Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2014-06-07 (Vorschau)
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24<br />
7.6.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
2 4<br />
4 1 98<strong>06</strong>5 805008<br />
Rückkehr der Magie<br />
Apple auf der Jagd nach dem neuen Steve Jobs<br />
Dax 10000<br />
Wie lange geht die Party noch?<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBPGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien€6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
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Einblick<br />
In diesen Tagen werden die großen Reformen der<br />
SPD-dominierten Bundesregierung Gesetz – und im<br />
Herbst kommt die nächste Runde. Von Roland Tichy<br />
Hysterisches Gejaule<br />
FOTO: HEIKE ROST FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Eine große Koalition kann halt flott<br />
Gesetze machen; keine lästigen<br />
Debatten, keine Sorge um Mehrheiten;<br />
die Herde ist groß genug,<br />
um sogar das eine oder andere schwarze<br />
Schaf aus dem Wirtschaftsflügel zu ertragen<br />
– da darf der eine oder andere sogar<br />
frech dagegen stimmen und wird doch<br />
wieder großmütig im wohlig warmen<br />
Pferch der Mehrheit aufgenommen. Praktisch<br />
auch, dass die Opposition aus Linken<br />
und Grünen nicht nur argumentativ<br />
schwach ist, sondern auch brav auf Gro-<br />
Ko-Linie liegt: Sie werfen artig mit Wattebällchen,<br />
weil sie ja doch nichts anderes<br />
wollen als die große sozialdemokratische<br />
Koalition, nur etwas mehr von dem angerührten<br />
Brei sozialer Wohltaten wäre nett.<br />
Und so geht es im 7. Regierungsmonat<br />
der großen Koalition widerspruchsfrei und<br />
schnell voran mit ihren Verschlimmbesserungen:<br />
Aktuell ist das Mindestlohngesetz<br />
dran; die Rente mit 63 und die Mütterrente<br />
sind schon durch. Jetzt darf Wolfgang<br />
Schäuble seinen Bundeshaushalt durchwinken;<br />
auch daran wird sich keine hitzige<br />
Debatte entzünden. Seine Zahlen sind ja<br />
auch sehr schön: Kaum neue Schulden – es<br />
ist der Höhepunkt und gleichzeitig krönende<br />
Abschluss seiner glanzvollen Karriere.<br />
Zukünftige Finanzminister werden an<br />
Schäubles schwarzer Null gemessen. So sichert<br />
man sich einen Platz im Geschichtsbuch.<br />
Seine Erben werden es schwer haben.<br />
Irgendwann werden die Zinsen für die<br />
insgesamt 1100 Milliarden Euro angehäufte<br />
Bundesschuld wieder steigen; dann rutscht<br />
der Haushalt ganz von alleine ins Rote, sogar<br />
ins Tiefrote. Das Rentenpaket mit einer<br />
Kostenbelastung von mindestens 160 Milliarden<br />
Euro wird spätestens ab 2017 auch in<br />
den Bundeshaushalt durchschlagen, ahnt<br />
Schäubles Vorgänger Peer Steinbrück: Das<br />
Rentenpaket „kann an der normativen<br />
Kraft des Faktischen scheitern“, formuliert<br />
Steinbrück kompliziert, um die Härte der<br />
Kritik durch flauschig-unverständliche<br />
Schonsprache zu kaschieren – Klartext war<br />
früher und wird nur noch angewandt auf<br />
jene außerhalb der eigenen Reihen: Nur<br />
„hysterisches Gejaule“ kann die große Sozialministerin<br />
Andrea Nahles von den Kritikern<br />
(und das sind praktisch alle Fachleute)<br />
ihrer Reformen vernehmen: So viel Abwertung<br />
und Arroganz war wohl noch nie im<br />
politisch-parlamentarischen Betrieb. Aber<br />
große, unkontrollierte Gestaltungsspielräume<br />
verführen dazu, auch die Sprache zu gestalten,<br />
um die Hirne zu erreichen: Das<br />
Mindestlohngesetz geht nicht als das, was<br />
es ist, nämlich ein staatliches Lohnfestsetzungsverfahren,<br />
in das Gesetzgebungsverfahren.<br />
Es wird vielmehr „Tarifautonomie-<br />
Stärkungsgesetz“ genannt: eine Art<br />
Neusprech der großen Koalition.<br />
DIE NEUSPRECH DER GROKO<br />
Während andere Länder ihre Wirtschaft<br />
entlasten, will diese Bundesregierung also<br />
mal wieder die Belastungsfähigkeit der<br />
Wirtschaft testen. Dazu wird im Herbst die<br />
nächste Woge von Wirtschaftsgesetzen<br />
über uns hinwegschwappen, die derzeit die<br />
zweite Reihe der SPD-Minister vorbereitet:<br />
etwa die Frauenquote in Aufsichtsräten von<br />
Familienministerin Manuela Schwesig; ein<br />
tiefer Eingriff in die Organisationsfreiheit<br />
der Unternehmen (siehe Seite 31). Und<br />
Bundesjustizminister Heiko Maas will sich<br />
an die Spitze der SPD-geführten Landesregierungen<br />
stellen, die via Bundesrat ein eigenes<br />
„Unternehmensstrafrecht“ als neue<br />
Rechtsnorm einbringen wollen: Danach<br />
sollen nicht mehr einzelne Manager für<br />
Verstöße haftbar gemacht und bestraft<br />
werden, sondern das jeweilige Unternehmen<br />
in seiner Gesamtheit. Damit werden<br />
auch die Belegschaften in Sippenhaft genommen<br />
und verlieren möglicherweise<br />
sogar ihre Jobs, denn das Gesetz will ausdrücklich<br />
komplette Unternehmen liquidieren,<br />
wenn sie auffällig im Sinne des Gesetzes<br />
werden. Der Gesetzesentwurf aus<br />
der Feder des nordrhein-westfälischen Justizministers<br />
Thomas Kutschaty nimmt Familienunternehmer<br />
ins Visier, die zweifach<br />
bestraft werden können: in ihrer Doppelrolle<br />
als Manager und als Eigentümer der<br />
Personengesellschaften.<br />
Aber Debatten im Bundestag darüber<br />
sind natürlich nicht zu erwarten – nur hysterisches<br />
Gejaule.<br />
n<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 3<br />
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Überblick<br />
Menschen der Wirtschaft<br />
6 Seitenblick Sportclubs der Superreichen<br />
8 Putzportale: Schwesig gegen Samwer<br />
9 Nürburgring: Verkauf verzögert | Mobilfunk:<br />
Urlaubsangebot floppt<br />
10 Interview: Porsche-Design-Chef Jürgen<br />
Gessler will Asien erobern<br />
11 HRE: Rücktritt mit Signalwirkung | Tabak:<br />
Angst vor Handelskrieg | Klartext:Sportwetten-Regulierung<br />
wird zum Fiasko<br />
12 Samwers: Aufstieg in Milliardärsclub | IBM:<br />
IT-Tochter geht an Arvato | Lebensmittel:<br />
Salmonellen im Geflügel<br />
14 Chefsessel | Start-up Geile Weine<br />
16 Chefbüro Thomas Birtel, Vorstandschef des<br />
Baukonzerns Strabag<br />
Politik&Weltwirtschaft<br />
18 Russland Wie Wladimir Putin sein Land<br />
wirtschaftlich ruiniert<br />
24 Haushalt Die Steuern sprudeln, aber es<br />
fehlt schon wieder Geld. Warum eigentlich?<br />
26 Interview: Eric Schweitzer Der DIHK-<br />
Präsident attackiert die große Koalition<br />
28 Großprojekte Eine neue Bausoftware soll<br />
teure Planungspleiten verhindern<br />
30 Wasserpreise Wie die Kommunen den<br />
fehlenden Wettbewerb ausnutzen<br />
31 Forum: Brun-Hagen Hennerkes Was die<br />
Frauenquote für den Mittelstand bedeutet<br />
32 Ägypten Der neue Präsident Sisi will den<br />
Abstieg stoppen – ein Konzept hat er nicht<br />
33 Global Briefing | Berlin intern<br />
Der Volkswirt<br />
34 Kommentar | New Economics<br />
35 Konjunktur Deutschland Der Earlybird-<br />
Frühindikator gibt nach<br />
36 Weltwirtschaft Trotz der WM kommt<br />
Brasiliens Wirtschaft nicht in Schwung<br />
37 Denkfabrik ifo-Präsident Hans-Werner<br />
Sinn warnt vor einer Diktatur der Alten<br />
Unternehmen&Märkte<br />
40 Apple Mit unkonventionellen Top-<br />
Managern will Vorstandschef Tim Cook<br />
die Magie des Gründers Steve Jobs in die<br />
Zukunft retten<br />
46 Siemens Eine Fusion von General Electric<br />
und Alstom würde den Münchner Konzern<br />
beim Energiegeschäft zurückwerfen<br />
48 Wizz Air Der ungarische Billigflieger mit<br />
extremem Magerservice strebt an die Börse<br />
52 Banken Der Niedrigzins zwingt Geldinstitute,<br />
Aufgaben an Billigtöchter auszulagern<br />
55 Serie Turnarounder (I) Wie Osram-Chef<br />
Wolfgang Dehen dem alten Glühbirnenhersteller<br />
High Tech einhaucht<br />
60 Spezial Mittelstand Fußball-WM – wie<br />
deutsche Unternehmen <strong>vom</strong> großen Sportereignis<br />
in Brasilien profitieren<br />
Titel Noch spielt die Musik<br />
Die Welle billigen Geldes treibt den Dax<br />
scheinbar unaufhörlich. Anleger brauchen<br />
Aktien, keine Frage. Doch viele<br />
könnte es bald billiger geben. Im Interview<br />
sagt der erfahrene Geldmanager<br />
Jens Ehrhardt, warum die Börsen-Party<br />
erst mal Pause macht. Seite 84, 87<br />
Störfaktor Putin<br />
Mit Hurra-Patriotismus und einem aggressiven außenpolitischen<br />
Kurs will Wladimir Putin seine Macht sichern. Doch er verweigert Reformen,<br />
verprellt Investoren und treibt Russland immer tiefer in eine<br />
Wirtschaftskrise – unter der auch Deutschland leiden wird. Seite 18<br />
»Outen Sie sich!«<br />
Warum der Ex-Chef des britischen<br />
Ölkonzerns BP homosexuellen<br />
Managern zur Offensive rät.<br />
Wie Unternehmen eine angstfreie<br />
Kultur etablieren. Und wie er<br />
sein erzwungenes Coming-out<br />
erlebt hat. Seite 78<br />
TITELFOTO: INTERFOTO, FOTOLIA; TITELMONTAGE: DMITRI BROIDO<br />
4 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Nr. 24, 7.6.<strong>2014</strong><br />
Serie (I): Die Turnarounder<br />
Nach jahrelangen Verlusten hat Wolfgang Dehen Osram<br />
zurück in die Gewinnzone geführt – und sich nun überraschend<br />
von Technikchef Peter Laier getrennt. Wie machte er<br />
den Glühbirnen- zum High-Tech-Leuchten-Produzenten? Seite 55<br />
Kulturschock im Kultkonzern<br />
Vom Gangsta-Rapper bis zum Ex-Gegner: Mit neuen Top-<br />
Managern versucht Konzernchef Tim Cook, Apple von<br />
Neuem den Geist des verstorbenen Gründers Steve Jobs<br />
einzuhauchen. Ohne dessen Magie droht dem iPhone- und<br />
iPad-Hersteller der Erfolg abhanden zu kommen. Seite 40<br />
Technik&Wissen<br />
70 Internet Das grünere Web: Google und Co.<br />
kühlen Computer in der Arktis oder verkaufen<br />
Server als Heizung | Ein deutscher Gründer<br />
macht Rechenzentren effizient wie nie<br />
75 Fußball Datendetektive jagen mit neuer<br />
Software die Wettmafia<br />
77 Valley Talk<br />
Management&Erfolg<br />
78 Interview: John Browne Was der Ex-BP-<br />
Chef nach seinem eigenen erzwungenen<br />
Coming-out homosexuellen Managern rät<br />
82 Anwälte Welche Kanzlei die beste PR in eigener<br />
Sache macht, zeigt ein neues Ranking<br />
Geld&Börse<br />
84 Dax Die Welle billigen Geldes treibt die Börsen.<br />
Wie lange sollen Anleger sie reiten? | Interview:<br />
Vermögensverwalter Jens Ehrhardt<br />
90 US-Börse Das Versagen der Aufsicht SEC<br />
92 Grauer Kapitalmarkt Die nebulösen Immobiliendeals<br />
der Euro Grundinvest<br />
96 Steuern und Recht Versandhandel | Lärmbelästigung<br />
durch Fußball-WM | Arbeitszimmer<br />
absetzen | Baumängel | Mietrecht |<br />
Schadensersatz für lange Verfahren<br />
98 Geldwoche Kommentar: Schwindel bei<br />
Hochzinspapieren | Dax-Aktien: Deutsche<br />
Bank | Hitliste: Börsenphasen | Aktien: RWE,<br />
Krones | Anleihe: Hochtief/ACS | Zertifikat:<br />
US-Technologieaktien | Investmentfonds:<br />
Echiquier Agressor | Chartsignal: Börse<br />
Athen | Relative Stärke: Deutsche Euroshop<br />
Perspektiven&Debatte<br />
1<strong>06</strong> Brasilien Die Spielorte der Fußball-WM<br />
bieten mehr als schöne Stadien<br />
110 Kost-Bar<br />
Rubriken<br />
3 Einblick, 112 Leserforum,<br />
113 Firmenindex | Impressum, 114 Ausblick<br />
FOTOS: LAIF/JAMES HILL; THE GUARDIAN/MATTHEW FARRANT; XINHUA/PHOTOSHOT<br />
Business und Spiele<br />
Vom 12. Juni an rollt der Ball bei der Fußball-<br />
WM in Brasilien. Die Stimmung im Land ist<br />
mau, die Konjunktur läuft schlecht. Viele deutsche<br />
Mittelständler stört das nicht. Sie zählen zu den Gewinnern<br />
der WM und konnten etliche Aufträge einheimsen – <strong>vom</strong> Catering<br />
bis zur Abwehr von Terrorattacken. Doch auch wer sich weder für<br />
Fußball noch für Geschäfte interessiert, kommt auf seine Kosten:<br />
Rund um die Spielorte gibt es noch andere Sehenswürdigkeiten<br />
außer den Fußballarenen. Seiten 36, 60, 75 und 1<strong>06</strong><br />
n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />
weltweit auf iPad oder iPhone:<br />
Diese Woche mit einem Videokommentar<br />
darüber, warum sich<br />
Apple mit dem „Next Big<br />
Thing“ Zeit lassen darf,<br />
und einem 360-Grad-<br />
Blick ins Büro des Strabag-Chefs<br />
Thomas Birtel.<br />
wiwo.de/apps<br />
n Älter werden Chips im Kopf oder<br />
Bewegungsmelder in der Wohnung –<br />
mit welchen Hilfsmitteln wir immer<br />
älter werden könnten, wenn wir nur<br />
wollten. wiwo.de/innovationen<br />
facebook.com/<br />
wirtschaftswoche<br />
twitter.com/<br />
wiwo<br />
plus.google.com/<br />
+wirtschaftswoche<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 5<br />
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Seitenblick<br />
MILLIARDÄRE<br />
Sport ist<br />
ihr Hobby<br />
Berlusconi macht’s, Abramowitsch<br />
und jetzt Steve Ballmer – immer<br />
mehr Unternehmer und Milliardäre<br />
leisten sich einen Sportclub.<br />
Rinat Achmetov (1)<br />
Vermögen: 12 Milliarden Dollar<br />
Club: Schachtar Donetzk<br />
Der Club des reichsten Ukrainers holte<br />
fünf Meistertitel in Folge und verdrängte den<br />
Dauerrivalen Dynamo Kiew.<br />
Roman Abramowitsch (2)<br />
Vermögen: 9 Milliarden Dollar<br />
Club: FC Chelsea<br />
Der russische Ölmagnat hat seit 2003 fast<br />
eine Milliarde in Fußballspieler investiert.<br />
Chelsea holte so drei Meistertitel in England<br />
und gewann 2013 sogar die Champions<br />
League.<br />
Steve Ballmer (3)<br />
Vermögen: 21 Milliarden Dollar<br />
Club: Los Angeles Clippers<br />
Der ehemalige Microsoft-Chef hat die LA<br />
Clippers für die Rekordsumme von zwei Milliarden<br />
Dollar gekauft, Vorbesitzer Donald<br />
Sterling war wegen rassistischer Sprüche<br />
auf Lebenszeit gesperrt worden. Basketballfan<br />
Ballmer wollte früher schon die Seattle<br />
Supersonics und die Sacramento Kings.<br />
1<br />
3 4<br />
Micky Arison (4)<br />
Vermögen: 6 Milliarden Dollar<br />
Club: Miami Heat<br />
Der Kreuzfahrt-König (Carnival Cruises) will<br />
mit Miami und Superstar LeBron James den<br />
dritten Titel der US-Liga NBA in Folge holen.<br />
2<br />
5<br />
6 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Philip Anschutz (5)<br />
Vermögen: 10 Milliarden Dollar<br />
Clubs: Eisbären Berlin, Hamburg<br />
Freezers, LA Kings (alle Eishockey),<br />
LA Lakers, LA Galaxy<br />
Zum Anschutz-Imperium gehören<br />
neben Sportclubs auch Stadien,<br />
wie die O2-Arena in Berlin. Die<br />
Eisbären verpassten nach drei<br />
Titeln in Folge in diesem Jahr die Meisterschaft,<br />
dafür stehen die Kings derzeit im<br />
Finale der US-Eishockey-Liga NHL.<br />
Silvio Berlusconi (6)<br />
Vermögen: 9 Milliarden Dollar<br />
Club: AC Mailand<br />
Wie mit Berlusconi geht es auch mit seinem<br />
Club abwärts – der AC verpasste zum ersten<br />
Mal seit 15 Jahren die Europacup-Plätze.<br />
6<br />
7<br />
8<br />
Dietrich Mateschitz (7)<br />
Vermögen: 9 Milliarden Dollar<br />
Clubs: RB Leipzig, Red Bull<br />
Salzburg, Red Bull New York<br />
Nach dem Aufstieg von RB Leipzig<br />
erhofft sich der Red-Bull-Chef<br />
in der nächsten Saison den Durchmarsch in<br />
die Bundesliga. Zudem gehören ihm Eishockey-Clubs<br />
in München und Salzburg.<br />
Mark Cuban (8)<br />
Vermögen: 3 Milliarden Dollar<br />
Club: Dallas Mavericks<br />
Der Internet-Milliardär holte 2011 mit dem<br />
Deutschen Dirk Nowitzki den NBA-Titel.<br />
Paul Allen (9)<br />
Vermögen: 16 Milliarden Dollar<br />
Clubs: Seattle Seahawks, Portland<br />
Trailblazers<br />
Das Football-Team des<br />
Microsoft-Gründers gewann im<br />
Februar erstmals den Super Bowl.<br />
9<br />
FOTOS: GETTY IMAGES/AFP/MIKE EHRMANN/NBAE/TIME LIFE PICTURES, REUTERS, WITTERS, ACTION PRESS; ULLSTEIN BILD; DDP IMAGES/INTERTOPICS/UPI PHOTO/EYEVINE<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 Redaktion: oliver.voß@wiwo.de<br />
7<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
Putzplan in Arbeit<br />
Familienministerin<br />
Schwesig<br />
HAUSHALTSHILFEN<br />
Schwesig gegen Samwer<br />
Das Familienministerium will Putzfrauen<br />
im Internet vermitteln und macht<br />
damit privaten Anbietern Konkurrenz.<br />
Die Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer<br />
sind dafür berüchtigt, im DSL-Tempo Internet-<br />
Dienste zu gründen. Mit Helpling, einer Online-<br />
Plattform für die Vermittlung von Putzfrauen, haben<br />
sie darin einen Rekord aufgestellt: Am 10. Januar<br />
beschlossen die Samwers die Entwicklung, Ende<br />
März ging das Portal online, und in der vergangenen<br />
Woche starteten schon Ableger in Österreich,<br />
Frankreich, Schweden und Holland.<br />
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig<br />
braucht mehr Zeit. Auch ihr Haus will eine Plattform<br />
zur Vermittlung von Haushaltshilfen aufbauen,<br />
das Projekt haben CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag<br />
vereinbart. Schwesigs Dienst kann<br />
jedoch frühestens im kommenden Jahr starten. Die<br />
privaten Anbieter solcher Maklerdienste sind<br />
schon jetzt aufgebracht.<br />
„Wir sind dabei, das Problem der Schwarzarbeit<br />
zu lösen“, sagt Helpling-Chef Benedikt Franke. „Private<br />
Anbieter mit einem staatlichen Konkurrenzangebot<br />
zu verdrängen ist der falsche Ansatz. Ich<br />
glaube nicht, dass der Staat der bessere Internet-<br />
Unternehmer ist.“ Denn auch das Putzfrauen-Startup<br />
vermittelt nur legale Reinigungskräfte. Auch das<br />
Berliner Start-up Cleanagents offeriert seit bald ei-<br />
nem Jahr solch eine Plattform, einen weiteren Wettbewerber<br />
haben zwei Gründer des Internet-Unternehmens<br />
Lieferheld unter dem Namen Book a<br />
Tiger gestartet, und die von Google und anderen<br />
Investoren mit 38 Millionen Dollar finanzierte<br />
US-Plattform Homejoy ist seit Kurzem in Deutschland<br />
aktiv.<br />
„Eine aus Steuermitteln finanzierte, bundeseigene<br />
Plattform würde hier in einen gerade wachsenden<br />
Markt eingreifen“, kritisiert Bernhard Rohleder,<br />
Geschäftsführer des Branchenverbands Bitkom.<br />
„Es geht nicht darum, die Start-ups <strong>vom</strong> Markt zu<br />
drängen“, beschwichtigt das Ministerium. Stattdessen<br />
will es auch Kooperationen ausloten. Wie sie<br />
aussehen könnten, ist unklar. Derzeit stimmt sich<br />
Schwesig mit dem Arbeitsministerium ab.<br />
„Wir sind für eine Zusammenarbeit offen“, sagt<br />
Helpling-Chef Franke. Zweifel an einer staatlichen<br />
Plattform hegt er trotzdem. „Ich fürchte die Komplexität<br />
eines solchen Projekts wird unterschätzt“,<br />
sagt Franke. Der Staat solle daher lieber die Rahmenbedingungen<br />
anpassen. So könnte die steuerliche<br />
Absetzbarkeit der Putzfrauen von derzeit 20<br />
Prozent auf 30 oder 50 Prozent wie in Frankreich<br />
oder Schweden erhöht werden. Auch der Verwaltungsaufwand<br />
könne reduziert werden. Franke:<br />
„Wenn der Staat die steuerlichen Anreize verbessert<br />
und das mit einer großen Kampagne kommuniziert,<br />
wäre das Geld besser investiert.“<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
Glänzende<br />
Aussichten<br />
In wie vielen deutschen<br />
Großstädten Reinigungs-<br />
Start-ups aktiv sind<br />
Helpling<br />
Cleanagents<br />
Zeitreicher<br />
Book aTiger<br />
Homejoy<br />
14<br />
13<br />
4<br />
3<br />
1<br />
Quelle:Unternehmensangaben,<br />
eigene Recherche<br />
8 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ANATOL KOTTE/DIE ZEIT/LAIF; WIKTOR DABKOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; PR<br />
NÜRBURGRING<br />
Verkauf noch nicht durch<br />
An diesem Mittwoch wollte<br />
EU-Wettbewerbskommissar<br />
Joaquín Almunia eigentlich<br />
grünes Licht geben für den Verkauf<br />
des Nürburgrings an den<br />
Autoteilehersteller Capricorn.<br />
Doch der Düsseldorfer Investor<br />
und die rheinland-pfälzische<br />
Landesregierung müssen<br />
weiter auf eine Entscheidung<br />
der EU-Wettbewerbsbehörde<br />
warten.<br />
Der Abschluss der Beihilfeprüfung,<br />
die seit 2012 läuft, verzögert<br />
sich voraussichtlich<br />
noch bis zum Ende des Monats.<br />
In Brüssel ist von verfahrenstechnischen<br />
Gründen die Rede.<br />
Bekannt ist aber auch, dass der<br />
unterlegene US-Investor NeXo-<br />
Nach einemUrteil des Europäischen Gerichtshofs lassen Tausende Privatpersonen<br />
von Google unliebsame Ergebnisse aus der Namenssuche löschen.<br />
Film- und Musikindustrie entfernen sogar millionenfach Inhalte.<br />
10 000<br />
Quelle: Google<br />
Millionenfaches Löschen<br />
Nike statt Adidas Fast 80 Millionen<br />
Mal haben Fans sich weltweit<br />
im Internet das Reklame-Video<br />
„Winner Stays“von Nike zur<br />
Fußballweltmeisterschaft reingezogen.<br />
Der US-Konzern hängt<br />
damit seinen ärgsten Konkurvation<br />
hofft, Almunia könnte<br />
das Bieterverfahren auf den<br />
letzten Metern noch für illegal<br />
erklären.<br />
NeXovation hatte mit 150<br />
Millionen Euro deutlich mehr<br />
für die Rennstrecke geboten als<br />
Capricorn, das für 77 Millionen<br />
Euro den Zuschlag erhalten hat.<br />
Wegen angeblicher Bevorzugung<br />
eines einheimischen Bieters<br />
hatte NeXovation bei der<br />
EU-Kommission eine offizielle<br />
Beschwerde eingereicht und einen<br />
intransparenten Verkaufsprozess<br />
moniert. Im Entwurf<br />
der Kommissionsentscheidung<br />
wird beides als unbegründet<br />
eingestuft und auf die fehlende<br />
Finanzierungszusage von Ne-<br />
Xovation verwiesen. Sollte es<br />
dabei bleiben, gäbe es kein neues<br />
Bieterverfahren.<br />
Werner Langen, CDU-Europaabgeordneter<br />
aus Rheinland-<br />
Pfalz, der Heimat des Nürburgrings,<br />
erwartet, dass der<br />
Wettbewerbskommissar bei<br />
seinem bisherigen Kurs bleibt.<br />
„Ich gehe nicht davon aus, dass<br />
Almunia den Beschluss noch<br />
verändert.“ NeXovation ist bereit,<br />
den Beschluss vor Gericht<br />
anzufechten.<br />
Löschanträge von Privatpersonen aus<br />
Europa zu Treffern bei der Namenssuche<br />
gehen pro Tag bei Google ein<br />
Wöchentliche Löschanträge (weltweit)<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
Nicht rasend schnell<br />
EU-Kommissar Almunia<br />
2011 2012<br />
Aufgeschnappt<br />
renten ab, den offiziellen Fifa-<br />
Partner Adidas. Dessen WM-<br />
Werbespot „Messi’s Dream“<br />
wurde bisher nur knapp 31 Millionen<br />
Mal aufgerufen.<br />
Hauskonzert statt Dividende<br />
Rund 55 000 Euro wollte Popsänger<br />
Thomas Godoj übers Internet<br />
einsammeln, damit er<br />
sein fünftes Studioalbum produzieren<br />
kann. Mehr als 117 000<br />
Euro sind schon zusammengekommen<br />
– Crowdfunding-Rekord<br />
für einen deutschen Musiker.<br />
Statt einer Dividende bietet<br />
Godoj den Investoren Wohnzimmerkonzerte<br />
an, Führungen<br />
durchs Musikstudio oder den<br />
Besuch eines Videodrehs.<br />
MOBILFUNK<br />
Billigofferte<br />
gefloppt<br />
EU-Kommissarin Neelie<br />
Kroes wollte den Sommerurlaubern<br />
ein Geschenk präsentieren.<br />
Vom 1. Juli <strong>2014</strong> an, so<br />
hatte es Brüssel vor zwei Jahren<br />
beschlossen, sollten die Roaming-Aufschläge<br />
durch eine<br />
neue Form des Wettbewerbs<br />
wegfallen. Ohne Tausch der<br />
Sim-Karte dürfen Mobilfunkkunden<br />
während ihres Aufenthalts<br />
im europäischen Ausland<br />
zu einem günstigeren Anbieter<br />
wechseln. Decoupling nennt<br />
die EU dieses neue Verfahren.<br />
Doch nur „ein, zwei kleinere“<br />
Decoupling-Anbieter hätten<br />
sich gemeldet, heißt es bei den<br />
Mobilfunkbetreibern Deutsche<br />
Telekom, Vodafone, E-Plus und<br />
O2. Sie selbst bieten kein Decoupling<br />
an, müssen aber Decoupling-Anbieter<br />
in ihre Netze<br />
lassen. Einen zweistelligen Millionenbetrag<br />
hätten die technischen<br />
Vorbereitungen gekostet,<br />
das Geld sei verschwendet, sagt<br />
ein Telekom-Manager. Denn<br />
die EU-Kommission habe Interessenten<br />
selbst verprellt. Mit<br />
dem Vorstoß, dass Roaming-<br />
Aufschläge schon im nächsten<br />
Jahr ganz fallen müssen, lohnt<br />
sich ein Decoupling jetzt nicht<br />
mehr.<br />
2013 <strong>2014</strong><br />
juergen.berke@wiwo.de<br />
6 000 000<br />
4 000 000<br />
2 000 000<br />
0<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 9<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
FLOSKELCHECK<br />
Das<br />
Aufgebot<br />
Der Jogi und der Hansi<br />
haben ihr Aufgebot bekannt<br />
gegeben. Heiraten die? Wohl<br />
kaum, aber jetzt ist wieder<br />
Fußballweltmeisterschaft.<br />
Diesmal in Brasilien – falls<br />
die Stadien rechtzeitig fertig<br />
werden und die Mannen von<br />
Trainer Joachim Löw und<br />
seinem Assistenten Hans-<br />
Dieter Flick auflaufen<br />
können. Bei der Vergabe der<br />
WM-Ausrichtung geht es<br />
nach strengen Kriterien: Wer<br />
das meiste Bestechungsgeld<br />
löhnt, erhält wohl den Zuschlag.<br />
2018 findet die WM in<br />
Russland (Erdgas-Milliarden)<br />
statt, 2022 in Katar<br />
(Öl-Fantastilliarden). Bei der<br />
Vergabe des WM-Titels geht<br />
es gerechter zu. Jeder kommt<br />
mal dran. 1998 Adidas (rüstet<br />
Frankreichs Elf aus), 2002<br />
Nike (Brasilien), 20<strong>06</strong> Puma<br />
(Italien), 2010 wieder<br />
Adidas (Spanien), <strong>2014</strong> ist<br />
dann Nike wieder dran. Also<br />
Brasilien. Oder Südkorea –<br />
die spielen auch in Nike!<br />
DER FLOSKELCHECKER<br />
Hans Gerzlich, 47, Diplom-<br />
Ökonom, ehemaliger Marketing-Referent<br />
und heute<br />
Wirtschaftskabarettist und<br />
Bürocomedian.<br />
INTERVIEW Jürgen Gessler<br />
»Wearables werden ein<br />
ganz großes Thema«<br />
Der Chef des Unternehmens Porsche Design<br />
will Asien erobern, die Zahl seiner Läden fast<br />
verdoppeln und setzt auf Trendprodukte.<br />
Herr Gessler, in Ihren Porsche-<br />
Design-Läden stechen vor<br />
allem die Damenhandtaschen<br />
ins Auge. Wie passt das<br />
zusammen – Porsche und<br />
Damenhandtaschen?<br />
Das passt perfekt. Denn wir<br />
waren und sind keine Männermarke.<br />
1992 hat Ferdinand Alexander<br />
Porsche bereits eine Tasche<br />
für Damen auf den Markt<br />
gebracht. Heute machen wir 25<br />
Prozent unseres Umsatzes mit<br />
Produkten für Frauen. Und die<br />
Damenhandtasche ist unser<br />
zweiterfolgreichstes Produkt<br />
nach dem Porsche-Design-<br />
Smartphone.<br />
Die Porsche AG, also der Autohersteller,<br />
hält inzwischen<br />
65 Prozent an Porsche Design.<br />
Stimmen sich die Designer der<br />
beiden Unternehmen ab?<br />
Ferdinand Alexander Porsche<br />
hat den Sportwagenhersteller<br />
1972 als Designchef verlassen,<br />
um sein eigenes Designstudio<br />
und die Marke Porsche Design<br />
zu gründen. Er wollte Dinge für<br />
DER VEREDLER<br />
Gessler, 50, leitet seit 20<strong>07</strong> das<br />
Unternehmen Porsche Design, das<br />
rund 200 Mitarbeiter beschäftigt,<br />
darunter 25 Designer.<br />
sich kreieren und hielt sich<br />
allein an seine zehn Designgebote<br />
– an die wir uns noch<br />
heute halten.<br />
Was sind Ihre wichtigsten<br />
Märkte?<br />
Die USA, der Nahe Osten,<br />
Deutschland und Hongkong.<br />
Im Frühjahr haben wir den ersten<br />
Store in Italien eröffnet, in<br />
Mailand; und im Sommer machen<br />
wir den ersten Store in Paris<br />
auf. Außerdem gehen wir daran,<br />
Asien zu erobern. In China<br />
haben wir im vergangenen<br />
Jahr ein Tochterunternehmen<br />
gegründet und wollen dort<br />
jetzt den ersten eigenen Store<br />
bauen.<br />
Nach Japan wollen Sie dieses<br />
Jahr, hatten Sie angekündigt.<br />
Unseren Start in Japan werden<br />
wir noch einmal um ein Jahr<br />
verschieben – das ist ein gewaltiger<br />
Markt. Weltweit haben wir<br />
jetzt insgesamt mehr als 156<br />
Stores, darunter 33 eigene, die<br />
anderen werden von Franchisenehmern<br />
betrieben. Bis<br />
zum Jahr 2018 planen wir weltweit<br />
mit 290 Stores.<br />
Obwohl immer mehr Menschen<br />
übers Internet einkaufen?<br />
Der Online-Anteil an unserem<br />
Umsatz liegt deutlich unter<br />
zehn Prozent. Aber viele Kunden<br />
sehen im Internet unsere<br />
Produkte, rufen dann in einem<br />
unserer Stores an und lassen<br />
sich die Ware von dort schicken.<br />
Dieser Umsatz geht natürlich<br />
nicht in den Online-Umsatz<br />
ein. Unsere Stores machen über<br />
den Versand deutlich mehr als<br />
zehn Prozent des Umsatzes.<br />
Die Porsche Design Group erzielte<br />
2013 einen Umsatz von<br />
128 Millionen Euro, zehn Prozent<br />
mehr als im Vorjahr. Wie<br />
viel erwarten Sie dieses Jahr?<br />
Wir gehen von einer erneuten<br />
Steigerung aus, aber Zahlen<br />
können wir noch nicht kommunizieren.<br />
Der Umsatz stieg auch, weil sie<br />
weitere Läden eröffneten.<br />
Mit dem Flächenumsatz kommen<br />
wir nicht an Louis Vuitton<br />
heran, aber mit anderen Luxusmarken<br />
können wir uns durchaus<br />
messen.<br />
Sie schreiben schwarze<br />
Zahlen?<br />
Wir möchten das Lebenswerk<br />
von Ferdinand Alexander Porsche<br />
bekannt machen. Aber<br />
nicht als eingetragener Verein,<br />
sondern profitabel.<br />
Nach welchen Kriterien stellen<br />
Sie das Sortiment in den Stores<br />
zusammen?<br />
Derzeit haben wir zwölf Produktkategorien.<br />
Aber wann immer<br />
im Markt eine Produktgruppe<br />
für unsere Kunden<br />
relevant wird, überlegen wir,<br />
wie unsere Antwort aussehen<br />
kann. Wir sind weniger Trendsetter<br />
im Erfinden neuer Produkte.<br />
Unser Ziel ist es, Produkte<br />
besser und cleverer zu<br />
machen.<br />
Was kommt denn als Nächstes?<br />
Wearables sind ein großes<br />
Thema, also etwa Armbänder,<br />
die Ihre Schritte messen; die<br />
messen, wie Sie sich fühlen, wie<br />
Sie schlafen.<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTO: MATTHIAS HANGST<br />
10 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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FOTO: ARGUM/THOMAS EINBERGER; CORBIS/ZUMA PRESS/WIKTOR DABKOWSKI<br />
HYPO REAL ESTATE<br />
Frust zum Finale<br />
Der Verkauf der Deutschen<br />
Pfandbriefbank PBB soll bald<br />
starten. Doch der überraschende<br />
Rücktritt ihrer Chefin<br />
Manuela Better ist ein Rückschlag<br />
für die Privatisierung der<br />
Tochter der Hypo Real Estate<br />
(HRE), die in der Finanzkrise<br />
verstaatlicht wurde. „Das hat<br />
Signalwirkung“, heißt es in Finanzkreisen.<br />
Mögliche Interessenten<br />
habe schon der kürzlich<br />
abgeblasene Verkauf der irischen<br />
HRE-Tochter Depfa verunsichert.<br />
Der Bund hatte entschieden,<br />
die Depfa trotz eines<br />
ausgehandelten Kaufvertrags<br />
selbst abzuwickeln. Interessenten<br />
für die PBB dürften nun feste<br />
Zusagen fordern, dass ein<br />
Verkauf tatsächlich gewollt ist<br />
und am Ende nicht erneut die<br />
Abwicklung steht.<br />
Anders als die Depfa gilt die<br />
PBB als intaktes Institut mit stabilem<br />
Neugeschäft. Ein Käufer<br />
dürfte die Bank mit dem<br />
ZIGARETTEN<br />
Angst vor<br />
Handelskrieg<br />
Frankreich, Irland und Großbritannien<br />
wollen für alle Zigarettenhersteller<br />
einheitliche<br />
Packungen vorschreiben, ohne<br />
Markenlogo und ohne firmenspezifische<br />
Unterschiede. Die<br />
Aktion könnten auch andere<br />
EU-Länder aufgreifen, obwohl<br />
EU-Kommissar Tonio Borg auf<br />
einen Zwang zur Einheitspackung<br />
verzichtet hat. Schon<br />
jetzt schüren die nationalen<br />
Einschränkungen die Angst vor<br />
einem Handelskrieg. Denn Indonesien<br />
drohte bereits an, im<br />
Gegenzug Einheitsverpackung<br />
für Wein einzuführen.<br />
Indonesiens Vorschrift zu<br />
schmucklosen Weinetiketten<br />
richtet sich zunächst gegen<br />
Schwerpunkt bei der Finanzierung<br />
von Immobilien dauerhaft<br />
fortführen. Das Geschäft ist allerdings<br />
wenig profitabel und<br />
die Refinanzierung schwierig.<br />
Better hatte sich vehement für<br />
Vertrauen entzogen<br />
Bankerin Better<br />
Firmen fürchten Flächenbrand<br />
EU-Kommissar Borg<br />
Australien, wo Zigaretten schon<br />
seit Dezember 2012 in einheitlichen<br />
grünen Packungen mit<br />
weißem Schriftzug verkauft<br />
werden müssen. Indonesien<br />
und vier weitere Länder haben<br />
Australien deswegen vor der<br />
Welthandelsorganisation<br />
(WTO) verklagt. Auch wenn In-<br />
den Verkauf der Depfa eingesetzt.<br />
Die Absage habe sie als<br />
persönlichen Entzug von Vertrauen<br />
empfunden, sagen Insider.<br />
Zusätzlich dürften länger<br />
schwelende Querelen mit Vertretern<br />
des staatlichen Eigentümers<br />
– etwa dem Chef des Rettungsfonds<br />
FMSA Christopher<br />
Pleister – zu ihrem Rücktritt geführt<br />
haben. Sie bekommt keine<br />
Abfindung.<br />
cornelius.welp@wiwo.de | Frankfurt<br />
donesien die Einschränkung<br />
für Weinetiketten noch nicht<br />
umgesetzt hat, so löst alleine<br />
die Ankündigung Unruhe aus.<br />
„Die Drohung steht im Raum“,<br />
sagt Sylvain Naulin, Handelsexperte<br />
der Vereinigung der europäischen<br />
Weinhersteller CEEV.<br />
Auch schottische Whisky-Brennereien<br />
und tschechische<br />
Brauereien sind besorgt.<br />
Irland begann 2013 mit Vorarbeiten<br />
zu einem Gesetz für<br />
einheitliche Zigarettenschachteln.<br />
Die französische Gesundheitsministerin<br />
Marisol Touraine<br />
will noch im Juni solch ein<br />
Gesetz vorschlagen. Die EU hat<br />
in ihrem jüngsten Regulierungspaket<br />
auf Einheitsschachteln<br />
verzichtet, nachdem die<br />
Branche dies als Enteignung<br />
kritisiert hatte. EU-Staaten steht<br />
es aber frei, national strengere<br />
Regeln einzuführen.<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
KLARTEXT | Die<br />
deutsche Regulierung<br />
von Sportwetten gerät<br />
zum Fiasko.<br />
Einsatz<br />
verpasst<br />
Für Wettbüros – ob im<br />
Internet oder an der<br />
Straßenecke – ist die<br />
Fußballweltmeistschaft das,<br />
was für Einzelhändler das<br />
Weihnachtsgeschäft von vier<br />
Jahren wäre. Doch rechtlich<br />
bewegen sich Wettanbieter<br />
wie Bwin und Tipico in einer<br />
Grauzone. Und das wird<br />
noch lange so bleiben.<br />
Seit Jahren wird vor Gerichten<br />
gestritten, welche Angebote<br />
zulässig sind, an diesem<br />
Donnerstag befasst sich einmal<br />
mehr der Europäische<br />
Gerichtshof mit dem deutschen<br />
Glücksspielrecht. Es<br />
prüft den Sonderweg von<br />
Schleswig-Holstein, das 2012<br />
48 Lizenzen an Anbieter von<br />
Sportwetten und an<br />
Online-Casinos erteilt hat. Inzwischen<br />
trat das Land dem<br />
Staatsvertrag bei, den die<br />
anderen Bundesländer geschlossen<br />
hatten. Auch er<br />
sieht die Vergabe von Sportwett-Lizenzen<br />
vor, aber bisher,<br />
fast zwei Jahre später, ist<br />
noch keine einzige Konzession<br />
erteilt worden.<br />
Vor einem halben Jahr hatte<br />
das dafür zuständige hessische<br />
Innenministerium erklärt,<br />
keiner der bis zu 100<br />
Bewerber erfülle die Mindestanforderungen.<br />
Inzwischen<br />
wurden Unterlagen nachgereicht,<br />
in der zweiten Jahreshälfte<br />
könnte entschieden<br />
werden. Dann dürften all jene<br />
klagen, die nicht zum Zuge<br />
kommen. Sie werden behaupten,<br />
die Festlegung auf 20<br />
Konzessionen sei willkürlich.<br />
Wetten?<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 11<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
SAMWER<br />
Aufstieg in<br />
neue Liga<br />
Bisher tauchten die Unternehmerbrüder<br />
Oliver, Alexander<br />
und Marc Samwer in den<br />
Reichstenlisten nur unter „ferner<br />
liefen“ auf. Doch nun zeichnen<br />
sich zwei Börsengänge ab, die<br />
die deutschen Internet-Investoren<br />
in den Listen nach oben katapultieren<br />
könnten. Wagen der<br />
Online-Modehändler Zalando<br />
und die Start-up-Schmiede<br />
Rocket Internet Ende des Jahres<br />
den Gang aufs Parkett, könnten<br />
die Anteile der Samwers nach<br />
Berechnungen der Wirtschafts-<br />
Woche mit rund zwei Milliarden<br />
Euro bewertet werden.<br />
Basis sind Berechnungen des<br />
schwedischen Unternehmens<br />
Kinnevik, das an Rocket und Zalando<br />
beteiligt ist. Die Schweden<br />
beziffern den Wert von Zalando<br />
mit 3,9 Milliarden Euro. Für<br />
Rocket lässt sich aus Kinnevik-<br />
Mitteilungen ein Wert von rund<br />
zwei Milliarden ableiten. Bankanalysten<br />
halten auch deutlich<br />
höhere Marktpreise für möglich.<br />
Die Samwers sind über ihren<br />
European Founders Fund mit 17<br />
und 65 Prozent an den Börsen-<br />
Kandidaten beteiligt. Zweifel am<br />
E-Commerce-Boom könnten<br />
aber zu Abschlägen oder zum<br />
Aufschub der Börsenpläne<br />
führen. henryk.hielscher@wiwo.de<br />
GEFLÜGEL<br />
Salmonellen<br />
im Hühnchen<br />
10.<strong>06</strong>. Israel Das Parlament wählt am Dienstag den<br />
Staatspräsidenten. Um das Amt bewerben sich<br />
sechs Kandidaten; als Favorit gilt Reuven Rivlin,<br />
74, von der Regierungspartei Likud. Die Amtszeit<br />
des derzeitigen Staatsoberhaupts Schimon Peres,<br />
90, endet im Juli.<br />
11.<strong>06</strong>. Start-ups Berlins Regierender Bürgermeister eröffnet<br />
am Mittwoch The Factory, einen Campus<br />
für Start-ups. Zur Feier kommt auch Google-Chef<br />
Eric Schmidt.<br />
Ölpreis Die Organisation der Erdöl exportierenden<br />
Länder (Opec) berät in Wien, wie viel Öl die Mitglieder<br />
künftig fördern sollen. Bisher sind es 30 Millionen<br />
Barrel täglich. Die Internationale Energieagentur<br />
hat die Opec-Länder aufgefordert, die Quote zu<br />
erhöhen, da sonst der Ölpreis stark steigen würde.<br />
Die Opec-Länder produzieren rund 40 Prozent des<br />
weltweit geförderten Erdöls.<br />
Syrien-Sanktionen Das EU-Gericht entscheidet<br />
über die Klage der Syria International Islamic<br />
Bank. Sie wehrt sich dagegen, dass die EU Geld<br />
der Bank eingefroren hat.<br />
12.<strong>06</strong>. Glücksspiel Der Europäische Gerichtshof (EuGH)<br />
entscheidet am Donnerstag darüber, ob das<br />
Glücksspielrecht von Schleswig-<br />
Holstein mit dem EU-Recht vereinbar<br />
ist. Das Bundesland ist dem<br />
deutschen Glücksspielvertrag 2012<br />
nicht beigetreten, sondern hat sich<br />
liberalere Regeln gegeben.<br />
15.<strong>06</strong>. Weltkulturerbe Das Welterbekomitee der Unesco<br />
berät am Sonntag über die Aufnahme weiterer<br />
Anwärter. Deutschland hat das Kloster Corvey in<br />
Nordrhein-Westfalen nominiert. Eine Entscheidung<br />
fällt voraussichtlich am 21. oder 22. Juni.<br />
Amerikaner<br />
mögen’s gechlort<br />
Rohes Hühnchen<br />
TOP-TERMINE VOM 09.<strong>06</strong>. BIS 15.<strong>06</strong>.<br />
Fast jedes fünfte Schlachthühnchen<br />
in Deutschland ist mit Salmonellen<br />
belastet. Das bestätigte<br />
das Bundeslandwirtschaftsministerium<br />
auf Anfrage. Ganz<br />
genau sei es „eine Salmonellenkontaminationsrate<br />
von 17,8<br />
Prozent“. Die mit dem gefährlichen<br />
Krankheitserreger infizierte<br />
Ware wird aber nicht vernichtet,<br />
sondern landet großteils<br />
trotzdem im Supermarkt. Zur<br />
Begründung heißt es aus dem<br />
Ministerium, dass das Fleisch<br />
„üblicherweise nicht roh verzehrt<br />
wird, sondern gegart, gebraten,<br />
gekocht, sodass Salmonellen<br />
abgetötet werden“.<br />
Im Einzelhandel<br />
wurden noch<br />
bei 6,3 Prozent<br />
des frischen Geflügelfleischs<br />
Salmonellen gefunden.<br />
Die Zahlen basieren<br />
auf dem Zoonosen-Monitoring,<br />
mit dem die Lieferkette der Lebensmittelwirtschaft<br />
kontrolliert<br />
wird. Salmonellen sind der<br />
Hauptgrund, weshalb in den<br />
USA Hühnchen mit Chlor<br />
desinfiziert werden –<br />
eine Praxis, die die<br />
Europäer in den Verhandlungen<br />
um ein<br />
Freihandelsabkommen<br />
kritisieren.<br />
christian.ramthun@wiwo.de |<br />
Berlin<br />
IBM DEUTSCHLAND<br />
IT-Tochter<br />
an Arvato<br />
Der deutsche Ableger des amerikanischen<br />
IT-Konzerns IBM<br />
will große Teile seiner Tochter<br />
IBM Mittelstand Service an die<br />
Bertelsmann-Tochter Arvato<br />
Systems verkaufen. Davon seien<br />
300 bis 400 Beschäftigte betroffen,<br />
heißt es in Kreisen des<br />
IBM-Aufsichtsrats. Insgesamt<br />
arbeiten 545 Kräfte für IBM Mittelstand<br />
Service. Wer nicht zu<br />
Weniger Arbeitsplätze IBM-<br />
Deutschland-Chefin Koederitz<br />
Arvato wechseln kann, soll in<br />
anderen IBM-Gesellschaften<br />
unterkommen. Der Betriebsübergang<br />
erfolgt voraussichtlich<br />
im dritten Quartal. IBM<br />
wollte sich auf Anfrage nicht<br />
äußern.<br />
Grund für die Übernahme:<br />
Anfang Mai hatte Arvato verkündet,<br />
sich <strong>vom</strong> 1. Juli an um<br />
die komplette IT von Rheinmetall<br />
zu kümmern. Der Autozulieferer<br />
und Rüstungskonzern<br />
wiederum hatte seine IT im<br />
Jahr 2002 im Rahmen eines<br />
Outsourcing-Vertrags an IBM<br />
abgegeben.<br />
Mit dem Verkauf kann IBM-<br />
Deutschland-Chefin Martina<br />
Koederitz erneut Stellen reduzieren.<br />
IBM hat in Deutschland<br />
zwischen 20<strong>07</strong> und 2013 fast<br />
geräuschlos 18 Prozent der Arbeitsplätze<br />
gestrichen und<br />
zählt inzwischen nur noch<br />
16 900 Beschäftigte.<br />
michael.kroker@wiwo.de<br />
FOTO: DDP IMAGES/JENS SCHLÜTER, GETTY IMAGES/PAUL POPLIS, FOTOLIA/ALEXANDR MITIUC<br />
12 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft<br />
CHEFSESSEL<br />
START-UP<br />
BAYER<br />
Marijn Dekkers, 56, will<br />
den Leverkusener Pharmaund<br />
Chemiekonzern nur<br />
noch bis Ende 2016 leiten.<br />
Seinen Vertrag verlängerte<br />
der gebürtige Niederländer<br />
darum lediglich um zwei<br />
Jahre. Danach will er mehr<br />
Zeit mit seiner Familie verbringen.<br />
Beste Chancen auf<br />
Dekkers’ Nachfolge hat Werner<br />
Baumann, 51, der nach<br />
dem Wirtschaftsstudium<br />
1988 bei Bayer anheuerte<br />
und derzeit Finanzvorstand<br />
ist. Vom 1. Oktober an verantwortet<br />
er im Vorstand die<br />
Kernthemen Strategie und<br />
Portfoliomanagement. Finanzvorstand<br />
wird dann Johannes<br />
Dietsch, 52, ebenfalls<br />
ein Bayer-Gewächs und bisher<br />
zuständig für das China-<br />
Geschäft des Konzerns.<br />
UNILEVER<br />
Ulli Gritzuhn, 52, wechselt<br />
zum britisch-niederländischen<br />
Konsumgüterkonzern:<br />
Von Juli an führt er<br />
die Geschäfte in Deutschland,<br />
Österreich und der Schweiz.<br />
Der Ökonom folgt auf den<br />
Niederländer Harry Brouwer,<br />
55, der die Leitung des globalen<br />
Unilever-Geschäfts für Großverbraucher<br />
übernimmt. Seit<br />
20<strong>07</strong> arbeitet Gritzuhn für<br />
Nestlé.<br />
SCHAEFFLER<br />
Klaus Deller wird doch nicht<br />
Chef des Autozulieferers. Ursprünglich<br />
sollte er den Posten<br />
Anfang Juli antreten. Interimschef<br />
Klaus Rosenfeld bleibt Vorstandsvorsitzender,<br />
sein Vertrag<br />
läuft über fünf Jahre. Auch<br />
Technologiechef Peter Gutzmer<br />
verlässt Schaeffler nicht.<br />
HANSGROHE<br />
Thorsten Klapproth, 52,<br />
übernimmt im Oktober den<br />
Vorstandsvorsitz des Armaturenherstellers.<br />
Zuletzt leitete<br />
der Manager den Küchenausrüster<br />
WMF, schied aber vor<br />
einem Jahr aus. Bei Hansgrohe<br />
löst er Siegfried Gänßlen, 68, ab.<br />
VOEST ALPINE<br />
Wolfgang Eder, 62, Chef des<br />
österreichischen Stahlkonzerns,<br />
soll am 6. Oktober zum<br />
Präsidenten des Weltstahlverbandes<br />
gewählt werden. Er löst<br />
Joon-Yang Chung, 66, ab, Chef<br />
des südkoreanischen Stahlkochers<br />
Posco.<br />
FAHRRAD<br />
30 Prozent<br />
der Haushalte in deutschen Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern<br />
besitzen als Verkehrsmittel nur Fahrräder, aber kein Auto<br />
und kein Motorrad. Vor zehn Jahren waren es erst 22 Prozent.<br />
Im Bundesdurchschnitt sind es heute 15 Prozent. Aber nur zehn<br />
Prozent der Beschäftigten fahren mit dem Rad zur Arbeit.<br />
GEILE WEINE<br />
Parfümerien als Vorbild<br />
Fakten zum Start<br />
Gründer Initiator Sedat Aktas, 36,<br />
Weinhändler Michael Reinfrank,<br />
31, Adidas-Marketingexperte<br />
Kolja Orzeszko, 35<br />
Umsatz <strong>2014</strong>: 673 000 Euro;<br />
2015: 2,1 Millionen Euro<br />
Die traditionsbewussten Winzer in Rheinhessen und der Pfalz waren<br />
geschockt. „Geile Weine“ taufte Sedat Aktas sein Unternehmen,<br />
das im vergangenen Jahr startete. So überraschend wie der<br />
Name ist seine jüngste Idee: Sie orientiert sich an Parfümerien.<br />
Die bieten ihren Kunden seit jeher Probefläschchen an. Warum<br />
nicht auch der Weinhandel, dachte sich Aktas. Von Juli an verkauft<br />
er übers Internet 5cl-Flaschen, die Probierbox mit drei Minis zu<br />
7,90 Euro. Haben die Kunden ihre Sorte gefunden, ordern sie größere<br />
Flaschen, hofft Aktas und will sich so von anderen Weinversendern<br />
abheben. Der Umsatz soll damit auf 673 000 Euro steigen,<br />
2013 nahm er nach dem Start im Oktober 32 554 Euro ein.<br />
Rund 200 verschiedene Weine enthält sein Sortiment, „meist<br />
von Winzern aus der Region“, sagt der Mainzer Jungunternehmer.<br />
An den Firmennamen haben sie sich gewöhnt. Mehr noch: Angehörige<br />
von Winzerfamilien mischen inzwischen bei „Geile Weine“<br />
mit. Mit Experten aus der Branche verhandelt Aktas über einen<br />
Einstieg ins Unternehmen. Neben dem studierten Medienmanager<br />
sind bisher vier Gesellschafter beteiligt. Rund 150 000 Euro hat<br />
er anfangs selbst investiert,<br />
weitere 200 000 Euro<br />
über Crowdfunding eingesammelt.<br />
Für den<br />
nächsten Schritt braucht<br />
er neues Geld: Er will<br />
„Single-Flaschen“ einführen,<br />
0,2 Liter groß, für<br />
Alleinwohnende.<br />
hermann.olbermann@wiwo.de<br />
FOTO: INGO RAPPERS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE; PR<br />
14 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />
Thomas Birtel<br />
Vorstandsvorsitzender des Baukonzerns Strabag<br />
Vor einem Jahr wechselte<br />
Thomas Birtel, 60, von der<br />
Kölner Niederlassung des Baukonzerns<br />
Strabag in die Konzernzentrale<br />
nach Wien. Der<br />
promovierte Ökonom trat damals<br />
sein Amt als Vorstandsvorsitzender<br />
an. Von der Tiefgarage<br />
des Strabag-Turms fährt<br />
er seither in die zwölfte Etage.<br />
Da endet der Aufzug. Aber Birtel<br />
muss noch eine Treppe höher<br />
steigen, weil die Vorstandsbüros<br />
in der 13. Etage liegen,<br />
die intern Galerie heißt. Der<br />
Strabag-Chef hat das Büro seines<br />
Amtsvorgängers Hans Peter<br />
Haselsteiner, 70,<br />
360 Grad<br />
In unseren App-<br />
<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />
Sie an dieser<br />
Stelle ein interaktives<br />
360°-Bild<br />
übernommen. Der<br />
Österreicher ist<br />
Mehrheitsaktionär<br />
von Strabag und sitzt<br />
nun ein paar Zimmer<br />
weiter. Er verzichtet<br />
auf den Weitblick bis<br />
zum Prater-Riesenrad,<br />
Stephansdom und Wienerwald<br />
mit den Erhebungen von<br />
Kahlenberg und Leopoldsberg.<br />
Dem Panorama und der Donau<br />
kehrt Birtel den Rücken zu,<br />
wenn er an seinem funktional<br />
designten Schreibtisch vor der<br />
mächtigen Fensterfront sitzt,<br />
die den nüchternen Raum dominiert.<br />
Die zwei Gemälde<br />
gegenüber<br />
stammen <strong>vom</strong> Maler<br />
und Birtel-Freund<br />
Wilfried Oelschläger,<br />
der in Mülheim an<br />
der Ruhr wohnt;dort<br />
ist auch Birtel seit<br />
Jahrzehnten zu Hause.<br />
Das Werk „Abstrakt – konstruktiv“<br />
hat Branchenbezug<br />
und zeigt fotorealistisch eine<br />
rostige Schaufel mit langem<br />
Stiel vor abstrakt-grünem Hintergrund.<br />
Es hängt über einem<br />
Sideboard mit Büchern, Grußkarten<br />
und Birtels Erinnerungsstücken.<br />
Das zweite Oelschläger-Bild<br />
ist ein Geschenk zum<br />
Börsengang 20<strong>07</strong> und zeigt<br />
schemenhaft den damaligen<br />
Strabag-Emissionskurs. Die<br />
Lettern und Ziffern „EUR<br />
47,00“ empfindet Birtel als „stete<br />
Mahnung“ – heute notiert<br />
die Aktie bei 22 Euro.<br />
harald.schumacher@wiwo.de<br />
FOTO: LUKAS BECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
16 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Störfaktor Putin<br />
RUSSLAND | Mit Hurra-Patriotismus und einem aggressiven<br />
außenpolitischen Kurs will Wladimir Putin seine Macht<br />
sichern. Doch er verweigert Reformen, verprellt Investoren<br />
– und treibt sein Land immer tiefer in eine Wirtschaftskrise,<br />
unter der auch Deutschland leiden wird.<br />
Die Neigung des russischen Präsidenten<br />
Wladimir Putin zur<br />
Selbstinszenierung ist der Welt<br />
hinlänglich bekannt. Es gibt<br />
ihn mit Sonnenbrille auf dem<br />
Motorrad, mit einem (angeblich selbst geangelten)<br />
21-Kilo-Hecht im Arm und mit<br />
nackter Brust auf einem Pferd. Abgesehen<br />
von der eher harmlosen Kraftmeierei, die<br />
das russische Wahlvolk begeistert, verfügt<br />
der Kremlchef aber auch über eine Kraft,<br />
die Investoren gefährlich werden kann: Er<br />
kann Kurse bewegen. Als er im Mai beim<br />
Wirtschaftsforum Sankt Petersburg die<br />
Wahl in der Ukraine zu „respektieren“ versprach,<br />
legte der Rubel zu, der zuvor wegen<br />
seiner Krim-Annexion abgestürzt war. Als<br />
Putin dem russischen Google-Herausforderer<br />
Yandex Kontakt zu US-Geheimdiensten<br />
unterstellt hatte, ging es mit den Kursen<br />
an der Börse bergab.<br />
Nie war Putin so unberechenbar wie in<br />
diesen Tagen, da er sich politisch auf dem<br />
Zenit seiner Macht wähnt. Denn spätestens<br />
mit der Krim-Annexion hat sich die<br />
Funktionslogik des Regimes radikal verändert:<br />
Da die Umverteilung von Wohlstand<br />
wegen der verschleppten Modernisierung<br />
nicht mehr gelingt, legitimiert Putin seinen<br />
Machtanspruch im Innern mit einer Politik<br />
der Stärke: Das Volk berauscht sich am Gefühl<br />
des „Wir-sind-wieder-Wer“ und beschert<br />
dem Kremlchef eine Popularität wie<br />
lange nicht. „Das Fatale ist, dass diese Politik<br />
keine Rücksicht auf die ökonomische<br />
Entwicklung kennt und Russland in die<br />
Selbstisolation führt“, sagt Stefan Meister<br />
<strong>vom</strong> European Council on Foreign Relations.<br />
Zum Jahrestag des D-Day in Paris<br />
wollte vergangene Woche kein Staatschef<br />
gern neben Putin sitzen, beim G7-Gipfel<br />
tags zuvor in Brüssel hatte man den Russen<br />
gleich ganz ausgeschlossen.<br />
Wie lange kann das Modell Putin noch<br />
gut gehen? Die je nach Berechnung sechstbis<br />
achtgrößte Volkswirtschaft der Welt<br />
schiebt einen Berg überfälliger Reformen<br />
vor sich her und ist so abhängig von den<br />
Rohstoffpreisen wie nie zuvor. Während<br />
die Ineffizienz der Staatswirtschaft wächst,<br />
hat das auf Verteilung von Petrodollars beruhende<br />
Wirtschaftsmodell seine Grenzen<br />
erreicht. Im Falle sinkender Ölpreise oder<br />
verschärfter westlicher Sanktionen könnte<br />
Russland in eine üble Rezession schlittern,<br />
ähnlich dem Absturz von 2009, als das<br />
Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 7,8 Prozent<br />
einbrach.<br />
DROHENDE STAGFLATION<br />
Die Zeichen stehen bereits auf Rot: Trotz<br />
stabiler Ölpreise und passabler Weltkonjunktur<br />
steckt Russland für die nächsten<br />
zwei, drei Jahre in der Stagflation fest. Laut<br />
Prognose des Internationalen Währungsfonds<br />
(IWF) wächst die Wirtschaft <strong>2014</strong> nur<br />
noch um 1,3 Prozent, und das ist bereits ein<br />
sehr optimistisches Szenario. Der ehemalige<br />
russische Finanzminister Alexej Kudrin<br />
sieht das Wachstum auf Jahre hinaus bei<br />
null Prozent. Die Weltbank hält in ihrem<br />
Negativszenario dieses Jahr sogar ein Minus<br />
von 1,8 Prozent für möglich. Gleichzeitig<br />
ist die Inflationsrate auf fast acht Prozent<br />
gestiegen und zwingt die russische<br />
Zentralbank, die Leitzinsen drastisch zu erhöhen<br />
(siehe Grafik Seite 20). Was wiederum<br />
die Investitionen abwürgt.<br />
Die Probleme sind überwiegend hausgemacht.<br />
Putins wirtschaftspolitisches Re-<br />
»<br />
FOTO: LAIF/JAMES HILL<br />
18 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Augen geradeaus! In Moskau<br />
schwenken Russen auf einer<br />
Pro-Putin-Kundgebung riesige<br />
Fahnen mit der Aufschrift:<br />
„Wir stehen zusammen.“<br />
19<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
zept erschöpft sich in der Umverteilung<br />
von Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf,<br />
wobei Löhne und Pensionen selbst ohne<br />
Produktivitätssteigerungen erhöht werden.<br />
Hinzu kommt nun, dass der Kremlchef mit<br />
seiner antiwestlichen Rhetorik ausländische<br />
Unternehmer verprellt, die mit Investitionen<br />
zur dringend nötigen Modernisierung<br />
und Diversifizierung des sowjetisch<br />
geprägten Landes beitragen könnten. Letztere<br />
Hoffnungen könne man „im Moment<br />
völlig vergessen“, sagt der Moskauer Ökonom<br />
Wladislaw Inosemzew. Putin sehe<br />
sich als Gott und handle in den Tag hinein.<br />
„Einen langfristigen Plan zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung hat er nicht. Hatte er<br />
noch nie.“<br />
DEUTSCHE EXPORTE SINKEN<br />
Fachleute tun sich schwer, den exakten Effekt<br />
von Putins Ukraine-Politik zu beziffern.<br />
„Die Wachstumsschwäche hat bereits<br />
2013 begonnen“, sagt Frank Schauff, Geschäftsführer<br />
der Association of European<br />
Businesses in Moskau, „die Ukraine-Krise<br />
und die folgende Sanktionsdebatte haben<br />
die prekäre Wirtschaftslage aber verstärkt.“<br />
Besonders betroffen ist die Autobranche,<br />
auch die mit diesem Sektor verbandelten<br />
Zulieferer und Anlagenbauer.<br />
Nicht einmal der Konsum ist mehr eine<br />
große Stütze der Konjunktur. Früher steckten<br />
die mit Abwertungen erfahrenen Russen<br />
gerade in Krisenzeiten ihr Geld in materielle<br />
Werte. Nun aber scheinen die Bedürfnisse<br />
eher gesättigt zu sein. Noch mieser<br />
ist die Stimmung im Finanzsektor, wo<br />
das Investmentbanking angesichts des Investitionsklimas<br />
brach liegt und die Finanzierung<br />
bei ausländischen Geschäftsbanken<br />
wegen der hohen Risikobewertung im<br />
Gedrosseltes Tempo In Russland sinkt der Absatz von Neuwagen. Volkswagen ist mit seinem<br />
Werk in Kaluga südlich von Moskau betroffen, wo auch der Skoda Octavia gebaut wird<br />
Russlandgeschäft kaum mehr möglich ist.<br />
„Manch ein Banker würde am liebsten aus<br />
dem Fenster springen“, sagt ein deutscher<br />
Geschäftsmann in Moskau.<br />
Besorgt ist auch die deutsche Wirtschaft.<br />
Mit über 6000 Niederlassungen sind die<br />
Deutschen im Land besonders stark vertreten.<br />
Zwar gibt es immer noch Investitionspläne:<br />
Der Troisdorfer Fensterbauer<br />
Profine etwa plant in Russland ein drittes<br />
Werk, SAP will mit dem Moskauer Telekomkonzern<br />
Rostelekom Cloud-Systeme<br />
für Russland entwickeln. Doch die deutschen<br />
Exporte nach Russland sind im ersten<br />
Quartal um 12,9 Prozent im Vergleich<br />
zum Vorjahreszeitraum geschrumpft. Laut<br />
einer Umfrage des Münchner ifo Instituts<br />
spüren bereits 17 Prozent der befragten<br />
Unternehmen die Auswirkungen der<br />
Ukraine-Krise in Russland, ein Drittel rechnet<br />
mit baldigen Folgen. „Viele Unternehmen<br />
haben ihre Investitionen auf Eis gelegt“,<br />
heißt es auch bei der deutsch-russischen<br />
Auslandshandelskammer.<br />
Putins Hang zum Interventionismus zerstört<br />
das Vertrauen in den Standort: „Für<br />
das Investitionsklima ist es wichtig, dass<br />
Regeln und Gesetze eingehalten werden“,<br />
sagt der auf Russland spezialisierte Mainzer<br />
Investmentberater Jochen Wermuth<br />
mit Blick auf die Krim-Krise: „Es nicht vertrauensbildend,<br />
wenn man seinem Nachbarn<br />
ein Stück Land wegnimmt.“ Der Rubel<br />
verlor seit 2013 gegenüber Euro und Dollar<br />
ein Drittel an Wert, auch weil im ersten<br />
Quartal mit über 60 Milliarden Dollar mehr<br />
Kapital abfloss als im Gesamtjahr 2013.<br />
Zumindest in Moskau tut man sich<br />
gleichwohl noch schwer, Zeichen der Krise<br />
zu finden: Moderne West-Autos haben alte<br />
Lada-Schiguli aus dem Stadtbild verdrängt,<br />
neuerdings gibt es Parkuhren. Ständig öff-<br />
Putins Probleme<br />
Das Wachstum ist schwach...<br />
(BIP gegenüber Vorjahr in Prozent)<br />
...und weil der Rubel fällt...<br />
(Rubel-Kurs zum Euro)<br />
...erhöht die Notenbank die Zinsen<br />
(Leitzinsen in Prozent)<br />
5<br />
52<br />
12<br />
4<br />
51<br />
10<br />
2010 11 12 13 14<br />
Quelle:IWF, Thomson Reuters<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
März April Mai<br />
50<br />
49<br />
48<br />
47<br />
2008 09 10 11 12 13 14<br />
8<br />
6<br />
4<br />
FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA, PRIVAT<br />
20 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Herr Hagemann, wie groß ist die<br />
Furcht deutscher Unternehmen vor<br />
weiter gehenden Sanktionen gegen<br />
Russland?<br />
Es ist eine deutliche Unruhe zu spüren.<br />
Wenn Russland wegen eines Embargos<br />
zum Beispiel die Einnahmen aus Rohstoffexporten<br />
wegbrechen, würde der<br />
dortigen Wirtschaft rasch das Kapital<br />
zur Beschaffung deutscher Maschinen<br />
oder Autos fehlen. Die Schwächung<br />
der russischen Wirtschaft würde dann<br />
die deutsche zeitversetzt ebenfalls<br />
schädigen.<br />
Bislang treffen die Maßnahmen von<br />
EU und USA nur Einzelpersonen aus<br />
Putins Umfeld – und nicht ganze<br />
Wirtschaftszweige...<br />
...aber in Russland sind viele deutsche<br />
Mittelständler aktiv, die sich zum ersnen<br />
neue Cafés mit Freiluft-Terrassen.<br />
Gourmetköche aus dem Westen kochen<br />
für Restaurants. Parks sind renoviert; der<br />
trendige Russe flitzt jetzt auf breiten Skateboards<br />
und Rollern über die Flusspromenade<br />
am Gorki-Park. Man hat den Eindruck,<br />
als wollten die Machthaber gegen<br />
potenzielle Unzufriedenheit in der Bevölkerung<br />
vorbauen, indem sie aktiv in Lebensqualität<br />
investieren.<br />
Wie ein Ereignis aus grauer Vorzeit wirken<br />
in diesen Frühsommertagen die Massendemonstrationen<br />
<strong>vom</strong> Dezember 2011.<br />
Eine frustrierte Mittelschicht hatte damals<br />
auf dem nahen Bolotnaja-Platz nach Wahlfälschungen<br />
dem Unmut über Korruption<br />
und Willkürherrschaft Luft gemacht. Putins<br />
schlimmste Albträume wurden wahr:<br />
Eine „bunte“ Revolution, gerichtet gegen<br />
ihn! Doch der Kremlchef reagierte taktisch<br />
klug, indem er die Protestler gewähren ließ<br />
– und strategisch fatal, indem er danach zu<br />
schärferer Repression überging und die liberalen<br />
Kräfte aus dem Alltag verdrängte.<br />
Heute ist Russland unter Putin so autoritär,<br />
wie es selbst die Sowjetunion nicht immer<br />
war. Kritik lässt der Kreml im Keim ersticken,<br />
Demonstrationen sind meist verboten,<br />
Andersdenkende werden verhaftet.<br />
Mit Einschränkungen der Versammlungsfreiheit,<br />
Gesetzen gegen Homosexualität<br />
und der Ausweisung ausländischer Organisationen<br />
als „Spione“ distanziert sich die<br />
russische Elite von bürgerlichen Freiheiten<br />
und politischen Rechten, die immer noch<br />
in der Verfassung stehen. Wem dieses Klima<br />
der Unfreiheit nicht passt, der wandert<br />
aus – oft nach London, Berlin, San Francisco<br />
und Hongkong. Wachsamen Beobachtern<br />
fällt bei jeder Auslandsreise auf, wie<br />
viele Russen ihrer Heimat den Rücken gekehrt<br />
haben. Das war mal die neue Elite.<br />
Die Abkehr <strong>vom</strong> Westen funktioniert, da<br />
die Staatsmedien mit verblüffendem Erfolg<br />
neue Feindbilder schaffen. Demnach marodieren<br />
in der Ukraine Faschisten auf Befehl<br />
der USA, die EU errichtet Konzentrationslager<br />
für russische Gefangene. „Es wird<br />
einem übel, wenn man in russische Nachrichten<br />
zappt“, sagt ein deutscher Manager.<br />
Dass die Proteste auf dem Maidan zu Beginn<br />
weder proeuropäisch noch antirussisch<br />
waren, sondern sich ähnlich wie in<br />
Moskau gegen die Arroganz der Elite richteten,<br />
ignorieren Putins Mediensoldaten.<br />
Ebenso wie die „kontrollierte Destabilisierung“,<br />
wie man in Moskau die Einflussnahme<br />
auf die Ukraine bezeichnet.<br />
Wenn der Westen zum Feind wird, drohen<br />
auch Geschäftsleuten ungemütli-<br />
»<br />
INTERVIEW Dirk Hagemann<br />
»Bis zu fünf Jahre Haft«<br />
Der Experte für Exportrecht über die Sanktionen gegen Russland –<br />
und die drohenden Strafen bei Verstößen.<br />
»Russland<br />
kann natürlich<br />
jederzeit eigene<br />
Embargos<br />
verhängen«<br />
ten Mal überhaupt mit der Gefahr eines<br />
Embargos konfrontiert sehen. Wir registrieren<br />
in den Unternehmen eine große<br />
rechtliche Unsicherheit im Umgang mit<br />
Sanktionen. Es geht ja zum Beispiel um<br />
die Haftungsfrage, wenn ein Auftrag wegen<br />
eines Embargos ausfällt – oder um<br />
den richtigen Umgang mit gelisteten<br />
Personen. Hinzu kommt, dass manche<br />
Firmen, etwa Elektronikzulieferer aus<br />
der Luft- und Raumfahrtbranche, schon<br />
jetzt Verzögerungen bei Ausfuhrgenehmigungen<br />
nach Russland beklagen. Die<br />
Sanktionen sind für uns Wirtschaftsanwälte<br />
ein Thema, obwohl – noch – kein<br />
echtes Wirtschaftsembargo verhängt<br />
worden ist.<br />
DER JURIST<br />
Hagemann, 37,<br />
ist Rechtsanwalt<br />
und Experte für<br />
Exportrecht in<br />
der Kanzlei Hohmann<br />
im hessischen<br />
Büdingen.<br />
Wie wirkt sich die Möglichkeit härterer<br />
Sanktionen auf den Handel und die<br />
Investitionen aus?<br />
Die wirtschaftlichen Sorgen und die<br />
rechtliche Unsicherheit können im<br />
Extremfall dazu führen, dass sich Unternehmen<br />
auch aus dem legalen Russland-<br />
und Ukrainegeschäft zurückziehen<br />
– weil die rechtlichen Risiken und<br />
der administrative Aufwand zu groß werden.<br />
Wir kennen dieses Problem aus<br />
dem Iran-Embargo.<br />
Einige russische Politiker haben gedroht,<br />
im Falle von Sanktionen die<br />
Vermögen westlicher Unternehmen zu<br />
beschlagnahmen. Ist das juristisch<br />
möglich?<br />
Eine Beschlagnahme als Enteignung<br />
dürfte in jedem Fall rechtswidrig sein,<br />
weil sie gegen den völkerrechtlichen<br />
Mindeststandard für ausländische Unternehmen<br />
verstößt. Russland kann aber<br />
natürlich jederzeit eigene Embargos verhängen.<br />
Ob diese dann mit dem Regelwerk<br />
der Welthandelsorganisation WTO<br />
vereinbar wären, ist zweifelhaft.<br />
Wie sollten sich Unternehmen bei künftigen<br />
Russlandgeschäften verhalten?<br />
Es ist wichtig, eine funktionierende Exportkontrolle<br />
zu installieren. Wer vorsätzlich<br />
gegen das derzeitige Embargo<br />
verstößt, dem drohen bis zu fünf Jahre<br />
Gefängnis, bei Fahrlässigkeit ist eine<br />
Geldbuße bis zu 500 000 Euro möglich.<br />
Also sollte es ein deutscher Unternehmer<br />
unbedingt vermeiden, mit einer<br />
gelisteten Person Handel zu treiben oder<br />
Geld an sie zu zahlen. Das ist im Moment<br />
aber noch beherrschbar.<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 21<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
che Zeiten. Kremlnahe Politiker denken<br />
laut über Gegensanktionen nach, nachdem<br />
der Westen einzelnen Ober-Russen<br />
Konten gesperrt hat und ihnen die Einreise<br />
verweigert. Die russischen Ideen reichen<br />
von der Zwangsschließung von McDonald’s-Filialen<br />
bis hin zur Konfiszierung<br />
von Vermögenswerten ausländischer Investoren.<br />
Die Staatsduma arbeitet an einem<br />
Gesetz, das dies möglich macht.<br />
HEILIGER KRIEG GEGEN LIBERALE<br />
Liberale haben es schwer in solchen Tagen.<br />
Zwar halten sich einige Leichtgewichte<br />
dieses früher mächtigen Flügels an den<br />
Spitzen von Notenbank und Finanzministerium.<br />
Einfluss auf Putin haben dagegen<br />
radikale Wirrköpfe, die dem Land eine nationalistisch-konservative<br />
Ideologie verpassen<br />
wollen. Talkmaster Dmitri Kisseljow<br />
hetzt im Fernsehen gegen den Westen,<br />
der Politologe Alexander Dugin propagiert<br />
einen „heiligen Krieg“ gegen den Liberalismus<br />
im verweichlichten Westen. Sergej<br />
Glasjew, der Putin in Wirtschaftsfragen berät,<br />
forciert die Zuwendung Russlands hin<br />
zu China und träumt den Traum der Eurasischen<br />
Union (siehe Seite 23). Das nationalistische<br />
Getrommel ist freilich auch<br />
Ausdruck einer tiefen Enttäuschung über<br />
den Westen. Auf Putins Idee der Freihandelszone<br />
von Wladiwostok bis Lissabon<br />
ging in der EU niemand ein, in der EU-<br />
Nachbarschaftspolitik gegenüber der<br />
Ukraine fühlt sich Russland übergangen.<br />
Ökonomisch besonders fatal ist die Monostrukturierung<br />
der Wirtschaft. Eigentlich<br />
wollte Putin sein Land unabhängiger machen<br />
von Öl- und Gasexporten. Man müsse<br />
sich auf High Tech konzentrieren, um<br />
künftig Wohlstand zu garantieren, schrieb<br />
Öl für Putin Jedes Jahr steigert Russland die Ölförderung wie hier in Nordsibirien –<br />
doch die Effekte für das Wirtschaftswachstum bleiben mittlerweile aus<br />
Land daher Benzin und Diesel importieren.<br />
Sogar Plastik-Mülltonnen führt Russland<br />
aus Deutschland ein, weil es an petrochemischen<br />
Betrieben fehlt. „Sie haben<br />
aus der Rohstoffwirtschaft herausgeholt<br />
was möglich war, aber nun müssen neue<br />
Wachstumsquellen her“, sagt Christopher<br />
Hartwell, Konjunkturforscher an der Skolkovo<br />
School of Management. Dazu sei es<br />
nötig, das „grauenvolle Investitionsklima“<br />
zu verbessern.<br />
Hier war Russland schon mal weiter. Als<br />
Dmitri Medwedew 2008 Präsident wurde,<br />
ließ er Beamte in Bussen in eine Kleinstadt<br />
kutschieren, wo er mittelständische Betriebe<br />
besuchte und sich von Erfahrungen mit<br />
Behörden berichten ließ. Danach stauchte<br />
er die Beamtenschar vor laufenden Kameras<br />
zusammen, nannte sie einen „Albtraum<br />
für Unternehmer“. Medwedew, heute<br />
macht- und wirkungsloser Regierungser<br />
im Januar 2012. Seither aber ist der Anteil<br />
der Rohstoffeinnahmen am Staatshaushalt<br />
und an den Exporten weiter gestiegen.<br />
Und die jüngst mit China geschlossenen<br />
Öl- und Gaslieferverträge dürften<br />
Russland weiter in Richtung Petrostaat<br />
treiben.<br />
Obwohl die Ölförderung in den weithin<br />
ausgebeuteten Feldern aus den Siebzigerjahren<br />
weiter hochgefahren wird und der<br />
Barrelpreis stabil um die 110 Dollar liegt,<br />
trägt der Rohstoffreichtum nicht zur wirtschaftlichen<br />
Entwicklung bei. Im Gegenteil.<br />
Der Reichtum an Rohöl hemmt die<br />
Entwicklung von Wertschöpfungstiefe, die<br />
Russland schon wegen der Beschäftigungseffekte<br />
dringend nötig hat. Die Gasund<br />
vor allem Ölexporte nach Europa sind<br />
für den russischen Fiskus so lukrativ, dass<br />
die Rohstoffe kaum verarbeitet werden.<br />
Mangels Raffineriekapazität muss das<br />
Technik raus, Rohstoffe rein<br />
Waswir nach Russland exportieren...<br />
(in Milliarden Euro)<br />
8,6 Kraftwagen und Zubehör<br />
31,8<br />
8,4<br />
3,2<br />
2,8<br />
2,6<br />
1,8<br />
1,6<br />
1,4<br />
1,2<br />
Maschinen<br />
Chemische Erzeugnisse<br />
DV, elektronische und optische Geräte<br />
Elektrische Ausrüstungen<br />
Pharmazeutische Erzeugnisse<br />
Nahrungsmittel und Futtermittel<br />
Metallerzeugnisse<br />
Gummi- und Kunststoffwaren<br />
2012;Quelle: Statistisches Bundesamt<br />
...und was wir von dortbeziehen<br />
(in Milliarden Euro)<br />
3,6<br />
3,5<br />
1,0<br />
0,8<br />
0,3<br />
0,2<br />
0,1<br />
0,1<br />
Kohle<br />
Metalle<br />
Erdöl und Erdgas<br />
Kokerei- und Mineralölerzeugnisse<br />
Chemische Erzeugnisse<br />
Flechtwaren ohne Möbel<br />
DV, elektronische und optische Geräte<br />
Maschinen<br />
Papier, Pappwaren<br />
Wir sind dann mal weg<br />
Ausländische DirektinvestitioneninRussland<br />
(in Milliarden Dollar)<br />
2011 2012 2013 <strong>2014</strong><br />
Quelle: OxfordEconomics<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
FOTOS: AGENTUR FOCUS/JUSTIN JIN, ULLSTEIN BILD/NOWOSTI<br />
22 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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chef unter Putin, wollte den Aufbau eines<br />
innovativen Mittelstands fördern und das<br />
Land aus der Ölabhängigkeit befreien.<br />
Aus der Zeit des Aufbruchs ist nur ein futuristisches<br />
Gebäude übrig geblieben. Es<br />
besteht aus einem Plateau mit vier Hochhausquadern<br />
und schaut aus wie ein<br />
Raumschiff, das keine Landegenehmigung<br />
für Moskau erhalten hat: Die Skolkovo<br />
School of Management liegt in einem Dorf<br />
am westlichen Stadtrand, wurde von Russlands<br />
liberaler Wirtschaftselite finanziert<br />
und 2010 eröffnet. Die Eliteschule ist eine<br />
Oase von Innovation und Internationalität,<br />
Symbol eines modernen Russlands, von<br />
dem die neue Generation träumt.<br />
Im hellen Foyer begrüßt Maxim Karpow<br />
seine Besucher. Der Jurist kümmert sich<br />
um Start-ups, ein angeschlossenes Gründerzentrum<br />
hilft bei der Registrierung von<br />
Patenten und der Arbeit am Businessplan.<br />
„Innovationen scheitern in Russland nicht<br />
an den Leuten. Kluge Kreative haben wir<br />
reichlich“, sagt Karpow. Es hapere an der<br />
Kommerzialisierung von Ideen und am Investitionsklima.<br />
„Bei uns haben zu viele<br />
postsowjetische Entscheider keynesianischer<br />
Prägung das Kommando, die wollen<br />
die Wirtschaft steuern und kontrollieren“,<br />
so Karpow. „Echte Veränderungen, ein Klima<br />
für Innovationen, müssen sich in Russland<br />
von unten entwickeln.“<br />
Das kann allerdings dauern. Sogar Absolventen<br />
von Wirtschaftsuniversitäten arbeiten<br />
derzeit lieber für Gazprom, als sich<br />
selbstständig zu machen. Viele hoch qualifizierte<br />
Russen verlassen ihr Land gleich<br />
ganz. Zurück bleiben die Alten und gering<br />
Produktiven, die dem Staat zumal in Krisenzeiten<br />
auf der Tasche liegen.<br />
Wie lange kann Putin seinen Kurs noch<br />
durchhalten? Der Ökonom Jewgeni Gontmacher,<br />
der damals an Medwedews Modernisierungspolitik<br />
mittüftelte, sieht<br />
Russland mit seinen hohen Währungsreserven<br />
für eine längere Stagflation gewappnet.<br />
„Die Teuerung dürfte zwar zu sozialen<br />
Spannungen gerade unter Rentnern und<br />
Staatsbediensteten führen“, so Gontmacher.<br />
Aber der Mix aus Propaganda und Patriotismus<br />
werde vorerst helfen, dass soziale<br />
Unzufriedenheit nicht in politische Proteste<br />
umschlägt – selbst wenn die Preise<br />
fürs Brot schneller steigen als die Renten.<br />
Im Falle sinkender Ölpreise aber wird<br />
sich die ökonomische Schieflage nicht<br />
mehr kaschieren lassen. Fehlen die Petrodollars,<br />
wird es eng für Russland – und am<br />
Ende auch für Putin selbst.<br />
n<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
BÜNDNISPOLITIK<br />
Putins Bluff<br />
Die auf Kremlinitiative geschaffene<br />
Eurasische Union soll eine politische<br />
Alternative zur EU werden – aber es<br />
fehlt ihr an ökonomischer Substanz.<br />
Dieses Ambiente dürfte Wladimir Putin<br />
gefallen haben. Als der russische Präsident<br />
Ende Mai den Gründungsvertrag für<br />
die Eurasische Wirtschaftsunion unterzeichnete,<br />
saß er auf einem Lehnstuhl,<br />
der einem Thron glich. An seiner Seite:<br />
die für demokratische Umtriebe nicht bekannten<br />
Präsidenten von Kasachstan und<br />
Weißrussland, Nursultan Nasarbajew und<br />
Alexander Lukaschenko.<br />
Mit ihrem Pakt wollen die drei Autokraten<br />
ein wirtschaftliches Gegengewicht zu<br />
EU, China und den USA schaffen. Ab<br />
2015 ist der weitgehend freie Austausch<br />
von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und<br />
Arbeitskräften geplant. Böse Zungen sehen<br />
das Konstrukt als „Gegen-EU“ und<br />
ersten Akt zur Wiedererrichtung der Sowjetunion.<br />
Das bestreitet das Präsidenten-<br />
Trio zwar nach außen hin. Kasachstans<br />
Alleinherrscher Nasarbajew scheute allerdings<br />
Vergleiche mit EU und den USA<br />
nicht, Putin sah gar einen „historischen<br />
Moment“ gekommen. Dessen Staatsmedien<br />
posaunten die Botschaft in die Welt:<br />
Die Russen sind wieder Großmacht im Osten<br />
– ob es dem Westen passt oder nicht.<br />
In der Tat trägt die Eurasische Union<br />
den Stempel des Kreml. In dem neuen<br />
Wirtschaftsraum sind 141 Millionen der<br />
170 Millionen Einwohner Russen. Andere<br />
Länder der Region wie Aserbaidschan<br />
und Usbekistan sind zwar eingeladen,<br />
wollen aber nicht mitmachen (und die<br />
Ukraine sowieso nicht).<br />
In den Hauptstädten abseits von Moskau<br />
gibt es nicht wenige, die den Sinn des<br />
Kunstprodukts nicht nur politisch, sondern<br />
auch ökonomisch hinterfragen: Eine<br />
Währungsunion etwa ist <strong>vom</strong> Tisch, denn<br />
auf eine koordinierte Finanzpolitik wollen<br />
sich die drei Autokraten lieber nicht verständigen.<br />
Das rohstoffreiche Kasachstan<br />
muss zudem noch bis 2025 auf den endgültigen<br />
Wegfall der Handelsbarrieren im<br />
Öl- und Gassektor warten, dessen Vereinheitlichung<br />
Moskau ausbremst. Weißrussland<br />
bricht derweil der lukrative Handel<br />
mit Gebrauchtwagen weg, seit das Land<br />
2011 – im Vorgriff auf die Union – die<br />
russischen Außenzölle übernehmen<br />
musste. Unter dem Strich profitieren von<br />
dem Integrationsprojekt im Osten also vor<br />
allem die Russen, die Nachbarländer mit<br />
ihren Waren fluten. Und die Eurasische<br />
Union nebenbei als politische Warnung<br />
an den Westen inszenieren können.<br />
GERINGE PRODUKTIVITÄT<br />
Die Wirtschaftskraft der Eurasischen Union<br />
liegt im Vergleich zur EU bei etwa einem<br />
Siebtel. Zwar lagert unter der Erde<br />
Russlands, Kasachstans und Weißrusslands<br />
ein Fünftel der weltweiten Rohstoffvorkommen,<br />
doch die lassen sich nicht<br />
überall wirtschaftlich aus dem Boden holen.<br />
Nach außen hat die neue Union erst<br />
Autokraten-Trio Die Staatschefs<br />
Nasarbajew, Lukaschenko und Putin beim<br />
Gründungsakt der Eurasischen Union<br />
recht wenig anzubieten: Mangels Produktivität<br />
und teils recht hoher Lohnstrukturen<br />
kann die Union als Werkbank nicht<br />
mit China oder Indien konkurrieren.<br />
Insofern gehört viel Selbstüberschätzung<br />
dazu, wenn Putin die These wagt,<br />
die EU sehe die Eurasische Union als Bedrohung<br />
ihrer Konkurrenzfähigkeit und<br />
schenke ihr darum keine Beachtung. Eher<br />
hat wohl der Moskauer Ökonom Wladislaw<br />
Inosemzew recht, der das Konstrukt<br />
als „Putins politische Veranstaltung ohne<br />
wirtschaftliche Bedeutung“ bezeichnet.<br />
florian.willershausen@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 23<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Mit der Lupe<br />
FINANZEN | Der erste Etat der großen Koalition ist ein Schönwetterhaushalt<br />
– und besteht zu 93 Prozent aus konsumptiven <strong>Ausgabe</strong>n.<br />
Werden wir in Deutschland jemals<br />
ohne Schulden sein? Auf diese<br />
Frage, die ihm gelegentlich von<br />
jungen Leuten gestellt wird, antwortet<br />
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble<br />
gerne so: „Hoffentlich nie, denn die Voraussetzung<br />
dafür wäre eine Währungsreform,<br />
und das ist immer eine große Katastrophe.“<br />
Er sei schon froh, wenn die Schuldenlast<br />
im Verhältnis zur Wirtschaftskraft<br />
nicht immer größer werde, sondern sinke.<br />
Der altgediente CDU-Politiker, der seit<br />
1972 im Deutschen Bundestag sitzt und gegen<br />
Ende dieser Legislaturperiode „mit 45<br />
Jahren parlamentarischer Eckrentner“<br />
wird (Schäuble über Schäuble), will sich<br />
nur noch realistische Ziele setzen. Ein Bundeshaushalt<br />
ohne Neuverschuldung zählt<br />
dazu – und nächstes Jahr dürfte es so weit<br />
sein. Dann soll der 300 Milliarden Euro<br />
schwere Etat erstmals seit 45 Jahren ohne<br />
Nettokreditaufnahme auskommen.<br />
Den Schuldenberg – allein der Bund hat<br />
bis März dieses Jahres 1 118 321 373 598 Euro<br />
Miese angehäuft – trägt Schäuble damit<br />
aber noch lange nicht ab. Er versucht es<br />
nicht einmal. „Keine besonderen Leistungen“<br />
könne er hier erkennen, kritisiert der<br />
Präsident des Deutschen Industrie- und<br />
Handelskammertages (DIHK), Eric<br />
Schweitzer im Interview mit der WirtschaftsWoche<br />
(siehe Seite 26). Vielmehr<br />
betont der Wirtschaftsboss: Die Konsolidierung<br />
erfolge „ausschließlich auf Grundlage<br />
der guten Konjunktur, die die Steuereinnahmen<br />
sprudeln lässt“.<br />
„VÖLLIG UNAMBITIONIERT“<br />
Die Haushaltspolitik der großen Koalition<br />
sei „völlig unambitioniert“, urteilt auch Reiner<br />
Holznagel, Präsident des Bundes der<br />
Steuerzahler. Im Koalitionsvertrag komme<br />
das Wort Einsparungen kein einziges Mal<br />
vor. Stattdessen nutze die Koalition die Rekordsteuereinnahmen,<br />
um neue Wohltaten<br />
und Klientel-Programme zu beschließen.<br />
Fast im gleichen Atemzug, in dem die<br />
große Koalition einen nahezu ausgeglichenen<br />
Bundeshaushalt für <strong>2014</strong> verabschiedet<br />
und einen ausgeglichenen Etat für 2015<br />
verkündet, teilt sie allerdings Wechsel aus,<br />
die später fällig werden. Besonders ins<br />
Hehres Ziel Schäuble will 2015 einen Haushalt<br />
ohne Neuverschuldung präsentieren<br />
Kontor der künftigen Generationen fallen<br />
die Rentenbeschlüsse (abschlagfreie Rente<br />
mit 63, Mütterrente). Sie dürften die Rentenkasse<br />
in den nächsten Jahren mit rund<br />
200 Milliarden Euro belasten. Bei den aktuellen<br />
Beratungen über den Bundeshaushalt<br />
<strong>2014</strong> gab Schäuble zu Protokoll, die<br />
Koalition habe beschlossen: „Wir können<br />
uns das leisten.“<br />
Wer ihn kennt, der weiß, dass er in Wirklichkeit<br />
sagt: Wir können uns das nicht leisten.<br />
Doch der Finanzminister mag sich<br />
nicht mehr wehren. Pacta sunt servanda,<br />
so lautet ein Lieblingsspruch des Juristen<br />
Schäuble, und in diesem Fall ist es der Koalitionsvertrag,<br />
dem er sich unterwirft.<br />
Stattdessen kämpft er in den Niederungen<br />
»Wir könnten bis<br />
zu 20 Milliarden<br />
Euro im Haushalt<br />
einsparen«<br />
Reiner Holznagel, Bund der Steuerzahler<br />
der Ebene, um wenigstens seine kurzfristigen<br />
Haushaltsziele zu erreichen. Kurz vor<br />
den parlamentarischen Schlussberatungen<br />
tauchten plötzlich neue Haushaltslöcher<br />
auf. Allein 2,3 Milliarden Euro muss<br />
der Bund in diesem Jahr an die Kernkraftwerksbetreiber<br />
zurückzahlen, weil das<br />
Hamburger Finanzgericht die Brennelementesteuer<br />
für nichtig erklärte. Weitere<br />
700 Millionen Euro fehlen, weil die Steuereinnahmen<br />
in diesem Jahr doch nicht so<br />
stark steigen wie zunächst angenommen.<br />
Die Beamten im Bundesfinanzministerium<br />
wollten daraufhin einfach die Neuverschuldung<br />
von 6,5 auf 8,3 Milliarden Euro<br />
hochfahren, also bis zu der Grenze, wo der<br />
Haushalt noch als „strukturell ausgeglichen“<br />
gilt. Doch Schäubles wichtigster Verbündeter<br />
im Bundestag, der CDU-Haushaltspolitiker<br />
Norbert Barthle, gab die Losung<br />
aus, möglichst dicht bei den 6,5 Milliarden<br />
Euro zu bleiben. Folglich suchten die<br />
Haushaltspolitiker bis tief in die Nacht zum<br />
Freitag noch nach <strong>Ausgabe</strong>n, die sie eindampfen<br />
konnten.<br />
DAS PROBLEM DER GROKO<br />
Dabei hätten sich die Haushaltspolitiker<br />
und die Fachminister (die bei Abschlussberatungen<br />
bisweilen wie Schulkinder vor der<br />
Tür des Haushaltsausschusses warten müssen)<br />
den Aufwand sparen können – wenn<br />
sie sich zuvor richtig zum Sparen entschlossen<br />
hätten. Eine Anleitung gibt es beim<br />
Bund der Steuerzahler. „Nach unserer Analyse<br />
könnten bis zu 20 Milliarden Euro im<br />
Bundeshaushalt eingespart werden“, sagt<br />
Holznagel. Auf seiner Streichliste stehen<br />
ganz oben Subventionen in Höhe von sechs<br />
Milliarden Euro, das Eltern- und Betreuungsgeld<br />
mit drei Milliarden Euro und eine<br />
Milliarde Euro, die sich durch eine Umstellung<br />
beim Bafög von Zuschüssen auf Darlehen<br />
abknapsen ließen. Holznagel: „Wir<br />
brauchen klare Entscheidungen und Sparmaßnahmen,<br />
damit die Schuldenbremse<br />
eingehalten wird und Bürger gleichzeitig<br />
entlastet werden können.“<br />
Genau hier liegt das Problem – die Gro-<br />
Ko traut sich nicht, substanziell zu sparen.<br />
Sie verteilt stattdessen die im Wahlkampf<br />
versprochenen Sozialleistungen und<br />
bräunt sich ansonsten im schönen (Konjunktur-)Wetter.<br />
Von den rund 300 Milliarden Euro, die<br />
im Bundeshalt <strong>2014</strong> zu verteilen sind, entfallen<br />
nach Berechnungen des DIHK 93<br />
Prozent auf konsumptive <strong>Ausgabe</strong>n. Mit<br />
Abstand an der Spitze stehen die Zuschüsse<br />
zur Rentenversicherung mit 83 Milliar-<br />
FOTO: LAIF/DOMINIK BUTZMANN<br />
24 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Sprudelnde Quellen<br />
Steuereinnahmen von Bund, Ländern und<br />
Gemeinden (in Milliarden Euro)<br />
Bund<br />
Gemeinden<br />
Länder<br />
2008 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18<br />
Quelle: BMF, Arbeitskreis Steuerschätzungen;<br />
ab <strong>2014</strong> Schätzungen<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
den Euro (siehe Tabelle rechts oben). Weitere<br />
Sozialleistungen für die Grundsicherung<br />
im Alter, ALG-II-Zuschüsse und Eingliederungshilfen<br />
schlagen mit 37 Milliarden<br />
Euro zu Buche. Erst dann kommt der<br />
Etat für die Bundeswehr, dicht gefolgt von<br />
den Zinsen für die Bundesschulden.<br />
Investive <strong>Ausgabe</strong>n hingegen muss man<br />
schon fast mit der Lupe suchen – in der<br />
50<br />
Summe sind es mickrige sieben Prozent in<br />
Schäubles Etat. Für die Sicherung des<br />
Hochlohnstandorts Deutschland ist dies<br />
fahrlässig wenig. Allein die Verkehrsinfrastruktur<br />
rottet seit Jahren vor sich hin; statt<br />
einen Marshallplan für die Straßen zu entwerfen,<br />
lassen Bund, Länder und Kommunen<br />
lieber ein paar Brücken sperren und<br />
Schlaglöcher notdürftig flicken.<br />
Wichtiger ist es für Schäuble, sich einen<br />
Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern<br />
– als erster Bundesfinanzminister seit 1969,<br />
der einen schuldenfreien Haushalt hinbekommt.<br />
Nächstes Jahr soll es so weit sein,<br />
und dafür mobilisieren Schäubles Beamte<br />
derzeit all ihre Kreativität. Sie haben den<br />
Bundeszuschuss für die Krankenkassen<br />
um ein paar Milliarden gesenkt und finanzierten<br />
die Hochwasserhilfe des Jahres<br />
2013 für die Länder vor, um die nachfolgenden<br />
Haushalte mit Tilgungen aus den<br />
Ländern aufzuhübschen. Zusätzliche Rentenleistungen<br />
lassen sie von der Versichertengemeinschaft<br />
bezahlen. Möglicherweise<br />
müssen Schäubles Beamte nächstes Jahr<br />
noch einen kreativen Schlussspurt einlegen<br />
– wenn die Konjunktur wider Erwarten<br />
einbrechen sollte.<br />
Wohin das Geld fließt<br />
Bundeshaushalt <strong>2014</strong>,<br />
(in Milliarden Euro, Auswahl)<br />
Bundeszuschuss zur Rente<br />
Verteidigung<br />
Zinsen<br />
ALG-II-Zuschüsse<br />
Bildung und Forschung<br />
Verkehrsinfrastruktur<br />
Zuschuss gesetzliche Krankenkassen<br />
Eingliederungshilfe für Behinderte<br />
Entwicklungshilfe<br />
Eltern- und Betreuungsgeld<br />
Grundsicherung im Alter<br />
Quelle: BMF-Kabinettsvorlage<br />
83,0<br />
32,8<br />
30,1<br />
23,4<br />
14,0<br />
12,6<br />
10,5<br />
8,0<br />
6,4<br />
5,9<br />
5,5<br />
Schäuble will auf keinen Fall das Schicksal<br />
seiner Amtsvorgänger erleiden. Hans Eichel<br />
(SPD) machte das Platzen der Internet-Blase<br />
einen Strich durch die Rechnung. Peer Steinbrück<br />
kam kurz vor dem Null-Schulden-<br />
Haushalt die Weltfinanzkrise in die Quere.<br />
Und 2015? Für böse Überraschungen ist<br />
Schäubles Etatentwurf nicht ausgelegt. n<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»Vor dem Kollaps«<br />
INTERVIEW | Eric Schweitzer Der DIHK-Präsident attackiert die<br />
Regierung – und warnt vor massivem Arbeitskräftemangel.<br />
Herr Schweitzer, der Bundestag hat die<br />
Rente mit 63 beschlossen, der Mindestlohn<br />
und der fast ausgeglichene Etat sind<br />
so gut wie durch. Schlägt die GroKo die<br />
richtigen Pflöcke ein?<br />
Der Staat verfügt über Einnahmen wie<br />
noch nie. Aber das ist offenbar eine Versuchung.<br />
Plötzlich ist es vorbei mit der Zurückhaltung,<br />
die Regierung beschließt soziale<br />
Wohltaten in enormem Ausmaß.<br />
Aber es gibt auch mehr für Forschung,<br />
Bildung und Infrastruktur.<br />
Schauen wir uns das Gesamtbild an. 93<br />
Prozent der Staatsausgaben fließen in den<br />
Konsum. Nur sieben Prozent in Investitionen.<br />
Dabei steht zum Beispiel unsere Verkehrsinfrastruktur<br />
vielerorts vor dem Kollaps.<br />
Statt einer Milliarde Euro mehr für<br />
Straßen und Brücken bräuchten wir jedes<br />
OBERHAUPT DER WIRTSCHAFT<br />
Schweitzer, 48, ist seit März 2013 Präsident<br />
des Deutschen Industrie- und Handelskammertages<br />
(DIHK). Im Hauptberuf führt<br />
der Betriebswirt zusammen mit seinem<br />
Bruder das Entsorgungsunternehmen Alba.<br />
Jahr fünf Milliarden Euro zusätzlich. Auch<br />
müssten unternehmerische Investitionen<br />
und Innovationen besser unterstützt werden,<br />
etwa durch verbesserte Abschreibungsbedingungen...<br />
...und durch eine steuerliche Förderung<br />
von Forschung und Entwicklung?<br />
Das wäre eine zusätzliche Subvention.<br />
Deshalb bin ich kein großer Freund davon.<br />
F&E-<strong>Ausgabe</strong>n sind ohnehin steuerlich<br />
voll absetzbar, und am Ende führen die<br />
Forschungsanstrengungen auch zu höheren<br />
Gewinnen. Das ist der entscheidende<br />
Anreiz. Für besser halte ich die bisherige<br />
Projektförderung. Insgesamt gibt Deutschland<br />
für F&E rund drei Prozent des BIPs<br />
aus, das ist ein Verdienst von Politik und<br />
Wirtschaft. Aber das ist derzeit fast schon<br />
der einzige Lichtblick für den Standort<br />
Deutschland. Die Regierung tut bislang zu<br />
wenig, um unser Fundament für wirtschaftliches<br />
Wachstum zu erhalten.<br />
Immerhin plant Finanzminister Wolfgang<br />
Schäuble für 2015 einen Haushalt ohne<br />
Neuverschuldung. Ist das nicht eine Leistung<br />
– auch für künftige Generationen?<br />
Ich habe großen Respekt vor Herrn Schäuble.<br />
Er ist für Deutschland in diesen turbulenten<br />
Euro- und Bankenkrisenzeiten der<br />
richtige Minister. Bei der Haushaltskonsolidierung<br />
kann ich allerdings keine besonderen<br />
Leistungen erkennen. Sie erfolgt<br />
ausschließlich auf Grundlage der guten<br />
Konjunktur, die die Steuereinnahmen<br />
sprudeln lässt.<br />
Schäuble muss umsetzen, was die Koalition<br />
vereinbart hat.<br />
Richtig. Und leider gibt es im Bundestag<br />
keine Partei, die sich gegen die neuen Sozialleistungen<br />
stemmt. Seit dem Ausscheiden<br />
der FDP tritt im Bundestag keine Partei<br />
mehr für die Grundlagen unseres Wohlstandes<br />
ein. Im Gegenteil, alle wollen den<br />
Unternehmen noch mehr Lasten aufbürden.<br />
Nun liegt die FDP auf der Intensivstation.<br />
Könnte die AfD in die Fußstapfen der Liberalen<br />
treten?<br />
Ich kann nicht erkennen, dass die AfD die<br />
Rolle der FDP übernimmt. Aus Sicht der<br />
Wirtschaft wäre zudem ein Abschied <strong>vom</strong><br />
Euro verheerend. Für unsere Unternehmen,<br />
die fast 40 Prozent ihrer Exporte im<br />
Euro-Raum abwickeln, ist die einheitliche<br />
Währung extrem wichtig.<br />
Lange hat die Wirtschaft gegen die abschlagfreie<br />
Rente mit 63 gekämpft. Was<br />
wird schlechter für die Unternehmen?<br />
Viele erfahrene Mitarbeiter scheiden früher<br />
aus und reißen Lücken im Betrieb.<br />
Die Wirtschaft könnte Anreize für Arbeit<br />
ab 63 schaffen, um die Älteren zu halten.<br />
Die Politik schafft mit viel Geld die Anreize,<br />
früher auszusteigen, und wir sollen jetzt<br />
verhindern, dass die Menschen das Angebot<br />
annehmen? Nein, die Anreize eines abschlagfreien<br />
Vorruhestandes sind zu stark.<br />
Besonders ärgert mich, dass es sich hier<br />
um ein Wahlgeschenk für eine bestimmte<br />
Facharbeiterklientel handelt.<br />
FOTO: LAIF/ANDREAS PEIN<br />
26 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Für den Mindestlohn gilt das nicht. Davon<br />
profitieren Millionen. Arrangieren sich die<br />
Unternehmen nun damit?<br />
Den Unternehmen bleibt ja gar nichts anderes<br />
übrig. Denn an der Entscheidung<br />
wird sich trotz aller Warnungen wohl<br />
nichts mehr ändern. Aber die Auswirkungen<br />
sind gravierend. Es gibt Studien, die sehen<br />
bis zu einer Million Arbeitsplätze bedroht.<br />
Ob sich das einstellt, wird sich zeigen.<br />
Aber klar ist: Der Mindestlohn vernichtet<br />
Jobs.<br />
Der Inhaber der Friseurkette Klier hat wegen<br />
des Mindestlohns bereits Preiserhöhungen<br />
für Haarschnitte angekündigt.<br />
Wie reagieren andere Branchen?<br />
Der Mindestlohn trifft zum Beispiel auch<br />
das Taxigewerbe und Reinigungsfirmen.<br />
Wo die Unternehmen die gestiegenen Personalkosten<br />
an den Verbraucher weitergeben<br />
können, bedeutet das Preiserhöhungen.<br />
Und wir werden Ausweichstrategien<br />
erleben. Wird der Haarschnitt teurer, gehen<br />
die Verbraucher vielleicht seltener<br />
zum Frisör oder lassen es schwarz machen.<br />
Der Mindestlohn schwächt so das Wachstum.<br />
Und er bedroht gerade Jobs für gering<br />
Qualifizierte.<br />
»Jede siebte<br />
Stelle droht unbesetzt<br />
zu bleiben –<br />
ein Wahnsinn«<br />
Wieso?<br />
Ich befürchte, dass viele Jugendliche das<br />
Interesse an einer Ausbildung verlieren,<br />
wenn sie kurzfristig mit Mindestlohn 1500<br />
Euro pro Monat statt 700 Euro bekommen<br />
können. Das rächt sich vor allem dann,<br />
wenn die Konjunktur mal wieder schlechter<br />
läuft. Wir haben heute schon 1,4 Millionen<br />
Menschen zwischen 25 und 35 Jahre<br />
ohne Ausbildung. Die Hälfte davon ist<br />
nicht in Beschäftigung. Der Mindestlohn<br />
setzt die Axt an den Anreiz, in die eigene<br />
Zukunft zu investieren.<br />
Die Unternehmen könnten die Ausbildung<br />
ja attraktiver machen.<br />
Was wollen Sie tun? Eine Ausbildung mit<br />
1500 Euro Vergütung anbieten? Das ist<br />
nicht möglich. Eine Ausbildung kostet Unternehmen<br />
viel Geld. Ein Lehrling ist drei<br />
oder vier Tage in der Woche im Betrieb,<br />
den Rest in der Berufsschule. Die demografische<br />
Entwicklung führt schon jetzt dazu,<br />
dass Zehntausende Lehrstellen unbesetzt<br />
bleiben. In den kommenden Jahren<br />
werden noch weniger junge Menschen die<br />
Schule verlassen. Das ist eine Gefahr für<br />
den Standort.<br />
Wie groß ist denn der Fachkräftemangel<br />
wirklich?<br />
Die Fachkräftesicherung ist das strategische<br />
Thema der Zukunft. 38 Prozent unserer<br />
Mitglieder warnen bereits, dass sich das<br />
Fehlen von guten Leuten für sie zu einem<br />
Geschäftsrisiko auswächst. Anfang 2010<br />
haben das gerade mal 16 Prozent so gesehen.<br />
Vor allem im Pflegebereich, bei Ingenieurbüros<br />
und Softwarefirmen werden<br />
Leute gesucht. Bis 2025 fehlen bis zu sechs<br />
Millionen Arbeitskräfte. Mit anderen Worten:<br />
Jeder siebte Arbeitsplatz droht unbesetzt<br />
zu bleiben. Ein Wahnsinn.<br />
Was schlagen Sie vor?<br />
Wir brauchen einen Mix an Maßnahmen.<br />
Wir müssen beispielsweise Müttern die<br />
Möglichkeit eröffnen, wieder schneller<br />
»<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
»<br />
Vollzeit in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.<br />
Ein bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsangebot<br />
könnte 850 000 zusätzliche<br />
Fachkräfte mobilisieren. Stattdessen<br />
leistet sich Deutschland europaweit die<br />
zweithöchste Teilzeitquote unter Frauen.<br />
Auch bei Älteren liegen noch weitere Beschäftigungspotenziale<br />
– was allerdings<br />
durch die Rente mit 63 eher konterkariert<br />
wird. Zudem brauchen wir mehr Zuwanderung.<br />
Jedes Jahr müssten unter dem<br />
Strich rund 300 000 Zuwanderer, einschließlich<br />
Familien, nach Deutschland<br />
kommen – das wären bis 2025 dann 1,5<br />
Millionen Fachkräfte.<br />
Ausländische Fachkräfte müssten den<br />
Unternehmen doch eigentlich die Bude<br />
einrennen. Warum tun sie das nicht?<br />
Wir brauchen zum Beispiel eine noch bessere<br />
Willkommenskultur. Einige IHKs unterstützen<br />
bereits Welcome Center, um Zuwanderern<br />
bei den ersten Behördengängen und<br />
Sprachproblemen zu helfen. Das müssen<br />
wir intensivieren. Im Kern muss es uns gelingen,<br />
ein positives Bewusstsein zu schaffen,<br />
dass wir in Deutschland Zuwanderung<br />
brauchen. Das ist zentral für unseren Wohlstand.<br />
Dabei sollten wir den Bürgern die<br />
Angst nehmen, ihnen würden Jobs weggenommen,<br />
oder es gäbe eine Zuwanderung<br />
in die Sozialsysteme. Im Kern geht es um die<br />
Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte.<br />
In Deutschland beginnt mittlerweile jeder<br />
zweite Jugendliche ein Studium. Das dürfte<br />
Ihnen kaum gefallen, oder?<br />
Den Trend zur Akademisierung um jeden<br />
Preis müssen wir stoppen, damit Deutschland<br />
nicht die praktisch ausgebildeten<br />
Fachkräfte ausgehen. Zu viele Jugendliche<br />
werden an Hochschulen geschickt, obwohl<br />
sie da nicht hinpassen. Inzwischen bricht<br />
fast jeder Vierte das Studium ab, in den Naturwissenschaften<br />
sogar jeder Zweite. Das<br />
ist menschlich ein Drama und volkswirtschaftlich<br />
ein Desaster.<br />
Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt im<br />
Verlauf des Jahres?<br />
Wir rechnen mit einem Plus von 300 000<br />
neuen Stellen. So brauchen Versicherungen,<br />
Forschungsinstitute, IT-Firmen und<br />
Beratungen rund 100 000 Fachkräfte zusätzlich.<br />
Pflege und Gesundheit stocken<br />
um 60 000 auf, die Metall- und Elektroindustrie<br />
um 40 000, der Handel um 35 000<br />
und die Baubranche um 20 000. Der Arbeitsmarkt<br />
ist robust – zumindest so lange,<br />
wie politische Fehlentscheidungen noch<br />
nicht durchschlagen.<br />
n<br />
christian.ramthun@wiwo.de | Berlin,<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />
Simcity lässt grüßen<br />
GROSSPROJEKTE | Wer öffentliche Ausschreibungen gewinnen will,<br />
muss künftig fünfdimensional bauen. Das soll Milliarden sparen.<br />
Leider kein Spiel<br />
Berliner Flughafen<br />
versenkt Milliarden<br />
Mitarbeiter des Flughafens in Berlin<br />
(BER) nennen die Anlage nur<br />
„Monster“. Seit Monaten suchen<br />
sie nach Wegen, die Entrauchungsanlage<br />
ans Laufen zu bekommen. Doch Raumnummern<br />
widersprechen Bauplänen, Kabelstränge<br />
winden sich irgendwie durch kilometerlange<br />
Schächte, Brandmelder steuern<br />
falsche Entrauchungsklappen an. Nach<br />
der Entlassung des unter Korruptionsverdacht<br />
stehenden Technikchefs sucht<br />
Hartmut Mehdorn, Vorstandsvorsitzender<br />
des BER, einen Nachfolger – ein Höllenjob.<br />
Dabei hätte es die Probleme gar nicht geben<br />
müssen, hätte eine zentrale Datenbank<br />
alle Schritte <strong>vom</strong> Spatenstich über<br />
den Rohbau bis zur Endfertigung notiert<br />
und sämtliche Planänderungen abgespeichert.<br />
Doch die gibt es nicht. Das heißt:anderswo<br />
schon. Nur beim BER nicht. Dort<br />
wurschtelt jeder vor sich hin.<br />
BAUEN IN 5-D<br />
In Zukunft soll so ein Bau-GAU wie in Berlin<br />
unmöglich werden. Der Bund will digitale<br />
Planungsmethoden, im Fachjargon<br />
„Building Information Modeling“ (BIM),<br />
zum Standard beim Bau öffentlicher Gewerke<br />
erheben. Ein Großprojekt wird dabei<br />
als dreidimensionales Modell entworfen.<br />
Hinzu kommen Kosten- und Zeitprognosen.<br />
Die Reformkommission „Großprojekte“,<br />
die als Folge vermurkster Bauten wie<br />
25 Prozent<br />
der Baukosten lassen<br />
sich durch virtuelle<br />
Prototypen einsparen<br />
BER, S21 und Elbphilharmonie regelmäßig<br />
tagt, will so Zeit, Kosten und Ärger sparen.<br />
Simcity lässt also grüßen. Denn wie bei<br />
dem beliebten Computerspiel, bei dem<br />
Nutzer ganze Städte errichten, entsteht bei<br />
BIM ein Projekt zunächst als virtueller Prototyp.<br />
„Ziel ist, erst digital, dann real zu<br />
bauen“, heißt es in einem Ergebnisbericht<br />
der Expertengruppe. BIM werde künftig<br />
„unternehmensübergreifend von allen an<br />
einem Projekt Beteiligten angewandt“. Auf<br />
Architekten, Baufirmen und Subunternehmen<br />
wirkt das disziplinierend, weil sie<br />
schon im Vorfeld eines Projekts ihre Ideen<br />
und Skizzen zur Verfügung stellen müssen.<br />
Der Einsatz von BIM „stellt die Baubranche<br />
vor einen Paradigmenwechsel“, sagt<br />
Joaquín Díaz, Professor für Bausoftware an<br />
der Technischen Hochschule Mittelhessen.<br />
„Bislang zeichnen Ingenieurbüros ihre<br />
Baupläne größtenteils noch zweidimensio-<br />
FOTO: ACTION PRESS/BJÖRN KIETZMANN<br />
28 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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nal, mailen sie herum und nehmen den<br />
Ausdruck mit auf die Baustelle.“ Künftig<br />
werde „ganzheitlich geplant“, so Díaz. Im<br />
Fokus stehe der Lebenszyklus eines Bauwerks.<br />
Die Beteiligten speichern auch Zusatzinfos<br />
wie Herstelldatum technischer<br />
Anlagen ab und ergänzen, wann die nächste<br />
Wartung ansteht. „Andere Branchen wie<br />
die Automobil-, Chemie- und Flugzeugindustrie<br />
arbeiten seit Jahrzehnten mit diesen<br />
Modellen“, sagt Díaz. „Die konservative<br />
Baubranche hinkt Jahre hinterher.“<br />
Die Einsparungen sind gigantisch. „Bis<br />
zu 25 Prozent der Gesamtkosten eines<br />
Großprojektes können eingespart werden“,<br />
sagt Díaz. US-Studien gehen von bis zu 40<br />
Prozent aus. Grund: Teurer wird ein Bauprojekt<br />
dann, wenn Fehler bei Planung,<br />
Ausführung oder Koordination später ausgebügelt<br />
werden müssen. Das passierte<br />
auch bei BER, S21 und Elbphilharmonie.<br />
Im Ausland gehört digitales Bauen längst<br />
zum Alltag. Um in Skandinavien eine Baugenehmigung<br />
zu erhalten, müssen Firmen<br />
ihre Unterlagen in BIM-Standard einreichen.<br />
Ähnliches gilt in Holland, Australien<br />
und den USA. Großbritannien macht BIM<br />
ab 2016 zur Pflicht. Eine „BIM Task Group“<br />
erarbeitet die Standards. Auch dem Bund<br />
ist die Einrichtung einer BIM-Arbeitsgruppe<br />
fünf Millionen Euro pro Jahr wert, heißt<br />
es in dem Kommissionsbericht.<br />
MITTELSTAND UNTER ZUGZWANG<br />
Die Digitalisierung setzt die Baubranche<br />
jedoch unter Druck. „Die vielen kleinen<br />
Planungsgesellschaften mit ihren durchschnittlich<br />
zehn Mitarbeitern in Deutschland<br />
haben bislang nie großes Interesse an<br />
der digitalen Transformation gezeigt“, sagt<br />
Díaz. Für BIM müssten Beschäftigte firmenintern<br />
geschult und abgestellt werden.<br />
Dies sei allenfalls für die größeren Ingenieurbüros<br />
mit bis zu 1000 Mitarbeitern<br />
machbar. Und selbst die wirken im Gegensatz<br />
zu britischen Planungsgiganten mit<br />
15 000 Mitarbeitern wie Zwerge.<br />
Der verpflichtende Einsatz von BIM bei<br />
öffentlichen Aufträgen würde deutschen<br />
Softwareschmieden jedenfalls einen<br />
Schub bescheren. Größere Hersteller wie<br />
Nemetschek und RIB sowie Start-ups wie<br />
Sablono stammen aus Deutschland. Sie<br />
verkaufen ihre Software vor allem ins Ausland.<br />
Und bald wohl auch hier. Die Nemetschek-Tochter<br />
Allplan startete jüngst mit<br />
kostenlosen Infoseminaren. Vorstand Thomas<br />
von Küstenfeld: „Die Veranstaltungen<br />
waren deutlich überbucht.“<br />
n<br />
christian.schlesiger@wiwo.de | Berlin<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 29<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Preise<br />
marsch!<br />
WASSER | Seit die Kartellämter<br />
nicht mehr einschreiten<br />
dürfen, haben Kommunen<br />
bei den Preisen freie Hand –<br />
und nutzen das aus.<br />
Andreas Mundt wählte scharfe<br />
Worte: „Dieses Gesetz ist ein harter<br />
Schlag für alle Wasserverbraucher“,<br />
schimpfte der Präsident des Bundeskartellamtes<br />
vor gut einem Jahr. „Unserer<br />
Arbeit wird der Boden entzogen.“ Grund<br />
seines Zorns war die „Achte Novelle des<br />
Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen“,<br />
mit der die schwarz-gelbe Bundesregierung<br />
dem Kartellamt die Kontrolle über<br />
die Wassergebühren entzog. Die Wettbewerbshüter<br />
warnten, überfällige<br />
Preissenkungen würden nun erst recht<br />
unterbleiben. Die Wasserversorger<br />
wiegelten ab. Heute zeigt sich: Mundt<br />
hat recht behalten.<br />
Der Wassermarkt ist Deutschlands<br />
letztes Monopol. Obwohl wir eines der<br />
wasserreichsten Länder der EU sind, gehören<br />
die Preise zu den Höchsten. Das<br />
Problem: Der Wasserpreis hängt stark von<br />
lokalen Gegebenheiten ab und ist in seiner<br />
Berechnung so komplex, dass eine Preiskontrolle<br />
nur mit großem Aufwand erfolgen<br />
kann. Über Jahrzehnte fand sie faktisch<br />
gar nicht statt – bis die Kartellämter um die<br />
Jahrtausendwende herum das neue Betätigungsfeld<br />
entdeckten. Die Wettbewerbshüter<br />
stießen schnell auf Unglaubliches:<br />
Preisunterschiede von mehreren Hundert<br />
Prozent, zum Teil zwischen benachbarten<br />
Städten. Die personell<br />
schlecht ausgestatteten<br />
Marktwächter setzten gegenüber<br />
den Wasserwerken (von<br />
denen es mehrere Tausend<br />
gibt) auf eine Abschreckungsstrategie:<br />
Einzelne, aufsehenerregende<br />
Verfahren mit hohen Schadenssummen<br />
sollten andere Anbieter<br />
gar nicht auf die Idee bringen,<br />
Wucherpreise zu kassieren.<br />
Dafür nutzten sie ein rechtliches<br />
Vakuum. Auf dem Papier<br />
sind die Kartellbehörden nur für<br />
die Preiskontrolle privater Unternehmen<br />
zuständig. Viele Wasserwerke<br />
haben zwar einen privatrechtlichen<br />
Organisationsmantel,<br />
doch die Wahl der Rechtsform<br />
steht ihnen frei. Sind sie<br />
öffentlich-rechtlich organisiert<br />
(und nehmen statt Preisen<br />
Gebühren), ist die Kommunalaufsicht<br />
zuständig. Bis 2013<br />
war nicht explizit geregelt, ob die<br />
Kartellbehörden trotzdem auch<br />
gegen überhöhte Gebühren einschreiten<br />
können. Also taten sie<br />
es einfach und bekamen in<br />
mehreren Verfahren recht. 2010<br />
etwa verlor die Stadt Wiesbaden<br />
vor dem Bundesgerichtshof und<br />
musste ihre Preise um 40 Prozent<br />
senken. Die Stadtwerke Mainz<br />
senkten ihre Entgelte 2012 um 15<br />
Prozent. Vor vier Wochen schließlich<br />
wurden die Berliner Stadtwerke<br />
dazu verdonnert, ihre<br />
Wasserkunden um satte 18 Prozent zu<br />
entlasten.<br />
Leider dürfte dies der letzte Erfolg im<br />
Sinne der Verbraucher sein. Das Berliner<br />
Verfahren stammt noch aus der Zeit vor<br />
der GWB-Novelle, seit 2013 ist klar: Kommunale<br />
Eigenbetriebe bleiben den Kartellämtern<br />
verschlossen. Mehr und mehr zeigen<br />
sich nun die Folgen der Gesetzesänderung.<br />
„Unternehmen können sich durch<br />
eine einfache Umstrukturierung jederzeit<br />
der Kontrolle durch die Kartellbehörden<br />
entziehen. Das schafft eine Vorfeldwirkung“,<br />
schimpft Mundt. Wenn Kartellbehörden<br />
beginnen, die Preisgestaltung eines<br />
Wasserbetriebs zu hinterfragen, sind<br />
sie der Gefahr ausgesetzt, dass dieser flugs<br />
seine Rechtsform ändert. Mundt: „Es gibt<br />
genügend Beispiele von Stadtwerken, die<br />
im laufenden Verfahren ihre Organisationsform<br />
geändert haben.“<br />
KARTELLÄMTER RESIGNIEREN<br />
Die meisten Kartellämter haben aufgegeben<br />
und strengen keine neuen Verfahren<br />
an. Denn auch der politische Wind hat sich<br />
gedreht. In Hessen, wo das Wirtschaftsministerium<br />
über Jahre den Kampf gegen hohe<br />
Wasserpreise vorantrieb, ist das Thema<br />
gar völlig aus dem Aufgabenbereich des<br />
Kartellamts verschwunden. Für Wasser ist<br />
nun ein „Referat für Energieregulierung“<br />
zuständig. Dem umtriebigen Kartellamtsleiter<br />
wurde der Aufgabenbereich „Nahmobilität“<br />
übertragen.<br />
Vor wenigen Wochen haben die hessischen<br />
Industrie- und Handelskammern<br />
die Wasserpreise im Land vergleichen lassen.<br />
Sie tun das immer mal wieder, früher<br />
folgte zuverlässig ein Fanal aufgebrachter<br />
Politiker, die nach Preissenkungen riefen.<br />
Diesmal war es anders. Zwar liegt die<br />
Streuung der Preise nach wie vor bei 400<br />
Prozent. Auch das Niveau steigt weiter an.<br />
Doch die Reaktion des Innenministers Peter<br />
Beuth (CDU) ging in die andere Richtung:<br />
Man weise die Kritik „mit aller Deutlichkeit<br />
als nicht sachgerecht“ zurück. n<br />
konrad.fischer@wiwo.de<br />
FOTOS: FOTEX/L.KARL, GETTY IMAGES/PLAINVIEW; MONTAGE: DMITRI BROIDO<br />
18 Prozent<br />
zu hoch waren jahrelang die Wasserpreise in<br />
Berlin<br />
Um400 Prozent<br />
unterscheiden sich die Wasserpreise<br />
allein in Hessen<br />
30 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Zu kurz gedacht<br />
FORUM | Die Pläne der großen Koalition für eine Frauenquote in der Wirtschaft könnte zu Ausweichreaktionen<br />
der betroffenen Betriebe führen. Die Quote berührt die Eigentumsfreiheit der Unternehmer<br />
– und dürfte am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Von Brun-Hagen Hennerkes<br />
FOTOS: ACTION PRESS/DIE BILDSTELLE, VISUM/STEFAN BONESS<br />
Seit Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und Justizminister<br />
Heiko Maas (SPD) ihre Leitlinien für die geplanten<br />
Geschlechterquoten veröffentlichten, herrscht Unruhe in<br />
der Wirtschaft. Unternehmen, die sowohl paritätisch mitbestimmt<br />
als auch börsennotiert sind, müssen ab 2016 ihre Aufsichtsratssitze<br />
weiblich besetzen, bis ein Anteil von 30 Prozent Frauen erreicht ist.<br />
Ansonsten bleiben die vakanten Aufsichtsratssitze leer.<br />
Da stellt sich die Frage: Warum darf sich nach diesen Kriterien<br />
die Bosch-Gruppe (im Inland<br />
rund 1<strong>07</strong> 000 Mitarbeiter,<br />
nicht an der Börse) eine<br />
geringere Frauenquote erlauben<br />
als der Druckmaschinenhersteller<br />
Koenig &<br />
Bauer (im Inland rund 4000<br />
Mitarbeiter und börsennotiert)?<br />
Einen Eingriff in der<br />
vorgesehenen Dimension<br />
muss der Gesetzgeber sehr<br />
gut rechtfertigen. Börsennotierte<br />
Aktiengesellschaften<br />
sind wegen des Anlegerschutzes<br />
bereits stark reguliert.<br />
Die Frage, ob gesellschaftspolitische<br />
Ziele eine<br />
weitere Regulierung rechtfertigen,<br />
dürfte ein weiteres<br />
Mal vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Denn die Frauenquote<br />
tangiert das Grundrecht auf Eigentum des Unternehmers in<br />
dreifacher Weise: bei der Personalauswahl, bei der Organisation<br />
sowie der Finanzierung seiner Firma.<br />
Von oben verordnet Die Bundesregierung will Unternehmen zwingen,<br />
mehr Führungspositionen mit Frauen zu besetzen – und einen<br />
Frauenanteil in den Aufsichtsräten von 30 Prozent durchsetzen.<br />
UNGEWÖHNLICHE FRIST<br />
Erstens: Der Unternehmer ist in einem Kernbereich, bei der Auswahl<br />
seiner Aufsichtsratsmitglieder und Mitarbeiter, nicht mehr<br />
frei. Nach den bisher veröffentlichten Leitlinien soll jedes börsennotierte<br />
Unternehmen sowie jedes in irgendeiner Form mitbestimmte<br />
Nichtbörsenunternehmen verpflichtet werden, sich eine<br />
Zielvorgabe für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Vorstand und<br />
den zwei Führungsebenen unterhalb des Vorstands zu geben. Die<br />
Verpflichtung ist innerhalb der 18. Legislaturperiode (sie endet<br />
2017) zu erfüllen. Diese Frist ist ungewöhnlich; letztlich geht es<br />
wohl darum, rechtzeitig zur nächsten Wahl Erfolgsmeldungen<br />
auszusenden. Dafür müssen laut den beiden Ministerien 3500 Unternehmen<br />
herhalten, darunter ein guter Teil der Königsklasse der<br />
deutschen Familienunternehmen. Im Januar hatte die Ministerin<br />
nur von 2500 betroffenen Betrieben gesprochen.<br />
Eine einmal festgelegte Frauenquote kann das Unternehmen<br />
auch nachträglich nicht korrigieren. Die Firma muss Frauen einstellen,<br />
auch wenn diese nicht die Qualifikation von am Markt verfügbaren<br />
männlichen Bewerbern besitzen. Im Baugewerbe liegt<br />
der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei 15 Prozent, im<br />
verarbeitenden Gewerbe bei 17 Prozent. Nur 16 Prozent aller weiblichen<br />
Studienanfänger wählten die Fachbereiche Mathematik, Informatik,<br />
Naturwissenschaft und Technik (2010).<br />
Kluge Köpfe werden einwenden, Unternehmen könnten sich ja<br />
eine möglichst niedrige Quote geben. Das ist ziemlich kurz gedacht.<br />
Die Listen genau dieser Firmen<br />
werden schon bald in<br />
den Medien zirkulieren. Und<br />
das ist von der Regierung<br />
wohl so einkalkuliert.<br />
Zweitens: Der Gesetzgeber<br />
mischt sich mit dem geplanten<br />
Regelwerk tief in die<br />
Organisation der Unternehmen<br />
ein. Die Zielvorgaben<br />
für die selbst gesetzte Frauenquote<br />
sollen bei Personalentscheidungen<br />
bis in<br />
die zweite Hierarchieebene<br />
unterhalb des Vorstands<br />
gelten. Bei den flachen Hierarchien<br />
der Familienunternehmen<br />
wirkt die Quote sogar<br />
bis auf die Abteilungsleiterebene.<br />
Wer der Quote ausweichen will, wird also entweder nur<br />
scheinbar einflussreiche Positionen kreieren, auf die er Quotenfrauen<br />
setzt, oder neue Führungsebenen einziehen, um die tiefer<br />
gelegenen vor den Zielvorgaben zu bewahren. In jedem Fall befördert<br />
der Gesetzgeber so eine ineffiziente Form der Organisation.<br />
Drittens behindert der Gesetzgeber mit der Frauenquote den<br />
Gang der Unternehmen an die Börse. Wenn die Regierung börsennotierten<br />
Unternehmen neue Regulierungen auferlegt, dann<br />
drängt sie die Wirtschaft <strong>vom</strong> Kapitalmarkt weg.<br />
Für Familienunternehmen sind die vorgesehenen Regeln zudem<br />
ein Anreiz, um Strukturen aufzuspüren, durch die sich eine paritätische<br />
Mitbestimmung vermeiden lässt – etwa durch die Rechtsformwahl<br />
der europäischen Aktiengesellschaft oder den Einsatz<br />
von Spaltungsmodellen. Als die Arbeitnehmer in die Aufsichtsräte<br />
einzogen, folgte ein jahrelanger Streit, ob hierdurch das Grundrecht<br />
auf Eigentum verletzt sei. Die Kritik ist heute weitgehend verstummt.<br />
Die Frauenquote könnte sie wieder aufleben lassen. n<br />
Brun-Hagen Hennerkes, 74, ist Rechtsanwalt<br />
und Vorsitzender der gemeinnützigen Stiftung<br />
Familienunternehmen in Stuttgart.<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 31<br />
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Politik&Weltwirtschaft<br />
Ruhe, bitte!<br />
ÄGYPTEN | Der neue Präsident Sisi will den wirtschaftlichen<br />
Niedergang stoppen – ein realistisches Rezept hat er nicht.<br />
völkerungswachstum. An der Arbeitslosigkeit<br />
– offiziell 13,4 Prozent, in Wirklichkeit<br />
wohl das Doppelte – und der Massenarmut<br />
ändert das nichts.<br />
Auch der Tourismus, der vor 2011 immerhin<br />
zwölf Prozent der ägyptischen Arbeitnehmer<br />
beschäftigte, dürfte erst langsam<br />
wieder in Gang kommen. Die Hotels<br />
in den Badeorten am Roten Meer waren im<br />
Hauptreisemonat Mai höchstens zu 60<br />
Prozent belegt, auf der von Terroristen bedrohten<br />
Sinaihalbinsel zu 35 Prozent, und<br />
in Kairo war gerade mal jedes fünfte Bett<br />
gebucht. Die Sicherheitsbedenken potenzieller<br />
Ägypten-Touristen mögen unter Sisi<br />
langsam zurückgehen – dafür kommt auf<br />
Reisende eine neue Unbill zu. Dem Land<br />
droht das Erdgas auszugehen, weil der mit<br />
den Moslembrüdern sympathisierende<br />
Hauptlieferant Katar den Ägyptern nichts<br />
mehr schenken will. Ohne Erdgas oder<br />
Strom aus Gaskraftwerken könnten in vielen<br />
Hotels die Klimaanlagen abgeschaltet<br />
werden.<br />
Millionen Ägypter verlassen das<br />
fruchtbare Land am Nilufer und<br />
ziehen in die wasserlose Wüste.<br />
Sie bohren Brunnen und bauen 48 neue<br />
Großstädte, acht neue Flughäfen, viele Kilometer<br />
Schnellstraßen und Eisenbahnlinien.<br />
Überbevölkerung und Armut werden<br />
überwunden, Ägypten ist nach über 5000<br />
Jahren überlieferter Geschichte zum ersten<br />
Mal unabhängig <strong>vom</strong> Nil. Die größte Volkswirtschaft<br />
Nordafrikas entwickelt sich <strong>vom</strong><br />
größten Weizenimporteur der Welt zur<br />
Kornkammer des Nahen Ostens.<br />
Glaubt man Abdelfattah al-Sisi, vorige<br />
Woche mit großer Mehrheit zum Präsidenten<br />
von 86 Millionen Ägyptern gewählt, ist<br />
das kein orientalisches Märchen. Den utopisch<br />
anmutenden Entwicklungsplan hat<br />
Sisi sich von einem in den USA lehrenden<br />
ägyptischen Geologieprofessor einflüstern<br />
lassen: Farouk Baz war vor vielen Jahren<br />
Berater der Nasa und predigt seinen<br />
Landsleuten nun, nur ein radikaler Umbau<br />
Ägyptens führe zum Wohlstand.<br />
INDUSTRIE AM BODEN<br />
Die Visionen des Wissenschaftlers und<br />
frischgebackenen Präsidentenberaters helfen<br />
freilich wenig, den trostlosen Zustand<br />
der ägyptischen Wirtschaft in absehbarer<br />
Zeit zu verbessern. Die Industrieproduktion<br />
des Landes brach im vergangenen Jahr<br />
Der zivile Anzug ist gewöhnungsbedürftig<br />
Ex-General Sisi nach der Wahl<br />
um 44 Prozent ein. Aus dieser Krise muss<br />
der bisherige Generalfeldmarschall Sisi<br />
als Präsident erst einmal herausfinden, will<br />
er nicht enden wie sein 2011 gestürzter<br />
Vorvorgänger, der General a. D. Hosni<br />
Mubarak.<br />
Mit der Wahl Sisis „verbinden die Menschen<br />
die Hoffnung auf Sicherheit, Ordnung<br />
und eine Erholung der Wirtschaftslage“,<br />
sagt Rainer Herret, Geschäftsführer der<br />
Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer<br />
in Kairo. Die Ägypten-Fachleute<br />
des Internationalen Währungsfonds<br />
(IWF) prognostizieren nach dem Wirtschaftseinbruch<br />
der Revolutionszeit allerdings<br />
nur ein durchschnittliches Wachstum<br />
von 2,4 Prozent in den kommenden<br />
Jahren, das entspricht ungefähr dem Be-<br />
Ausländische<br />
Unternehmen<br />
hoffen auf Sicherheit<br />
und Ordnung<br />
ABHÄNGIG VON NACHBARN<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass Ägypten<br />
wirtschaftlich von den arabischen Monarchien<br />
abhängig ist. Sisi wird jeden wichtigen<br />
Schritt mit seinen Geldgebern in Riad<br />
und Abu Dhabi absprechen müssen. Seit<br />
dem Sturz der Moslembrüder vor elf Monaten<br />
haben die Ölmonarchien Saudi-Arabien<br />
und Vereinigte Arabische Emirate<br />
rund 15 Milliarden US-Dollar für das neue<br />
Regime in Kairo springen lassen, darunter<br />
sechs Milliarden zinsfreie Einlagen bei der<br />
ägyptischen Zentralbank und vier Milliarden<br />
für kostenlose Erdöllieferungen. Der<br />
scheidende Ministerpräsident Ibrahim<br />
Mehleb, ein treuer Gefolgsmann Sisis,<br />
überschlägt sich im Lob für die „arabischen<br />
Synergien“ bei der Zusammenarbeit<br />
mit den Herrschern in Riad und Abu Dhabi.<br />
Die halten das viele Geld für eine gute<br />
Versicherung gegen die gestürzten und<br />
heute brutal unterdrückten Moslembrüder<br />
und gegen die aus ihrer Sicht noch gefährlicheren<br />
Demokraten, die im „Arabischen<br />
Frühling“ von 2011 die Region in Aufruhr<br />
versetzt haben.<br />
Auch den herrschenden Militärs und Politikern<br />
geht es zunächst nur um Ruhe. Darum<br />
ließ sich die Regierung am vergangenen<br />
Wochenende anlässlich der Wahl Sisis<br />
etwas Besonderes einfallen: Es gab eine<br />
zehnprozentige Gehaltsaufbesserung für<br />
die sieben Millionen Beschäftigten im öffentlichen<br />
Dienst.<br />
n<br />
hansjakob.ginsburg@wiwo.de<br />
FOTO: ACTION PRESS/ABACA PRESS<br />
32 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Politik&Weltwirtschaft<br />
FOTO: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, MARCO UR-<br />
BAN<br />
NEW YORK | Wie<br />
sich ideologische<br />
Gräben in den USA<br />
einfach zuschütten<br />
lassen. Von Martin<br />
Seiwert<br />
Money, Money,<br />
Money<br />
Drogenpolitik, Einwanderung,<br />
Todesstrafe – nach<br />
einem halben Jahr als „US<br />
Resident“ habe ich mir angewöhnt,<br />
einen Bogen um<br />
diese heiklen Themen zu<br />
machen. Sie können den schönsten Abend<br />
ruinieren, so tief ist der Graben zwischen<br />
Linken und Rechten. Doch je mehr die<br />
Ideologien das Land spalten, umso mehr<br />
werden schnöde Dollar zum gesellschaftlichen<br />
Kitt: Marihuana zu legalisieren finden<br />
die Republikaner gar nicht mehr so übel,<br />
seit der Bundesstaat Colorado mit Steuern<br />
auf Marihuana-Produkte erfolgreich seine<br />
Staatskasse saniert. Bessere Schulen<br />
dank legalisiertem Kiffen – der Gesetzesentwurf<br />
ist schon fertig. Und die Erkenntnis,<br />
dass Amerikas Wirtschaft ohne illegale<br />
Latinos im Land nicht funktionieren würde,<br />
scheint endlich den Weg zu einer Einwanderungsreform<br />
zu ebnen.<br />
Selbst bei der Todesstrafe gilt: It’s the<br />
economy, stupid! Der Rückhalt für Giftspritzen<br />
und den neuerdings in Tennessee<br />
wieder hervorgekramten elektrischen<br />
Stuhl bröckelt unaufhörlich. Aber nicht,<br />
weil unlängst zwei Hinrichtungen schiefgingen<br />
und die Gefangenen förmlich zu Tode<br />
gefoltert wurden, auch nicht, weil einer<br />
von 25 Hingerichteten erwiesenermaßen<br />
unschuldig ist. Sondern weil ein Todestrakt<br />
mehr kostet als Fünf-Sterne-Hotels in Beverly<br />
Hills. Wegen des jahrelangen juristischen<br />
Tauziehens bis zu einer Hinrichtung<br />
ist die Todesstrafe für den Staat rund zehn<br />
Mal teurer als ein Lebenslänglich. Das sagen<br />
die amtlichen Zahlen. Ist Rache süß?<br />
Oder primitiv? Gar kein gutes Thema für ein<br />
harmonisches Frühlings-BBQ. Ich sage<br />
jetzt immer, dass ich Rache zu teuer finde.<br />
Das kommt gut an.<br />
Martin Seiwert ist Korrespondent der<br />
WirtschaftsWoche in New York.<br />
BERLIN INTERN | Ungewohntes Gefühl: In der SPD ist<br />
die Oppositionslust so gering wie nie – und die<br />
pragmatischen Regierungs-Sozis sind auf einmal die<br />
Hauptströmung. Von Henning Krumrey<br />
Genossen genießen<br />
Kursbestimmung Auf der „Havel Queen“ ist<br />
Kahrs (rechts) Chef, Gabriel nur Passagier<br />
Langsam vorankommen, aber beständig.<br />
Schon eine Welle machen,<br />
aber nur eine kleine. Kurs<br />
halten und nicht kentern. So sehen<br />
sie sich am liebsten, die „Seeheimer“<br />
in der SPD-Bundestagsfraktion. Schönster<br />
Ausdruck des Selbstverständnisses der<br />
staatstragenden Genossen ist die traditionelle<br />
Spargelfahrt. Einst schipperten sie<br />
von Bonn den Rhein hinauf, nun pflügen<br />
sie einmal im Jahr über den Wannsee. Vergangene<br />
Woche gingen wieder einige Hundert<br />
Abgeordnete, Mitarbeiter, Journalisten,<br />
sonstige Gäste und Lobbyisten, äh,<br />
Sponsoren an Bord der „Havel Queen“.<br />
„Im vergangenen Jahr“, beginnt der<br />
SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann<br />
seine kurze Rede, habe es „zwei gesellschaftliche<br />
Tiefpunkte gegeben: Erst fiel<br />
die Spargelfahrt aus, dann ging die Bundestagswahl<br />
verloren.“ Damals sagten die Veranstalter<br />
die Dampfer-Sause ab, weil in<br />
Ost- und Süddeutschland den Hochwasseropfern<br />
gerade Hab und Gut absoffen.<br />
Diesmal ist die Stimmung so fröhlich wie<br />
seit Jahren nicht. Stolzestrunken beklatschen<br />
sie „sozialdemokratische Reformen<br />
im Wochentakt“, die Oppermann bejubelt.<br />
Nur dass Nahles’ Rentenreform schon fertig<br />
ist „dank der Andrea“, da bleibt der Szenenapplaus<br />
aus. Einmal in Fahrt, staunt Oppermann<br />
über „Talente, die man gar nicht<br />
erwartet hatte: Der Sigmar hält staatsmännische<br />
Reden und Frank-Walter Steinmeier<br />
hält Wutreden.“ Für den weiteren Erfolg der<br />
Sozialdemokratie sei es am besten, „Frank<br />
hält ab und zu Wutreden und Sigmar hält ab<br />
und zu keine Wutrede“. Da brummt der Parteivorsitzende<br />
Sigmar Gabriel von seinem<br />
Tisch aus dazwischen: „Wenn du so weitermachst,<br />
halte ich doch eine!“<br />
Beide sind freilich nur Gast an Bord. Für<br />
den Seeheimer Kreis kritisiert Johannes<br />
Kahrs, einer der drei Sprecher, puristische<br />
Parteifreunde, die trotz des SPD-Kurses der<br />
Bundesregierung immer noch rumnölten.<br />
„Auch wenn man nur 95 Prozent durchsetzt,<br />
ist es gut.“ Das ist in der Tat deutlich<br />
mehr, als nach den 25,7 Prozent bei der<br />
Bundestagswahl zu erwarten war. Noch zwei<br />
Prozentpunkte mehr bei der Europawahl<br />
eine Woche zuvor sorgen für eitel Freude.<br />
Gabriel mahnt, die SPD müsse „zeigen,<br />
dass wir nicht Opposition in der Regierung<br />
spielen. Das versteht man nicht.“ Den Seeheimern<br />
muss er das nicht sagen. In dem losen<br />
Club versammeln sich jene, die regieren<br />
wollen. Konservative oder rechte Genossen<br />
seien sie aber „ganz sicher nicht“, protestieren<br />
die drei Sprecher Kahrs, Petra Ernstberger<br />
und Carsten Schneider. Seit ihrem<br />
Entstehen – eine formelle Gründung hat es<br />
nie gegeben – sind die Seeheimer der pragmatisch-staatstragende<br />
Teil der roten Fraktion.<br />
Vorläufer ab Mitte der Fünfzigerjahre<br />
waren die legendären „Kanalarbeiter“, die<br />
sich auch „Freunde sauberer Verhältnisse“<br />
nannten – für das Godesberger Reformprogramm<br />
von 1959, gegen linke Ideologen.<br />
Aus ihrem späteren Tagungsort, dem Lufthansa-Schulungszentrum<br />
in Seeheim an<br />
der Bergstraße, entstand der heutige Name.<br />
In dieser Legislaturperiode sind die Seeheimer<br />
noch stärker das Rückgrat der Fraktion<br />
als früher. „So geschlossen habe ich<br />
die Fraktion noch nicht erlebt“, erinnert<br />
sich Dennis Nocht, der Geschäftsführer<br />
des Kreises. Die Genossen sind mit sich und<br />
ihrer Arbeit im Reinen.<br />
Für die Seeheimer gilt das allemal. Ulrich<br />
Freese beispielsweise, erstmals im Bundestag<br />
und bis Mitte 2013 stellvertretender<br />
Vorsitzender der IG BCE. Er freut sich über<br />
den „Industrieminister“ Gabriel, der Arbeitsplätze<br />
erhält und Kostensteigerungen<br />
für energieintensive Betriebe begrenzt.<br />
Pragmatisch eben.<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 33<br />
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Der Volkswirt<br />
KOMMENTAR | Die Europäische<br />
Zentralbank soll die Preise stabil<br />
halten. Doch sie hat diese Aufgabe<br />
umgedeutet. Von Malte Fischer<br />
EZB-Neusprech<br />
Erinnern Sie sich noch<br />
an den Roman „1984“<br />
von George Orwell? In<br />
dem 1949 erschienenen<br />
Werk zeichnet der britische<br />
Autor die düstere Vision<br />
eines Überwachungsstaates.<br />
Um das Denken der Menschen<br />
in staatlich vorgedachte Bahnen<br />
zu lenken, manipuliert die<br />
Regierung die Sprache, deutet<br />
Wörter um, erfindet neue und<br />
streicht bekannte. „Neusprech“<br />
nannte Orwell diese<br />
politisch bereinigte Sprache.<br />
Wer es nicht gut mit der Europäischen<br />
Zentralbank (EZB)<br />
meint, könnte sich in diesen Tagen<br />
an Neusprech erinnert fühlen.<br />
Wie anders soll man es werten,<br />
dass die Frankfurter<br />
Währungshüter, deren gesetzliche<br />
Aufgabe es ist, für stabile<br />
Preise zu sorgen, seit Jahren der<br />
Öffentlichkeit einzubläuen versuchen,<br />
die von ihnen angestrebte<br />
Inflationsrate von<br />
„knapp unter zwei Prozent“ sei<br />
mit Preisstabilität identisch?<br />
SCHLEUSEN GEÖFFNET<br />
Die semantische Vergewaltigung<br />
des Stabilitätsbegriffs<br />
dient der EZB nun als Argument,<br />
um angesichts der aktuellen<br />
Teuerungsrate in der Euro-<br />
Zone von nur noch 0,5 Prozent<br />
vor Gefahren für die Preisstabilität<br />
zu warnen – und die geldpolitischen<br />
Schleusen weiter zu<br />
öffnen. Strebte die Notenbank<br />
wirklich stabile Preise an, müsste<br />
sie dann nicht den Rückgang<br />
der Teuerungsrate in Richtung<br />
null Prozent begrüßen? Doch ihr<br />
geht es nicht um Preisstabilität<br />
im engeren Sinne, sondern um<br />
eine höhere Inflation. Zudem<br />
soll mit Blick auf die Exportindustrie<br />
der Wechselkurs des Euro<br />
gedrückt werden.<br />
Dabei ist die Steuerung des<br />
Preisniveaus durch die Zentralbank<br />
ohnehin ein fragwürdiges<br />
Unterfangen. Das fängt schon<br />
mit der Messung an. So stellen<br />
die Statistiker bei der Preismessung<br />
mit der Auswahl des Warenkorbs<br />
auf die Kaufgewohnheiten<br />
eines durchschnittlichen<br />
Haushalts ab. Doch nur die wenigsten<br />
Haushalte dürften diesem<br />
Idealtypus entsprechen.<br />
Dazu kommt, dass sich das<br />
Kaufverhalten der Menschen<br />
Abwärts<br />
Inflationsrate in Deutschland<br />
und der Euro-Zone<br />
3,0<br />
2,5<br />
2,0<br />
1,5<br />
1,0<br />
Deutschland<br />
Quelle: Destatis, Eurostat<br />
EZBZielmarke<br />
0,5<br />
Euro-Zone<br />
0,0<br />
2010 11 12 13 14<br />
ständig ändert. Dieses durch einen<br />
über längere Zeit unveränderten<br />
Warenkorb abzubilden<br />
geht an der Realität vorbei. Fragwürdig<br />
ist zudem die Gewichtung<br />
der Produkte mit deren Anteilen<br />
an den Gesamtausgaben.<br />
Ebenso gut könnte man die Häufigkeit<br />
heranziehen, mit der die<br />
Waren gekauft werden. Das Ergebnis<br />
fiele ganz anders aus.<br />
Zudem verfälscht das Herausrechnen<br />
von Preisschwankungen,<br />
denen Qualitätsänderungen<br />
zugrunde liegen, das<br />
Resultat, falls die Qualitätsänderung<br />
für den Käufer irrelevant<br />
ist. Die Bürger sollten daher auf<br />
der Hut sein – vor der Statistik<br />
und der Politik der Europäischen<br />
Zentralbank.<br />
NEW ECONOMICS<br />
In der Nische<br />
Eine neue Studie analysiert die Rahmenbedingungen<br />
für Existenzgründer in 70 Ländern. Deutschland<br />
schneidet dabei nur mittelmäßig ab.<br />
Physische Infrastruktur*<br />
Schutz geistigen Eigentums<br />
Öffentliche Förderprogramme<br />
Wertschätzung neuer Produkte**<br />
Berater und Zulieferer für neue Unternehmen<br />
Seit Schumpeter wissen<br />
wir: Die Quelle des Fortschritts<br />
ist der „Pionierunternehmer“,<br />
der die Etablierten<br />
mit neuen Produkten und<br />
Ideen unter Druck setzt. Doch<br />
„kreative Zerstörer“ fallen nicht<br />
<strong>vom</strong> Himmel – sie brauchen ein<br />
gutes Gründungsklima.<br />
Wie es um die Rahmenbedingungen<br />
für Start-ups bestellt ist,<br />
beschreibt nun der Global Entrepreneurship<br />
Monitor (GEM),<br />
die weltweit größte Studie zur<br />
Analyse von Gründungsaktivitäten,<br />
an der sich Wissenschaftler<br />
aus knapp 70 Ländern beteiligt<br />
haben. Für Deutschland<br />
ergibt sich darin ein gemischtes<br />
Bild. „Obwohl es reichlich Förderprogramme<br />
gibt, liegen wir<br />
bei den Gründungsaktivitäten<br />
nur im hinteren Mittelfeld“, sagt<br />
Rolf Sternberg, Leiter des GEM-<br />
Deutschlandteams. Die sogenannte<br />
TEA-Quote ist das zweite<br />
Jahr hintereinander gefallen<br />
und liegt nun unter fünf Prozent.<br />
Sie gibt den Anteil der 18-<br />
bis 64-Jährigen an, die während<br />
der vergangenen 42 Monate ein<br />
Unternehmen gegründet haben<br />
oder dies soeben tun. Der relativ<br />
schlechte Wert hängt auch<br />
mit der guten Lage am Arbeitsmarkt<br />
zusammen. „Wer einen<br />
sicheren und gut bezahlten Job<br />
hat, scheut oft die Selbstständigkeit<br />
– die Opportunitätskosten<br />
wären zu hoch“, sagt Sternberg.<br />
Und daran dürfte sich<br />
vorerst nicht viel ändern: Der<br />
Anteil der Bürger, die aktuell<br />
gute Gründungschancen in ihrer<br />
Region sehen, ist von 35 auf<br />
32 Prozent gefallen. Obendrein<br />
scheint es generell an Pioniergeist<br />
zu mangeln: Nur 38 Prozent<br />
der 18– bis 64-Jährigen<br />
glauben, für eine Selbstständigkeit<br />
ausreichende Fähigkeiten<br />
zu besitzen. Fast 50 Prozent hält<br />
das Risiko des Scheiterns von<br />
einer Gründung ab.<br />
Lob von Gründungsexperten<br />
erhält Deutschland für seine Infrastruktur,<br />
den Patentschutz<br />
und umfangreiche Förderprogramme.<br />
Schlechte Noten gibt<br />
es für die schulische Gründungsausbildung.<br />
„Ökonomische<br />
Themen führen an den<br />
meisten Schulen immer noch<br />
ein Nischendasein“, sagt Sternberg.<br />
„Dass Selbstständigkeit eine<br />
Alternative zur abhängigen<br />
Beschäftigung ist, wird im Bildungswesen<br />
nicht vermittelt –<br />
und vorgelebt schon gar nicht.“<br />
Licht und Schatten<br />
Wie Gründungsexperten die Rahmenbedingungen für Start-ups in<br />
Deutschland bewerten<br />
–1,02<br />
–0,22<br />
–0,24<br />
–0,37<br />
–0,38<br />
+0,69<br />
+0,44<br />
+0,40<br />
+0,39<br />
*Verfügbarkeit von Büros/Gewerbeflächen, Verkehrswege, IT-Infrastruktur; ** durch Konsumenten;<br />
indexierter Mittelwertauf einer Skala von 1bis 5; Quelle: GEM-Expertenumfrage<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
+0,29<br />
Wissens- und Technologietransfer<br />
Marktzugangsbarrieren<br />
Regulierung, Steuern<br />
Prioritätund Engagement der Politik<br />
Schulische Gründungsausbildung<br />
1 2 3 4 5<br />
FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
34 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />
Die Wirtschaft verliert<br />
etwas an Fahrt<br />
Geht dem Aufschwung langsam<br />
die Puste aus? Der Earlybird-<br />
Frühindikator, den die Commerzbank<br />
exklusiv für die WirtschaftsWoche<br />
ermittelt, hat<br />
überraschend den Rückwärtsgang<br />
eingelegt. Das Barometer,<br />
das einen Vorlauf gegenüber<br />
der Realwirtschaft von sechs bis<br />
neun Monaten hat, sank im Mai<br />
um 0,24 auf 2,04 Punkte (siehe<br />
Grafik). Der Indikator erfasst<br />
den Außenwert des Euro, die<br />
kurzfristigen Realzinsen sowie<br />
(als Messgröße für die Lage der<br />
Weltwirtschaft) den Einkaufsmanagerindex<br />
für die US-Industrie<br />
(ISM). Grund für den<br />
aktuellen Rückgang waren steigende<br />
Realzinsen, die durch ein<br />
besseres weltwirtschaftliches<br />
Umfeld nur zum Teil kompensiert<br />
werden konnten.<br />
Es sei zwar „übertrieben, das<br />
Ergebnis als Alarmzeichen für<br />
die Konjunktur zu interpretieren“,<br />
schreiben die Commerzbank-Ökonomen<br />
in ihrer Analyse<br />
– zumal der Earlybird<br />
immer noch auf höherem Niveau<br />
liege als vor der Finanzkrise.<br />
Sie betonen aber auch: „Vorerst<br />
ist bei der Wachstumsrate<br />
und den Stimmungsindikatoren<br />
kaum noch Aufwärtspotenzial<br />
vorhanden.“<br />
Wieder leicht nach oben zeigt<br />
derweil der <strong>vom</strong> ifo Institut exklusiv<br />
für die WirtschaftsWoche<br />
erstellte Exportklimaindex, der<br />
in den beiden Vormonaten gesunken<br />
war. Er stieg im April auf<br />
0,32 Punkte. Der Indikator bündelt<br />
den realen Außenwert des<br />
Euro – also die preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />
der Ausfuhrwirtschaft<br />
– sowie das Konsumund<br />
Geschäftsklima auf unseren<br />
wichtigsten Absatzmärkten.<br />
Grund für den Anstieg war vor<br />
Dynamik lässt nach<br />
Bruttoinlandsprodukt und<br />
Earlybird-Konjunkturbarometer<br />
4,0<br />
2,0<br />
0<br />
–2,0<br />
–4,0<br />
Earlybird 2<br />
Bruttoinlandsprodukt 1<br />
4,0<br />
2,0<br />
0<br />
–2,0<br />
–4,0<br />
08 09 10 11 12 13 14<br />
1<br />
zum Vorquartal (in Prozent); 2 gewichtete Summe<br />
auskurzfristigem realem Zins, effektivem realem<br />
Außenwertdes Euro und US-Einkaufsmanagerindex;Quelle:Commerzbank<br />
allem ein höheres Unternehmens-<br />
und Verbrauchervertrauen<br />
in Großbritannien und den<br />
USA. Der Euro-Dollar-Wechselkurs<br />
veränderte sich im April<br />
kaum. Die ifo-Ökonomen sagen<br />
nun einen „moderaten Anstieg<br />
der deutschen Ausfuhr im zweiten<br />
Quartal“ voraus.<br />
bert.losse@wiwo.de<br />
Starker Euro bremst<br />
Exportklima und Ausfuhren<br />
0,25<br />
0,20<br />
0,15<br />
0,10<br />
0,05<br />
0<br />
–0,05<br />
–0,10<br />
–0,15<br />
–0,20<br />
–0,25<br />
Exportklimaindikator<br />
1<br />
Exporte (real,<br />
saisonbereinigt,<br />
Veränderung zum<br />
Vorjahr in Prozent)<br />
08 09 10 11 12 13 14<br />
1 Geschäfts- und Konsumklima auf den wichtigsten<br />
Absatzmärkten sowie realer Außenwertdes<br />
Euro (Indexpunkte);Quelle:ifo<br />
1,5<br />
1,0<br />
0,5<br />
0<br />
–0,5<br />
–1,0<br />
–1,5<br />
–2,0<br />
–2,5<br />
–3,0<br />
–3,5<br />
Industrie mit<br />
Problemen<br />
Die Hurra-Stimmung in der<br />
deutschen Industrie verflüchtigt<br />
sich zusehends: Der <strong>vom</strong><br />
Londoner Forschungsinstitut<br />
Markit ermittelte Einkaufsmanagerindex<br />
ist im Mai um 1,8<br />
auf 52,3 Punkte gefallen. Das ist<br />
der schlechteste Wert seit sieben<br />
Monaten. Das Barometer<br />
liegt damit allerdings noch<br />
deutlich über der Marke von<br />
50 Zählern, ab der gemeinhin<br />
Wachstum einsetzt. Der entsprechende<br />
Index für den<br />
Dienstleistungsbereich stieg<br />
derweil um 1,3 auf 56 Zähler.<br />
In der Euro-Zone fiel das Industriebarometer<br />
um 1,2 auf<br />
52,2 Punkte. Die meisten Probleme<br />
macht derzeit Frankreich<br />
– hier rutschte der Indikator sogar<br />
unter die 50-Punkte-Wachstumsschwelle.<br />
„Das Land ist<br />
derzeit wie ein Boot, das nicht<br />
mit der Flut steigt“, warnt<br />
Markit-Chefökonom Chris<br />
Williamson.<br />
Volkswirtschaftliche<br />
Gesamtrechnung<br />
Real. Bruttoinlandsprodukt<br />
Privater Konsum<br />
Staatskonsum<br />
Ausrüstungsinvestitionen<br />
Bauinvestitionen<br />
Sonstige Anlagen<br />
Ausfuhren<br />
Einfuhren<br />
Arbeitsmarkt,<br />
Produktion und Preise<br />
Industrieproduktion 1<br />
Auftragseingänge 1<br />
Einzelhandelsumsatz 1<br />
Exporte 2<br />
ifo-Geschäftsklimaindex<br />
Einkaufsmanagerindex<br />
GfK-Konsumklimaindex<br />
Verbraucherpreise 3<br />
Erzeugerpreise 3<br />
Importpreise 3<br />
Arbeitslosenzahl 4<br />
Offene Stellen 4<br />
Beschäftigte 4, 5<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
0,7<br />
0,8<br />
1,0<br />
–4,0<br />
–1,4<br />
3,4<br />
3,2<br />
1,4<br />
2012 2013<br />
Durchschnitt<br />
–0,9<br />
–4,2<br />
0.1<br />
3,3<br />
105,0<br />
46,7<br />
5,9<br />
2,0<br />
2,0<br />
2,1<br />
2896<br />
478<br />
290<strong>06</strong><br />
0,5<br />
0,9<br />
0,4<br />
–2,4<br />
–0,2<br />
3,0<br />
0,9<br />
1,5<br />
–0,3<br />
2,5<br />
0,2<br />
–0,2<br />
1<strong>06</strong>,9<br />
50,6<br />
6,5<br />
1,5<br />
–0,1<br />
–2,5<br />
2950<br />
435<br />
29370<br />
I/13<br />
0,0<br />
0,3<br />
0,0<br />
–1,4<br />
–1,5<br />
–0,9<br />
–0,7<br />
0,2<br />
Februar<br />
<strong>2014</strong><br />
0,6<br />
0,9<br />
0,7<br />
–1,3<br />
111,3<br />
54,8<br />
8,2<br />
1,2<br />
–0,9<br />
–2,7<br />
2917<br />
444<br />
29668<br />
II/13 III/13 IV/13<br />
Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />
1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />
Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />
alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />
0,7<br />
0,7<br />
–0,2<br />
0,5<br />
1,7<br />
1,6<br />
2,5<br />
1,5<br />
März<br />
<strong>2014</strong><br />
–0,5<br />
–2,8<br />
0,1<br />
–1,8<br />
110,7<br />
53,7<br />
8,5<br />
1,0<br />
–0,9<br />
–3,3<br />
29<strong>06</strong><br />
445<br />
29730<br />
0,3<br />
0,3<br />
0,7<br />
0,1<br />
2,1<br />
1,4<br />
–0,1<br />
0,8<br />
April<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
–<br />
–0,9<br />
–<br />
111,2<br />
54,1<br />
8,5<br />
1,3<br />
–0,9<br />
–2,4<br />
2881<br />
446<br />
–<br />
0,4<br />
–0,3<br />
–0,3<br />
1,4<br />
0,2<br />
1,2<br />
2,5<br />
1,3<br />
Mai<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
110,4<br />
52,3<br />
8,5<br />
0,9<br />
–<br />
–<br />
2905<br />
443<br />
–<br />
I/14<br />
0,8<br />
0,7<br />
0,4<br />
3,3<br />
3,6<br />
–0,8<br />
0,2<br />
2,2<br />
Juni<br />
<strong>2014</strong><br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
8,5<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Letztes Quartal<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
2,5<br />
1,1<br />
0,5<br />
6,0<br />
10,2<br />
3,3<br />
5,5<br />
6,2<br />
Letzter Monat<br />
zum Vorjahr<br />
in Prozent<br />
5,1<br />
3,1<br />
3,4<br />
1,9<br />
4,5<br />
5,9<br />
30,8<br />
–<br />
–<br />
–<br />
–1,9<br />
3,5<br />
1,6<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 35<br />
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Der Volkswirt<br />
WELTWIRTSCHAFT<br />
Gelbe Karte<br />
Brasiliens Wirtschaft wächst nur noch langsam, die<br />
Stimmung der Konsumenten und Unternehmen ist<br />
schlecht. Daran dürfte auch die WM nichts ändern.<br />
Der brasilianische<br />
Finanzminister<br />
Guido Mantega ist<br />
wahrlich nicht zu beneiden. Seit<br />
drei Jahren muss er nun schon<br />
die immer schlechteren Konjunkturdaten<br />
Brasiliens schönreden.<br />
Das war auch vergangene<br />
Woche wieder so: Das Bruttoinlandsprodukt<br />
ist im ersten Quartal<br />
im Vergleich zur Vorperiode<br />
und der private Konsum „deutlich<br />
zulegen“.<br />
Wie so oft steht Mantega mit<br />
seinen optimistischen Prognosen<br />
ziemlich alleine da. Nicht<br />
einmal während der Weltwirtschaftskrise<br />
2008/09 waren die<br />
Aussichten für Brasiliens Wirtschaft<br />
so negativ wie derzeit.<br />
Gerade haben Investmentbanken<br />
wie ItaúUnibanco die<br />
Quartale seit Langem – und das<br />
trotz der am 12. Juni beginnenden<br />
Fußball-WM, die doch<br />
auch ökonomisch neuen<br />
Schwung bringen sollte.<br />
Der positive Wachstumseffekt<br />
durch den Stadion- und<br />
Straßenbau für die WM hat sich<br />
aber längst verflüchtigt, und die<br />
Proteste in der Bevölkerung gegen<br />
die hohen Kosten des Spektakels<br />
halten an. Mehr noch:<br />
Die WM dürfte das verarbeitende<br />
Gewerbe Brasiliens sogar belasten.<br />
Zum einen fallen jede<br />
Menge Arbeitstage aus – alle<br />
zwölf WM-Städte haben „Sonderfeiertage“<br />
eingeführt, um<br />
ein Verkehrschaos an den Spieltagen<br />
zu verhindern und einen<br />
reibungslosen Ablauf zu ge-<br />
Zu wenig Offensivkraft<br />
Wachstumsrate Brasiliens<br />
(in Prozent)<br />
ballerischen Ausnahmezustands<br />
das Wachstum im zweiten<br />
Quartal um 0,2 Prozent<br />
schrumpfen könnte. Zumal<br />
auch die erhofften Einnahmen<br />
durch WM-Touristen von umgerechnet<br />
5,5 Milliarden Euro<br />
zu hoch gegriffen sein dürften.<br />
Viele der wirtschaftlichen<br />
Probleme Brasiliens sind hausgemacht.<br />
Ökonomen zeigen der<br />
Regierung schon seit Längerem<br />
die gelbe Karte, weil sie keine<br />
stringente Geld- und Fiskalpolitik<br />
fährt. Einerseits hatte sie die<br />
(nicht unabhängige) Zentralbank<br />
aufgefordert, ab Mitte<br />
2011 die Zinsen zu senken, obwohl<br />
die Inflation nicht unter<br />
Kontrolle war. Gleichzeitig gab<br />
sie das Geld mit vollen Händen<br />
für Konjunkturprogramme aus.<br />
Als die Preise in die Höhe<br />
schossen, dauerte es zu lange,<br />
bis Politik und Notenbank das<br />
Ruder herumrissen.<br />
Baustelle Brasilien<br />
Kurz vor dem WM-Anpfiff ist vieles noch<br />
nicht fertig – wie hier in Porto Alegre<br />
nur um 0,2 Prozent gewachsen,<br />
gleichzeitig hat die Inflation ein<br />
Niveau von rund 6,5 Prozent erreicht.<br />
In nur einem Jahr musste<br />
die Zentralbank die Leitzinsen<br />
von 7,5 Prozent auf inzwischen<br />
11,0 Prozent erhöhen. Kurzum:<br />
Die Wirtschaft stagniert bei einer<br />
hartnäckigen Inflation und<br />
den höchsten Leitzinsen weltweit<br />
– doch Mantega gab sich<br />
unverdrossen hoffnungsvoll.<br />
Die schwache Konjunktur in Europa<br />
und den USA sei schuld an<br />
der Misere und natürlich die<br />
Trockenheit in Brasilien zum<br />
Jahresanfang. Im zweiten Halbjahr<br />
werde die Inflation sinken<br />
Wachstumsprognose für <strong>2014</strong><br />
auf rund ein Prozent reduziert –<br />
für ein aufstrebendes Schwellenland<br />
der BRIC-Gruppe (Brasilien,<br />
Russland, Indien, China)<br />
ein trostloser Wert. Das Vertrauen<br />
der Konsumenten und Unternehmer<br />
ist auf den niedrigsten<br />
Wert seit sechs Jahren<br />
gesunken. Niemand will kaufen,<br />
niemand will investieren.<br />
„Die Unternehmer lassen das<br />
Geld lieber auf dem Konto oder<br />
sparen“, sagt der Ex-Minister<br />
und Ökonom Luiz Carlos Mendonça<br />
de Barros. Bauwirtschaft,<br />
Autobauer und Elektronikhersteller<br />
erleben die schwächsten<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
–1<br />
2008 09 10 11 12 13 14* 15*<br />
*Prognose; Quelle: IWF<br />
währleisten. Und wenn die heimische<br />
Seleção auf dem Platz<br />
steht, bleiben sowieso viele Büros<br />
und Fabriken geschlossen.<br />
Zum anderen erwarten nicht<br />
wenige Ökonomen negative Effekte<br />
auf den Konsum. Zwar<br />
mögen die Brasilianer in den<br />
kommenden Wochen mehr<br />
Bier trinken und Chips essen.<br />
Doch dürften viele ihre sonstigen<br />
Shoppingaktivitäten zurückschrauben<br />
und erst recht<br />
keine größeren Anschaffungen<br />
vornehmen, befürchten Wirtschaftsverbände.<br />
Die Analysten<br />
von ItaúUnibanco halten es für<br />
möglich, dass wegen des fuß-<br />
HOFFEN AUF DIE MITTE<br />
Allerdings gibt es auch Hoffnungsschimmer:<br />
Die erfolgreiche<br />
Armutsbekämpfung und<br />
gesunkene Arbeitslosigkeit der<br />
vergangenen Jahre haben den<br />
Aufstieg einer neuen Mittelschicht<br />
ermöglicht. Diese ist<br />
besser ausgebildet, arbeitet zumeist<br />
in regulären Vollzeitjobs<br />
und hat eine neue Nachfrage<br />
nach Dienstleistungen geschaffen,<br />
für die vor einer halben Dekade<br />
noch gar kein Markt existierte:<br />
für Versicherungen und<br />
Tourismus, für Bildung, Freizeit<br />
und Finanzdienstleistungen.<br />
Die Mittelschicht könnte am<br />
Ende auch einen Wettbewerb<br />
entscheiden, der für das Land<br />
wichtiger ist als die WM: Am 15.<br />
Oktober finden in Brasilien Präsidentschaftswahlen<br />
statt. Und<br />
hier kommt nun wieder der<br />
Fußball ins Spiel: Ein Erfolg der<br />
Seleção – nur der Sieg zählt, alles<br />
andere wäre ein nationales<br />
Fiasko – könnte der in der Wirtschaft<br />
unbeliebten Rousseff<br />
helfen, die Stimmung im Land<br />
zu heben, und den Weg zu einer<br />
weiteren Amtszeit ebnen.<br />
alexander.busch@wiwo.de | São Paulo<br />
FOTO: IMAGO/FOTOARENA<br />
36 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DENKFABRIK | Die demografische Zeitbombe tickt: Um das Jahr 2015 herum verlieren<br />
die Jungen rechnerisch die politische Mehrheit in Deutschland. Die Babyboomer werden<br />
ihre Macht einsetzen und den Nachkommen immer mehr Lasten aufbürden. Steuert<br />
die Politik nicht um, droht eine Zerreißprobe für die Demokratie. Von Hans-Werner Sinn<br />
Deutsche Gerontokratie<br />
FOTOS: ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />
Deutschlands demografische<br />
Zeitbombe<br />
tickt. Die Babyboomer,<br />
die 1964<br />
geboren wurden, sind jetzt 50<br />
Jahre alt und wollen in 15,<br />
wenn nicht 13 Jahren ihre Rente<br />
beziehen. Doch durch die<br />
Kombination besonders vieler<br />
Alter mit besonders wenigen<br />
Jungen entsteht ein fast unlösbarer,<br />
aber jetzt schon genauestens<br />
vorhersehbarer Generationenkonflikt.<br />
Im Jahr 2000<br />
mussten 100 Personen im Erwerbsalter<br />
(15–64 Jahre) 24<br />
Personen im Rentenalter (ab<br />
65 Jahre) finanzieren – 2011<br />
waren es schon 31 Personen. In<br />
15 Jahren werden knapp 47<br />
und in 20 Jahren schon 55 Personen<br />
zu finanzieren sein, mehr<br />
als doppelt so viele wie zum Beginn<br />
dieses Jahrhunderts.<br />
ge Menschen miternähren musste<br />
wie heute. Vorläufig wird es sie<br />
auch nie wieder geben. Die Finanzierung<br />
der Eltern können sich die<br />
Babyboomer mit ihren vielen Geschwistern<br />
teilen, und die Finanzierung<br />
der Kinder entfällt mangels<br />
Masse. Deshalb bleibt viel<br />
Geld für einen beispiellosen Konsumstandard<br />
übrig. Aber das<br />
schöne Leben wird in etwa 15<br />
Jahren jäh in Verzweiflung umschlagen,<br />
wenn alle Babyboomer<br />
gleichzeitig in die Rente gehen<br />
und von Kindern ernährt werden<br />
wollen, die es nicht gibt. Der Sturz<br />
»Wir müssen die<br />
Diskriminierung<br />
der Familien<br />
beenden –<br />
etwa durch eine<br />
Kinderkomponente<br />
in der<br />
Rentenformel«<br />
<strong>vom</strong> Konsumhimmel in die Altersarmut<br />
wird jäh, tief und schmerzlich<br />
sein.<br />
Die politischen Gefahren dieser<br />
Entwicklung sind immens. Die<br />
Babyboomer werden ihre politische<br />
Macht einsetzen, um der<br />
absehbaren Altersarmut zu entkommen,<br />
indem sie ihren wenigen<br />
Nachkommen immer mehr Lasten<br />
aufbürden. Wie Silke Übelmesser<br />
und ich bereits 2002<br />
prognostiziert hatten, kippt die<br />
rechnerische politische Mehrheit<br />
der Jungen bereits um das Jahr<br />
2015. Danach haben jene Wähler,<br />
die hinreichend alt sind, um von<br />
Renten- und Beitragserhöhungen<br />
ZU WENIG GEBURTEN<br />
In der Geburtenstatistik der<br />
OECD steht Deutschland weit<br />
unten: Mit 8,4 Geburten pro<br />
1000 Einwohner hat es sich<br />
2012 <strong>vom</strong> letzten Platz, den es<br />
lange innehatte, vor Japan auf<br />
den zweitletzten Platz vorgerobbt.<br />
Und auch dies gelang nur<br />
wegen der Einwanderer, deren<br />
Kinder mittlerweile ein Drittel<br />
der Neugeborenen in Deutschland<br />
ausmachen. Ohne sie<br />
lägen wir weit abgeschlagen auf<br />
dem letzten Platz der Geburtenstatistik.<br />
Noch ahnen die Babyboomer<br />
nicht, was ihnen blüht,<br />
weil sie von einer glücklichen<br />
und historisch einmaligen<br />
Konstellation profitieren. Noch<br />
nie hat es in der Geschichte<br />
Deutschlands eine Gruppe von<br />
50-Jährigen gegeben, die relativ<br />
gesehen so wenige alte und junzu<br />
profitieren, mehr Stimmen als<br />
diejenigen, die dabei per saldo,<br />
über das ganze Leben gerechnet,<br />
verlieren. Deutschland wird also<br />
zur Gerontokratie.<br />
Auch wenn sie in der Minderheit<br />
sind, werden sich die jungen<br />
Menschen freilich nicht widerstandslos<br />
ausbeuten lassen.<br />
Wenn sie einen immer größeren<br />
Anteil ihres Einkommens an den<br />
Staat abführen sollen, um die<br />
Renten der Alten zu finanzieren,<br />
werden sie auswandern oder auf<br />
die Straße gehen, um ihren Unmut<br />
kundzutun. Der deutschen<br />
Kinder, Kinder Deutschland<br />
braucht mehr Krippenplätze<br />
Demokratie droht somit eine gefährliche<br />
Zerreißprobe. Dass dann<br />
gleichzeitig die vielen ungedeckten<br />
Schecks aus der Rettung südeuropäischer<br />
Krisenstaaten präsentiert<br />
werden, macht die Sache<br />
nicht einfacher.<br />
Was aber lässt sich gegen die<br />
demografische Misere tun? Eine<br />
Teillösung liegt in höheren Einwanderungszahlen.<br />
Die Massenimmigration,<br />
die Deutschland wegen<br />
der Krise in Südeuropa<br />
bereits erlebt, wird sich von ganz<br />
allein verstärken, wenn immer<br />
mehr Arbeitsplätze frei werden.<br />
Auch dürfte das Rentenalter wieder<br />
erhöht werden, ungeachtet<br />
der rückwärtsgewandten Koalitionsbeschlüsse<br />
der letzten<br />
Zeit. Die Schätzungen des bei<br />
der Erhöhung des Rentenalters<br />
und der Immigration Nötigen<br />
überschreiten freilich die Vorstellungskraft<br />
und Toleranz der<br />
Bevölkerung um ein Vielfaches.<br />
NEUE RENTENFORMEL<br />
Deshalb führt an einer Steigerung<br />
der Geburtenzahlen kein<br />
Weg vorbei. Dazu muss endlich<br />
die Ausbeutung und Diskriminierung<br />
der Familien beendet<br />
werden. Wenn die Rentenformel<br />
um eine Kinderkomponente<br />
ergänzt wird, die den Eltern wieder<br />
mehr Anteil an den Ergebnissen<br />
ihrer Erziehungsarbeit<br />
belässt, wird es sicher mehr<br />
Kinder geben. Je mehr Kinder<br />
jemand großzieht, desto mehr<br />
Zuschläge zur Rente sollte er<br />
erhalten. Schließlich sind es ja<br />
die Kinder selbst, die diese<br />
Zuschläge einmal werden bezahlen<br />
müssen.<br />
Besonders wirksam wäre ein<br />
rascher Krippenausbau, um die<br />
Wartelisten junger Familien zu<br />
verkürzen. Wie das ifo Institut<br />
jetzt in einer umfangreichen<br />
Studie gezeigt hat, führen der<br />
Bau und die Besetzung von 100<br />
neuen Krippenplätzen derzeit<br />
statistisch gesehen zur Geburt<br />
von etwa zehn weiteren Kindern.<br />
Wenn es wieder mehr Kinder<br />
in Deutschland gibt, besteht<br />
eine größere Chance, die Gerontokratie<br />
und die absehbare<br />
demografische Krise friedlich zu<br />
überwinden.<br />
Hans-Werner Sinn ist Präsident<br />
des ifo Instituts und Ordinarius<br />
an der Ludwig-Maximilians-<br />
Universität in München.<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 37<br />
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FOTO: PHOTOSHOT/XINGHUA<br />
40 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Kulturschock<br />
im Kultkonzern<br />
APPLE | Gangsta-Rapper, Musikproduzent, Modemanagerin,<br />
Gegenspieler – mit ausgefallenen Top-Managern will<br />
Vorstandschef Tim Cook die Magie des verstorbenen Gründers<br />
Steve Jobs in die Zukunft retten.<br />
Der Nachlassverwalter<br />
Tim Cook Apple-Chef<br />
Der Erwartungsdruck, den Apple-Fans<br />
und Investoren auf den einst treuen<br />
Gefolgsmann von Konzerngründer Steve<br />
Jobs aufbauen, ist groß.<br />
Es war die Show des Craig Federighi.<br />
Nicht sein Chef Tim Cook,<br />
nein, der ergraute Langhaarige<br />
mit jugendlichem Appeal hielt<br />
den größten Teil der zweistündigen<br />
Rede, mit der der kalifornische<br />
Computerbauer Apple vergangenen Montag<br />
seine jährliche Entwicklerkonferenz<br />
einläutete.<br />
Entspannt, fast gelöst, präsentierte der<br />
Apple-Softwarechef auf der Bühne in San<br />
Francisco die neuen Versionen seiner Betriebssysteme.<br />
Als „Superman“ lobte Konzernchef<br />
Cook den 44-Jährigen. Unter dem<br />
2011 verstorbenen Apple-Gründer Steve<br />
Jobs hätte es das nicht gegeben. Der hätte<br />
die Präsentation einer Innovation nie anderen<br />
überlassen.<br />
Die neue Linie bei Apple hat System.<br />
Weil der Hersteller des iPods, iPhones und<br />
iPads seit dem Tod seines Ausnahme-Visionärs<br />
Jobs Wert an der Börse, vor allem<br />
aber Magie beim Publikum verloren hat,<br />
macht Nachfolger Cook aus der Not eine<br />
Tugend. Statt dass der eher reservierte<br />
53-Jährige vergeblich Jobs nacheifert,<br />
schiebt er Top-Manager aus der zweiten<br />
Reihe ins Rampenlicht – und setzt alle<br />
Hoffnungen auf sie. Ihre Mission ist keine<br />
geringere, als die Lücke, die Jobs hinterließ,<br />
gemeinsam zu füllen. Sie sollen Apple wie<br />
einst nach dem Wiedereinstieg von Gründer<br />
Jobs 1997 zum dritten Mal in eine neue<br />
Epoche katapultieren.<br />
Im Zentrum der Strategie finden sich neben<br />
Softwarechef Federighi, Design-Guru<br />
Jonny Ive und Marketingchef Phil Schiller<br />
nun neue Stars, die Cook um sich und sein<br />
bisheriges Top-Team versammelt, um zum<br />
Aufbruch zu blasen:<br />
n Ganz vorn Angela Ahrendts, Ex-Chefin<br />
des britischen Modelabels Burberry, die<br />
seit Kurzem für die weltweiten Apple-<br />
Shops sowie den Internet-Store des Konzerns<br />
verantwortlich ist. Marc Benioff,<br />
Gründer und Chef des US-Cloud-Computing-Riesen<br />
Salesforce, wähnt in der Amerikanerin<br />
bereits die „künftige Apple-Chefin“<br />
und sieht in ihr „Tim Cooks wichtigste<br />
Personalentscheidung“. Die 53-Jährige gilt<br />
als extrem talentierte Managerin und<br />
Expertin fürs internationale Geschäft.<br />
n Die schillerndsten Neuen bei Apple sind<br />
Jimmy Iovine, 61, und der US-Rapper Dr.<br />
Dre, 49, Gründer des Kopfhörerherstellers<br />
Beats Electronics, den Apple unlängst für<br />
drei Milliarden Dollar übernahm. Die<br />
blendenden Kontakte sowie der Streaming-Dienst<br />
der beiden, mit dem sich<br />
Musik direkt aus dem Internet hören lässt,<br />
machen das Duo für Cook so wertvoll.<br />
n Kevin Lynch, 46, einstiger Technik-Vorstand<br />
der Softwareschmiede Adobe (bekannt<br />
für ihre Leseprogramme für gedruckte<br />
Textvorlagen sowie Multimedia-<br />
Software) dürfte Apple ins Internet der<br />
Dinge führen, in dem Gegenstände wie<br />
Türschlösser und Thermostate miteinander<br />
vernetzt sind und dadurch ganz neue<br />
Dienste ermöglichen.<br />
ANFÄLLIG FÜR ATTACKEN<br />
Die Gruppe der Gewaltigen hinter Konzernchef<br />
Cook steht unter großem Zeitdruck.<br />
Unter Vorgänger Jobs ist Apple nicht<br />
nur zum teuersten Unternehmen mit einem<br />
Wert von aktuell rund 550 Milliarden<br />
Dollar geworden. Spätestens nach seinem<br />
Tod zeigte sich auch, dass der Konzern<br />
nach seinem explosionsartigen Wachs-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 41<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
tum zu einem komplexen Gebilde mutiert<br />
war. Dadurch wächst die Gefahr, wichtige<br />
Trends zu verschlafen oder sie aus<br />
Rücksicht aufs angestammte, hochprofitable<br />
Geschäft nicht konsequent genug aufzugreifen.<br />
Bahnbrechende Neuerungen<br />
wie das iPhone und das iPad fehlen. Das<br />
macht Apple immer anfälliger für Attacken<br />
der Konkurrenz. Die Erfolge von Google<br />
mit dem mobilen Betriebssystem Android<br />
oder von Samsung mit den Galaxy-<br />
Smartphones zeigen das.<br />
Zugleich sind die offenen Baustellen im<br />
Apple-Reich unübersehbar. Jahrelang hatte<br />
der Konzern die Musikbranche geprägt,<br />
indem er über seinen Store die Möglichkeit<br />
bot, gegen Bezahlung Songs auf den iPod,<br />
das iPhone oder das iPad herunterzuladen.<br />
Nutzer haben das seit Start des Online-Musikshops<br />
im April 2003 rund 30 Milliarden<br />
Mal getan. Doch die Downloads gehen zurück.<br />
Schuld sind der freche schwedische<br />
Musikstreaming-Dienst Spotify und Wettbewerber<br />
wie Slacker, Rdio oder Google<br />
Play All. Sie bieten gegen eine monatliche<br />
Gebühr an, so viel Stücke wie gewünscht<br />
aus Musikbibliotheken von bis zu 20 Millionen<br />
Titeln direkt via Internet zu hören.<br />
Apple schaute bis vor Kurzem mehr oder<br />
weniger hilflos zu.<br />
Gleichzeitig macht sich Lethargie in den<br />
stationären Shops breit. Im Sommer 2011<br />
hatte der Konzern Ron Johnson, der gemeinsam<br />
mit Jobs das Konzept der Apple<br />
Stores entwickelt hatte, an den US-Einzelhändler<br />
J.C. Penney verloren. Sein Nachfolger<br />
John Browett, von Cook angeheuert,<br />
war früher Chef der britischen Elektronikkette<br />
Dixons und vergraulte die Mitarbeiter<br />
in den Stores. Browett ließ die Verkäufer,<br />
die bei Apple Specialist heißen, kürzer arbeiten,<br />
baute sogar Stellen ab und verscherzte<br />
es sich so mit der restlichen Apple-Führung.<br />
Nach einem kurzen Gastspiel<br />
von April bis Oktober 2012 musste der vermeintliche<br />
Aufräumer gehen, ohne dass<br />
sein Posten bis zum 1. Mail <strong>2014</strong> besetzt<br />
wurde. Die Expansion geriet ins Stocken. In<br />
China gibt es erst 10 statt wie geplant 25<br />
Stores. In Berlin sucht Apple seit Jahren erfolglos<br />
einen zweiten Standort im Osten<br />
der Stadt.<br />
MERKWÜRDIGER MENSCH<br />
Eine herausragende Aufgabe kommt<br />
deshalb Neuzugang Ahrendts zu, die<br />
Cook höchstpersönlich von Burberry abgeworben<br />
haben soll, um in den Verkauf<br />
der Apple-Geräte wieder Dynamik zu<br />
bringen. Die Anfangfünfzigerin gilt als<br />
erfolgreichste Modemanagerin der vergangenen<br />
Jahre. Als sie 20<strong>06</strong> den Chefposten<br />
bei Burberry übernahm, war das<br />
Label in erbärmlichem Zustand. Lizenznehmer<br />
weltweit benutzten das seit 1924<br />
legendäre Karomuster für alles Mögliche<br />
bis hin zu Wegwerfwindeln für Hunde,<br />
verkauften die Ware zu Ramschpreisen<br />
und ramponierten das Luxus-Image. Ahrendts<br />
fackelte nicht lang, kaufte 23 Lizenzvereinbarungen<br />
zurück und stellte 35 Produktkategorien<br />
ein. Das war teuer, zahlte<br />
sich aber aus. Der Umsatz von Burberry<br />
verdreifachte sich, Ahrendts wurde 2013<br />
zur bestbezahlten Top-Managerin Großbritanniens.<br />
Mindestens so wichtig wie Ahrendts’<br />
Sinn für Luxus ist für Apple ihre Nähe zu digitalen<br />
Technologien. Die in einem typischen<br />
US-Vorort geborene Amerikanerin<br />
hatte schon bei Burberry enge Kontakte zu<br />
Apple und Google geknüpft. Im September<br />
des vergangenen Jahres lieferte Apple vor<br />
der Markteinführung mehrere iPhone 5s<br />
an Burberry, damit das Modehaus mit den<br />
neuen Smartphones eine komplette Modenschau<br />
fotografieren, filmen und über<br />
soziale Netzwerke verbreiten konnte. Die<br />
Kleidung im Flagship-Store auf der Londoner<br />
Regent Street ließ Ahrendts mit RFID-<br />
Chips ausstatten. Treten Kunden vor einen<br />
Bildschirm im Laden, erkennt der Funkchip<br />
die Ware, und es startet ein Film über<br />
das Kleidungsstück.<br />
Starke Apple-Konkurrenten<br />
Marktanteile der Hersteller bei Smartphones<br />
und Tablets (nach Umsatz 2013)<br />
Andere<br />
Andere<br />
Quelle: Gartner<br />
39,3 %<br />
31,2 %<br />
Samsung<br />
31,0 %<br />
Smartphones<br />
Apple<br />
36,0 %<br />
Tablets<br />
15,6 %<br />
Huawei 4,8 %<br />
LG Electronics 4,8 %<br />
Lenovo 4,5 %<br />
19,1 %<br />
Apple<br />
Samsung<br />
Asus 5,6 %<br />
Amazon 4,8 %<br />
Lenovo 3,3 %<br />
Ahrendts beschreibt sich selbst als einen<br />
etwas merkwürdigen Menschen, dessen<br />
zwei Gehirnhälften gleichsam leistungsfähig<br />
seien – die für Emotionen zuständige<br />
rechte und die analytische linke. „Ich nehme<br />
Veränderungen instinktiv wahr“, sagte<br />
sie kürzlich bei einem Vortrag. Schaden<br />
kann das nicht, wenn es darum geht, demnächst<br />
das in die Jahre gekommene Einrichtungskonzept<br />
der Apple Stores zu<br />
überarbeiten. „Das jetzige ist mittlerweile<br />
immerhin 15 Jahre alt. Auch wenn es immer<br />
noch frisch wirkt, ist es nicht mehr revolutionär“,<br />
sagt Archibald Horlitz, Gründer<br />
und früherer Eigner des größten unabhängigen<br />
deutschen Apple-Händlers<br />
Gravis.<br />
VOR ALLEM TALENT-AKQUISE<br />
Eine völlig andere Rolle als Ahrendts sollen<br />
die beiden Beats-Gründer spielen. Dr. Dre,<br />
der mit bürgerlichem Namen André Young<br />
heißt, ist einer ganzen Generation als<br />
Super-Rapper bekannt. Er war die Schlüsselfigur<br />
in der Entstehung und Verbreitung<br />
des West-Coast-G-Funk, einer Musikrichtung,<br />
die Rap mit Synthesizer-Musik<br />
und schweren Bässen vereint. Die Musiklegende<br />
Iovine arbeitete mit Stars wie Bruce<br />
Springsteen, John Lennon, Tom Petty, U2<br />
und Shock-Rocker Marilyn Manson zusammen<br />
und gilt als einer der Entdecker und<br />
wichtigsten Förderer des Gangsta-Raps.<br />
Der 61-jährige Iovine, der seine Karriere<br />
als Hausmeister in einem Plattenstudio<br />
startete, war mit Jobs befreundet und half<br />
diesem beim Start des iTunes Stores beim<br />
Verhandeln von Verträgen mit Plattenfirmen<br />
und Künstlern. Dr. Dre wuchs im<br />
kriminalitätsgeplagten Osten von Los Angeles<br />
auf und wurde mit der Entdeckung<br />
von Superstars wie Eminem und Snoop<br />
Dog zu einem der einflussreichsten Hip-<br />
Hop-Produzenten.<br />
Ins Geschäft mit potenziellen Apple-<br />
Kunden stiegen Iovine und Dr. Dre ein, indem<br />
sie 2008 das Unternehmen Beats<br />
Electronics gründeten. Dessen knallrote,<br />
bassstarke Kopfhörer und Lautsprecher<br />
haben mit Apple-Geräten etwas Wichtiges<br />
gemeinsam. Sie werden von ihren Fans abgöttisch<br />
geliebt und von ihren Kritikern abgrundtief<br />
gehasst. Als Anfang Mai in Los<br />
Angeles und im Silicon Valley die ersten<br />
Gerüchte über den Kauf von Beats Electronics<br />
durch Apple die Runde machten, taten<br />
viele Beobachter dies erst einmal als wilde<br />
Spekulation ab.<br />
Doch langsam machen sich Kenner der<br />
Szene einen Reim auf die Übernahme. „Es<br />
42 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Das Verkaufsgenie<br />
Angela Ahrendts Apple Store<br />
Die Marketingexpertin interessierte sich früh für Kleidung. Sie heuerte<br />
beim Modelabel Donna Karan an. Zwischen 2002 und 20<strong>06</strong><br />
war die gebürtige US-Amerikanerin für die Marke Liz Claiborne verantwortlich<br />
und sanierte dann das Londoner Modehaus Burberry.<br />
Die Musiklegende<br />
Jimmy Iovine iTunes<br />
In den Siebzigerjahren arbeitete Iovine als Toningenieur mit<br />
Stars wie John Lennon und stieg zum Plattenboss bei Interscope<br />
Geffen A&M auf. 20<strong>06</strong> gründete er mit Dr. Dre Beats. Parallel<br />
wirkte er bei der US-TV-Talentshow „American Idol“ mit.<br />
FOTOS: PICTURE PRESS/CAMERA PRESS/TOM STOCKILL, CORBIS/SPLASH NEWS<br />
ist vor allem eine Talent-Akquise“, meint<br />
Apple-Analyst Amit Daryanani von RBC<br />
Capital Market aus San Francisco. Tatsächlich<br />
könnten Iovine und Dr. Dre, die mit einem<br />
Teil ihrer Mitarbeiter zu Apple wechseln,<br />
beim Kampf gegen die Streaming-<br />
Dienste helfen, die Apple im Geschäft mit<br />
Musik-Downloads arg zusetzen. Denn viele<br />
Künstler sind mittlerweile von den mickrigen<br />
Tantiemen genervt, die sie von<br />
Diensten wie Spotify erhalten. Ein Ausweg<br />
könnte sein, dass sie direkt von Vertriebspartnern<br />
wie Apple unter Vertrag genommen<br />
und gefördert werden, ohne zusätzliche<br />
Mittelsmänner einschalten zu müssen.<br />
Dafür braucht es viel Vertrauen in der Szene,<br />
Kontakte und Marketinggespür.<br />
Alle drei Dinge bringt das Duo<br />
unbestritten mit, inklusive<br />
wirtschaftlichem Erfolg.<br />
Trotzdem ist es für beide<br />
Seiten ein Kulturschock.<br />
Denn der leutselige und<br />
schillernde Iovine, der seinem<br />
Herzen gern Luft macht, ist die<br />
Die Neuen in<br />
Apples Top-<br />
Management<br />
sind ein echter<br />
Kulturschock<br />
absolute Antithese zum verschwiegenen<br />
und diskret auftretenden Apple-Chef<br />
Cook. Dr. Dre, der in einem Internet-Video<br />
mit dem Schauspieler Tyrese Gibson anscheinend<br />
betrunken über seinen neuen<br />
Apple-Reichtum schwelgte, soll mit der<br />
Prahlerei sogar die Verkaufsverhandlungen<br />
verzögert haben. Zudem kommt der<br />
im Januar gestartete Streaming-Dienst der<br />
beiden namens Beats Music gerade mal<br />
auf schätzungsweise 200 000 Abonnenten –<br />
gegenüber zehn Millionen zahlenden Käufern<br />
beim schwedischen Konkurrenten<br />
Spotify. Für Apple-Chef Cook ist es ein gigantisches<br />
Experiment, das sowohl<br />
als genialer Schachzug oder aber als<br />
Katastrophe enden kann.<br />
Endlich wieder einen ganz<br />
großen Wurf erhofft sich der<br />
Apple-Chef durch Ex-Adobe-Technikchef<br />
Lynch. Sein<br />
Feld wird der vielversprechende<br />
Markt für tragbare<br />
Geräte der neuen Generation<br />
sein, die sogenannten Wearables,<br />
die auf dem Internet der Dinge aufbauen.<br />
Samsung ist mit seinen Computeruhren<br />
und Google mit seiner Datenbrille<br />
Google Glass bereits vorgeprescht.<br />
Lynch ist bei Apple ein alter Bekannter.<br />
Von ihm stammt die Adobe-Multimedia-<br />
Software Flash, die Apple-Gründer Jobs<br />
nicht auf dem iPhone zulassen wollte.<br />
Flash sei ein Relikt der PC-Ära, giftete er in<br />
einem offenen Brief. Lynch ätzte zurück:<br />
Jobs gehe es mehr um Machtspiele als um<br />
Technik. Vier Jahre ist die Episode her, und<br />
Flash läuft noch immer nicht auf dem<br />
iPhone – was inzwischen kaum noch jemand<br />
als Manko ansieht, hat sich doch<br />
dort der von Jobs bevorzugte HTML5-Standard<br />
durchgesetzt. Dafür ist Lynch übergelaufen<br />
– zu Apple. Im März 2013 heuerte er<br />
am Konzernsitz in Cupertino an, als „Vizepräsident<br />
für Technik“. Seitdem rätseln Beobachter,<br />
warum Apple sich ausgerechnet<br />
einen Erzfeind ins Haus holt und was dieser<br />
dort genau treibt.<br />
Lynch verrät auf seiner Homepage nur,<br />
er arbeite „mit einem unglaublich talen-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 43<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
tierten Team“. Aber woran? Klar ist: Ein<br />
Top-Talent wie Lynch muss bei Apple eine<br />
strategische Position übernehmen. Berichten<br />
zufolge leitet er eine neue Arbeitsgruppe<br />
aus Ingenieuren, die zuvor am iPod arbeitete.<br />
Nur sollen sie keinen neuen iPod<br />
entwickeln – sondern etwas völlig Neues.<br />
LOGBUCH DES KÖRPERS<br />
So befeuert Lynchs Wechsel zu Apple<br />
das Gerücht, dass der Konzern ein neues<br />
„Big Thing“ plant, endlich wieder ein ganz<br />
großes Ding. Vielleicht ist es eine Sensoruhr,<br />
vielleicht wird sie iWatch heißen,<br />
vielleicht wird es aber auch ein ganz<br />
anderes Wearable sein, das irgendwelche<br />
Daten anzeigt.<br />
Noch ist alles pure Spekulation.<br />
Einen großen Sprung erwarten<br />
Experten allerdings vor allem<br />
bei neuen Geräten mit Sensoren,<br />
die permanent das<br />
Befinden ihrer Besitzer<br />
überwachen. Ob Blutdruck,<br />
zurückgelegte Schritte oder<br />
Schlafrhythmus. Im Zentrum<br />
stehen die Gesundheit und die<br />
Annahme: Je mehr Daten der<br />
Mensch über seinen Körper sammelt, desto<br />
besser könne er ungesundes Verhalten<br />
abstellen und drohende Krankheiten erkennen.<br />
Den ersten Schritt in diese Richtung hat<br />
Apple auf der Entwicklerkonferenz Anfang<br />
vergangener Woche getan und eine<br />
Smartphone-App namens „Health“ vorgestellt.<br />
Sie soll im Herbst erscheinen und eine<br />
Art Patientenkladde für das Handy werden,<br />
die Körperwerte wie Blutdruck oder<br />
Gewicht und Trainingsdaten beim Sport<br />
Da beschwört<br />
einer den<br />
Geist von<br />
Apple-<br />
Gründer<br />
Steve Jobs<br />
erfasst. Zahlreiche Armbänder, Körperwaagen<br />
oder Glucose-Messgeräte sammeln<br />
solche Daten heute schon und legen<br />
sie in eigenen Handy-Apps ab. Neu ist, dass<br />
Apple diese Protokolle zu einem Logbuch<br />
des körperlichen Wohlbefindens zusammenführt.<br />
Auch Laborergebnisse, Schlafverhalten<br />
und Ernährungsgewohnheiten<br />
soll das Programm speichern.<br />
Eine Idee mit Zukunft, findet Ulli Jendrik<br />
Koop, Vorstand bei XLHealth. Der Berliner<br />
Kapitalgeber finanziert Start-ups, die digitale<br />
Gesundheitsdienste entwickeln – etwa<br />
die Wiener Neugründung Mysugr,<br />
mit deren App Diabetiker ihre Blutzuckerwerte<br />
protokollieren können. „Wenn<br />
Nutzer ihre Glucose-Werte künftig<br />
mit Daten über Sport, Ernährung<br />
oder Schlafverhalten abgleichen“,<br />
sagt Koop, „dann können<br />
sie so ganz neue Muster<br />
erkennen.“<br />
Geht es nach Apple, dann<br />
senden Handynutzer mit der<br />
neuen App bald Daten, etwa<br />
Blutdruckwerte, auch an ihren<br />
Arzt – zusammen mit einer Warnung,<br />
falls Grenzwerte überschritten<br />
sind. 23 Krankenhäuser in den USA wollen<br />
mit dem IT-Konzern zusammen solche<br />
Dienste entwickeln.<br />
Das Geschäft, auf das Lynch zusammen<br />
mit seinem Team bei Apple schielt, ist riesig.<br />
Denn der Markt für Gesundheitsdienste<br />
auf dem Handy wächst bis 2017 um<br />
mehr als das Zehnfache auf 26 Milliarden<br />
Dollar, prognostizieren die Marktforscher<br />
von Research2guidance in Berlin.<br />
Auffällig dabei ist, dass Apple in den vergangenen<br />
Monaten ein halbes Dutzend<br />
Top-Medizinexperten eingestellt hat.<br />
Unter ihnen sind ein Schlafexperte <strong>vom</strong><br />
niederländischen Technologiekonzern<br />
Philips, der Chefingenieur eines Start-ups<br />
namens C8 MediSensors, das an einer<br />
Methode zur Blutzuckermessung durch<br />
die Haut arbeitet, sowie eine Entwicklerin,<br />
die vermutlich an einer Art Pflaster tüftelt,<br />
das eine Reihe von Blutwerten ermitteln<br />
kann.<br />
Prominentester Zugang auf diesem Feld<br />
ist allerdings Jay Blahnik, ein US-Fitnessexperte,<br />
der zuvor für den US-Sportartikelhersteller<br />
Nike das Fitnessarmband Fuelband<br />
mitentwickelt hat, das im Februar<br />
2012 auf den Markt kam. Kurze Zeit später<br />
gab Nike bekannt, die Entwicklung des<br />
Display-Armreifs einzustellen. Weil Apple<br />
selbst eines plant? Das fragen sich nun Beobachter.<br />
ZUKUNFT DES SHOPPINGS<br />
Branchenkenner erwarten von Apple nun<br />
eine Flut von Fitness-, Gesundheits- und<br />
Heimautomatisierungsgeräten. Damit<br />
kann der Konzern auf seine starken Geschäftsfelder<br />
iPhone, iPad sowie Mac-<br />
Rechner aufsetzen. „Später in diesem Jahr<br />
werden wir die beste Produktpalette haben,<br />
die ich in meinen 25 Jahren bei Apple<br />
gesehen habe“, prahlte Apple-Internet-<br />
Softwarechef Cue bereits Ende Mai auf einer<br />
Technologiekonferenz.<br />
Will Apple die Magie behalten, wird es<br />
für den Konzern jedoch wichtig sein, wieder<br />
einmal etwas Revolutionäres auf den<br />
Markt zu bringen. Vielleicht ist dazu Ex-<br />
Burberry-Chefin Ahrendts die Richtige, indem<br />
sie bei Apple die Zukunft des Shoppings<br />
vorwegnimmt. Schon heute können<br />
700$<br />
600 $<br />
500$<br />
400$<br />
300$<br />
iPad<br />
200$<br />
100$<br />
2010<br />
iPhone<br />
iOS4<br />
67<br />
iPhone 4,<br />
iAds<br />
59<br />
MacBook Air<br />
Apple TV,<br />
iPods,<br />
iTunes 10<br />
In mehreren Schüben<br />
Wiedie Präsentationen neuer Geräte den Kurs der Apple-Aktie beeinflussen<br />
2011<br />
iPad2<br />
OS XLion,<br />
iCloud,<br />
iOS5<br />
iPhone 4S<br />
iPad, Apple TV,<br />
iPhoto füriOS<br />
iBooks für<br />
Textbooks<br />
iOS6,<br />
Apple<br />
Maps<br />
Tage zwischen Produktpräsentationen<br />
2012<br />
iMac,<br />
iPadMini<br />
iPhone 5,<br />
iPodTouch,<br />
iPodNano<br />
Mac Pro,<br />
OS XMavericks,<br />
iOS7,<br />
iTunes Radio<br />
iPhone 5C<br />
iPhone 5S<br />
2013 <strong>2014</strong><br />
iPadAir<br />
iPadMiniRetina<br />
85 48 132 95 116 1<strong>06</strong> 46 97 92 39 230 92 42 223<br />
Health Kit<br />
iCloud Drive<br />
iOS8<br />
OS XYosemite<br />
44 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Der frühere Erzfeind<br />
Kevin Lynch Internet der Dinge<br />
Lynch startete im Elektronischen Visualisierungslabor der Universität<br />
von Chicago. Später ging er zur US-Softwarefirma Macromedia.<br />
Als Adobe diese 2005 kaufte, wurde er Technikchef. Mit Apple-<br />
Gründer Jobs stritt er, weil der die Adobe-Flash-Technik hasste.<br />
Der Gangsta-Rapper<br />
Dr. Dre (André Young) iTunes<br />
Young war als Teenager DJ, rappte in der Hip-Hop-Gruppe N.W.A<br />
und gründete 1991 das Musiklabel Death Row Records. Er verpflichtete<br />
die späteren Megastars Eminem und 50 Cent. 20<strong>06</strong><br />
startete er mit Jimmy Iovine den Kopfhörerbauer Beats.<br />
FOTOS: LAIF/REDUX/JONATHAN SPRAGUE, CONTOUR BY GETTY IMAGES/SCOTT COUNCIL<br />
Kunden im Apple Store mit einer<br />
Smartphone-App bezahlen, ohne dass ein<br />
Verkäufer dazu nötig ist.<br />
SIGNALE AUS DEM OBSTREGAL<br />
Den Handel regelrecht revolutionieren soll<br />
eine Technologie namens iBeacon, die auf<br />
der Entwicklerkonferenz vor einem Jahr<br />
vorgestellt wurde. iBeacons sind winzige<br />
Sender, mit deren Hilfe die Kunden im Laden<br />
direkt angesprochen werden können.<br />
Auf diese Weise würden Supermarktbetreiber<br />
einem Kunden etwa eine Nachricht<br />
aufs Handy schicken, dass es in dem Obstregal<br />
vor ihm gerade Äpfel im Sonderangebot<br />
gibt. Die US-Handelsriesen Macy’s und<br />
Walmart sowie die britische Supermarktkette<br />
Tesco erkunden<br />
gerade die Einsatzmöglichkeiten<br />
der Technik, die dem Ortungssystem<br />
GPS ähnelt.<br />
In Deutschland testet jetzt der<br />
Outdoor-Ausrüster Mammut als<br />
einer der ersten Markenanbieter<br />
in seinem Laden in Frankfurt die<br />
Video<br />
In der App-<strong>Ausgabe</strong><br />
finden Sie<br />
einen Kommentar<br />
über Apples<br />
Produktstrategie<br />
neue Technik:Kunden, die sich die entsprechende<br />
Mammut-App auf ihr Apple-Gerät<br />
geladen haben, werden im Laden <strong>vom</strong> Bildschirm<br />
direkt zum neuen Bergschuh oder<br />
der wetterfesten Jacke geführt. Viele Apple<br />
Stores in den USA wurden in den vergangenen<br />
Monaten mit iBeacons ausgerüstet.<br />
Weil die Technologie am Montag voriger<br />
Woche aber mit keinem einzigen Wort erwähnt<br />
wurde, erwarten Brancheninsider,<br />
dass Apple in den nächsten Monaten Größeres<br />
dazu präsentieren wird.<br />
Apple-Kenner spekulieren, dass sich der<br />
Computerbauer in den kommenden Monaten<br />
auch als Finanzdienstleister versuchen<br />
wird und dafür an einem mobilen Zahlungssystem<br />
arbeitet – einer Art<br />
Apple Bank. So schrieb das Unternehmen<br />
im vergangenen Jahr die<br />
Stelle eines „Ingenieurs für Zahlungssoftware“<br />
aus, „der dabei<br />
hilft, Zahlungssysteme der nächsten<br />
Generation zu entwickeln“.<br />
In der Jobbeschreibung heißt<br />
es, die Person werde vor allem<br />
Erfahrungen mit globalen Zahlungssystemen<br />
im Einzelhandel sammeln. Die Basis<br />
für ein solches System besitzt Apple mit<br />
Daten von bald einer Milliarde Kreditkartenbesitzern,<br />
die sich damit unter anderem<br />
bei iTunes und im Online-Store des Konzerns<br />
registriert haben.<br />
GEIST DES GRÜNDERS<br />
Gangsta-Rapper, Musiker, Modemacher,<br />
Schlafforscher und Gegenspieler – die Führungselite<br />
von Apple war selten so bunt. Sie<br />
alle sollen in die Richtung marschieren, die<br />
Apple-Chef Cook am vergangenen Montag<br />
bei seinem Auftritt vorgab. „Wir können wie<br />
kein anderer Hard- und Software zum Wohle<br />
der Nutzer miteinander vereinen“,<br />
schwärmte er über sich und Apple.<br />
Wer auf der Entwicklerkonferenz zugegen<br />
war, der spürte, da beschwört einer<br />
den Geist von Apple-Gründer Jobs, den<br />
nun ein Top-Team aus der zweiten Reihe in<br />
die Zukunft retten soll.<br />
n<br />
matthias.hohensee@wiwo.de | Silicon Valley,<br />
andreas menn, thomas stölzel<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 45<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Kein Deal<br />
um jeden<br />
Preis<br />
SIEMENS | Welche Folgen hätte<br />
ein Zusammenschluss von<br />
General Electric und Alstom für<br />
Deutschlands wichtigsten<br />
Technologiekonzern?<br />
Noch einmal will Jeff Immelt nicht<br />
nach Paris reisen, um Parlament<br />
und Regierung seine Pläne für die<br />
Übernahme des angeschlagenen Alstom-<br />
Konzerns zu erklären. Bei seinem letzten<br />
Auftritt vor der Nationalversammlung in<br />
der französischen Hauptstadt hatte der<br />
CEO des amerikanischen Mischkonzerns<br />
General Electric (GE) versprochen, keine<br />
Jobs zu streichen, sondern im Gegenteil<br />
1000 neue Stellen in Frankreich zu schaffen.<br />
Von einem „verbesserten“ und „gestärkten“<br />
Angebot sprach Frankreichs<br />
Staatspräsident François Hollande nach<br />
Immelts Auftritt. Das sei nun aber das letzte<br />
Wort gewesen, nochmals nachgebessert<br />
würde die Offerte nicht, heißt es in GE-<br />
Kreisen. „Immelts Schicksal wird schließlich<br />
nicht in Paris, sondern am Ende aller<br />
Tage an der Wall Street entschieden.“<br />
Immelts Gegenspieler Joe Kaeser will sich<br />
bis zum 16. Juni zu einem Angebot für die<br />
Energietechniksparte der Franzosen äußern.<br />
Der Siemens-Chef beklagt allerdings,<br />
die Deutschen hätten nicht den gleichen Zugang<br />
zu den Alstom-Büchern wie GE. Nicht<br />
wenige Beobachter halten diesen Vorwurf<br />
allerdings für eine Taktik, mit der Kaeser<br />
schon mal den Ausstieg aus dem politisch<br />
initiierten Milliarden-Übernahmevorhaben<br />
einklingeln wolle. Zu groß sind die Herausforderungen<br />
von Kaesers geplantem Konzernumbau<br />
schon ohne den Alstom-Deal.<br />
Doch wie bedrohlich wären die Folgen<br />
einer amerikanisch-französischen Allianz<br />
für Deutschlands bedeutendsten Technologiekonzern?<br />
Die vier wichtigsten Fragen<br />
und Antworten:<br />
Wie gefährlich wäre eine<br />
Übernahme von Alstom<br />
durch GE für das Energiegeschäft<br />
von Siemens?<br />
Der Auftrieb war gewaltig, als GE in der<br />
vergangenen Woche auf der Messe Power-<br />
Gen Europe in Köln seine neue hocheffiziente<br />
Gasturbine <strong>vom</strong> Typ 9H vorstellte.<br />
Die Veranstaltung am Rhein ist die wichtigste<br />
für Kraftwerkstechnik und Energiewirtschaft<br />
außerhalb der USA. GE nutzte<br />
sie, um ein Zeichen in Richtung München<br />
zu setzen. Denn auch Siemens hat mit seiner<br />
in Berlin gefertigten 8000H-Gasturbine<br />
eine ähnlich moderne Anlage mit hohem<br />
Wirkungsgrad im Angebot.<br />
Es ist vor allem das Geschäft der Münchner<br />
mit der Energieerzeugung aus fossilen<br />
Pokern mit Paris Die Braut Alstom schaut<br />
sich Siemens-Chef Kaeser ganz genau an<br />
Brennstoffen, das im Falle einer Allianz aus<br />
GE und Alstom einen mächtigen Gegenspieler<br />
bekäme. Die Franzosen erzielten<br />
zuletzt 70 Prozent ihres Umsatzes von 20<br />
Milliarden Euro mit Energietechnik.<br />
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hatten<br />
die Amerikaner von Alstom das Gasturbinengeschäft<br />
mit den dazugehörigen<br />
Werken im elsässischen Belfort übernommen.<br />
Weil die Franzosen dort auch ihre<br />
Dampfturbinen bauen, fertigen seitdem<br />
beide Unternehmen in der französischen<br />
Stadt auf gegenüberliegenden Straßenseiten<br />
ihre Anlagen.<br />
Bei einer Alstom-Übernahme bekäme<br />
GE auch eben jenes Dampfturbinengeschäft<br />
der Franzosen in die Hand. Es entstünde<br />
ein neues Schwergewicht, dessen<br />
Sparte für Energietechnik doppelt so groß<br />
wäre wie die des deutschen Konkurrenten.<br />
Siemens erwirtschaftete mit Energietechnik<br />
im Geschäftsjahr 2013 (zum 30. September)<br />
einen Umsatz von fast 27 Milliarden<br />
Euro.<br />
Zwar läuft das Kraftwerksgeschäft in Europa<br />
wegen der Energiewende seit einigen<br />
Jahren schleppend, die Musik spielt hier<br />
FOTOS: IMAGO/IPON, BILDFOLIO/UTE SCHMIDT<br />
46 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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zurzeit in Asien und Amerika. Allerdings<br />
sitzt Alstom auf einem gewaltigen Bestand<br />
lang laufender Wartungsverträge für Kraftwerke,<br />
vor allem in Deutschland. Der Konzern<br />
aus Frankreich gilt als größter unabhängiger<br />
Serviceanbieter auf diesem Feld.<br />
Auch und vor allem auf diese Verträge haben<br />
es die Amerikaner abgesehen, denn<br />
das Servicegeschäft wirft extrem hohe Renditen<br />
ab.<br />
Sehr stark ist Alstom außerdem bei der<br />
Stromübertragung, einem Bereich, in dem<br />
Siemens zuletzt Probleme hatte und den<br />
GE bisher noch nicht im Portfolio hat.<br />
Fazit: Beim Geschäft mit Energieerzeugung<br />
aus fossilen Brennstoffen bekäme<br />
Siemens einen mächtigen Wettbewerber.<br />
Kaesers Plan, künftig vor allem auf das Ölund<br />
Gasgeschäft in den USA zu setzen, wäre<br />
mit neuen Herausforderungen behaftet.<br />
Was würde aus der Vormachtstellung<br />
von Siemens<br />
bei Windkraftanlagen?<br />
Mit einem Marktanteil von 7,4 Prozent ist<br />
Siemens der weltweit viertgrößte Anbieter<br />
von Windkraftanlagen. Vor den Münchnern<br />
liegen nur noch Vestas aus Dänemark,<br />
der chinesische Hersteller Goldwind<br />
und Enercon aus Aurich in Ostfriesland.<br />
In Brande in Dänemark haben die<br />
Münchner hochmoderne Fertigungsstraßen<br />
aufgebaut. Dort bauen sie auf einer<br />
Plattform verhältnismäßig kostengünstig<br />
zahlreiche unterschiedlich große Modelle.<br />
Von der Strategie profitiert Siemens inzwischen<br />
auch in den USA, dem Heimatmarkt<br />
von GE: Ende 2013 konnten die Münchner<br />
gleich zwei Milliardenaufträge zur Bestückung<br />
zweier amerikanischer Windparks<br />
an Land ziehen.<br />
Bei großen Anlagen für den Einsatz auf<br />
hoher See ist Siemens sogar Weltmarktführer.<br />
Kein anderer Hersteller hat so viele<br />
Windräder vor deutschen, britischen, niederländischen<br />
und dänischen Küsten in<br />
den Schlick gerammt. Vor allem mit seiner<br />
gewaltigen Sechs-Megawatt-Turbine setzt<br />
Siemens Maßstäbe. Vor der Nordseeinsel<br />
Juist wird der Konzern demnächst zwei<br />
Windparks mit insgesamt 100 dieser leistungsstarken<br />
Anlagen bestücken.<br />
GE setzt bisher eher auf kleinere Windturbinen<br />
für die Energieerzeugung an<br />
Land. Die Anlagen für den europäischen<br />
Markt baut der Konzern aus dem US-Bundesstaat<br />
Connecticut im niedersächsischen<br />
Salzbergen. Alstom dagegen hat<br />
Windkraftanlagen für den Offshore-Betrieb<br />
im Angebot.<br />
Fazit: Auch wenn GE durch eine Übernahme<br />
des Energiegeschäfts von Alstom zu einem<br />
bedeutenden Mitspieler beim Geschäft<br />
mit Windkraftanlagen auf hoher See<br />
würde: Siemens’ herausgehobene Stellung<br />
im Windgeschäft bliebe auf längere Sicht<br />
erhalten.<br />
Was ändert sich für Kaesers<br />
geplanten Konzernumbau?<br />
Hinter vorgehaltener Hand heißt es bei Siemens,<br />
eine Übernahme der Alstom-Energiesparte<br />
sei angesichts der Umwälzungen,<br />
vor denen man in München derzeit stehe,<br />
schwer zu bewältigen. Kaeser peile daher<br />
keinen Deal um jeden Preis mit den Franzosen<br />
an. Er wolle sich allerdings in fünf<br />
Jahren auch nicht vorwerfen lassen, die<br />
Chance für eine Übernahme des Alstom-<br />
Energiegeschäfts verpasst zu haben.<br />
Die meisten Analysten warnen denn<br />
auch, eine Allianz mit Alstom könnte Kaesers<br />
Anfang Mai vorgelegtes Restrukturierungsprogramm<br />
Vision 2020, mit dem der<br />
Siemens-Chef eine Milliarde Euro einsparen<br />
will, über den Haufen werfen.<br />
Die Gefahr steige, warnen etwa die Analysten<br />
von JP Morgan, dass Großprojekte<br />
scheiterten. Solche Fehlschläge, von denen<br />
es in der Ära von Kaeser-Vorgänger Peter<br />
Löscher viel zu viele gab, will der Siemens-<br />
Chef um jeden Preis vermeiden.<br />
¹ inklusive Wasserkraft; ² gesamte<br />
Division Fossil Power Generation<br />
inklusive Service; ³ inklusive<br />
Turbinen für Atomkraftwerke;<br />
Quelle: Unternehmen<br />
Als der Siemens-Chef im vergangenen<br />
Jahr seinen Posten antrat und sich ausrechnen<br />
ließ, wie viele neue Mitarbeiter in<br />
den zurückliegenden Jahren eingestellt<br />
worden waren, war er geschockt: Ohne<br />
dass der Umsatz gestiegen war, hatte sein<br />
Vorgänger Löscher 2011 und 2012 netto<br />
36 000 neue Jobs geschaffen.<br />
Daher sollen schon ohne einen Zusammenschluss<br />
mit den Franzosen bei Siemens<br />
in den kommenden Jahren bis zu<br />
11 600 Stellen wegfallen. 4000 Arbeitsplätze<br />
werden überflüssig, weil Siemens sich<br />
von seiner Cluster-Struktur verabschiedet,<br />
mit der der Konzern bislang sein globales<br />
Geschäft regional organisiert hat. Weitere<br />
7600 Jobs sind betroffen, weil Kaeser die<br />
Führungsebene der Sektoren inklusive<br />
der zugehörigen Supportfunktionen streichen<br />
will.<br />
Fazit: Das Restrukturierungsprogramm<br />
wäre für Siemens ohne eine Allianz mit<br />
Alstom leichter zu bewältigen. Kaeser<br />
könnte sein Ziel, das Unternehmen zu alter<br />
Stärke zurückzuführen, schneller erreichen,<br />
wenn er sich nicht mit der schwierigen<br />
Integration des Alstom-Geschäfts herumschlagen<br />
müsste.<br />
Was passiert mit der margenschwachen<br />
Zugsparte?<br />
Als Vision klang alles so gut: Siemens<br />
übernimmt von Alstom die Energietechnik,<br />
und im Gegenzug bekommen die<br />
Groß schluckt Klein<br />
Wie stark Siemens und Alstom im Energiesektor sind<br />
Umspanntechnik und Energieübertragung Windenergie Gas- und Dampfturbinen<br />
Umsatz<br />
6,2 Mrd. €<br />
3,8 Mrd. €<br />
Mitarbeiter<br />
Siemens<br />
Alstom<br />
Umsatz<br />
Umsatz<br />
5,2 Mrd. € 10,7 Mrd. €²<br />
1,8 Mrd. €¹ 9,2 Mrd. €³<br />
Mitarbeiter<br />
Mitarbeiter<br />
21 870 19 000 6900 9400 30 290 37 000<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 47<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
Franzosen von den Deutschen die<br />
Zugsparte übertragen. So entstehen zwei<br />
europäische Champions: Der eine mit<br />
Sitz in Paris wird mit seinen ICEs und<br />
TGVs zu einem Global Player beim Geschäft<br />
mit Hochgeschwindigkeitszügen,<br />
der andere aus München ein Schwergewicht<br />
bei der Energietechnik. Siemens<br />
wäre mit dem deutsch-französischen<br />
Deal außerdem ein Sorgenkind los. Denn<br />
das Geschäft mit den Hochgeschwindigkeitszügen<br />
bereitete den Münchnern zuletzt<br />
viel Ärger.<br />
So weit, so schön ausgemalt. Bleibt allerdings<br />
ein großes Aber: Wird aus der Allianz<br />
aus Siemens und Alstom nichts, müssen<br />
die Deutschen ihre Zugsparte selbst in<br />
Ordnung bringen.<br />
Das wird keine leichte Aufgabe. Wegen<br />
technischer Probleme musste Siemens die<br />
Auslieferung von 16 ICE-Zügen an die<br />
Deutsche Bahn immer wieder verschieben.<br />
Schwierigkeiten bereitete vor allem<br />
die Steuerungssoftware der Züge mit einem<br />
Gesamtauftragswert von 530 Millionen<br />
Euro. Die peinlichen Verzögerungen<br />
haben zu Sonderbelastungen im dreistelligen<br />
Millionenbereich geführt.<br />
Softwareexperten bei Siemens hatten<br />
indes schon lange vor den Problemen gewarnt.<br />
Der Zeitplan, den Kaeser-Vorgänger<br />
Löscher den Zugtechnikern vorgegeben<br />
hatte, war viel zu ambitioniert. Ein<br />
professionelleres Projektmanagement ist<br />
denn auch ein wesentlicher Pfeiler von<br />
Kaesers Restrukturierungsprogramm für<br />
den Konzern.<br />
Die Siemens-Arbeitnehmervertreter befürchten<br />
zudem, ein Zusammenschluss<br />
mit Alstom könnte zu beträchtlichen Jobverlusten<br />
in der Zugsparte führen. Betroffen<br />
von Stellenstreichungen wären vor allem<br />
die Produktionsstandorte Krefeld und<br />
Allach in Bayern.<br />
Fazit: Bekommt General Electric am Ende<br />
den Zuschlag für den Alstom-Deal und<br />
bleiben damit die Züge bei Siemens, hat Jochen<br />
Eickholt einiges zu tun. Der Manager<br />
wird künftig die Division Mobility führen,<br />
in der das Zuggeschäft gebündelt ist. Bei<br />
der Marge rangiert die Division im Siemens-internen<br />
Vergleich am unteren Ende.<br />
Als oberste Priorität hat Kaeser seinem<br />
neuen Mobility-Chef daher vor allem ins<br />
Programm geschrieben: „Stringente Projektausführung<br />
des Auftragsbestands sicherstellen.“<br />
Angesichts der vielen Pannen<br />
in der Löscher-Ära eine gewaltige Herausforderung.<br />
n<br />
matthias.kamp@wiwo.de | München<br />
Die Geizmeister<br />
WIZZ AIR | Extremer Magerservice und Niedrigkosten haben<br />
die ungarische Linie zu Osteuropas größtem Billigflieger gemacht.<br />
Jetzt soll der Börsengang folgen.<br />
Als Ryanair-Chef Michael O’Leary Europas<br />
größtem Billigflieger im<br />
Herbst eine Service-Initiative verordnete,<br />
hielt das selbst seine ärgste Konkurrentin<br />
für eine Zeitenwende: „Ohne guten<br />
Kundendienst hat in unserer Branche<br />
keiner Erfolg“, lobte Easyjet-Chefin Carolyn<br />
McCall die Entscheidung, nicht mehr für<br />
jede Kleinigkeit die Hand aufzuhalten.<br />
Das sieht József Váradi anders. Der Chef<br />
und Gründer des ungarischen Billigfliegers<br />
Wizz Air kassiert seit gut einem Jahr nicht<br />
mehr nur für Getränke oder Sitzreservierungen.<br />
Bei Wizz zahlen Kunden bis zu 40<br />
Euro, wenn sie statt einer kleinen Tasche<br />
den üblichen Kabinentrolley mit an Bord<br />
nehmen wollen.<br />
Die Strenge hat dem Erfolg nicht geschadet.<br />
Geizmeister Wizz, der an deutschen<br />
Durchstarten an die Börse Wizz Air greift<br />
die etablierten Billigflieger an<br />
Flughäfen wie Köln, Dortmund, Hahn,<br />
Weeze oder Memmingen pro Jahr fast eine<br />
Million Kunden hat, verzeichnet das größte<br />
Wachstum unter Europas fünf größten Billigfliegern.<br />
Dabei war Wizz Air dank des<br />
dichten Streckennetzes bis nach Dubai<br />
und des Wirtschaftswachstums in Osteuropa<br />
2013 operativ sogar profitabler als die<br />
Wettbewerber.<br />
Nun wagt Váradi den nächsten Schritt.<br />
Noch im Juni will er das 2003 gegründete<br />
Unternehmen in London an die Börse<br />
bringen. Bei einem geschätzten Börsenwert<br />
von gut einer Milliarde Euro erhoffen<br />
sich Váradi und seine Miteigner wie der<br />
US-Fonds Indigo Partners sowie eine Tochter<br />
der genossenschaftlichen DZ Bank aus<br />
Deutschland Einnahmen von 200 Millionen<br />
Euro.<br />
Das Geld kann Wizz gut brauchen. Denn<br />
das bisherige Wachstum hat die Linie finanziell<br />
ausgelaugt. Um weiter zuzulegen,<br />
hat sie 67 weitere Flugzeuge fest bestellt.<br />
„Wizz hat klar zu wenig Kapital, um den<br />
bisherigen Kurs fortzusetzen“, heißt es in<br />
einer Studie der auf die Flugbranche spezialisierten<br />
Beratung Capa aus Sydney.<br />
Mit dem Börsengeld jedoch stünden die<br />
Chancen gut, sagt Analyst Peter Morris<br />
<strong>vom</strong> renommierten Londoner Marktforschungsunternehmen<br />
Ascend Aviation. Er<br />
gründet den Optimismus auf die ungewöhnlichen<br />
Ideen des Managements um<br />
Váradi und seinen Verwaltungsratschef<br />
William Franke.<br />
ORIGINELLE SPARIDEEN<br />
Franke steuerte sein Wissen als Ex-Chef<br />
von Billigfliegern wie Frontier aus den USA<br />
oder Tiger Airways aus Singapur bei, Váradi<br />
brachte seine Erfahrung <strong>vom</strong> amerikanischen<br />
Konsumgüter-Riesen Procter &<br />
Gamble ein – und beide ergänzten das mit<br />
ein paar Extras zum Modell Wizz. „Wizz hat<br />
das Regelbuch für Low Cost um ein paar<br />
originelle Ideen erweitert“, urteilt etwa der<br />
britische Branchendienst Anna.aero.<br />
Um die Kosten zu drücken, nutzt Wizz<br />
nicht nur wie andere Billigflieger auch gern<br />
kleinere Flughäfen mit extrem niedrigen<br />
Gebühren. Die Linie hat auch die niedrigs-<br />
FOTO: PR<br />
48 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Im Windschatten der Großen<br />
Europas selbstständige Billigflieger<br />
Airline Sitz Umsatz (Mrd. €) Operative Rendite* Passagiere Kosten (Cent)** Flotte<br />
Easyjet<br />
Ryanair<br />
Norwegian<br />
Wizz Air<br />
Pegasus<br />
Großbritannien<br />
Irland<br />
Norwegen<br />
Ungarn<br />
Türkei<br />
* Einnahmen vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen zu Umsatz; ** <strong>Ausgabe</strong>n pro angebotenen Passagierkilometer;<br />
Angaben für jüngstes Geschäftsjahr; Quelle: Unternehmen, Capa<br />
ten Verwaltungskosten und den höchsten<br />
Umsatz pro Mitarbeiter. Sie kümmert sich<br />
selbst nur um zentrale Bereiche und verteilt<br />
diese quer durch Europa an den jeweils<br />
günstigsten Standort. So sitzen Finanzabteilung<br />
und Chefetage in der Bankenmetropole<br />
London, der Flugbetrieb in<br />
Ungarn und der einfachere Teil der Verwaltung<br />
in der von den aktuellen Unruhen<br />
kaum berührten westlichen Ukraine.<br />
Das Gros der Arbeit erledigen günstige<br />
Dienstleister aus Osteuropa. Nur die Wartung<br />
übernimmt die relativ teure Lufthansa<br />
5,1 17 % 60 800 000<br />
226<br />
5,0 23 %<br />
1,9 18 %<br />
1,0 24 %<br />
0,9 22 %<br />
81 700 000<br />
20 700 000<br />
13 900 000<br />
17 000 000<br />
303<br />
Technik. „Doch das rechnet sich, weil die<br />
Maschinen weniger Pannen haben und<br />
der Name Lufthansa den Verdacht zerstreut,<br />
Wizz könne an der Sicherheit sparen“,<br />
sagt Váradi.<br />
MEHR KOSTENPFLICHTIGE EXTRAS<br />
Die Einnahmen steigert Wizz durch das im<br />
Vergleich zum Rest der Branche besonders<br />
breite Angebot an kostenpflichtigen Extras.<br />
Neben den üblichen Offerten wie Sitzen<br />
mit mehr Beinfreiheit oder Gebühren für<br />
aufgegebenes Gepäck verkauft die Linie<br />
94<br />
50<br />
51<br />
auch das Recht auf kostenlose Umbuchung<br />
oder Entschädigung bei Verspätungen (jeweils<br />
zehn Euro), schnellere Sicherheitskontrollen<br />
(vier Euro) und einen Rabatt<br />
von zehn Euro pro Flug (für 30 Euro pro<br />
Jahr). Das Modell kommt bei den Kunden<br />
an: Mit gut 25 Euro pro Passagier hat Wizz<br />
derzeit in Europa den höchsten Umsatz abseits<br />
des Ticketverkaufs.<br />
Wizz hilft auch die starke Stellung in Osteuropa.<br />
Weil sie vor allem Flugbegleiter aus<br />
der Region anstellt, ihre Internet-Seite in 19<br />
Sprachen anbietet und 17 Währungen akzeptiert,<br />
ist sie zwischen der Ostsee und<br />
dem Schwarzen Meer in fast jedem Land<br />
eine der beiden größten Fluglinien und<br />
profitiert deshalb <strong>vom</strong> wirtschaftlichen<br />
Aufschwung in der Region.<br />
Somit glauben die Analysten von Ascend<br />
und Capa, dass Wizz den Siegeszug fortsetzt,<br />
selbst wenn Easyjet oder Ryanair aus<br />
Mangel an Wachstumschancen in Westeuropa<br />
verstärkt in den Osten ziehen. „Noch<br />
ein, zwei Jahre, dann sind wir so groß, dass<br />
uns die Großen kaum mehr schlagen können“,<br />
prophezeit ein Wizz-Insider. „Dann<br />
bleibt denen nur noch, uns zu kaufen.“ n<br />
ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Zehn Minuten im Minus<br />
BANKEN | Um zu sparen, lagern die Geldhäuser immer mehr Aufgaben an Billigtöchter aus.<br />
Was sind die Folgen für Mitarbeiter und Kunden?<br />
Banking am Fließband<br />
Mitarbeiter einer Deutschen-Bank-<br />
Tochter wickeln den Zahlungsverkehr ab<br />
Attraktiver kann eine Bankfiliale<br />
kaum gelegen sein: Die Stammbelegschaft<br />
der Berliner Volksbank genießt<br />
nahe der Shoppingmeile am Kurfürstendamm<br />
den Blick auf das Raubtiergehege<br />
im Tiergarten gegenüber. Weniger idyllisch<br />
residieren ihre 330 Ex-Kollegen in einer<br />
Servicegesellschaft, die seit rund vier<br />
Jahren in einem schäbigen Bürocenter am<br />
Flughafen Tegel Sicherheiten für die in den<br />
Filialen vergebenen Kredite erfassen oder<br />
Grundbucheinträge veranlassen.<br />
Die Auslagerung von Aufgaben und Jobs<br />
in der Finanzbranche nimmt zu, weil der<br />
Kostendruck durch das immer niedrigere<br />
Zinsniveau und die strengere Regulierung<br />
steigt. „Banken reagieren mit Personalabbau,<br />
bei dem Stellen gestrichen oder in<br />
Servicegesellschaften ausgelagert werden“,<br />
sagt Reinhard Messenböck, Partner und<br />
Experte für Retailbanking bei der Beratung<br />
Boston Consulting Group (BCG) in Berlin.<br />
„Die Finanzinstitute setzen angesichts<br />
sinkender Erträge im Privatkundengeschäft<br />
stärker auf Industrialisierung“, beobachtet<br />
Jürgen Moormann, Professor an der<br />
Frankfurt School of Finance. Bankeigene<br />
Servicetöchter oder Fremdanbieter halten<br />
Zahlungsverkehr, Wertpapiergeschäft oder<br />
Kreditabwicklung laut Moormann viel<br />
günstiger am Laufen: nicht nur wegen der<br />
niedrigeren Löhne, sondern weil sie sich<br />
aufs Massengeschäft spezialisiert haben.<br />
Wie viel deutsche Banken insgesamt<br />
auslagern, ist nicht mit Zahlen belegt. Der<br />
Trend lässt sich aber deutlich ablesen:<br />
n So streicht die Commerzbank 5200 Stellen<br />
bis 2016, während ihre Servicetöchter<br />
zusätzliche Tätigkeiten übernehmen und<br />
ihre niedriger entlohnten Belegschaften<br />
aufstocken (siehe Interview Seite 54).<br />
n Die Deutsche Bank hat im April 10 000<br />
Servicemitarbeiter aus den eigenen Reihen<br />
und der übernommenen Postbank in einer<br />
Dienstleistungsgesellschaft gebündelt, um<br />
dank einheitlicher Standards und geringerer<br />
Personalkosten jährlich 770 Millionen<br />
Euro zu sparen. Der Kündigungsschutz gilt<br />
nur bis Ende <strong>2014</strong>.<br />
n Die HypoVereinsbank hat im Sommer<br />
2013 ihre Rechenzentren mit rund 300 Mitarbeitern<br />
in ein Gemeinschaftsunternehmen<br />
mit dem IT-Riesen IBM ausgelagert.<br />
Der Schritt ist Teil eines groß angelegten<br />
Verlagerungsprojekts der italienischen<br />
HVB-Mutter UniCredit, die von der IBM-<br />
Expertise profitieren will. Sie spart aber<br />
auch Geld, weil Aufgaben künftig teilweise<br />
an billigeren Standorten in der Slowakei<br />
oder Tschechien erledigt werden.<br />
Internationale Wettbewerber machen<br />
den deutschen Banken vor, wie weit sich<br />
das treiben lässt: Nach einer Untersuchung<br />
der Daten von zehn global agierenden<br />
Banken durch die US-Beratung McLagan<br />
haben diese im Durchschnitt fast 40 Prozent<br />
ihrer Belegschaften an Standorte mit<br />
besonders niedrigen Löhnen ausgelagert.<br />
Doch welche Folgen hat das Verschieben<br />
für Banken, Mitarbeiter und Kunden?<br />
Die Kreditinstitute sparen dank dieser<br />
Maßnahmen nicht nur Geld. Sie können<br />
dem Personal in den Servicetöchtern zudem<br />
leichter kündigen und flexiblere Arbeitszeiten<br />
vereinbaren. Durch die Spaltung<br />
der Belegschaft in zwei Klassen erhö-<br />
FOTO: LAIF/FRANZ BISCHOF<br />
52 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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hen die Arbeitgeber zudem den Druck auf<br />
die Stammbeschäftigten, um diese bei den<br />
im Mai gestarteten Tarifverhandlungen zu<br />
Zugeständnissen zu bewegen – etwa den<br />
Samstag als Normalarbeitstag einzuführen.<br />
„Die Drohung weiterer Tarifflucht<br />
schwingt immer mit“, sagt Mark Roach,<br />
Banken-Experte bei der Dienstleistungsgewerkschaft<br />
Verdi.<br />
Die Servicetochter der Berliner Volksbank<br />
etwa bezahlt Altbeschäftigte weiter<br />
nach Tarif. Aber für Neuankömmlinge werden<br />
meist schlechtere Konditionen mit weniger<br />
Gehalt und Urlaub vereinbart. Zudem<br />
sind betriebsbedingte Kündigungen<br />
laut Arbeitnehmervertretern nun einfacher,<br />
denn die Mutterbank muss dafür nur<br />
den Umfang der Aufträge reduzieren.<br />
AUF EFFIZIENZ GETRIMMT<br />
Wie sich der steigende Druck auf die Mitarbeiter<br />
äußert, lässt sich bei einer der größten<br />
Finanzfabriken des Landes beobachten.<br />
Diese trägt den schmucklosen Namen<br />
BCB Betriebs-Center für Banken und sitzt<br />
in einem ebenso schmucklosen Bürokomplex<br />
hinter dem Frankfurter Hauptfriedhof.<br />
2004 von der Postbank ausgegründet, gehört<br />
die Servicetochter nach der Übernahme<br />
der Postbank durch die Deutsche Bank<br />
2010 nun zum Branchenprimus. Die<br />
deutschlandweit 2200 BCB-Mitarbeiter<br />
halten den Zahlungsverkehr für Deutsche<br />
Bank und Postbank am Laufen, aber auch<br />
für die Konkurrenten HypoVereinsbank<br />
und HSH Nordbank.<br />
Die BCBler checken jeden Morgen an<br />
der Stechuhr ein, und die macht einen kleinen,<br />
aber feinen Unterschied, der zeigt, wie<br />
der Ablauf in den Servicetöchtern auf Effizienz<br />
getrimmt wird. Den Mitarbeitern<br />
knappst der Arbeitgeber seit 2011 täglich<br />
zehn Minuten der erfassten Zeit ab, weil er<br />
den Weg zwischen den Stempelstellen an<br />
den Eingängen und in der Tiefgarage nicht<br />
mehr als Arbeitszeit anerkennt. Gewerkschaft<br />
und Arbeitnehmer müssen die Kröte<br />
schlucken, weil sonst längere Arbeitszeiten<br />
und Urlaubsabzug drohen.<br />
Noch feiern die Gewerkschaften den<br />
Schritt als Kompromiss, weil die Deutsche<br />
Bank bis Ende des Jahres auf betriebsbedingte<br />
Kündigungen verzichtet und bis Ende<br />
2016 Standortgarantien ausgesprochen<br />
hat. Doch der Weg in die Zwei-Klassen-Gesellschaft<br />
für die Belegschaft ist beschritten,<br />
denn den gewünschten Spareffekt erreichen<br />
die Banken nicht allein mit Nadelstichen<br />
wie der Zehn-Minuten-Minusbuchung,<br />
sondern auch durch die Übertragung<br />
des Fließbandprinzips aus der Industrieproduktion<br />
auf den Finanzsektor.<br />
„In den Servicefabriken zerhacken die<br />
Banken die Aufgaben in so kleine Teile,<br />
dass sie immer weniger Qualifikation und<br />
Verantwortung erfordern“, sagt Verdi-<br />
Mann Roach. Die Beschäftigten lassen sich<br />
mit dieser Methode auf niedrigeren Gehaltsstufen<br />
eingruppieren.<br />
Frei <strong>vom</strong> Bankentarif sind die Servicetöchter<br />
der Commerzbank, die sich in<br />
strukturschwachen Regionen wie dem<br />
Ruhrgebiet oder in Ostdeutschland angesiedelt<br />
haben. Mit vielen der dortigen Mitarbeiter<br />
sind flexible Arbeitsverträge vereinbart,<br />
bei denen die Regelzeit von 35<br />
Stunden je Woche um sieben Stunden<br />
über- oder unterschritten werden kann – je<br />
nach Arbeitsanfall.<br />
Die Kunden profitieren <strong>vom</strong> Auslagern<br />
durch besseren Service. So sind Hotlines<br />
wegen flexiblerer Arbeitszeiten rund um<br />
die Uhr erreichbar. Und Anfragen über soziale<br />
Netzwerke an die lokale Bank wie »<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
INTERVIEW Frank Annuscheit<br />
»Niedrigeres Lohnniveau«<br />
Der Commerzbank-Personalvorstand baut Stellen ab und verlagert<br />
Aufgaben in billigere Servicetöchter.<br />
DER HAUSMEISTER<br />
Annuscheit, 51, steuert seit<br />
Ende 20<strong>06</strong> als Chief Operating<br />
Officer die internen Prozesse<br />
der Commerzbank. 2008<br />
zog er in den Vorstand ein, wo<br />
er die IT verantwortet und<br />
seit Jahresanfang auch das<br />
Personalressort.<br />
Herr Annuscheit, Sie<br />
sind seit Januar neuer<br />
Personalvorstand und<br />
müssen gleich Tausende<br />
Jobs streichen. Wie weit<br />
sind Sie?<br />
Es läuft schneller als gedacht.<br />
Ein gutes Drittel<br />
der 5200 abzubauenden<br />
Stellen haben wir bereits<br />
geschafft und ein weiterer<br />
Abbau ist schon vertraglich<br />
fixiert. Deshalb<br />
bin ich optimistisch,<br />
dass wir das wie geplant<br />
bis 2016 schaffen.<br />
Wird der „Bankbeamte“<br />
mit seinem sicheren und<br />
gut bezahlten Job zum<br />
Auslaufmodell?<br />
Den gibt es schon lange<br />
nicht mehr. Internet,<br />
neue Medien, aber auch<br />
die neuen Aufsichtsregeln<br />
erfordern andere Fähigkeiten von<br />
unseren Mitarbeitern. Zudem ist das Gehaltsniveau<br />
in der Branche immer noch<br />
zu stark von den guten Zeiten des Bankgewerbes<br />
geprägt.<br />
Wer erledigt jetzt die Aufgaben der<br />
ausscheidenden Mitarbeiter?<br />
An vielen Stellen sorgen automatische<br />
Prozesse dafür, dass vorher manuelle Tätigkeiten<br />
wegfallen. Darüber hinaus betreiben<br />
wir schon länger spezialisierte<br />
Servicetöchter, in die zunehmend Aufgaben<br />
verlagert werden. Diese Bereiche<br />
wickeln immer mehr Geschäft ab, auch<br />
die Zahl der dort Beschäftigten steigt.<br />
Mittlerweile arbeiten dort mehr als 2000<br />
Personen, und noch im laufenden Jahr<br />
planen wir einen weiteren Ausbau um<br />
circa 300 neue Mitarbeiter.<br />
Was tun die Servicetöchter genau?<br />
Zunächst wurden dort vorwiegend standardisierte<br />
Tätigkeiten wie Zahlungsverkehr<br />
oder einfache Kontoführung bearbeitet.<br />
Die Servicetöchter übernehmen<br />
nun aber immer höherwertige Aufgaben<br />
wie Softwaretests, Teile der Wertpapierabwicklung<br />
oder der<br />
Kreditsachbearbeitung.<br />
Warum wächst die<br />
Bedeutung der Servicegesellschaften?<br />
Die konzerneigenen<br />
Töchter ermöglichen es,<br />
unsere Dienstleistungen<br />
kostengünstiger zu erbringen.<br />
Unser Konzept<br />
ist dem Auslagern an externe<br />
Dienstleister in<br />
vielen Punkten überlegen.<br />
Wir müssen uns so<br />
die Kostenersparnis mit<br />
keinem Fremdanbieter<br />
teilen und behalten<br />
zudem die Kontrolle.<br />
Letzteres wird immer<br />
wichtiger, weil die Bankenaufsicht<br />
auch auf<br />
diesem Feld ihre Anforderungen<br />
verschärft.<br />
Was zahlen Sie den Leuten<br />
der internen Servicegesellschaften?<br />
Die Standorte liegen meist in Regionen,<br />
die ein niedrigeres Lohnniveau haben<br />
als unser Hauptsitz in Frankfurt, also etwa<br />
im Osten Deutschlands oder in Polen.<br />
Aus Sicht der dortigen Bevölkerung<br />
sind die Servicegesellschaften attraktive<br />
Arbeitgeber. Es gibt dort aber zunehmend<br />
auch sehr gut bezahlte Stellen,<br />
abhängig von Ausbildung und Einsatzgebiet.<br />
So schaffen wir in strukturschwachen<br />
Regionen begehrte Arbeitsplätze,<br />
die durch ihren Effizienzgewinn auch<br />
die Jobs in der Konzernmutter sichern.<br />
Keine Angst, dass die Servicebelegschaften<br />
in die Gewerkschaft eintreten<br />
und in den Bankentarifvertrag drängen?<br />
Natürlich steht es den Mitarbeitern dort<br />
frei, sich zu organisieren und tarifrechtlich<br />
vertreten zu lassen. Wir müssen aber<br />
an allen Stellen Kosten sparen, dazu<br />
zwingt uns das schwierige Marktumfeld<br />
etwa durch niedrige Zinsen sowie die<br />
steigenden Kosten für strengere Regulierungsauflagen.<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
»<br />
in der Sparkassen-Gruppe können<br />
schneller von einer extra dafür zuständigen<br />
Tochter beantwortet werden. Kostenlose<br />
Girokonten, wie sie etwa die Commerzbank<br />
anbietet, rechnen sich nur,<br />
wenn die Maschinenräume im Hintergrund<br />
effizient laufen. Und das tun sie am<br />
billigsten bei den Servicetöchtern oder<br />
Spezialanbietern etwa für Wertpapierdienste.<br />
Der Finanzaufsicht BaFin in Bonn ist der<br />
Trend zum verstärkten Zentralisieren und<br />
Auslagern nicht verborgen geblieben.<br />
Denn Banken lagern nicht nur konzernintern<br />
Dienstleistungen aus, sondern vergeben<br />
auch zuvor selbst erledigte Aufgaben<br />
an Fremdfirmen. Was die Aufseher sorgt:<br />
Von deren potenziellem Ausfall wäre dann<br />
gleich ein Großteil der Branche betroffen.<br />
Als HypoVereinsbank und HSH Nordbank<br />
ihre Maschinenräume an die damalige<br />
Postbank-Tochter BCB auslagerten,<br />
ahnten sie nicht, dass diese später übernommen<br />
würde. Jetzt hängen die Münchner<br />
und die Landesbanker aus dem Norden<br />
von dem großen Konkurrenten Deutsche<br />
Bank ab.<br />
TEURE SCHNITTSTELLEN<br />
Die Auslagerung an Fremdfirmen hat noch<br />
andere Nachteile. So müssen sich HSH und<br />
HVB den Preisvorteil der Auslagerung mit<br />
der Deutschen Bank teilen und Umsatzsteuer<br />
zahlen, die sie als Bank nicht <strong>vom</strong><br />
Finanzamt erstattet bekommen. Hinzu<br />
kommt:„Die Banken geben damit Kontrolle<br />
auf und müssen gleichzeitig teure<br />
Schnittstellen für die IT einrichten“, sagt<br />
BCG-Berater Messenböck. Diese Kosten<br />
verringern die Ersparnis beträchtlich.<br />
Die Commerzbank hat daher nach der<br />
Übernahme der Dresdner Bank 2008 ihren<br />
Wertpapierservice von der großen Frankfurter<br />
Dienstleisterin dwp Bank zurückgeholt.<br />
Sie spart daher verstärkt im eigenen<br />
Haus, wobei die Löhne nicht die einzige,<br />
aber eine wichtige Stellschraube sind.<br />
Einige Mitarbeiter in den Servicetöchtern<br />
der Commerzbank verdienten mit<br />
7,50 Stundenlohn und Teilzeitverträgen<br />
anfangs so schlecht, dass sie ihre Löhne<br />
mit Zuschüssen der Arbeitsagentur aufstocken<br />
mussten. Erst als die Arbeitnehmerseite<br />
dies im Aufsichtsrat der Commerzbank<br />
zur Sprache brachte, führte diese im<br />
Frühjahr 2013 eine Lohnuntergrenze von<br />
8,49 Euro je Stunde ein. Der jetzt so gut wie<br />
beschlossene gesetzliche Mindestlohn<br />
liegt nur einen Cent darüber.<br />
n<br />
mark.fehr@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTO: PR<br />
54 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Die Licht-Gestalt<br />
SERIE DIE TURNAROUNDER (I) | Osram Vom Glühbirnenhersteller zum High-Tech-Konzern:<br />
Vorstandschef Wolfgang Dehen hat den einstigen Verlustbringer in die Gewinnzone<br />
gebracht. Wie führt er das Traditionsunternehmen ins digitale Zeitalter?<br />
FOTO: PATRICK WACK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Osrams Zukunft beginnt in einem<br />
Gewerbegebiet neben<br />
der A 3 am Stadtrand von Regensburg.<br />
In langen, hell getünchten<br />
Hallen wachen rund<br />
1000 Mitarbeiter über die Halbleiterproduktion.<br />
In kleinen Labors nebenan tüfteln<br />
Entwickler an ultraflachen und biegsamen<br />
Leuchten, die bald auf den Hecks von<br />
BMW, Audi und Mercedes kleben sollen.<br />
Ingenieure führen Kunden neue Anwendungen<br />
vor, etwa einen ins Smartphone integrierten<br />
Beamer, mit dem der Nutzer<br />
spontan eine Präsentation an die Wand<br />
werfen kann.<br />
Der größte der weltweit mehr als 30 Osram-Standorte<br />
befindet sich im Niederbayrischen<br />
und will so gar nicht zum angestaubten<br />
Image des traditionsreichen<br />
Glühbirnenherstellers passen. In der Kantine<br />
wird an vielen Tischen Englisch gesprochen.<br />
Chinesen, Koreaner, Amerikaner und<br />
Deutsche diskutieren bei Salat und Steaks<br />
über die Vorteile von Sechs-Zoll- gegenüber<br />
Vier-Zoll-Wafern. Vor den Glasfronten<br />
erstrecken sich großzügige Grünanlagen –<br />
das Gelände in Regensburg könnte auch<br />
ein Campus im Silicon Valley sein.<br />
Der Mann, der dafür sorgen soll, dass es<br />
künftig überall in der weitverzweigten Osram-Welt<br />
so aussieht, sitzt in einem<br />
schlichten Büro über den Fabrikhallen.<br />
Wolfgang Dehen ist seit gut drei Jahren Vorstandsvorsitzender<br />
bei Osram. Der 60-jährige<br />
Westfale hat dem Konzern einen harten<br />
Sanierungskurs verordnet und ihn<br />
nach vielen verlustreichen Jahren schließlich<br />
zurück in die Gewinnzone geführt. Im<br />
Juli 2013 hat Dehen mitgeholfen, das Unternehmen<br />
<strong>vom</strong> Mutterkonzern Siemens<br />
abzuspalten und erfolgreich an die Bör-<br />
DIE TURNAROUNDER<br />
Neue Serie:<br />
Die WirtschaftsWoche analysiert<br />
in loser Folge, wie die<br />
Chefs von Krisenunternehmen<br />
die Wende geschafft haben.<br />
»<br />
Aufrechte Haltung<br />
Osram-Chef Dehen<br />
gilt als knallharter<br />
und rücksichtsloser<br />
Sanierer<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 55<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
se zu bringen. In dieser Woche schließlich<br />
hat er sich im Kampf um den künftigen<br />
Kurs und das Tempo des Umbaus gegen<br />
seinen 15 Jahre jüngeren Technikvorstand<br />
Peter Laier durchgesetzt. Der wird nun seinen<br />
Posten räumen.<br />
Osram ist ein Vorzeigebeispiel dafür, wie<br />
man ein krisengeschütteltes Unternehmen<br />
auf Vordermann bringen kann. Die WirtschaftsWoche<br />
startet in dieser <strong>Ausgabe</strong> eine<br />
Serie, in der sie in loser Folge über Turnarounds<br />
berichten wird. Mit welchen Instrumenten<br />
haben die Chefs die Wende geschafft?<br />
Wie haben sie Widerstände überwunden?<br />
Wie sichern sie das Erreichte ab<br />
und treiben das Unternehmen voran?<br />
Bei Osram trug ein ganzes Bündel von<br />
Maßnahmen zum Erfolg bei:<br />
n Konsequent hat der Osram-Chef das<br />
margenstarke Geschäft mit Spezialbeleuchtung<br />
und Lichtquellen für die Autoindustrie<br />
ausgebaut. Hier gilt Osram inzwischen<br />
weltweit als Platzhirsch.<br />
n An allen Standorten hat Dehen die Produktion<br />
auf Effizienz getrimmt. Beim Materialeinkauf<br />
tut sich Osram jetzt mit anderen<br />
Abnehmern zusammen, um bei den<br />
Lieferanten günstigere Preise zu erzielen.<br />
n Der Osram-Chef investiert große Summen<br />
in Zukunftstechnik wie halbleiterbasierte<br />
Leuchtmittel. Hier hat er die Forschungsaktivitäten<br />
massiv hochgefahren.<br />
n Dehen hat die Organisation kräftig verschlankt<br />
und flexibler gemacht, indem er<br />
den Großteil der alten Führungsmannschaft<br />
entlassen hat. Die Bürokratie aus<br />
Siemens-Zeiten ist Vergangenheit.<br />
n Massive Einsparungen konnte der Osram-CEO<br />
erzielen, indem er beim traditionellen<br />
Geschäft, etwa mit Leuchtstoffröhren,<br />
Kapazitäten abgebaut hat.<br />
n Dehen investiert in den Boomstaaten<br />
Asiens, wo Urbanisierung und rasch zunehmender<br />
Wohlstand zu zweistelligen<br />
Wachstumsraten beim Geschäft mit<br />
Leuchtmitteln führen. Soeben hat Osram<br />
eine Fabrik in Wuxi bei Shanghai eröffnet,<br />
die LED-Leuchten für den chinesischen<br />
Markt herstellt. Das Werk kostete einen<br />
dreistelligen Millionenbetrag.<br />
Trotzdem ist der Osram-Chef noch nicht<br />
am Ziel angekommen. Im aktuellen Geschäftsjahr<br />
(zum 30.9.) wird der Umsatz<br />
nur stagnieren, statt wie geplant um drei<br />
Prozent zu wachsen, gab das Unternehmen<br />
in der vergangenen Woche bekannt.<br />
Der Umbruch, in den der rasante Wandel<br />
in der Lichtindustrie den Münchner<br />
Konzern gestürzt hat, ist tiefer greifend, als<br />
auch Sanierer Dehen zunächst geglaubt<br />
hat. Der kantige Manager aus Solingen<br />
muss noch stärker aufs Gas treten.<br />
Das zeigt auch der Börsenkurs des<br />
MDax-Unternehmens. In den vergangenen<br />
drei Monaten hat das Papier, das vor<br />
einem Jahr mit knapp 24 Euro in den Handel<br />
kam und bis auf 50 Euro kletterte, ein<br />
Drittel seines Werts verloren. Mittelfristig,<br />
da ist sich Dehen allerdings sicher, sind die<br />
Chancen größer als die Risiken. „Wir haben<br />
auf einmal ein digitales Produkt“, sagt<br />
er und deutet auf die kleinen Leuchtdioden<br />
in der Deckenlampe über ihm.<br />
Dadurch, dass traditionelle Leuchtmittel<br />
wie die Energiesparlampe – die alte Glühlampe<br />
mit dem Faden aus Wolfram sowieso<br />
– nach und nach durch Leuchtmittel auf<br />
der Basis von Halbleitern ersetzt würden,<br />
eröffneten sich Möglichkeiten, von denen<br />
heute noch niemand etwas ahne, so Dehen:<br />
„LED-basierte Produkte und Lösungen<br />
könnten in speziellen Anwendungen<br />
zum Beispiel einem Jetlag vorbeugen, ein<br />
Feuer melden oder einen Alarm auslösen.“<br />
Die rasanten Umwälzungen in der Lichtindustrie<br />
vergleicht der Osram-Chef mit<br />
Digitale Lampen<br />
Die Leuchtmittelindustrie steht vor<br />
gewaltigen Umwälzungen.<br />
Kaum einen Haushalt<br />
gab es in<br />
Deutschland, in<br />
dessen Wohnzimmer-<br />
oder Küchenlampe<br />
nicht die<br />
gute alte Osram-<br />
Glühlampe mit<br />
Wolframfaden<br />
steckte. Die Zeiten sind vorbei. Das<br />
Licht kommt künftig aus Leuchtdioden.<br />
Die neuen LED-Leuchtmittel sind äußerst<br />
energiesparend und halten lange.<br />
Die Experten der Unternehmensberatung<br />
McKinsey prognostizieren, dass<br />
der LED-Anteil am Beleuchtungsmarkt<br />
2016 weltweit auf<br />
rund 45 Prozent<br />
steigt, bis 2020 sogar<br />
auf 70 Prozent.<br />
Bis dahin dürfte der<br />
Umsatz von heute<br />
11 Milliarden auf<br />
etwa 70 Milliarden<br />
Euro steigen.<br />
der digitalen Revolution in der Medienwelt<br />
oder in den Fabriken, wo unter dem<br />
Schlagwort Industrie 4.0 Fertigungsprozesse<br />
vollständig automatisiert werden.<br />
Dehen will das Unternehmen, das vor<br />
fast 100 Jahren in Berlin als einfacher<br />
Glühlampenhersteller begann, nun noch<br />
schneller ins digitale Zeitalter führen.<br />
Im März 19<strong>06</strong> meldet die Deutsche Gasglühlicht-Anstalt<br />
das Warenzeichen Osram<br />
für die Produkte „Elektrische Glüh- und<br />
Bogenlichtlampen“ beim Kaiserlichen Patentamt<br />
in Berlin an. Der Name ist eine<br />
Schöpfung aus den Bezeichnungen für die<br />
Elemente Osmium und Wolfram.<br />
MEHR ALS 100 JAHRE TRADITION<br />
Um die Kräfte zu bündeln und im Wettbewerb<br />
gegen GE und Philips bestehen zu<br />
können, schließen sich 1920 die drei deutschen<br />
Glühlampenhersteller zusammen:<br />
AEG, Siemens und die Deutsche Gasglühlicht,<br />
die das Glühlampen-Geschäft 1919 in<br />
die neu gegründete Osram GmbH ausgelagert<br />
hat. Sitz wird Berlin.<br />
Das Geschäft mit den Glühbirnen floriert.<br />
Schon in den Dreißigerjahren ist Osram<br />
einer der größten Hersteller der Welt,<br />
mit Niederlassungen unter anderem in<br />
Shanghai und Rio de Janeiro. In Deutschland<br />
kommt Osram auf einen Marktanteil<br />
von 70 Prozent. Kaum ein Haushalt im<br />
Nachkriegsdeutschland, in dessen Wohnzimmerlampen<br />
keine Osram-Birnen stecken.<br />
„Hell wie der lichte Tag“: So wirbt das<br />
Unternehmen seit Jahrzehnten an den historischen<br />
Geschäfts- und Bürogebäuden<br />
am Münchner Karlsplatz.<br />
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verlegt<br />
Osram den Sitz nach München. Die<br />
Leuchtstoffröhre kommt, die Halogenlampe,<br />
später die Energiesparlampe. Osram<br />
investiert, expandiert und mischt in allen<br />
Segmenten kräftig mit. So wird das Unternehmen<br />
zum Beispiel zu einem der wichtigsten<br />
Leuchtenlieferanten der Autoindustrie.<br />
1978 schließlich übernimmt Siemens<br />
Osram komplett. Gut 35 000 Mitarbeiter<br />
erwirtschaften zuletzt einen Umsatz<br />
von fast 5,3 Milliarden Euro.<br />
Doch der Vormarsch der LED-Leuchten<br />
beschert dem Konzern unruhige Zeiten,<br />
wie er sie in seiner langen Geschichte noch<br />
nicht erlebt hat. Denn das Geschäft mit traditionellen<br />
Leuchtmitteln – also Leuchtstoffröhren,<br />
aber auch Energiesparlampen<br />
– schrumpft, und das viel schneller, als<br />
auch Konzernchef Dehen erwartet hat.<br />
Einer, der den Schrumpfkurs in dem Geschäft<br />
verwalten muss, ist Willi Sattler. An<br />
FOTOS: AKG IMAGES, PR, ANDREAS POHLMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ROBERT BREMBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
56 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
einem sonnigen Vormittag sitzt der Betriebsratschef<br />
des Osram-Werks in Augsburg<br />
in seinem Büro gleich hinter dem Fabriktor.<br />
Der Blick geht auf ein Stehcafé mit<br />
frühstückenden Rentnern auf der anderen<br />
Straßenseite. Gleich hinter Sattler beginnen<br />
die grauen Werkshallen mit den orangefarbenen<br />
Osram-Schriftzügen. Die Stimmung<br />
an den Fließbändern ist schlecht.<br />
„Bis jetzt haben wir die Jobkürzungen<br />
hier ohne betriebsbedingte Kündigungen<br />
hinbekommen“, sagt Sattler. Denn noch gilt<br />
für den Stellenabbau in Augsburg der großzügige<br />
Sozialplan der einstigen Mutter Siemens.<br />
Doch die Unsicherheit ist groß. „Wie<br />
viele Arbeitsplätze fallen hier noch weg?“,<br />
fragt Sattler besorgt. Vor sieben Jahren haben<br />
bei Osram in Augsburg noch 2000<br />
Menschen gearbeitet; heute sind es 1300.<br />
„Und weitere 300 Stellenstreichungen sind<br />
geplant“, rechnet Betriebsrat Sattler vor.<br />
MASSIVES SPARPROGRAMM<br />
Das Werk in Augsburg verkörpert den Abstieg<br />
einer alten, nicht mehr konkurrenzfähigen<br />
Industrie. In der 1922 eröffneten Fabrik<br />
erfanden Osram-Tüftler einst die Energiesparlampe.<br />
Hier wurden Blitzwürfel gebaut,<br />
die auf den einfachen Fotoapparaten<br />
der Siebzigerjahre saßen. Heute produziert<br />
Osram in Augsburg hauptsächlich Leuchtstoffröhren<br />
und das Glas dafür. Doch die<br />
Nachfrage schrumpft. Jährlich 200 Millionen<br />
Leuchten wurden in Augsburg vor sieben<br />
Jahren gefertigt. Heute sind es noch<br />
135 Millionen, Tendenz fallend.<br />
Sattler weiß um die großen Chancen, die<br />
die Umstellung in der Beleuchtung auf<br />
energiesparende LEDs bietet. „Da stehen<br />
wir in der Entwicklung erst ganz am Anfang“,<br />
sagt der Betriebsrat und verweist auf<br />
mögliche Verwendungen in Smartphones.<br />
Doch für Augsburg hat die neue Entwicklung<br />
bislang nichts gebracht. „Natürlich<br />
würden wir hier auch gerne LED-Leuchten<br />
bauen“, sagt Sattler. Doch dafür gibt es bei<br />
Osram bisher keine Pläne.<br />
Dehen ist im Moment vor allem damit<br />
beschäftigt, Osram weiter auf Effizienz zu<br />
trimmen. Hinter dem griffigen Titel „Push“<br />
verbirgt sich ein Programm, mit dem er bis<br />
Ende des Jahres 1,2 Milliarden Euro einsparen<br />
will. 8700 Arbeitsplätze, davon 1450<br />
in Deutschland, fallen weg. 11 von weltweit<br />
44 Standorten will Dehen schließen.<br />
Der Osram-Chef legt großen Wert auf<br />
Begrifflichkeiten. „Push“ sei kein bloßes<br />
Restrukturierungsprogramm, bei dem nur<br />
gespart und gekürzt werde, betont er, sondern<br />
ein Verbesserungsprogramm:„Damit<br />
vollziehen wir den Wandel in der Lichtindustrie<br />
von analog zu digital nach.“<br />
Die Anstrengungen zahlen sich aus. Erstmals<br />
nach mehreren verlustreichen Jahren<br />
hat Osram im Ende September 2013 abgelaufenen<br />
Geschäftsjahr wieder einen kleinen<br />
Gewinn erwirtschaftet. Und zwischen<br />
Oktober 2013 und März <strong>2014</strong> verdoppelte<br />
sich die Umsatzrendite (Ebita) im Vergleich<br />
zum Vorjahr auf acht Prozent. Dies<br />
ist auch die Zielvorgabe für das aktuelle<br />
Geschäftsjahr.<br />
Das Problem: Weil das Geschäft mit den<br />
klassischen Leuchtmitteln schneller<br />
schrumpft als erwartet, sank der Umsatz<br />
zwischen Oktober und März um drei Prozent<br />
auf 2,6 Milliarden Euro. Dehen kündigte<br />
Ende April an, man werde das Geschäft<br />
Ausgebrannt Osram-Technikvorstand Laier<br />
wollte das hohe Tempo seines Chefs bei der<br />
Sanierung nicht mitgehen<br />
Saubere Leistung Reinraum im Osram-<br />
Halbleiterwerk im bayrischen Regensburg<br />
mit konventionellen und halbleiterbasierten<br />
Leuchten organisatorisch voneinander<br />
trennen. Bei Letzteren verbucht Osram derzeit<br />
Zuwächse von fast 50 Prozent.<br />
FEINDE IM KONZERN<br />
Dem Kapitalmarkt gefällt Dehens konsequentes<br />
Vorgehen. Im aktuellen Quartal<br />
werde Osram kräftig wachsen, meinen etwa<br />
die Analysten von Warburg Research.<br />
Dank des weitreichenden Umstrukturierungsprogramms<br />
habe Osram gute Chancen,<br />
die angepeilten Margen zu erreichen.<br />
Mit seinem forschen Vorgehen macht<br />
Dehen sich im Unternehmen auch Feinde.<br />
Nicht wenige sind über die rabiaten Methoden<br />
bei der Sanierung ihres Unternehmens<br />
entsetzt. Weltweit habe er mehr als<br />
zwei Drittel der Führungsmannschaft mit<br />
teils „sehr unschönen Methoden“ entfernt,<br />
sagt ein Mitglied des Aufsichtsrats. Der studierte<br />
Betriebswirt gilt manchen als skrupellos,<br />
eiskalt, als knallharter Sanierer.<br />
Dehen fechten solche Vorwürfe nicht an.<br />
„Ich versuche, ein konsequenter und konsistenter<br />
Mensch zu sein“, sagt er und nuschelt<br />
dabei ein wenig, die Beine weit von<br />
sich gestreckt. Natürlich sei es für einen<br />
Manager manchmal leichter Ja als Nein zu<br />
sagen. „Ich gehe aber nicht den leichten<br />
Weg“, sagt Dehen.<br />
Vielleicht braucht ein Unternehmen in<br />
einer Branche, die einem so raschen Wandel<br />
ausgesetzt ist, einen wie Dehen. Und<br />
der oft ein wenig spröde und unzugänglich<br />
wirkende Manager holzt ja nicht nur, sondern<br />
investiert auch und schafft neue Jobs.<br />
Eichstätt ist ein Städtchen im Altmühltal<br />
in Bayern. Sträßchen mit Kopfsteinpflas-<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 57<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
»<br />
ter durchziehen den Ortskern. Rund um<br />
den Marktplatz gruppieren sich hell verputzte<br />
Häuser. Wenige Meter weiter beginnen<br />
die grünen Hügel oberhalb des Flusses.<br />
Kaum 12 000 Menschen wohnen in<br />
Eichstätt, und wer nicht in der Landwirtschaft<br />
oder einem der Geschäfte im Dorf<br />
arbeitet, der ist bei Osram beschäftigt.<br />
Bislang fertigen die 700 Mitarbeiter vor<br />
allem Halogenlampen für die Autoindustrie,<br />
außerdem Spezialleuchten, etwa für<br />
Beamer oder Filmvorführgeräte in Kinos,<br />
mit denen Osram besonders hohe Margen<br />
erzielt. Doch das wird bald nicht mehr<br />
alles sein.<br />
PREISVERFALL BEI LEDS<br />
Zurzeit legen Arbeiter letzte Hand an eine<br />
neue Fertigungsstraße. Von diesem Sommer<br />
an werden rund 60 Osram-Mitarbeiter<br />
LED-Leuchten für den Privathaushalt fertigen.<br />
Die Technik: Strom wird in einen winzigen<br />
Halbleiterkristall geleitet und erzeugt<br />
dort einen Lichtblitz.<br />
Etwa zehn Euro dürfte die LED-Lampe<br />
in klassischer Birnenform mit einer Leistung<br />
von 40 Watt, die Osram europaweit<br />
anbieten will, im Baumarkt kosten. Viel<br />
Geld, doch vor wenigen Jahren musste der<br />
Kunde dafür noch 70 Euro zahlen. Das<br />
neue Osram-Produkt spart viel Energie<br />
und hat eine Lebensdauer von rund 25 000<br />
Stunden. Eine klassische Glühlampe gibt<br />
nach etwa 2000 Stunden den Geist auf.<br />
Gut zehn Millionen Euro investiert Osram<br />
in die neue Fertigung in Eichstätt. Dehen<br />
setzt damit auf die rasche Verbreitung<br />
der LED-Lampen. In Deutschland liegt der<br />
LED-Anteil schon bei 25 Prozent mit stark<br />
steigender Tendenz. Im Herbst, so erwarten<br />
Experten, wird für Endverbraucher<br />
Guter Start<br />
Entwicklung der Osram-Aktie seitdem<br />
Börsengang<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
2013 <strong>2014</strong><br />
in Euro<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
erstmals die Preisschwelle von zehn Euro<br />
unterschritten. Das dürfte noch einmal für<br />
kräftigen Rückenwind beim Geschäft mit<br />
LED-Leuchten für Privathaushalte sorgen.<br />
Osram erzielt 34 Prozent seines Umsatzes<br />
mit den neuen Leuchten auf Halbleiterbasis;<br />
in drei Jahren sollen es 50 Prozent<br />
sein. Insgesamt wächst der weltweite<br />
Lichtmarkt, vor allem dank der raschen Urbanisierung<br />
in Schwellenländern, jedes<br />
Jahr um sieben Prozent. In China sind es<br />
sogar gut 20 Prozent.<br />
Das LED-Licht bietet, anders als traditionelles<br />
Licht, neue Möglichkeiten: Es sorgt<br />
nicht nur für helle Wohnungen, Büros oder<br />
Straßen, sondern beeinflusst auch die Befindlichkeit.<br />
Im Münchner Klinikum rechts<br />
der Isar etwa verwenden die Mediziner<br />
LED-Leuchten in der Schmerztherapie.<br />
Auf Langstreckenflügen kann das neuartige<br />
Licht den gefürchteten Jetlag mildern.<br />
Möglich machen dies die unterschiedlichen,<br />
sehr feinen Farbabstufungen, die<br />
sich mit LED-Licht erzielen lassen. Biodynamisches<br />
Licht nennen das die Forscher<br />
bei Osram in Regensburg.<br />
Zusammen mit der Hochschule München<br />
testet Osram, wie Licht die Aufmerksamkeit<br />
der Studenten beim Lernen beeinflusst.<br />
In einem Seminarraum der Hochschule<br />
hat Osram dazu zwölf LED-Deckenleuchten<br />
aufgehängt. Mit ihnen lässt sich<br />
das Licht jeder Tageszeit simulieren; vor allem<br />
das für die Steuerung aller biologischen<br />
Funktionen so wichtige blaue Licht.<br />
Die Augen haben spezielle Zellen, die nur<br />
dieses Licht aufnehmen und verarbeiten.<br />
Erste Resultate zeigen, dass die Aufmerksamkeit<br />
durch das gesteuerte LED-Licht<br />
um 30 Prozent höher ist als bei traditionellem<br />
Licht. Vor allem das gefürchtete Mittagstief<br />
setze gar nicht mehr oder erst später<br />
ein, berichten die Studenten.<br />
Um bei solchen Anwendungen vorne<br />
mitzuspielen, investiert Osram kräftig in die<br />
Forschung. 6,4 Prozent seines Umsatzes hat<br />
Osram im vergangenen Jahr konzernweit<br />
dafür ausgegeben. In Regensburg, dem<br />
Zentrum der LED-Aktivitäten mit gut 1500<br />
Mitarbeitern in der Forschung, liegt die<br />
Quote sogar bei zehn Prozent.<br />
ZUKUNFTSMARKT ASIEN<br />
Dehen macht Druck, denn anders als beim<br />
traditionellen Licht dauert ein Entwicklungszyklus<br />
in der LED-Technologie nur<br />
sechs bis neun Monate statt fünf Jahre.<br />
Gleichzeitig sitzt dem Osram-Chef die<br />
Konkurrenz aus Asien im Nacken. Hoch innovative<br />
Schwergewichte wie Samsung,<br />
LG, Sharp und Toshiba drängen mit Macht<br />
ins LED-Geschäft. Nicht leichter wird Dehens<br />
Aufgabe durch den kontinuierlichen<br />
Preisverfall bei LEDs. Im Schnitt verbilligen<br />
sich die Chip-Leuchten jedes Jahr<br />
»<br />
Erstes Etappenziel erreicht<br />
Wichtige Osram-Kennzahlen (Amtsantritt von Vorstandschef Wolfgang Dehen im April 2011)<br />
Umsatz<br />
in Milliarden Euro<br />
5,5<br />
Zahl der Mitarbeiter<br />
in Tausend<br />
42<br />
Gewinn nach Steuern*<br />
in Millionen Euro<br />
400<br />
Ebita-Marge*<br />
in Prozent<br />
10<br />
Bilanzsumme<br />
in Milliarden Euro<br />
5,2<br />
5,4<br />
5,3<br />
5,2<br />
5,1<br />
5,0<br />
40<br />
38<br />
36<br />
200<br />
0<br />
–200<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
5,0<br />
4,8<br />
4,6<br />
4,4<br />
4,9<br />
34<br />
–400<br />
0 4,2<br />
2011 2012 2013 2011 2012 2013 2011 2012 2013 2011 2012 2013 2011 2012 2013<br />
*Performance im Geschäftsjahr 2012 aufgrund hoher Restrukturierungskosten; Quelle: Geschäftsberichte, Börsenprospekt<br />
58 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Unternehmen&Märkte<br />
Asien im Blick<br />
In der Nähe von<br />
Shanghai fertigt<br />
Osram LEDs für<br />
den chinesischen<br />
Markt<br />
FOTO: PATRICK WACK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
»<br />
um 20 Prozent. Gut für den Kunden,<br />
doch Osram muss ständig nach Wegen suchen,<br />
die Kosten weiter zu reduzieren.<br />
Dehen denkt darum bereits darüber<br />
nach, was nach dem Ende des Restrukturierungsprogramms<br />
„Push“ kommen<br />
könnte. Die stärker als erwarteten Rückgänge<br />
im traditionellen Lichtgeschäft machen<br />
weitere Schritte nötig. „Der Wandel<br />
im Lichtmarkt von den traditionellen zu<br />
den halbleiterbasierten Produkten hat sich<br />
weiter beschleunigt“, sagt Dehen. Daher<br />
werde es auch nach <strong>2014</strong> Restrukturierungen<br />
geben, die dann Teil des normalen Geschäftsverlaufs<br />
würden. So würden eben<br />
auch 2015 die Kapazitäten im traditionellen<br />
Lichtgeschäft der Marktentwicklung<br />
weiter angepasst. Der Abbau von 8700 Arbeitsplätzen<br />
dürfte daher noch nicht das<br />
Ende der Fahnenstange sein.<br />
Auch in anderen Bereichen sind Dehens<br />
Leute ständig auf der Suche nach weiterem<br />
Sparpotenzial. In Eichstätt etwa arbeiten die<br />
Forscher daran, den Glasanteil an der<br />
Leuchte zu verringern. Auch tut Osram sich<br />
mit anderen Abnehmern zusammen, um<br />
bei Lieferanten von Rohstoffen wie Wolfram,<br />
Quarz oder Xenon bessere Preise erzielen zu<br />
können. Für die LED-Birne in Privathaushalten<br />
hat Osram eine Plattform entwickelt,<br />
mit der das Unternehmen viele Varianten zu<br />
relativ niedrigen Kosten anbieten kann.<br />
Branchenkenner empfehlen den Deutschen<br />
allerdings deutlich radikalere<br />
Schritte. „Osram sollte die LED-Chips zukaufen,<br />
statt sie selbst herzustellen“, rät etwa<br />
Roger Chu, Chefanalyst und LED-<br />
Experte beim Branchendienst Trendforce<br />
in Taipei. Zudem sollte der Konzern noch<br />
viel stärker auf Lösungen mit höherer<br />
Wertschöpfung setzen, etwa Spezialbeleuchtungen<br />
mit den dazugehörigen<br />
Steuerungssystemen.<br />
TRIUMPH UM JEDEN PREIS<br />
Dehen lässt solche Einwände nicht gelten.<br />
Um höchste Qualität zu gewährleisten,<br />
müsse Osram die Chips selbst herstellen.<br />
Außerdem benötige der Konzern das<br />
Know-how aus dem Massengeschäft, um<br />
bei den hochprofitablen Nischenprodukten<br />
wirklich erfolgreich zu sein.<br />
Fast wie ein Besessener arbeitet der immer<br />
etwas unnahbar wirkende Westfale<br />
daran, den Traditionskonzern ins digitale<br />
Zeitalter zu führen. Dehen will den Triumph<br />
um jeden Preis, denn seine Mission<br />
bei Osram ist auch seine ganz persönliche<br />
Abrechnung mit der einstigen Konzernmutter<br />
Siemens, wo der Manager viele Demütigungen<br />
ertragen musste. Der Zeitpunkt<br />
ist für Dehen gekommen, es allen<br />
noch einmal zu zeigen.<br />
Als Siemens 2001 den Autoelektronikhersteller<br />
VDO gekauft hatte, machte der<br />
Konzern Dehen zum Chef der neuen Tochter.<br />
Anfang 20<strong>07</strong> bekam er die Order, VDO<br />
an die Börse zu bringen. Doch das misslang.<br />
Der Autozulieferer Continental war<br />
als Interessent aufgetaucht und übernahm<br />
im Sommer 20<strong>07</strong> VDO für gut elf Milliarden<br />
Euro. Dehen konnte nur zuschauen.<br />
Ein Jahr später rückte der Westfale in den<br />
Siemens-Vorstand auf und wurde gleichzeitig<br />
Chef des Energiegeschäfts. Doch bei<br />
der Mannschaft in Erlangen kam er nie<br />
richtig an. „Das sind kernige Typen in der<br />
Energiesparte“, sagt ein ehemaliger Siemens-Manager,<br />
„Ingenieure mit Öl an den<br />
Händen.“ Nichts für den nüchternen Zahlenmenschen<br />
Dehen.<br />
Ein Briefing nach dem anderen habe er<br />
abgehalten und sehr viel Papier produziert,<br />
erinnert sich ein Ex-Siemens-Kollege, und<br />
dabei unablässig sein Mantra gepredigt:<br />
„Make your numbers, no surprises, no excuses.“<br />
Erreicht hat Dehen damit wohl<br />
kaum einen der Siemensianer.<br />
Selbst nachts an der Bar auf den Führungskräftetagungen<br />
am Starnberger See<br />
taute Dehen selten auf; stets blieb er die<br />
kalte Autorität. Im April 2001 schließlich<br />
schob der damalige Siemens-Chef Peter<br />
Löscher den Manager ab auf den Osram-<br />
Chefsessel. Dort sollte er den Börsengang<br />
des Leuchtenherstellers vorbereiten.<br />
Doch auch daraus wurde zunächst nichts.<br />
Wegen mangelnden Interesses wurde Osram<br />
vor einem Jahr mithilfe eines Spinoffs<br />
von der Mutter abgespalten und börsennotiert.<br />
Dehen weiß, dass seine Mission noch<br />
nicht beendet ist. Das ist sie erst, wenn er<br />
Osram dauerhaft auf die Erfolgsspur gesetzt<br />
hat. Wie lange das noch dauert, ist ungewiss.<br />
Bei der Frage, ob er seinen Vertrag<br />
als Vorstandsvorsitzender über März 2016<br />
hinaus verlängern wolle, taut Dehen auf:<br />
Der Osram-Chef antwortet, ohne etwas zu<br />
sagen – mit einem leichten Lächeln. n<br />
matthias.kamp@wiwo.de | München<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 59<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
Hoffnung auf Verlängerung<br />
FUSSBALL-WM | Kleine und mittelgroße deutsche Unternehmen profitieren von dem<br />
großen Sportereignis in Brasilien. Die Chancen sind groß, danach so richtig ins Geschäft<br />
zu kommen – sofern die Firmen die speziellen Widrigkeiten des Marktes meistern.<br />
Zum Eröffnungsspiel am 12.<br />
Juni serviert Klaus-Peter Kofler<br />
das brasilianische Nationalgericht<br />
Feijoada: Bohneneintopf mit<br />
Fleisch, dazu geröstetes Maniokmehl und<br />
Orangenscheiben. Während unten auf dem<br />
Rasen des Stadions in São Paulo die Teams<br />
aus Brasilien und Kroatien um den ersten<br />
WM-Sieg kämpfen, beköstigt Koflers<br />
Catering-Unternehmen Kofler & Kompanie<br />
oben auf den teuren Rängen rund 15 000<br />
VIP-Gäste.<br />
Der 49-jährige Mittelständler aus Berlin<br />
(Jahresumsatz:72 Millionen Euro) ist, soviel<br />
steht jetzt schon fest, einer der Gewinner<br />
der Fußball-WM <strong>2014</strong> in Brasilien. In insgesamt<br />
vier der zwölf Weltmeisterschafts-Stadien<br />
übernimmt Kofler, der auch schon<br />
beim Geburtstagsdinner von Kanzlerin Angela<br />
Merkel oder beim Staatsbesuch der<br />
englischen Queen in Deutschland aufgetischt<br />
hat, die Versorgung der Edelfans mit<br />
erlesenen Speisen und Getränken. Als einzigem<br />
nicht brasilianischen Unternehmer<br />
hat der allmächtige Weltfußballverband Fifa<br />
dem gelernten Konditor Kofler das Catering<br />
herausragender Gäste übertragen. Erwartete<br />
Zusatzeinnahmen: 30 Millionen Euro.<br />
WM-GEWINNER AUS DEUTSCHLAND<br />
Was Fans die schönste Nebensache der Welt<br />
nennen, ist für Unternehmer wie Kofler ein<br />
lohnendes Geschäft – und der Einstieg in<br />
den wichtigen Wachstumsmarkt Brasilien.<br />
Ähnlich wie der Berliner Catering-Unternehmer<br />
entdecken auch andere deutsche<br />
Mittelständler die Chancen, welche die<br />
siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt ihnen<br />
bietet: Von dem zu erwartenden Investitionsboom<br />
des Landes in den nächsten Jahren<br />
profitieren auch kleine und mittlere Unternehmen.<br />
Die Haushaltseinkommen steigen,<br />
die brasilianische Mittelschicht wächst<br />
– und damit auch die Nachfrage nach teureren<br />
Produkten und Serviceleistungen.<br />
Bisher haben sich vor allem Großkonzerne<br />
wie VW oder BASF im Land am Amazonas<br />
niedergelassen. Nun registriert die<br />
Deutsch-Brasilianische Industrie- und Handelskammer<br />
in São Paulo, dass immer mehr<br />
deutsche Mittelständler nach Brasilien kommen<br />
– in den vergangenen Jahren etwa 200.<br />
Viele von ihnen haben wie Caterer Kofler&Kompanie<br />
über die Fußball-WM den<br />
Einstieg in den brasilianischen Markt gefunden.<br />
Denn in den zwölf Fußballpalästen, in<br />
denen das Turnier ausgetragen wird, steckt<br />
jede Menge deutsche Wertarbeit: Duscharmaturen<br />
von Hansgrohe aus dem Schwarzwald,<br />
Dachkonstruktionen von Hightex aus<br />
Bernau am Chiemsee und dem Berliner Architekturbüro<br />
GMP. Airsense aus Schwerin<br />
liefert Detektoren im Kampf gegen Terro-<br />
»<br />
Gegen Hunger, Unwetter und Terroristen<br />
Was deutsche Spezialisten zum Gelingen der WM in Brasilien beitragen – zum Beispiel<br />
Kofler (Catering)<br />
Unternehmensumsatz<br />
72 Millionen Euro<br />
Lufft (Wettersensoren)<br />
Unternehmensumsatz<br />
17 Millionen Euro<br />
Airsense (Detektoren)<br />
Unternehmensumsatz<br />
4 Millionen Euro<br />
Ort des Eröffnungsspiels<br />
Stadion São Paulo<br />
FOTO: GETTY IMAGES/AFP<br />
60 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
»<br />
rismus und Lufft aus Fellbach (bei Stuttgart)<br />
Sensoren für bessere Wetterprognosen.<br />
Die Technik von Goal Control aus Würselen<br />
bei Aachen überwacht elektronisch, ob der<br />
Ball die Torlinie überschritten hat und die<br />
Rasenbewässerung stammt <strong>vom</strong> hessischen<br />
Unternehmen Wisy.<br />
Die Liste der deutschen WM-Gewinner<br />
lässt sich locker verlängern. Der Münchner<br />
Modehändler Hirmer etwa errichtet über<br />
seine Immobilientochter das Camp der<br />
DFB-Elf und ihrer Betreuer im Bundesstaat<br />
Bahia – inklusive Trainingsplatz, Swimmingpool<br />
und Medienzentrum. In einem<br />
der 14 Apartments auf der Anlage wohnt<br />
auch Bäckermeister Günther Thiermann<br />
aus Bad Hönningen bei Koblenz, der eigens<br />
mitreist, um Lahm, Özil, Götze und<br />
Co. mit Vollkornware zu versorgen.<br />
Klar ist: Für viele Mittelständler ist die<br />
WM ein Sprungbrett auf den brasilianischen<br />
Markt. Caterer Kofler hat sich bereits<br />
Folgeaufträge gesichert. Für die nächsten<br />
zehn Jahre wird seine Kompanie in den<br />
Stadien von Belo Horizonte, São Paulo und<br />
Porto Alegre alle Fans bei allen Spielen der<br />
brasilianischen Liga bewirten. Und einen<br />
Großauftrag für die Olympischen Sommerspiele<br />
2016 in Rio – das nächste sportliche<br />
Großereignis – hat er fast sicher.<br />
Der Zeitpunkt zum Einstieg in den brasilianischen<br />
Markt ist günstig. Zwar legt das<br />
Bruttoinlandsprodukt des lateinamerikanischen<br />
Flächenstaates derzeit nur um etwa<br />
zwei Prozent zu – statt etwa 7,5 Prozent<br />
Kofler & Kompanie Catering<br />
Klaus Peter Kofler, Inhaber<br />
Der Berliner Mittelständler bewirtet die<br />
VIP-Gäste in vier WM-Arenen. Von dem<br />
großen Fußballturnier erhofft er sich<br />
Zusatzeinnahmen von 30 Millionen Euro.<br />
im Rekordjahr 2010. Die Inflation steigt, die<br />
Unternehmer investieren weniger, und<br />
auch die Konsumenten halten sich nach<br />
Jahren des Booms erstmalig zurück.<br />
Für Neueinsteiger aus dem Mittelstand<br />
ist das ein Vorteil, findet Ferdinand Rogoschewski,<br />
der die Niederlassung des westfälischen<br />
Industrieventilatorenherstellers<br />
Reitz in Brasilien leitet: „Im Boom haben es<br />
Mittelständler schwer, überhaupt wahrgenommen<br />
zu werden.“ So kann man heute<br />
Vizeweltmeister Brasilien<br />
In welchen Ländern Unternehmen am<br />
liebsten investieren*<br />
56 %<br />
52 %<br />
37 %<br />
* Mehrfachnennungen möglich; Quelle: PwC<br />
34 %<br />
26 %<br />
China Brasilien Indien USA Mexiko<br />
wieder Ingenieure auf dem Arbeitsmarkt<br />
finden, ohne sie für absurd hohe Gehälter<br />
anheuern zu müssen. Auch bei Fabrik- und<br />
Büroimmobilien gibt es ein Überangebot,<br />
das die Preise sinken lässt. Der schwächere<br />
Real hat zudem die Kosten einer Investition<br />
reduziert. Außerdem haben potenzielle<br />
Kunden mehr Zeit: „Bei Ingenieurbüros<br />
und Großkonzernen bekam man vor drei,<br />
vier Jahren als deutscher Mittelständler<br />
keinen Termin“, sagt Rogoschewski. Das sei<br />
jetzt ganz anders. „Die Kunden wollen den<br />
Wettbewerb unter ihren Zulieferern.“<br />
INVESTITION IN INFRASTRUKTUR<br />
Zumindest auf mittlere Sicht stimmen die<br />
Perspektiven Investoren optimistisch. Die<br />
Mehrheit der 190 Millionen Brasilianer verfügt<br />
über ein weit höheres Einkommen als<br />
etwa Inder oder Chinesen. Deutsche Unternehmen<br />
können zudem auf die großen<br />
Investitionsprogramme des Landes hoffen,<br />
die Brasiliens Regierung anschieben will,<br />
um die Mängel bei der Stromversorgung,<br />
im Straßen- und Schienennetz, bei den<br />
Airports sowie den Häfen zu beseitigen.<br />
Ein Unternehmerparadies ist Brasilien allerdings<br />
nicht, wie auch einige der WM-Investoren<br />
aus dem Mittelstand feststellen<br />
mussten. Hansgrohe, der Armaturenhersteller<br />
aus dem Schwarzwald, klagt etwa<br />
über die vergleichsweise hohen Steuern, die<br />
schon mal mehr als ein Drittel des Gewinns<br />
ausmachen können. Zudem ändern sich<br />
die Steuergesetze häufig und willkürlich<br />
»<br />
FOTO: DDP IMAGES/DAPD<br />
62 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
in den Laboren messen. Herstellern von<br />
Windrädern helfen die Schwaben, ihre<br />
Turbinen so auszurichten, dass sie möglichst<br />
viel Energie erzeugen.<br />
In Brasilien sind die Fellbacher über ihren<br />
Vertriebspartner RoMiotto schon seit<br />
mehr als zehn Jahren vertreten. Der WM-<br />
Auftrag, sagt Hirzel, dient auch der Imagepflege;<br />
gerade einmal 120 000 Euro erwirtschaften<br />
die Sensorspezialisten damit. Hirzel<br />
hofft nun auf einen viel größeren Coup<br />
im Wachstumsmarkt Brasilien: Die mehr<br />
als 60 Flughäfen des Landes wollen die Sicherheit<br />
am Rollfeld optimieren und benötigen<br />
dafür präzise Messtechnik.<br />
Während der WM <strong>vom</strong> 12. Juni bis 13. Juli<br />
erwartet Lufft übrigens vergleichsweise<br />
kühle Temperaturen und große Niederschlagsmengen.<br />
Fritz-Walter-Wetter also,<br />
benannt nach dem Kapitän der deutschen<br />
Weltmeister-Elf 1954 – kein schlechtes<br />
Omen für die deutsche National-Elf.<br />
AIRSENSE<br />
Die Sprengstoffschnüffler<br />
»<br />
(siehe dazu auch Kasten Seite 69). Die<br />
Dachkonstrukteure von Hightex verzweifelten<br />
an der mangelnden Kooperation ihres<br />
brasilianischen Partners. Und Catering-Unternehmer<br />
Kofler kann viel über die Mühlen<br />
der brasilianischen Bürokratie erzählen. Allein<br />
die Gründung einer brasilianischen<br />
Tochterfirma fresse neun Monate, die Kontoeröffnung<br />
noch mal vier Monate.<br />
Weil der Berliner Unternehmer das<br />
wusste, nahm er sich viel Zeit im Land und<br />
eröffnete schon ein Büro in Rio de Janeiro.<br />
„Wir sind da am Anfang ohne Auftrag hin“,<br />
erinnert sich Kofler. Seine Zuversicht reichte<br />
aus, das Potenzial für Sport-Catering zu<br />
erkennen. Um in Brasilien Fuß zu fassen,<br />
investierte er rund eine Million Dollar.<br />
LUFFT<br />
Die Wetterpropheten<br />
Lufft Wettersensoren<br />
Klaus Hirzel, Miteigentümer<br />
Der schwäbische Unternehmer rüstet die<br />
WM-Stadien mit Messgeräten aus. Das<br />
bringt 120 000 Euro mehr Umsatz. Nach<br />
der WM hofft Hirzel auf weitere Aufträge.<br />
Eine „WM der Strapazen“ erwartet Bundestrainer<br />
Jogi Löw. Temperaturen von<br />
mehr als 30 Grad Celsius und bis zu 80 Prozent<br />
Luftfeuchtigkeit machen jede körperliche<br />
Anstrengung zur Qual. Stetig droht<br />
ein Wolkenbruch, der jede Spielfläche unter<br />
Wasser setzen kann – wie 1974 beim Regenmatch<br />
zwischen Deutschland und Polen.<br />
Binnen einer Stunde kann es in Brasilien<br />
leicht 100 Liter und mehr pro Quadratmeter<br />
regnen.<br />
Klaus Hirzel, Miteigentümer des schwäbischen<br />
Mittelständlers Lufft aus Fellbach<br />
bei Stuttgart, wird solche meteorologischen<br />
Albtraum-Szenarien nicht verhindern<br />
können. Aber er kann rechtzeitig warnen:<br />
Lufft (Jahresumsatz 2013: 17 Millionen<br />
Euro, rund 100 Mitarbeiter) rüstet alle<br />
zwölf WM-Stadien mit mobilen Wetterstationen<br />
aus. Dank schwäbischer Präzisionstechnik<br />
lassen sich Sturm, Blitz, Platzregen<br />
oder extreme Hitze auf die Stunde genau<br />
vorhersagen. Die Gastgeber haben dann<br />
noch Zeit, um den Austragungsort zu<br />
wechseln oder den Anstoß zu verschieben.<br />
Das Traditionsunternehmen Lufft, 1881<br />
gegründet, ist in 60 Ländern aktiv, wichtigste<br />
Märkte sind China und die USA. Die Exportquote<br />
liegt bei 80 Prozent. Zu den Kunden<br />
zählen etwa Pharmaunternehmen, für<br />
die Lufft-Sensoren das Umgebungsklima<br />
Das Schlimmste, das bei der Fußballweltmeisterschaft<br />
passieren kann: Terroristen<br />
zünden in einem der Stadien oder an einem<br />
öffentlichen Platz in Rio de Janeiro eine<br />
Bombe, möglicherweise versetzt mit radioaktiven<br />
Stoffen. Eine abstrakte Fantasie?<br />
Nicht für Wolf Münchmeyer und Andreas<br />
Walte, Geschäftsführer des Schweriner<br />
Unternehmens Airsense Analytics<br />
GmbH (vier Millionen Euro Jahresumsatz,<br />
24 Mitarbeiter, 97 Prozent Exportquote).<br />
Die beiden Deutschen stellen seit zehn<br />
Jahren Sprengstoffdetektoren her, die Terrorattacken<br />
wie diese verhindern sollen –<br />
auch bei der Fußball-WM in Brasilien.<br />
Rund 80 Airsense-Detektoren werden<br />
beim Turnier im Einsatz sein – in Stadien,<br />
auf Plätzen und Flughäfen. Auch bei den<br />
Olympischen Spielen 2016 in Brasilien sollen<br />
die Messgeräte aus Mecklenburg-Vorpommern<br />
für Sicherheit sorgen.<br />
Die Geräte wirken wie bunte Handstaubsauger.<br />
Die Detektoren sollen dank empfindlicher<br />
Sensoren Salzsäure, Blausäure,<br />
chemische Kampfstoffe und radioaktive<br />
Substanzen ausfindig machen. Vereinfacht<br />
gesagt, erkennen die Geräte das Gasgemisch,<br />
das solche Stoffe ausstoßen.<br />
An Terroranschläge hatten Elektrotechniker<br />
Münchmeyer und Physiker Walte<br />
überhaupt nicht gedacht, als sie Airsense<br />
1996 als Spinoff der TU Hamburg gründeten.<br />
Die beiden Naturwissenschaftler zielten<br />
auf die Lebensmittelindustrie als<br />
»<br />
FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
64 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
»<br />
Kunden. Ihre Detektoren hatten sie darauf<br />
getrimmt, zu erkennen, wann Joghurt<br />
schimmelt oder Nüsse ranzig werden.<br />
Doch das Geschäft lief nur schleppend<br />
an. „Hätte ich in den ersten beiden Gründungsjahren<br />
nicht nebenbei Schiffsstabilisatoren<br />
programmiert, wäre die Firma<br />
nicht am Leben geblieben“, sagt Münchmeyer.<br />
Der Umschwung kam mit den Terroranschlägen<br />
<strong>vom</strong> 11. September 2001. Die Airsense-Gründer<br />
erkannten die Sicherheitsbranche<br />
als Wachstumsmarkt. Statt auf Lebensmittel<br />
programmierten sie ihre Detektoren<br />
nun auf Sprengstoffe.<br />
Nach zwei Jahren Entwicklung und zahlreichen<br />
Sondergenehmigungen zum Umgang<br />
mit radioaktiven Stoffen und speziellen<br />
Chemikalien ging das erste Gerät 2004<br />
in Serienreife. Einer der ersten Käufer war<br />
das italienische Innenministerium. Mittlerweile<br />
exportiert Airsense seine Detektoren<br />
in fast alle Länder Europas, nach Brasilien,<br />
Russland, Indien und China. Preis: je<br />
nach Gerät und Ausstattung zwischen<br />
10 000 und 300 000 Euro. Ein zweistelliger<br />
Millionenumsatz dürfte für Airsense bei<br />
der Fußball-WM in Brasilien anfallen.<br />
Um an den Auftrag zu gelangen, konnte<br />
Airsense mit der leichten Bedienbarkeit<br />
der Geräte und internationaler Erfahrung<br />
Hansgrohe<br />
Armaturen- und Brausenhersteller<br />
Carsten Voß, Verkaufsleite<br />
Lateinamerika<br />
Mit Edelduschen in zwei Stadien ist der<br />
Bad-Spezialist aus Schiltach im Schwarzwald<br />
bei der WM dabei. 2013 erzielte Voß<br />
ein zweistelliges Umsatzplus in Brasilien.<br />
punkten. „In Brasilien gibt es etwa andere<br />
Putzmittel als in Deutschland“, sagt Walte.<br />
„Daher müssen wir die Geräte anders einstellen,<br />
damit sie nicht ausschlagen.“<br />
Gründer Münchmeyer wird bei der WM<br />
in Brasilien am Ort sein. Zumindest dann,<br />
wenn er nicht von einem der Sprengstoffdetektoren<br />
an den Flughäfen aufgehalten<br />
wird. „Man muss bei den Tests mit Sprengstoffen<br />
absolut sauber arbeiten. Wenn<br />
auch nur die geringe Spuren von Sprengstoff<br />
am Anzug sind, schlagen die Detektoren<br />
am Flughafen sofort an und dann hat<br />
man viel Erklärungsbedarf.“<br />
GERKAN, MARG UND PARTNER<br />
Die Stadionplaner<br />
Wenn es um weltweiten Stadionbau geht,<br />
kommt am Hamburger Architekturbüro<br />
Gerkan, Marg und Partner (gmp) kaum einer<br />
vorbei. „Gmp hat bei den Stadien quasi<br />
eine Monopolstellung“, sagt Gerhard Zach,<br />
Vorsitzender des Verbandes Deutscher Architekten.<br />
Die Architekten-Sozietät gmp (Jahresumsatz<br />
2013: 90 Millionen Euro) ist auf<br />
Großprojekte spezialisiert. Nicht immer<br />
geht alles glatt. Beim Bau des Berliner Pannenflughafens<br />
BER räumt gmp zwar Fehler<br />
ein; die hätten jedoch nicht zu der Verzögerung<br />
um mehrere Jahre geführt.<br />
Mit Sportstätten lief es bislang besser: Für<br />
die Fußballweltmeisterschaften in Deutschland<br />
und Südafrika sowie für die Olympischen<br />
Spiele in Peking hat gmp die Arenen<br />
konzipiert – weltweit sind es mittlerweile<br />
über 20 Stadien. In Brasilien sind das Nationalstadion<br />
in der Hauptstadt Brasilia sowie<br />
die Arena da Amazônia in Manaus im Norden<br />
des Landes unter Federführung der<br />
deutschen Architekten entstanden. Für das<br />
Stadion in Belo Horizonte im Südosten<br />
lieferte gmp den Entwurf.<br />
Der Bau in Manaus, wo etwa am 22. Juni<br />
die deutschen Vorrundengegner USA und<br />
Portugal aufeinandertreffen, war aufgrund<br />
der langen Transportwege eine große logistische<br />
Herausforderung. Die Hauptstadt<br />
des brasilianischen Bundesstaates Amazonas<br />
liegt mitten im Dschungel direkt am<br />
Amazonas und etwa 1300 Kilometer <strong>vom</strong><br />
Meer entfernt.<br />
Vier Arbeiter kamen dort während der<br />
Bauphase ums Leben. „Die technischen<br />
Geräte und Gerüste sind auf dem neuesten<br />
Stand gewesen“, sagt gmp-Partner Hubert<br />
Nienhoff. Die nötigen Sicherheitsvorkehrungen<br />
seien getroffen worden. „Menschliches<br />
Versagen gibt es auf Baustellen leider<br />
immer wieder.“<br />
Vor acht Jahren war Architekt Nienhoff<br />
zum ersten Mal nach Brasilien gereist, um<br />
den Markt zu sondieren. Trotz der jahrelangen<br />
Vorbereitungszeit sind die Stadien<br />
erst mit Verspätung fertiggestellt worden.<br />
Am Anfang der Planung habe es auch den<br />
einen oder anderen lokalen Partner mit zu<br />
wenig Leistungsfähigkeit und Kompetenz<br />
gegeben, formuliert er diplomatisch.<br />
Letztlich sind die Stadien doch fertig geworden.<br />
Laut Betreiber belaufen sich die<br />
Kosten für das Stadion in Brasilia auf umgerechnet<br />
460 Millionen Euro, für die Arena<br />
da Amazônia auf knapp 200 Millionen.<br />
Wie viel bei gmp hängen geblieben ist, vermag<br />
Nienhoff nicht zu sagen. Gerhard<br />
Zach <strong>vom</strong> Verband Deutscher Architekten<br />
glaubt, dass die Hamburger Stadionplaner<br />
ihren Schnitt gemacht haben: „Ein Unternehmen<br />
wie gmp würde sich sonst nicht<br />
auf ein solches Großprojekt einlassen.“<br />
FOTO: VICTOR AFARO FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
66 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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HANSGROHE<br />
im Osten des Landes, wo etwa die Mannschaften<br />
lockt bereits das nächste Prestigeprojekt:<br />
aus Holland, Frankreich und Spa-<br />
die Olympischen Spiele in Brasilien.<br />
Die Wasser-Weltmeister<br />
nien Vorrundenspiele bestreiten, konnte<br />
Brasilien gewinnt, Deutschland ist abgeschlagen<br />
Hansgrohe publicityträchtig mit Armatu-<br />
HIRMER IMMOBILIEN GMBH<br />
– zumindest beim Duschen. Im ren ausstatten. „Das sind schöne Projekte,<br />
Auftrag des Armaturen- und Brausenherstellers<br />
die unseren Bekanntheitsgrad steigern“,<br />
Die Quartiermacher<br />
Hansgrohe aus Schiltach im sagt Carsten Voß, Hansgrohe-Verkaufslei-<br />
In den 14 weißen Bungalows mit den auf-<br />
Schwarzwald hat das britische Marktforschungsinstitut<br />
ICM Research die Badegewohnheiten<br />
in verschiedenen Ländern erforscht.<br />
Ergebnis: Mit mehr als 100 Minuten<br />
täglich verbringen die Brasilianer weltweit<br />
die meiste Zeit im Bad, die hitzegeplagten<br />
Südamerikaner duschen gerne<br />
auch zweimal am Tag. Die Deutschen – mit<br />
ter für Lateinamerika. 2013 erzielte der Armaturen-Manager<br />
trotz Währungsturbulenzen<br />
ein zweistelliges Umsatzwachstum<br />
in Brasilien.<br />
Solche Erfolge trösten Hansgrohe-Statthalter<br />
Voß über die Anlaufprobleme und<br />
Schwierigkeiten im brasilianischen Markt<br />
hinweg. Zwar liegt der Hafen Santos nur 50<br />
fälligen braunen Dächern, direkt am Meer,<br />
werden die 23 deutschen Nationalspieler<br />
plus Betreuer wohnen. An alles ist gedacht:<br />
Pool, Grillplatz, Trainingsgelände. ARD<br />
und ZDF werden aus der Nähe des Camps<br />
in Bahia im Osten Brasiliens berichten.<br />
Hinter der Anlage steckt die Münchner<br />
Firma Hirmer Immobilien GmbH. Fast alle<br />
einer durchschnittlichen Verweildauer von Kilometer von der Hansgrohe-Niederlassung<br />
Münchner kennen das Eckhaus in der Nähe<br />
49 Minuten – müssen dagegen fast schon<br />
als Körperpflege-Muffel gelten.<br />
Seit 2010 ist Hansgrohe (Jahresumsatz<br />
2013: 841 Millionen Euro) mit einer Niederlassung<br />
im boomenden Nasszellender<br />
in São Paulo entfernt. Doch weil<br />
Hafenausbau stockt und die Containerterminals<br />
überlastet sind, importieren die<br />
Schwarzwälder ihre Duschen und Wasserhähne<br />
über den 1000 Kilometer nördlich<br />
des Marienplatzes mit dem üppigen Ge-<br />
ranienschmuck und den Rundbögen am<br />
Eingang. Drinnen beraten Damen <strong>vom</strong><br />
Fach beim Kauf von Maßanzügen und<br />
Manschettenknöpfen. In den Regalen des<br />
Markt Brasilien vertreten. Die aufsteigende von São Paulo gelegenen Atlantikhafen Herrenbekleidungshauses (geschätzter<br />
Mittelschicht des Landes kann sich inzwischen<br />
die teuren, importierten Armaturen<br />
aus Schiltach für ihre Badezimmer leisten.<br />
Auch bei der WM mischen die Armaturenhersteller<br />
Vitória. „Als Mittelständler geht man im<br />
Hafen von Santos unter“, erklärt Voß.<br />
„Der Markt ist riesig, da nehmen wir vorübergehend<br />
höhere Kosten und eine noch<br />
Jahresumsatz: 192 Millionen Euro) liegen<br />
Trachtenjanker und Armani-Hosen. Uli<br />
Hoeneß, inzwischen inhaftierter Steuerbetrüger,<br />
war dort Stammgast.<br />
aus dem Schwarzwald mit. nicht optimale Infrastruktur in Kauf“, trös-<br />
Der Immobilien-Ableger von Hirmer, der<br />
Die Stadien in Porto Alegre und Curitiba tet sich der Hansgrohe-Manager. Und 2016 Objekte in München, Leipzig und Dres-»<br />
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Spezial | Mittelstand<br />
»<br />
den verwaltet, ist dagegen kaum bekannt.<br />
Weil sie für die Bekleidungshäuser<br />
sowieso ständig auf der Suche nach geeigneten<br />
Verkaufsflächen und Standorten ist,<br />
entschied die Geschäftsleitung vor 20 Jahren,<br />
ins Immobiliengeschäft einzusteigen.<br />
Ende 2013 erhielt Geschäftsführer Christian<br />
Hirmer den Zuschlag für den Bau des<br />
DFB-Mannschaftsquartiers mit Trainingsgelände<br />
im Bundesstaat Bahia. Das Grundstück<br />
hatte der 43-Jährige schon vor vier<br />
Jahren erworben. Angesichts der anstehenden<br />
Olympiade und der WM – sowie der<br />
aufstrebenden Mittelschicht des Landes –<br />
wollte Hirmer dort in Luxusresorts investieren,<br />
kam mit der Bebauung jedoch kaum<br />
voran. Vor eineinhalb Jahren stellte das brasilianische<br />
Unternehmer-Netzwerk LIDE<br />
dann den Kontakt zwischen Hirmer und<br />
dem DFB her. Ende Dezember wurden die<br />
Deutschen in die Gruppe G gelost. Da war<br />
klar, dass die DFB-Elf nur rund zwei Flugstunden<br />
<strong>vom</strong> Grundstück der Hirmers entfernt<br />
spielen wird. Der DFB entschied, das<br />
Mannschaftsquartier dort bauen zu lassen.<br />
Für Hirmer begann eine große Herausforderung:<br />
In dem abgelegenen 800-Seelen-Dorf<br />
Santo André gab es praktisch keine<br />
funktionierende Infrastruktur, die Straßen<br />
glichen Sandpisten. Einen Brunnen<br />
und eine Anlage zur Frischwasseraufbereitung<br />
musste der Immobilien-Unternehmer<br />
erst anlegen lassen.<br />
Innerhalb von fünf Monaten auf 15 000<br />
Quadratmetern 14 Luxusbungalows und<br />
einen Trainingsplatz zu bauen – das ist<br />
Hightex Dachspezialisten<br />
Frank Molter, Geschäftsführer<br />
Dank des High-Tech-Dachs aus Bayern fällt<br />
beim Finale im Maracanã-Stadion kein<br />
Schatten auf den Rasen. Die WM brachte<br />
25 Millionen Euro Zusatzeinnahmen.<br />
selbst in Deutschland knapp bemessen.<br />
Ob alles rechtzeitig fertig wird, wird sich<br />
wohl dann auch erst in letzter Minute entscheiden.<br />
Hirmer setzt auf die Kombination<br />
von „deutscher Organisation und brasilianischer<br />
Improvisationskunst“. Nach der<br />
WM will er die Anlage als Luxusresort vermarkten.<br />
Dass auf dem Gelände einst die<br />
deutsche National-Elf campiert hat, dürfte<br />
dabei sicher nicht hinderlich sein.<br />
HIGHTEX<br />
Die High-Tech-Dachdecker<br />
Beim WM-Finale am 13. Juli wird auf dem<br />
Rasen des Maracanã-Stadions in Rio de<br />
Janeiro kein einziger irritierender Schatten<br />
eines Pfeilers zu sehen sein. Grund dafür<br />
ist das ringförmige, weiße Dach. Eine<br />
selbsttragende Felgenkonstruktion, über<br />
die sich eine lichtdurchlässige, weiße<br />
Membran spannt – made in Germany, gefertigt<br />
von dem bayrischen Unternehmen<br />
Hightex (Umsatz 2012: 18 Millionen Euro,<br />
25 Mitarbeiter) aus Bernau am Chiemsee.<br />
Die Bayern sind hoch spezialisierte<br />
Dachdecker. Neben dem Finalstadion Maracanã<br />
haben die Ingenieure <strong>vom</strong> Chiemsee<br />
auch die Innendecke des Stadions in<br />
Natal erstellt und das blumenartige Dach<br />
der Arena in Porto Alegre konstruiert: Von<br />
der Mitte des Stadions aus gehen blütenblätterartige<br />
Segel ab, die bis auf den Boden<br />
reichen. Bis zu 240 Stundenkilometer<br />
Wind kann die Konstruktion aushalten.<br />
Hightex ist spezialisiert auf den Aufbau<br />
von Leichtbaudächern aus sogenanntem<br />
PTFE-Glas, das sich durch hohe Beständigkeit<br />
auszeichnet. Auch für die WM-Stadien<br />
in Südafrika haben die Bayern bereits Stadiondächer<br />
gefertigt.<br />
Brasilien hat sich aber als besonders<br />
schwieriger Markt erwiesen. „Wir haben<br />
dort viel über unsere eigenen Schwächen<br />
gelernt“, sagt Hightex-Geschäftsführer<br />
Frank Molter. „ Deutsche und Brasilianer<br />
sind, was Streitkultur angeht, diametral<br />
entgegengesetzt, die Brasilianer nehmen<br />
Rücksicht auf alles“, sagt Molter am Firmensitz<br />
in Bernau. Projektleiter Johannes<br />
Maier nickt. Der groß gewachsene Mann<br />
hat mit seiner achtköpfigen Mannschaft<br />
ein Jahr lang in Brasilien gelebt und dort<br />
die Baustellen geleitet. Direkte Kritik gelte<br />
in Brasilien als unangebracht, sagt er. Niemand<br />
soll bloßgestellt werden. Nur führe<br />
das dazu, dass Entscheidungen sehr langsam<br />
getroffen werden. „Und dann muss auf<br />
einmal alles ganz schnell gehen“, so Maier.<br />
Hightex bekam das bei der Zusammenarbeit<br />
mit seinem brasilianischen Partner<br />
zu spüren: Um lokale Kontakte zu nutzen,<br />
gingen die Bayern ein Joint Venture mit<br />
dem brasilianischen Membran-Spezialisten<br />
SEPA ein. Doch das Unternehmen hielt<br />
seine Fristen nicht ein und lieferte auch die<br />
zur Bilanzerstellung benötigten Zahlen<br />
nicht. Die Konsequenz: Die kleine Hightex<br />
GmbH, deren Muttergesellschaft an der<br />
Londoner Börse notiert ist, wurde sechs<br />
Monate <strong>vom</strong> Handel ausgeschlossen.<br />
Trotzdem ist Maier mit seiner Arbeit zufrieden.<br />
„Wir sind pünktlich fertig geworden,<br />
und technisch waren wir einwandfrei.“<br />
In den vergangenen Jahren hat<br />
Hightex mit seinen drei WM-Projekten<br />
einen Umsatz von 25 Millionen Euro erwirtschaftet.<br />
Unter dem Strich sorgten die<br />
Turbulenzen des brasilianischen Partners<br />
für einen Verlust bei Hightex.<br />
Nun hoffen Molter und Maier auf Folgeaufträge.<br />
Hightex verhandelt bereits in<br />
Russland, wo 2018 die nächste WM stattfinden<br />
soll, und auch schon in Katar, dem voraussichtlichen<br />
Austragungsort für 2022. n<br />
alexander.busch@wiwo.de | São Paulo, marc etzold,<br />
jacqueline goebel, franz hubik, andreas macho,<br />
max nowroth, anja stehle<br />
FOTO: WOLF HEIDER-SAWALL FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
68 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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STEUERN UND RECHT<br />
Rigide und<br />
willkürlich<br />
Woran deutsche Mittelständler in<br />
Brasilien oft scheitern.<br />
nehmen im Schnitt 34 Prozent Steuern auf<br />
den Gewinn – der weltweite Durchschnitt<br />
liegt bei 27 Prozent. Doch es ist nicht nur<br />
die Höhe der Steuern, über die sich die<br />
Unternehmer ärgern. Gleichzeitig ändern<br />
sich Steuergesetze häufig und willkürlich.<br />
Kleinste Fehler bei den Angaben können<br />
sich nach ein paar Jahren zu horrend teuren<br />
Strafen aufsummieren.<br />
Umwelt- und Arbeitsgesetze: Ausländische<br />
Firmen werden von den Behörden<br />
meist genauer geprüft. Die Umweltgesetze<br />
sind mittlerweile genauso streng wie in den<br />
USA. Wer ein Unternehmen kauft und die<br />
Immobilie nicht sorgfältig auf Altlasten<br />
durchcheckt, kann böse Überraschungen<br />
erleben. „Gerade Mittelständler verzichten<br />
oft darauf, vor einer Übernahme die Unternehmen<br />
auf Herz und Nieren zu prüfen“,<br />
beobachtet Rechtsanwältin Maria Beatriz<br />
Kowalewski, die bei der Sozietät Tozzini-<br />
Freire in São Paulo für deutsche Firmenkunden<br />
zuständig ist. „Deutsche Geschäftsführer<br />
sind oft zu gutgläubig.“<br />
Das arbeitnehmerfreundliche Arbeitsrecht<br />
Brasiliens stammt aus den Dreißiger-<br />
Der bürokratische Aufwand ist kafkaesk.<br />
Drei Jahre lang brauchte der Armaturenhersteller<br />
Hansgrohe aus dem Schwarzwald,<br />
bis die bereits gegründete brasilianische<br />
Niederlassung eine vollwertige<br />
Importlizenz für ihre eigenen Produkte<br />
bekam. Mittelständler, die in Brasilien investieren,<br />
unterschätzen regelmäßig die<br />
Startschwierigkeiten. Überrascht stellen<br />
viele Neueinsteiger fest, dass im tropisch<br />
lockeren Brasilien die Rahmenbedingungen<br />
im Geschäftsalltag rigide sind. Die<br />
wichtigsten Fallstricke:<br />
Steuern: Die Abgaben und Aufschläge<br />
sind hoch und komplex. Laut einer Studie<br />
der Wirtschaftsprüfer von KPMG aus dem<br />
Jahr 2011 zahlen brasilianische Unterjahren<br />
und kann Unternehmern ebenfalls<br />
zum Verhängnis werden. Wer zum Beispiel<br />
die Arbeitszeiten seiner Angestellten<br />
nicht kontrolliert, kann auch Jahre später<br />
von Gerichten hohe Nachzahlungen für<br />
angeblich geleistete Überstunden aufgebrummt<br />
bekommen.<br />
Personal: Die Qualität einheimischer<br />
Manager ist durchwachsen. Fehlbesetzungen<br />
für den Posten des Geschäftsführers<br />
oder Filialleiters vor Ort kommen durchaus<br />
häufig vor. „Auf der Führungsebene<br />
mangelt es in Brasilien noch an einer konsequenten,<br />
nachhaltigen Unternehmensführung“,<br />
beobachtet Wilhelm Goschy aus<br />
dem Vorstand der Staufen AG, einer auf<br />
den Mittelstand spezialisierten Unternehmensberatung<br />
aus Köngen bei Stuttgart.<br />
Goschy rät daher Mittelständlern, die in<br />
Brasilien investieren, lieber dazu, einen<br />
qualifizierten Personalberater zu bezahlen,<br />
als dem Rat eines Amigos zu vertrauen.<br />
Ein Vorteil ist es auch, wenn der brasilianische<br />
Geschäftsführer zuvor mal in<br />
Deutschland gearbeitet hat.<br />
alexander.busch@wiwo.de | São Paulo<br />
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Technik&Wissen<br />
Mit der Sonne rechnen<br />
INTERNET | Je mehr Daten durchs Web rauschen, desto mehr Strom saugen die<br />
Rechenzentren. Nun starten Google, Facebook und Co. eine Ökooffensive:<br />
Sie bauen Solarparks, kühlen ihre Computer in der Arktis oder verkaufen Hausbesitzern<br />
Server als Heizung. Das Netz wird grüner – und treibt die Energiewende voran.<br />
Drei gleißende Lichter strahlen<br />
über die Mojave-Wüste in der<br />
Nähe von Las Vegas. Mancher<br />
Autofahrer, der hier auf dem<br />
Interstate Highway Nummer<br />
15 in Kalifornien unterwegs ist, könnte sie<br />
für eine Fata Morgana halten.<br />
Es sind die Türme von Ivanpah, einem<br />
gigantischen neuen Kraftwerk, das seinesgleichen<br />
sucht. Es erzeugt aus Sonnenwärme<br />
Dampf, der Turbinen antreibt. Die produzieren<br />
so viel Strom, wie 140 000 Haushalte<br />
verbrauchen. Die drei Kolosse, jeder<br />
fast so hoch wie der Kölner Dom, sind getaucht<br />
in flirrende Sonnenstrahlen, gebündelt<br />
von 347 000 Spiegeln, die sich wie ein<br />
See aus Quecksilber in die Wüste ergießen.<br />
Das Kraftwerk ist das größte seiner Art<br />
und hat einen ungewöhnlichen Investor:<br />
Google. Der Internet-Konzern hat 170 Millionen<br />
Dollar in das Solarprojekt gesteckt.<br />
Und das ist nur der kleine Teil einer gewaltigen<br />
Ökooffensive des Suchmaschinen-<br />
Riesen: Für mehr als eine Milliarde Dollar<br />
baut Google Windräder und Solarparks mit<br />
der Leistung zweier Atomkraftwerke.<br />
Nicht Gutmenschentum treibt die Nerds<br />
aus Kalifornien ins Geschäft mit dem Ökostrom<br />
– sondern der Hunger nach Energie.<br />
E-Mails, Videos und Bilder mögen nur aus<br />
Bits und Bytes bestehen. Doch je mehr Daten<br />
wir um die Welt schicken, je mehr<br />
Cloud-Dienste wir nutzen, desto größer<br />
wird der ganz reale Stromverbrauch der<br />
Datenzentren und Netzwerke.<br />
Allein Googles Rechner-Heer schluckt<br />
3,3 Terawattstunden im Jahr, so viel wie eine<br />
mittlere Großstadt. Addiert man den<br />
Verbrauch aller anderen Netzdienste wie<br />
Facebook oder Dropbox hinzu und rechnet<br />
Grüne Datenflut<br />
Weltmarkt für energiesparende<br />
Rechenzentren<br />
17,1<br />
Mrd. $<br />
2012<br />
Quelle: Pike Research<br />
45,4<br />
Mrd. $<br />
2016<br />
auch den Betrieb der Datennetze mit ein,<br />
ergibt sich laut der Umweltorganisation<br />
Greenpeace ein Stromkonsum von 684 Terawattstunden.<br />
Im Länderranking der<br />
Stromverbraucher käme das Internet auf<br />
Platz sechs. Zwei Prozent der globalen<br />
CO 2 -Emissionen verursacht der Betrieb<br />
von Servern, Monitoren und PCs, schätzt<br />
die IT-Nachhaltigkeitsinitiative Gesi.<br />
STROMKOSTEN KAPPEN<br />
Damit ist das Web schon so schmutzig wie<br />
der Flugverkehr. Dabei hat die Vernetzung<br />
des Planeten gerade erst begonnen: Zwischen<br />
2012 und 2017, schätzt der US-Netzwerkkonzern<br />
Cisco, verdreifacht sich der<br />
Datenverkehr zu den Rechenzentren.<br />
Nicht nur für Umweltschützer, auch für<br />
viele Akteure in der Branche steht fest: Es<br />
ist höchste Zeit für eine Energiewende des<br />
World Wide Web. Vor allem Google, Facebook<br />
und Apple, die drei Riesen aus dem<br />
Silicon Valley, machen vor, wie es geht. Sie<br />
investieren Milliarden Dollar in grüne<br />
Kraftwerke. Das Ziel steht fest – 100 Prozent<br />
Ökostrom. Nicht nur, weil es gut fürs Image<br />
ist, sondern auf Dauer auch billiger, wenn<br />
fossile Rohstoffe immer teurer werden.<br />
Denn die Stromrechnung macht 40 Prozent<br />
der Betriebskosten eines Datenzentrums<br />
aus. Wer Strom spart, macht mehr<br />
Gewinn. Ideen gibt es dazu genug: Clevere<br />
Cloud-Anbieter verzichten auf Klimaanlagen<br />
und postieren ihre Server stattdessen<br />
in der Arktis. In Stockholm speisen Datenzentren<br />
ihre Abwärme ins Fernwärmenetz<br />
– gegen Bezahlung. Das Dresdner Start-up<br />
Cloud&Heat verkauft Server gar an Hausbesitzer<br />
– als Heizung, die kein Öl benötigt.<br />
Grüne Datenzentren, melden die Marktforscher<br />
von Pike Research, sind das neue<br />
Boom-Business: Das weltweite Geschäft<br />
wachse jährlich um rund 30 Prozent – auf<br />
45 Milliarden Dollar im Jahr 2016.<br />
Unternehmen wir eine Reise durch das<br />
nachhaltige Internet – auf fünf Stationen<br />
von Island über die USA bis nach Berlin.<br />
1 | SERVER AM POLARKREIS<br />
Schwefel liegt in der Luft, als Örn Orrason<br />
seinen Wagen auf die Schnellstraße nach<br />
Keflavik lenkt. Lava, die hier vor Tausenden<br />
Jahren floss und dann erkaltete, hat die Gegend<br />
rund um die isländische Hafenstadt<br />
in eine Mondlandschaft verwandelt. Und<br />
tief unter dem Gestein, das verrät der Geruch,<br />
brodelt noch immer ein Höllenfeuer<br />
aus den Urzeiten der Erdgeschichte.<br />
Touristen lieben die Vulkanlandschaft,<br />
weil sie hier in heißen Quellen baden können,<br />
in der berühmten Blauen Lagune, und<br />
dabei einen Blick erhaschen in die feurige<br />
Vergangenheit der Insel. Orrason liebt sie,<br />
FOTO: GETTY IMAGES/ETHAN MILLER<br />
70 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Strom für die Suchmaschine<br />
Google investiert massiv in Solarenergie – wie<br />
hier im kalifornischen Kraftwerk Ivanpah<br />
3Mal mehr Daten als<br />
heute strömen im Jahr<br />
2017 durch die Netze<br />
684<br />
Terawattstunden Strom<br />
verbrauchen Datenzentren<br />
und -netze pro Jahr<br />
2Prozent der Kohlendioxid-Emissionen<br />
verursachen Rechner<br />
weil er in ihr Islands Zukunft sieht – eine<br />
Zukunft aus Siliziumchips, Glasfaserkabeln<br />
und Tausenden Festplatten. Lange<br />
hat Island nur Fisch exportiert. „Jetzt“, sagt<br />
Orrason, „exportieren wir Bits und Bytes.“<br />
Der Isländer arbeitet bei Farice, einem<br />
Betreiber zweier Seekabel, die die Insel seit<br />
2004 und 2009 mit Schottland, Dänemark<br />
und dem globalen Datennetz verbinden.<br />
So einsam das Vulkan-Eiland im Nordatlantik<br />
liegt – in letzter Zeit erhält Orrason<br />
oft Besuch von Firmenchefs, die seine Internet-Schnellstrecke<br />
nutzen möchten.<br />
In der Branche spricht sich herum, dass<br />
nah am Polarkreis ideale Bedingungen<br />
herrschen, um energiehungrige Server aufzustellen.<br />
Selbst an heißen Sommertagen<br />
wird es nicht wärmer als 25 Grad. Die ganzjährig<br />
kalte Luft macht Klimaanlagen überflüssig.<br />
Die verbrauchen 40 Prozent des<br />
Stroms in einem Rechenzentrum. Gleichzeitig<br />
ist Ökostrom aus Wasserkraft und<br />
Erdwärme im Überfluss vorhanden.<br />
Die Nachbarn in Skandinavien erleben<br />
dank dieser Vorzüge schon einen IT-Boom:<br />
Google hat im finnischen Hamina ein Rechenzentrum<br />
gebaut, das mit Wasser aus<br />
der Ostsee gekühlt wird, und investiert nun<br />
weitere 600 Millionen Dollar in den Standort.<br />
Facebook errichtet im schwedischen<br />
Luleå am Polarkreis bereits seinen zweiten<br />
Serverpark. Microsoft zieht nach und stellt<br />
für 250 Millionen Dollar einen Cloud-Speicher<br />
in Finnland auf.<br />
Auch Island entwickelt sich nun zu einem<br />
grünen Daten-Eldorado. Weil der<br />
Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull<br />
vielen Geschäftskunden noch präsent ist,<br />
muss Kabelbetreiber Orrason sie vor<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 71<br />
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Technik&Wissen<br />
»<br />
allem von einem überzeugen: dass ihre<br />
Server nicht von Lava verschluckt oder von<br />
Erdbeben zerrüttet werden. Als ob im Silicon<br />
Valley keine Erdstöße drohten.<br />
Vulkane hin oder her: Längst haben<br />
zahlreiche Unternehmen ihre Server in Island<br />
postiert, viele auf einem ehemaligen<br />
Militärgelände der Nato, in das Orrason<br />
nun mit seinem Wagen einbiegt. In Lagerhallen,<br />
groß wie Fußballfelder, hat das britische<br />
IT-Unternehmen Verne Global Ende<br />
2011 eines der modernsten Datenzentren<br />
der Welt eröffnet – und eines der grünsten.<br />
Auf dem Hof begrüßt Orrason den Deutschen<br />
Andreas Sturm. Der drahtige Netzwerkexperte<br />
betreut bei Verne Global das<br />
Geschäft im deutschsprachigen Raum.<br />
Sturm führt die Besucher durch mehrere<br />
Sicherheitsschleusen, hinein in eine Halle<br />
voller Serverschränke. Ventilatoren pressen<br />
kühle Außenluft durch die Schrankreihen,<br />
es brummt wie im Bienenstock.<br />
„Die Computer hier brauchen fünf Megawatt<br />
elektrische Leistung“, sagt Sturm. So<br />
viel wie 6000 Haushalte. Für Islands Energieversorger<br />
Landsvirkjun kein Problem.<br />
Dieses Jahr nimmt er ein neues Wasserkraftwerk<br />
mit 95 Megawatt Leistung in<br />
Betrieb. Der Strom kostet in Island für Industriekunden<br />
im Idealfall nur 3,2 Cent pro<br />
Kilowattstunde – in Deutschland 8,6 Cent.<br />
Mehr als ein Dutzend Kunden nutzen<br />
Vernes Ökodatenzentrum. Etwa der Autobauer<br />
BMW, der hier die Aerodynamik seiner<br />
Fahrzeuge berechnet, Unfälle simuliert<br />
und das Design optimiert – und damit so<br />
viel CO 2 spart, wie das Verbrennen von 1,5<br />
Millionen Liter Benzin freisetzt. Und Climate<br />
Action, ein Klimaschutzprogramm<br />
der Vereinten Nationen, speichert seine<br />
E-Mails auf Verne-Servern.<br />
In einem nahe gelegenen Serverpark des<br />
isländischen IT-Dienstleisters Advania hat<br />
der norwegische Web-Browser-Anbieter<br />
Opera Dutzende Server in zwei blauen<br />
Containern postiert. Ruft ein Handynutzer<br />
irgendwo in Europa oder Afrika eine Web-<br />
Seite auf, dann komprimieren die Computer<br />
auf Island sie zuvor auf ein Zehntel der<br />
Datenmenge. 1,4 Milliarden Web-Seiten<br />
rechnen die Opera-Computer auf Island<br />
pro Tag klein. Surfen im Netz wird so<br />
schneller und billiger.<br />
Noch haben die beiden Datenleitungen<br />
zur Eis-Insel reichlich Platz, dem IT-Boom<br />
steht nichts entgegen. Aber wenn wieder<br />
Vulkane ausbrechen? „Die sind Hunderte<br />
Kilometer entfernt“, sagt Verne-Manager<br />
Sturm. „Und Asche in der Luft erkennen<br />
wir mit Laser-Sensoren.“ Dann schließen<br />
Warme Quelle Ein Kraftwerk an Islands Blauer Lagune erzeugt sauberen Strom aus Erdwärme<br />
sich die Fenster – und ein Wärmetauscher<br />
kühlt die Luft für die Computer.<br />
2 | GRÜNSTROM VON APPLE<br />
Schweine, Mais, Kartoffeln: Iowa, der US-<br />
Bundesstaat im Mittleren Westen, ist bekannt<br />
für seine bodenständigen Exportwaren.<br />
Nun bietet der Mais-Staat ein weiteres<br />
Naturprodukt feil – Strom aus Windkraft.<br />
656 Windräder will der Energiekonzern<br />
MidAmerican Energy aus Des Moines,<br />
Hauptstadt des Bundesstaates, in der weiten<br />
Landschaft aufstellen – für 1,9 Milliarden<br />
Dollar. Es ist die größte Investition in<br />
Iowas Geschichte. Und es ist ein offenes<br />
Geheimnis, welcher Konzern die Entscheidung<br />
angestoßen hat: Facebook. Das soziale<br />
Netzwerk baut in Iowa ein 300 Millionen<br />
Dollar teures Datenzentrum, das<br />
Strom aus den Windparks beziehen wird.<br />
So werden die großen Internet-Konzerne,<br />
oft als Umweltsünder gescholten, nun<br />
zu Treibern der Energiewende. Auch Google<br />
hat schon mehrere Energieversorger in<br />
Oklahoma und North Carolina dazu gedrängt,<br />
in Ökokraftwerke zu investieren.<br />
Und die IT-Konzerne bauen selbst gewaltige<br />
grüne Kraftwerke. Apple hat an seinem<br />
Rechnerpark in North Carolina zwei<br />
Solarparks mit insgesamt 40 Megawatt<br />
Leistung installiert. Nachts erzeugen<br />
Brennstoffzellen Strom aus Biogas. Auch<br />
Erdwärme und Windkraft nutzt der Apfel-<br />
Konzern für seine vier Serverparks. iCloud,<br />
Siri, Maps: Sämtliche Cloud-Dienste von<br />
Apple saugen 100 Prozent Grünstrom.<br />
Andere Internet-Konzerne interessieren<br />
sich allerdings kaum für sauberen Strom.<br />
Vor allem Amazon, inzwischen einer der<br />
größten Cloud-Anbieter weltweit, bezieht<br />
immer noch zum Großteil Energie aus<br />
Kohle und Gas. Der Konzern ist vor allem<br />
an geringen Strompreisen interessiert.<br />
Doch das könnte ein strategischer Fehler<br />
sein. Denn schon jetzt zeichnet sich ab,<br />
dass künftig jene Datenzentren die besten<br />
Preise bieten können, die nicht von steigenden<br />
Ressourcenkosten abhängig sind –<br />
und jene, die wenig Strom verbrauchen.<br />
3 | SCHWIMMENDE SERVER<br />
Computer in Wasser zu tauchen, das weiß<br />
selbst der Laie, ist weder für den Computer<br />
noch für seinen Benutzer gut. Michael<br />
Kopka schert sich nicht darum. Um sein<br />
neues Kühlverfahren für Server zu demonstrieren,<br />
lässt der Manager beim US-<br />
Technologiekonzern 3M auf Messen in<br />
Deutschland schon einmal ganze Server<br />
bei laufendem Betrieb in einem Becken<br />
voll Flüssigkeit baden gehen.<br />
Der Kurzschluss bleibt aus – dank der geheimen<br />
Zusammensetzung der Flüssigkeit:<br />
Sie sieht wie Wasser aus, ist aber keines.<br />
Sie leitet keinen Strom, aber umso besser<br />
Wärme. Und sie lässt sensible Elektronik<br />
nicht korrodieren. „Gegenüber heutigen<br />
Kühlverfahren“, sagt Kopka, „spart die<br />
Methode 97 Prozent Energiekosten.“<br />
Grüne IT, das wird immer klarer, ist vor<br />
allem gutes Wärmemanagement. Zum Beispiel,<br />
indem Ingenieure die kalte Luft gezielter<br />
durch die Serverschränke leiten.<br />
Dazu stellen sie die Server so einander gegenüber,<br />
dass sich in den Gängen je die<br />
kalten oder die warmen Seiten begegnen.<br />
So strömt kalte Luft direkt zu den Prozessoren,<br />
ohne sich schon vorher zu erwärmen.<br />
Aber auch die IT selbst wird effizienter.<br />
Alle 18 Monate verdoppeln Computer-<br />
FOTOS: ACTION PRESS, LAIF/POLARIS/SPENCER MANDELL, PR<br />
72 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Wärmequelle Server im Stockholmer Datenzentrum Prionen heizen Wohnungen und Büros<br />
chips ihre Rechenleistung – bei gleichbleibendem<br />
Stromverbrauch. Sparsame SSD-<br />
Speicher ersetzen rotierende Festplatten.<br />
Und Virtualisierungssoftware verschiebt<br />
Daten so auf einzelne Geräte, dass diese<br />
am effizientesten ausgelastet werden (siehe<br />
auch Seite 74).<br />
Trotzdem: Datenzentren bleiben Heizkraftwerke.<br />
Der Strom, der in Computer<br />
fließt, wird nahezu komplett in Wärme umgesetzt.<br />
„Die Abwärme lässt sich aber nutzen“,<br />
sagt Ralph Hintemann, IT-Experte<br />
beim Berliner Borderstep Institut. „Darin<br />
steckt ein Riesenpotenzial.“<br />
4 | WOLKE IM KELLER<br />
Daten seien das neue Öl, heißt es oft sprichwörtlich,<br />
aber für Matthias Kutschmar hat<br />
dieser Satz eine handfeste Bedeutung. Der<br />
Kaffeeunternehmer hat in seinem neuen<br />
Einfamilienhaus am Stadtrand von Berlin<br />
eine ungewöhnliche Heizung installiert.<br />
Zwei brummende Stahlschränke, je zwei<br />
Meter hoch: Computerserver.<br />
Die Schränke in Kutschmars Haus sind<br />
via Datenleitung mit dem Internet verbunden.<br />
Sie sind Teil einer Cloud, eines vernetzten<br />
Rechnerparks also. Aber zugleich<br />
geben sie ihre Hitze über einen Wärmetauscher<br />
an einen großen Wassertank ab. Mit<br />
dem Wasser kann Kutschmar auch an kalten<br />
Wintertagen das ganze Haus heizen<br />
und nebenbei ein heißes Bad nehmen.<br />
„Ich habe alles durchgerechnet“, sagt der<br />
47-Jährige, „und das hier ist die preiswerteste<br />
Heizung, die ich auftreiben konnte.“<br />
Die hat der Berliner beim Dresdner<br />
Start-up Cloud&Heat gekauft. Preis: 12 000<br />
Euro. Dafür garantiert der Anbieter 15 Jahre<br />
genug Warmwasser und Heizleistung für<br />
den Bedarf einer Familie. Er zahlt auch den<br />
Strom, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren<br />
Quellen stammt, die Internet-Anbindung<br />
und die Wartung. „Um Öl- und Gaspreise“,<br />
sagt Ralf Knobloch, Technik-Chef<br />
bei Cloud&Heat, „machen sich unsere<br />
Kunden keine Gedanken mehr.“<br />
Vor allem in gut isolierten Gebäuden mit<br />
Passivhaus-Standard spielt die Datenheizung<br />
ihre Stärken aus. Ein Serverschrank<br />
spart hier gegenüber Öl und Gas in 15 Jahren<br />
30 Prozent Betriebskosten ein – sofern<br />
Heizöl jährlich fünf Prozent teurer wird.<br />
Auch die Cloud-Kunden sparen Geld:<br />
Die Server für den Heizungskeller sind im<br />
Vergleich zu zentralen Rechenzentren um<br />
60 Prozent günstiger, da Klimatisierung,<br />
Umhausung und Bewachung weniger kosten.<br />
Wer versucht, sie gewaltsam zu öffnen,<br />
löst eine Zwangsabschaltung aus, die zugleich<br />
die virtuellen Schlüssel zu den Da-<br />
12000<br />
Euro kostet ein<br />
Serverschrank<br />
als Heizung fürs<br />
Einfamilienhaus<br />
30<br />
Prozent Kosten<br />
spart das<br />
System gegenüber<br />
Heizöl<br />
ten löscht. Manchen mag das nicht sicher<br />
genug sein. Aber mehrere Start-ups und<br />
Mittelständler haben Cloud&Heat ihre Informationen<br />
schon anvertraut.<br />
Und was im kleinen Heizkeller funktioniert,<br />
klappt auch im großen Datenzentrum:<br />
Der Stockholmer Cloud-Anbieter<br />
ISP Bahnhof, bekannt geworden durch ein<br />
architektonisch spektakuläres Datenzentrum<br />
in einem alten Atombunker, hat bereits<br />
zwei seiner fünf Rechenfabriken an<br />
das Fernwärmenetz der schwedischen<br />
Hauptstadt angeschlossen – und kassiert<br />
sogar Geld dafür. „Die Hitze der Server hat<br />
uns immer Geld gekostet“, sagt Gustav<br />
Bergquist, Cloud-Chef bei ISP Bahnhof.<br />
„Jetzt beschert sie uns Einnahmen.“<br />
Nach spätestens fünf Jahren soll sich die<br />
Investition bezahlt machen. Seine nächsten<br />
Datenzentren will ISP Bahnhof von<br />
Grund auf für die optimale Nutzung der<br />
Wärme konzipieren – und damit einen<br />
neuen Effizienzrekord erreichen.<br />
5 | ALGEN ZÜCHTEN<br />
Seit in der schwedischen Kleinstadt Växjö<br />
ein Datenzentrum den Betrieb aufgenommen<br />
hat, ist das ganze Jahr über Fußballsaison.<br />
Denn die Abwärme der Rechner<br />
fließt in einen Wasserkreislauf direkt unter<br />
ein Rasenfeld und hält es frei von Schnee.<br />
Energiekreisläufe, wie die Schweden sie<br />
nutzen, will auch Oliver Fronk anzapfen –<br />
und für die Landwirtschaft einsetzen. Der<br />
Datenzentren-Spezialist des IT-Dienstleisters<br />
Prior1 in St. Augustin bei Bonn hat ein<br />
preisgekröntes Konzept mit entwickelt, das<br />
die Wärme von Servern in Hochhausfarmen<br />
speist.<br />
Dort heizen die Rechner<br />
Treibhäuser, in denen Gemüse<br />
wächst; sie wärmen<br />
Zuchttanks für Fische; und<br />
sie spenden Reaktoren<br />
Energie, in denen Algen<br />
gedeihen – der Rohstoff<br />
der Zukunft für Biogas,<br />
Kosmetika, Tiernahrung<br />
und Medikamente.<br />
Schon in drei bis vier<br />
Jahren, glaubt Fronk,<br />
könnten solche Serverund<br />
Algenfarmen den Betrieb<br />
aufnehmen. Und sie<br />
wären dann buchstäblich<br />
grüne Datenzentren. n<br />
andreas.menn@wiwo.de<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 74 »<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 73<br />
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Technik&Wissen<br />
SOFTWARE<br />
Bloß keine Lücken<br />
Florian Leibert hat die Technik von Twitter mit aufgebaut. Nun hilft<br />
sein Start-up, Rechenzentren effizient wie nie zu managen.<br />
Von Finnland ganz im Norden bis nach<br />
Chile weit im Süden: Google betreibt über<br />
die Welt verteilt 13 Rechenzentren, damit<br />
Internet-Nutzer möglichst schnell Aktienkurse<br />
suchen, Videos bei YouTube speichern<br />
und E-Mails abrufen können. In riesigen<br />
Hallen werkeln dazu Tausende<br />
Hochleistungscomputer, die hungrig<br />
nach Daten sind – und nach Energie. Jede<br />
der Rechenfabriken verbraucht so viel<br />
Strom wie eine Kleinstadt.<br />
Der Energiehunger könnte noch viel<br />
größer sein. Doch ein System mit Codenamen<br />
Borg hilft dem Internet-Giganten,<br />
seine Daten besser zu verwalten als viele<br />
andere Firmen. Es reduziere den Bedarf<br />
an Serverleistung um mehrere Prozent,<br />
so John Wilkes, der bei Google für dessen<br />
Weiterentwicklung verantwortlich ist. Das<br />
klingt nach etwas Kostenoptimierung, hat<br />
aber enorme Konsequenzen: „Das entspricht<br />
einem weiteren Datencenter, das<br />
wir nicht bauen müssen“, erklärt Wilkes.<br />
Borg verteilt Daten und Rechenaufgaben<br />
möglichst optimal auf alle Server. Wilkes<br />
vergleicht das mit der Aufgabe, verschieden<br />
große Holzscheite in Körbe zu<br />
sortieren. Das System ordnet sie so an,<br />
dass möglichst keine Lücken bleiben.<br />
Lange war Borg eins der am strengsten<br />
gehüteten Geheimnisse Googles, denn es<br />
verschaffte dem Konzern enorme Wettbewerbsvorteile.<br />
Inzwischen nutzen immer<br />
mehr Firmen vergleichbare Technik.<br />
BETRIEBSSYSTEM FÜR DIE CLOUD<br />
Eine entscheidende Rolle spielt dabei ein<br />
deutscher Softwareingenieur: Florian<br />
Leibert. Er hat zwischen 2009 und 2011<br />
beim Kurznachrichtendienst Twitter die<br />
Suchfunktion mit entwickelt. Auch die<br />
Empfehlungen, welcher anderen Person<br />
ein Nutzer folgen sollte, gehen auf ihn zurück.<br />
Sein vielleicht größter Dienst für<br />
Twitter war, den Vortrag seines Freundes<br />
Ben Hindman zu organisieren. Der war<br />
damals Doktorand an der Universität in<br />
Berkeley, wo er mit anderen ein Programm<br />
namens Mesos entwickelt hat.<br />
Zwar interessierten sich nur acht Mitarbeiter<br />
bei Twitter dafür. Doch das waren immerhin<br />
zehn Prozent der Belegschaft. Vor<br />
allem aber waren drei Ex-Google-Mitarbeiter<br />
dabei, die in Mesos ihr Borg-System<br />
wiedererkannten.<br />
Und so heuerte der Zwitscherdienst<br />
Hindman an, um das System einzuführen.<br />
Dort geht inzwischen nichts mehr ohne Mesos.<br />
Leibert erkannte das Potenzial und<br />
gründete gemeinsam mit Tobias Knaup, einem<br />
Schulfreund aus Schweinfurt, vor einem<br />
Jahr Mesosphere. Übrigens nicht die<br />
Von Schweinfurt ins Silicon Valley Florian<br />
Leibert will mit Open Source Geld verdienen<br />
erste Firma der beiden: Bereits mit 15 hatten<br />
sie ihr eigenes Unternehmen und entwickelten<br />
E-Commerce-Dienstleistungen.<br />
Inzwischen hat Mesosphere 23 Mitarbeiter,<br />
darunter ehemalige Entwickler von<br />
Amazon, Adobe oder Intel. Prominent sind<br />
auch die Investoren: Zu den Geldgebern gehören<br />
die Risikokapitalgeber Andreessen<br />
Horowitz und Kleiner Perkins, die einst<br />
auch Facebook oder Twitter finanzierten.<br />
Um zu erklären, was Mesos genau ist,<br />
vergleicht Leibert es mit einem Betriebssystem.<br />
Windows etwa sagt dem PC, welche<br />
Rechenoperationen die Prozessoren erledigen<br />
müssen. Genauso organisiert Mesos<br />
riesige Big-Data-Analysen. „Es lässt das Rechenzentrum<br />
wie einen Riesencomputer<br />
aussehen“, so Leibert. „Das ist wie ein Betriebssystem<br />
für Datencenter und die<br />
Cloud.“<br />
Heute braucht jede IT-Firma Experten,<br />
die für Datencenter individuell Rechenprozesse<br />
oder komplexe Big-Data-Abfragen<br />
konfigurieren. Mesos soll das enorm<br />
vereinfachen. Auch in Notfällen sind weniger<br />
Spezialisten notwendig. Streiken etwa<br />
Teile eines Rechenzentrums, verteilt<br />
Mesos die dort geplanten Aufgaben automatisch<br />
neu. Vor allem aber kann die Effizienz<br />
enorm gesteigert werden. „Die<br />
meisten Rechenzentren laufen heute mit<br />
einer Auslastung zwischen 8 und 15 Prozent“,<br />
sagt Leibert. Mesos könne man<br />
den Wert auf 25 bis 30 Prozent steigern.<br />
SERVERKOSTEN HALBIERT<br />
Die Vorteile erkennen immer mehr Unternehmen.<br />
So setzen neben Twitter auch<br />
Ebay, PayPal und die Videoplattform Vimeo<br />
auf Mesos. In Deutschland hat Leibert<br />
Gespräche mit ersten Interessenten<br />
geführt. Um den hiesigen Markt zu erobern,<br />
hat das Unternehmen im Mai ein<br />
Büro in Hamburg eröffnet.<br />
Wie viel das System bringen kann, zeigt<br />
das Softwareunternehmen HubSpot:<br />
Dank Mesos konnte der Marketingspezialist<br />
die Zahl der bei Amazon angemieteten<br />
Server deutlich reduzieren, die Kosten<br />
sanken um bis zu 50 Prozent.<br />
Am stärksten setzt derzeit Airbnb auf<br />
das Mesos. Die Online-Zimmervermittlung<br />
hat ihre komplette Infrastruktur auf<br />
das System umgestellt. Verantwortlich<br />
dafür: Leibert und sein Freund Knaup.<br />
Ihre Firma Mesosphere steht noch ganz<br />
am Anfang, doch Leibert hofft auf gute<br />
Geschäfte. Dabei ist das Programm kostenlos,<br />
denn es ist eine Open-Source-Anwendung<br />
wie das Betriebssystem Linux.<br />
„Man muss aber ein relativ hohes technisches<br />
Verständnis haben, um Mesos aufzusetzen“,<br />
sagt Leibert. Sein Start-up<br />
agiert daher bisher als Dienstleister. Bis<br />
Anfang kommenden Jahres will er zudem<br />
ein Softwarepaket entwickeln, das auch<br />
kostenpflichtige Teile beinhaltet. Das Geschäftsmodell<br />
von Mesosphere sei mit<br />
der US-Firma Red Hat vergleichbar: Der<br />
größte Linux-Anbieter erzielte im Vorjahr<br />
einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar.<br />
Nur Google wird Leibert wahrscheinlich<br />
nicht als Kunden gewinnen: Der Konzern<br />
arbeitet an einem eigenen Nachfolgesystem<br />
für Borg. Der Projektname dafür lautet<br />
Omega – die Technik soll Mesos noch<br />
stärker ähneln als das derzeitige System.<br />
oliver.voss@wiwo.de<br />
FOTO: PRIVAT<br />
74 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Zocken als Beruf Asien gilt als Hochburg<br />
für Schiebereien bei Sportwetten –<br />
und wäscht dabei auch noch Schwarzgeld<br />
FOTO: LAIF/SINOPIX/COLIN GALLOWAY<br />
Liebe zur Geometrie<br />
FUSSBALL | Sportwetten bewegen Milliardenbeträge – und locken<br />
Betrüger. Auch bei der Fußball-WM in Brasilien drohen Manipulationen.<br />
Wie Datendetektive den Schiebern auf die Spur kommen.<br />
Zahlenkolonnen flackern über einen<br />
abgenutzten Röhrenbildschirm. Er<br />
ist die einzige Lichtquelle im dunklen,<br />
drückend heißen Zimmer. Ein junger<br />
Asiate sitzt davor und starrt auf den Monitor<br />
voller Quoten, Wetteinsätze und einer<br />
nicht enden wollenden Liste von Fußballspielen.<br />
Leise klackert seine Tastatur, er riskiert<br />
immer nur kleine Summen, setzt auf<br />
immer andere Turniere.<br />
Als es nach einer langen Nacht auf den<br />
Straßen hell wird, geht er nicht etwa zur Arbeit,<br />
sondern macht weiter. Denn er spielt<br />
nicht zum Vergnügen – es ist sein Job. Nach<br />
den Befehlen seiner Mafia-Bosse mischt er<br />
als Strohmann im Online-Wettmarkt mit.<br />
Anonyme Marionetten wie den jungen<br />
Spieler gibt es vor allem in Asien zu Tausenden.<br />
Der Kontinent gilt als eine Hochburg<br />
für Geldwäsche und Manipulation bei<br />
Sportwetten. Rund 100 Milliarden Euro<br />
wäscht die organisierte Kriminalität weltweit<br />
laut einer Studie der Pariser Universität<br />
Panthéon-Sorbonne pro Jahr über dieses<br />
Geschäft, das von Land zu Land mehr<br />
oder weniger reglementiert ist. Insgesamt<br />
sollen auf dem Wettmarkt rund 200 bis 500<br />
Milliarden Euro umgesetzt werden, 80 Prozent<br />
über illegale Geschäfte. Betroffen von<br />
den kriminellen Aktivitäten sind fast alle<br />
Sportarten, sei es Kricket, Basketball oder<br />
Fußball – bis hin in kleine Ligen.<br />
Jetzt, kurz vor der Fußballweltmeisterschaft<br />
in Brasilien, mehren sich die Bedenken,<br />
dass auch dort die Wettmafia aktiv<br />
sein wird. Ralf Mutschke, der Sicherheitschef<br />
des Weltfußballverbandes Fifa, warnte<br />
bereits Anfang des Jahres: „Wir müssen<br />
ganz klar davon ausgehen, dass die organisierte<br />
Kriminalität versucht, auch WM-<br />
Spiele zu manipulieren.“<br />
Denn für Kriminelle ist es nicht nur lohnen,<br />
illegale Einnahmen durch Wetten<br />
reinzuwaschen – sie lassen sich so gleich<br />
vermehren. Am leichtesten, wenn das Ergebnis<br />
vorher feststeht. So wohl geschehen<br />
bei Testspielen kurz vor der letzten WM in<br />
Südafrika, wie ein geheimer Bericht der Fifa<br />
dokumentiert, den die „New York Times“<br />
Manche Gauner<br />
sind so dreist<br />
und kaufen ganze<br />
Sportvereine<br />
kürzlich öffentlich gemacht hat. Hier hat<br />
ein Schiedsrichter für das gewünschte<br />
Spielergebnis gesorgt, aber auch Spieler<br />
oder gar Trainer machen mit. Und regelmäßig<br />
auch in Europa: Nach Ermittlungen<br />
der Polizeibehörde Europol hat die Wettmafia<br />
zwischen 2008 und 2011 etwa 380<br />
Spiele manipuliert, teils in der Champions<br />
League und während der WM-Qualifikation.<br />
Insgesamt 425 Spieler, Schiedsrichter<br />
und Verbandsfunktionäre sollen beteiligt<br />
gewesen sein. Zu Verhaftungen kam es<br />
aber nur in rund 50 Fällen.<br />
Um diese Machenschaften aufzudecken,<br />
sind Datenreihen und Statistiken zum unverzichtbaren<br />
Hilfsmittel für Ermittler und<br />
Wettanbieter geworden. Bei den Analysen<br />
geht es nicht nur um Einsätze und Gewinnquoten,<br />
sondern künftig auch um das Verhalten<br />
der Spieler und Schiedsrichter.<br />
Noch immer wetten viele Sportfans in<br />
Hinterzimmern und auf der Straße. Aber<br />
mehr und mehr Geschäft läuft über das Internet.<br />
Längst setzen die Zocker nicht mehr<br />
nur auf Spielergebnisse, sondern auch auf<br />
die Zahl der Tore in der ersten Halbzeit, der<br />
gegebenen Ecken oder welche Mannschaft<br />
als erste ein Tor schießt. All das bietet Gelegenheit<br />
für Manipulationen – und erzeugt<br />
nebenbei eine riesige Menge an Bits und<br />
Bytes. Big Data lässt grüßen.<br />
KRITIK AN DER FIFA<br />
Im eigenen Interesse versucht die Wettmafia,<br />
über Strohmänner so unauffällig wie<br />
möglich Profite herauszuschlagen. Selten<br />
sind Kriminelle so dreist und kaufen vor einem<br />
Spiel ganze Fußballclubs, um die<br />
Mannschaft dann nach Belieben umzubauen,<br />
wie 2005 im Fall des finnischen AC<br />
Allianssi. Der chinesische Geschäftsmann<br />
Zheyun Ye, in der Wettszene kein Unbekannter,<br />
erwarb den Verein überstürzt und<br />
ließ neue Spieler inklusive eines Ersatztorwarts<br />
für ein entscheidendes Spiel antreten:<br />
Die Mannschaft verlor mit 0:8.<br />
Um Unregelmäßigkeiten im Sport aufzudecken,<br />
hat die Fifa 20<strong>07</strong> in Zürich das „Early<br />
Warning System“ (EWS) gegründet. „Unsere<br />
Hauptarbeit ist die Analyse wettmarktrelevanter<br />
Daten“, sagt Jacek Wojdyla, zuständig<br />
für internationale Zusammenarbeit<br />
beim EWS. Angaben der Wettanbieter bilden<br />
eine der Informationsquellen. „Wir<br />
überwachen Wettangebote, Quotenbewegungen<br />
und verfolgen die Liquidität des<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 75<br />
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Technik&Wissen<br />
Hitze des Gefechts Heatmaps verraten, wo sich Fußballer – in diesem Beispiel<br />
Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger – auf dem Platz bevorzugt aufhalten<br />
»<br />
Marktes mit einem technischen System“,<br />
so Wojdyla. Komme es dabei zu auffälligen<br />
Mustern, etwa wenn sich die Wettquoten<br />
für die Gesamtzahl der Tore noch kurz vor<br />
dem Spiel stark ändern, meldet das EWS<br />
dies an die Fifa. Einfluss auf den Wettmarkt<br />
oder dessen Anbieter nehmen darf es aber<br />
nicht. Zudem halten Kritiker die 100-prozentige<br />
Tochter der Fifa für zu abhängig,<br />
um effektiv zu arbeiten. Ihre Nähe zum Verband<br />
sei ein Hindernis, klagt unter anderem<br />
Transparency International.<br />
WENN GROSSRECHNER BLIND SIND<br />
Das EWS ist nur eines von vielen Warnsystemen.<br />
Die Wettbranche selbst beschäftigt<br />
Mathematiker und Informatiker, um Betrügereien<br />
aufzudecken. Daneben greift sie<br />
schon länger auf Datensammler wie die St.<br />
Gallener Firma Sportradar zurück. Die liefern<br />
die Basis für mathematische Tests, ob<br />
etwa ein Spielausgang plausibel ist.<br />
„Wir erheben Daten über circa 200 000<br />
Sportereignisse pro Jahr in den unterschiedlichsten<br />
Sportarten“, sagt Johannes<br />
Ranke, Direktor für Sports Data & Licensing<br />
bei Sportradar. „Scouts vor Ort im Stadion<br />
oder TV-Übertragungen liefern Informationen,<br />
die wir neben den Medien auch<br />
Wettanbietern zur Verfügung stellen.“<br />
Denn um ein Spiel effektiv beurteilen zu<br />
können, fließen in das Warnsystem namens<br />
„Fraud Detection System“, das Sportradar<br />
anbietet, nicht nur Marktstatistiken.<br />
Es erfasst auch Spiel-Ergebnisse, Tabellenplätze<br />
von Mannschaften oder Spielaufstellungen.<br />
Erst so lassen sich überhaupt Abweichungen<br />
von einem erwarteten oder<br />
sehr wahrscheinlichen Ausgang eines<br />
Spiels errechnen. Wettmuster, die auffällig<br />
sind und sonst in einer Masse von Transaktionen<br />
untergehen, fischen Großrechner<br />
dann nach Wahrscheinlichkeitsgesetzen<br />
heraus. Ein einzelner Mensch kann das<br />
nicht mehr leisten, weil sich nur im riesigen<br />
Gesamtbild der Zahlen Muster abzeichnen.<br />
Aber auch Zahlendetektive und Computer<br />
müssen sich in einigen Fällen geschlagen<br />
geben. Heute sind sie blind, sobald es<br />
keine Bewegungen auf dem Wettmarkt gibt<br />
und nicht Geschäftemacherei im Vordergrund<br />
steht. Etwa wenn nur einige wenige,<br />
ein Abwehrspieler oder Torwart, am Spiel<br />
drehen. Oder wenn politische Interessen,<br />
wie in der WM 1978, eine Rolle spielen.<br />
Vieles deutet darauf hin, dass die Nationalmannschaft<br />
von Peru damals Argentinien<br />
mit einem 0:6 zum Einzug ins Finale verholfen<br />
haben soll. Als Gegenleistung soll<br />
das Militärregime in Argentinien politische<br />
Störenfriede für Peru beseitigt haben.<br />
Doch in Zukunft sollen Daten auch in<br />
diesen Fällen helfen herauszufinden, ob etwas<br />
faul war an einem Match. So zumindest<br />
die Vision zweier Informatiker der<br />
Universität Konstanz. Mit einem Projekt zu<br />
„Soccer Analytics“ und dem Betrachten<br />
von „Fußballspielen als System“ wollen<br />
Zocken im Netz<br />
Das Geschäft mit Online-Sportwetten wächst<br />
rasant –weltweit und in Europa<br />
Nettoumsätze (in Milliarden Dollar)<br />
Welt Europa<br />
3,7<br />
2008<br />
4,3 4,4<br />
5,3<br />
* geschätzt;<br />
Quelle: bet-at-home.com, H2 Gambling Capital<br />
5,9<br />
2,5 2,8 3,4 3,4 3,8<br />
2009<br />
2010<br />
2011* 2012*<br />
Sven Kosub und Ulrik Brandes von diesem<br />
Jahr an mit ihren Studenten Mustern in<br />
Spielen auf die Spur kommen. Vergleichbare<br />
Projekte zur Analyse von Interaktionen<br />
im Fußball verfolgen Forscher an der<br />
Deutschen Sporthochschule in Köln.<br />
WEG VON DER ZAHLENFIXIERUNG<br />
Heute erfassen bei jedem Bundesligaspiel<br />
Vereine und einzelne Unternehmen schon<br />
Positionsdaten der Spieler, teils mit Sensoren<br />
in Schienbeinschonern oder über Videoanalysen.<br />
Sie ermitteln, wie viele Kilometer<br />
ein Philipp Lahm gelaufen ist oder<br />
wie viele Fehlpässe sich Rafael van der<br />
Vaart erlaubt hat. „Was nicht passiert in einem<br />
Spiel, ist meist am interessantesten“,<br />
sagt Brandes, Professor für Algorithmik.<br />
Statt nur Statistiken zu wälzen und Daten,<br />
herausgelöst aus ihrem Kontext, zu betrachten,<br />
fordern er und Kollege Kosub eine<br />
Art ganzheitliche Analyse von Spielen.<br />
Die Geometrie sei dabei ein Schlüssel, also<br />
die räumlichen Beziehungen zwischen<br />
den Spielern und die Netzwerke, die sie bilden.<br />
Es bringe nichts, zu wissen, wie viel<br />
ein Stürmer im Spiel gerannt sei. Wann er<br />
wo auf dem Spielfeld war und nichts tat, sei<br />
ebenso wichtig, so die Forscher. „Damit<br />
lässt sich die Leistung eines Fußballers<br />
besser beurteilen“, erklärt Sven Kosub.<br />
So ließe sich auffälliges Verhalten einzelner<br />
Fußballer womöglich irgendwann<br />
ebenso ablesen wie deren Fitness. Doch<br />
umfassend ausgewertet werden die Daten<br />
nach Meinung der Informatiker nicht.<br />
„Selbst an den Universitäten ist das Potenzial<br />
der Netzwerkanalyse noch nicht richtig<br />
verstanden“, so Brandes. „Ich halte es für<br />
sehr unwahrscheinlich, dass die Wirtschaft<br />
oder Vereine weiter sind.“<br />
Firmen wie Opta und Impire nutzen Positionsdaten<br />
bisher vor allem, um Spiele im<br />
Nachhinein grafisch darzustellen. Wo es<br />
auf dem Platz besonders heiß herging, verdeutlichen<br />
sie in Heatmaps oder machen<br />
Spielzüge in Momentaufnahmen nachvollziehbar.<br />
Die wertvollen Daten halten sie<br />
nur für ihre zahlenden Kunden bereit – zum<br />
Bedauern der Informatiker. Noch ist die Erfassung<br />
solcher Informationen aufwendig<br />
und damit eine schützenswerte Investition.<br />
Sollte sich die Analyse der räumlichen Positionen<br />
von Spielern als wirksames Instrument<br />
bewähren, könnte die Wettbranche<br />
zum neuen Kunden der Positions-Tracker<br />
werden. Und die Fixierung der Buchmacher<br />
auf reine Zahlen würde dann durch<br />
die Liebe zur Geometrie ergänzt.<br />
n<br />
peter gotzner, technik@wiwo.de<br />
FOTO: IMPIRE AG A DELTATRE COMPANY<br />
76 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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VALLEY TALK | Erst pumpten russische Investoren<br />
Milliardensummen ins High-Tech-Tal. Jetzt versuchen<br />
die Chinesen ihr Glück. Von Matthias Hohensee<br />
Geld und Geduld<br />
FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
Ausländer prägen seit Jahren das<br />
Silicon Valley. 36 Prozent der<br />
Einwohner wurden im Ausland<br />
geboren, US-weit sind es 13 Prozent.<br />
60 Prozent der Ingenieure hier stammen<br />
aus dem Ausland. Nach Englisch und<br />
Spanisch ist Chinesisch dritthäufigste Sprache<br />
in den Haushalten des High-Tech-Tals.<br />
Die Einwanderer bringen nicht nur Talente<br />
mit, sondern auch Kapital – oder sie ziehen<br />
es an. Zwar gibt es keine Erhebungen,<br />
wie viel der zwölf Milliarden Dollar an Wagniskapital,<br />
die vergangenes Jahr ins Silicon<br />
Valley flossen, aus ausländischen Quellen<br />
stammen. Schätzungen gehen aber von bis<br />
zu 40 Prozent aus. So hat etwa russisches<br />
Kapital den Boom der sozialen Netzwerke<br />
in der vergangenen Dekade befeuert, allem<br />
voran die Digital-Sky-Gruppe um Wagnisfinanzierer<br />
Yuri Milner.<br />
Nach den Russen kommen nun Gelder<br />
aus Asien, vor allem aus China. Seit Jahren<br />
schon kaufen Chinesen Immobilien im<br />
High-Tech-Tal. Doch sie investieren auch<br />
in Unternehmen. Nach Studien des Marktforschungsunternehmens<br />
CB Insight<br />
haben Finanziers aus China und Taiwan<br />
seit 20<strong>07</strong> mindestens 2,6 Milliarden Dollar<br />
in Internet-Unternehmen in den USA gesteckt.<br />
Die chinesischen Internet-Giganten<br />
Alibaba und Tencent haben eigene Fonds<br />
aufgelegt. Ebenso wie der chinesische<br />
Mischkonzern Fosun, der ein eigenes Büro<br />
im Silicon Valley eröffnet und 100 Millionen<br />
Dollar für Investitionen reserviert hat.<br />
Aufsehen erregt nun die Suchmaschine<br />
Baidu. Das Google Chinas hat angekündigt,<br />
300 Millionen Dollar in ein Forschungszentrum<br />
für künstliche Intelligenz (KI)<br />
zu stecken. Es soll bis zu 200 Mitarbeiter<br />
beschäftigen und hat dafür Andrew Ng<br />
gewonnen. Der leitete bis vor Kurzem das<br />
KI-Labor an der Stanford-Universität und<br />
arbeitete zuvor als Forscher bei Google.<br />
Im Kern geht es darum, mit künstlicher<br />
Intelligenz Informationen nicht nur gründlicher<br />
zu analysieren, sondern auch ihren<br />
Kontext zu verstehen, um besser entscheiden<br />
zu können. Google etwa erwarb dafür<br />
gerade das britische Start-up Deep Mind,<br />
angeblich für eine halbe Milliarde Dollar.<br />
Auch Facebook besitzt ein KI-Labor.<br />
Der Baidu-Plan unterstreicht laut Anand<br />
Sanwal, dem CEO von CB Insight, die<br />
unterschiedliche Investment-Philosophie<br />
der Chinesen. Während Geldgeber aus<br />
den USA und Europa vor allem auf den<br />
amerikanischen Markt schauen, sehen<br />
chinesische Investoren das Silicon Valley<br />
als Forschungs-Brückenkopf. Sie werben<br />
damit, mithilfe des Know-hows aus Kalifornien<br />
weitgehend unerschlossene Internet-<br />
Wachstumsmärkte in Asien besetzen<br />
zu können. Und sie verweisen auf ihre Expertise<br />
in der Fertigung.<br />
UNGLEICHER WETTBEWERB<br />
Wie stark chinesisches Kapital die Internet-<br />
Branche in den USA prägen wird, hängt<br />
auch von der Politik ab. In Washington wird<br />
schon länger kritisiert, dass sich chinesische<br />
Online-Riesen wie Baidu oder Alibaba<br />
auf dem US-Markt tummeln können, während<br />
das Reich der Mitte für Anbieter wie<br />
Facebook oder Twitter ganz verschlossen<br />
oder der Marktzugang im Fall von Google<br />
mit Auflagen versehen ist. Doch interveniert<br />
haben die USA nur, wenn chinesische<br />
Unternehmen, etwa der Telekommunikationsanbieter<br />
Huawei, sicherheitskritische<br />
Technologien kaufen wollten.<br />
Zudem müssen die chinesischen Investoren<br />
auch noch beweisen, dass sie an die<br />
Erfolge der Russen anknüpfen können.<br />
Unternehmen mit chinesischer Beteiligung<br />
wie die Fertiger JustFab und Fab.com etwa<br />
straucheln derzeit. Doch die Chinesen<br />
haben Geduld und können – mit der Regierung<br />
im Rücken – lange durchhalten.<br />
Nicht zufällig ist Lenovo heute der größte<br />
Computerkonzern der Welt. Seine Anleger<br />
tolerieren mickrige Margen – oder müssen<br />
sie akzeptieren.<br />
Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />
im Silicon Valley und beobachtet<br />
von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />
wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 77<br />
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Management&Erfolg<br />
»Outen Sie sich –<br />
je früher, desto besser«<br />
INTERVIEW | John Browne Wie der Ex-BP-Chef sein erzwungenes Coming-out erlebt hat.<br />
Und was er Unternehmen im Umgang mit homosexuellen Managern rät.<br />
Lord Browne, in Ihrem gerade veröffentlichten<br />
Buch plädieren Sie für die Vorteile<br />
des Coming-out und empfehlen Unternehmen<br />
einen offen Umgang mit Homosexualität.<br />
Bedauern Sie, sich nicht früher<br />
öffentlich zu Ihrer Homosexualität bekannt<br />
zu haben?<br />
Ja. Aus heutiger Sicht wünsche ich mir, ich<br />
hätte diesen Schritt früher getan.<br />
Glauben Sie wirklich, dass Sie trotzdem<br />
noch BP-Chef geworden wären?<br />
Schwer zu sagen. Ich nehme an, Offenheit<br />
über meine sexuelle Orientierung wäre in<br />
der Ölbranche zu Beginn meiner Karriere<br />
tatsächlich unmöglich gewesen. Als ich<br />
Vorstandsvorsitzender wurde, vor allem<br />
aber am Ende meiner Amtszeit, hätte ich es<br />
wahrscheinlich wagen können.<br />
Und sich die Schmach des erzwungenen<br />
Outings erspart...<br />
Ich war 59 Jahre alt, als ich 20<strong>07</strong> zu diesem<br />
Schritt gezwungen wurde. Die Mauern, die<br />
ich um mein Privatleben gebaut hatte, begannen<br />
zu zerfallen. Als ich dann im Auto<br />
saß und den Konzern verließ, den ich mit<br />
aufgebaut hatte, fühlte es sich an, als ob ich<br />
sterben würde.<br />
Haben Sie den Rücktritt je bereut?<br />
Nein. Ich bin sehr froh, dass ich an diesem<br />
Punkt die Bremse gezogen habe. Ich war<br />
bereit, mein Leben komplett zu ändern.<br />
Was hat Sie davon abgehalten, sich früher<br />
und aus eigenen Stücken zu Ihrer Homosexualität<br />
zu bekennen?<br />
Einerseits die Geschichte, schließlich wurden<br />
Homosexuelle in der Vergangenheit<br />
oft verfolgt, anderseits meine Erziehung.<br />
Ich glaubte früher, dass meine Beziehungen<br />
im Beruf und Privatleben Schaden<br />
nehmen würden. Es war die Angst – und es<br />
ist auch heute immer noch die Angst –, die<br />
Menschen davon abhält, sich offen zu ihrer<br />
Sexualität zu bekennen.<br />
Sie haben 1966 mit 21 Jahren direkt<br />
nach dem Studium bei BP angeheuert,<br />
wurden nach Alaska geschickt und zum<br />
Öl-Ingenieur ausgebildet. Würden Sie heute<br />
einem Berufsanfänger in einer ähnlichen<br />
Situation empfehlen, sich zu outen?<br />
Ja, absolut. Ich rate jedem homosexuellen<br />
Manager, sich zu outen – je früher, desto<br />
besser. Als ich jung war, war es sehr aufregend,<br />
ein Doppelleben zu führen, aber je<br />
älter ich wurde, desto anstrengender wurde<br />
es. Ich bin heute davon überzeugt, dass<br />
es besser ist, sich nicht zu verstecken, authentisch<br />
zu sein, und das schon zu einem<br />
Zeitpunkt, wo man im Berufsleben noch<br />
keine Lügengeschichte entwickelt hat, die<br />
dazu dient das Privatleben zu verschleiern.<br />
Sie haben sich zeitlebens nicht einmal<br />
Ihrer Mutter offenbart...<br />
Korrekt. Meine Mutter war in Auschwitz inhaftiert,<br />
hat dort homosexuelle Mitgefangene<br />
erlebt und mir stets abgeraten, anderen<br />
»Ich bin schwul«<br />
Diese Manager stehen zu ihrer<br />
Homosexualität.<br />
Christopher Bailey, 43,<br />
Burberry<br />
Der Chef der britischen<br />
Luxusmarke ist der erste<br />
CEO eines wichtigen, börsennotierten<br />
britischen Unternehmens,<br />
der offen zu seiner Homosexualität steht.<br />
Ulrich Köstlin, 61,<br />
Bayer Schering<br />
Der Ex-Vorstand des<br />
Pharmakonzerns outete<br />
sich 2003 und ist damit die<br />
Ausnahme unter deutschen Top-Managern.<br />
Seit 2011 ist Köstlin im Ruhestand.<br />
Peter Thiel, 46,<br />
Investor<br />
Der Co-Gründer des Online-Bezahlsystems<br />
PayPal<br />
und Facebook-Großinvestor<br />
ist laut Magazin „Out“ einer der<br />
mächtigsten Homosexuellen Amerikas.<br />
Menschen persönliche Geheimnisse zu verraten.<br />
Ich bin sicher, dass sie meine Homosexualität<br />
als Nachteil betrachtet hätte, der<br />
verborgen werden musste, um eine Katastrophe<br />
zu verhindern. Sie war außerdem<br />
sehr praktisch veranlagt. Hätte ich ihr meine<br />
sexuelle Neigung verraten, hätte sie gesagt:<br />
Mir ist das egal, heirate, bekomme Kinder<br />
und behalte es für dich. Denn es kommt ja<br />
nichts Gutes dabei heraus. Traurig ist nur,<br />
dass auch im Jahr <strong>2014</strong> viele Menschen<br />
nicht wagen, sich im beruflichen Umfeld offen<br />
zu ihrer sexuellen Neigung zu bekennen.<br />
Woran liegt die Zurückhaltung?<br />
Oft sind es Defizite in der Unternehmensführung.<br />
Das Top-Management versäumt es<br />
meist, klar erkennbar zu demonstrieren,<br />
dass ein tolerantes Umfeld für ein Comingout<br />
ein Wert ist, dem man sich verpflichtet<br />
fühlt.<br />
Was sollten die Unternehmen tun, damit<br />
sich diese Situation ändert?<br />
Erkennen, dass es nicht um etwas geht, das<br />
man einfach an die Personalabteilung delegiert,<br />
sondern von der Führungsebene<br />
angepackt werden muss. Es muss für Minderheiten<br />
Vorbilder geben, denen sie<br />
nacheifern können und die signalisieren,<br />
dass man es schaffen kann. Außerdem ist<br />
es wichtig, dass man als Führungskraft in<br />
einem Unternehmen dafür sorgt, dass<br />
auch die heterosexuellen Mitarbeiter – und<br />
die sind nun mal in der Mehrheit – eine<br />
Unternehmenspolitik unterstützen, die der<br />
Inklusion verpflichtet ist. Nur wenn man<br />
ein sicheres und akzeptierendes Umfeld<br />
schafft, ermöglicht man sexuellen Minderheiten<br />
das Coming-out.<br />
Warum muss man denn seine sexuelle<br />
Neigung im beruflichen Umfeld so<br />
offensiv nach außen tragen? Das ist doch<br />
Privatsache.<br />
Schon. Aber kleine Dinge können Großes<br />
bewirken und ein neues Klima schaffen. Es<br />
beginnt schon damit, dass man im Gespräch<br />
nicht von vorneherein annehmen<br />
sollte, jeder habe einen Partner des je-<br />
»<br />
FOTOS: DDP IMAGES/CAMERA PRESS/TRISTAN GREGORY, PICTURE-ALLIANCE/DPA/GERO BRELOER, VISUM/ANDREAS MÜLLER, THE GUARDIAN/MATTHEW FARRANT<br />
78 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DER TABU-<br />
BRECHER<br />
Lord Browne of<br />
Madingley, 66, war<br />
von 1994 bis 20<strong>07</strong><br />
CEO von BP. Eine<br />
Falschaussage im Zusammenhang<br />
mit einer<br />
homosexuellen Affäre<br />
zwang ihn zum Rücktritt.<br />
Soeben erschien sein drittes<br />
Buch „The Glass Closet“ (Random<br />
House, 34,99 US-Dollar)<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 79<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
weils anderen Geschlechts. Man muss<br />
sich einfach mal in die Lage des anderen<br />
hineinversetzen – was es bedeutet, wenn<br />
man auf dem Schreibtisch nicht selbstverständlich<br />
ein Foto seines gleichgeschlechtlichen<br />
Lebenspartners aufstellen<br />
kann. Wenn man im Büro nie darüber<br />
sprechen kann, was man am Wochenende<br />
gemacht hat. Oder darüber, dass der Partner<br />
im Krankenhaus liegt und man ihn<br />
vielleicht nicht besuchen darf – ist das<br />
nicht schrecklich?<br />
Manche Personalabteilungen fragen<br />
Mitarbeiter sogar schriftlich nach ihrer<br />
sexuellen Orientierung.<br />
Auch da geht es manchmal einfach nur um<br />
ganz praktische Dinge. Denken Sie an international<br />
tätige Konzerne, die ihre Mitarbeiter<br />
in Länder entsenden, in denen Homosexualität<br />
illegal ist oder sogar unter Todesstrafe<br />
steht – was in 77 Ländern weltweit<br />
der Fall ist.<br />
Meist schweigen Konzernchefs aber wenn<br />
es um dieses Thema geht, um<br />
die Geschäfte in diesen Ländern nicht<br />
zu gefährden.<br />
Oberste Priorität hat die Sicherheit der<br />
eigenen Mitarbeiter, niemals darf ein Chef<br />
etwas tun, was sie gefährden würde. Firmen<br />
können versuchen, Meinungen zu beeinflussen,<br />
und als ich bei BP war, haben<br />
wir das auf verschiedenen Wegen getan. Ist<br />
die Lage völlig inakzeptabel, muss man<br />
sich sogar aus einem Land zurückziehen.<br />
Heute hält BP knapp 20 Prozent am<br />
Staatskonzern Rosneft – sollte BP-Chef<br />
Bob Dudley da im Hinblick auf die<br />
Anti-Schwulen-Politik der russischen<br />
Regierung Kritik üben?<br />
Ich will nicht darüber reden, was BP tun<br />
sollte, denn ich habe das Unternehmen<br />
verlassen. Ganz allgemein gilt aber: Kritik<br />
bringt nichts, wenn einem die Leute die<br />
Tür vor der Nase zuschlagen. Wichtig ist, in<br />
möglichst vielen Ländern der Welt innerhalb<br />
des Unternehmens ein Umfeld zu<br />
schaffen, in dem Minderheiten gleiche<br />
Chancen haben.<br />
Verhängnisvolle<br />
Affäre Browne auf<br />
einer Bootstour mit<br />
seinem damaligen<br />
Freund Jeff Chevalier,<br />
der den BP-Chef als<br />
homosexuell outete<br />
und diesen zu einer<br />
Falschaussage vor<br />
Gericht verleitete, die<br />
20<strong>07</strong> in Brownes<br />
Rücktritt mündete<br />
Ein Klima der Offenheit und Toleranz<br />
für Minderheiten ist gut fürs Geschäft<br />
Sie selbst haben sich damals bei BP ausdrücklich<br />
für die Förderung von sexuellen<br />
Minderheiten eingesetzt. Hat es geholfen,<br />
dass niemand wusste, dass Sie selbst<br />
betroffen waren?<br />
Ich war jedenfalls recht deutlich in meiner<br />
Position, hatte aber gleichzeitig Angst vor<br />
den Folgen. Selbst der linksliberale „Guardian“<br />
veröffentlichte damals die Schlagzeile:<br />
„BP fördert Schwule“! Das sagte viel darüber<br />
aus, wie das Klima damals war.<br />
Hat Sie in den vier Jahrzehnten bei BP<br />
je jemand nach Ihrer sexuellen Neigung<br />
gefragt?<br />
Viele Leute vermuteten wohl, dass ich homosexuell<br />
bin, aber gefragt hat in all den<br />
Jahren nur einmal ein Journalist.<br />
Und was haben Sie ihm geantwortet?<br />
Sie haben den falschen Mann.<br />
Warum ist das Coming-out der Mitarbeiter<br />
eigentlich gut für ein Unternehmen?<br />
Ist doch ganz einfach: Wenn jemand für<br />
mich arbeitet, will ich sicher sein, dass ich<br />
sein oder ihr ganzes Hirn zur Verfügung<br />
habe. Ich will nicht, dass jemand sich darauf<br />
konzentriert, einen Teil des eigenen<br />
Lebens zu verbergen und alle möglichen<br />
Strategien zu entwickeln, damit nicht herauskommt,<br />
dass er oder sie homo- oder<br />
bisexuell ist. Denn das alles verursacht versteckte<br />
Kosten und reduziert die Produktivität.<br />
Manche Studien kommen zu dem<br />
Schluss, dass die Produktivität eines Mitarbeiters<br />
in so einem Fall um 30 Prozent<br />
sinken kann. Das hat also auch volkswirtschaftliche<br />
Nachteile.<br />
Das wirklich zu messen ist ja wohl kaum<br />
möglich, oder?<br />
Fest steht, dass ein Mitarbeiter, der authentischer<br />
ist, bessere zwischenmenschliche<br />
Beziehungen und mehr Vertrauen aufbaut.<br />
Das hilft auch dem Verhältnis zu externen<br />
Kunden. Ein Klima, das Offenheit und Toleranz<br />
für Minderheiten schafft, ist gut fürs<br />
Geschäft, weil man Produkte besser vermarkten<br />
kann – schließlich gibt es jede<br />
Menge schwuler und lesbischer Konsumenten.<br />
Es könnte aber gewisse Kreise, die<br />
für Unternehmen ökonomisch ebenfalls<br />
attraktiv wären, auch abschrecken...<br />
Allerdings. Tatsächlich hat mir neulich ein<br />
junger Ingenieur und Berater erzählt, er<br />
müsse seine Sexualität geheim halten, da<br />
dies seine Kunden abschrecken könnte.<br />
Auf jeden Fall will man als Unternehmen<br />
die besten Talente anziehen, und unter<br />
den Minderheiten sind oft Überflieger, die<br />
sich besonders anstrengen – die kommen<br />
unter Umständen aber nicht, wenn man<br />
ihnen nicht das richtige Umfeld bietet.<br />
Ist in manchen Branchen das Coming-out<br />
für Homo-, Bi- und Transsexuelle schwerer<br />
als in anderen?<br />
Das gilt sicherlich für die Branchen Energie<br />
und Bergbau. Soweit ich weiß, gibt es dort<br />
in den oberen Führungsetagen keinen einzigen<br />
Homosexuellen. Bei den Medien und<br />
Kreativen ist es anders, auch im Finanzund<br />
Bankenbereich. Generell, glaube ich,<br />
ist es für Einzelkämpfer einfacher als für<br />
Mitarbeiter in großen Organisationen. Soweit<br />
bekannt, gibt es unter den Fortune-500-Unternehmen<br />
keinen einzigen<br />
homosexuellen Chef und hier in Großbritannien<br />
mit Christopher Bailey bei Burberry<br />
auch erst einen einzigen Vorstandsvorsitzendenden<br />
eines großen, börsennotierten<br />
Unternehmens.<br />
Kennen Sie in Deutschland einen homosexuellen<br />
Konzernchef?<br />
Nein, ich habe nicht einmal Gerüchte gehört.<br />
Wohl kaum, weil es keinen gibt?<br />
Dafür gibt es eigentlich nur zwei Erklärungen:<br />
Entweder trauen sich die Betroffen<br />
nicht, an die Öffentlichkeit zu gehen. Oder<br />
es gibt die Schere im Kopf: Jemand sagt<br />
sich, ich bin schwul und werde mich deshalb<br />
gar nicht erst darum bemühen, an die<br />
Spitze zu kommen. Das wäre dann wieder<br />
die Angst vor der möglichen Demütigung.<br />
Die hat der frühere deutsche Fußballprofi<br />
Thomas Hitzlsperger offenbar inzwi-<br />
»<br />
FOTO: DAILY MIRROR<br />
80 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Management&Erfolg<br />
»<br />
schen überwunden – er hat sich im<br />
vergangenen Jahr geoutet. Sie kennen<br />
sich – was hat ihn zu diesem Schritt<br />
bewogen als ehemaliger Aktiver einer<br />
Sportart, in der Homosexualität noch<br />
immer ein Tabuthema ist?<br />
Ich war sicherlich nur einer von vielen, mit<br />
denen sich Thomas beraten hat. Ich traf ihn<br />
am Wochenende bei gemeinsamen Freunden<br />
auf dem Land – ich kann nicht verraten<br />
wo –, und wir haben viel gesprochen.<br />
Worüber?<br />
Er hat damals über vieles nachgedacht, unter<br />
anderem, ob er für seinen Schritt kritisiert<br />
werden würde. Ich habe ihm gesagt, es ist<br />
dein Leben, denk an dich selbst und nicht an<br />
die anderen. Er hat dann mit dem Interview<br />
einen sehr eleganten Weg gewählt.<br />
Sie sind immer noch in der Energiebranche<br />
tätig, die als besonders homophob gilt.<br />
Was tun Sie heute bei Riverstone dafür,<br />
dass sich das ändert?<br />
Riverstone ist ja nur ein kleines Unternehmen<br />
mit knapp 20 Mitarbeitern, außer mir<br />
gibt es noch einen weiteren homosexuellen<br />
Kollegen hier. Wir haben kaum Hierarchien,<br />
und so ist das kein Problem. Grundsätzlich<br />
bin ich jetzt stärker daran interessiert, in der<br />
Wirtschaft generell etwas zu verändern und<br />
nicht nur in einem einzelnen Unternehmen<br />
oder einer Branche wie dem Energiesektor.<br />
Mein Buch und die gleichnamige Web-Site<br />
„www.glasscloset.org“, die wir eingerichtet<br />
haben, sollen dazu beitragen. Dort kann<br />
man sich austauschen, findet Beispiele von<br />
Erfahrungen anderer Schwuler und Lesben<br />
im Berufsleben, und es gibt Links zu Netzwerken<br />
wie Outstanding.<br />
Sie sind in Hamburg geboren und haben<br />
jetzt schon einige Jahre einen Partner<br />
vietnamesisch-chinesischer Abstammung,<br />
dessen Familie Südvietnam verlassen<br />
musste und der in der Nähe von Hannover<br />
aufgewachsen ist. Könnten Sie sich eine<br />
Hochzeit in Deutschland vorstellen?<br />
Ich habe ja durchaus eine enge Beziehung<br />
zu Deutschland: Ich war der erste Ausländer,<br />
der in einem deutschen Aufsichtsrat<br />
saß – dem von Daimler Benz. Und natürlich<br />
war ich für BP viel geschäftlich in Deutschland<br />
unterwegs. Heute bin ich nur noch<br />
privat dort. Früher habe ich auch Deutsch<br />
gesprochen. Aber heiraten würde ich hier<br />
in England. Als Mitglied des House of Lords<br />
kann ich Ihnen sagen: Es war schwer genug,<br />
das entsprechende Gesetz durchs Parlament<br />
zu bekommen. Ich denke immer<br />
über eine mögliche Eheschließung nach –<br />
aber dazu gehören bekanntlich zwei. n<br />
yvonne.esterhazy@wiwo.de | London<br />
Relevanz beweisen<br />
ANWÄLTE | Mandanten imponieren, neue Klienten akquirieren,<br />
beim Nachwuchs punkten: Juristen werben zunehmend in eigener<br />
Sache. Wer das am besten kann, zeigt ein exklusives PR-Ranking.<br />
Mal geht es um Beratung spektakulärer<br />
Fusionen, mal um aktuelle<br />
Gerichtsurteile, mal um die Ernennung<br />
neuer Partner: Nüchtern, aber regelmäßig<br />
mehrmals monatlich vermeldet<br />
die Pressestelle von Freshfields, was sich<br />
gerade so tut bei der internationalen Großkanzlei.<br />
Gewohnt nüchtern auch der Ton<br />
einer Mitteilung von Mitte Januar: Man habe<br />
erstmals eine Platzierung auf dem Stonewall<br />
Top 100-Index erreicht, schreibt die<br />
Kanzlei, die allein in Deutschland auf eine<br />
knapp 175-jährige Tradition verweisen<br />
kann. Das britische Ranking zeichnet Arbeitgeber<br />
aus, „die sich um Gleichstellung<br />
von schwulen, lesbischen, bi- oder transsexuellen<br />
(LBGT) Mitarbeitern am Arbeitsplatz<br />
bemühen“. Freshfields landete auf<br />
Platz 66 von 369 Unternehmen. Die ungewohnte<br />
Offenheit zahlte sich aus: Mehrere<br />
Medien griffen die Freshfields-Meldung<br />
auf, bis hin zur „FAZ“.<br />
„Eine der seltenen Gelegenheiten, das<br />
Engagement unserer LGBT-Mitarbeiter<br />
nach außen zu würdigen, weil wir ein klares<br />
Bekenntnis zu Diversity brauchen, um<br />
auch künftig Top-Talente im juristischen<br />
Nachwuchs an uns zu binden“, freut sich<br />
Freshfields-Managing-Partner Klaus-Stefan<br />
Hohenstatt. Außerdem klopften internationale<br />
Kunden in ihren Ausschreibungen<br />
ab, was Kanzleien für Diversity tun.<br />
Ob internationale Großsozietät oder<br />
etablierte mittelständische Kanzlei: So wie<br />
Freshfields denken mittlerweile viele Anwälte<br />
über den Wert professioneller Kommunikation<br />
– und rüsten ihre Presseabteilungen<br />
auf. Vorbei die Zeiten, in denen Assistentinnen<br />
Journalisten Auskunft gaben.<br />
Weil Juristen einerseits immer stärker über<br />
das Schicksal einzelner Manager und kompletter<br />
Unternehmen mitentscheiden, andererseits<br />
sich der Kampf um Mandate und<br />
Talente verschärft hat, übernehmen immer<br />
mehr Kommunikationsfachleute die Informationspolitik<br />
und Außendarstellung der<br />
Paragrafen-Profis, um Expertise und Profil<br />
ihrer Kanzlei öffentlich zu schärfen.<br />
„Anwaltsleistungen sind eine Vertrauensleistung,<br />
deren Ergebnisse sich erst<br />
später zeigen und für Kunden nur schwer<br />
einschätzbar sind“, sagt Kay-Uwe Bartels,<br />
Strategieberater für Kanzleien. Da wird PR<br />
in eigener Sache zum unverzichtbaren<br />
Werkzeug, um Mandanten die eigene Relevanz<br />
zu beweisen, neue Klienten zu akquirieren<br />
und beim Nachwuchs zu punkten.<br />
Aus diesem Grund hat die Wirtschafts-<br />
Woche mit dem Dienstleister Landau Media<br />
zum siebten Mal die Presseresonanz<br />
der 50 umsatzstärksten Wirtschaftskanzleien<br />
in Deutschland analysiert – 18 Medien<br />
wurden untersucht, von der „Süddeutschen<br />
Zeitung“ übers „Manager Magazin“<br />
bis zum „Focus“, mit einer Gesamtauflage<br />
von mehr als 265 Millionen Exemplaren.<br />
Erstmals ergänzend ermittelt wurden – von<br />
der Kommunikationsagentur Faktenkon-<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/MARTIN GERTEN<br />
82 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Wunsch nach positiven Schlagzeilen<br />
Die Kanzleien drängen in die Öffentlichkeit<br />
tor – auch die Treffer in Online-Publikumsmedien<br />
von Spiegel Online bis Focus.de.<br />
Mit 1349 Treffern lag die Ausbeute in den<br />
digitalen Medien um gut zehn Prozent<br />
über der in den Printmedien.<br />
Das Ergebnis: Mit insgesamt 249 Nennungen<br />
in Print- und Online-Medien<br />
eroberte Freshfields Platz eins der meist<br />
erwähnten Kanzleien, gefolgt von Konkurrent<br />
Gleiss Lutz. Auf Platz drei landete<br />
Hengeler Müller, die meisten Ränge machte<br />
Norton Rose gut: Die Kanzlei schob sich<br />
in der öffentlichen Wahrnehmung von<br />
Rang 41 auf 21 vor (siehe Tabelle).<br />
Ein Mehrwert für die Kanzleien – denn<br />
laut Landau-Media-Analyse sind 95 Prozent<br />
der Artikel neutral-informativ gehalten<br />
– nur in zwei Prozent der Veröffentlichungen<br />
herrscht ein negativer Unterton.<br />
Womit es Kanzleien in die Presse schafften?<br />
Neben dem Erläutern juristischer<br />
Sachverhalte und dem Erteilen von Rechtsrat<br />
werden Kanzleien immer häufiger auch<br />
im Kontext ihrer Mandaten genannt.<br />
DAUERBRENNER FRAUENQUOTE<br />
Die Themen, zu denen die Top-Juristen zitiert<br />
wurden, sind aber breiter gefächert:<br />
Zu den Dauerbrennern zählten laut Uwe<br />
Mommert, Chef von Landau Media, Diskussionen<br />
um die drohende Frauenquote<br />
für Aufsichtsräte ebenso wie Ratschläge zu<br />
Selbstanzeigen für Steuersünder.<br />
Besonders erpicht sind die Kanzleien außerdem<br />
darauf, sich als attraktive Arbeitgeber<br />
für Junganwälte zu präsentieren – vor<br />
allem bei den weiblichen. Denn dass sie zu<br />
wenig Partnerinnen an Bord haben, macht<br />
den Sozietäten Sorgen. Ihre Erfahrung: Gerade<br />
junge Juristinnen kehren ihnen oft<br />
nach kurzer Zeit den Rücken und wechseln<br />
lieber in den Staatsdienst, weil ihnen dort<br />
nach einer Kinderpause die Rückkehr in<br />
den Beruf keinen Karriereknick beschert.<br />
Nur folgerichtig, dass Porträts von weiblichen<br />
Vorbildern Konjunktur hatten: etwa<br />
von Daniela Weber-Rey, dreifache Mutter<br />
und bis vergangenen Mai Partnerin bei Clifford<br />
Chance, Mitglied der Regierungskommission<br />
Deutscher Corporate Governance<br />
Kodex und seit gut einem Jahr bei der Deutschen<br />
Bank als Chief Governance Officer.<br />
Oder Daniela Seeliger, Partnerin von<br />
Linklaters und Kartellrechtsexpertin, die<br />
ebenfalls drei Kinder großzieht und jungen<br />
Kolleginnen als Mentorin beisteht. n<br />
claudia.toedtmann@wiwo.de<br />
Freshfields klar vorn<br />
Wie oftdie Top-50-Wirtschaftskanzleien in den Medien von sich reden machen<br />
Rang<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9.<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22..<br />
25<br />
26<br />
27<br />
28..<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
34<br />
36<br />
37<br />
38..<br />
41.<br />
43..<br />
46<br />
47<br />
48<br />
49<br />
50<br />
Trend 1<br />
4<br />
5<br />
4<br />
4<br />
7<br />
4<br />
4<br />
7<br />
4<br />
7<br />
–<br />
4<br />
7<br />
5<br />
5<br />
4<br />
4<br />
7<br />
4<br />
4<br />
4<br />
5<br />
5<br />
7<br />
5<br />
7<br />
4<br />
7<br />
5<br />
7<br />
4<br />
5<br />
7<br />
4<br />
7<br />
7<br />
5<br />
4<br />
5<br />
7<br />
7<br />
5<br />
7<br />
5<br />
7<br />
7<br />
5<br />
5<br />
7<br />
7<br />
Kanzlei<br />
Freshfields Bruckhaus Deringer<br />
Gleiss Lutz<br />
Hengeler Müller<br />
CMS Hasche Sigle<br />
Clifford Chance<br />
Flick Gocke Schaumburg<br />
White & Case<br />
Linklaters<br />
Hogan Lovells<br />
Allen & Overy<br />
Rödl & Partner<br />
Baker & McKenzie<br />
Noerr<br />
Görg<br />
DLA Piper<br />
Taylor Wessing<br />
Shearman & Sterling<br />
Latham & Watkins<br />
Redeker Sellner Dahs<br />
Osborne Clarke<br />
Norton Rose<br />
Graf von Westfalen<br />
Mayer Brown<br />
Beiten Burkhardt<br />
Jones Day<br />
P+P Pöllath + Partners<br />
Skadden Arps Slate Meagher & Flom<br />
Bird & Bird<br />
Oppenhoff & Partner<br />
SZA Schilling Zutt & Anschütz<br />
GSK Stockmann + Kollegen<br />
Heuking Kühn Lüer Wojtek<br />
Ashurst<br />
McDermott Will & Emery<br />
Salans<br />
Orrick Hölters & Elsing<br />
Cleary Gottlieb Stehen & Hamilton<br />
Friedrich Graf von Westphalen & Partner<br />
Heisse Kursawe Eversheds<br />
SJ Berwin<br />
WilmerHale<br />
Luther<br />
Menold Bezler<br />
Weil Gotshal & Manges<br />
CBH Rechtsanwälte<br />
K&L Gates<br />
Milbank Tweed Hadley & McCloy<br />
Kümmerlein<br />
Esche Schümann Commichau<br />
Oppenländer<br />
Artikel gesamt<br />
249<br />
157<br />
154<br />
143<br />
131<br />
115<br />
103<br />
102<br />
100<br />
100<br />
93<br />
84<br />
83<br />
77<br />
72<br />
68<br />
51<br />
49<br />
47<br />
44<br />
33<br />
32<br />
32<br />
32<br />
30<br />
27<br />
25<br />
24<br />
24<br />
24<br />
23<br />
21<br />
17<br />
16<br />
16<br />
15<br />
14<br />
13<br />
13<br />
13<br />
12<br />
12<br />
10<br />
10<br />
10<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
3<br />
1 nur Print; 2 Juli 2012–Juni 2013; 3 Januar–Dezember 2013; 4 im Vorjahr nicht gelistet<br />
Print 2013 (2012) 2<br />
110 (93)<br />
75 (110)<br />
75 (70)<br />
79 (54)<br />
63 (65)<br />
65 (50)<br />
35 (29)<br />
55 (55)<br />
49 (44)<br />
43 (42)<br />
50 (–) 4<br />
53 (45)<br />
43 (45)<br />
30 (54)<br />
13 (21)<br />
41 (26)<br />
20 (15)<br />
24 (24)<br />
22 (14)<br />
29 (14)<br />
15 (4)<br />
14 (22)<br />
13 (12)<br />
7 (25)<br />
7 (17)<br />
12 (16)<br />
12 (5)<br />
18 (18)<br />
14 (35)<br />
12 (13)<br />
9 (4)<br />
12 (29)<br />
1 (2)<br />
14 (8)<br />
7 (10)<br />
9 (6)<br />
6 (11)<br />
7 (0)<br />
5 (11)<br />
1 (2)<br />
6 (9)<br />
5 (21)<br />
6 (6)<br />
3 (7)<br />
2(2)<br />
3 (3)<br />
2 (6)<br />
2 (9)<br />
3 (0)<br />
1 (2)<br />
Online 3<br />
139<br />
82<br />
79<br />
64<br />
68<br />
50<br />
68<br />
47<br />
51<br />
57<br />
43<br />
31<br />
40<br />
47<br />
59<br />
29<br />
31<br />
25<br />
25<br />
15<br />
18<br />
18<br />
19<br />
25<br />
23<br />
15<br />
13<br />
6<br />
10<br />
12<br />
14<br />
9<br />
16<br />
2<br />
9<br />
6<br />
8<br />
6<br />
8<br />
12<br />
6<br />
7<br />
4<br />
7<br />
8<br />
5<br />
5<br />
4<br />
2<br />
2<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 83<br />
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Geld&Börse<br />
»Sie können nicht anders«<br />
AKTIEN | Die Welle billigen Geldes treibt die Börsen scheinbar unaufhörlich<br />
nach oben. Wie lange sollen Anleger sie reiten?<br />
März 2000<br />
bis März 2003<br />
Januar 1994<br />
bis März 2000<br />
Aktien für alle<br />
Der Telekom-Börsengang<br />
1996 (Foto: Ex-Chef Ron<br />
Sommer) macht aus<br />
Sparbuch-Deutschen<br />
Aktionäre. Sie kaufen,<br />
was das Zeug<br />
hält, und pumpen<br />
die Blase auf.<br />
Internet- und<br />
Medienbuden<br />
werden milliardenschwer.<br />
Böses Erwachen<br />
Die Internet-Blase platzt.<br />
2000 muss Thomas Haffa<br />
(Foto) als EM.TV-Chef<br />
seine Prognosen kippen.<br />
Es wird klar, dass<br />
das Geschäftsmodell<br />
vieler<br />
Börsenstars<br />
nur<br />
auf heißer<br />
Luft<br />
beruht.<br />
1994 1996 1998 2000 2002<br />
Als statt TV-Journalisten noch<br />
Aktienhändler und Makler das<br />
Frankfurter Parkett bevölkerten,<br />
versorgte der Börsenvorstand<br />
diese reichlich mit Kalorien:<br />
Immer, wenn der Dax eine runde<br />
Marke nahm, gab es Torte. Bei 5000 Punkten,<br />
im März 1998, „30 Kilo gekochte Walnusscreme<br />
mit fünf Biskuitböden“, zum<br />
letzten Mal bei 8000, kurz vor dem 2000er-<br />
Crash. Danach war Schluss mit dem fetten<br />
Leben – kein Konditor musste mehr bereitstehen,<br />
um bei Anruf schnell eine Tausender-Zahl<br />
aus Zuckerguss zu spritzen.<br />
In den letzten Tagen wäre die Geduld der<br />
Buttercreme-Bereitschaftstruppe auch arg<br />
strapaziert worden. Immer wieder tastete<br />
sich der Dax an die 10 000 heran und prallte<br />
ab. Bis Redaktionsschluss – vor dem<br />
Zinsbeschluss der Europäischen Zentralbank<br />
(EZB) am Donnerstag – hatte er sie<br />
noch nicht genommen. Profis zögern mit<br />
Käufen: „Die globale Liquiditätsschwemme<br />
wird uns zwar noch lange begleiten, aktuell<br />
werden wir aber eher verkaufen als<br />
kaufen“, sagt Maik Käbisch, Vorstand des<br />
Vermögensverwalters Döttinger/Straubinger,<br />
der eine Milliarde Euro managt: „Wir<br />
hatten bis Mai tolle Monate. Wer seine Jahresziele<br />
schon erreicht hat, fragt sich, was<br />
er zu verlieren hat, wenn er Aktien in seinem<br />
Portfolio reduziert.“ Sicher könne der<br />
Dax über 10 000 Punkte hinausschießen,<br />
FOTOS: AP PHOTO/BERND KAMMERER, INTERFOTO/<br />
LOOKBACK, AP PHOTO/RON EDMONDS, PR, PICTURE-<br />
ALLIANCE/DPA/SERGIO GARCIA<br />
84 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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10 000<br />
Dax<br />
8000<br />
6000<br />
März 2003<br />
bis Juli 20<strong>07</strong><br />
Neue Sorglosigkeit<br />
Fed-Chef Alan Greenspan<br />
hält die Zinsen unten<br />
und legt die Saat der<br />
Subprime-Krise. Amerikaner<br />
bekommen billige<br />
Kredite. Viele beleihen<br />
ihr Haus und konsumieren<br />
– oder kaufen Aktien.<br />
Juli 20<strong>07</strong> bis<br />
Februar 2009<br />
Weltweites Beben<br />
Im Juli 20<strong>07</strong> muss Stefan<br />
Ortseifen (Foto), Chef der<br />
biederen IKB, massive<br />
Verluste durch US-Subprime-Papiere<br />
melden.<br />
Damit ist klar: Die US-Immobilienkrise<br />
wird zum<br />
globalen Problem, das<br />
dann in Lehman-Pleite,<br />
2008er-Crash und<br />
Rezession mündet.<br />
Seit Februar 2009<br />
Gigantische Geldflut<br />
Weltweit fluten Zentralbanken<br />
die Märkte mit<br />
Geld und senken die Zinsen<br />
auf null. EZB-Präsident<br />
Mario Draghi (Foto)<br />
verspricht im Juli 2012,<br />
er werde den Euro<br />
„um jeden Preis“<br />
retten – und die<br />
Börse jubelt.<br />
4000<br />
2000<br />
1800<br />
2004 20<strong>06</strong> 2008 2010 2012 14<br />
„aber grundsätzlich sehe ich Rückschlagpotenzial“,<br />
so Käbisch. Die Börse ignoriere<br />
zu viele Probleme, wie die Kämpfe in der<br />
Ukraine und Konflikte in Asien. Nur zu gut<br />
sind Anlegern die Abstürze nach früheren<br />
Hochs in Erinnerung (siehe Grafik oben).<br />
Ist die Party an den Börsen schon vorbei?<br />
Oder können Anleger weiter auf die Geldflut<br />
der Notenbanken bauen, die die Aktienkurse<br />
treibt – trotz einiger Warnsignale?<br />
Fest steht: Langfristig gehören Aktien ins<br />
Depot. „Anleihen und Sparkonten bringen<br />
auf Jahre hinaus einfach nichts“, sagt der erfahrene<br />
Geldmanager Jens Ehrhardt (siehe<br />
Interview Seite 87). „Man muss Aktien haben,<br />
sonst wird man kalt enteignet, weil die<br />
Inflation höher liegt als die Renditen.“<br />
Das ist das „Einerseits“. Das „Andererseits“:<br />
Alles ist eine Frage des Timings. „Der<br />
beste Zeitpunkt, auf breiter Front in Aktien<br />
zu gehen, ist bereits vorbei“, sagt Ehrhardt.<br />
Aktien seien in einem „sehr reifen Bullenmarkt“,<br />
bestätigt Eberhardt Unger, Chefvolkswirt<br />
von Fairesearch. Er bezweifelt,<br />
dass Konjunktur und Unternehmensgewinne<br />
durch die Maßnahmen der EZB wie<br />
von der Börse erhofft steigen: „Wer bei 0,25<br />
Prozent nicht investiert, tut es auch bei 0,1<br />
Prozent nicht.“ Ehrhardt und Käbisch sind<br />
als Vermögensverwalter, die vor allem Kapital<br />
bewahren wollen, vorsichtige Naturen.<br />
Bankanalysten, die Aktien verkaufen<br />
wollen, sind optimistischer.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 85<br />
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Geld&Börse<br />
Die Geldspritzen der EZB helfen. Sie<br />
senken die Finanzierungskosten der<br />
Unternehmen, schreiben die Analysten der<br />
Société Générale. Dies und ein schwächerer<br />
Euro seien gut für die Unternehmensgewinne.<br />
Die Analysten haben untersucht,<br />
welche Aktien von den geldpolitischen Lockerungen<br />
in den USA und Japan besonders<br />
profitiert haben: Bankaktien und Papiere<br />
von Produzenten zyklischer Konsumgüter,<br />
etwa Autoaktien. Wiederholt sich das<br />
in Europa, wäre das gut für Daimler und Co.<br />
Der Dax orientiert sich seit jeher stark an<br />
der US-Börse. Insofern ist es eine gute<br />
Nachricht, dass US-Unternehmen zuletzt<br />
positiv überraschten. Über 70 Prozent der<br />
Unternehmen im Index S&P 500 verdienten<br />
laut einer Analyse des Bankhauses<br />
Warburg im ersten Quartal mehr als erwartet.<br />
Stabilere Konjunktur, eine immer noch<br />
üppige Geldversorgung durch die Fed und<br />
zunehmend Kapitalrückflüsse aus dem<br />
Ausland sprechen für US-Aktien. „Mit dem<br />
frischen Geld der Fed haben Amerikaner<br />
stark in Europa gekauft, nachdem EZB-<br />
Präsident Mario Draghi seine Garantie für<br />
Anleihen ausgesprochen hatte“, sagt Christopher<br />
Nichols, der für den schottischen<br />
Versicherer Standard Life mehr als 30 Milliarden<br />
Euro verwaltet, „nun holen sie es zurück<br />
in die USA, wo man für sein Geld derzeit<br />
mehr Wachstum bekommt.“<br />
Anleger ignorieren<br />
Risiken wie die<br />
Ukraine-Kämpfe<br />
Monetärer Rückenwind flaut ab. An<br />
den Börsen, sagt Unger, zähle Liquidität<br />
aktuell mehr als Umsätze und Gewinne.<br />
Dank des billigen Geldes seien die Kurse<br />
„alle künstlich aufgebläht“. Doch die US-<br />
Notenbank Fed bremst. Monat für Monat<br />
verringert sie ihre Anleihekäufe und drosselt<br />
die Zufuhr frischen Geldes an die Börse.<br />
Seit Beginn des schrittweisen Abschieds<br />
<strong>vom</strong> Gelddrucken („Tapering“) hat sie ihre<br />
monatlichen Anleihekäufe halbiert. In China<br />
ist die Überschussliquidität, der Teil der<br />
Geldmenge, der nicht zur Finanzierung des<br />
Wirtschaftswachstums gebraucht wird und<br />
an die Kapitalmärkte fließt, schon negativ.<br />
Dort könnte Geld knapp werden; gar nicht<br />
gut für die Börsen. Auch in Europa herrschen<br />
deflationäre Kräfte, die Gift für die<br />
Börse sind: Konsumenten und Unternehmen<br />
sparen und entschulden sich, Kredite<br />
werden kaum vergeben. „Die Börse hatte<br />
nun sechs Jahre lang geldpolitisch optimale<br />
Bedingungen; die Erwartungen der von<br />
den Notenbanken verwöhnten Anleger<br />
sind entsprechend hoch. Da drohen empfindliche<br />
Rückschläge“, warnt Ehrhardt.<br />
Anteil stark steigender Aktien sinkt.<br />
Wenn nur noch wenige Aktien eine<br />
Hausse treiben, deutet dies eine Trendwende<br />
an. In Europa haben 57 Prozent der 500<br />
größten Börsenwerte auf Zwölfs-Monats-<br />
Sicht stärker zugelegt als der entsprechende<br />
Index. Zwar wird der Anstieg damit noch<br />
breit getragen (im Mittel seit 2001 liegt der<br />
Anteil der Kurstreiber bei 60 Prozent). Doch<br />
seit Mitte 2013 ist der Wert von 70 Prozent<br />
zurückgefallen, ein Warnzeichen.<br />
Krisenherd Ukrainischer Soldat an einem<br />
Armee-Checkpoint im Donezk-Gebiet<br />
Aktien sind hoch bewertet. Das signalisiert<br />
das Shiller-Kurs-Gewinn-<br />
Verhältnis, eine robuste Kennzahl. Für das<br />
von Nobelpreisträger Robert Shiller erfundene<br />
Maß wird der Börsenwert der Unternehmen<br />
durch deren gemittelten, inflationsbereinigten<br />
Gewinn der letzten zehn<br />
Jahre geteilt. Die Langfristperspektive soll<br />
verhindern, dass Anleger sich von optimistischen<br />
Gewinnprognosen zu Aktienkäufen<br />
verleiten lassen. Für den S&P 500 liegt das<br />
Shiller-KGV bei 25,9 – über dem Durchschnitt<br />
seit 1881 (16,5) – allerdings auch unter<br />
dem Rekordhoch von 44,2 in 1999.<br />
Ähnlich ist das Bild im Dax, orientiert<br />
man sich an den erwarteten Gewinnen:<br />
Der Börsenwert der Dax-Aktien entspricht<br />
dem 17-Fachen der von Analysten für <strong>2014</strong><br />
erwarteten Nettogewinne, deutlich über<br />
dem langfristigen Mittel von knapp 12.<br />
Alternativen nicht in Sicht. Anleger<br />
sollten bei der Bewertungsfrage aber<br />
nicht nur auf historische Durchschnittswerte<br />
schauen, „sondern auch einen Vergleich<br />
zu anderen Vermögensklassen ziehen, etwa<br />
Anleihen und Immobilien; relativ sind Aktien<br />
nach wie vor billig“, sagt Käbisch. Philipp<br />
Vorndran, Stratege bei Flossbach von<br />
Storch, geht davon aus, dass Pensionsfonds<br />
und Versicherungen mehr Aktien nachfragen<br />
werden. „Sie können gar nicht anders“,<br />
sagt er. „Noch halten sie sich zurück; keiner<br />
will der Idiot sein, der als Letzter bei 10 000<br />
Punkten aufgesprungen ist; aber wenn die<br />
Marke nachhaltig fällt, werden die Versicherungen<br />
kommen; sonst schaffen sie keine<br />
Rendite für ihre Kunden mehr.“ n<br />
hauke.reimer@wiwo.de | Frankfurt,<br />
stefan hajek, niklas hoyer<br />
Für Langfrist-Anleger mit Nachholbedarf<br />
Gut gemanagte Fonds, die sich weltweit oder in den USA auf unterbewertete Titel konzentrieren, und zwei kostengünstige Indexfonds<br />
Fondsname<br />
Robeco CG Global Premium Equities<br />
Loys Global P<br />
Invesco US Value Equity<br />
iShares S&P 500 ETF<br />
Deka Dax ETF<br />
Fondswährung<br />
Euro<br />
Euro<br />
US-Dollar<br />
Euro<br />
Euro<br />
ISIN<br />
LU0940004830<br />
LU01<strong>07</strong>944042<br />
LU<strong>06</strong><strong>07</strong>514121<br />
DE000A0YBR61<br />
DE000ETFL011<br />
Wertentwicklung 1<br />
<strong>2014</strong><br />
5,2<br />
6,2<br />
5,8<br />
5,4<br />
5,7<br />
5 Jahre 1<br />
16,9<br />
15,2<br />
18,7<br />
16,4<br />
14,3<br />
Volatilität 2<br />
1 in Prozent, bei fünf Jahren pro Jahr (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität (Schwankungsintensität um den Mittelwert) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der<br />
Fonds; Quelle: Morningstar, eigene Recherchen: Stand: 4. Juni <strong>2014</strong><br />
10,6<br />
9,8<br />
11,9<br />
10,2<br />
18,1<br />
Strategie<br />
Weltweiter Aktienmix; aktuell 56% USA, 13% Euro-Zone, 11% Großbritannien;<br />
wichtigste Einzelwerte: CVS Caremark, Comcast, Roche, Macy’s<br />
Aktienmix mit 53% Titeln aus der Euro-Zone, 12% USA, 12% Japan;<br />
wichtigste Werte: Bechtle, BP, Deutsche Post, Groupe Bruxelles Lambert<br />
US-Aktienschwerpunkt; am stärksten sind Aktien der Branchen Finanzen,<br />
Gesundheit, Energie vertreten; wichtigste Werte: Citigroup, Weatherford<br />
Günstiger Indexfonds mit allen Aktien des US-Leitindex<br />
Günstiger Indexfonds mit allen Aktien des deutschen Leitindex<br />
FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />
86 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse<br />
»Die Party macht erst mal Pause«<br />
INTERVIEW | Jens Ehrhardt Der erfahrene Geldmanager erklärt, warum er kurzfristig Risiken für die<br />
Börse sieht, langfristig aber Aktien in jedes Depot gehören.<br />
FOTO: CORBIS/DEMOTIX/PETR SHELOMOVSKIY<br />
Herr Ehrhardt, der Dax hat die<br />
10 000 Punkte im Visier. Kommt<br />
die nächste Stufe der Rally?<br />
Man sollte diese runden Marken<br />
nicht unterschätzen. Sie sind oft<br />
zähe Widerstände; fallen sie aber,<br />
kann darauf ein langer, stabiler<br />
Aufwärtstrend folgen, weil mehr<br />
Leute ermutigt werden, Aktien zu<br />
kaufen. Zauderer sehen: Die<br />
Marke hält, sie legen ihre Bedenken<br />
ab. Beim Dow Jones zumindest<br />
war es so. Der Dow nahm<br />
drei Anläufe und brauchte zehn<br />
Jahre – 1972 bis 1982 –, um die<br />
damals gigantisch erscheinende<br />
Marke von 1000 Punkten zu überwinden.<br />
1982 stand die Weltwirtschaft<br />
am Beginn des Globalisierungsbooms,<br />
die Börsen profitierten<br />
<strong>vom</strong> Abbau von Handelsbeschränkungen.<br />
Insofern ist das schwer mit der<br />
heutigen Situation vergleichbar,<br />
schon richtig. Vor allem waren Aktien<br />
damals billig; nach der langen<br />
Seitwärtsphase von 1966 bis 1980<br />
gab es viele Papiere mit einstelligen<br />
Kurs-Gewinn-Verhältnissen<br />
(KGV) und hohen Dividendenrenditen.<br />
Das ist heute anders?<br />
Ja, Aktien sind im historischen<br />
Vergleich nicht mehr günstig. Die<br />
KGVs sind zwar noch nicht so<br />
hoch wie in echten Blasenzeiten.<br />
In Deutschland hatten Aktien<br />
1999/2000 ein durchschnittliches KGV von<br />
fast 45; zehn Jahre davor, in der japanischen<br />
Spekulationsblase, waren die Werte<br />
in Tokio sogar noch teurer. Heute liegen die<br />
Bewertungen eher im historischen Mittel<br />
oder leicht darüber. Aber: Die Kurse sind<br />
jetzt mehr als zwei Jahre lang gestiegen,<br />
während die Unternehmensgewinne stagniert<br />
haben. Das macht sich in gestiegenen<br />
Bewertungen bemerkbar. Wirklich<br />
günstige Aktien findet man kaum noch. Vor<br />
allem arbeiten die meisten Unternehmen<br />
schon mit rekordhohen Gewinnmargen,<br />
das macht ihre Gewinne anfällig und die<br />
DER GELDMENGEN-EXPERTE<br />
Ehrhardt, 72, ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandschef<br />
einer der größten unabhängigen Vermögensverwaltungen<br />
Europas, der DJE Kapital aus Pullach bei München. Zusätzlich<br />
berät er zahlreiche Fonds. Ehrhardt gilt als der erfahrenste<br />
Geldmanager Deutschlands. Er promovierte 1974 über den<br />
Einfluss der Geldpolitik auf die Aktienmärkte.<br />
stimmung. So weit sind wir bei<br />
Weitem nicht. Die Aktie gilt breiten<br />
Anlegerschichten noch immer<br />
als riskant, übrigens nicht nur<br />
Kleinsparern, sondern besonders<br />
auch den Großen, wie etwa Versicherungen.<br />
Also fehlt noch das große Finale<br />
vor dem nächsten Crash?<br />
Ich denke schon. Zudem enden<br />
die meisten lang anhaltenden<br />
Haussen nicht, weil den Marktteilnehmern<br />
auf einmal dämmert,<br />
dass Aktien zu teuer seien und sie<br />
anfangen zu verkaufen.<br />
Nicht? Viele glauben das.<br />
Das wird meist als Erklärung im<br />
Nachhinein für einen Abschwung<br />
angeboten. Eine fundamentale<br />
Überbewertung ist fast nie der<br />
Auslöser einer Talfahrt.<br />
Was dann?<br />
Die Geldpolitik, genauer gesagt:<br />
die Versorgung der Märkte mit<br />
frischem Geld und die Zinsen.<br />
Beides beeinflusst die Kurse sehr<br />
viel stärker als die Bewertung von<br />
Aktien. Ich habe die Börsen-<br />
Wendepunkte der vergangenen<br />
40 Jahre untersucht und festgestellt,<br />
dass langjährige Haussen<br />
immer erst endeten, nachdem<br />
zuvor mehrfach und substanziell<br />
die Zinsen erhöht worden waren.<br />
Nur wenn Sie also glauben, dass<br />
in den nächsten Monaten die<br />
Zinsen steigen, sollten Sie raus<br />
aus Aktien.<br />
Und was glauben Sie?<br />
Ich denke, dass die Zinsen nahezu weltweit<br />
noch für lange Zeit niedrig bleiben werden.<br />
Denn die Schuldenlast der Staaten hat sich<br />
seit Beginn der Krise nicht verringert – im<br />
Gegenteil. Würden die Notenbanken die<br />
Zinsen substanziell steigen lassen, drohten<br />
unmittelbar Staatspleiten. Ex-US-Notenbank-Präsident<br />
Ben Bernanke soll auf einer<br />
Party jüngst ausgeplaudert haben, er<br />
sei der Meinung, dass es keine nennenswert<br />
höheren Zinsen geben werde, solange<br />
er lebe. Er ist erst 60. Etwas plakativ, aber<br />
Aktien verwundbar. Trotzdem können die<br />
Kurse, unter dem Gesichtspunkt der Bewertungen,<br />
gut und gerne noch 20, 30 Prozent<br />
steigen, bevor es wirklich bedenklich<br />
wird.<br />
Was macht Sie da so zuversichtlich?<br />
Erstens ist die Stimmung noch nicht euphorisch<br />
genug, es ist keine Hausfrauenoder<br />
Taxifahrer-Hausse wie Ende der<br />
Neunzigerjahre. Damals redete alle Welt<br />
von Aktien; Börsenlaien verschuldeten<br />
sich, um Aktien auf Pump zu kaufen. Die<br />
Unternehmenschefs <strong>vom</strong> Neuen Markt<br />
waren Popstars, es herrschte Goldgräber- durchaus denkbar.<br />
»<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 87<br />
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Geld&Börse<br />
Die niedrigen Zinsen dürften also weiter<br />
dafür sorgen, dass Anleger mehr Aktien<br />
kaufen und die Hausse befeuern?<br />
Ja, auf lange Sicht schon. Die Niedrigzinsen<br />
machen Aktien nun mal relativ gesehen attraktiver.<br />
Vor allem, weil die Alternativen<br />
zur Aktie alle noch teurer sind: Eine Immobilie<br />
in guter Lage kostet umgerechnet den<br />
25- bis 35-fachen Jahresgewinn; sie sollte<br />
eigentlich günstiger sein als eine gute Aktie,<br />
weil sie nicht so liquide handelbar ist.<br />
Eine Staatsanleihe, die zwei Prozent Zins<br />
bringt, hat umgerechnet ein KGV von 50.<br />
Aktien sind preislich der Einäugige unter<br />
den Blinden.<br />
Also sollte man welche haben?<br />
Ich denke, ganz ohne geht es nicht. Und<br />
die von den meisten Experten seit drei<br />
Jahren gebetsmühlenartig herbeigeredete<br />
„Great Rotation“, die massenhafte Flucht<br />
von Großanlegern wie Versicherungen<br />
und Pensionsfonds aus Anleihen, hat<br />
noch kaum stattgefunden. Es ist nicht viel<br />
passiert, wenn man deren jetzige<br />
Aktienquoten mit den Neunzigern<br />
vergleicht. Das Gros der Mittel<br />
bleibt am Rentenmarkt investiert.<br />
In den ersten Monaten <strong>2014</strong><br />
gab es sogar eine leicht rückläufige<br />
Tendenz: Renten- und Geldmarktfonds<br />
hatten wieder netto<br />
Zuflüsse, vor allem in den USA.<br />
Die Manager großer Mischfonds<br />
und -portfolios in den USA haben<br />
derzeit sehr hohe Cash-Quoten.<br />
Da ist noch Munition für steigende<br />
Kurse.<br />
Und was macht der deutsche<br />
Privatanleger?<br />
Der ist diesmal gar nicht dabei;<br />
die Zahl der freien Aktionäre sinkt<br />
und sinkt, obwohl die Kurse steigen.<br />
Die Gefahr besteht durchaus,<br />
dass der deutsche Privatanleger<br />
wieder erst einsteigt, wenn die<br />
Party schon vorbei ist.<br />
Warum sollte die Party denn<br />
vorbei sein?<br />
Vorbei noch nicht; aber mit einer<br />
Pause in den kommenden Wochen<br />
oder Monaten rechne ich.<br />
Das Wachstum der Geldmengen<br />
und, davon abgeleitet, die Überschussliquidität,<br />
also die Liquidität,<br />
die nicht zur Finanzierung des<br />
Wirtschaftswachstums benötigt<br />
wird und zum Teil an die Kapitalmärkte<br />
fließt, signalisieren dies.<br />
Das Wachstum der Geldmenge<br />
M1...<br />
...außerhalb der Banken zirkulierendes<br />
Bargeld und täglich kündbare Einlagen...<br />
...ist einer der besten Börsenindikatoren,<br />
die ich kenne. Es läuft den Kursen um<br />
sechs Monate voraus, es flacht sich in der<br />
Euro-Zone deutlich ab. Zuletzt betrug es<br />
gegenüber dem Vorjahr noch 5,6 Prozent,<br />
vor einem Jahr waren es noch fast neun,<br />
2009 auch schon mal 13 Prozent.<br />
Wie sieht es mit der Geldversorgung der<br />
Börsen aktuell aus?<br />
Da müssen wir nach Wirtschaftsräumen<br />
differenzieren. Die Stammtischmeinung,<br />
es werde weltweit immerzu Geld gedruckt,<br />
die Geldmenge explodiere, und das fließe<br />
alles in die Kapitalmärkte, stimmt so pauschal<br />
nicht. Ansatzweise ist das in den USA<br />
der Fall, hierzulande nicht. Unbestritten<br />
ist, dass die lockere Geldpolitik der vergangenen<br />
Jahre den Aktienkursen geholfen<br />
hat. Sehr viel besser kann es für die Börse<br />
monetär aber nun nicht mehr werden. Da<br />
drohen Enttäuschungen, sollte die Geld-<br />
»Das große Finale haben<br />
wir nicht gesehen, dazu<br />
fehlt noch die Euphorie«<br />
politik auch nur geringfügig konservativer<br />
sein als von den Anlegern erwartet.<br />
Und, wird sie konservativer?<br />
Der monetäre Rückenwind lässt jedenfalls<br />
nach. Die USA verringern ihre Anleihekäufe.<br />
In Japan verpuffen die Gelddruckprogramme,<br />
weil die Banken das neue Geld<br />
bei der Notenbank zurückparken, anstatt<br />
Kredite zu vergeben – ähnlich wie in Südeuropa,<br />
wo starke deflationäre Kräfte wirken.<br />
Und in den Schwellenländern ist das<br />
Geldmengenwachstum eingebrochen. Insgesamt<br />
kann also von einer Liquiditätsflut<br />
derzeit keine Rede sein.<br />
Was sollten Privatanleger tun?<br />
Wer noch keine Aktien hat, sollte trotz der<br />
gestiegenen Kurse einige kaufen. Wie viel,<br />
hängt stark von persönlichen Umständen<br />
wie Alter, Anlageziele und Risikofreude ab.<br />
25 Prozent des Vermögens in Aktien ist<br />
aber sicher nicht zu viel.<br />
Aber eine ganze Menge, wenn man von<br />
null kommt...<br />
Man sollte jetzt auch nicht alles<br />
auf einmal investieren, sondern in<br />
mehreren kleinen Schritten, besonders<br />
nach Rückschlägen. Mit<br />
solchen ist jederzeit zu rechnen.<br />
Generell wäre ich derzeit vorsichtig<br />
mit deutschen Aktien, lieber<br />
sollte man international breit gestreut<br />
kaufen.<br />
Warum das?<br />
Der Dax hat in den letzten sechs<br />
Jahren stärker als andere Börsen<br />
von zwei starken Treibern profitiert:Von<br />
der lockeren Geldpolitik<br />
in den USA und dem Boom<br />
Chinas; beide aber schwächen<br />
sich ab. Gekauft haben im Dax vor<br />
allem angelsächsische Großinvestoren,<br />
munitioniert mit dem frischen<br />
Geld der US-Notenbank.<br />
Teilweise sind sie auch im Nebenwerteindex<br />
MDax engagiert, der<br />
noch teurer ist als der Dax. Die<br />
Amerikaner sind jetzt entsprechend<br />
stark in Europa und speziell<br />
in Deutschland investiert<br />
und dürften künftig eher daheim<br />
kaufen, auch weil sich die US-<br />
Konjunktur besser entwickelt als<br />
die europäische. US-Anleger, die<br />
jetzt aus Dax-Aktien aussteigen,<br />
würden zudem gute Währungsgewinne<br />
realisieren.<br />
Und China?<br />
China droht <strong>vom</strong> Treiber zum Risikofaktor<br />
für deutsche Aktien zu<br />
werden. Ich glaube zwar nicht an<br />
FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, VISUM/PANOS PICTURES/QILAI SHEN<br />
88 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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eine harte Landung, aber die US-<br />
Industrie ist weniger abhängig<br />
von China als die deutsche, für die<br />
China nach Frankreich und den<br />
USA bereits der drittwichtigste<br />
Markt ist. Das macht den Dax derzeit<br />
wesentlich riskanter als die<br />
großen US-Indizes, die viel Technologie,<br />
Pharma und starke Binnenwerte<br />
enthalten. Defensive,<br />
weltweit aktive Unternehmen haben<br />
wir in Deutschland kaum.<br />
Große Binnenwerte auch nicht.<br />
Was droht in China?<br />
Der Immobilienboom könnte ein<br />
abruptes Ende nehmen. Die Bautätigkeit<br />
nahm 2013 fast zwölf Prozent<br />
der Gesamtwirtschaftsleistung<br />
ein – viel zu viel und annähernd<br />
so hoch wie in Spanien<br />
oder Irland zu Zeiten der dortigen<br />
Immobilienblasen. In China kaufen<br />
viele Menschen Wohnungen,<br />
ohne sie je gesehen zu haben, nur, um sie<br />
mit möglichst viel Gewinn schnell wieder<br />
zu verkaufen, ein klares Blasensymptom.<br />
Erste Vorboten eines Crashs gibt es schon,<br />
etwa geringere Kreditvergabe und rückläufige<br />
Bautätigkeit.<br />
Was hat die Immobilienblase in China mit<br />
dem Dax zu tun ?<br />
Viele Wohnungen in China stehen leer, da<br />
sie ja reine Spekulationsobjekte sind. Können<br />
diese nicht wie gedacht teurer verkauft<br />
werden, werden viele Spekulanten ihre<br />
Kredite nicht mehr bedienen. Die Banken<br />
und Schattenbanken, die viel finanziert haben,<br />
müssten sie abschreiben. Sie kämen<br />
selbst in Schieflage, die Kreditvergabe an<br />
die Industrie und Privatleute käme zum Erliegen<br />
– wie in der US-Subprimekrise eben.<br />
Das würde die Wirtschaft der gesamten Region<br />
in Mitleidenschaft ziehen und damit<br />
auch die deutschen Exporte. Die starke Abhängigkeit<br />
<strong>vom</strong> Export und von Asien kann<br />
also für den Dax zum Bumerang werden.<br />
Aber Asien macht mir noch aus anderen<br />
Gründen Sorge.<br />
Aus welchen denn?<br />
Ich spreche viel mit Managern asiatischer<br />
Unternehmen. Alle haben Angst vor China.<br />
Sie fürchten, dass China seinen Machtbereich<br />
und den Zugang zu Rohstoffen in der<br />
Region aggressiv ausweiten könnte.<br />
Sie reden von Krieg?<br />
Das ist in der Tat die Angst vieler, ja. Mit Vietnam<br />
gibt es Spannungen, mit Korea,<br />
auch mit Japan. Auch die Annäherung Chinas<br />
an Russland sehen viele mit Sorge. Die<br />
geopolitischen Risiken – auch die Ukraine-<br />
»Chinas Immobilienboom<br />
hat bedenkliche Ausmaße,<br />
er könnte abrupt enden«<br />
Krise ist ja alles andere als ausgestanden –<br />
und China sind die beiden großen Risiken<br />
für den Dax. Treten sie nicht ein, sollten<br />
Aktien in den kommenden Jahren besser<br />
laufen als andere Anlageformen; kommt es<br />
aber zur Eskalation der einen oder anderen<br />
Krise, würde speziell der deutsche Aktienmarkt<br />
leiden.<br />
Wie sollen Anleger mit dieser Situation<br />
umgehen ?<br />
Um es klar zu sagen: Der beste Zeitpunkt,<br />
auf breiter Front in Aktien zu gehen, ist vorbei.<br />
Voll rein in Aktien muss man, wenn die<br />
Geldpolitik gelockert wird, die Zinsen gesenkt<br />
und die Konjunktur noch unten ist.<br />
Dann haben Aktien den größten Hebel.<br />
Wenn die Konjunktur bereits wieder<br />
brummt, ist das Beste gelaufen.<br />
Der beste Zeitpunkt ist vorbei, aber was<br />
ist die Alternative zu Aktien?<br />
Das ist der Punkt. Wir erleben die historisch<br />
seltene Konstellation, dass Zinsprodukte<br />
wie Anleihen und Sparkonten auf<br />
Jahre hinaus einfach nichts bringen. Man<br />
muss also Aktien haben, sonst wird man<br />
kalt enteignet, weil die Inflation höher liegt<br />
als die Renditen.<br />
Derzeit ist die Inflation schwach.<br />
Ja, aber auch bei 1,5 Prozent Inflation verlieren<br />
Sie mit 0,2 Prozent Rendite nach<br />
Steuern in ihrem Depot Kaufkraft, genauso<br />
wie bei 10,0 Prozent Inflation und acht Prozent<br />
Zins. Die Finanzrepression hat viele<br />
Spielarten, aber sie ist Fakt. Die Lösung<br />
heißt – auch, wenn das keiner mehr hören<br />
will – breit diversifizieren.<br />
Was schlagen Sie vor?<br />
Gekauft wie gesehen Käufer in<br />
China kennen Wohnungen oft<br />
nur als Modell, hoffen auf schnellen<br />
Gewinn<br />
Mit einem Drittel Aktien, einem<br />
Drittel Immobilien und einem<br />
Drittel kurzfristigen Zinsanlagen<br />
machen Sie nicht viel falsch.<br />
Gold?<br />
Wird weiter eher schwach tendieren;<br />
kurzfristig sieht Gold technisch<br />
etwas überverkauft aus, ich<br />
sehe aber nicht, was den Goldpreis<br />
mittelfristig sehr stark treiben<br />
sollte. Als Krisenschutz für<br />
den Fall der Fälle können Anleger<br />
aber ein wenig Gold beimischen.<br />
Welche Aktien?<br />
Den Dax würde ich nicht mehr<br />
kaufen; klar, es gibt Unternehmen,<br />
deren Geschäft selbst im Fall eines<br />
China-Crashs laufen würde, etwa<br />
die Post, aber da sind Hinz und Kunz schon<br />
drin. Die Börsen in den USA und Großbritannien<br />
gefallen mir besser. Weltweit sind<br />
die Gewinnmargen der Unternehmen und<br />
die Cash-Flow-Renditen aber nahezu ausgereizt.<br />
Was wir nun an der Börse brauchen,<br />
ist neues Umsatzwachstum. Angelsächsische<br />
Unternehmen scheinen tatsächlich anzufangen<br />
zu investieren, was langfristig gut<br />
für die Konjunktur wäre, die US-Maschinen<br />
und andere Ausrüstungen sind im Schnitt<br />
über 20 Jahre alt. Die schlechte dortige Produktivität<br />
könnte verbessert werden.<br />
Investitionen kosten Geld. Wenn Unternehmen<br />
investieren, drohen niedrigere<br />
Dividenden und Gewinne, also wären höhere<br />
KGVs die Folge.<br />
Richtig, aber mit etwas Verzögerung würden<br />
die Aktien dann über Umsatzwachstum<br />
neuen Schub kriegen. Auch diese Verzögerung<br />
spricht dafür, größere Käufe erst<br />
nach Rücksetzern zu wagen. Europäische<br />
Titel würde ich nur noch sehr wenige kaufen.<br />
Ölwerte wie Total oder Statoil gefallen<br />
uns noch gut, sie haben die Hausse kaum<br />
mitgemacht und investieren weniger, was<br />
steigende Cash-Flows bringt. Generell ist<br />
Europa aber schon gut gelaufen. In der Euro-Krise<br />
ist es ruhig; sie kann aber jederzeit<br />
wieder aufflammen. Die Probleme, Staatsverschuldung<br />
und Arbeitslosigkeit, sind<br />
ungelöst. Eine neue Zuspitzung droht,<br />
wenn sich bei den nächsten Wahlen der<br />
Trend zu rechtspopulistischen, euroskeptischen<br />
Parteien manifestiert und diese mit<br />
einem Euro-Austritt ernst machen. n<br />
stefan.hajek@wiwo.de<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 89<br />
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Geld&Börse | Barron’s<br />
Raubtiere angreifen<br />
US-BÖRSE | Die Aufsicht SEC versagt noch immer. Das zeigen drei<br />
aktuelle Fälle, sagt Ex-Hedgefondsmanager David Rocker.<br />
Übernahmeangebot war eine<br />
Umgehung des Insiderhandelsverbots<br />
zu beobachten: Ackman,<br />
der potenzielle Übernahmepartner,<br />
kaufte am freien Markt noch<br />
rasch nahezu zehn Prozent der<br />
Allergan-Aktien. Damit sicherte<br />
er sich einen Gewinn, denn er<br />
wusste ja, dass die Übernahme<br />
stattfinden würde. Wegen Verstoßes<br />
gegen die Insiderregeln kann er nicht<br />
zur Rechenschaft gezogen werden, das verhindert<br />
eine kleine Formsache: Die sind<br />
nur verletzt, wenn der Insider durch die<br />
Weitergabe dieser Information seine<br />
Pflichten gegenüber seinen Aktionären<br />
verletzt. Valeant aber hat mit der Weitergabe<br />
der Information an Ackman gegen keine<br />
Insiderregel verstoßen, denn Ackman und<br />
Valeant sind Partner. Beraten wurde Ackman<br />
<strong>vom</strong> ehemaligen SEC-Chefermittler<br />
Robert Khuzami, der im Vorjahr die Seiten<br />
wechselte. Als Partner der Rechtsanwaltskanzlei<br />
Kirkland und Ellis arbeitet er für<br />
fünf Millionen Dollar Jahreshonorar für die<br />
Leute, die er zuvor regulierte.<br />
Ist die US-Aufsicht SEC in der Lage, Probleme<br />
früh zu erkennen und gefährlichen<br />
Praktiken einen Riegel vorzuschieben?<br />
Oder ist sie ein ineffizienter<br />
Weisungsempfänger, der immer erst reagiert,<br />
wenn es zu spät ist? Haben die Markthüter<br />
das Rüstzeug und die Motivation, um<br />
potenziell destabilisierendes Verhalten zu<br />
verhindern?<br />
Die Erfolgsbilanz ist entmutigend. Die<br />
SEC war im Vorfeld der Skandale um Enron,<br />
Bernie Madoff und eine ganze Reihe<br />
anderer ausführlich gewarnt worden.<br />
Trotzdem unternahm sie wenig, um Anleger<br />
zu schützen. Höchst beunruhigend ist<br />
auch das hartnäckige Schweigen der<br />
Markthüter angesichts einer Reihe aktueller<br />
Fälle.<br />
Erster Fall: Die Umstände rund um die<br />
jüngste Geldbeschaffungsaktion des Elektroautoherstellers<br />
Tesla würden eine sofortige<br />
Untersuchung rechtfertigen. Es gälte,<br />
festzustellen, ob die chinesische Mauer<br />
zwischen Wall-Street-Analysten und Investmentbankern<br />
nicht längst zu einem japanischen<br />
Stellschirm verkommen ist:<br />
Adam Jonas, Tesla-Analyst bei Morgan<br />
Stanley, hob am 25. Februar sein Kursziel<br />
für die Tesla-Aktie auf 320 Dollar an. Dabei<br />
notierte die Aktie zu dem Zeitpunkt bereits<br />
bei 218 Dollar. Ihr Kurs hatte sich in den<br />
vorhergehenden zwölf Monaten vervierfacht.<br />
In den nachfolgenden beiden Tagen<br />
kletterte der Kurs auf 253 Dollar. Genau<br />
hier kam Tesla ins Spiel: Das Unternehmen<br />
begab eine Wandelanleihe mit fünf Jahren<br />
Laufzeit, mit dem bescheidenen Kupon<br />
von 0,25 Prozent und zum festgelegten<br />
Wandlungspreis von 360 Dollar – also 42<br />
Prozent über dem nach der Morgan-Stanley-Analyse<br />
stark gestiegenen Kurs.<br />
Morgan Stanley war einer der vier Konsortialführer.<br />
Ein offensichtlicher Interessenskonflikt?<br />
Darüber machen sich zahlreiche<br />
Wall-Street-Kommentatoren seither<br />
Gedanken. Die SEC aber schweigt. Tesla sicherte<br />
sich mit dem Deal eine erstaunlich<br />
günstige Finanzierung, die Investmentbanken<br />
kassierten mehrere zehn Millionen<br />
Dollar an Gebühren, und die Anleger sitzen<br />
jetzt mit Wandlern da, die mehr als 100<br />
Millionen Dollar weniger wert sind.<br />
Zweiter Fall: Hedgefondsmanager Bill<br />
Ackman will mit dem kanadischen Pharmakonzern<br />
Valeant den Botox-Hersteller<br />
Allergan übernehmen. Vor dem<br />
Die beste<br />
Geschichte aus<br />
der aktuellen<br />
<strong>Ausgabe</strong> von<br />
dem führenden<br />
amerikanischen<br />
Magazin für<br />
Geldanleger.<br />
ANGST VOR KONFLIKTEN<br />
Dritter Fall: Wall-Street-Kritiker Michael<br />
Lewis nimmt in seinem neuen Buch „Flash<br />
Boys“ den Hochfrequenzhandel unter die<br />
Lupe. Sinn und Zweck der SEC ist, „die Anleger<br />
zu schützen und das faire, ordnungsgemäße<br />
und effiziente Funktionieren der<br />
Märkte sicherzustellen“. Es gibt reihenweise<br />
Untersuchungen, die belegen, wie sich<br />
Hochfrequenzhändler mit ihren blitzschnellen<br />
Computerprogrammen in Millisekunden<br />
Vorteile zulasten regulärer Anleger<br />
verschaffen. Sie investieren Millionen<br />
von Dollar in Hochleistungstechnologie,<br />
nur um diesen Millisekundenvorsprung<br />
nutzen und ungestraft stehlen zu können<br />
(siehe auch WirtschaftsWoche 23/<strong>2014</strong>).<br />
Die Regulierungsbehörden rühren auch<br />
hier keinen Finger.<br />
Sie haben offenbar die Verantwortung<br />
abgegeben. Finanziert werden sie <strong>vom</strong> US-<br />
Kongress, wo Lobbyisten der Finanzbranche<br />
zahlreicher denn je sind. Die SEC steht<br />
folglich unter beträchtlichem Druck. Ihr<br />
Job wäre es aber, sich an Gesetze zu halten,<br />
nicht an die Gesetzgeber. Die SEC agiert,<br />
als hätte sie zu viele Rechtsanwälte und zu<br />
wenige Analysten und Wirtschaftsprüfer.<br />
Die leitenden Beamten wollen sich offenbar<br />
nicht mit den Lobbyisten und großen<br />
Anwaltskanzleien anlegen, weil sie nach<br />
Beendigung ihrer Tätigkeit bei der SEC von<br />
diesen zu enormen Gehältern<br />
eingestellt werden.<br />
Wer die Amerikaner vor den<br />
Raubtieren der Wall Street schützen<br />
will, muss mit Zuckerbrot<br />
und Peitsche arbeiten: Höhere<br />
SEC-Gehälter und Regeln, die einen<br />
Seitenwechsel mitten in der<br />
Schlacht verhindern, wären ein<br />
Anfang.<br />
n<br />
geld@wiwo.de<br />
ILLUSTRATION: TOM MACKINGER<br />
90 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Geld&Börse<br />
Zu viel Schlechtfeld<br />
EURO GRUNDINVEST | Das Fondshaus fällt mit nebulösen Immobiliendeals<br />
auf und lässt Anleger von einem Phantom beruhigen.<br />
keine „Brigitte Lorenz“. Und Projekte im<br />
Umfang von 100 Millionen Euro gibt es laut<br />
einer von der EGI selbst erstellten Übersicht<br />
von Anfang März auch nicht.<br />
Es ist vielmehr unklar, wo das Kapital der<br />
einzelnen Fonds konkret steckt. Fragen<br />
hierzu beantwortet die EGI nur rudimentär.<br />
Sie kann nicht einmal erklären, mit<br />
welchen Geschäften der bereits aufgelöste<br />
erste Fonds der Gruppe, der EGI 12, eine<br />
jährliche Rendite von zwölf Prozent pro<br />
Jahr erwirtschaftet haben will. Genauso<br />
dubios ist, dass die Gruppe im Juni 2011 eine<br />
„City Residenz“ in München mit einer<br />
angeblich sensationellen Rendite verkauft<br />
haben soll – die Gesellschaft aber keine Angaben<br />
zum Objekt machen kann.<br />
Malte Hartwieg ist ein äußerst vielseitiger<br />
Geschäftsmann: Ursprünglich<br />
gelernt hat er den Beruf<br />
des Maurers. 2008 finanzierte er seiner<br />
Ehefrau in München ein Spa für Männer.<br />
Stolz erzählte er im Fernsehinterview, dass<br />
er das Nobel-Etablissement aus der eigenen<br />
Tasche bezahlen konnte. Parallel betrieb<br />
er bis vor Kurzem den Finanzvertrieb<br />
dima24, dessen Mitarbeiter am Telefon geschlossene<br />
Fonds diverser Anbieter an Privatanleger<br />
verscherbelten. Und weil Hartwieg<br />
so gut weiß, wie man mit Geld umgeht,<br />
legte er zuletzt auch eigene Fonds auf,<br />
die das Geld der Dima-Kunden gewinnbringend<br />
in Immobilien, Edelmetalle, Öl<br />
und Gas in Deutschland, Nahost oder der<br />
Karibik investieren sollten.<br />
Doch Hartwieg hat sich offensichtlich<br />
verschätzt. Nicht nur, dass der Männer-Spa<br />
seine Pforten geschlossen hat: Anleger, die<br />
in Fonds aus dem Hartwieg-Reich mit den<br />
Namen Selfmade und NCI investiert hatten,<br />
haben seit Monaten keine Ausschüttungen<br />
gesehen (siehe Kasten Seite 94).<br />
Laut Eigenwerbung hat Dima Fondsbeteiligungen<br />
für 2,3 Milliarden Euro vermittelt.<br />
Zwischen 200 und 320 Millionen davon<br />
sollen nach Schätzungen von Unternehmenskennern<br />
in Hartwieg-Fonds wie Selfmade<br />
oder NCI geflossen sein.<br />
FÜR GENIESSER Promi-Koch Holger<br />
Stromberg kochte für Tünde und Malte<br />
Hartwiegs Männer-Spa (von links)<br />
TOLLE NEWS VON EINEM PHANTOM<br />
Entspannt zurücklehnen konnten sich bislang<br />
nur die Zeichner von fünf Immobilienfonds<br />
mit dem Namen Euro Grundinvest<br />
(EGI), die auch zur Hartwieg-Gruppe<br />
gehören – die Deutschland-Fonds EGI 12,<br />
15, 17 und 18 und ein Spanien-Fonds.<br />
Erst kürzlich überbrachte eine Dame namens<br />
„Brigitte Lorenz“ den Anlegern des<br />
Fonds EGI 15 im Namen der Gesellschaft<br />
fantastische Nachrichten: „Die Euro<br />
Grundinvest ist einer der solidesten Bauträger<br />
Münchens“, heißt es in einem Brief.<br />
Das aktuelle Projektvolumen läge mit<br />
mehr als 100 Millionen Euro deutlich über<br />
dem bisher platzierten Eigenkapital. „Diese<br />
Entwicklung macht es nun möglich, für<br />
Sie die im Prospekt versprochenen Erfolge<br />
zu realisieren.“ Will heißen: Die Anleger<br />
des EGI 15 sollen die angekündigten acht<br />
Prozent Zinsen und auch noch eine Gewinnbeteiligung<br />
von bis zu vier Prozent<br />
pro Jahr auf ihre Einlagen bekommen.<br />
Die Sache hat nur einen ganz kleinen<br />
Haken: Bei der Euro Grundinvest gibt es<br />
WO SIND DIE MILLIONEN?<br />
Bis März 2013 flossen knapp 54 Millionen<br />
Euro in die EGI-Fonds. Wie viel danach<br />
noch verkauft wurde, ist nicht bekannt.<br />
Über Genussrechte sollen laut Schätzung<br />
eines Unternehmenskenners bis heute<br />
weitere zehn Millionen in die Gruppe geflossen<br />
sein. Wie viel insgesamt zusammenkam,<br />
sagt EGI nicht.<br />
Die Fonds selbst erwerben keine Immobilien.<br />
Vielmehr soll der Großteil des eingezahlten<br />
Kapitals an andere Unternehmen<br />
der Gruppe weitergereicht werden,<br />
die Malte Hartwieg über mehrere Zwischengesellschaften<br />
bis Mai komplett gehörten.<br />
Wo das Geld jedes einzelnen Fonds<br />
steckt, erklärt die EGI nicht. Ob es gewinnbringend<br />
investiert wurde, ist unklar.<br />
n In den 2010 aufgelegten EGI 12 zahlten<br />
Anleger knapp 11,7 Millionen Euro ein. Vor<br />
und bei der Auflösung des Fonds Mitte<br />
2013 erhielten sie 15,7 Millionen Euro zurück.<br />
Sollte die Differenz in Höhe von vier<br />
Millionen Euro tatsächlich erwirtschaftet<br />
worden sein, wäre das ein außerordentliches<br />
Kunststück: Von den 11,7 Millionen<br />
Euro, die Anleger eingezahlt hatten, wurden<br />
9,6 Millionen Euro an eine Gesellschaft<br />
weitergereicht, die das Geld investieren<br />
sollte. Der Rest war für Fondskosten<br />
einkalkuliert. Die EGI müsste mit diesem<br />
Betrag 64 Prozent Rendite gleich 6,1 Millionen<br />
Euro Gewinn gemacht haben. Nur so<br />
wären für die Fondszeichner zwölf Prozent<br />
Rendite pro Jahr herausgekommen.<br />
Die EGI behauptet, dass die Rendite von<br />
der Euro Grundinvest Objekt München<br />
GmbH komme, die auch noch Renditen für<br />
den Fonds EGI 18 abwerfen soll. Wie diese<br />
das Wunder vollbracht hat, erklärt die EGI<br />
nicht. Sollte die GmbH tatsächlich Profit in<br />
der Höhe gemacht haben, dann aber ver-<br />
FOTO: PICTURE-ALLIANCE/DPA/ROBERT HAAS<br />
92 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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mutlich nicht durch gewinnbringende Immobiliengeschäfte:<br />
In der letzten publizierten<br />
Bilanz der Gesellschaft von 2011 findet<br />
sich kein Hinweis auf Grundeigentum.<br />
Laut der Bilanz der Mutter hatte die Objekt<br />
München GmbH ihr Eigenkapital 2012 sogar<br />
aufgezehrt und stand mit knapp<br />
100 000 Euro im Minus. Und einer internen<br />
Aufstellung der EGI ist zu entnehmen, dass<br />
die Objekt München GmbH auch im März<br />
<strong>2014</strong> weder ein Haus noch ein Grundstück<br />
besaß. Beim Grundbuchamt München war<br />
Mitte März ebenfalls kein Immobilienbesitz<br />
verzeichnet.<br />
n Dass die Gewinne des EGI 12 aus dem<br />
Verkauf einer „City Residenz“ im Münchner<br />
Stadtteil Bogenhausen stammen, ist<br />
zumindest fraglich. Im Juni 2011 wurde<br />
zwar auf diversen Internet-Portalen, über<br />
die Unternehmen ihre Pressemitteilungen<br />
verbreiten, eine spektakuläre Erfolgsmeldung<br />
veröffentlicht: EGI habe das Mehrfamilienhaus<br />
„City Residenz“ in München<br />
mit 1100 Quadratmetern an einen „institutionellen<br />
Investor aus dem Mittleren Osten“<br />
verkauft. Nach nur sechs Monaten,<br />
mit einem „hohen Ertrag“. Ein wahres Luxusobjekt<br />
soll das gewesen sein, mit extra<br />
großen Stellplätzen für Limousinen bis<br />
sechs Meter Länge und einer sportwagentauglichen<br />
Tiefgarageneinfahrt.<br />
Einem Unternehmenskenner zufolge<br />
hat EGI diesen Bau aber nie besessen. EGI<br />
behauptet, die Meldung stamme nicht von<br />
ihr, sie müsse herausfinden, wer sie eingestellt<br />
habe und um welches Objekt es sich<br />
handle. Was bei der Suche herauskam, teilte<br />
sie auch zwei Monate nach einer Anfrage<br />
der WirtschaftsWoche nicht mit.<br />
n Dass die Gruppe Projekte mit einem Volumen<br />
von 100 Millionen Euro besitzen<br />
soll, wie die erfundene EGI-Mitarbeiterin<br />
Brigitte Lorenz den Anlegern des EGI 15<br />
»Die Euro Grundinvest<br />
ist einer der<br />
solidesten Bauträger<br />
Münchens«<br />
Fiktive Mitarbeiterin in einem Brief an Anleger<br />
berichtete, ist ebenfalls höchst verwunderlich.<br />
Denn laut einer „vorläufigen“ Liste der<br />
EGI von Anfang März verfügt die Gruppe<br />
inklusive der Objekte in Spanien nur über<br />
Projekte im Umfang von 81 Millionen Euro.<br />
Eine endgültige Aufstellung, die bis Mitte<br />
Mai avisiert wurde, lieferte EGI nicht.<br />
MÄRCHENHAFTE GEWINNE<br />
Spannender als das Projektvolumen, worunter<br />
die EGI die unbelasteten Sachwerte<br />
und die erwarteten, aber keineswegs sicheren<br />
Einnahmen ihrer Objekte zusammenfasst,<br />
ist ohnehin, wie viel Geld tatsächlich<br />
in Immobilien investiert wurde.<br />
Für drei von sieben Projekten in<br />
Deutschland beziffert die EGI die Investitionen<br />
auf 3,9 Millionen Euro. Zu den anderen<br />
Objekten nennt sie keine Zahlen. Ein<br />
Unternehmenskenner schätzt die Investitionssumme<br />
für zwei weitere Objekte auf<br />
zwölf Millionen Euro. Hinzu kommen zwei<br />
bislang unbebaute Grundstücke, darunter<br />
48100 Quadratmeter in München, die beim<br />
Grundbuchamt als „Schlechtfeld/Ackerland“<br />
geführt werden. Damit dürfte sich<br />
das in deutsche Immobilien investierte Kapital<br />
auf weniger als 20 Millionen Euro belaufen<br />
– so viel hatte allein der Fonds EGI 17<br />
bis März 2013 an Kapital eingesammelt.<br />
Fraglich ist, ob das reicht, um an alle Anleger<br />
nicht nur jedes Jahr die versprochenen<br />
Zinsen, sondern am Ende auch das<br />
eingesetzte Kapital plus etwaiger Gewinnbeteiligungen<br />
und Frühzeichnerboni auszuzahlen:<br />
n Komplett fertiggestellt wurde bislang nur<br />
ein einziges Bauwerk. Das Haus mit 30 Eigentumswohnungen<br />
in Karlsfeld bei München<br />
soll 11,5 Millionen Euro eingespielt<br />
haben. Nach Informationen der WirtschaftsWoche<br />
hat das Objekt rund 7,3 Millionen<br />
Euro gekostet. Demnach bliebe ein<br />
Gewinn von 4,2 Millionen Euro. Die EGI<br />
äußert sich zu den Kosten nicht.<br />
n Das Jacobi-Palais im Münchner Stadtteil<br />
Bogenhausen ist in sechs Eigentumswohnungen<br />
unterteilt. Fünf davon sollen bislang<br />
verkauft worden sein. Insgesamt soll<br />
das Projekt, das laut einem Insider nur 4,5<br />
Millionen gekostet hat, stolze 8,1 Millionen<br />
Euro wert sein. Das scheint sportlich kalkuliert:<br />
Laut einer Immobilienanzeige kostet<br />
dort ein Quadratmeter im ersten Stock<br />
knapp 7249 Euro. Das macht bei einer verkaufbaren<br />
Fläche von insgesamt 776 Quadratmetern<br />
5,6 Millionen Euro. Selbst<br />
wenn das Penthouse zu einem höheren<br />
Preis verkauft wurde, dürften sich schwer<br />
mehr als sechs Millionen Euro mit dem<br />
Objekt erzielen lassen – macht 1,5 Millionen<br />
Euro Gewinn.<br />
Zusammen mit den 4,2 Millionen Gewinn<br />
aus Karlsfeld käme die Gruppe mit<br />
ihren direkten Immobilieninvestments<br />
bislang also auf einen Gesamtgewinn von<br />
5,7 Millionen Euro – ein Erfolg, wenngleich<br />
sie die Summe noch nicht komplett auf<br />
dem Konto hat. Verglichen mit den 6,2 Millionen<br />
Euro Gewinn, den die Objektgesellschaften<br />
allein für die Anleger des EGI 12<br />
erwirtschaftet haben sollen, erscheint ein<br />
Gesamtgewinn von 5,7 Millionen Euro für<br />
die gesamte Gruppe und damit alle EGI-<br />
Fonds aber mickrig.<br />
»<br />
GEMISCHTE BILANZ Die Euro Grundinvest hat in Karlsfeld (links) ihr erstes Objekt vollendet. In Gilching (rechts) stockt der Bau<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 93<br />
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Geld&Börse<br />
»<br />
Bei anderen Projekten läuft dagegen vieles<br />
nicht nach Plan:<br />
n So verkündet die EGI bereits im April<br />
2012, dass die Vorbereitungen für den Bau<br />
von Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften<br />
in Dachau „auf Hochtouren laufen“.<br />
Im März <strong>2014</strong> hieß es: „Das Immobilienprojekt<br />
in Dachau ist auf der Zielgeraden<br />
und soll im Sommer abgeschlossen werden.“<br />
Bislang steht dort erst ein Gebäude.<br />
n Das gleiche Bild in Röhrmoos: Im April<br />
2012 verkündet die EGI, dass dort im März<br />
die Bauarbeiten für 16 Doppelhaushälften<br />
beginnen. Gelogen hat EGI nicht. Schließlich<br />
sagte sie nicht, im März welchen Jahres.<br />
Und so lässt sich Anlegern das Projekt<br />
zwei Jahre später noch mal als „neues Immobilienvorhaben“<br />
unterjubeln, dessen<br />
Baustart nun „im Sommer geplant“ ist.<br />
Unter Umständen liegt es an der mangelnden<br />
Qualifikation von EGI-Geschäftsführer<br />
Erwin Beran, dass die Projekte nicht<br />
»Die EGI investiert<br />
in inflationsgeschützte<br />
Sachwerte«<br />
Werbebroschüre der Euro Grundinvest AG<br />
in Schwung kommen. Laut einem Insider<br />
war Beran vor seinem anspruchsvollen Job<br />
bei der EGI Hartwiegs Chauffeur. Die Frage,<br />
welche Ausbildung Beran qualifiziere,<br />
mit Anlegergeld finanzierte Millionenprojekte<br />
zu managen, beantwortet EGI nicht.<br />
Sie verweist lapidar auf dessen „langjährige<br />
Tätigkeit im Wirtschaftsbereich“.<br />
Hartwieg hat derweil eine neue Spielwiese<br />
gefunden. Beim Unternehmen Crypsilon<br />
stand er bis vor Kurzem im Impressum.<br />
Hier sollen Anleger Rechenleistung<br />
für „High Performance Computer“ buchen.<br />
Mit denen sollen Einheiten der virtuellen<br />
Währung Bitcoin generiert werden.<br />
Laut Homepage des Unternehmens hat<br />
sich eine solche Investition „bereits nach<br />
wenigen Monaten“ amortisiert. Und mit<br />
seiner Beteiligung Krüger Sachwert GmbH<br />
hat Hartwieg auch bereits eine neue Vertriebsplattform<br />
für Finanzprodukte.<br />
Bleibt abzuwarten, was er sich als Nächstes<br />
einfallen lässt, wenn auch dieses Business<br />
nicht funktionieren sollte.<br />
n<br />
melanie.bergermann@wiwo.de<br />
DIMA 24<br />
Maltes Imperium<br />
Auf drei Kontinenten wurde mit dem<br />
Geld der Hartwieg-Anleger jongliert.<br />
Bei „Nitro“ denken nicht nur Chemiker an<br />
Sprengstoff – es ist eine geläufige Kurzform<br />
für Nitroglyzerin. An was Malte Hartwieg<br />
dachte, als er eine seiner zentralen<br />
Firmen „Nitro Invest“ nannte, ist nicht<br />
überliefert. Fakt ist aber, dass der gelernte<br />
Maurer und spätere Finanzvertriebler<br />
rund um die Nitro Invest GmbH ein hochexplosives<br />
Anlagekonstrukt gebastelt hat.<br />
Vier Emissionshäuser haben 21 geschlossene<br />
Fonds und Genussrechte aufgelegt,<br />
Tausende Anleger bis zu 320 Millionen<br />
Euro in das Konglomerat gesteckt – meist<br />
vermittelt über dima24.de, ein Online-<br />
Portal, das ebenfalls Hartwieg hochgezogen<br />
hat (WirtschaftsWoche 04/<strong>2014</strong>).<br />
Nun droht alles in die Luft zu fliegen.<br />
n Selfmade Capital: Hartwiegs erstes eigenes<br />
Emissionshaus hat neun geschlossene<br />
Fonds aufgelegt. Sechs Emirates-<br />
Fonds von Selfmade sollten laut<br />
Prospekten in Immobilien oder Infrastrukturprojekte<br />
im arabischen Raum investieren,<br />
der India-Fonds in Infrastruktur in Indien,<br />
der Caribbean-Fonds in ein<br />
Luxus-Ferienresort in der Karibik und der<br />
Brazil-Fonds in brasilianische Wohnimmobilien.<br />
Die Beteiligungen<br />
sind fragwürdig gestrickt:<br />
Die deutschen Fondsgesellschaften<br />
zeichnen Genussrechte<br />
von Firmen in den<br />
Zielländern, konkrete Vorgaben<br />
für die Verwendung<br />
der Mittel gibt es nicht. Was<br />
in den Emiraten, der Karibik<br />
und anderswo mit dem Geld<br />
passierte, ist unklar. Auszahlungen<br />
bekommen Anleger<br />
jedenfalls nicht mehr.<br />
Der von Hartwieg beauftragte<br />
Anwalt Werner Klumpe<br />
teilte Anlegern im April mit,<br />
dass er daran arbeite, den<br />
Verbleib des Geldes zu klären.<br />
Schuld an der Misere sei Geschäftspartner<br />
Christian K., der vor Ort verantwortlich<br />
gewesen sei.<br />
n Euro Grundinvest: Nach der Selfmade-<br />
Welle nahm Hartwieg Immobilien ins Programm.<br />
Über seine Holding Nitro Invest<br />
GELDFAHNDER<br />
Anwalt Klumpe<br />
sucht für Hartwieg<br />
verschwundene<br />
Anleger-Millionen<br />
gründete er das Emissionshaus Euro<br />
Grundinvest. Dieses legte fünf geschlossene<br />
Fonds und zuletzt Genussrechte auf.<br />
n New Capital Invest (NCI): Von den fünf<br />
Fonds der Nitro-Tochter investierten drei<br />
in Öl- und Gasquellen in den USA, dazu<br />
gibt es einen Fonds für die Goldsuche in<br />
Kanada und einen Silberfonds. Die Lage<br />
ist bei der Mehrzahl der NCI-Fonds so<br />
trostlos wie bei Selfmade: Anleger bekommen<br />
keine Auszahlungen mehr, die<br />
Anwaltskanzlei versucht zu klären, was<br />
mit dem Geld passiert ist. Auch hier soll<br />
laut Anwalt Klumpe Hartwiegs Geschäftspartner<br />
Christian K. der Schuldige sein.<br />
n Panthera: Dieses Emissionshaus der<br />
Nitro-Holding brachte bislang erst einen<br />
geschlossenen Fonds auf den Markt. Er<br />
investiert laut Eigenwerbung über eine luxemburgische<br />
Gesellschaft in Derivate.<br />
Anleger können nach drei Jahren kündigen,<br />
empfohlen wird allerdings eine Haltedauer<br />
von fünf Jahren mit einer möglichen<br />
Rendite von 173 Prozent. Wer 30<br />
Jahre dabei bleibt, soll sagenhafte 2691<br />
Prozent erhalten. Wo die herkommen sollen,<br />
ist ein Rätsel– zumal nach Abzug der<br />
Nebenkosten nur gut drei Viertel des Anlegergeldes<br />
investiert werden.<br />
STAATSANWÄLTE PRÜFEN<br />
Während die Nitro Invest GmbH nach wie<br />
vor Hartwieg gehört, hat der 41-Jährige<br />
die Anteile an der Verkaufsplattform dima24.de<br />
Anfang des Jahres<br />
an seine Mitarbeiter Renate<br />
Wallauer und Frank Schuhmann<br />
abgegeben. Die Lage<br />
bei Nitro Invest, dima24.de,<br />
Selfmade Capital und NCI sowie<br />
den meisten ihrer Fonds<br />
ist kritisch: Hartwiegs Anwalt<br />
Klumpe warnt in einem<br />
Schreiben <strong>vom</strong> April dieses<br />
Jahres vor zahlreichen Insolvenzen,<br />
wenn Anleger Schadensersatzansprüche<br />
erfolgreich<br />
geltend machen. Die<br />
Staatsanwaltschaft München<br />
bestätigt, dass ihr mehrere<br />
Strafanzeigen gegen Hartwieg<br />
und K. vorliegen. Seit<br />
Anfang des Jahres prüft die Behörde, ob<br />
sie ein Ermittlungsverfahren einleitet.<br />
Hartwieg äußerte sich auf Nachfrage<br />
nicht zu den Anzeigen, K. war für eine<br />
Stellungnahme nicht zu erreichen.<br />
florian.zerfass@wiwo.de | Frankfurt<br />
FOTO: BRAUERPHOTOS/S.BRAUER<br />
94 Nr. 24 7.6.14 WirtschaftsWoche<br />
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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />
VERSANDHANDEL<br />
Zurück auf eigene Kosten<br />
Vom 13. Juni an gelten neue gesetzliche Regeln für den Online-Handel.<br />
Wer bei Amazon, Zalando oder einem anderen<br />
Online-Händler bestellt, muss sich ab Mitte Juni<br />
auf neue Regeln einstellen. Bisher gab es ein automatisches<br />
Rückgaberecht. Künftig muss der<br />
Kunde innerhalb von 14 Tagen die Bestellung widerrufen.<br />
Ein Musterformular für den Widerruf<br />
muss der Händler mitsenden, spätestens dann,<br />
wenn die Ware ausgeliefert wird. Für die Kosten<br />
der Rücksendung muss der Kunde aufkommen.<br />
In der Praxis werden Online-Käufer jedoch meist<br />
nicht zur Kasse gebeten. So glaubt Christoph<br />
Wenk-Fischer, Chef des Bundesverbands E-Commerce,<br />
dass die meisten Online-Händler weiterhin<br />
kostenfreie Rücksendungen anbieten werden<br />
(WirtschaftsWoche 21/<strong>2014</strong>). „Einige Anbieter<br />
könnten jedoch versuchen, Rücksendegebühren<br />
RECHT EINFACH | Allergie<br />
Pollen, Chemikalien, Bekleidung:<br />
Allergien nehmen zu. Einige<br />
Allergiker ziehen vor Gericht.<br />
§<br />
Birkenpollen. In den Siebzigerjahren<br />
pflanzte eine<br />
Gemeinde entlang einer<br />
Straße Birken. Jahrzehnte<br />
später verlangte ein Anwohner,<br />
die Bäume zu fällen. Grund: Wegen<br />
einer Allergie gegen Birkenpollen<br />
sei er häufig krank. Seine<br />
Klage scheiterte. Bei Umwelteinflüssen<br />
sei ein „durchschnittlich<br />
empfindlicher Mensch“ maßge-<br />
bend, so die Richter. Das Grundstück<br />
sei trotz Pollenflug nutzbar,<br />
ein Kahlschlag daher unangemessen<br />
(Verwaltungsgericht Neustadt,<br />
4 K 923/12 NK).<br />
Heiße Tücher. Eine Flugpassagierin<br />
vertrug keine dampfenden Erfrischungstücher.<br />
Bei einem Langstreckenflug<br />
von Indien nach<br />
Frankfurt machte die Dame ein<br />
Crewmitglied beim Einsteigen auf<br />
ihre Unverträglichkeit aufmerksam.<br />
Als die dampfenden Tücher dennoch<br />
verteilt wurden, bekam die<br />
im Kleingedruckten, zu verstecken“, sagt Albrecht<br />
von Breitenbuch, Partner der Kanzlei Orrick,<br />
Herrington & Sutcliffe in Berlin. Von der Rücksendung<br />
ausgeschlossen sind Waren, die aus<br />
hygienischen Gründen versiegelt sind und deren<br />
Verpackung geöffnet wurde. „Das gilt auch für<br />
elektronische Datenträger, bei denen die Versiegelung<br />
geöffnet wurde und bei denen unklar ist,<br />
ob sie benutzt wurden“, sagt Anwalt von Breitenbuch.<br />
Online-Händler müssen ihren Kunden<br />
mindestens eine kostenfreie, zumutbare Bezahlmöglichkeit<br />
anbieten. Zuschläge, beispielsweise<br />
für den Kauf mit Kreditkarte ohne vergleichbare<br />
Alternativen, sind nicht zulässig. Ebenso ist es<br />
unzulässig, im Online-Bestellformular kostenpflichtige<br />
Zusatzleistungen bereits anzukreuzen.<br />
Passagierin einen Anfall. Ein Gericht<br />
sprach ihr hierfür 1500 Euro<br />
Schmerzensgeld zu. Nach dem<br />
entsprechenden Hinweis hätten<br />
die Flugbegleiter die Allergikerin<br />
vor einem Kontakt mit den<br />
Tüchern schützen müssen (Oberlandesgericht<br />
Frankfurt , 16 U<br />
170/13).<br />
ARBEITSZIMMER<br />
Bei Telearbeit<br />
selbst zahlen<br />
Wer als Arbeitnehmer zu Hause<br />
arbeitet, kann die Aufwendungen<br />
für sein häusliches Arbeitszimmer<br />
absetzen. Nicht jeder<br />
Arbeitsplatz in eigenem Haus<br />
entspricht jedoch den steuerrechtlichen<br />
Vorgaben. Mitunter<br />
lassen sich die Kosten dafür<br />
nicht absetzen. So wollte ein<br />
Arbeitnehmer den Telearbeitsplatz<br />
in seinem Haus geltend<br />
machen. Er hatte mit seinem<br />
Arbeitgeber eine Vereinbarung<br />
geschlossen, dass er zwei von<br />
fünf Arbeitstagen in der Woche<br />
von zu Hause arbeitet. Das<br />
Finanzamt lehnte es ab, die<br />
Kosten für den Telearbeitsplatz<br />
steuerlich anzurechnen.<br />
Schließlich, so das Finanzamt,<br />
hätte er jederzeit seinen Arbeitsplatz<br />
im Unternehmen<br />
nutzen können. Die <strong>Ausgabe</strong>n<br />
für das häusliche Arbeitszimmer<br />
seien demnach gar nicht<br />
notwendig gewesen. Gegen den<br />
Bescheid klagte der Telearbeiter.<br />
Der Bundesfinanzhof stellte<br />
sich allerdings auf die Seite des<br />
Finanzamts (VI R 40/12). Steuerrechtlich<br />
sei sein Telearbeitsplatz<br />
kein häusliches Arbeitszimmer,<br />
weil der Arbeitgeber<br />
einen anderen Arbeitsplatz zur<br />
Verfügung gestellt habe. Der<br />
Telearbeiter muss die Kosten<br />
fürs Arbeitszimmer aus eigener<br />
Tasche bezahlen.<br />
Schutzanzug. Ein Mediziner arbeitete<br />
als Zeitsoldat bei der Bundeswehr.<br />
Bei einem Probealarm wurde<br />
bei ihm eine Allergie gegen die<br />
ABC-Schutzausrüstung festgestellt.<br />
Der Arzt klagte daraufhin,<br />
aus dem Soldatenverhältnis entlassen<br />
zu werden. Vergebens. Laut<br />
Dienstvorschriften könnten Stabsärzte<br />
auch Verwaltungsaufgaben<br />
übernehmen, so die Richter. Es sei<br />
daher möglich, sie <strong>vom</strong> Tragen der<br />
Schutzausrüstung zu befreien<br />
(Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz,<br />
10 A 10926/13.OVG).<br />
FOTOS: AGENTUR FOCUS/OSTKREUZ/JULIAN RÖDER, DDP/SASCHA SCHUERMANN, PR<br />
96 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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BAUMÄNGEL<br />
Wer pfuscht, muss entschädigen<br />
Die Eigentümer eines Grundstücks<br />
schlossen 1999 mit einem<br />
Bauunternehmen einen<br />
Bauvertrag für ein Holzblockhaus<br />
für umgerechnet 201 960<br />
Euro. Das Haus bestand aus einer<br />
Hauptwohnung und einer<br />
Einliegerwohnung in der unteren<br />
Etage, die vermietet werden<br />
sollte. Im Februar 2000 waren<br />
nach Abzug bereits geleisteter<br />
Abschlagszahlungen noch<br />
18 463 Euro offen. Nach Besichtigung<br />
des Hauses lehnten die<br />
Bauherren die Abnahme wegen<br />
Mängeln ab. So fehlten unter<br />
anderem in der Einliegerwohnung<br />
die Fenster. Weil sich das<br />
Bauunternehmen weigerte, die<br />
Mängel zu beseitigen, bevor die<br />
18 463 Euro bezahlt wurden, beauftragten<br />
die Bauherren ein<br />
anderes Unternehmen, die Einliegerwohnung<br />
bewohnbar zu<br />
machen. Der Rest des Hauses<br />
war wegen Mängeln unbewohnbar.<br />
Die Eigentümer zogen<br />
in die untere Etage. Die<br />
Bauherren verklagten darauf<br />
das Bauunternehmen auf Ersatz<br />
der ausgefallenen Mieteinnahmen<br />
für die Einliegerwohnung<br />
sowie eine Entschädigung<br />
dafür, dass sie die Hauptwohnung<br />
des Hauses nicht nutzen<br />
konnten. Der Bundesgerichtshof<br />
bestätigte den Anspruch der<br />
Bauherren auf Entschädigung<br />
MIETRECHT<br />
Hausrecht geht vor Kontrolle<br />
Die Vermieterin eines Hauses<br />
wollte in der Wohnung eines<br />
Mieters die installierten Rauchmelder<br />
kontrollieren. Als sie<br />
versuchte, Räume zu betreten,<br />
in der keine Rauchmelder waren,<br />
forderte der Mieter sie auf,<br />
die Wohnung zu verlassen. Als<br />
sie sich weigerte zu gehen, trug<br />
sie der Mieter aus dem Haus.<br />
Daraufhin kündigte die Vermieterin<br />
den Mietvertrag fristlos,<br />
hilfsweise innerhalb der gesetzlichen<br />
Frist. Gegen die Kündigung<br />
klagte der Mieter. Der<br />
SCHNELLGERICHT<br />
STADT DARF TAUBEN-FÜTTERN VERBIETEN<br />
§<br />
Die Stadt Stuttgart darf einer Einwohnerin verbieten,<br />
Tauben zu füttern. Es sei legitim, so die Zahl<br />
der Vögel im Stadtgebiet zu begrenzen und Gefahren<br />
durch die Übertragung von Krankheiten abzuwehren<br />
(Verwaltungsgericht Stuttgart, 5 K 433/12).<br />
SCHNARCHEN IST ZUMUTBAR<br />
§<br />
Wer als Kassenpatient während eines Krankenhausaufenthalts<br />
in einem Mehrbettzimmer untergebracht<br />
ist, muss Ruhestörungen durch Besuche<br />
von Angehörigen oder das Schnarchen anderer Patienten<br />
hinnehmen. Er hat keinen Anspruch darauf,<br />
dass die Krankenkasse die Kosten für ein Einzelzimmer<br />
trägt (Sozialgericht Detmold, S 5 KR 138/12).<br />
Bundesgerichtshof entschied,<br />
dass sowohl die fristlose als<br />
auch die ordentliche Kündigung<br />
unwirksam waren (VIII ZR<br />
289/13). Die Vermieterin habe<br />
das Hausrecht ihres Mieters<br />
verletzt und trage daher eine<br />
Mitschuld am rabiaten Rausschmiss,<br />
so die Richter. Zwar<br />
habe der Mieter die Grenzen<br />
der zulässigen Notwehr überschritten,<br />
sein Verstoß sei aber<br />
nicht so gravierend gewesen,<br />
dass dies eine Kündigung gerechtfertigt<br />
hätte.<br />
(VII ZR 199/13). Schließlich sei<br />
die Einliegerwohnung mit 75<br />
Quadratmeter nur etwa halb so<br />
groß gewesen wie die unbewohnbare<br />
Hauptwohnung mit<br />
136 Quadratmetern, so die<br />
Richter. Ein Anspruch auf eine<br />
Entschädigung scheide nicht<br />
schon deshalb aus, weil ein anderes<br />
Gericht den Bauherren<br />
bereits Schadensersatz für den<br />
Mietausfall zuerkannt hatte.<br />
Der Schadensersatz für die entgangenen<br />
Mieten und die Entschädigung<br />
für den Nutzungsausfall<br />
müssten aber verrechnet<br />
werden. Wegen formaler Fehler<br />
muss das Oberlandesgericht<br />
Stuttgart erneut entscheiden.<br />
GERICHTSVERFAHREN<br />
Geld für lange<br />
Wartezeit<br />
Dauert ein entscheidungsreifes<br />
Gerichtsverfahren bei einem Finanzgericht<br />
unverhältnismäßig<br />
lange, kann der Kläger dies rügen<br />
und Schadensersatz von<br />
1200 Euro pro Jahr verlangen. In<br />
dem <strong>vom</strong> Bundesfinanzhof entschiedenen<br />
Fall dauerte das<br />
Verfahren 34 Monate (X K<br />
8/13). Der BFH hielt 24 Monate<br />
für angemessen, für die übrigen<br />
neun Monate erhielt der Kläger<br />
900 Euro Schadensersatz.<br />
WIDERRUF MUSS SPEICHERBAR SEIN<br />
§<br />
Widerrufsbelehrungen, die Unternehmen ihren<br />
Kunden im Internet anbieten, sind unwirksam,<br />
wenn sie sich nur aufrufen, aber nicht speichern oder<br />
ausdrucken lassen (Bundesgerichtshof, III ZR<br />
368/13). Kunden, die ihren Vertrag widerrufen, müssen<br />
daher die Widerrufsfrist von zwei Wochen nach<br />
Vertragsschluss nicht einhalten. Eine Frau hatte sich<br />
am 9. August 2010 für einen Lehrgang für Naturheilverfahren<br />
angemeldet. Der Kurs sollte <strong>vom</strong> 9. April<br />
2011 bis 20. Mai 2012 stattfinden. Am 19. Dezember<br />
2010 sagte die Frau den Kurs ab. Sie zahlte freiwillig<br />
zehn Prozent der Lehrgangsgebühren. Der Anbieter<br />
verlangte die volle Summe. Zu Unrecht, wie der BGH<br />
befand, denn die Widerrufsbelehrung sei unwirksam.<br />
WM-SONDERREGELN<br />
TOBIAS MAHLSTEDT<br />
ist Fachanwalt<br />
für<br />
Mietrecht in<br />
der Kanzlei<br />
Börgers in<br />
Berlin.<br />
n Herr Mahlstedt, für diese<br />
Weltmeisterschaft gibt es<br />
erstmals Sonderregeln,<br />
nach denen der Lärmschutz<br />
gelockert wird. Was ist neu?<br />
Durch die Zeitverschiebung<br />
werden viele Spiele erst nach<br />
22 Uhr angepfiffen. Die Bundesländer<br />
können es Kommunen<br />
daher erlauben, dass Fanmeilen<br />
und Wirte Spiele auch<br />
nach 22 Uhr zeigen dürfen –<br />
ausnahmsweise sogar nach<br />
Mitternacht. Die Sonderregel<br />
gilt für Fußballübertragungen<br />
auf öffentlichen Plätzen oder<br />
in Kneipen. Das heißt: Mietern,<br />
die sich <strong>vom</strong> Lärm im<br />
Biergarten belästigt fühlen,<br />
wird die Polizei bis Mitternacht<br />
nicht weiterhelfen.<br />
n Bei Lärmbelästigung darf<br />
ein Mieter seine Miete<br />
mindern. Fällt das dann weg?<br />
Wenn der Vermieter nicht für<br />
Ruhe sorgen kann, bleibt der<br />
Anspruch auf eine Mietminderung<br />
gegenüber dem Vermieter<br />
bestehen. Der Mieter muss<br />
aber zum Beispiel anhand eines<br />
Lärmprotokolls nachweisen,<br />
dass seine Ruhe nach 22<br />
Uhr mehrfach mit mindestens<br />
40 Dezibel gestört worden ist.<br />
Und da die Weltmeisterschaft<br />
rund einen Monat dauert,<br />
könnte die Lärmbelastung von<br />
einem Gericht durchaus als<br />
wesentlich eingestuft werden.<br />
n Was gilt bei privaten<br />
Feiern?<br />
Für private WM-Partys auf<br />
Balkonen, der Terrasse oder<br />
im Garten gilt nach wie vor:<br />
Um 22 Uhr ist Nachtruhe.<br />
Anschließend darf in der<br />
Wohnung zwar weitergefeiert<br />
werden, aber bei deutlich<br />
reduzierter Lautstärke.<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, annina reimann | Frankfurt<br />
97<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
KOMMENTAR | Das Spiel mit den<br />
Hochzinsanleihen läuft immer<br />
wieder nach dem gleichen miesen<br />
Skript. Von Annina Reimann<br />
Schmierenkomödie<br />
Gewiefte Anwälte und<br />
pfiffige Banker spielen<br />
am Anleihemarkt<br />
nach immer gleichem<br />
Muster Theater. Erster Akt: Ein<br />
klammes Unternehmen<br />
braucht Geld, die Bank will<br />
nichts mehr geben. Es legt eine<br />
Hochzinsanleihe auf, einen<br />
Junkbond – übersetzt: Schrott.<br />
Damit Anleger anbeißen, werden<br />
sie mit rund acht Prozent<br />
Zins geködert. Verbindliche Finanzkennzahlen<br />
(Covenants)<br />
suggerieren Sicherheit. Sinkt<br />
etwa die Eigenkapitalquote unter<br />
eine Schwelle, dürfen Anleger<br />
ihr Geld zurückfordern. In<br />
der Praxis aber läuft das anders:<br />
Reißt ein Unternehmen<br />
Covenants, setzt es Anlegern<br />
die Pistole auf die Brust. Falls<br />
sie nicht zustimmten, dass Regeln<br />
geändert würden, komme<br />
die Pleite. Der als Retter gefeierte<br />
Investor des Fahrradbauers<br />
Mifa etwa verlangt Verzicht.<br />
Nichts fürchten Unternehmer<br />
mehr, als dass nicht genug Geld<br />
zusammenkommt. Immer wieder<br />
höre ich, dass Eigentümer<br />
privat Millionen in Bonds stecken,<br />
aber schnell verkaufen,<br />
nachdem man Anlegern die Jubelnachricht<br />
überbracht hat,<br />
dass das Ding spielend platziert<br />
wurde. Für Sparer sieht das so<br />
aus, als ob die Anleihe ein voller<br />
Erfolg wäre. Hilft alles nichts,<br />
sollen auch heimlich Provisionen<br />
von Unternehmen an die<br />
Schrottverkäufer fließen.<br />
Der zweite Akt, die Aufstockung<br />
der Anleihe, läuft meist<br />
hinter den Kulissen. Anleger bekommen<br />
nur die Meldung, dass<br />
das Unternehmen bei einer Privatplatzierung<br />
frische Millionen<br />
aufgenommen hat. Folge: Schulden<br />
und Zinslast steigen, jeder<br />
zuvor investierte Euro wird<br />
wackliger. Der Tütensuppenhersteller<br />
Zamek war ein Jahr nach<br />
der Aufstockung pleite.<br />
Alarmstufe Rot herrscht,<br />
wenn das Unternehmen in ein<br />
niedrigeres Segment der Börse<br />
wechselt – in Frankfurt etwa<br />
<strong>vom</strong> Entry Standard ins Quotation<br />
Board. Es muss weniger Zahlen<br />
melden. Dem Abstieg folgt<br />
oft die Pleite – wie bei Windreich<br />
und Payom Solar. Die Anleihe<br />
des Spiele-Vermarkters Gamigo<br />
wechselt zum 20. Juni aus<br />
Kostengründen ins Quotation<br />
Board. Ein Witz, der Entry Standard<br />
kostet im Jahr 5000 Euro,<br />
und Kosten für Finanzberichte<br />
will Gamigo nicht sparen, die soll<br />
es weiter geben.<br />
TRAURIGES FINALE<br />
Ist die Pleite klar, betreten neue<br />
Darsteller die Bühne: Insolvenzverwalter,<br />
die es verstehen, die<br />
Leiche zu fleddern. Sie entlohnen<br />
sich fürstlich, für die Anleger<br />
bleibt fast nichts. Oft steht<br />
im Skript der Spezialisten ein<br />
Debt-to-Equity-Swap: Schulden<br />
werden in Aktien getauscht, Anleger<br />
enteignet – Solarworld<br />
lässt grüßen.<br />
Brummt das Geschäft wider<br />
Erwarten, wird die Anleihe vorzeitig<br />
gekündigt. Stand ja so im<br />
Prospekt. Chemiker Nabaltec<br />
etwa zog Anlegern ihre Papiere<br />
unterm Hintern weg. Ähnliches<br />
droht bei Dürr: Der Maschinenbauer<br />
darf eine Anleihe im September<br />
kündigen. Anleger bekämen<br />
100 Prozent – auch, wenn<br />
sie zu 105 gekauft haben.<br />
Der Vorhang fiel in den letzten<br />
Monaten oft – doch Ausfälle wie<br />
Mifa, Rena, S.A.G. Solarstrom,<br />
3W Power werden keine Ausnahme<br />
bleiben. Die Zugabe<br />
kommt: Ab 2015 laufen Junkbonds<br />
über Milliarden aus.<br />
Casino Royale<br />
466 Milliarden Dollar<br />
Wertpapierkredite<br />
TREND DER WOCHE<br />
Zwangsverkäufe drohen<br />
An der Wall Street wurden massenhaft Aktien auf<br />
Pump gekauft – ein Warnsignal.<br />
Das Ende der vergangenen zwei<br />
Haussen an Wall Street kündigte<br />
sich in einer raschen Ausweitung<br />
der Spekulationsneigung<br />
der Anleger an. Abzulesen war<br />
das an der Entwicklung der für<br />
den Kauf von Aktien beliehenen<br />
Wertpapierdepots. An der New<br />
York Stock Exchange (Nyse) erreichten<br />
die Wertpapierkredite<br />
im Februar ein neues Rekordvolumen<br />
von 466 Milliarden<br />
Dollar. Der steile Anstieg startete<br />
im August 2012. Angefacht<br />
wurde die Spekulationsmanie<br />
damals vor allem durch den<br />
Freifahrtschein, den der damalige<br />
US-Notenbankpräsident<br />
Ben Bernanke mit der Ankündigung<br />
einer dritten Runde von<br />
Anleihekäufen ausstellte. Bis<br />
zum Hoch im Februar weiteten<br />
Anleger ihre auf Pump finanzierten<br />
Wertpapierkäufe um<br />
fast 190 Milliarden Dollar aus.<br />
Unter Berücksichtigung der von<br />
Aktienfonds gehaltenen Cashreserven<br />
fiel die Nettoliquidität<br />
auf ein Rekordminus von 209<br />
Milliarden Dollar. Fallen die<br />
Kurse der auf Pump gekauften<br />
Aktien, sinken Beleihungsgrenzen<br />
der Depots. Werden diese<br />
unterschritten, gehen Aktien<br />
automatisch in den Verkauf.<br />
Das drückt die Kurse zusätzlich.<br />
Ansatzweise war das bisher erst<br />
zu spüren bei Trendaktien aus<br />
Internet und Social Media. Seit<br />
Februar schrumpfte das Wertpapierkreditvolumen<br />
an der<br />
Nyse um gut sechs Prozent.<br />
Nach dem Platzen der Blasen<br />
von 2000 und 20<strong>07</strong> hatte es sich<br />
jeweils mehr als halbiert, bevor<br />
es wieder nach oben ging.<br />
Trends der Woche<br />
Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />
Stand: 4.6.<strong>2014</strong> / 18.00 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />
Dax 30 9926,67 –0,1 +19,7<br />
MDax 16865,02 –0,3 +20,4<br />
Euro Stoxx 50 3237,93 –0,3 +17,5<br />
S&P 500 1926,49 +0,9 +18,1<br />
Euro in Dollar 1,3627 +0,1 +4,1<br />
Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,42 +0,<strong>06</strong> 2 –0,13 2<br />
US-Rendite (10 Jahre) 1 2,59 +0,11 2 +0,45 2<br />
Rohöl (Brent) 3 1<strong>07</strong>,82 –1,7 +5,8<br />
Gold 4 1245,25 –1,4 –11,0<br />
Kupfer 5 6835,00 –2,8 –6,8<br />
1<br />
in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />
umgerechnet 914,75 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />
FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BLOOMBERG NEWS/JIN LEE, LAIF/CHRISTIAN SCHMID<br />
98 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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DAX-AKTIEN<br />
Strafkurse für Banken<br />
Drohende Prozesse dürften den <strong>Ausgabe</strong>preis der<br />
neuen Deutsche-Bank-Aktien empfindlich drücken.<br />
HITLISTE<br />
Dass der französischen BNP<br />
Paribas wegen Verletzung der<br />
US-Sanktionspolitik eine Strafe<br />
von zehn Milliarden Dollar<br />
droht, kommt für die Deutsche<br />
Bank zur Unzeit. Eigentlich<br />
ist die Deutsche gerade<br />
dabei, über eine Kapitalerhöhung<br />
acht Milliarden Euro<br />
einzusammeln, um damit vor<br />
allem im Wertpapiergeschäft<br />
in die Offensive zu gehen.<br />
Nun dürfte sie allein mit Blick<br />
auf ihre etwa 1000 größere<br />
Rechtsstreitigkeiten und das<br />
drakonisch gestiegene Strafmaß<br />
einen wesentlichen Teil<br />
der Einnahmen für mögliche<br />
Straf- und Vergleichszahlungen<br />
reservieren. Bisher hat die<br />
Deutsche dafür nur zwei Milliarden<br />
Euro zurückgestellt.<br />
Der Kursabschlag, mit dem<br />
derzeit neue Aktien der Deutschen<br />
Bank angeboten werden,<br />
dürfte eher größer ausfallen.<br />
Wahrscheinlich werden es<br />
bis zu 30 Prozent gegenüber<br />
den Altaktien. Für die neuen<br />
Anteile ergäbe das Kurse<br />
zwischen 20 und 22 Euro. Mehr<br />
zahlen sollten Anleger nicht.<br />
Magere Zeiten Sparer<br />
werden Spekulanten<br />
DAX<br />
Keine Einbahnstraße<br />
Wer jetzt noch auf den Börsenzug aufspringen will,<br />
sollte defensive Werte wählen.<br />
Dax<br />
Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />
(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />
1 Woche 1 Jahr <strong>2014</strong> 2015 2015<br />
(Mio. €) rendite<br />
(%) 1<br />
Dax 9926,67 –0,1 +19,7<br />
Aktie<br />
Stand: 4.6.<strong>2014</strong> / 18.00 Uhr<br />
Adidas 77,95 –0,9 –6,7 4,17 5,<strong>06</strong> 15 16308 1,92<br />
Allianz 123,50 –1,0 +3,7 13,65 13,96 9 56310 4,29<br />
BASF NA 85,09 +0,3 +13,3 5,92 6,45 13 78153 3,17<br />
Bayer NA 105,55 +0,8 +28,7 6,10 6,93 15 87284 1,99<br />
Beiersdorf 73,95 +0,2 +7,7 2,56 2,84 26 18635 0,95<br />
BMW St 91,27 –0,1 +24,5 8,68 9,18 10 58697 2,85<br />
Commerzbank 11,44 –4,6 +46,3 0,63 1,<strong>06</strong> 11 13025 -<br />
Continental 173,45 –0,9 +72,8 12,64 14,37 12 34691 1,44<br />
Daimler 69,31 ±0 +42,6 6,<strong>06</strong> 6,83 10 74122 3,25<br />
Deutsche Bank 29,72 –1,8 –19,1 2,94 4,08 7 30291 2,52<br />
Deutsche Börse 55,44 ±0 +10,3 3,80 4,22 13 1<strong>07</strong>00 3,79<br />
Deutsche Post 27,12 ±0 +40,7 1,71 1,91 14 32782 2,95<br />
Deutsche Telekom 12,41 +1,5 +42,5 0,63 0,68 18 55239 4,03<br />
E.ON 14,31 +1,0 +11,3 0,94 1,01 14 28624 4,19<br />
Fresenius Med.C. St 48,34 –0,4 –7,2 3,64 4,01 12 14865 1,59<br />
Fresenius SE&Co 110,35 +0,5 +19,9 6,34 7,17 15 24904 1,13<br />
Heidelberg Cement St 64,05 +0,2 +8,8 4,01 5,04 13 12009 0,94<br />
Henkel Vz 85,25 +0,9 +13,8 4,30 4,68 18 34658 1,43<br />
Infineon 9,<strong>07</strong> –0,2 +37,7 0,41 0,53 17 9800 1,32<br />
K+S NA 25,13 –3,0 –19,9 1,43 1,52 17 4810 0,99<br />
Lanxess 51,70 –0,7 –10,4 2,25 3,59 14 4302 0,97<br />
Linde 155,40 +1,1 +6,9 8,08 9,<strong>07</strong> 17 28850 1,93<br />
Lufthansa 19,69 +1,6 +15,2 1,90 3,00 7 9056 -<br />
Merck 126,65 –0,1 +3,2 9,20 9,56 13 8184 1,50<br />
Münchener Rückv. 160,75 –1,2 +13,6 17,37 17,59 9 28829 4,51<br />
RWE St 29,52 +0,8 +12,5 2,22 2,27 13 17880 3,39<br />
SAP 55,61 –0,8 –4,8 3,42 3,73 15 68317 1,98<br />
Siemens 97,94 –0,1 +24,6 6,59 7,50 13 86285 3,<strong>06</strong><br />
ThyssenKrupp 21,62 –3,3 +40,8 0,54 1,21 18 11121 -<br />
Volkswagen Vz. 192,80 –1,0 +16,7 22,00 24,61 8 88754 2,11<br />
1<br />
berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />
Angenommen, ein Anleger<br />
hat eine Million Euro gespart<br />
und will von seinem Vermögen<br />
leben. Früher klappte das,<br />
ohne dass er große Risiken<br />
eingehen musste. Heute bekommt<br />
er, weil die Zinsen von<br />
den Notenbanken so weit<br />
nach unten manipuliert wurden,<br />
keine weitgehend risikolose<br />
Rendite mehr, von der er<br />
leben könnte. Deshalb muss<br />
er spekulieren und hohe Renditen<br />
suchen. Wollte die EZB<br />
die Kapitalbildung unterstützen,<br />
müsste sie die Zinsen eigentlich<br />
erhöhen. Doch mit<br />
ihrer Nullzinspolitik macht sie<br />
aus früheren Sparern Spekulanten.<br />
Dabei können natürlich<br />
Kapitalverluste auftreten.<br />
Der Mangel an Anlagealternativen<br />
ist das einzig wirklich<br />
ernst zu nehmende Argument,<br />
das für die Aktienanlage<br />
spricht. Nur nachdem die<br />
Börse schon einen langen<br />
Lauf hinter sich hat, stellt sich<br />
die Frage, ob der Sprung in<br />
Aktien sofort erfolgen muss<br />
oder – trotz unverzinstem<br />
Cash – nicht etwas Geduld<br />
ratsam erscheint. Immerhin<br />
dauerte es zwischen Ende<br />
1999 und Mai 2013 4884 Tage,<br />
bis der Dax nach einem Anstieg<br />
um 20 Prozent die nächsten<br />
20 Prozent eingefahren hatte.<br />
Zwischenzeitlich platzten<br />
zwei Anlageblasen. Klar, auch<br />
bei Aktien muss differenziert<br />
werden. Einen regelmäßigen<br />
und dauerhaften Cash-Flow in<br />
Form von Dividenden liefern<br />
solide finanzierte Unternehmen<br />
mit einer starken Wettbewerbsposition,<br />
etwa der<br />
Schweizer Nahrungsmittelmulti<br />
Nestlé (WirtschaftsWoche<br />
22/<strong>2014</strong>). Mit ihnen lassen sich<br />
auch längere Durststrecken an<br />
den Börsen überbrücken.<br />
Zwischen 88 und 4884 Tagen<br />
Wie viel Tage der Deutsche Aktienindex<br />
(Dax) seit Anfang 1994 jeweils<br />
für 20 Prozent Indexplus benötigte<br />
(Start bei 2268,0 Punkten)<br />
...am<br />
20 Prozent Indexplus erreicht...<br />
15.10.1996<br />
18.2.1997<br />
4.7.1997<br />
27.2.1998<br />
26.5.1998<br />
23.12.1999<br />
7.5.2013<br />
13.5.<strong>2014</strong><br />
?<br />
...nach<br />
Tagen<br />
1016<br />
126<br />
136<br />
238<br />
88<br />
576<br />
4884<br />
371<br />
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnung<br />
?<br />
...bei Indexstand<br />
2721,6<br />
3265,9<br />
3919,1<br />
4702,9<br />
5643,5<br />
6772,2<br />
8126,6<br />
9751,9<br />
11702,3<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 99<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
AKTIE RWE<br />
Energie ist relevanter<br />
als Investmentbanking<br />
Strahlendes Grün RWE-Atomkraftwerk<br />
Gundremmingen<br />
Weil die deutschen Energiekonzerne<br />
von der Politik dereinst<br />
in die Kernenergie reingetrieben<br />
worden seien,<br />
müsse die Politik jetzt auch<br />
Mitverantwortung tragen für<br />
deren Rückbau und die Beseitigung<br />
der Altlasten, fordert<br />
RWE-Vorstandschef Peter Terium.<br />
Zusammen mit seinem<br />
E.On-Kollegen Johannes<br />
Teyssen hatte Terium bereits<br />
im Februar erste Gedankenspiele,<br />
die Kernkraftwerke<br />
und die von der Branche für<br />
deren Rückbau gebildeten<br />
Rücklagen in Höhe von 37<br />
Milliarden Euro (zehn Milliarden<br />
Euro bei RWE) in eine<br />
staatliche Stiftung zu überführen,<br />
bei Regierungsvertretern<br />
in Berlin vorgetragen. Dort<br />
heißt es zwar, die uneingeschränkte<br />
Verantwortung und<br />
die Kosten für den sicheren<br />
Auslaufbetrieb der Kraftwerke<br />
bis 2022, deren Stilllegung<br />
und Rückbau sowie für die<br />
Zwischenlagerung des Atommülls<br />
liege bei den Energieversorgern.<br />
Diese hätten zudem<br />
keinen fertigen Plan<br />
vorgelegt und stünden auch<br />
in keinem konkreten Dialog<br />
mit der Bundesregierung.<br />
Trotzdem: Der Coup von<br />
RWE und Co. ist geglückt, die<br />
Kuh ist jetzt auf dem Eis. Und<br />
mit Blick auf die positive Reaktion<br />
der Börse auf den Vorstoß<br />
der beiden größten deutschen<br />
Versorger wird sie da<br />
auch nicht mehr so rasch runter<br />
kommen. Die Hoffnung, dass es<br />
zu einer Einigung mit der Bundesregierung<br />
kommt, bei der<br />
das Restrisiko aus dem Atomausstieg<br />
auf den Steuerzahler<br />
übertragen wird, regt die Fantasie<br />
der Börsianer an. Stutzig<br />
macht vor allem, dass Informationen<br />
über das Ansinnen der<br />
Energiekonzerne erst Monate<br />
nach den Besuchen von Terium<br />
und Teyssen in Berlin durchsickerten.<br />
Unter Experten aller<br />
Couleur ist längst klar, dass die<br />
gesetzlich geforderten und von<br />
den Versorgern auch gebildeten<br />
Rücklagen nicht ausreichen<br />
werden, den Atomausstieg voll<br />
zu finanzieren. Summen jenseits<br />
von 65 Milliarden Euro<br />
machen die Runde.<br />
Paradox:Je höher die Schätzungen<br />
über die tatsächlichen<br />
Ausstiegskosten, desto mehr<br />
Hoffnungen dürfen sich RWE<br />
und Co. auf ein Entgegenkommen<br />
der Bundesregierung machen.<br />
Die Drohung mit dem eigenen<br />
Untergang funktioniert<br />
eben nicht nur bei Banken. Und<br />
in Sachen Systemrelevanz für<br />
eine Volkswirtschaft stehen Versorger<br />
gewiss vor den Banken.<br />
RWE<br />
ISIN: DE00<strong>07</strong>037129<br />
110<br />
90<br />
70<br />
50<br />
30<br />
50-Tage-Linie<br />
200-Tage-Linie<br />
20<br />
2004 <strong>2014</strong><br />
Kurs/Stoppkurs (inEuro): 29,18/24,60<br />
KGV2013/<strong>2014</strong>: Verlust/12,2<br />
Dividendenrendite (inProzent): 3,4<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
Das kesselt<br />
Sudhaus mit Krones-<br />
Getränketechnik<br />
AKTIE Krones<br />
Trotz Insider-Verkauf<br />
attraktiv<br />
Für knapp eine halbe Million<br />
Euro verkauft Krombacher-<br />
Miteigentümerin Petra Schadeberg-Herrmann<br />
Aktien von<br />
Krones. Brechen nach den<br />
Verkäufen der Krones-Aufsichtsrätin<br />
schwere Zeiten für<br />
die Aktie des Abfüllanlagen-<br />
Spezialisten an? Keineswegs,<br />
denn nach den etwas schwächeren<br />
Bestellungen Ende<br />
2013 hat sich das Geschäft zuletzt<br />
wieder belebt. Gut läuft<br />
der Verkauf in den Schwellenländern,<br />
deren Umsatzanteil<br />
im ersten Quartal von 55 auf<br />
59 Prozent zulegte. Krones<br />
profitiert hier <strong>vom</strong> steigenden<br />
Nahrungsmittelbedarf und<br />
der damit verbundenen höheren<br />
Nachfrage nach Abfüllund<br />
Verpackungsmaschinen.<br />
Stabil ist auch der Heimatmarkt,<br />
in dem Krones 13 Prozent<br />
des Geschäfts macht.<br />
Im ersten Quartal verbesserte<br />
sich der Umsatz um drei<br />
Prozent auf 703 Millionen Euro,<br />
der Nettogewinn legte um<br />
elf Prozent auf 30 Millionen<br />
Euro zu. Die Bestellungen<br />
stiegen um acht Prozent auf<br />
740 Millionen Euro. Im Gesamtjahr<br />
sollten damit 2,9<br />
Milliarden Euro Umsatz (plus<br />
vier Prozent) drin sein. Die<br />
Gewinnmargen ziehen leicht<br />
an, niedrige Metallpreise entlasten<br />
zudem. Damit kann der<br />
Nettogewinn in diesem Jahr<br />
von 119 Millionen Euro auf<br />
rund 130 Millionen steigen.<br />
Binnen vier Jahren hätte Krones<br />
damit den Umsatz um 30 Prozent<br />
und den Gewinn um 60<br />
Prozent erhöht. Krones verfügt<br />
aktuell über 200 Millionen Euro<br />
Barmittel, in den Büchern stehen<br />
1,3 Milliarden Euro Eigenkapital<br />
oder 57 Prozent der Bilanzsumme.<br />
Das verschafft<br />
Raum für Zukäufe und solide<br />
Dividendenzahlungen. Die Aktie<br />
bleibt ein Favorit unter deutschen<br />
Nebenwerten.<br />
Krones<br />
ISIN:DE00<strong>06</strong>335003<br />
75<br />
65<br />
55<br />
45<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
2008 2011 14<br />
Kurs/Stoppkurs (inEuro): 70,90/60,25<br />
KGV2013/<strong>2014</strong>: 18,6/16,7<br />
Dividendenrendite (inProzent): 2,8<br />
Chance<br />
Risiko<br />
Niedrig<br />
Hoch<br />
Quelle: Thomson Reuters<br />
200-Tage-Linie<br />
FOTOS: PR (2), REUTERS/PICHI CHUANG, GLOW IMAGES<br />
100 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Frank Doll, Anton Riedl<br />
Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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ZERTIFIKATE US-Technologieaktien<br />
Der große Trend ist<br />
noch nicht vorüber<br />
Power-Pakete In zehn Jahren<br />
170 Prozent Wachstum<br />
Tickets für Techno-Fans<br />
Zertifikate auf amerikanische Technologieaktien<br />
(Nasdaq-100-Index, aktuell 3720 Punkte)<br />
Kurs (Euro)<br />
Stoppkurs (Euro)<br />
Funktion<br />
Kauf-Verkaufs-<br />
Spanne (Prozent)<br />
Emittentin<br />
(Ausfallprämie)<br />
ISIN<br />
Chance/Risiko<br />
Indexzertifikat für Aufschwung<br />
27,35<br />
23,25<br />
Steigt und fällt wie der Aktienindex<br />
Nasdaq 100; Kurs eines Zertifikats<br />
entspricht einem Hundertstel<br />
des Index geteilt durch<br />
Euro-Dollar-Kurs (aktuell 1,36);<br />
keine Währungssicherung, keine<br />
feste Laufzeitgrenze; Dividenden<br />
im Index nicht enthalten<br />
0,00 (aktuell ohne Spread)<br />
Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />
Deutsche Bank (0,7 Prozent = geringe Ausfallgefahr)<br />
DE00<strong>07</strong>093395<br />
6/5<br />
Mit einer neuen Strategie bindet<br />
Microsoft im wachstumsstarken<br />
Geschäft mit Mietsoftware<br />
via Internet seine<br />
Konkurrenten ein: Wer etwa als<br />
Kunde des Cloud-Marktführers<br />
Salesforce auf bestimmte Programme<br />
zugreift, macht das<br />
über Betriebssoftware von Microsoft.<br />
Die Web-Konzerne<br />
Google und Facebook wollen<br />
mithilfe von Satelliten und<br />
Drohnen die Teile der Welt erschließen,<br />
in denen es bisher<br />
kein Internet gibt. Amazon<br />
stößt zwar bei seiner Expansion<br />
zunehmend auf Widerstand,<br />
etwa durch Streiks in<br />
Deutschland. Doch wenn der<br />
Online-Händler <strong>2014</strong> etwa 90<br />
Milliarden Dollar Umsatz erzielt,<br />
hätte er sein Geschäftsvolumen<br />
in nur fünf Jahren verdreifacht.<br />
Und Apple bringt zwar<br />
derzeit nur neue Betriebssysteme<br />
und keine Hardware auf den<br />
Markt, wird mit rund 40 Milliarden<br />
Dollar in diesem Jahr aber<br />
netto so viel verdienen, wie die<br />
gesamte Deutsche Bank an der<br />
Börse wert ist.<br />
US-Technologiekonzerne sind<br />
derzeit die stärksten und größten<br />
Wachstumsunternehmen weltweit.<br />
Um 170 Prozent haben die<br />
im Technologie-Index Nasdaq<br />
versammelten High Techs das<br />
Geschäftsvolumen in den vergangenen<br />
zehn Jahren erhöht.<br />
Der Gewinn stieg in der gleichen<br />
Zeit gar doppelt so stark. Die hohe<br />
Rendite ist ein Zeichen dafür,<br />
dass der Erfolgstrend der Technikaktien<br />
noch nicht vorbei sein<br />
dürfte.<br />
Gerade eingeführt im Nasdaq-<br />
Handel sind die Papiere des chinesische<br />
Online-Händlers JD.<br />
Nach sieben Tagen stehen sie 30<br />
Prozent im Gewinn. Und in den<br />
nächsten Wochen dürfte Alibaba<br />
an den Start gehen, der größte<br />
Internet-Einzelhändler der Welt.<br />
Discountzertifikatfür Seitwärtstrend<br />
24,70<br />
20,90<br />
Bietet Maximalgewinn von 10,1 Prozent,<br />
wenn Index zur Fälligkeit<br />
(23. Dezember 2015) bei 3700 Punkten<br />
steht; Indexrückschläge sind bis zu<br />
3360 Punkte abgesichert, darunter<br />
beginnt Verlustzone; keine Währungssicherung<br />
(Berechnung mit Euro-Kurs<br />
von 1,36 Dollar)<br />
0,04<br />
DE000DX7QFY7<br />
5/4<br />
ANLEIHE Hochtief/ACS<br />
Bauen auf<br />
Spanisch<br />
Hoch die Gläser Convention<br />
Center Anaheim, Kalifornien<br />
Am mehr als zehn Milliarden<br />
Dollar teuren Megabrückenbau<br />
zwischen Hongkong und<br />
Macao ist Hochtief mit umgerechnet<br />
780 Millionen Euro<br />
dabei. Nahe Doha, der Hauptstadt<br />
des Emirats Katar, hat<br />
der Essener Baukonzern einen<br />
Großauftrag für 56 Kilometer<br />
Autobahn bekommen.<br />
In Kanada ist Hochtief bei der<br />
Sanierung des Ruskin-Staudamms<br />
dabei, im kalifornischen<br />
Anaheim bei der Erweiterung<br />
des Convention<br />
Centers. Rechnet man Währungseffekte<br />
und Unternehmensverkäufe<br />
heraus, erhöhten<br />
sich die Neuaufträge im<br />
ersten Quartal um 19 Prozent.<br />
Operativ ist der Essener<br />
Baukonzern in diesem Jahr<br />
gut gestartet. Auf vergleichbarer<br />
Basis ist der Nettogewinn<br />
um 23 Prozent auf 53 Millionen<br />
Euro gestiegen. Bis Ende<br />
des Jahres rechnen Analysten<br />
damit, dass Hochtief aus rund<br />
25 Milliarden Euro Umsatz<br />
gut 1,5 Milliarden operativen<br />
Gewinn (vor Zinsen, Steuern,<br />
Abschreibungen und Amortisation)<br />
holt. Gemessen an<br />
den Nettoschulden von 575<br />
Millionen Euro, ist das eine<br />
solide Relation. Die Eigenkapitalquote<br />
von 22 Prozent ist<br />
im Vergleich zu anderen Baukonzernen<br />
gut. So gesehen<br />
sind die 2,3 Prozent Jahresrendite<br />
der neuen, bis 2019<br />
laufenden Hochtief-Anleihe<br />
kein so schlechtes Angebot.<br />
Allerdings, ein Investment<br />
in Hochtief – egal, ob Aktie<br />
oder Anleihe – birgt eine Unsicherheit:<br />
Der 1873 gegründete<br />
Traditionskonzern ist in<br />
der Hand des spanischen<br />
Bauriesen ACS. Der hat seit<br />
seinem Einstieg 20<strong>07</strong> seinen<br />
Anteil schrittweise hochgeschraubt<br />
und besitzt inzwischen<br />
59 Prozent des Aktienkapitals.<br />
Die Gefahr ist groß, dass<br />
Hochtief früher oder später als<br />
eigener Konzern von der Börse<br />
verschwindet. Hochtief könnte<br />
dann neben den Schwester-Unternehmen<br />
Leighton aus Australien,<br />
Turner und Flatiron aus<br />
den USA und Dragados aus<br />
Spanien nur als Unternehmensmarke<br />
im weltweiten ACS-Verbund<br />
erhalten bleiben, spezialisiert<br />
auf den Wachstumsmarkt<br />
Infrastrukturbau (Wirtschafts-<br />
Woche 13/<strong>2014</strong>). Wer heute Anleihen<br />
von Hochtief kauft und<br />
behält, hätte dann aller Voraussicht<br />
nach Anleihen von ACS im<br />
Depot.<br />
Mit nur zehn Prozent Eigenkapitalquote<br />
ist ACS ein schwächerer<br />
Schuldner als Hochtief<br />
allein. Allerdings kommen die<br />
Spanier beim Abbau ihres<br />
Schuldenberges dank der Integration<br />
ihrer lukrativen Töchter<br />
Hochtief und Leighton gut voran.<br />
Seit dem Einstieg bei Hochtief<br />
baute ACS die Nettoschulden<br />
um etwa zwei Drittel auf<br />
derzeit 4,6 Milliarden Euro ab.<br />
Hochtief-ACS-Anleihen sind<br />
ein spekulatives Investment als<br />
Ergänzung in einem internationalen<br />
Anleihedepot.<br />
Kurs (%) 101,55<br />
Kupon (%) 2,625<br />
Rendite (%) 2,30<br />
Laufzeit bis 28. Mai 2019<br />
Währung<br />
Euro<br />
ISIN<br />
DE000A12TZ95<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 101<br />
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
FONDS Agressor<br />
Übernahmen bringen<br />
die Franzosen voran<br />
Die besten Länder-Aktienfonds<br />
Wie die erfolgreichsten Portfolio-Manager abgeschnitten haben<br />
Fondsname<br />
ISIN<br />
Wertentwicklung<br />
in Prozent<br />
seit 3<br />
Jahren 1<br />
seit einem<br />
Jahr<br />
Volatilität<br />
2<br />
in<br />
Prozent<br />
Von der Rolle Neuer Chef soll<br />
Kabelbauer Nexans stärken<br />
Frankreich ist bei internationalen<br />
Investoren eher unbeliebt.<br />
Sie irritiert das starke<br />
Abschneiden der rechtspopulistischen<br />
Partei Front National<br />
(FN) bei der Europawahl<br />
und die nur zaghaften Versuche<br />
der Regierung, die Staatsfinanzen<br />
zu sanieren und die<br />
Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.<br />
Der Standardwerteindex<br />
CAC 40 hat sich trotzdem<br />
in diesem Jahr mit einem<br />
Plus von 9,5 Prozent besser<br />
entwickelt als der Dax. Seinen<br />
Höchststand aus dem Jahr<br />
20<strong>07</strong> hat der französische Index<br />
allerdings noch nicht wieder<br />
erreicht. Fondsmanager<br />
Damien Lanternier von der<br />
Fondsgesellschaft Financière<br />
de l’Echiquier aus Paris hält<br />
die Lage in seiner Heimat<br />
nicht für dramatisch. „Reformen<br />
sind in Frankreich nur<br />
mit einer linken Regierung<br />
möglich, und der FN wird bei<br />
den Entscheidungen keine<br />
Rolle spielen, weil er keine<br />
Partner findet.“<br />
Dass Maßnahmen der Europäischen<br />
Zentralbank<br />
Frankreich viel bringen, erwartet<br />
er nicht: „Wir benötigen<br />
nicht noch mehr billiges<br />
Geld, sondern Kostensenkungen<br />
und mehr Flexibilität auf<br />
dem Arbeitsmarkt.“<br />
Lanternier kann für den<br />
Fonds europaweit investieren.<br />
Er sucht nach Unternehmen,<br />
die finanziell gesund<br />
sind und einen soliden Cash-<br />
Flow erzielen. Dabei achtet er<br />
auf ein Management, dem er<br />
zutraut, die Margen zu verbessern.<br />
Häufig wird er in seiner<br />
Heimat fündig. Französische<br />
Aktien haben in dem Portfolio<br />
einen hohen Anteil von 57 Prozent.<br />
Einer seiner Neuzugänge<br />
ist der Kabelhersteller Nexans,<br />
dessen CEO er zutraut, Wettbewerbsnachteile<br />
gegenüber dem<br />
italienischen Konkurrenten<br />
Prysmian abzubauen. Der<br />
Fondskurs hat zuletzt von Übernahmeangeboten<br />
profitiert. Die<br />
zum Fonds gehörende Numericable<br />
hat seit der Ankündigung,<br />
dass sie den zweitgrößten französischen<br />
Mobilfunkanbieter<br />
SFR für 17 Milliarden Euro kaufen<br />
will, 50 Prozent zugelegt.<br />
„Der Zusammenschluss bringt<br />
milliardenschwere Synergien<br />
im umkämpften Telekommarkt“,<br />
sagt Lanternier. Auch<br />
die zum Fonds gehörenden Aktien<br />
des Schiffsausrüsters Bourbon<br />
und der IT-Beratung Steria<br />
stiegen nach Übernahmeofferten.<br />
Mit dem Luxusgüterkonzern<br />
Kering (früher PPR) setzt<br />
der Experte auf einen stärkeren<br />
Konsum in Schwellenländern.<br />
Agressor<br />
ISIN:FR0010321802<br />
240<br />
220<br />
200<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
Chance<br />
Risiko<br />
CAC-40-<br />
Aktienindex<br />
Frankreich<br />
10 11 12 13 14<br />
Niedrig<br />
auf100 umbasiert<br />
Quelle:Thomson Reuters<br />
Hoch<br />
Frankreich<br />
Agressor (Financière de l’Echiquier)<br />
Fidelity France<br />
JPMorgan France Equity<br />
Lyxor ETF CAC 40 3<br />
EdR Tricolore Rendement<br />
SSgA France Index Equity<br />
Italien<br />
Schroder ISF Italian<br />
Fidelity Italy<br />
CS EF (Lux) Italy<br />
DWS Invest Italian Equities<br />
Oyster Italian Value<br />
iShares FTSE MIB 3<br />
AXA WF Framlington Italy<br />
Pioneer Italian Equity<br />
SSgA Italy Index Equity<br />
Mediolanum Italian Equity<br />
Oyster Italian Opportunities<br />
Großbritannien<br />
Threadneedle UK Smaller Companies<br />
Threadneedle UK Equity Alpha<br />
JO Hambro UK Growth<br />
Threadneedle UK Equities<br />
Invesco UK Equity<br />
JO Hambro UK Dynamic<br />
iShares MSCI UK Small Cap<br />
JO Hambro UK Equity Income<br />
Jupiter UK Growth Fund<br />
iShares FTSE 250 3<br />
Newton UK Opportunities<br />
Schroder ISF UK Equity<br />
JOHCM UK Opportunities<br />
Threadneedle UK Mid 250<br />
Russell UK Equity<br />
Russell UK Equity Plus<br />
iShares UK Dividend<br />
Investec GSF UK Equities GBP<br />
UBS EF Greater Britain<br />
Lazard UK Equities<br />
M&G UK Growth Euro<br />
Newton Higher Income GBP<br />
CMI UK Equity Index Tracking<br />
Fidelity Fast UK GBP<br />
Axa Rosenberg UK Equity Alpha<br />
FR0010321802<br />
LU0048579410<br />
LU<strong>07</strong>73547947<br />
FR00<strong>07</strong>052782<br />
FR0010588350<br />
FR0000018<strong>07</strong>9<br />
LU0<strong>06</strong>7016716<br />
LU0048584766<br />
LU0055733355<br />
LU0254493041<br />
LU0096450399<br />
IE00B1XNH568<br />
LU0087656699<br />
LU0085424223<br />
FR0000017972<br />
IE0004905604<br />
LU0<strong>06</strong>9164738<br />
GB0001530343<br />
GB00B12WJY78<br />
IE0031005543<br />
GB0001448900<br />
IE0030382794<br />
GB00B4T7JX59<br />
IE00B3VWLG82<br />
GB00B03KR500<br />
GB0004792130<br />
IE00B00FV128<br />
GB0031189888<br />
LU0045667853<br />
GB00B0LLB641<br />
GB0033547604<br />
IE00<strong>07</strong>356698<br />
IE00B12V2X41<br />
IE00B0M63<strong>06</strong>0<br />
LU0345775364<br />
LU0098994139<br />
IE0005<strong>06</strong>2744<br />
GB00B23X9910<br />
GB00<strong>06</strong>779218<br />
LU0129304613<br />
LU0525802699<br />
IE0031<strong>07</strong>0059<br />
1 jährlicher Durchschnitt(in Euro gerechnet); 2 je höherdie Jahresvolatilität(Schwankungsintensität)<br />
in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter derFonds; 3 weitereETFsmit<br />
diesem Index vonanderen Anbietern; Quelle: Morningstar;Stand: 2.6.<strong>2014</strong><br />
8,7<br />
10,1<br />
8,7<br />
8,6<br />
6,8<br />
8,3<br />
9,5<br />
11,8<br />
7,8<br />
4,7<br />
9,6<br />
4,1<br />
10,3<br />
5,5<br />
3,4<br />
6,8<br />
5,6<br />
18,0<br />
19,3<br />
17,5<br />
17,5<br />
19,2<br />
17,7<br />
16,2<br />
18,3<br />
18,7<br />
15,3<br />
13,9<br />
12,8<br />
15,6<br />
15,6<br />
13,6<br />
13,1<br />
13,5<br />
12,8<br />
10,3<br />
10,2<br />
12,0<br />
12,4<br />
11,5<br />
12,7<br />
12,0<br />
20,3<br />
18,6<br />
18,5<br />
17,5<br />
16,3<br />
14,8<br />
34,5<br />
34,1<br />
30,3<br />
27,7<br />
27,7<br />
27,6<br />
26,5<br />
25,4<br />
25,0<br />
24,7<br />
22,9<br />
29,6<br />
24,5<br />
24,4<br />
22,8<br />
21,6<br />
21,5<br />
20,5<br />
20,2<br />
20,2<br />
19,4<br />
17,7<br />
17,6<br />
17,5<br />
17,2<br />
16,9<br />
16,8<br />
16,6<br />
16,3<br />
15,8<br />
15,5<br />
14,6<br />
13,7<br />
13,6<br />
13,3<br />
13,3<br />
14,2<br />
13,9<br />
15,8<br />
15,7<br />
15,3<br />
15,3<br />
18,5<br />
20,9<br />
22,7<br />
22,1<br />
18,5<br />
23,0<br />
20,4<br />
18,6<br />
22,6<br />
22,5<br />
18,7<br />
14,4<br />
11,5<br />
14,6<br />
10,8<br />
12,7<br />
13,5<br />
14,0<br />
12,8<br />
14,2<br />
12,6<br />
11,7<br />
13,1<br />
9,8<br />
13,7<br />
12,5<br />
12,6<br />
10,7<br />
11,9<br />
12,0<br />
13,7<br />
12,9<br />
10,7<br />
12,5<br />
11,2<br />
11,9<br />
FOTO: DPA/PICTURE-ALLIANCE/MAXIME JEGAT<br />
102 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />
Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.
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Geld&Börse | Geldwoche<br />
CHARTSIGNAL<br />
Das schwächste Glied<br />
Die neue Baisse am griechischen Aktienmarkt ist<br />
eine Warnung für die europäischen Finanzmärkte.<br />
Jede Kette ist nur so stark wie<br />
ihr schwächstes Glied. Mit<br />
zeitweise über 90 Prozent Verlust<br />
seit Oktober 20<strong>07</strong> hatte<br />
die Börse Athen, gemessen<br />
am Index ASE, während der<br />
Finanz- und Euro-Krise die<br />
mit Abstand höchsten Verluste<br />
unter den europäischen<br />
Börsen erlitten. Überdurchschnittlich<br />
mit 188 Prozent Indexplus<br />
fiel in Athen auch die<br />
Rally seit Juni 2012 aus. Doch<br />
von Mitte März bis Mitte Mai<br />
<strong>2014</strong> stand die Börse Athen<br />
wieder unter starkem Abgabedruck.<br />
Der ASE hatte zwischenzeitlich<br />
23 Prozent verloren.<br />
Bereits im April wurde<br />
eine kleine, zunächst unscheinbare<br />
Schulter-Kopf-<br />
Schulter-Formation (SKS) mit<br />
dem Durchbruch der Nackenlinie<br />
komplettiert (1). Die<br />
nach rechts unten geneigte<br />
Nackenlinie signalisierte<br />
technische Schwäche. Es folgte<br />
ein Kurseinbruch, bei dem<br />
auch die Aufwärtstrendlinie<br />
T1 unterschritten wurde (2).<br />
Die anschließende Gegenreaktion<br />
endete an T1, die jetzt<br />
Abstieg <strong>vom</strong> Olymp<br />
Seit MitteMärz steht die Börse Athen wieder unter<br />
starkem Abgabedruck<br />
1400<br />
1300<br />
1200<br />
1100<br />
1000<br />
900<br />
800<br />
700<br />
5<br />
Börse Athen*<br />
2013<br />
S1<br />
S2<br />
BroadeningTop<br />
*Athens Stock Exchange General Index (ASE); Quelle: Thomson Reuters<br />
als Widerstand wirkt (3). Der<br />
darauf folgende Kursrückgang<br />
reichte bis unter die Unterstützung<br />
bei gut 1100 Punkten. Die<br />
aktuelle Erholung könnte zur<br />
Ausbildung einer weiteren großen<br />
Schulter, vergleichbar mit<br />
jener <strong>vom</strong> Januar <strong>2014</strong> (S3) führen.<br />
Alternativ lässt sich auch<br />
ein Broadening Top erkennen.<br />
Bei dieser Trendumkehrformation<br />
verlaufen die Kurse innerhalb<br />
von zwei auseinanderlaufenden<br />
Linien. Abgeschlossen<br />
wurde die Formation durch den<br />
Fall unter die Unterstützung des<br />
Januartiefs (4). Das Abwärtspotenzial<br />
entspricht jenem der<br />
SKS-Formation. Bei einem Fall<br />
unter die potenzielle Nackenlinie<br />
ließe sich aus der Höhe der<br />
SKS-Formation ein Abwärtspotenzial<br />
von etwa 30 Prozent ableiten.<br />
Ein Test der Tiefpunkte<br />
<strong>vom</strong> Juli 2013 (5) bei unter 800<br />
Punkten wäre zu erwarten. Die<br />
Aktienmärkte sind zwar längst<br />
kein verlässlicher Indikator<br />
mehr für die Konjunktur. Aber<br />
die Richtung der Aktienkurse in<br />
Südeuropa bestimmt die Wahrnehmung<br />
der Euro-Krise mit.<br />
T1<br />
S3<br />
K<br />
S<br />
<strong>2014</strong><br />
S Nackenlinie<br />
1<br />
3<br />
2<br />
4<br />
PotenzielleNackenlinie<br />
200-Tage-Linie<br />
RELATIVE STÄRKE<br />
Vermieten wie Otto<br />
Die Deutsche Euroshop profitiert von niedrigen<br />
Zinsen – und zahlt deshalb fette Dividenden.<br />
Immobilienaktien laufen besonders<br />
gut, wenn die Zinsen<br />
niedrig sind und womöglich<br />
noch weiter nachgeben. Dann<br />
sind Mieteinnahmen in der<br />
Regel deutlich höher als herkömmliche<br />
Zinseinnahmen.<br />
Dieser Effekt hat die Aktien<br />
der Deutschen Euroshop bis<br />
auf Rang 4 der Tabelle getrieben.<br />
Und der Kursanstieg geht<br />
weiter. Vor einem Jahr stockte<br />
der Shoppingcenter-Investor<br />
seine Beteiligung am lukrativen<br />
Altmarkt in Dresden auf. Die<br />
Mieteinnahmen im Konzern<br />
dürften in diesem Jahr auf gut<br />
2,15 Euro je Aktie klettern (plus<br />
drei Prozent). Damit ist für <strong>2014</strong><br />
ein Dividendenanstieg auf 1,30<br />
Euro je Aktie leicht möglich.<br />
Der Großaktionär (Versandriese<br />
Otto mit 15,9 Prozent) hätte<br />
bestimmt nichts dagegen.<br />
Wer schlägt den Index?<br />
Die innerhalb der vergangenen drei Monate am stärksten<br />
gestiegenen und gefallenen Aktien 1<br />
Rang Aktie Index Kurs 2 Kursentwicklung Relative Trend 3<br />
(€) (in Prozent) Stärke<br />
3 Monate 1 Jahr<br />
(in Prozent)<br />
Gewinner<br />
1 Nordex TecDax 15,90 +35,32 +184,74 32,5<br />
2 Dialog Semic. NA (GB) TecDax 21,99 +23,89 +84,95 22,4<br />
3 Nemetschek TecDax 69,43 +24,29 +50,93 21,9<br />
4 Deutsche Euroshop MDax 36,46 +14,51 +10,24 13,1 4<br />
5 Bechtle TecDax 64,37 +13,27 +70,36 12,6<br />
6 Banco Santander (ES) Stoxx50 7,49 +16,70 +48,02 12,3<br />
7 Elringklinger Na MDax 30,61 +12,25 +10,59 12,0 4<br />
8 Drillisch TecDax 27,60 +11,88 +119,31 10,6 4<br />
9 Unilever N.V. (NL) Stoxx50 32,<strong>06</strong> +13,19 +1,99 10,4 4<br />
10 ThyssenKrupp Dax 21,63 +10,50 +40,91 10,4<br />
11 BMW St Dax 90,88 +11,02 +23,98 9,3 4<br />
12 BG Group (GB) Stoxx50 1226,50 +11,80 +1,78 9,2 4<br />
13 Henkel Vz Dax 85,35 +12,16 +13,98 8,7 4<br />
14 Unilever plc. (GB) Stoxx50 2700,00 +11,02 -2,03 8,3 4<br />
15 KUKA MDax 41,08 +12,61 +14,11 8,2 5<br />
16 Stratec Biomed TecDax 35,46 +7,85 +0,21 7,5 4<br />
17 Manz TecDax 72,30 +5,70 +118,40 7,2 5<br />
18 LVMH (FR) Stoxx50 145,15 +10,25 +7,88 7,0 4<br />
19 LEG Immobilien MDax 50,84 +10,57 +18,51 6,9 4<br />
20 Hugo Boss NA MDax 105,00 +7,64 +22,69 6,1 4<br />
21 Novartis (CH) Stoxx50 79,55 +7,<strong>07</strong> +16,56 6,0<br />
22 Total (FR) Stoxx50 50,89 +10,29 +31,50 5,9<br />
23 AstraZeneca (GB) Stoxx50 4363,50 +8,79 +30,53 5,8 4<br />
24 Krones MDax 70,69 +8,80 +28,20 5,8 5<br />
Verlierer<br />
151 SMA Solar Technol. TecDax 27,79 -40,36 +11,74 -43,4<br />
150 Südzucker MDax 14,61 -30,98 -43,99 -37,0<br />
149 Osram Licht MDax 36,09 -26,61 - -28,8<br />
148 Drägerwerk TecDax 75,54 -21,15 -22,<strong>07</strong> -23,6<br />
147 Aixtron TecDax 10,42 -17,47 -20,41 -22,4 5<br />
146 Wacker Chemie MDax 82,29 -18,04 +49,51 -21,1<br />
145 Wincor Nixdorf MDax 47,30 -15,90 +6,53 -18,8<br />
144 LPKF Laser&El. TecDax 15,30 -15,03 +36,50 -17,1<br />
143 Pfeiffer Vacuum TecDax 77,87 -12,66 -5,55 -16,7 5<br />
1<br />
aus Dax, MDax, TecDax und Stoxx Europe 50 im Vergleich zum Stoxx Europe 600;<br />
2<br />
bei GB in Pence, bei CH in Franken; 3 Änderung um mindestens fünf Ränge; 4.6.<strong>2014</strong>,<br />
14:00 Uhr<br />
104 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
Schönheit<br />
abseits<br />
des Balles<br />
BRASILIEN | Der Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft<br />
<strong>2014</strong> lenkt mit den<br />
Spielorten den Blick auf weniger bekannte<br />
und dennoch lohnende Reiseziele –<br />
während, aber vor allem auch nach dem<br />
Fußballspektakel.<br />
Zwölf Spielorte in einem Land mit doppelt so viel<br />
Fläche wie die EU, in das die Bundesrepublik 24 Mal<br />
hineinpassen würde – das Austragungsland der Fußballweltmeisterschaft<br />
bietet ganz eigene Herausforderungen, aber<br />
auch besondere Attraktionen. Die deutsche Nationalmannschaft<br />
muss für ihre drei Vorrundenspiele etwa 6000 Kilometer fliegen –<br />
das ist knapp die Entfernung zwischen Frankfurt und New York.<br />
Für die Fußballfans sind die Distanzen eine Chance. An vielen<br />
Spielorten gibt es Sehenswürdigkeiten. Eine Übersicht über die<br />
touristischen Attraktionen, von Traumstränden oder avantgardistischen<br />
Kunst- und Architekturparks bis zu historischen Städtchen<br />
und Dschungellandschaften.<br />
SALVADOR DE BAHIA<br />
Deutschland : Portugal, 16. Juni<br />
Salvador de Bahia ist mit 3,3 Millionen Einwohnern die drittgrößte<br />
Stadt Brasiliens und das Zentrum der afro-brasilianischen Kultur<br />
des Landes. Von hier kommen der Tanzkampf Capoeira und die<br />
Blocos Afro, Trommelgruppen wie Olodum, die jedes Spiel der Seleção<br />
begleiten, am liebsten beim Public Viewing in der kolonialen<br />
Altstadt. Nur hier gibt es die Moqueca: Fisch und Meeresfrüchte<br />
in Palmöl und Kokosmilch gekocht. Meisterhaft macht das Beto<br />
Pimentel in seinem Restaurant Paraíso Tropical. Hier kommt nur<br />
auf den Tisch, was am frühen Morgen aus dem Meer, den Plantagen<br />
und aus dem Regenwald geholt wurde (restauranteparaisotropical.com.br).<br />
In der Nähe von Salvador liegen Traumstrände.<br />
Morro de São Paulo ist mit dem Katamaran in eineinhalb Stunden<br />
zu erreichen. Auf der Insel gibt es geschmackvolle Pousadas, Design-Hotels,<br />
in denen sich die Gäste von den Partys an den Stränden<br />
erholen können. Tipp: minhaloucapaixao.com.br<br />
»<br />
GRAFIK: MARTIN HAAKE<br />
1<strong>06</strong> Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Perspektiven&Debatte<br />
FORTALEZA<br />
Deutschland : Ghana, 21. Juni<br />
spektakeln in Südamerika. Wer dort übernachtet,<br />
erlebt sie menschenleer.<br />
Tipp: hoteldascataratas.com<br />
Über die Strände der Nordostmetropole<br />
fegt permanent ein kräftiger, erfrischender<br />
Wind. Das ist gut für die Windkraftanlagen<br />
– aber noch interessanter für das Windund<br />
Kite-Surfer-Paradies Jeriquaquara, 300<br />
Kilometer entfernt von der Hauptstadt des<br />
Bundesstaates Ceará. Das ehemalige Hippiedorf<br />
ist heute zwar voller gestylter Unterkünfte,<br />
doch die Stadt konnte sich etwas<br />
<strong>vom</strong> Woodstock-Feeling erhalten. So trifft<br />
sich zum Beispiel jeden späten Nachmittag<br />
das ganze Dorf auf der gewaltigen Düne<br />
am Strand, um die Sonne im Meer versinken<br />
zu sehen. Tipp: Pousada Jeriba.<br />
jeriba.com.br<br />
RECIFE<br />
Deutschland : USA, 26. Juni<br />
Die Hafenstadt<br />
Recife ist mit 1,5<br />
Millionen Einwohnern<br />
Hauptstadt<br />
des Bundesstaats<br />
Pernambuco.<br />
Relativ nahe<br />
der anstrengenden<br />
Metropole<br />
liegt mit 550 Kilometern<br />
und gut 45<br />
Flugminuten entfernt<br />
die Inselgruppe Fernando de Noronha.<br />
Vor den Stränden des Vulkanarchipels<br />
ist das Wasser so klar wie im Aquarium.<br />
Die Küste zählt zu den schönsten<br />
Tauchgebieten der Welt und ist dennoch<br />
sehr ruhig.<br />
Tipp: Pousada Zé Maria.<br />
pousadazemaria.com.br<br />
PORTO ALEGRE<br />
Achtelfinale ggf. mit Deutschland<br />
(Gruppenerster), 30. Juni<br />
Cabernet statt Caipirinha: 90 000 Hektar<br />
Wein werden heute in Brasilien angebaut,<br />
fast so viel wie in Deutschland. Italiener<br />
brachten die ersten Trauben nach Brasilien.<br />
Der Merlot ist beliebt, brasilianischer<br />
Sekt gewinnt internationale Preise. Im<br />
südbrasilianischen Bento Gonçalves reiht<br />
sich im „Tal des Weines“ ein Gut an das<br />
nächste.<br />
Tipp: Casa Valduga, Miolo und Salton.<br />
BELO HORIZONTE<br />
Mögliches Halbfinale<br />
Brasilien : Deutschland, 8. Juli<br />
Der brasilianische Bergbaumilliardär Bernardo<br />
Paz beschloss vor 15 Jahren, dass er<br />
nicht mehr reicher werden wollte – und begann<br />
seine Farm zu einem botanischen<br />
Garten auszubauen und mit zeitgenössischer<br />
Kunst zu füllen. Führende Künstler<br />
der Gegenwart hat er eingeladen, sich dort<br />
auszutoben. Preisgekrönte Architekten haben<br />
in Inhotim für die Avantgarde Pavillons<br />
gebaut – die selbst wieder architektonische<br />
Avantgarde sind (inhotim.org.br).<br />
Tipp: estalagemdomirante.com.br<br />
MANAUS<br />
Vorrunde: USA, Schweiz<br />
Brasilien, das ist Regenwald, der sich unter<br />
Luxusbedingungen erkunden lässt und<br />
zum Reiseprogramm gehören sollte.<br />
Tipp: anavilhanaslodge.com<br />
CURITIBA<br />
Vorrunde u. a. mit Argentinien,<br />
Spanien, Iran, Russland<br />
Die südbrasilianische Stadt ist der kälteste<br />
Ort des Landes. Die Wasserfälle von Iguazú<br />
zählen zu den aufregendsten Natur-<br />
BRASILIA<br />
Viertelfinale mit möglicher<br />
deutscher Beteiligung, 5. Juli<br />
Für die Stadt, erbaut von dem für seine<br />
Kurven in Beton bekannten Architekten<br />
Oscar Niemeyer, reicht ein Tag. Beim morgendlichen<br />
Joggen am Pampulha-See können<br />
Besucher mit etwas Glück die Präsidentin<br />
Dilma Rousseff sehen, wenn sie ihren<br />
„Palast der Morgenröte“ verlässt.<br />
Tipp: Brasília Palace. brasiliapalace.com.br<br />
CUIABÁ<br />
Vorrunde: Chile, Japan,<br />
Nigeria, Südkorea<br />
Im Pantanal, dem Schwemmgebiet mit<br />
der atemraubenden Fauna, kann man Jaguaren<br />
nachpirschen.<br />
Tipp: jaguarresearchcenter.com<br />
RIO DE JANEIRO<br />
Achtelfinale, Viertelfinale und<br />
das Finale am 13. Juli<br />
Die Stadt am Zuckerhut und unterm Christo<br />
ist voller Sehenswürdigkeiten. Einen<br />
Ausflug wert ist das historische Städtchen<br />
Paraty. Heute sind in den kolonialen Herrenhäusern<br />
der Altstadt auch Restaurants<br />
untergebracht.<br />
Tipp: Pousada Ouro. pousadaouro.com.br<br />
alexander.busch@wiwo.de | São Paulo<br />
FOTOS: PICTURE PRESS/ROBERT HARDING PICTURE LIBRARY, AGÊNCIA O GLOBO/FABIO SEIXO, ACTION PRESS/REX FEATURES<br />
108 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />
ALLES ODER NICHTS<br />
BERNHARD BRUGGER<br />
Geschäftsführer des<br />
Rabattdienstes Payback<br />
Aktien oder Gold?<br />
Aktien, ich glaube an<br />
den Erfolg von Wirtschaftsunternehmen.<br />
Cabrio oder SUV?<br />
Ich fahre seit über zehn<br />
Jahren mein altes VW Käfer<br />
Cabrio und freue mich jedes<br />
Mal, wenn es anspringt.<br />
Apartment oder Villa?<br />
Haus mit Garten für die<br />
Kinder.<br />
Fitnessstudio oder<br />
Waldlauf?<br />
Beides okay – noch viel mehr<br />
Spaß macht mir aber Fußballschauen<br />
mit Freunden.<br />
Buch oder DVD?<br />
Kindle und Filme-Downloads,<br />
da gibt’s noch mal Punkte.<br />
Dusche oder Wanne?<br />
Dusche – Wanne im Winter<br />
mit Zeit.<br />
Maßschuhe oder Sneakers?<br />
Wenn ich kann, Sneakers.<br />
Rotwein oder Weißwein?<br />
Definitiv Rotwein, für mich als<br />
Bayer darf’s aber gerne auch<br />
mal ein Bier sein.<br />
Jazz oder Klassik?<br />
Electronic und Rock.<br />
Berge oder Meer?<br />
Nichts schlägt einen sonnigen<br />
Skitag.<br />
Tee oder Kaffee?<br />
Grüner Tee – Kaffee trinke ich<br />
schon seit Jahren nicht mehr.<br />
CARL-ORFF-FESTIVAL IN ANDECHS<br />
Fingerzimbel und Lustspiel<br />
Der Komponist und Musikpädagoge Carl Orff (1895–1982) ist Schulkindern<br />
durch das nach ihm benannte leicht zu spielende Orff-Instrumentarium wie<br />
Fingerzimbel, Schellentrommel oder Holzblocktrommel bekannt und Fernsehzuschauern<br />
durch die häufige Verwendung des Beginns seiner szenischen Kantate<br />
Carmina Burana. Die Carl Orff Festspiele in Andechs starten am 14. Juni jedoch<br />
mit dem Programm „Orff und Büchner“, das die Gemeinsamkeiten des Musikers<br />
und des Schriftstellers erörtert. Am 27. Juni feiert Büchners Lustspiel „Leonce<br />
und Lena“ Premiere, das Orff vertonte. Neben Kammerkonzerten steht ab 24. Juli<br />
bis 3. August dann Orffs Carmina Burana in einer Aufführung mit Licht und<br />
Projektionen auf dem Programm. carl-orff-festspiele.de<br />
KARL<br />
Der Große<br />
Er ist seit 1200 Jahren tot.<br />
Dennoch widmet ihm die Stadt<br />
Aachen an drei Orten eine<br />
Mammutschau. Karl der Große<br />
brachte das Frankenreich zu<br />
seiner größten Ausdehnung,<br />
die Spuren seines Wirkens sind<br />
in der Ausstellung <strong>vom</strong> 20. Juni<br />
bis 21. September zu sehen. Im<br />
Krönungssaal des Aachener<br />
Rathauses sieht der Besucher<br />
in „Orte der Macht“ höfisches<br />
Leben. In „Karls Kunst“ im Centre<br />
Charlemagne ist Kunst der<br />
Karolingerzeit und in der Domschatzkammer<br />
sind „Verlorene<br />
Schätze“ zu sehen.<br />
karldergrosse<strong>2014</strong>.de<br />
THE NEW YORKER<br />
„I can’t give you a raise, but I can give you<br />
this ,Also Participated‘ ribbon“<br />
FOTOS: STEFAN A. SCHUHBAUER-VON JENA, PR; CARTOON: BARBARA SMALLER/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />
110 Redaktion: thorsten.firlus@wiwo.de<br />
Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Leserforum<br />
Geld&Börse<br />
Ultraschnelle Computerhändler und<br />
ihre Geschäfte sind in Verruf geraten.<br />
Heft 24/<strong>2014</strong><br />
Des Hasen Tod<br />
Es ist auffallend, wie häufig die<br />
WirtschaftsWoche Themen aus<br />
dem Finanzbereich auch zu ihrem<br />
Titel macht. Dieser Artikel<br />
scheint mir besonders gelungen,<br />
weil er sehr akribisch beschreibt,<br />
wie diese Flash Boys agieren. Das<br />
liest sich alles sehr spannend<br />
und bietet viele Informationen.<br />
Dass sich um den schnellen<br />
Handel eine regelrechte Industrie<br />
entwickelt hat, die Handelsdaten<br />
und Rechnerplätze<br />
vermarktet, klingt schon fast bedrohlich,<br />
zumal das rechtliche<br />
Umfeld solchen Transaktionen<br />
scheinbar viel Freiraum lässt. Da<br />
ist es doch tröstlich, dass auch in<br />
diesem Metier die Regeln des<br />
Wettbewerbs gelten und schnelle<br />
Gewinne die Konkurrenz<br />
anlocken. Wie heißt es doch so<br />
schön: „Viele Hunde sind des<br />
Hasen Tod.“<br />
Gerold Brandt<br />
via E-Mail<br />
Im Sog<br />
des billigen<br />
Geldes<br />
Das bringtdie Null-Zins-Politik<br />
fürKonjunktur, Unternehmen<br />
und Anleger<br />
Unternehmen&Märkte<br />
Interview mit den Gründern des<br />
Boulevard-Web-Portals Heftig.co.<br />
Heft 23/<strong>2014</strong><br />
Flachheiten<br />
Dass man mit geistiger Oberflächlichkeit<br />
viel Geld verdienen<br />
kann, ist nichts Neues. Warum<br />
die WirtschaftsWoche einem<br />
Vertreter dieser Branche ganze<br />
drei Heftseiten einräumt,<br />
23<br />
Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux €5,30 | Griechenland €6,00 | Großbritannien GBP 5,40 | Italien €6, 0 | Polen PLN 27,50 | Portugal €6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | Tschechische Rep. CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />
2.6.<strong>2014</strong>|Deutschland €5,00<br />
2 3<br />
4 1 98<strong>06</strong>5 805008<br />
erschließt sich mir nicht. Denn<br />
ich kann mir nicht vorstellen,<br />
dass ein nennenswerter Teil der<br />
Leserschaft solche Seiten im<br />
Netz aufsucht. Ein großer Nachteil<br />
der elektronischen Medien<br />
ist das riesige Angebot an Flachheiten,<br />
die leider zahlreich konsumiert<br />
werden. Gibt es nichts<br />
Sinnvolleres zu tun, als irgendwelchem<br />
Mist Aufmerksamkeit<br />
zu schenken?<br />
Ingolf Wappler<br />
Lengefeld (Sachsen)<br />
Ganz schön heftig<br />
Als ich das Interview mit den beiden<br />
Heftig-Gründern las, fiel es<br />
mir schwer, zu glauben, dass die<br />
WirtschaftsWoche so ein Thema<br />
zur Einführungsgeschichte ihrer<br />
Rubrik Unternehmen&Märkte<br />
macht. Das ist schon ganz schön<br />
heftig! Diese Geschichte wirkt<br />
aufgestülpt. Ist es ein Mega-<br />
Trend, 25- bis 45-jährige, weibliche<br />
Medienmuffel mit Rührstorys<br />
zu beglücken? Wo liegt die<br />
wirtschaftliche Relevanz? Warum<br />
den beiden Gründern Glöß<br />
und Schilling so viel Aufmerksamkeit<br />
eingeräumt wird, bleibt<br />
mir leider verschlossen. Ein<br />
Start-up-Artikel, wie er auf Ihren<br />
Seiten „Menschen der Wirtschaft“<br />
wöchentlich erscheint,<br />
hätte es auch getan. Lobenswert<br />
– das sei bei aller Kritik erwähnt –<br />
ist allemal die Art und Weise, wie<br />
das Interview geführt wurde –<br />
frisch, frech und dennoch immer<br />
sachlich.<br />
Horst Schnoor<br />
via E-Mail<br />
Der Volkswirt<br />
Axel Honneth, Direktor des Frankfurter<br />
Instituts für Sozialforschung,<br />
über Ungleichheit. Heft 22/<strong>2014</strong><br />
Gut gemacht<br />
Ein hervorragendes Interview!<br />
Ihre Auswahl des Gesprächspartners<br />
war der richtige Griff.<br />
Treffende Argumente zur<br />
Präzisierung des diffusen Unbehagens<br />
an einer pauschalen<br />
Marktgläubigkeit. Gut gemacht!<br />
Dr. Eckhard Apenburg<br />
Kirchseeon (Bayern)<br />
Feinschliff<br />
Der Markt ist ein Geben und<br />
Nehmen. Ein Ausloten von<br />
Chancen und Risiken. Die Ausgewogenheit<br />
(ich spreche bewusst<br />
nicht von einer Gerechtigkeit<br />
– die gibt es im absoluten<br />
Sinne nie) sollte das Maß aller<br />
Dinge sein. Und die Marktteilnehmer<br />
haben die Freiheit,<br />
auch einen sozialen Ort hieraus<br />
zu entwickeln. Mit „mehr oder<br />
weniger Staat“ hat das zunächst<br />
nichts zu tun. Die Aufgabe des<br />
Staates sollte sein, die vorhandenen<br />
wirtschaftspolitischen<br />
Instrumente mit ordnungpolitischem<br />
Feinschliff weitsichtig zu<br />
gestalten, um somit eine gesellschaftliche<br />
Einheit zu ermöglichen.<br />
Mehr Staat bedeutet<br />
nicht mehr Freiheit. Im Gegenteil!<br />
Dessen sollten wir uns stets<br />
bewusst werden.<br />
Karl Heinz Schmehr<br />
Lampertheim (Hessen)<br />
Geld&Börse<br />
Das Wehklagen der Versicherer über<br />
niedrige Zinsen zeigt Wirkung.<br />
Heft 22/<strong>2014</strong><br />
Mausetot<br />
Über all dem Gezerre und Gezeter<br />
über die geplanten gesetzlichen<br />
Änderungen im Bereich<br />
der Lebensversicherung wird<br />
offenbar völlig übersehen, dass<br />
mit den vorgesehenen rechtlichen<br />
Änderungen die traditionelle<br />
kapitalbildende Lebensversicherung<br />
in Deutschland<br />
mausetot ist. Obwohl es sich bei<br />
dieser um eine privatwirtschaftliche<br />
Veranstaltung handelt,<br />
basierte sie ja bisher auf einem<br />
Kollektivprinzip und funktionierte<br />
nach einem rollierenden<br />
System: Der Bestand finanziert<br />
das Neugeschäft. Auf dieser Basis<br />
– und lange Zeit unterstützt<br />
durch steuerliche Vorteile –<br />
konnte die gemischte kapitalbildende<br />
Lebensversicherung<br />
über Jahrzehnte ihre zentrale<br />
Aufgabe – substanzielle Erträge<br />
mit werthaltigen Garantien<br />
über Jahrzehnte zur Sicherstellung<br />
einer Altersversorgung –<br />
voll erfüllen. Die dramatischen<br />
Änderungen der ökonomischen<br />
Rahmenbedingungen<br />
und die zahlreichen rechtlichen<br />
Veränderungen, vor allem mit<br />
und seit der Einführung<br />
des neuen Vertragsrechts 2008,<br />
haben dieses Erfolgsmodell<br />
zerstört.<br />
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Heilmann<br />
Berlin<br />
Unternehmen&Märkte<br />
Die Stromkonzerne können den<br />
Ausstieg aus der Atomkraft auch<br />
selbst stemmen. Heft 21/<strong>2014</strong><br />
Unterirdisch<br />
Bei der Suche nach einem Endlager<br />
für den Atommüll ist man<br />
viel zu sehr auf eine unterirdische<br />
Lagerung fixiert. Warum<br />
nicht ein oberirdisches Endlager<br />
schaffen? Ein Bunker mit<br />
meterdicken Betonwänden,<br />
eventuell auch 10 oder 20 Meter<br />
unter der Erdoberfläche, dürfte<br />
wesentlich billiger sein als die<br />
1,6 Milliarden Euro, die nur die<br />
Erkundung des Endlagers von<br />
Gorleben bisher gekostet hat.<br />
Ein solcher Bunker wäre auch<br />
nicht abhängig von geologischen<br />
Formationen, was die<br />
Standortsuche wesentlich vereinfachen<br />
dürfte. Auch könnte<br />
der Zustand des eingelagerten<br />
Atommülls jederzeit kontrolliert<br />
und der Müll sogar problemlos<br />
wieder ausgelagert<br />
werden, wenn später einmal<br />
tatsächlich Techniken zum<br />
Unschädlichmachen zur Verfügung<br />
stehen sollten. In der<br />
öffentlichen Diskussion wird<br />
diese Möglichkeit einer Endlagerung<br />
leider nur selten<br />
erwähnt – und das auch nur<br />
am Rande.<br />
Eberhard Steiniger<br />
Melsungen (Hessen)<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Schreibers wieder, die nicht mit der<br />
Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />
muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />
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112 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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Die Angaben bezeichnen den<br />
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A<br />
ACS............................................................................ 101<br />
Adidas............................................................................ 9<br />
Adobe.....................................................................41, 74<br />
Advania........................................................................ 70<br />
Airbnb.......................................................................... 74<br />
Airsense....................................................................... 60<br />
Alibaba................................................................. 77, 101<br />
Alstom..........................................................................46<br />
Amazon................................................................ 74, 101<br />
Andreessen Horowitz.....................................................74<br />
Apple..............................................................41, 70, 101<br />
Arvato.......................................................................... 12<br />
Audi..............................................................................55<br />
B<br />
Baidu............................................................................77<br />
BASF............................................................................ 60<br />
Bayer............................................................................14<br />
Bayer Schering..............................................................78<br />
Beats............................................................................41<br />
Berliner Volksbank........................................................ 52<br />
Bertelsmann................................................................. 12<br />
BMW............................................................................ 55<br />
BNP Paribas..................................................................99<br />
Boston Consulting Group............................................... 52<br />
BP................................................................................78<br />
Burberry................................................................. 41, 78<br />
Bwin.............................................................................11<br />
C<br />
C8 MediSensors............................................................41<br />
Capricorn........................................................................9<br />
Carnival Cruises.............................................................. 6<br />
CB Insight.....................................................................77<br />
Cleanagents....................................................................8<br />
Clifford Chance............................................................. 82<br />
Cloud&Heat.................................................................. 70<br />
Commerzbank...............................................................54<br />
Continental...................................................................55<br />
D<br />
Deep Mind.................................................................... 77<br />
Depfa........................................................................... 11<br />
Deutsche Bank..........................................52, 82, 99, 101<br />
Deutsche Euroshop..................................................... 104<br />
Deutsche Lufthansa...................................................... 48<br />
Deutsche Telekom...........................................................9<br />
Digital Sky.....................................................................77<br />
dima24.........................................................................92<br />
Dixon............................................................................41<br />
DJE Kapital................................................................... 87<br />
Döttinger/Straubinger....................................................84<br />
3M............................................................................... 70<br />
Dropbox........................................................................70<br />
DZ Bank........................................................................48<br />
E<br />
Easyjet..........................................................................48<br />
Ebay............................................................................. 74<br />
Enercon........................................................................46<br />
E-Plus.............................................................................9<br />
Euro Grundinvest.......................................................... 92<br />
European Founders Fund............................................... 12<br />
F<br />
Fab.com....................................................................... 77<br />
Facebook.................................................. 70, 74, 77, 101<br />
Fairesearch...................................................................84<br />
Farice........................................................................... 70<br />
Fifa...............................................................................60<br />
Flossbach von Storch.................................................... 84<br />
Fosun........................................................................... 77<br />
Freshfields....................................................................82<br />
Frontier........................................................................ 48<br />
G<br />
Gazprom.......................................................................18<br />
Geile Weine...................................................................14<br />
General Electric............................................................ 46<br />
Gleiss Lutz.................................................................... 82<br />
GMP............................................................................. 60<br />
Goal Control..................................................................60<br />
Goldwind...................................................................... 46<br />
Google............................................ 8, 41, 70, 74, 77, 101<br />
Gravis...........................................................................41<br />
H<br />
Hansgrohe.............................................................. 14, 60<br />
Helpling.......................................................................... 8<br />
Hengeler Müller............................................................ 82<br />
Hightex.........................................................................60<br />
Hirmer Immobilien........................................................ 60<br />
Hochtief..................................................................... 101<br />
Homejoy.........................................................................8<br />
HubSpot....................................................................... 74<br />
Hypo Real Estate...........................................................11<br />
HypoVereinsbank.......................................................... 52<br />
I<br />
IBM.............................................................................. 12<br />
ICM Research............................................................... 60<br />
Indigo Partners............................................................. 48<br />
Intel..............................................................................74<br />
ISP Bahnhof..................................................................70<br />
J<br />
J.C. Penney...................................................................41<br />
JD.............................................................................. 101<br />
JP Morgan.................................................................... 46<br />
JustFab.........................................................................77<br />
K<br />
Kinnevik........................................................................12<br />
Kleiner Perkins..............................................................74<br />
Kofler & Kompanie........................................................ 60<br />
KPMG...........................................................................69<br />
Krones........................................................................100<br />
L<br />
Landau Media............................................................... 82<br />
Landsvirkjun................................................................. 70<br />
Lenovo..........................................................................77<br />
LG................................................................................ 55<br />
Lieferheld....................................................................... 8<br />
Linklaters......................................................................82<br />
Lufft............................................................................. 60<br />
M<br />
Macy’s..........................................................................41<br />
Mammut.......................................................................41<br />
McDonald’s.................................................................. 18<br />
Mercedes......................................................................55<br />
Mesosphere..................................................................74<br />
Microsoft....................................................................101<br />
Mysugr......................................................................... 41<br />
N<br />
Nemetschek................................................................. 28<br />
Nestlé.....................................................................14, 99<br />
NeXovation..................................................................... 9<br />
Nike..........................................................................9, 41<br />
Norton Rose..................................................................82<br />
O<br />
O2.................................................................................. 9<br />
Opera........................................................................... 70<br />
Osram...........................................................................55<br />
Otto............................................................................104<br />
P<br />
PayPal.......................................................................... 74<br />
PBB..............................................................................11<br />
Porsche Design............................................................. 10<br />
Posco........................................................................... 14<br />
Prior1........................................................................... 70<br />
Procter & Gamble..........................................................48<br />
Profine......................................................................... 18<br />
R<br />
RBC..............................................................................41<br />
Rdio..............................................................................41<br />
Red Hat........................................................................ 74<br />
Reitz.............................................................................60<br />
Rheinmetall.................................................................. 12<br />
RIB...............................................................................28<br />
Riverstone.................................................................... 78<br />
Rocket Internet.............................................................12<br />
RoMiotto.......................................................................60<br />
Rosneft.........................................................................78<br />
Rostelekom...................................................................18<br />
RWE........................................................................... 100<br />
Ryanair.........................................................................48<br />
S<br />
Sablono........................................................................ 28<br />
Salesforce.............................................................41, 101<br />
Samsung.................................................................41, 55<br />
SAP.............................................................................. 18<br />
Schaeffler.....................................................................14<br />
Serverpark....................................................................70<br />
Sharp............................................................................55<br />
Siemens..................................................................46, 55<br />
Slacker......................................................................... 41<br />
Société Générale...........................................................84<br />
Spotify..........................................................................41<br />
Standard Life................................................................ 84<br />
Staufen.........................................................................69<br />
Strabag.....................................................................4, 16<br />
T<br />
Tencent........................................................................ 77<br />
Tesco........................................................................... 41<br />
Tiger Airways................................................................ 48<br />
Tipico........................................................................... 11<br />
Toshiba.........................................................................55<br />
TozziniFreire................................................................. 69<br />
Trendforce....................................................................55<br />
Twitter..........................................................................74<br />
U<br />
Unilever........................................................................14<br />
V<br />
VDO..............................................................................55<br />
Verne Global................................................................. 70<br />
Vestas.......................................................................... 46<br />
Vimeo...........................................................................74<br />
Vodafone........................................................................ 9<br />
Voest Alpine..................................................................14<br />
Volkswagen...................................................................60<br />
Louis Vuitton.................................................................10<br />
W<br />
Walmart........................................................................41<br />
Warburg........................................................................84<br />
Wisy............................................................................. 60<br />
Wizz Air........................................................................ 48<br />
WMF.............................................................................14<br />
X<br />
XLHealth.......................................................................41<br />
Y<br />
Yandex..........................................................................18<br />
Z<br />
Zalando........................................................................ 12<br />
WirtschaftsWoche 7.6.<strong>2014</strong> Nr. 24 113<br />
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Ausblick<br />
„Als Trainer stehst du an der<br />
Wand. Nach Siegen<br />
wirst du als Messias gefeiert, als<br />
Heilsbringer fürs ganze Volk.<br />
Wenn du ein Spiel verlierst, bist<br />
du der Staatsfeind Nummer 1.“<br />
Joachim Löw<br />
Trainer der deutschen<br />
Fußballnationalmannschaft<br />
„Der Fußball ist ein<br />
Milliardenmarkt geworden.<br />
Letztlich richten sich die<br />
Gehälter in unserer<br />
Marktwirtschaft nach Angebot<br />
und Nachfrage.“<br />
Dietmar Hopp<br />
Gründer des Softwarekonzerns SAP<br />
und Förderer des Bundesligisten<br />
Hoffenheim, über Spielergehälter<br />
„Bei der Weltmeisterschaft<br />
wird Adidas dominieren.“<br />
Herbert Hainer<br />
Adidas-Chef, über die größte Werbekampagne<br />
in der Firmengeschichte<br />
„Ein Trainer hat etwas von<br />
einem Unternehmer und<br />
umgekehrt. Beide haben mit<br />
vielen Individualisten zu<br />
tun und müssen daraus ein<br />
schlagkräftiges Team formen.“<br />
Eduard Dörrenberg<br />
Chef des Kosmetikunternehmens<br />
Dr. Wolff und Sponsor des<br />
abgestiegenen Bundesliga-<br />
Zweitligisten Arminia Bielefeld<br />
„Es wird ein<br />
harter Kampf.“<br />
Bill McDermott<br />
neuer SAP-Vorstandsvorsitzender,<br />
über die Positionierung des<br />
Softwarekonzerns im Cloud-Geschäft<br />
„Nur weil wir den<br />
besten Hammer haben, ist nicht<br />
jedes Problem ein Nagel.“<br />
Barack Obama<br />
US-Präsident, über Amerikas<br />
Führungsanspruch in der Welt und<br />
den Einsatz des US-Militärs<br />
„Ein Gesicht der Achtzigerjahre<br />
kann nicht die Probleme<br />
der nächsten fünf Jahre lösen.“<br />
David Cameron<br />
Großbritanniens Premierminister,<br />
über Jean-Claude Juncker, der<br />
neuer Präsidenten der EU-Kommission<br />
werden will<br />
»Seid freundlich und<br />
zurückhaltend. Zeigt, dass ihr<br />
aus Deutschland kommt. Schminkt<br />
euch zum Beispiel schwarz-rot-gold.<br />
Wir sind dort sehr willkommen.«<br />
Thomas de Maizière<br />
Bundesinnenminister (CDU), auf die Frage, wie sich die deutschen Fans bei der<br />
Fußballweltmeisterschaft in Brasilien verhalten sollten<br />
„Europa muss sich<br />
nicht erpressen lassen.“<br />
Jean-Claude Juncker<br />
Spitzenkandidat der Europäischen<br />
Volkspartei bei der Europawahl, über<br />
den Widerstand gegen seine Wahl<br />
zum Präsidenten der EU-Kommission<br />
„Ordnungspolitisch halte ich<br />
den Mindestlohn für falsch,<br />
der Markt sollte den Preis<br />
bestimmen. Allerdings muss es<br />
möglich sein, dass jeder<br />
von seiner eigenen Arbeit leben<br />
kann, ohne dass der Staat<br />
subventionierend eingreift.“<br />
Jürgen Fitschen<br />
Co-Chef der Deutschen Bank<br />
„Ich bin stocksauer.“<br />
Hartmut Mehdorn<br />
Geschäftsführer des neuen<br />
Berliner Flughafens BER, zur<br />
Korruptionsaffäre dort<br />
„Wir werden uns<br />
nicht damit abfinden,<br />
dass die Inflation<br />
zu lange zu niedrig bleibt.“<br />
Mario Draghi<br />
Präsident der<br />
Europäischen Zentralbank<br />
„Als gelernter Maurer<br />
gehe ich davon aus,<br />
dass ich in den Fußstapfen<br />
nicht versinken werde.“<br />
Wolfgang Büchele<br />
neuer Chef des Linde-Konzerns, über<br />
die Verdienste seines Vorgängers<br />
Wolfgang Reitzle, der<br />
den Industriegasehersteller zum<br />
Weltmarktführer entwickelte<br />
„Ich könnte mich<br />
um meinen Wein- und<br />
Olivenanbau in der Toskana<br />
kümmern – aber das<br />
kann auch noch warten.“<br />
Wolfgang Reitzle<br />
Ex-Chef von Linde, nach<br />
seinem Abschied <strong>vom</strong><br />
Münchner Konzern<br />
„Milliarden, Mann,<br />
es waren Milliarden!“<br />
David Tepper<br />
bestbezahlter Hedgefondsmanager,<br />
zum Moderator des US-Börsenfernsehens<br />
CNBC, der dessen<br />
Verdienst für 2013 versehentlich in<br />
Millionen Dollar angab statt in<br />
Milliarden Dollar<br />
ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />
114 Nr. 24 7.6.<strong>2014</strong> WirtschaftsWoche<br />
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