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tion kämpften), noch immer (oder schon wieder) verdächtig: sie wurde mit der<br />
akademischen, realistischen Anschauungsweise bzw. mit der Kitschmalerei assoziiert,<br />
sie war also so oder so, aber auf alle Fälle retrograd und gesinnungslos.<br />
Der Realismus erwies sich also als eine gefährliche Waffe, gemäß der Formulierung<br />
<strong>Birkás</strong>’ „hat die figurative Malerei tatsächlich einen gewissen B-Kategorie-<br />
Charakter“. 23 Die Vertreter der „A-Kategorie“ wollten den Gesinnungswechsel<br />
von <strong>Birkás</strong> auch gar nicht wirklich verstehen; andere nahmen – fälschlicherweise<br />
– an, dass diese Bilder besser wie die früheren zu verkaufen seien. Den<br />
Wandel jedoch löste abermals das Ergebnis eines bewussten Nachdenkens über<br />
die Rolle und Möglichkeiten der Malerei an der Schwelle zum 21. Jh. aus. Als<br />
offensichtliche und wirksame künstlerische Ausdrucksform trat die figurative<br />
Malerei in Erscheinung, die die Isolation der Elitekunst durchbrach. Die neuen<br />
Bilder wurden mit der Zeit sowohl hinsichtlich der Ausstellungen als auch der<br />
Sammlungen in einen neuen Kontext gestellt: Eine jüngere Generation, die in<br />
der neuen visuellen Periode durch die elektronischen Medien sozialisiert wurde,<br />
begann sich für sie zu interessieren, was die Erwartungen von <strong>Birkás</strong> in Zusammenhang<br />
mit der gesellschaftlichen Rolle und des Wirkungsmechanismus der<br />
neuartigen Bilder bestätigte.<br />
Die neuen „Gesichter“ knüpften anfänglich dennoch unmittelbar an die Ovale an.<br />
Die symmetrische Struktur, die auf zwei Bildteilen beruht, wurde beibehalten;<br />
die Größe der Leinwand sowie die Proportion zwischen Motiv und Hintergrund<br />
sind fast identisch mit denen der abstrakten Kopfbilder. Das Thema der Bilder ist<br />
das Verhältnis der zwei Hälften zueinander, ihr Gegensatz bzw. ihre mögliche<br />
Einheit. Das menschliche Gesicht ist aber ein dermaßen grundlegendes Wahrnehmungsschema,<br />
das, wenn seine Einheit gestört wird, wenn zwei verschiedene<br />
Gesichtshälften aneinander gefügt werden, unweigerlich auch Assoziationen zu<br />
verschiedenen Persönlichkeitstypen hervorruft. Diese Bilder evozieren deshalb<br />
oft eine psychologisierende Interpretation hinsichtlich der Beziehung der beiden<br />
Individuen zueinander. Aus dem Blickwinkel des Künstlers bereitete hingegen<br />
die geschlossene Bildstruktur die größten Schwierigkeiten, da sie ihm viel weniger<br />
Freiheiten einräumte, als er erwartet hätte. Binnen einiger Jahre (1999–2001)<br />
absolvierte er sein Programm für die Bilder mit den doppelten Gesichtern: Die<br />
ersten Porträts sind noch stark modelliert und sorgsam zusammengesetzt, werden<br />
dann lebendiger, flächenhafter und weisen graphische Merkmale auf. Gleichzeitig<br />
gelangte das Verhältnis der beiden Hälften zueinander an seine möglichen<br />
Grenzen (Frau-Mann, offen-geschlossen usw.), bis sich schließlich die Einheit der<br />
beiden Teile ganz auflöste: Die Gestalten der Bilder verselbständigen sich und<br />
erscheinen in einem ausgedehnteren Raum.<br />
Ab dann kann von einer Radikalisierung der Kunst <strong>Birkás</strong>’ gesprochen werden.<br />
Das bedeutete zudem das definitive Ende seiner Kopf-Periode, wodurch sich eine<br />
neuere Entwicklung entfalten konnte. Dieser Prozess zielte sowohl wegen seiner<br />
Thematik, als auch mit seiner Erscheinungsform auf die Hervorbringung einer<br />
zeitgenössischen realistischen Malerei ab. In der ersten Phase wählte er im Gegensatz<br />
zu seiner bisherigen Praxis ein so breites Bildformat, das auch die Ausmaße<br />
____________<br />
23 Ebd.<br />
einer Kinoleinwand oder die der neuen Monitore überschritt. Den undefinierbaren<br />
Raum füllte er montageartig mit nebeneinander placierten Figuren sowie<br />
mit den Bildern der Personen (seine Kinder, Schüler und Bekannte), die er schätzt<br />
und kennt. Diese malte er anhand von kleinformatigen farbigen Fotos, wobei er in<br />
vieler Hinsicht auch auf die Welt des Filmes Bezug nahm. Die Posenhaftigkeit der<br />
Porträts verschwand endgültig, denn die Momentaufnahmen halten die kleinsten<br />
Regungen, die Mimik und die geringsten Bewegungen der Gesichter fest. Die popigen<br />
Farben (ob im Haar oder im Gesicht der Modelle) deuten auf die modische<br />
und künstliche Farbwelt der Reklame sowie der Fernsehstudios hin. Die Geste,<br />
mit der sich das Modell dem Objektiv bzw. Künstler, der das Bild anfertigt, zuwendet,<br />
erzeugt eine ungezwungene, kommunikative, aber handlungslose Situation,<br />
die auf der Amateure-Fotografie basiert. Das Gemälde, das dem abstrakten,<br />
symmetrischen, auf das Problem des Mittelpunktes – räumlich nach Innen hin<br />
– aufgebauten Bildtypus thesenhaft widerspricht, wird so erstmals realisiert.<br />
<strong>Birkás</strong> brach unwiderruflich mit seiner isolierten, introvertierten künstlerischen<br />
und menschlichen Haltung, die durch seine osteuropäischen Erfahrungen determiniert<br />
war. Die lächelnden und Grimassen schneidenden jungen Gesichter vermitteln<br />
ein impulsives, befreiendes und extrovertiertes Gefühl.<br />
Als <strong>Birkás</strong> diesen Freiheitsgrad erreichte, forschte er in Richtung bildliche Bedeutung<br />
weiter. Ein erweiterter Kontext konnte in erster Linie auf Grund der Miteinbeziehung<br />
und Interpretation des Hintergrundes zum Vorschein kommen. Vor<br />
den Köpfen tauchten anfangs monumentale Gesichtsteile und sprechende Münder<br />
in der Größe von Riesenplakaten auf, wo die „übermenschlichen“ Dimensionen<br />
auf eine <strong>Art</strong> Machtsituation anspielen. Auf den nachfolgenden Bildern verfügt<br />
das Rauch-Motiv schon über eine gegenständlichere Bedeutung und lässt so<br />
die Anspielungen auf Naturkatastrophen, Kriege und Terrorhandlungen erahnen.<br />
In den Werken zeigt sich erneut ein grundsätzlicher Gegensatz, die Opposition<br />
zwischen Vorder- und Hintergrund. In der Nähe zum Betrachter des Bildes finden<br />
sich weiterhin die wohlbekannten Gesichter, in der Tiefe des Bildes sieht man<br />
jedoch in die Luft gesprengte Autobusse, in Flammen stehende Militärfahrzeuge<br />
und brennende Öltürme. Der Hintergrund wird immer konkreter. Die aus den<br />
Zeitungen und dem Fernsehen entnommenen Szenen, die Bilder von zerschossenen<br />
Städten und Soldaten bei Militärübungen stellen jedoch keine reale, sondern<br />
eine sekundäre (manchmal eine mit dem Kopf nach unten gekehrte) Wirklichkeit<br />
(auf mehreren Bildern gleich einer Fata Morgana) dar, die dem von den<br />
Medien vermittelten kollektiven und globalen Wissen, dem kollektiven Gewissen<br />
ähnelt. Die Aggression und der Schmerz (wie z. B. die Gräuel des irakischen und<br />
libanesischen Krieges, die Völkermorde, die Folterung der Gefangenen, das Geiseldrama<br />
in Beslan, der Terror und die Gewalt) beschränken sich auf den virtuellen<br />
Raum. Die beiden Teilbereiche und Themen grenzen sich durch die Farben<br />
und Malweise streng voneinander ab. Die Figuren im Vordergrund verkörpern die<br />
vertraute Alltagsrealität, doch die Simultanität der Hintergrundszenen wirkt Besorgnis<br />
erregend. (In Bezug darauf verweist <strong>Birkás</strong> meist auf die Sacra Conversazione,<br />
ein Bildtypus der Renaissance, wo die kontemplativen Heiligen unabhängig<br />
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