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hinaus!“. Diese Anweisung war jedoch so widersprüchlich, dass Sesam nichts tun<br />
konnte, nur unentwegt weiter vor sich hin redete, dabei natürlich die Worte der<br />
Futuristen mit einbezog.<br />
Das Museum ist nämlich eine Unterwelt, zu der für die Kunst nur ein Weg hineinführt,<br />
aber nicht hinaus, denn was ein Bild zu sein schien, löst sich im Museum<br />
auf und wird zu einem Text. Letztendlich ist es dieses Umwandlungsmoment, das<br />
die Kunst zur Fortsetzung des Textes zwingt. Der Künstler seinerseits kann sich<br />
an der Möglichkeit der Weiterführung dieses Textes festklammern (er kann z. B.<br />
die Schließung der Museen fordern, da er nur so weitermachen könne), aber er<br />
muss wissen, dass der Text keinen Anfang und kein Ende hat und dass die Position,<br />
die sich ihm durch die Möglichkeit der Fortführung bietet, völlig zufällig ist,<br />
denn sie wird nicht von ihm, sondern vom Text bestimmt.<br />
Ein Museum, das nichts anderes widerspiegelt als sich selbst, ist eine typische<br />
Tautologie der siebziger Jahre: Museen spiegeln nur sich selbst wider, die Kunst<br />
beschäftigt sich nur mit sich selbst usw. All dies lässt sich auf den Gedanken zurückführen,<br />
dass das Denken des Menschen von der Sprache bestimmt wird, dass<br />
es in die Sprache eingeschlossen ist und der Mensch nur das denken kann, „was<br />
die Sprache denkt“.<br />
Damals konnte man weltweit auf dieses Muster stoßen. Aber meine Freunde und<br />
ich beschäftigten uns auffallend oft damit. Es muss etwas gegeben haben, was<br />
Tautologien für die Budapester Undergroundkünstler besonders attraktiv machte.<br />
Vielleicht lag es daran, dass wir unsere Identität in dem engen, isolierten und<br />
kontrollierten Winkel finden mussten, in den wir in den siebziger Jahren verwiesen<br />
worden waren. Die vielfältigen Referenzen eines normalen künstlerischen<br />
Lebens wurden uns verwehrt, und außerdem lehnten wir sie ab. Für viele von uns<br />
war weder das negative Bild, das in Ungarn über uns entstanden war, noch das<br />
– geben wir es zu – ebenfalls negative Bild im Westen, das uns als politisch eventuell<br />
brauchbare, letztlich jedoch unbedeutende provinzielle Künstlergesellschaft<br />
darstellte, eine attraktive Grundlage für die Formulierung der eigenen Identität.<br />
Attraktiver – und vor allem radikaler! – waren tautologische Muster. Sie suggerierten,<br />
dass die Dinge auch an sich definiert werden können, dass also die Frage<br />
der eigenen Identität letztendlich ausschließlich die persönliche Angelegenheit<br />
jedes einzelnen Menschen sei.<br />
Zu dieser Zeit hast du auch Fotoporträts erstellt. Was gefiel dir an dieser Gattung?<br />
Ja, die andere größere Gruppe meiner Fotoarbeiten sind die Porträts. Mein Interesse<br />
an Porträts ging auf frühere Malversuche zurück. Damals hatte ich die<br />
Porträts mit immer wieder neuen Schichten übermalt, so dass viele Bilder in<br />
dicke Farbschichten begraben wurden. Beim Fotografieren hingegen trennte<br />
ich diese Schichten und legte sie in eine Reihe. Für mich sind die 270 Fotos von<br />
Ferenc K. ein einziges Porträt. Dies ist auch die Logik der Arbeit Rembrandts<br />
Phantom: die Bündelung der anhaltenden und auf sich selbst gerichteten Aufmerksamkeit,<br />
die Rembrandt während seines ganzen Lebens den Selbstbildnis-<br />
Erdei tó / Waldsee<br />
1984<br />
olaj, vászon / Öl auf Leinwand<br />
250×285 cm<br />
sen schenkte, in einem einzigen Porträt. Das Ergebnis wurde durch einfache<br />
Fotografie- und Vergrößerungstechniken erzielt, aber die Inspiration stammte<br />
aus den Kämpfen, die ich beim Malen von Porträts und Selbstbildnissen Jahre<br />
zuvor ausgetragen hatte.<br />
Außer dem Museumsthema und den Porträts gibt es unter den Fotos eine thematisch<br />
schwer definierbare Gruppe. Welche Fotos gehören zu dieser Gruppe?<br />
Ich würde die dritte Gruppe der Fotos als „separate Werke“ bezeichnen. Dies ist<br />
das Bündel, in das alle bisher noch nicht behandelten Arbeiten gehören. Aber<br />
es geht nicht nur darum. In erster Linie geht es um die etwas später, zwischen<br />
1978 und 1981 entstandenen Werke, bei denen der Text eine immer größere<br />
Bedeutung gewann. Am Ende fertigte ich sie schon parallel zu den Gemälden<br />
an, denn ich hatte die Malerei zwischenzeitlich wieder aufgenommen. Zwischen<br />
1975 und 1978 wurden meine Kräfte durch die Themen „Museum“ und<br />
„Porträt“ in die rechte Bahn gelenkt, die Werke sind chronologisch aufeinander<br />
aufgebaut und lassen sich heute gut präsentieren. Nach 1978 gelang es mir jedoch<br />
immer weniger, meine Kräfte zu kanalisieren, mein Interesse strömte in<br />
alle Richtungen. Eine Spannung begann in mir zu arbeiten, die dann in Form<br />
der „Neuen Malerei“ der achtziger Jahre aus mir herausbrach. Von den Fotos<br />
verlagerte sich der Schwerpunkt auf das Verfassen von Texten, da dies eine geeignetere<br />
Form für meine schweifende Phantasie war. In meinem Kopf brach<br />
temporär eine wahre Anarchie aus. Ich habe einmal gelesen, dass die Metamorphose<br />
einer Raupe zu einem Schmetterling in der Puppe nicht so erfolgt, dass<br />
am Kopf der Raupe Schmetterlingsaugen und eine gedrehte Zunge, am Rücken<br />
Flügel und anstatt der vielen Raupenbeine sechs Schmetterlingsbeine wachsen,<br />
sondern dass die Raupe völlig zerfällt und der in ihrem Körper vorhandenen<br />
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