so nach dem Motto:<br />
die Frau ist linksseitig gelähmt, die Frau kann doch nichts mehr,<br />
wie soll sie für die Kinder sorgen. Deswegen musste ich aus der Kli-<br />
70<br />
P: Als mir das passiert ist war (.) (schnalzt mit der Zunge) mein Jüngster<br />
zwölf, der wurde dreizehn (.) und mein Großer (.) war zwanzig (.).<br />
Aber wie gesagt, der Große ist auf Grund eines Unfalls auch siebzig<br />
Prozent behindert (4 sec.)<br />
I: Was hat er (/) also ich meine, was mit ihm?<br />
100<br />
nik wieder raus (.)<br />
I: Das ist ja durchaus auch ein Risikofaktor. Das heißt, sie <strong>habe</strong>n ja immer<br />
viel, viel Arbeit und viel Stress auch gehabt.<br />
P: Das war das unter Garantie.<br />
I: Diese wahnsinnige Belastung, auch mit dem behinderten Kind zu Hau-<br />
75<br />
P: Mein Großer ist mit anderthalb Jahren (.) ertrunken (.) und war vier<br />
Wochen im Koma und hat aufgrund seines Unfalls kein Kurzzeitgedächtnis<br />
(..). Das macht sich in so fern bemerkbar, wenn ich ihm<br />
nicht jeden Tag sag, du musst duschen gehen, zieh dir neue Socken<br />
an, denn lässt er das, bis wirklich dann jemand sagt: du Alter, du<br />
105<br />
se.<br />
P: Also die- mein Sohn war noch nicht mal das große Problem im Großen<br />
und Ganzen. (5 sec) (leise:) Wie soll ich das jetzt sagen (.) (wieder<br />
etwas lauter) ich hatte zu dem Zeitpunkt auch noch einen Mann, der<br />
Alkoholiker war (..) was heißt war? ist (…) und das war mein Prob-<br />
80<br />
müffelst (leises Gelächter). Der macht die Mikrowelle- man stellt Essen<br />
rein, das hab ich einmal gemacht, der stellt Essen in die Mikrowelle<br />
und dann hab ich ihm gesagt, ich sag, du denk dran, wenn du<br />
Hunger hast, mach die an auf drei Minuten, alles andere ist eingestellt.<br />
Jo, ich hab ne halbe Stunde später angerufen, ich sag hast du<br />
110<br />
lem (räuspert sich) und auf Grund dessen, der ständigen Arbeitslosigkeit<br />
und alles, ja gut, hab ich denn teilweise bis fünf Jobs an einem<br />
Tag gehabt, <strong>habe</strong> meinen eigenen Haushalt und die Kinder<br />
noch gemacht. Musste ja irgendwie gehen und das war so meine<br />
Angst auch – darum wollte ich aus der Klinik so schnell wie möglich<br />
85<br />
gegessen? Ja. Ich sag: und? Ja, war lecker, aber war‘n bisschen<br />
kalt. Ich sag: Wie kalt? Du solltest die Mikrowelle anmachen. Deswegen<br />
war das kalt. Er vergisst es. Er vergisst auch nen Wecker zu<br />
stellen, er macht den Herd an und vergisst einfach, dass der an ist.<br />
Da kann das Essen dann schon schmoren bis ins geht nicht mehr,<br />
115<br />
wieder nach Hause, weil ich gemerkt hab und gehört hab, bei den<br />
Kindern am Telefon, es ging nicht, es war gar nichts zu machen. Er<br />
war zwar da und Gott sei Dank hat das auch im Großen und Ganzen<br />
kaum einer mitbekommen, nur ich hatte halt immer Angst, dass irgendjemand<br />
kommt, mir die Kinder wegnimmt. Deswegen musste<br />
90<br />
da fragt er sich, wo der Qualm herkommt. Also körperlich is er Gott<br />
sei dank wieder fit, aber vom Kurzzeitgedächtnis her (.) da wird auch<br />
wohl nichts mehr wiederkommen.<br />
I: Wollten Sie deshalb auch wieder so schnell aus der Reha nach Hause?<br />
P: Wenn ich da nicht jemanden gehabt hätte, der im Grunde genommen<br />
120<br />
ich nach Hause. (6sec) Das war im Grunde genommen ein großes<br />
Problem.<br />
I: Ja, das ist ja auch son- so ne richtige Zerrissenheit, wenn man dann<br />
nicht sich ist, was zu Hause funktioniert und was nicht.<br />
P: Ja man hat Angst. Vor allen Dingen, wenn man anruft zu Hause und<br />
95<br />
auf die Kinder aufpasst, hätten sie mir die Kinder weggenommen.<br />
Der Kleine, wie gesagt, der war erst zwölf oder dreizehn. (.) Da wär<br />
der leibliche Vater gleich da gewesen, nach dem Motto: sie kann da<br />
nicht mehr für sorgen. Den wär ich ganz los gewesen und den Gro-<br />
125<br />
man fragt denn, wo ist denn der Mann? Ja, der liegt besoffen auf‘m<br />
Sofa, oohhh! nee! ging gar nich!. Wenn‘s nach mir gegangen wär,<br />
wär ich schon nach zwei Wochen wieder aus der Klinik raus.<br />
I: Mh (…)
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4<br />
130<br />
P: Aber ich durfte nicht, sie <strong>habe</strong>n mich nicht gelassen. (..)<br />
I: Das ist vielleicht auch ganz gut so. (…)<br />
P: Weiß ich nicht, ob das unbedingt so gut war (.), weil es ging mir erst<br />
wieder besser, als ich zu Hause war, da hatte ich dann auch so den<br />
160<br />
I: Für das Betten Beziehen sagten sie ja, das-<br />
P: Das machen meine Jungs am Wochenende. Das machen die dann<br />
immer, da richt- da richten wir das immer so ein, dass wir dann<br />
Samstags, weil wir dann alle zu Hause sind, die Sachen erledigen,<br />
135<br />
Willen, gewisse Sachen wieder selbst zu machen. In der Rehaklinik<br />
war das Einzigste, was ich wollte, war Treppensteigen, weil ich in<br />
der ersten Etage wohne (.), alles andere war mir eigentlich (atmet<br />
hörbar durch die Zähne aus) (..) Jacke wie Hose, das hab ich eigentlich<br />
erst alles zu Hause wieder <strong>gelernt</strong> für mich selbst und für meine<br />
165<br />
die wir in der Woche, wo die nicht dazu kommen, weil se arbeiten<br />
und die ich eben nicht kann - noch nicht kann (.) weil Kopfkissen<br />
krieg ich wohl, hin aber die Decke noch nicht. Ich bin am Üben, ich<br />
arbeite dran (…)<br />
I: Und wie sieht das denn aus mit Einkaufen, wenn sie sich-<br />
140<br />
Kinder /<br />
[technische Unterbrechung der Tonaufzeichnung. In dieser Zeit wird Frau<br />
B. gefragt, ob sie mit jemandem in der Klinik über ihre familiären<br />
Sorgen gesprochen <strong>habe</strong>. Frau B. erzählt, dass Sie einmal den behandelnden<br />
Arzt angesprochen <strong>habe</strong>, dass sie nach Hause wolle,<br />
170<br />
P: Das mach ich alleine ich fahr Auto, ich hab mir nen Automatikwagen<br />
gekauft Ich fahr mit dem Auto zum Einkaufen, ich fahr mit meinen<br />
Kindern zweimal im Jahr in den Urlaub. Mach ich allein (…)<br />
I: Also im Haushalt kommen sie ja so weit zurecht und wie sieht das denn<br />
in ihrer Freizeit aus? Was machen Sie denn da so als Ausgleich, sag<br />
145<br />
weil sie Angst <strong>habe</strong>, dass ihre Kinde nicht ausreichend versorgt sind.<br />
Der <strong>habe</strong> geantwortet, dass man dann die Familienfürsorge einschalten<br />
müsste. Frau B. berichtet, dass das ja das letzte gewesen<br />
sei, was sie gewollt hätte und dass sie das Gespräch dann lieber<br />
ganz schnell abgebrochen <strong>habe</strong>.]<br />
175<br />
ich mal?<br />
P: Ich geh mit meinen Jungs ins Kino, ich hab nen großen Freundes- und<br />
Bekanntenkreis, ich nehme an ganz normalen Partys teil. Was mich<br />
ärgert ist, ich kann noch nicht tanzen, noch nicht. (.) Wie gesagt,<br />
auch das ist in Arbeit, aber ansonsten mach ich alle Sachen, die hier<br />
150<br />
I: Wie sieht das denn überhaupt bei Ihnen zu Hause aus? Wie sind sie<br />
eingerichtet? (…)<br />
P: Also ich hab ne Vier-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung mit Dachterrasse,<br />
hundertzwanzig Quadratmeter. Ich mach die alleine sauber, putze<br />
auch alleine die Fenster, das einzige was ich nicht kann, weil da<br />
180<br />
andere Leute auch machen. Ich geh am Strand spazieren mit meinen<br />
Kindern, wenn wir in Urlaub fahren, wir gehen ins Kino, wir gehen<br />
über Flohmärkte (.) im Sommer, wenn schönes Wetter ist, hab<br />
ich auch- <strong>habe</strong>n wir oft Besuch, abends zum Grillen (.) joa eigentlich<br />
ganz normale Sachen.<br />
155<br />
kämpf ich, das ist Betten beziehen und Gardinen wieder abnehmen,<br />
weil, wenn ich die Gardinen abnehm, das geht ja noch, aber wieder<br />
raufziehen, dann kipp ich nach hinten über. Ich kann durch die<br />
Schiene das Gleichgewicht nach hinten nicht halten - nach Vorne<br />
und Laufen, das krieg ich normalerweise jetzt alles gut gebacken (.)<br />
185<br />
(…)<br />
L: Was mir noch einfällt, ist, ob du nochmal was drüber erzählen magst,<br />
über deine Ängste, dass dir das nochmal passiert, so ein Schlaganfall<br />
P: Also die hatte ich zu Anfang ganz, ganz stark, weil ich immer die Angst<br />
Tn: Ja und für diese Dinge bekommen sie dann Unterstützung auch aus<br />
der Familie oder?<br />
P: Mh?<br />
190<br />
im Nacken hatte, wenn du dich zu sehr überanstrengst, kriegst du<br />
wieder Bluthochdruck, regst dich auf und nachher kriegst du wieder<br />
nen Schlaganfall oder ne Hirnblutung eben auf Grund wegen meiner
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
5<br />
Kinder auch (.) und joa, was soll ich noch erzähle. Also das hat sich<br />
P: (leise) Da muss ich nachdenken, das ist jetzt vier Jahre her (.) (wieder<br />
195<br />
mit der Zeit gegeben. Jetzt nachdem ich mich dann von meinem<br />
Mann getrennt hatte, hab ich dann alles geregelt zu Hause, sei es<br />
versicherungsmäßig, wohnungsmäßig, dass, sollte mir nochmal was<br />
passieren, dass meine Kinder abgesichert sind, was ich ja vorher die<br />
225<br />
lauter) zwei Jahre, das letzte Mal bin ich gefallen vor zwei Jahren<br />
(..),<br />
aber irgendwie hab ich jetzt auch- ja gut auf Grund dessen, dass ich<br />
mit meinen Jungs alleine lebe, mehr Ruhe <strong>habe</strong> und meine Kinder<br />
Zeit nicht hatte. Jetzt hab ich das geregelt und jetzt geht’s mir gut es<br />
zum Beispiel, wenn ich hektisch werde, was ich ja immer noch <strong>habe</strong>,<br />
200<br />
kann nichts mehr passieren, es kann nur besser werden (…)<br />
L: Am Anfang bist du öfters mal gestürzt ne?<br />
P: Boah, schlimm gestürzt (.), weil es denn so gewisse Sachen- zu Anfang,<br />
wie gesagt, hab ich die linke Seite nicht wahrgenommen, das<br />
230<br />
teilweise mit dieser Hektik ganz anders umgeh. Früher hab ich dann<br />
rumgeschrien und denn ja meinen Mann angeschrien und dann<br />
wurd ich ja erst recht nervös. Heute, wenn ich anfange, hektisch zu<br />
werden oder rumzuschreien, drehen meine Kinder sich um, gehen in<br />
gehörte einfach nicht zu mir, das war nicht mein Ding, weil die ging<br />
ihr Zimmer und sagen: werd du erstmal ruhig, komm runter und<br />
205<br />
nicht, war nicht meine Seite. Ich hab sie vergessen, ich bin überall<br />
dagegen gelaufen oder, wenn ich so - also wir <strong>habe</strong>n, wie gesagt,<br />
vier Zimmer und die hinteren Zimmer, da ist so ne leichte Schräge<br />
und da bin ich mit dem linken Fuß gar nicht drüber gegangen, da bin<br />
235<br />
denn können wir uns weiter unterhalten. Dass sind dann aber so<br />
Sachen, da merk ich für mich, das wird wieder zu heftig - leg dich<br />
hin, komm erst mal runter und denn kannst du weiter machen. (…)<br />
Also dass ist ein langer Lernprozess, da hin zu kommen, wo ich jetzt<br />
ich immer gegen getreten und dadurch bin ich viel gefallen oder<br />
bin. Auch so jetzt über die Krankheit als solches zu reden und alles.<br />
210<br />
auch beim Wäsche Aufhängen, dass ich das Gleichgewicht verloren<br />
hab, wollte mich dann am Tisch mit samt Tischdecke festhalten und<br />
razong<br />
I: Mh<br />
240<br />
Zu Anfang hab ich mich hingesetzt und hab dann immer nur geheult;<br />
(.) nur es wird nicht besser vom Weinen und es wird auch nicht besser,<br />
wenn man sich alles vorn Mors kleen lässt 1 (.) nur das - ja das<br />
ist so, das sind Sachen und wenn man denn fällt, ja gut, jedes kleine<br />
P: Also da bin ich oft gefallen in der ersten Zeit, aber das lernt man. Mitt-<br />
Kind beim Laufen fällt und steht wieder auf, nur weil ich fünfzig bin,<br />
215<br />
lerweile bin ich in der Lage, auch wenn ich mal irgendwo gegen trete<br />
oder stolper, dass ich das Gleichgewicht halten kann, weil dann<br />
schalte ich gleich um auf die rechte Seite und versuch, das Ganze<br />
dann wieder auszubalancieren, weil ich weiß, die linke Seite, wenn<br />
245<br />
heißt das noch lange nicht, dass ich sitzen bleiben muss - also aufstehen,<br />
weiter machen, man lernt es (..)<br />
I: Sie sind das Beste Beispiel dafür.<br />
P: Und ich werd auch lernen, wie man wieder tanzt und schwimmen geht.<br />
ich stürze, zieht die linke Seite grundsätzlich rüber. (.) Also, man<br />
I: Ja.<br />
220<br />
muss gegensteuern. Schon von vornherein und joa mittlerweile hab<br />
ichs <strong>gelernt</strong>.<br />
I: Wie lange hat das gedauert, bis Sie dieses Bewusstsein hatten, dass<br />
das so ist, also dass Sie gegensteuern können mit der rechten Sei-<br />
250<br />
P: Hundert pro! (4 sec)<br />
[…]<br />
te? (…)<br />
1 die norddeutsche Variante von „sich Zucker in den A…. blasen lassen“ – sich alles<br />
abnehmen lassen
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
6<br />
L: […] Ich wollte vorschlagen, dass wir uns deine Schiene nochmal angu-<br />
dann hat da einer gekündigt und ist hier in den Norden gezogen ei-<br />
cken - eine Sprunggelenks Orthese (.)<br />
ner von den Sanitätern, sag ich immer, den Orthopäden – ja, weil es<br />
P: Soll ich ausziehen<br />
ein Sanitätshaus ist (lacht leise) ja, und der hat an mir dann das ers-<br />
255<br />
L: Ja bitte (…)<br />
P: Im Krankenhaus kriegte man als erstes so ne Plastikschiene, läuft<br />
man drauf rum wie ne Ente (.) echt!<br />
285<br />
te Mal das ausprobiert. (.) Ich kriegte die als erste hier im Ort, weil<br />
viele lehnen die auch ab, weil es ist natürlich nicht schön (.) aber sie<br />
hilft beim Laufen. Ich kann damit wie gesagt überall hin laufen, was<br />
L: Das heißt die Plastikschiene ist praktisch durchgehend. Hier hinten<br />
ich mit der anderen nicht konnte. Gut dafür ist die andere nicht so<br />
führt sie bis oben an die Wade, bis unters Knie und die ist halt hier<br />
teuer (.) Nützt nichts (..)<br />
260<br />
starr, ja aus hartem Plastik, das ist das Problem bei der normalen<br />
Schiene, dass die Leute den Fuß nicht abrollen können, beim Laufen<br />
so und jetzt hat Hella /<br />
290<br />
I: Wurde die Schiene komplett übernommen oder mussten sie selber<br />
dazu zahlen (/)<br />
P: Diese Schiene wurde komplett übernommen (.) vor allen Dingen jetzt<br />
P: Vor drei- vor drei Jahren die erste<br />
waren sie das erste Mal da (.) von der Krankenkasse, weil sie wurde<br />
L: Vor drei Jahren die erste Schiene bekommen, die hier eine Scharnier<br />
jetzt wohl schon öfters verschrieben, doch viele Patienten tragen sie<br />
265<br />
hat und das unterstützt den Fuß beim Abrollen. Nachher gucken wir<br />
uns Hella an, wie sie läuft, dann können wir das nochmal genauer<br />
sehen.<br />
295<br />
nicht und das ist natürlich nicht Sinn und Zweck der Sache. Ich hab<br />
jetzt schon die Dritte und da kam einer und hat sich das angeguckt,<br />
ob ich die auch wirklich benutze und von daher, ich hab bis jetzt<br />
P: Also mit der Plastikschiene konnte ich auch nicht in die Hocke gehen<br />
noch keine Probleme gehabt, weil meine sind nach einem Jahr sind<br />
oder Arbeiten machen, die unten sind, weil die so hoch war und<br />
die hin. (.) Ja nun, wenn du jeden Tag einkaufen gehst, Haushalt<br />
270<br />
eben der Fuß war gerade, jetzt mit der hab ich da kein Problem mit,<br />
ist aber auch wieder so ein Lernprozess, also da kann nicht jeder mit<br />
klar kommen zu Anfang.<br />
300<br />
machst, spazieren gehst, dann sind die kaputt, dann ist das Gelenk<br />
hinten ausgeschlagen (..)<br />
I: Das ist dann auch ein sicheres Zeichen dafür, dass Sie die benutzen<br />
L: Ja guckt mal, jetzt hat sie die Schiene ausgezogen, was passiert hier<br />
(lacht leise)<br />
eigentlich mit den Zehen, ob ihr euch das gleich mal anguckt, die<br />
P: Mh<br />
275<br />
Zehen sind flektiert. Bist du aufgeregt ein bisschen?<br />
P: Nein, mhmh (leises Lachen) (8sec)<br />
L: Okay, die Schiene wird nicht so gerne verschrieben, kleiner praktischer<br />
305<br />
L: Und es war mit der anderen Schiene auch so, dass du sehr große<br />
Schuhe brauchtest, ne, die musste ja da eben rein passen.<br />
P: Und plötzlich brauchte ich Schuhe, die vier Nummern größer waren ja<br />
Tipp vielleicht, die ist ziemlich teuer, über zwei tausend-<br />
und dann äh so ne Schuhe und das ist kein Wunder, wenn du dann<br />
P: Zweieinhalbtausend Euro und wird eigentlich auch nur in einem Sani-<br />
hin fällst und du hast ja kein Gefühl, läufst ja überall gegen. Das war<br />
280<br />
tätshaus im Moment noch hergestellt. Da gibt es nur eins hier vor<br />
Ort, die kommt ursprünglich eigentlich aus Süddeutschland und<br />
310<br />
[…]<br />
schlimm.
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
7<br />
Bildungsinhalte / -ziele:<br />
Zielebene: Pflegende Pat./Angehörige Institution/Gesell. pfleger. Handeln<br />
Wissenschaftsorientierung<br />
TE<br />
= technisches Erkenntnisinteresse<br />
(SchülerInnen<br />
nennen / erklären<br />
z.B.…)<br />
• Begriffe Frustrations- und<br />
Ambiguitätstoleranz und<br />
Strategien zu deren Entwicklung<br />
Strategien zum Umgang<br />
mit Zurückweisung,<br />
Entwertung der eigenen, als<br />
wertvoll empfundenen Arbeit<br />
o Abgrenzungsmöglichkeiten<br />
gegenüber geringer Kooperationsbereitschaft<br />
/ Therapietreue<br />
o Strategien der Psychohygiene<br />
(z.B. Meditation), um<br />
Konflikten mit KlientInnen /<br />
PatientInnen gelassen begegnen<br />
zu können<br />
o Wahrung einer professionell-objektiven,<br />
inneren<br />
Distanz<br />
• Rollenkonzeption für Pflegende<br />
und TherapeutInnen<br />
im Arbeitsfeld Rehaklinik<br />
• Loyalität und Umgang mit<br />
„negativen“ Informationen<br />
über KollegInnen (aus anderen<br />
Berufsgruppen)<br />
• Krankheitsbild „Hirninfarkt“<br />
o Ursachen<br />
o Risikofaktoren<br />
o Frühwarnzeichen<br />
o Symptome<br />
o Diagnose, Differentialdiagnostik<br />
o Erst- und Frühversorgung<br />
o therapeutische, rehabilitative Möglichkeiten<br />
o Medikationen und Nebenwirkungen<br />
o Bobath-Konzept<br />
o Basale Stimulation<br />
• Symptomkomplex Neglect-Phänomen<br />
• Symptomkomplex „Fascialis Parese“<br />
• Symptomkomplex Hemiplegie – Phänomen<br />
Spastik / assoziierte Reaktionen<br />
Bewegungseinschränkungen<br />
und Bewegungsanbahnung<br />
• Verlaufskurvenmodell am Bsp. Hirninfarkt<br />
• Anteil der KlientInnen/PatientInnen an<br />
der Mitwirkung in einem individuellen<br />
Therapieplan und für den Therapieerfolg<br />
• Begriff der Therapietreue / Compliance<br />
Auswirkungen auf den Therapieerfolg<br />
• Einfluss der sozialen und familiären<br />
Situation auf den Erfolg von Rehamaßnahmen<br />
• Unterstützungsleistungen /- Angebote<br />
für Müttern in schwierigen sozialen<br />
und gesundheitlichen Situationen<br />
• Abläufe der institutionellen Erstversorgung<br />
nach einem Hirninfarkt (Stroke-unit,<br />
Früh-Reha)<br />
• Struktur und Finanzierung der Versorgung<br />
nach einem Hirninfarkt im<br />
Anschluss an die Früh-Reha Anschlussheilbehandlung,<br />
Rehabilitation<br />
• Case-Management und Aufbau von<br />
strukturierten Behandlungspfaden<br />
nach Hirninfarkt<br />
• Struktur und Abläufe in der Institution<br />
Reha-Klinik – Interdisziplinäres Team<br />
• Möglichkeiten der Ambulanten Rehabilitation<br />
als Alternative zur Reha-<br />
Klinik<br />
• Ambulante Versorgung im Anschluss<br />
an eine Anschlussheilbehandlung /<br />
einen Aufenthalt in einer Reha-Klinik<br />
• Kassenleistungen am Beispiel<br />
Sprunggelenksprothese<br />
• Grundlagen der Familienpolitik: Familienunterstützende<br />
Versorgungskonzepte<br />
bei akuter und chronischer<br />
Krankheit/Behinderung/- Angebote für<br />
Mütter in schwierigen sozialen und<br />
gesundheitlichen Situationen<br />
• Sorgerechtsfragen bei akuter und<br />
chronischer Krankheit / Behinderung<br />
der Eltern<br />
• Zuständigkeitsbereiche des Jugendamts<br />
- Unterstützungsleistungen des<br />
Jugendamts<br />
• Gestaltung von Kommunikationssituationen<br />
/ Technik des aktiven Zuhörens<br />
• Beratungsgespräche im Rahmen des Casemanagements<br />
zur Entwicklung von individuellen<br />
Rehaverläufen<br />
• Begriffe und Konzepte von Patientenedukation<br />
und Empowerment<br />
• Möglichkeiten der professionellen Interaktion<br />
bei geringer Therapietreue<br />
• Regelungen der Zusammenarbeit im interdisziplinären<br />
Team einer Reha-Klinik und<br />
Durchführung von Fallbesprechungen<br />
• Rehabilitation nach Hirninfarkt<br />
o verschiedene (Pflege)-therapeutische<br />
Konzepte (Bobath-; Voita-, Perfetti-, Basale<br />
Stimmulation …) und ihre Evidenz<br />
bezogen auf<br />
Reduktion von Spastik bzw. assoziierter<br />
Reaktionen<br />
Anbahnung von Gehen und Treppensteigen<br />
– Fortsetzung der Physiotherapie<br />
im Pflegealltag<br />
<br />
<br />
<br />
Erhöhung der Mobilität der oberen<br />
Extremitäten und Anbahnung von Alltagskompetenzen<br />
– Fortsetzung der<br />
Ergotherapie im Pflegealltag<br />
Übungen zur Reduktion einer Fascialis-Parese<br />
– Fortsetzung der logopädischen<br />
Behandlung<br />
Übungen und Pflegeinterventionen<br />
zum Umgang mit und zum Abbau des<br />
Neglect-Phänomens - Fortsetzung<br />
der Arbeit des Neuro-Psychologen
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
8<br />
Verständigungsorientierung<br />
PE<br />
= praktisches Erkenntnisinteresse<br />
(SchülerInnen<br />
nehmen wahr<br />
/verstehen / verständigen<br />
sich<br />
z.B. über …)<br />
• ihre emotionalen Reaktionen<br />
auf das ablehnende Verhalten<br />
der Klientin/Patientin,<br />
z.B.<br />
o Enttäuschung<br />
o Wut<br />
o Kränkung<br />
o Hilflosigkeit<br />
o Frustration<br />
o innere Abgrenzung und<br />
Distanzierung<br />
o Ironisierung<br />
o mitleidige Abwertung<br />
o Unverständnis<br />
o …<br />
• ihre emotionalen Reaktionen<br />
auf das Schicksal der Patientin<br />
o Mitleid, Mitgefühl<br />
o Bewunderung, Hochachtung<br />
o innere Abgrenzung und<br />
Distanzierung / Vorurteile<br />
gegenüber komplexen,<br />
schwierigen Familiensituationen<br />
• die individuellen Ressourcen der<br />
Patientin<br />
• die Wünsche und Bedürfnisse der<br />
Patientin<br />
• die Ängste und negativen Phantasien<br />
der Patientin<br />
mögliche Motive / Gründe für<br />
ihr ablehnendes Verhalten:<br />
o Zweifel an der Sinnhaftigkeit der<br />
Therapie<br />
o Zweifel an der professionellen Einschätzung<br />
des eigenen Unterstützungsbedarfs<br />
o Angst, die Kinder zu verlieren<br />
(Heimeinweisung)<br />
o Fürsorgegefühl, Verpflichtung den<br />
Kindern gegenüber<br />
o fehlendes Vertrauen in den aktuellen<br />
Ehemann (auch aus Erfahrung<br />
mit seiner Alkoholerkrankung)<br />
o Angst vor dem vorher gehenden<br />
Ehemann, dass er ihr den Sohn<br />
wegnimmt<br />
o Existenzängste für sich und die Familie<br />
o fehlendes Vertrauen in behördliche<br />
Unterstützung / Unterstützung durch<br />
Professionelle<br />
• Deutung der geringen Therapietreue<br />
im Rahmen der logopädischen Behandlung<br />
• Interesse der Institution Reha-Klinik<br />
an strukturierten Abläufen und Behandlungspfaden<br />
• Interesse der Gesundheitspolitik an<br />
Rehabilitativen Angeboten zur Verhinderung<br />
einer Chronifizierung <br />
langfristige Schonung gesellschaftlicher<br />
Ressourcen<br />
• Durchführung einer interdisziplinären Fallbesprechung<br />
im therapeutischen Team<br />
• Gestaltung eine Pflegeberatung über den<br />
möglichen Therapieverlauf
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
9<br />
Reflexionsorientierung<br />
EE<br />
= emanzipatorisches<br />
Erkenntnisinteresse<br />
(SchülerInnen<br />
reflektieren z.B.<br />
den Widerspruch<br />
zwischen…)<br />
• Anspruch an den Therapieerfolg<br />
und Anspruch, die Bedürfnisse<br />
der Klientin ernst<br />
zu nehmen<br />
• Anspruch an den Therapieerfolg<br />
und Akzeptanz der<br />
Möglichkeit des Scheiterns<br />
• Anspruch der ärztlichen<br />
Verordnung zu folgen und<br />
der eigenen (biomedizinisch<br />
ausgerichteten) Expertise<br />
und dem Anspruch, den Patientenwunsch<br />
zu respektieren<br />
• Sorge um die Familie (Norm „Mütter<br />
können nicht krank werden“) und<br />
Sorge um die eigene Gesundheit und<br />
das eigene Wohlbefinden (= Mutterrolle<br />
vs. Patientenrolle)<br />
• aktiv und verantwortlich sein / Mutterpflichten<br />
erfüllen und Kontrolle<br />
über die Situation bewahren vs. sich<br />
fallen lassen, für sich zu sorgen / sorgen<br />
zu lassen und Verantwortung abgeben<br />
(sich ergeben in die Krankheit)<br />
• Anerkennung der Notwendigkeit der<br />
vollständigen Genesung vs. Gefühl<br />
der mangelnden Zeit, Verdrängen des<br />
Schweregrades der eigenen Erkrankung<br />
• Gestaltung effizienter, kostenreduzierender<br />
Behandlungsabläufe und dem<br />
Anspruch einer umfassenden individuellen<br />
Versorgung Ökonomie vs.<br />
Versorgungsansprüche<br />
• Standardisierung in der Gesundheitsversorgung<br />
vs. Versorgung individueller<br />
Bedarfe<br />
• Qualitätssicherung durch Trennung<br />
der Versorgung in kalkulierbare Einzelleistung<br />
mit hoher Evidenz durch<br />
ausgewiesene Experten vs. Qualitätssicherung<br />
durch Angebot einer<br />
ganzheitlichen, individuellen Versorgung<br />
• Wissen um die Möglichkeit eines Therapieerfolgs<br />
bei entsprechender Therapietreue<br />
und Anpassung an die Begrenzungen<br />
durch die anders gelagerten Interessen<br />
und Bedürfnisse der KlientInnen<br />
• der wissenschaftlich fundierten, fachbezogenen<br />
(bio-medizinische-ausgerichteten)<br />
Expertise mit entsprechend begründetem<br />
Regelhandeln<br />
und ganzheitlicher, an die Situation des Individuums<br />
angepassten Interventionen <br />
Regelhandeln vs. Fallverstehen / Edukation<br />
vs. Empowerment
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
10<br />
Mögliche Sequenzbildung – Bündelung der Lerninhalte und Konzeption der<br />
Lerninsel<br />
Auf der Grundlage der didaktischen Sachanalyse mit Hilfe der heuristischen Matrix ist<br />
die folgende mögliche Ordnung der ermittelten Bildungsinhalte/-ziele vorstellbar:<br />
• Kenntnisse und Wissen bezogen auf<br />
o die im Fallbeispiel ersichtlichen Symptomatiken,<br />
o deren Ursachen,<br />
o jeweils geeignete Interventionen,<br />
o deren fachlicher Begründung, auch in Bezug auf die gegebene Evidenz<br />
aus dem Blickwinkel der verschiedenen therapeutischer Berufsgruppen;<br />
bezieht sich auf das technisches Erkenntnisinteresse;<br />
Hintergrundwissen (technisch-instrumentelle Wissensgrundlagen) und der Deutung<br />
der besonderen Situation von Hella B. (praktisches Erkenntnisinteresse); die<br />
in der Fallsituation gegebene geringe Therapiebereitschaft /Compliance fordert<br />
zur Reflexion der strukturellen Widersprüche des professionellen Handelns zwischen<br />
Regelhandeln und Fallverstehen heraus und zu einer begründeten Entscheidung<br />
für eine Beratung zwischen Patientenedukation und Empowerment;<br />
• Kritische Überprüfung und Reflexion des Systems der Rehabilitation im Gesundheitssystem<br />
vor dem Hintergrund der im Einzelfall gewonnenen Erkenntnisse<br />
zielt, auch im Sinne einer Ergebnissicherung auf das emanzipatorische Erkenntnisinteresse<br />
und die Entwicklung eines eigenen, kritisch-reflexiven Standpunktes;<br />
• die individuellen familiäre Bedingungen von Hella B. und die Ermittlung von<br />
Möglichkeiten einer professionellen Unterstützung auf der Grundlage des Sozialrechts<br />
ausgehend vom Verständnis der Situation im Einzelfall (praktisches Erkenntnisinteresse)<br />
wären die aktuellen Regelungen im Sozialrecht zu ermitteln (technisches<br />
Erkenntnisinteresse) und wiederum auf den Fall anzuwenden (das damit<br />
angesprochene Erkenntnisinteresse ist hier abhängig von der im Fall möglichen<br />
Lösung und kann nur durch eine Sachanalyse für diese Sequenz ermittelt werden);<br />
• System Anschlussheilbehandlung / Rehabilitationsklinik und ambulante Rehabilitation,<br />
• Verständnis von interdisziplinärer Zusammenarbeit<br />
und<br />
• Case-Management im Rahmen der Rehabilitation<br />
Möglichkeiten der Fallreflexion vor diesem Hintergrund<br />
ausgehend von der Erarbeitung der Wissensgrundlagen (technisches Erkenntnisinteresse)<br />
wären fallbezogen Deutungen und Lösungsansätze zu entwickeln<br />
(praktisches Erkenntnisinteresse) – dabei treffen die Lernemden folgerichtig auf<br />
den Widerspruch zwischen Standardisierung der Behandlung und fallbezogene<br />
Individualisierung im professionellen Handeln (emanzipatorisches Erkenntnisinteresse);<br />
• Entwicklung von fallbezogenen Beratungsinterventionen zwischen Patientenedukation<br />
und Empowerment<br />
zielt vor allem auf das professionelle Handeln im praktischen Erkenntnisinteresse<br />
vor dem bis zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der Lerninsel entwickelten<br />
Einordnung in den Verlauf der Ausbildung<br />
Da die Fallsituation von den Lernenden fordert, sich auf einen schwierig zu rezipierenden<br />
Text und eine vielschichtige Patientensituation einzulassen, eignet sich diese<br />
Lernsituation eher für das Ende der Ausbildung und für die Anwendung bereits erworbener<br />
Kenntnisse. Der Schwerpunkt der Lerninsel läge damit auf dem System der<br />
Rehabilitation in seinen verschiedenen Facetten.<br />
Folgende Kenntnisse und Kompetenzen sollten deshalb vorhanden sein, ggf. im Vorfeld<br />
der Lerninsel erarbeitet werden und im Kontext der Lerninsel reaktiviert und zur<br />
Anwendung gebracht werden:<br />
• Grundlagen der Neurologie<br />
• Krankheitsbild Hirninfarkt, typische Symptomatiken und neuropsychologische<br />
Störungen – z.B. erarbeitet an einem Fallbeispiel aus der Stroke unit / Früh-<br />
Reha mit Ausfällen der linken Hirnhemisphäre (Aphasie, Apraxie …)<br />
• therapeutische Konzepte für die Rehabilitation nach Hirninfarkt und ihre theoretischen<br />
Begründungen (Bobathkonzept, …)<br />
• Grundsätzliche Aufgabenbereiche der in die Therapie neurologischer PatientInnen<br />
eingebundenen Berufsgruppen<br />
• Evidenbasierte Medizin und Strategien zur Recherche von Interventionsstudien<br />
• Grundsätze der Kommunikation, Regeln und Fähigkeiten zum aktiven Zuhörens<br />
und Verständnis von den Zielen einer ergebnisoffenen Beratung<br />
• möglichst auch Kenntnisse zur Verlaufskurvenarbeit mit chronisch Kranken<br />
nach dem Modell von Corbin und Strauss<br />
• Kompetenz, in schwierigen Situationen professionelle Distanz zu wahren und<br />
sich von einer ablehnenden Haltung durch PatientInnen mit geringer Therapietreue<br />
/ Compliance nicht persönlich entmutigen zu lassen
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
11<br />
8 h<br />
Lernsequenz 1<br />
Fallbezogene Rehabilitationsmaßnahme aus<br />
der Sicht verschiedener Fachrichtungen<br />
Die SchülerInnen<br />
1. lesen die markierten Textpassagen, verdeutlichen sich<br />
die Symptomatiken der Patientin und ordnen sie den<br />
verschiedenen Berufsgruppen im therapeutischen<br />
Team zu<br />
2. recherchieren arbeitsteilig über Ursachen, Therapieverfahren<br />
und Behandlungsaussichten zu den folgenden<br />
Symptomen der Patientin:<br />
• Faszcialis Parese (Logopädie)<br />
• Neglect-Phänomen (Neuropsychologie)<br />
• Anbahnung von Gehen und Treppensteigen bei Hemiplegie<br />
und bestehender Spastik / assoziierten<br />
Reaktionen (Physiotherapie)<br />
• Anbahnung der Beweglichkeit des plegischen Arms<br />
bei bestehender Spastik / assoziierten Reaktionen<br />
(Ergotherapie)<br />
und klären dabei auch die Evidenz der ermittelten<br />
Interventionen<br />
3. tragen ihre Ergebnisse im Plenum vor und demonstrieren<br />
einen möglichen Ausschnitt aus der Behandlung.<br />
Methodische Anregungen:<br />
Selbstorganisiertes Lernen in Arbeitsgruppen mit entsprechenden<br />
Recherchern, Präsentation der Ergebnisse im<br />
Plenum mit praktischer Demonstration<br />
Einstieg: Fallbezogene Frage zur Rehabilitation<br />
SchülerInnen hören/lesen den gesamten Interviewtext und betrachten die Fotografien von der Patientin. Sie tauschen<br />
sich zunächst assoziativ über ihre Eindrücke aus. Anschließend ermitteln sie aktuelle und überwundene<br />
Symptome, Probleme und Ressourcen der Patientin und bringen dabei ihre bereits erworbenen Fachkenntnisse zur<br />
Anwendung. Sie formulieren Lernfragen: „Was muss ich wissen um eine Patientin wie Hella B. gut durch die Rehabilitation<br />
begleiten zu können?“ Die Lernfragen werden den Lernsequenzen zugeordnet.<br />
Methodische Anregungen: szenisches Lesen, Textarbeit / Beobachtung v. Fotografien, Unterrichtsgespräch, Partnerarbeit,<br />
Unterrichtsgespräch<br />
Lernsequenz 2 2- 6 h<br />
Sozialrechtliche Aspekte -<br />
Unterstützung von Familien<br />
im akuten oder chronischen<br />
Krankheitsfall<br />
Die SchülerInnen<br />
1. lesen die zur Lernsequenz markierten<br />
Textstellen des Interviews;<br />
2. formulieren die konkreten Ängste<br />
und Befürchtungen der Patientin mit<br />
eigenen Worten und leiten daraus<br />
konkrete Fragen an das Sozialrecht<br />
ab – in Ergänzung zu den Lernfragen<br />
aus der Einstiegssequenz<br />
3. klären diese Fragen im Expertengespräch<br />
(z.B. SozialarbeiterIn)<br />
4. evtl.: formulieren eine Informationsbroschüre<br />
für Mütter, die aufgrund<br />
längeren Krankheitsausfalls nicht<br />
für ihre Familie sorgen können<br />
Methodische Anregungen:<br />
Gruppen- oder Partnerarbeit, Expertengespräch,<br />
Unterrichtsgespräch u.<br />
Gruppen- oder Partnerarbeit<br />
Lernsequenz 3<br />
System Rehabilitation - Behandlungspfade<br />
und Case-Management<br />
Die SchülerInnen<br />
1. kennen Konzeption und Zielvorstellungen<br />
von Rehabilitation<br />
2. erarbeiten sich die sozialrechtlichen<br />
Grundlagen für Rehabilitation / Anschlussheilbehandlung<br />
und Langzeitbehandlung<br />
bei Chronifizierung von<br />
Symptomen<br />
3. klären die Möglichkeiten und Grenzen<br />
einer ambulanten Rehabilitation<br />
4. erarbeiten sich die Organisationsstrukturen<br />
einer stationären Reha-Klinik und<br />
das Prinzip von Case-Management<br />
5. führen eine interdisziplinäre Fallbesprechung<br />
zur Situation von Frau B. nach<br />
zwei Wochen Aufenthalt in der Klinik<br />
durch<br />
Methodische Anregungen:<br />
Lehrervortrag + Textarbeit, Unterrichtsgespräch,<br />
Rollenspiel mit VertreterInnen der<br />
Arbeitsgruppen aus Lernsequenz 1<br />
2 h<br />
6 h 4 h<br />
Lernsequenz 4<br />
Fallbezogene Re<strong>habe</strong>ratung<br />
Die SchülerInnen<br />
1. unterscheiden die Begriffe<br />
„Edukation“ und „Empowerment“<br />
in der Sozialen Arbeit – Entwicklung<br />
von Kriterien<br />
2. Teilung der Lerngruppe:<br />
• Gruppe A (Perspektive der<br />
Professionellen): formuliert auf<br />
der Grundlage der vorangegangenen<br />
Lernsequenzen Ziele<br />
für eine Rehabilitationsberatung<br />
• Gruppe B (Patientinnenperspektive):<br />
formuliert aufgrund<br />
der markierten Textstellen die<br />
Wünsche und Bedürfnisse der<br />
Patientin<br />
3. Rollenspiele zur Beratung der<br />
Patientin nach 2 Wochen Reha-<br />
Aufenthalt (mehrere Sequenzen)<br />
4. Einschätzung der Sequenzen<br />
anhand der unter 1 formulierten<br />
Kriterien<br />
Methodische Anregungen:<br />
Gruppenarbeit, Rollenspiele - Auswertungsdiskussion<br />
im Plenum<br />
Gesundheitspolitische Anhörung: Rehabilitation auf dem Prüfstand<br />
Vor dem Hintergrund des Einzelfalls und der Erarbeitung in der Lerninsel diskutieren die SchülerInnen multiperspektivisch<br />
aus der Sicht der verschiedenen Akteure und Experten im Gesundheitswesen (VertreterInnen verschiedener<br />
Berufsverbände, PatientenvertreterInnen, Gesundheitspolitiker, Gesundheitsökonomen …) eine Frage zur Ausweitung,<br />
Umstrukturierung oder zu Einsparungsmaßnahmen im Arbeitsfeld „Rehabilitation“.<br />
Methodische Anregungen: Erstellung von Thesenpapieren, Pro- und Contra-Diskussion<br />
4 h
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
12<br />
Begründung methodischer Zugriffe<br />
Die Form eines transkribierten Interviews ist für die Lernenden ungewohnt und schwer<br />
lesbar – deshalb empfiehlt sich für die erste Rezeption in der Einstiegssequenz ein<br />
laut gelesener Vortrag mit verteilten Rollen – entweder als Tonaufnahme oder von drei<br />
guten LeserInnen aus der Lerngruppe. Die Lernenden können sich so auf das Zuhören<br />
konzentrieren. Im Anschluss daran sollten erste Eindrücke zur Schilderung der Patientin<br />
und zu den Bildern gesammelt werden, wobei die Lernenden aufgefordert werden,<br />
zunächst ganz subjektive Gedanken zu äußern und sich so der Situation anzunähern.<br />
Im Anschluss daran sind sie aufgefordert, ihre im vorangegangenen Unterricht erworbenen<br />
Fachkenntnisse zur Pflege von PatientInnen mit Hemiplegie nach Hirninfarkt zur<br />
Anwendung zu bringen und im Text und den Fotografien systematisch Symptome,<br />
Probleme und Ressourcen der Patientin herauszuarbeiten. Die Ergebnisse werden im<br />
Plenum gesammelt und an einer Wandzeitung, die für den Verlauf der Lerninsel hängen<br />
bleibt, dokumentiert. Darauf aufbauend werden Lernfragen gesammelt („Was<br />
muss ich wissen, um eine Patientin wie Hella B. gut durch die Rehabilitation begleiten<br />
zu können?“). Die Lernfragen werden ebenfalls an einer Wandzeitung, auf der die<br />
Lernsequenzen der Lerninsel dargestellt sind, geordnet. Für evtl. Lernfragen, die sich<br />
den Lernsequenzen nicht zuordnen lassen, wird geklärt, in welchem Kontext die Beantwortung<br />
erfolgen kann.<br />
Die Lernsequenz 1 setzt auf selbstorganisiertes Lernen. Sie sollte unmittelbar an die<br />
Einstiegssequenz anschließen. Im Plenum werden die ermittelten Symptome und<br />
Probleme von Hella B. den verschiedenen therapeutischen Berufsgruppen zugeordnet.<br />
Die Lernenden ordnen sich einer der vier Berufsgruppen zu und ermitteln arbeitsteilig<br />
in Gruppenarbeit jeweils<br />
• pathophysiologische Erklärungsansätze,<br />
• mögliche Behandlungsinterverntionen<br />
• und deren wissenschaftliche Absicherung durch evidenzbasierte Forschung.<br />
( Im Rahmen der Sachanalyse für die konkreten Unterrichtsvorbereitung muss diese<br />
Recherche durch die Lehrenden vorbereitend erfolgen, um aus möglicherweise auftretende<br />
Probleme vorbereitet zu sein – ggf. müsste der Arbeitsauftrag entsprechend<br />
angepasst werden.)<br />
Abschließend präsentieren die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse im Plenum und demonstrieren<br />
praktisch eine konkrete therapeutische Intervention.<br />
Das selbstorganisierte Lernen kann parallel zum Unterricht der folgenden beiden Lernsequenzen<br />
erfolgen und sollte vor der Fallbesprechung in Lernsequenz 3 abgeschlossen<br />
sein.<br />
Da in Lernsequenz 1 die Gruppenarbeit und das selbstorganisierte Lernen dominieren,<br />
kann es angeraten sein, dass in den anderen Lernsequenzen eher lehrerzentrierte<br />
Unterrichtsformen eingesetzt werden. In Lernsequenz 2 könnten die Ängste und Befürchtungen<br />
der Patientin im Unterrichtsgespräch entwickelt werden und daraus Fragen<br />
an Experten für das Sozial- und Familienrecht abgeleitet werden. Ein Experte<br />
wird zur Befragung eingeladen. Die Erkenntnisse können mit dem Ziel dokumentiert<br />
werden, daraus eine Informationsbroschüre für Patientinnen zu erstellen, die in einer<br />
vergleichbaren Situation wie Hella B. sind. Im Unterrichtsgespräch wird gemeinsam die<br />
Gliederung für eine solche Broschüre entwickelt. In Kleingruppen verfassen die Lernenden<br />
arbeitsteilig die einzelnen Textpassagen die abschließend zu einem gemeinsamen<br />
Ergebnis zusammengestellt werden. Alternativ dazu könnte die Lernsequenz in<br />
die Lernsequenz 1 integriert werden und eine weitere Arbeitsgruppe die sozialpädagogische<br />
Perspektive übernehmen – mit der Einschränkung, dass die Inhalte dieser<br />
Arbeitsgruppe sich z.T. auf andere Lernfelder beziehen und die Arbeitsaufgabe für die<br />
Gruppe teilweise anders ausgerichtet ist.<br />
Auch Lernsequenz 3 ist im Sinne des Methodenwechsels überwiegend lehrerzentriert<br />
gestaltet. Die hier zu erarbeitende Wissensbasis (Schritt 1-4) soll zunächst über entsprechende<br />
Arbeitsblätter, Textarbeit und/oder entsprechende Lehrervorträge gelegt<br />
werden, wobei die Fragen aus der Einstiegssequenz zum Ausgangspunkt genommen<br />
werden können – die inhaltliche Struktur muss nach einer gründlichen Sachanalyse<br />
zum aktuellen Sachstand der Thematik dieser Sequenz entwickelt werden.<br />
Im weiteren Verlauf dieser Lernsequenz soll zunächst die fallbezogene Interaktion im<br />
Interprofessionellen Team herausgearbeitet werden. Hierfür bilden die Lernenden 7<br />
Arbeitsgruppen zu den unterschiedlichen Perspektiven im multiprofessionellen Team<br />
(Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Neuro-)Psychologie, Sozialarbeit, Pflege,<br />
Medizin), wobei sie z.T. in den Arbeitsgruppen der Lernsequenz 1 verbleiben können<br />
und z.T. Mitglieder in die drei noch nicht besetzten Berufsgruppen abordnen können.<br />
In diesen Kleingruppen lesen sie zunächst die Textsequenzen von Zeile 29 bis 55 und<br />
138 bis 146 erneut und überlegen sich aus der Sicht ihrer Berufsgruppe, wie sie die<br />
Patientin möglicherweise wahrgenommen <strong>habe</strong>n könnten und was sie aus dieser<br />
Perspektive unter Berücksichtigung der Interessen ihrer Berufsgruppe für den weiteren<br />
Therapieverlauf der Patientin vorschlagen würden. Die Gruppen entsenden dann jeweils<br />
ein Mitglied in eine interdisziplinäre Fallbesprechung, um zu diskutieren, wie es<br />
für Frau B. weitergehen soll. Diese Fallbesprechung wird gestoppt, wenn die einzelnen<br />
Positionen deutlich geworden sind. Diese Positionen werden im Tafelanschrieb<br />
festgehalten und unterschiedliche Optionen herausgearbeitet.<br />
In Lernsequenz 4 steht die unmittelbare Interaktion mit der Patientin im Sinn einer<br />
Beratung zum weiteren Verlauf der Rehabilitation im Mittelpunkt, wobei auch hierfür<br />
methodisch ein Rollenspiel eingesetzt werden müsste, da Kommunikative Kompetenz<br />
am besten durch Erfahrung in der Kommunikation entwickelt werden kann . 2<br />
Nach einer Erarbeitung zur Unterscheidung von Patientenedukation und Empowerment<br />
in der sozialen Arbeit werden im Unterrichtsgespräch zu beiden Konzepten Kriterien<br />
für eine gelungene Beratung formuliert und im Tafelanschrieb festgehalten. Dabei<br />
können Erkenntnisse aus vorangegangenen Unterrichten zu Kommunikation und Beratung<br />
mit einbezogen werden. Anschließend bestimmen die SchülerInnen arbeitsteilig<br />
die Rolle der Patientin und der PflegeberaterIn und formulieren Wünsche und Bedürfnisse<br />
bzw. Zielvorstellungen für das Beratungsgespräch. Es werden möglichst mehrere<br />
Beratungsequenzen angespielt. Die Reflexion erfolgt in drei Schritten:<br />
• zunächst formuliert die „BeraterIn“, wie es ihr ergangen ist und welchen<br />
(unerwarteten ) Schwierigkeiten sie sich stellen musste<br />
• anschließend gibt die „Patientin“ Rückmeldung, wie sie die Beratung erlebt<br />
hat<br />
2 Wenn die Lerngruppe die Arbeit mit Rollenspielen nur schwer annimmt, sollte eher in<br />
Lernsequenz 3 alternativ die Form eines Unterrichtsgesprächs gewählt werden. Erfahrungsgemäß<br />
finden sich aber in den Lerngruppen immer einige SchülerInnen, die sich<br />
gerne auf diesen Lernweg einlassen. Es ist eine pädagogische Entscheidung, inwiefern<br />
man Lernende, die dieser Methode eher kritisch gegenüber stehen – oder sich<br />
nicht trauen – mit sanftem Druck zu einer Lernerfahrung verhelfen sollte.
Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />
13<br />
• als Letzte geben die BeobachterInnen Rückmeldung, wobei sie sich an den<br />
zuvor erarbeiteten Kriterien orientieren.<br />
Abschließend werden die Konzepte „Patientenedukation“ und „Empowerment“ vor dem<br />
Hintergrund der Erfahrungen aus den Rollenspielen vertiefend diskutiert, auch in Hinblick<br />
auf die Frage des eigenen professionellen Selbstschutzes.<br />
In einer abschließenden Ergebnissicherung kommt das System „Rehabilitation“ unter<br />
einer aktuellen gesundheitspolitischen Fragestellung auf den Prüfstand – als provozierende<br />
Entscheidungsfrage, die im Rahmen der ausführlichen Sachanalyse zu Lernsequenz<br />
3 gewonnen werden kann (- z.B.: „Im Zuge der Qualitätssicherung der Rehabilitationsverläufe<br />
muss ein umfassendes Entwicklungsprogramm für die konsequente<br />
Entwicklung von strukturierten Behandlungspfaden aufgelegt werden.“) . Gewählt wird<br />
die Form einer gesundheitspolitischen Anhörung, für die die Schüler die Rollen verschiedener<br />
Experten übernehmen. Sie formulieren zunächst ihre jeweilige Position zu<br />
der Fragestellung und beziehen dabei ihre Erfahrungen mit dem Fall „Hella B.“ mit ein.<br />
Die Argumente werden in der Form einer Pro-Contra-Diskussion gegenüber gestellt,<br />
geordnet und gewichtet, um so eine Empfehlung für die gesundheitspolitische Entscheidung<br />
abzuleiten.<br />
Diese abschließende Ergebnissicherung kann auch am Ende der gesamten Lerneinheit<br />
zur Rehabilitation stehen und sich auf unterschiedliche im Lernfeld erarbeitete<br />
Fallsituationen beziehen. In diesem Fall würde die Lerninsel mit dem letzten Schritt der<br />
Lernsequenz 4 enden. Abschließend müsste anhand der Lernfragen aus der Einstiegssequenz<br />
evaluiert werden, inwiefern die gesteckten Lernziele realisiert wurden.