Internet-Protokoll (oeff) Plenum - RIS
Internet-Protokoll (oeff) Plenum - RIS
Internet-Protokoll (oeff) Plenum - RIS
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Landeshauptstadt<br />
München<br />
Wortprotokoll<br />
über die 51. Sitzung der<br />
Vollversammlung des Stadtrates<br />
der Landeshauptstadt München<br />
vom 01. Februar 2012<br />
(öffentlich)<br />
Oberbürgermeister<br />
Ude<br />
2. Bürgermeisterin Strobl<br />
3. Bürgermeister Monatzeder<br />
bfm. Stadtratsmitglieder<br />
siehe Anwesenheitsliste<br />
ea. Stadtratsmitglieder<br />
siehe Anwesenheitsliste<br />
ferner<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
der Verwaltung<br />
<strong>Protokoll</strong><br />
Althof, Peisl, Bock, Strzelczyk, Frei, Preßler
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 2 -<br />
Anwesenheitsliste der Vollversammlung<br />
Oberbürgermeister Ude<br />
Bürgermeisterin Strobl<br />
Bürgermeister Monatzeder<br />
Ehrenamtliche Stadtratsmitglieder:<br />
SPD:<br />
StR Amlong<br />
StRin Dr. Anker<br />
entschuldigt<br />
StR Dr. Assal<br />
StR Dr. Bauer<br />
StR Belik<br />
StRin Boesser<br />
StRin Dietl<br />
StR Fincan<br />
StR Gianacacos<br />
StR Gradl<br />
StRin Hacker<br />
entschuldigt<br />
StR Kaplan<br />
StR Leonhart entschuldigt<br />
StR Liebich<br />
StR Lischka<br />
StR Lotte<br />
StRin Messinger<br />
StR Mittermaier<br />
StR Müller<br />
StR Reissl<br />
StRin Renner<br />
ab 10:20 Uhr<br />
StRin Rieke<br />
StR Rupp
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 3 -<br />
StRin Salzmann<br />
StRin Scheuble-Schaefer<br />
StR H. Schmid entschuldigt<br />
StRin Schmitt<br />
entschuldigt<br />
StRin Dr. Sieber<br />
StRin Dr. Söllner-Schaar<br />
StRin Tausend<br />
StRin Volk<br />
StRin Zurek<br />
CSU:<br />
StR Dr. Babor<br />
StR Brannekämper<br />
StRin Burkhardt<br />
StRin Caim<br />
StR Dr. Kronawitter entschuldigt<br />
StR Kuffer entschuldigt<br />
StRin Dr. Menges entschuldigt<br />
StR Offman<br />
StRin Dr. Olhausen<br />
StR Podiuk<br />
StR Pretzl entschuldigt<br />
StR Quaas entschuldigt<br />
StR Schlagbauer entschuldigt<br />
StR J. Schmid<br />
StR Schmidbauer<br />
StRin Schmucker<br />
StR Seidl entschuldigt<br />
StR Stadler<br />
StR Weiß<br />
StRin Wittmann<br />
StR Zöller<br />
StR Zöttl
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 4 -<br />
Bündnis 90/Die Grünen:<br />
StR Benker<br />
StR Bickelbacher<br />
StRin Demirel<br />
StRin Dietrich<br />
StRin Koller<br />
StRin Krieger<br />
StRin Nallinger<br />
StR Dr. Roth<br />
StR Schwartz<br />
StR Dr. Vogel<br />
FDP:<br />
StR Dr. Bertermann entschuldigt<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann<br />
StR Dr. Mattar<br />
StRin Neff<br />
StRin Stock<br />
DIE LINKE.:<br />
StR Akman<br />
StRin Henn<br />
StRin Wolf<br />
ÖDP:<br />
StR<br />
Ruff<br />
Rosa Liste:<br />
StR<br />
Niederbühl<br />
Freie Wähler:<br />
StR<br />
Altmann
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 5 -<br />
Bayernpartei:<br />
StR<br />
Progl<br />
Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA):<br />
StR<br />
Richter<br />
Parteilos:<br />
StRin Sabathil<br />
Berufsmäßige Stadtratsmitglieder:<br />
StR Dr. Blume-Beyerle i. V. StDirin Vollmer<br />
StR Dr. Böhle i. V. Dr. Beyerle<br />
i. V. StDir Markwardt<br />
StRin Hingerl<br />
StR Dr. Küppers i. V. StDir Biebl<br />
StR Lorenz<br />
StRin Meier<br />
StBRin Prof. Dr. (I) Merk<br />
StR Reiter<br />
StSchR Schweppe i. V. Herr Dr. Tress<br />
StK Dr. Wolowicz
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 6 -<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
BMin Strobl: ......................................................................................................................................................9<br />
Bezirkssportanlage Rudolf-ZornStraße 15.............................................................................................................9<br />
BMin Strobl: ......................................................................................................................................................9<br />
Errichtung einer 3-gruppigen Kinderkrippe an der Gustav-Meyrink-Straße<br />
im 21. Stadtbezirk Pasing Obermenzing .............................................................................................................10<br />
BMin Strobl: ....................................................................................................................................................10<br />
StR Podiuk: .....................................................................................................................................................10<br />
BMin Strobl: ....................................................................................................................................................10<br />
Wohnungspolitisches Handlungsprogramm „Wohnen in München V“ ................................................................11<br />
Neue Wege in der Wohnraumversorgung für unsere älteren Bürgerinnen und Bürger ......................................11<br />
Zukunft des geförderten Wohnungsbaus in München .........................................................................................11<br />
StBRin Prof. Dr. (I) Merk: ................................................................................................................................11<br />
BMin Strobl: ....................................................................................................................................................13<br />
StRin Wolf: ......................................................................................................................................................13<br />
StR Zöller: .......................................................................................................................................................14<br />
StR Dr. Mattar: ................................................................................................................................................15<br />
StRin Tausend: ...............................................................................................................................................17<br />
StR Ruff: .........................................................................................................................................................18<br />
StRin Krieger: .................................................................................................................................................18<br />
StBRin Prof. Dr. (I) Merk: ................................................................................................................................19<br />
StR Dr. Mattar: ................................................................................................................................................21<br />
StRin Krieger: .................................................................................................................................................21<br />
StR Zöller: .......................................................................................................................................................21<br />
StRin Tausend: ...............................................................................................................................................22<br />
Ratsbegehren „3. Start- und Landebahn am Flughafen München“<br />
Beschluss über die Durchführung eines Bürgerentscheids.................................................................................23<br />
StRin Dietrich:.................................................................................................................................................23<br />
StRin Wolf: ......................................................................................................................................................27<br />
StR Reissl: ......................................................................................................................................................29<br />
StR Dr. Mattar: ................................................................................................................................................32<br />
StR Lischka: ...................................................................................................................................................43<br />
StRin Dietrich: ................................................................................................................................................44<br />
Mit der NPD auch die BIA verbieten.....................................................................................................................45<br />
StR Reissl: ......................................................................................................................................................45<br />
StR Benker: ....................................................................................................................................................48<br />
StR Akman: .....................................................................................................................................................52<br />
StR Richter: ....................................................................................................................................................53
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 7 -<br />
StR J. Schmid: ................................................................................................................................................55<br />
OBM Ude: .......................................................................................................................................................57<br />
StR Offman: ....................................................................................................................................................59<br />
StR Benker: ....................................................................................................................................................60<br />
StR Richter: ....................................................................................................................................................61<br />
BM Monatzeder: .............................................................................................................................................62<br />
StRin Sabathil:.................................................................................................................................................62<br />
BM Monatzeder: .............................................................................................................................................62<br />
StR Dr. Mattar: ................................................................................................................................................62<br />
StR Reissl: ......................................................................................................................................................62<br />
OBM Ude: .......................................................................................................................................................63<br />
BM Monatzeder: .............................................................................................................................................63<br />
Top Level Domain „.münchen“.............................................................................................................................64<br />
StR Amlong: ....................................................................................................................................................64<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann: ..................................................................................................................................65<br />
StR Amlong: ....................................................................................................................................................66<br />
Bürgerrechte schützen - Aufruf „Dresden nazifrei 2012“......................................................................................67<br />
StRin Henn: ....................................................................................................................................................67<br />
StR Richter: ....................................................................................................................................................69<br />
StR Benker: ....................................................................................................................................................69<br />
Finanzierungskonzept der Städtisches Klinikum München GmbH;.....................................................................71<br />
StRin Dietrich: ................................................................................................................................................71<br />
StRin Dr. Olhausen: ........................................................................................................................................71<br />
StR Akman: .....................................................................................................................................................72<br />
Bfm. StR Lorenz: ............................................................................................................................................72<br />
StK Dr. Wolowicz: ...........................................................................................................................................72<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann: ..................................................................................................................................72<br />
Förderung des Trägers Lilalu e.V.........................................................................................................................74<br />
StR J. Schmid: ................................................................................................................................................74<br />
BMin Strobl: ....................................................................................................................................................74<br />
OBM Ude: .......................................................................................................................................................74<br />
Bfm. StRin Meier: ...........................................................................................................................................74<br />
2. Stammstrecke - Forderungen des Freistaats Bayern......................................................................................76<br />
OBM Ude: .......................................................................................................................................................76<br />
StR Bickelbacher: ...........................................................................................................................................84<br />
StR Reissl: ......................................................................................................................................................86<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann: ..................................................................................................................................89<br />
BM Monatzeder: .............................................................................................................................................90<br />
StR J. Schmid: ................................................................................................................................................90
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 8 -<br />
BM Monatzeder: .............................................................................................................................................92<br />
StR Reissl: ......................................................................................................................................................92<br />
BM Monatzeder: ...........................................................................................................................................101
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 9 -<br />
Öffentliche Sitzung<br />
Beginn:<br />
Vorsitz:<br />
09:06 Uhr<br />
BMin Strobl<br />
Tu 1/ A - Ho<br />
BMin Strobl:<br />
Ich weise darauf hin, dass die Tischvorlage, die durch das Planungsreferat ergänzt wurde, vorliegt.<br />
Ich schlage den Vortrag durch StBRin Prof. Dr. (I) Merk vor. Besteht damit Einverständnis?<br />
- (Es erhebt sich kein Widerspruch)<br />
Ich stelle fest, dass die Tagesordnungspunkte A 1 bis A 3 gemeinsam behandelt werden.<br />
Wie Sie wissen, wird Oberbürgermeister Ude erst aus Berlin erwartet, wir rechnen damit, dass er<br />
ungefähr um 10:00 Uhr da sein wird. Ich schlage daher vor, den Tagesordnungspunkt A 10 dann<br />
zu behandeln.<br />
Bezirkssportanlage Rudolf-ZornStraße 15<br />
Aktensammlung Seite 5377<br />
BMin Strobl:<br />
Zu Tagesordnungspunkt 11 informiere ich Sie, dass dieser Punkt im Ausschuss für Bildung und<br />
Sport abgesetzt wurde. Wir müssen jedoch heute darüber beschließen, weil es um notwendige<br />
Baumfällarbeiten geht.<br />
Der Antrag des Referenten wird ohne weitere Diskussion einstimmig<br />
beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 10 -<br />
Errichtung einer 3-gruppigen Kinderkrippe an der Gustav-Meyrink-Straße<br />
im 21. Stadtbezirk Pasing Obermenzing<br />
Dringlichkeitsantrag Nr. 3080 und Sitzungsvorlage 8470<br />
Aktensammlung Seite 5379<br />
BMin Strobl:<br />
Zum Teil C 1der Tagesordnung liegt uns der Dringlichkeitsantrag des Referates vor.<br />
Der Fall müsste eigentlich auch auf die Tagesordnung genommen werden, denn auch hier geht es<br />
um Baumfällarbeiten. Weil dieser Fall auch im Ausschuss für Bildung und Sport abgesetzt worden<br />
ist, muss der Punkt heute behandelt werden. Spricht sich jemand gegen die Dringlichkeit aus?<br />
- (Es erhebt sich kein Widerspruch)<br />
StR Podiuk:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen, wir remonstrieren ausdrücklich nicht! Ich will nur<br />
vermeiden, dass daraus ein Präzedenzfall entsteht. Es war bereits am vergangenen Mittwoch klar,<br />
dass alle für heute angesetzten Ausschüsse abgesagt werden müssen. Aus diesem Grund hätten<br />
diese Punkte auf die Tagesordnung der heutigen Vollversammlung gesetzt werden müssen. Am<br />
Freitag hätte ordnungsgemäß dazu geladen werden können. Dieser Fall wäre also im klassischen<br />
Sinn nicht dringlich. Es kann aber nicht sein, dass eine Dringlichkeit entsteht, wenn Sie nicht laden.<br />
Offensichtlich handelt es sich um ein Versehen der Verwaltung. Die Gemeindeordnung sieht das<br />
so nicht vor, aber ich remonstriere ausdrücklich nicht.<br />
BMin Strobl:<br />
Gibt es weitere Wortmeldungen zum Dringlichkeitsantrag? Ich stelle fest, es gibt keine. Wünschen<br />
Sie die gesonderte Behandlung? - (Zwischenrufe von verschiedenen Seiten: Gleich beschließen!)<br />
Der Antrag des Referenten wird gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/<br />
Die Grünen und Rosa Liste beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 11 -<br />
Die Tagesordnungspunkte A 1 bis A 3 werden gemeinsam beraten:<br />
Wohnungspolitisches Handlungsprogramm „Wohnen in München V“<br />
u n d<br />
Neue Wege in der Wohnraumversorgung für unsere älteren Bürgerinnen und Bürger<br />
u n d<br />
Zukunft des geförderten Wohnungsbaus in München<br />
Aktensammlung Seite 5347 bis 5361<br />
StBRin Prof. Dr. (I) Merk:<br />
Frau Bürgermeisterin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben uns bemüht, die Anträge<br />
Punkt für Punkt aus unserer Sicht abzuhandeln und Ihnen zu erläutern. Ich bitte Sie um Nachsicht,<br />
dass wir die Tischvorlage erst gestern hinausschicken konnten. Wir wollten die Anträge jedoch<br />
so abarbeiten, damit Sie dies nachvollziehen können. Ich will nur auf die wesentlichen Punkte<br />
eingehen und beginne mit dem Antrag von DIE LINKE.:<br />
Wir haben Punkte, die sich aus unserer Sicht von selbst verstehen, beispielsweise Ziffer 2, behandelt.<br />
Wir haben noch einmal erläutert, dass diese geforderte Abwägung sowieso in unserer<br />
Vorgehensweise vorgesehen ist. Bei Ziffer 5 handelt es sich tatsächlich um ein Missverständnis.<br />
Frau Wolf, diese Kinderkomponente als Freibetrag in Form von 5.000 € ist vorgesehen. Das war<br />
wohl in unserer Beschlussvorlage nicht ganz klar dargestellt. Aus diesem Grund haben wir das mit<br />
dem Wort „ergänzt“ vervollständigt. Die Erhöhung der Förderquoten auf städtischen Flächen können<br />
wir so nicht mittragen. Das spricht aus unserer Sicht gegen die gewollte Mischung. Zu Ziffer<br />
12, Flächenrestriktionen: Ich hätte dazu den Vorschlag, dass wir diesen Punkt aufgreifen, aber<br />
dann im Rahmen einer anderen Beschlussvorlage darüber berichten, wenn wir uns mit den Flächen<br />
beschäftigen. Das können wir in dieser Form hier nicht abhandeln.<br />
Die Verdrängungsprozesse durch energetische Sanierung beinhalten sicher eine wichtige Fragestellung.<br />
Das konnte ich mit Frau Meier nicht noch einmal besprechen, aber eventuell wären wir in<br />
der Lage, einen Bericht über die Entwicklung zu liefern. Wir wollen aber jetzt davon absehen, umfangreiche<br />
wissenschaftliche Studien auszuarbeiten. Ich habe es so verstanden, dass Sie von uns<br />
in gewissen Abständen informiert werden wollen. Ich glaube, das können wir gemeinsam versuchen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 12 -<br />
Zum Änderungsantrag der ÖDP: Die Punkte, die sich auf die energetische Sanierung und den<br />
Fernwärmeeinsatz beziehen, behandeln wir direkt in den jeweiligen Beschlüssen zu den einzelnen<br />
Gebieten. Insofern sind wir jetzt bei den energetischen Punkten Ziffer 34 und 35 der Auffassung,<br />
dass sie an anderer Stelle zum Tragen kommen. Auf die Solarinitiative weisen wir immer explizit<br />
hin. Wir haben auch in der Lokalbaukommission (LBK) einen eigenen Ansprechpartner, der mit der<br />
Initiative zusammenarbeitet, so dass wir die Möglichkeit haben, einmal die Bauwerber zu beraten,<br />
wenn wir in den Bauanträgen erkennen, dass es größere „Portionen“ sein könnten. Wir arbeiten<br />
aber direkt mit der Gesellschaft zusammen. Eine eigene Beratungsstelle im Sozialreferat wird nicht<br />
eingerichtet. Das ist auch so nicht vorgesehen gewesen. Das war wohl ein Missverständnis. Die<br />
Beratungsstelle, die wir beantragen, wird im Planungsreferat angesiedelt sein.<br />
Die Freiflächenorientierungswerte erscheinen mir von großer Bedeutung. Das ist ein Thema, das<br />
wir in jedem Projekt im Einzelfall prüfen und zu sehr differenzierten Handhabungen kommen. Das<br />
ist aber jeweils bezogen auf den konkreten Fall, und das tragen wir Ihnen in den Bebauungsplanverfahren<br />
mit den Beschlüssen dazu vor. Das ist bei den Eckdaten, aber auch hinterher in den<br />
Satzungsbeschlüssen nachvollziehbar. Herr Stadtrat J. Schmid, Entschuldigung, das gehörte<br />
schon zu den CSU-Anträgen, ich war etwas zu schnell, aber Sie haben es gemerkt.<br />
Beim Stellplatzschlüssel hatte ich in der Beschlussvorlage vorgeschlagen, wenn wir zu einem<br />
Vorschlag kommen, werden wir dazu in einer gesonderten Beschlussvorlage im Stadtrat vortragen.<br />
Insofern haben wir im Paket „Wohnen in München V“ das Thema Stellplatzschlüssel nicht unterschlagen,<br />
sondern wir haben uns nicht in der Lage gesehen, so ein kompliziertes und strittiges<br />
Thema hineinzupacken. Wir haben uns gesagt, wir beschäftigen uns damit und werden mit einer<br />
eigenen Beschlussvorlage in den Stadtrat gehen, wenn es notwendig ist. Ich bitte Sie, das so zu<br />
verstehen. Die Freiflächenorientierungswerte hatte ich schon angesprochen.<br />
Wenn es bei den Förderquoten weiteren Diskussionsbedarf gibt, muss man das an eigener Stelle<br />
besprechen, denn das richtet sich auf die Thematik der Umstrukturierungsverfahren. Wie Sie wissen,<br />
arbeiten wir momentan an einigen Einzelfällen und überlegen, wie das gut funktionieren<br />
könnte. Das können wir nicht nur pauschal abarbeiten. Ich denke auch nicht, dass wir in dieser<br />
Form zu einem Regelwerk kommen können. Es muss auf jeden Fall ein gesondertes Verfahren<br />
sein. Wir brauchen das als Grundlage für alle Verfahren.<br />
Die Erhaltungssatzung sehen wir anders: Sie soll erhalten bleiben und nicht gestrichen werden.<br />
Bei den Personalzuschaltungen hat das Personal- und Organisationsreferat sehr gut dargestellt,<br />
weshalb die Umsetzung 1 : 1 nicht sinnvoll ist.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 13 -<br />
Die Verknüpfung zur langfristigen Siedlungsentwicklung kann ich sehr gut nachvollziehen, das sehen<br />
wir selbst auch so, aber wir sind der Auffassung, dass dies in dieser Beschlussvorlage zeitlich<br />
und örtlich nicht „richtig“ wäre. Wir müssen darüber im Laufe dieses Jahres diskutieren und den<br />
Stand in einer eigenen Beschlussvorlage im Stadtrat einbringen. Das werden wir mit Sicherheit so<br />
handhaben.<br />
Änderungs- und Ergänzungsantrag der FDP-Fraktion:<br />
Vor dem Hintergrund der KomPro A/B/C-Problematik können wir diese Änderungsanträge nicht<br />
aufgreifen oder unterstützen. Die Zielgruppenerweiterung ist aus unserer Sicht angemessen, ansonsten<br />
würden wir den Förderkorridor verlassen. Die Vergabeverfahren erachten wir für notwendig.<br />
Wir haben uns in den vergangenen Jahren immer wieder intensiv damit auseinandergesetzt<br />
und Ihnen vorgestellt, dass eine konzeptionelle Entwicklung aus unserer Sicht einfach zielführender<br />
ist.<br />
Die Erbbaurechte sind vom Kommunalreferat ausführlich dargestellt worden. Vielleicht der wichtigste<br />
Punkt, dieses „Umswitchen“ von der Objektförderung auf eine stärkere Subjektförderung:<br />
Darauf haben wir einen anderen Blick. Bei einer zunehmenden Subjektförderung könnten wir den<br />
möglichen Einfluss auf das Mietpreisniveau nicht nachhaltig erwirken, und die Mieten würden<br />
trotzdem steigen. Wir müssten immer mehr versuchen, diese Differenzen auszugleichen. Insofern<br />
können wir diese Punkte für uns nicht positiv sehen.<br />
Ich glaube, das waren die Hauptbestandteile. Ich bitte noch einmal um Nachsicht, dass dies in der<br />
Ausführlichkeit nicht eher möglich war.<br />
BMin Strobl:<br />
Vielen Dank für die Einführung.<br />
StRin Wolf:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Frau Prof. Dr. Merk, ich nehme zur Kenntnis,<br />
dass viele unserer eingebrachten Punkte in einem anderen Rahmen weiter diskutiert werden. Ich<br />
will es deshalb auch dabei belassen. Ich will jedoch noch auf einen Punkt eingehen, die Erhöhung<br />
der städtischen Förderquote auf 60 %:<br />
Mit „Wohnen in München V“ werden zwei weitere Förderstufen eingeführt. In der Vorlage ist dargestellt,<br />
dass dann ungefähr 60 % der Haushalte unter diese Förderstufe fallen. Deswegen ist<br />
unser Antrag richtig, die Förderquoten auf 60 % zu erhöhen, gerade mit dem Vorschlag, die
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 14 -<br />
Münchner Mischung in den Neubaugebieten zu erhalten und abzubilden. Im Moment ist die Förderquote<br />
mit 50 % gedeckelt. Wenn man das auf die Zahl der Haushalte in München, die unter<br />
diese Förderstufe fallen, umrechnet, würde das eben nicht mehr das Abbild der Münchner Mischung<br />
ergeben. Deswegen bitte ich, dass dieser Punkt der Förderquote als Antrag aufrechterhalten<br />
bleibt. Ich bitte um gesonderte Abstimmung. Danke!<br />
StR Zöller:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen, es ist natürlich schon ein Problem, wenn man zu<br />
so gründlich ausgearbeiteten Änderungsanträgen eine Tischvorlage bekommt und im Grunde nicht<br />
in der Lage ist, das noch einmal entsprechend gründlich durchzuarbeiten. - (Zwischenruf) - Wir<br />
hätten es gestern vielleicht schon per E-Mail bekommen können, obwohl ich kein Freund von<br />
E-Mails bin.<br />
Zu einigen Punkten, die wir noch einmal ansprechen müssen: Frau Prof. Dr. Merk, vorweg hätten<br />
wir erwartet, dass Sie diese Anträge, die wir zur Gesamtproblematik Umwandlung von Kerngebietsbereichen<br />
in Wohnbaugebietsbereiche gestellt haben und die damit verbundenen Überlegungen<br />
zur SoBoN in Ihren Anträgen aufgegriffen hätten und nicht einfach nur mitteilen: Dazu<br />
können wir jetzt nicht viel sagen. Ich wiederhole: Ich rege an, und das entspricht dem Wunsch<br />
unserer Fraktion, dass Sie Ihren Antrag so ändern, damit diese Anträge von uns aufgegriffen bleiben<br />
und noch einmal gesondert behandelt werden. Ansonsten sehen wir uns gezwungen, jeweils<br />
eigene Anträge zu stellen. Ob dieser hohe Arbeitsaufwand sinnvoller ist, mögen Sie bitte selbst<br />
entscheiden.<br />
Zur Umwandlungsproblematik der Kerngebietsbereiche im Wohnungsbau: Meiner Ansicht nach<br />
überfrachtet man in der referatsinternen oder auch in der übergreifenden Diskussion diese Problematik<br />
mit zu viel Hemmnissen. Zum Unterschied SoBoN klassischer Art, die wir in den 90er Jahren<br />
beschlossen haben, und dem, was sich im Augenblick anbietet, will ich erläutern: Die SoBoN<br />
geht und ging von dem Grundgedanken eines Grundstücks ohne Baurecht aus, das durch die<br />
städtische Planung und Aufstellung von Bebauungsplänen wertvoller wird. Begünstigte Grundstückseigentümer<br />
sollen einen Teil der damit verbundenen Nachfolgelasten zahlen, und zwar bis<br />
zu zwei Dritteln des dahinterstehenden Wertes.<br />
Wir haben in den 90er Jahren über diesen Ausgangspunkt der SoBoN-Überlegungen diskutiert,<br />
und es gab sogar eine eigene Kommission zur Bearbeitung dieser Problematik. Nachdem 1994<br />
kurz vor der Auflösung des Stadtrates eine Beschlussvorlage durchgepeitscht wurde, die widersinnig<br />
war, hat das dazu geführt, dass ein Jahr lang überhaupt keine Bebauungspläne erstellt
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 15 -<br />
werden konnten, weil kein Grundstückseigentümer die sogenannte Grundzustimmung unterschrieben<br />
hat. Dann wurde 1995 die SoBoN-Kommission gegründet, und man hat eine vernünftige<br />
Regelung getroffen, die weitgehend konsensfähig war. Das ist der Sinn dieser SoBoN.<br />
Bei der Problematik, vor der wir hier stehen, geht es um etwas völlig anderes. Es gibt ein gewisses<br />
Zeitfenster, von dem wir nicht wissen, wie lange es geöffnet bleibt, in dem Investoren mit Baurecht<br />
für den Bau von Büroräumen sagen, wir hätten diese Planungen wegen fehlender Nachfrage nicht<br />
realisiert, wollen aber stattdessen Wohnungen bauen. Damit haben wir eine völlig andere Situation!<br />
Wir wissen alle nicht, wie lange diese Situation noch bestehen bleibt, insbesondere, wenn<br />
man sich den Grundstücksmarkt in München in den letzten Jahren ansieht. Man weiß, dass es um<br />
ein dauerndes Hin und Her geht zwischen dem Bedürfnis von Investoren, Wohnungen zu bauen<br />
oder die Nachfrage nach Büroräumen zu befriedigen. Im Augenblick gibt es wieder eine große<br />
Nachfrage nach Wohnungen und weniger für neu zu bauende Büroflächen. Im Gegensatz zur<br />
klassischen SoBoN haben wir hier die Situation, dass für diese Grundstücke bereits Baurecht besteht.<br />
Jetzt geht es um die Frage, welche Regularien man findet, um das in Wohnungsbaurecht<br />
umzuwandeln. Wir wissen alle, dass dies etwas kompliziert ist. Deswegen glaube ich, dass man<br />
hier eigene Regularien finden muss, um diese Chance - ich sage ausdrücklich, es ist eine Chance<br />
- wahrnehmen zu können. Aus diesem Grund noch einmal: Frau Dr. Merk, greifen Sie unsere<br />
Anträge bitte auf und behandeln Sie sie weiter, sonst beantragen wir das alles noch einmal neu.<br />
Stellplatzschlüssel: Frau Prof. Dr. Merk, Sie haben das gerade so dargestellt, als ob bei einer Veränderung<br />
der Stellplatzschlüssel der Stadtrat beschlussmäßig noch einmal einbezogen wird. In der<br />
Vorlage steht es anders, ich lese es so, dass der Stadtrat eben nicht mehr befasst wird, sondern<br />
Sie bei jedem neuen Projekt, das geplant wird, verwaltungsintern den Stellplatzschlüssel ohne<br />
Einbeziehung des Stadtrates verändern. Wenn Sie das nicht wollen, sondern Sie den Stadtrat jeweils<br />
damit befassen wollen, weiß ich nicht, was sich ändern soll, denn es ist schon so. Ich bitte<br />
Sie, das noch einmal klarzustellen, sonst werden wir weiterhin gegen diesen Punkt stimmen. Hier<br />
ist Aufklärungsbedarf gegeben.<br />
Das sind die wesentlichen Punkte, ich habe, glaube ich, nichts vergessen. Wir sind gespannt auf<br />
Ihre Reaktion. - (Beifall der CSU-Fraktion)<br />
StR Dr. Mattar:<br />
Frau Bürgermeisterin, meine Damen und Herren, wir hatten in den letzten Wochen die Grundsatzdebatte<br />
geführt. Ich will jedoch einen Aspekt noch einmal in Erinnerung rufen oder noch einmal<br />
erwähnen. Es wurde immer gesagt, und das ist fast schon ein Mantra in München: Wir machen
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 16 -<br />
viel, aber die Region viel zu wenig. Es ist sehr interessant, wenn man sich die Broschüre des Planungsverbands<br />
Äußerer Wirtschaftsraum vornimmt, wo wir als Stadt großen Einfluss haben. Über<br />
die Zeit von 1999 bis 2009 wird nachgewiesen, dass im Jahresdurchschnitt in München 5.605<br />
Wohnungen errichtet wurden, aber in den Landkreisen 7.519 Wohnungen. D. h., diese ständige<br />
Wiederholung, wir sind die Stars, und die Region macht nicht viel, ist nicht zu belegen und zu beweisen.<br />
Daher ist es unsere Aufgabe in München, mehr zu tun. Darauf sollten wir uns wirklich<br />
konzentrieren.<br />
Meine Damen und Herren, den fundamentalen Unterschied zwischen der FDP-Position mit der<br />
Subjektförderung unter Einführung eines kommunalen Wohngelds und dem Standpunkt des Restes<br />
im Stadtrat werden wir sicher heute nicht lösen. Ich glaube jedoch, man kann das gerade am<br />
Beispiel des Beitrages von Kollegin Wolf sehen. Es ist natürlich dann konsequent, 60 % Förderquote<br />
zu fordern und die Ghettoisierung ein Stück weiterzutreiben. Wir haben schon die Probleme<br />
bei 50 % in einigen Gebieten, und daher ist unser Ansatz wirklich die Münchner Mischung in allen<br />
Stadtteilen zu erreichen, indem man die Menschen allein entscheiden lassen sollte, wo sie hinziehen<br />
wollen. Man muss sie mit einem Wohngeld so ausstatten, dass sie das auch können. Wir haben<br />
das auch nachgewiesen. Wenn man 14 € oder 15 € für einen Neubau als Grundlage nimmt,<br />
entspricht das auch einem Teil. Die Neuvermietung im Bestand liegt, auch veröffentlicht von der<br />
Stadt, zwischen 12 € und 13 €. Wenn ich bei 12 € ein Wohngeld in Höhe von 5 € gebe, bin ich bei<br />
7 €. Das ist eine Mietbelastungsquote, und das haben wir in einer längeren Ausführung dargestellt,<br />
zwischen 25 % und 35 % der Nettoeinkommensbelastung durch die Bruttomiete. Da sind wir völlig<br />
konträr und werden auch nicht zusammenkommen.<br />
Das Argument, man könne mit 600 Wohnungen die Mieten in München beeinflussen, sticht nicht,<br />
denn wir verzichten nicht auf alle geförderten Wohnungen, sondern nur auf ein Drittel, die uns aber<br />
90 Mio. € pro Jahr kosten. Wir verzichten nur auf ein Drittel, also diese 600 Wohnungen. Wer<br />
glaubt, damit 700.000 Wohnungen im Bestand beeinflussen zu können, dem kann ich dabei nur<br />
viel Vergnügen wünschen. Daher gehen unsere Meinungen weit auseinander, und wir kommen<br />
wohl auch nicht zusammen. Deshalb bitte ich um punkteweise Abstimmung.<br />
Beim Stellplatzschlüssel kann ich mich nur anschließen. In Ihrem Vorschlag in Ziffer 27 steht, dass<br />
Sie eine Verwaltungsvorschrift anfertigen. Da müsste mindestens der Zusatz hinein, dass diese<br />
dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt wird, dann wäre es in Ordnung. - (Beifall der FDP-Fraktion)
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 17 -<br />
StRin Tausend:<br />
Frau Vorsitzende, Kolleginnen und Kollegen, ich darf mich kurz fassen und zunächst bei der Verwaltung<br />
bedanken, dass sie zu den kurzfristigen Änderungsanträgen der Fraktionen noch einmal<br />
Stellung genommen hat. Ich beziehe mich jetzt auf die Erläuterung von Frau Dr. Merk. Unter dieser<br />
Maßgabe würden wir dem Antrag so zustimmen. Besonders wichtig ist mir jedoch, dass das Thema<br />
Erhöhung der Neubauraten bei Wohnungsgesellschaften aufgegriffen bleibt, siehe Antrag der<br />
Partei DIE LINKE. Es ist ein wichtiges Thema, und wir wissen, dass von privater Seite zu wenig<br />
getan wird. Wir wissen, dass die eigenen Gesellschaften in der Verantwortung stehen, ausreichenden<br />
und auch bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wir sollten nicht untätig bleiben,<br />
um die Wohnungsbaugesellschaften in den Stand zu versetzen, dem auch nachkommen zu<br />
können. Ich bitte nachdrücklich darum, dass dieses Thema aufgegriffen bleibt und im Stadtrat gesondert<br />
behandelt werden kann. Mir ist auch wichtig zu Punkt 32 des Antrages der Partei DIE<br />
LINKE., dass wir das Thema potenzielle Verdrängungsprozesse durch energetische Gebäudesanierung<br />
vonseiten des Sozialreferates weiter beobachten und ggf. Gegenvorschläge entwickeln.<br />
Ich sehe zwar die Referentin momentan nicht, aber sie kann es dann im <strong>Protokoll</strong> nachlesen.<br />
Herr Kollege Zöller, mir ist auch wichtig, dass wir uns an geeigneter Stelle über die Problematik<br />
Umgang mit Umwandlungsgebieten, Kerngebietsflächen, Gewerbe- und Wohnungsbauflächen<br />
unterhalten. Ich glaube nicht, dass heute der richtige Zeitpunkt ist, und dies zur Diskussion über<br />
„Wohnen in München V“ günstig ist. Ich glaube, mit dieser Diskussion würden wir die heutige Diskussion<br />
überfrachten und uns auch überfordern. Ich gehe davon aus, dass keine fünf Personen im<br />
Raum genau wussten, welche Problematik Sie darstellten. Deswegen unterstütze ich Sie nachdrücklich<br />
darin, dass wir das Thema im Planungsausschuss gesondert beleuchten und uns mit den<br />
Konsequenzen auseinandersetzen. Schlussendlich geht es auch um die Frage, dass wir immer<br />
weniger klassische Neubaugebiete in privater Hand haben, denn im dicht besiedelten Münchner<br />
Raum handelt es sich immer häufiger um Umwandlungsfälle. Immer häufiger kann die klassische<br />
SoBoN nicht in Anwendung kommen. Dadurch bekommen wir Probleme auch im Nachweis für<br />
Grünflächen und vor allen Dingen im geförderten Wohnungsbau.<br />
Herr Dr. Mattar, wenn wir eine Münchner Mischung aufrechterhalten wollen, und keine Verdichtung<br />
von Wohnungsbauflächen nur auf städtischen Gebieten bekommen, was durchaus ein Problem<br />
sein könnte, wenn wir den Antrag von Frau Wolf hören, dann müssen wir uns dieser Problematik in<br />
Zusammenhang mit den Umwandlungsgebieten offensiv widmen. Aber, wie gesagt, nach sorgfältiger<br />
Vorbereitung durch das Referat im Planungsausschuss. Ich denke auch, es müssen Konzepte<br />
gefunden werden für den Umgang mit diesen Flächen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 18 -<br />
Bei der FDP hatte ich zur Idee des kommunalen Wohngeldes in der letzten Sitzung schon alles<br />
gesagt, was zu sagen war: Herr Dr. Mattar, das Geld, das Sie bereitstellen würden, reicht vielleicht<br />
im ersten Jahr. Schon im zweiten Jahr würde es nicht mehr ausreichen. Das kommunale Wohngeld<br />
ist nichts anderes als eine Einladung an die Vermieter, ihre Mieten beliebig zu erhöhen.<br />
- (Beifall von Rot-Grün) - Insofern, nehmen Sie es uns bitte nicht übel, werden wir Ihren Antrag ablehnen.<br />
StR Ruff:<br />
Frau Bürgermeisterin, ich hätte eingangs eine Frage an Sie zum Abstimmungsprozedere. Vielleicht<br />
wird das zur Klärung beitragen: Stimmen wir noch über die einzelnen Änderungsanträge ab?<br />
- (BMin Strobl: Selbstverständlich, über alle Änderungsanträge gesondert; teilweise auch nach<br />
Punkten, wenn das gewünscht wird.) - Dankeschön! Ich hatte in der letzten Sitzung des Stadtrates<br />
einen Änderungsantrag mit zwei Punkten gestellt. Es geht um die Anwendung von erneuerbaren<br />
Energien. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass in einem wohnungspolitischen Handlungsprogramm,<br />
das aus 46 Punkten besteht, die Zeichen der Zeit nicht erkannt werden, wenn das Thema<br />
erneuerbare Energien nicht auftaucht. Da kann auch das Argument nicht zählen, dass man diese<br />
Gebiete mit Fernwärme versorgen und offensichtlich den Stadtwerken ein Monopol erhalten will.<br />
Erneuerbare Energien sind meiner Meinung nach der Fernwärme vorzuziehen. Sie sind umweltfreundlicher<br />
und langfristig günstiger, und man ist nicht auf externe Energieträger wie z. B. australische<br />
Kohle oder russisches Gas angewiesen.<br />
Mein weiterer Punkt war die Förderung der Solarinitiative München. Hier schreibt die Referentin,<br />
eine unmittelbare Förderung der Solarinitiative München aus Mitteln des Wohnungsbaus sei nicht<br />
möglich. Das war auch gar nicht mein Ziel. Ich will keine finanzielle oder personelle Förderung, es<br />
geht mir darum, dass sich die beiden federführenden Referate, Referat für Arbeit und Wirtschaft<br />
und Referat für Stadtplanung und Bauordnung, miteinander verzahnen, um im Vorfeld der Planung<br />
bereits bei den Ausschreibungen Bedingungen und Möglichkeiten zu untersuchen, wie man die<br />
Solarinitiative voranbringt. Wir wissen, derzeit stockt der Ausbau bei der Solarinitiative etwas, vor<br />
allem weil bei den Bauvorhaben keine Rücksicht genommen wird und nicht im Vorfeld versucht<br />
wird, die Solarinitiative ins Boot zu holen. Deswegen will ich das aufrechterhalten. Vielen Dank!<br />
StRin Krieger:<br />
Kolleginnen und Kollegen, ich kann mich auch kurz fassen, denn wir haben letzte Woche bereits<br />
eingehend darüber diskutiert. Hinsichtlich der Änderungsanträge kann ich mich weitgehend der<br />
Position der SPD-Fraktion anschließen. Das Thema SoBoN ist sicher komplex, es muss daher intensiver<br />
diskutiert werden. Insofern macht es aus unserer Sicht keinen Sinn, es hier als Zusatz zu
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 19 -<br />
beschließen. Das Planungsreferat wird das Thema aufgreifen und kommunizieren, ob ein eigener<br />
Antrag gestellt werden muss. Uns ist ein großes Anliegen, dass darüber weiter diskutiert wird, um<br />
eine Lösung zu finden. Zum Thema Stellplatzschlüssel steht in der Vorlage, dass eine Verwaltungsvorlage<br />
eingebracht werden soll, denn so interpretiere ich das. Frau Prof. Dr. Merk kann sich<br />
dazu sicher noch einmal äußern. Bei uns wurde jedenfalls intern so diskutiert, und dann kann man<br />
sich noch einmal darüber unterhalten, wie das aussehen wird. Unsere Intention ist wahrscheinlich<br />
eine andere als die der CSU-Fraktion, aber die Diskussion werden wir in diesem Zusammenhang<br />
führen.<br />
Die Aspekte des CSU-Antrages zur langfristigen Siedlungsentwicklung sehen wir weiterhin als<br />
Vorgriff auf diese Diskussion, die eigentlich in dieser Woche erst beginnt. Insofern halten wir es<br />
nicht für sinnvoll, hier darüber zu beschließen.<br />
Zum Antrag von DIE LINKE.: Die Neubauquoten sind sicherlich ein wichtiger Aspekt. Wir glauben<br />
auch, dass sich die Wohnungsbaugesellschaften dieser Aufgaben intensiv annehmen sollten. Man<br />
muss aber sehen, ob sie die Kapazitäten haben, die Quoten zu erreichen. Uns ist es sehr wichtig,<br />
dass dies nicht zu Lasten der energetischen Sanierung geht, welche momentan sehr positiv umgesetzt<br />
wird. Dann müsste man einen Weg finden, um beides zusammenzubringen.<br />
Zum FDP-Antrag:<br />
Hierzu habe ich letzte Woche bereits mitgeteilt, dass er für uns nicht infrage kommt. Die unterschiedlichen<br />
Aspekte will ich nicht noch einmal wiederholen.<br />
Antrag der ÖDP:<br />
Dem letzten Punkt, Solarinitiative, werden wir zustimmen. Ich glaube auch, er war nicht so gemeint,<br />
dass irgendwelche Fördermittel zur Verfügung gestellt werden sollen. Es geht nur darum, zu<br />
betonen, dass die Solarinitiative in die Planungsprozesse intensiv einbezogen wird. Das wollen wir<br />
auch bekräftigen. Danke!<br />
StBRin Prof. Dr. (I) Merk:<br />
Wenn Sie mir gestatten, fange ich mit dem letzten Punkt an: Die Verzahnung mit der Solarinitiative<br />
kann ich zusagen, denn das machen wir schon. Ich hatte selbst zwei Gespräche, und wir haben<br />
einen Ansprechpartner im Referat. Wir versuchen, das referatsübergreifend genauso anzupacken,<br />
wie Sie das formulieren. Herr Ruff, darüber hinaus gibt es ein eigenes Beschlusswerk zur Leitlinie<br />
Ökologie. Es gibt einen ökologischen Kriterienkatalog, den wir fortschreiben und Ihnen zur Beschlussfassung<br />
vorlegen. Ferner gibt es im Rahmen von IHKM eine Reihe von Vorgängen, zu
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 20 -<br />
denen es eigene Beschlussvorlagen gibt, so dass ich wirklich um Verständnis bitte, dass dieses<br />
umfangreiche Kapitel nicht auch noch enthalten sein kann. Wir haben bei der Erstellung von<br />
„Wohnen in München V“ darauf geachtet, dass diese Schnittstellen passen und werden es auch im<br />
Vollzug tun.<br />
Dann noch einmal zu der Stellplatzschlüssel-Frage: Wir werden sicherlich nicht Verwaltungsvereinfachungen<br />
oder Verfügungen, die einfach ein laufendes Geschäft der Verwaltung sind, dem<br />
Stadtrat zur Beschlussfassung vorlegen. Wir werden Sie aber in Fällen, wo diese Fragen für das<br />
weitere Planungsgeschehen relevant sind, damit befassen. Ich denke, dass diese Stellplatzschlüssel-Frage<br />
weitreichend für das Thema des Weiterbaus in der Stadt ist. Deshalb wurde die<br />
Formulierung in der Vorlage so gewählt.<br />
Das Thema der Umwandlungsproblematik, das Herr Zöller noch einmal angesprochen hat, ist bei<br />
uns in Arbeit. Aufgrund der Komplexität des Themas ist unsere Vorstellung, es Ihnen im Zusammenhang<br />
mit dem ersten konkreten Umwandlungsbeschluss im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens<br />
vorzulegen und anhand des Einzelfalls einen Vorschlag zu machen, wie wir in Zukunft<br />
generell mit diesen Fällen umgehen wollen. Es ist zu umfangreich, um es hier mit zu behandeln.<br />
Außerdem haben wir noch Diskussions- und Abstimmungsbedarf. Natürlich ist bei den Umwandlungsfällen<br />
auch notwendig, die Infrastruktur-Folgekosten zu berücksichtigen. Ich denke, wir können<br />
es am besten anhand einer konkreten Planung darstellen, die wir dann aber auch zum Anlass<br />
nehmen, generelle Vorschläge zu machen.<br />
Abstimmung zu TOP A 1:<br />
Der Änderungsantrag der CSU wird<br />
hinsichtlich der Ziffern 14, 27, 34a, 34b und 36 gegen die Stimmen von CSU, FDP, BIA<br />
und StRin Sabathil,<br />
hinsichtlich der Ziffern 38-39 und 47 gegen die Stimmen von CSU, BIA und StRin Sabathil<br />
abgelehnt.<br />
Der Änderungsantrag der FDP wird gegen deren Stimmen abgelehnt.<br />
Der Änderungsantrag von DIE LINKE. wird hinsichtlich Ziffer 2 gegen deren Stimmen,<br />
hinsichtlich der Ziffern 7 und 10 gegen die Stimmen von DIE LINKE., ÖDP und FW,<br />
hinsichtlich Ziffer 12 gegen die Stimmen von SPD, DIE LINKE., ÖDP und FW,<br />
hinsichtlich Ziffer 27 gegen die Stimmen von DIE LINKE., Bündnis 90/Die Grünen/RL und
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 21 -<br />
ÖDP<br />
und hinsichtlich Ziffer 33 gegen die Stimmen von DIE LINKE. und SPD<br />
abgelehnt.<br />
Der Änderungsantrag der ÖDP wird hinsichtlich Ziffer 34 gegen die Stimmen von ÖDP,<br />
FW und DIE LINKE. sowie<br />
hinsichtlich Ziffer 35 gegen die Stimmen von ÖDP, FW, BP, Bündnis 90/Die Grünen/RL<br />
und StRin Sabathil abgelehnt.<br />
Der Antrag der Referentin wird gegen die Stimmen der FDP beschlossen.<br />
Erklärungen zur Abstimmung:<br />
StR Dr. Mattar:<br />
Wir haben nicht deshalb gegen Wohnen in München V gestimmt, weil wir alles ablehnen. Die Frage<br />
Objekt-/Subjekt-Förderung für einen Teil der Sozialwohnungen ist uns aber so wichtig, dass wir<br />
insgesamt ein Zeichen setzen wollten.<br />
StRin Krieger:<br />
Wir haben bei den Ziffern 12 und 33 des Änderungsantrages von DIE LINKE. nicht zugestimmt,<br />
weil Frau Prof. Dr. Merk gesagt hat, dass es aufgegriffen bleibt. Bei Ziffer 12 hätten wir den Zusatz<br />
haben wollen, dass es nicht zulasten der energetischen Sanierung geht.<br />
StR Zöller:<br />
Wir haben, wie schon vorher angekündigt, dieser Vorlage letztlich zugestimmt. Ich bedaure allerdings,<br />
dass im Gegensatz zu den früheren Beratungen, als es andere Mehrheiten gab, z. B. im<br />
Jahr 1989, Rot-Grün nicht bereit war, auch nur einen einzigen Punkt unseres Änderungsantrages<br />
zu unterstützen. Sie haben sich eigentlich so verhalten, als ob der wohnungspolitische Konsens,<br />
den wir jetzt über viele Jahre hinweg erreicht haben, von ihrer Seite aufgegeben wird nach dem<br />
Motto: Wir denken nicht daran, andere Meinungen zu akzeptieren, wir marschieren durch. Wir bedauern<br />
dieses nachhaltig, unabhängig davon, dass wir selbstverständlich weiterhin bereit sind,<br />
zum Wohl des Münchner Wohnungsmarktes im Sinne einer möglichst breiten Mehrheit in diesem<br />
Haus zusammenzuarbeiten.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 22 -<br />
StRin Tausend:<br />
Herr Kollege Zöller, ich kann diesen Vorwurf überhaupt nicht nachvollziehen. Wir beschließen heute<br />
45 Punkte zum Thema Wohnen in München V. Die Wohnungspolitik ist ein hoch kompliziertes<br />
Feld. Man muss sich genau überlegen, welche Stellschrauben benutzt werden. Kleine Änderungen<br />
können große Wirkungen haben. Sie haben uns heute zwei Punkte angeboten, die nicht ausdiskutiert<br />
sind, nämlich die langfristige Siedlungsentwicklung und die Problematik in Umstrukturierungsgebieten.<br />
Wir sind bereit, beides zu diskutieren, aber nicht am Rande von Wohnen in München<br />
V, wo es um 45 andere Punkte geht.<br />
Der Antrag der Referentin zu TOP A 2 wird einstimmig beschlossen.<br />
Der Antrag der Referentin zu TOP A 3 wird gegen die Stimmen der FDP beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 23 -<br />
Ratsbegehren „3. Start- und Landebahn am Flughafen München“<br />
Beschluss über die Durchführung eines Bürgerentscheids<br />
Antrag Nr. 2918 der CSU vom 18.11.2011<br />
Aktensammlung Seite 5363<br />
StRin Dietrich:<br />
Es wird Sie nicht wundern, dass wir diese Vorlage ablehnen. Wir wehren uns ganz klar gegen den<br />
Bau einer dritten Startbahn, weil wir der Meinung sind, dass diese überflüssig und auch noch ein<br />
weiteres Wachstum locker mit den zwei vorhandenen Start- und Landebahnen möglich ist. Darüber<br />
hinaus stellen wir ein maßloses Wachstum im Flugverkehr infrage und fordern, anstelle eines<br />
ständigen Ausbaus des Flugverkehrs Alternativen zu untersuchen und zu finden. Alternativen sind<br />
im Schienenverkehr zu entwickeln und umzusetzen. Das liegt auf der Hand.<br />
Wir stellen uns heute nicht hin und sagen, wir sind grundsätzlich gegen Flugverkehr. Wir sagen<br />
auch nicht, dass niemand mehr fliegen soll. Auch die Grünen nutzen das Flugzeug. Es geht uns<br />
also nicht um eine ideologische Auseinandersetzung. Aber wir sind der Meinung, dass diese dritte<br />
Startbahn überflüssig ist, und hier komme ich noch einmal zu den Fakten.<br />
Als Begründung für diese dritte Startbahn wird oft das gewachsene Passagieraufkommen genannt.<br />
Dieses ist unbestritten. Auch wir stellen fest, dass wir in den letzten Jahren ein Wachstum zu verzeichnen<br />
hatten. Aber dieses kann nicht als Kriterium für den Bau einer dritten Startbahn herangezogen<br />
werden, denn die Passagiere heben nicht einzeln von der Startbahn ab, sondern in den<br />
Maschinen. Das heißt, es geht hier um Flugbewegungen. Dieses wäre das wesentliche Kriterium.<br />
Nach den offiziellen Angaben beträgt die Gesamtkapazität des Flughafens 480.000 Flugbewegungen<br />
pro Jahr. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt nennt sogar eine Zahl von<br />
520.000 Flugbewegungen. Diese Zahlen werden immer für die Notwendigkeit einer dritten Startbahn<br />
genannt. Fakt ist: 2008 erreichte der Flughafen sein Maximum mit 432.000 Flugbewegungen.<br />
2009 und 2010 sanken die Zahlen bis auf 390.000 Flugbewegungen, und jetzt liegt die Zahl bei<br />
410.000. In diesem Bereich sind also immer wieder Bewegungen, einmal nach unten, einmal nach<br />
oben festzustellen.<br />
München ist auch nicht der einzige Flughafen in Deutschland. Die vierte Startbahn am Frankfurter<br />
Flughafen hat ausreichend Reserven für Jahrzehnte. Der Geschäftsführer der Flughafen München<br />
GmbH hat vor Kurzem gesagt: „Unser Plan ist die Größe Frankfurts“, d. h. 700.000 Flugbe-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 24 -<br />
wegungen und 90 Mio. Passagiere. Da sagen wir: Das ist nicht unser Ziel. Unser Ziel ist nicht eine<br />
Politik, die auf dieses maßlose Wachstum im Flugverkehr setzt.<br />
Weiter zu den Fakten: Ein wichtiger Punkt ist auch die Auslastung der einzelnen Maschinen. Diese<br />
liegt in München momentan bei 92 % pro Flugzeug. Das war schon einmal weniger. Im Jahre 2005<br />
waren es ungefähr 70/75 %. Warum ist diese Auslastung so wichtig? - Weil sie natürlich im direkten<br />
Verhältnis zu den Flugbewegungen steht. London-Heathrow - dieser Flughafen wird immer<br />
gern als Vergleich zum Flughafen München herangezogen - hat zwei Start- und Landebahnen.<br />
- (Zwischenrufe aus der CSU) - Wir haben in Bayern auch mehrere Flughäfen. London-Heathrow<br />
kommt mit zwei Start- und Landebahnen aus und hat 60 Millionen Fluggäste sowie 467.000 Flugbewegungen.<br />
Die Auslastung pro Maschine beträgt im Durchschnitt 442 Passagiere. D. h. je größer<br />
die Auslastung ist, desto weniger Flugbewegungen sind notwendig. Das zeigt, dass in München<br />
noch enormer Spielraum besteht.<br />
Was diese Wachstumsprognose betrifft, wissen wir alle, dass auch der Flughafenbetreiber und der<br />
Freistaat Bayern den eigenen Prognosen nicht trauen. Das zeigt die Erklärung, die von der Deutschen<br />
Lufthansa abgegeben wurde. Die Deutsche Lufthansa verpflichtet sich, sollten diese prognostizierten<br />
Zahlen unterschritten werden, dass sie unter bestimmten Prämissen eine Ausgleichszahlung<br />
von bis zu 50 Mio. € leistet. So etwas kann man bestelltes Wachstum nennen.<br />
Weiter zu den Fakten: Das Wachstum im Luftverkehr wird auch sehr stark durch Subventionen erreicht.<br />
Kerosin ist von der Steuer befreit. Die Deutsche Lufthansa verbraucht nach eigenen Angaben<br />
8,46 Mio. t Kerosin. Bei einer normalen Besteuerung wären das ca. 8 Mrd. €. Hinzu kommen<br />
noch die Steuergeschenke für die Flugtickets im grenzüberschreitenden Verkehr mit ungefähr<br />
500 Mio. €. Außerdem sind noch die Ölpreissteigerungen hinzuzurechnen. Die Kerosinkosten haben<br />
bei der Deutschen Lufthansa 2008 rund 25 % der gesamten Aufwendungen ausgemacht. Das<br />
ist ein großer Kostenfaktor.<br />
Zu den Kosten: Bisher liegt kein Konzept für die Finanzierung der dritten Start- und Landebahn<br />
vor. Aktuell werden die Kosten mit 1,2 Mrd. € angegeben. Beim Flughafen selbst gab es seit den<br />
Planungen in den 60er Jahren bis zur Inbetriebnahme eine Kostenexplosion von 800 Mio. DM auf<br />
8,5 Mrd. DM. Wien baut ebenfalls eine dritte Start- und Landebahn mit einer Länge von 3.680 Metern.<br />
In München soll die dritte Start- und Landebahn 4.000 Meter lang sein. Die Kostenprognose<br />
in Wien lautet 1,8 Mio. €. Die Münchner Start- und Landebahn ist länger, soll aber laut der Prognose<br />
weniger kosten.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 25 -<br />
Die FMG sagt, sie wird die dritte Start- und Landebahn aus eigener Kraft finanzieren. Der Schuldenstand<br />
bei der FMG betrug 2010 rund 2,23 Mrd. €. Wenn man noch die Darlehen hinzurechnet,<br />
dann sind es 2,7 Mrd. €. Bezüglich der Finanzierung aus eigener Kraft kommen einem also schon<br />
sehr große Zweifel.<br />
In der Vorlage wird auch berichtet, was diese dritte Start- und Landebahn den Münchner Bürgerinnen<br />
und Bürgern bringen könnte. Was diese den Menschen vor Ort beschert, ist natürlich eine<br />
zusätzliche Lärm- und Abgasbelastung. Bei den geplanten drastischen Kapazitätserhöhungen bedeutet<br />
das z. B. für den Ortsteil Attaching 530 Flüge in einer Höhe von 50 Metern. Es kommen die<br />
Beschwerden aber nicht nur aus den umliegenden Ortschaften, sondern auch aus Landshut und<br />
München. Es gibt in diesem Zusammenhang auch unseren Antrag, der noch bearbeitet werden<br />
muss, in dem gefragt wird, welche Belastungen für die Münchnerinnen und Münchner prognostiziert<br />
werden. Es wäre ganz wichtig, den Menschen vor der Abstimmung zum Ratsbegehren zu<br />
sagen, was auf sie zukommt.<br />
Es ist sicherlich unbestritten, dass München ein Wirtschaftsstandort und eine Touristenstadt ist und<br />
es deshalb einen leistungsfähigen Flughafen geben muß. Aber braucht man deshalb eine dritte<br />
Start- und Landebahn? Wir sagen ganz klar: Nein! Fakt ist, dass 37 % der Passagiere umgestiegen,<br />
also überhaupt nicht in München geblieben sind.<br />
London ist auch eine Touristenstadt sowie ein Wirtschafts- und Finanzstandort, kommt aber mit<br />
zwei Start- und Landebahnen aus. Warum baut man in London-Heathrow keine dritte Start- und<br />
Landebahn? - (Zuruf von StRin Wittmann) - Es gab solche Pläne, aber die konservative Regierung<br />
in London hat alle Pläne hinsichtlich zusätzlicher Start- und Landebahnen gestrichen. Zitat:<br />
„Unserer Auffassung nach hätten diese Bahnen nicht hinnehmbare Umweltschäden zur<br />
Folge gehabt und die Lebensqualität in den umliegenden Gemeinden erheblich beeinträchtigt.<br />
Die Regierung ist der Ansicht, dass die Luftfahrt einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaft<br />
dieses Landes und zum Lebensstandard unserer Bürger leistet. Dennoch können wir<br />
es nicht zulassen, dass die Wachstumsraten auf gleichem Niveau wie in der Vergangenheit<br />
fortschreiten. Dies würde inakzeptable Folgen hinsichtlich Lärmbelästigung und Luftqualität<br />
im Flughafen-Umland mit sich bringen, von den globalen Auswirkungen hinsichtlich CO 2-<br />
Emissionen ganz zu schweigen.“<br />
Hier ging es nicht um einen Grünen-Parteitag, sondern es handelt sich um eine Aussage der konservativen<br />
Regierung in England.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 26 -<br />
Was sagt uns das? Das sagt uns, dass es auch anders geht, aber offensichtlich nicht in München.<br />
Wir verstehen nicht die in der Vorlage enthaltene Logik, dass die dritte Start- und Landebahn die<br />
Umwelt sogar schonen soll. Das ist aus der Vorlage herauszulesen. Wir halten es für unfassbar. Es<br />
wird damit begründet, dass durch die hohe Dichte an Starts und Landungen die Zahl der lärmintensiven<br />
Warteschleifen reduziert würde. Wenn man auf weiteres Wachstum setzt, dann ist die<br />
Logik nicht erkennbar.<br />
Fakt ist, dass der Flugverkehr ein Klimakiller ist. Hier wird der Klimaschutz mit Füßen getreten. Die<br />
Folgen für Umwelt und Menschen sind dramatisch. Der Bau einer dritten Start- und Landebahn<br />
würde den CO 2-Ausstoß im Jahre 2025 auf 10 Mio. t ansteigen lassen. Das ist mit dem Ziel eines<br />
effektiven Klimaschutzes nicht vereinbar. Man kann nicht auf der einen Seite die Ziele des Klimabündnisses<br />
beteuern und auf der anderen Seite genau gegenteilig handeln.<br />
Eine zukunftsorientierte Politik und eine Wirtschaftskraft, die auf Nachhaltigkeit setzt, würde die<br />
Modernisierung eines innerdeutschen sowie europäischen Schienen-Schnellverkehrsystems favorisieren<br />
und umsetzen. Das wäre in der Tat zukunftsfähig.<br />
Eine letzte Zahl noch: Laut FMG flogen 2010 von den 34,7 Mio. Passagieren 9,3 Mio. Personen<br />
Ziele innerhalb Deutschlands an. Es wird 25 mal am Tag nach Köln und zurückgeflogen, fünfmal<br />
nach Nürnberg und zurückgeflogen, sechsmal nach Stuttgart und wieder zurückgeflogen usw. Das<br />
könnte mit einem Ausbau des Schienenverkehrs besser strukturiert werden, und hier könnten<br />
Arbeitsplätze geschaffen werden.<br />
Insgesamt kommen wir zu dem Ergebnis: Die Zahlen zeigen deutlich, dass eine dritte Start- und<br />
Landebahn überflüssig ist. Die Zahlen zeigen auch deutlich, dass mit einer nachhaltigen Strukturund<br />
Wirtschaftspolitik nicht nur die dritte Start- und Landebahn nicht notwendig ist, sondern dass<br />
es Alternativen gibt, die den Erfordernissen des Klimaschutzes gerecht werden. Deshalb sagen wir<br />
ganz klar Nein zur dritten Start- und Landebahn.<br />
Zum Antrag von DIE LINKE.:<br />
Diesen halten wir schon für ein bisschen schwierig. Er ist erst einmal gut gemeint. Wir haben<br />
durchaus auch vor Monaten signalisiert, dass es Sinn machen würde, eine einzige Fragestellung<br />
zu formulieren und es damit den Bürgerinnen und Bürgern in München einfacher zu machen. Wir<br />
haben damals auch Bereitschaft signalisiert, aber diese war sowohl bei der CSU als auch beim<br />
Oberbürgermeister nicht vorhanden. Jetzt kommt dieser Antrag von DIE LINKE., und wir sind der
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 27 -<br />
Meinung, es ist jetzt einfach zu spät. Hätte man das Anfang Dezember gemacht, wäre dies der<br />
richtige Zeitpunkt gewesen.<br />
Jetzt haben wir ein Bürgerbegehren, das kurz vor dem Abschluss steht. Die Unterschriften hat man<br />
so gut wie zusammen. Es fehlen nur noch einige wenige Unterschriften. Wir halten es für das falsche<br />
Signal an die Bürgerinnen und Bürger, zu sagen, wir stellen jetzt einen Antrag zu einem Ratsbegehren<br />
mit dieser Fragestellung. Wir halten es auch für ein falsches Signal an diejenigen, die<br />
gesammelt haben. Wir finden es außerdem ein bisschen bedauerlich, dass DIE LINKE. hier aus<br />
diesem Bündnis ausschert. - (Zwischenruf von StRin Wolf) - Liebe Brigitte Wolf, das wird aber im<br />
Bündnis so gesehen. Daher würde ich Euch bitten, diesen Antrag zurückzuziehen, damit das<br />
Bündnis im Stadtrat nicht auseinanderfällt und damit im Sinne des Bündnisses das Bürgerbegehren,<br />
das wirklich sehr erfolgreich läuft, zum Abschluss gebracht wird und wir dann in die Abstimmung<br />
gehen können. Dankeschön. - (Beifall von Bündnis 90/Die Grünen/RL)<br />
StRin Wolf:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Heute begibt sich die Mehrheit im Stadtrat auf<br />
den Weg eines Ratsbegehrens zur dritten Start- und Landebahn am Flughafen München. Ich<br />
möchte die Einschätzung der Kollegin Dietrich über Sinn oder Unsinn der dritten Startbahn nicht<br />
wiederholen. Wir werden es wahrscheinlich von den Befürwortern des vorgelegten Ratsbegehrens<br />
noch hören. Es gibt Einschätzungen bzw. Spekulationen über die wirtschaftliche Entwicklung und<br />
Erwartungen zu negativen Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Es gibt einen Haufen Argumente<br />
Für und Wider. Ich glaube, es wäre sehr gut gewesen - es ist vielleicht auch eine Entwicklung weiter<br />
in die Richtung zur Herausbildung von direkter Demokratie - wenn dieser Stadtrat in seiner<br />
Gänze sich zu einer Fragestellung und der Darstellung der Pro- und Kontra-Argumente durchgerungen<br />
hätte. Damit hätten die betroffenen Münchnerinnen und Münchner tatsächlich eine Chance,<br />
sich mit den Argumenten gleichwertig und ausführlich zu beschäftigen.<br />
Es ist eben noch keine Tradition in Stadträten oder auch Landtagen, dass man sagt: „Wir haben<br />
hier ein riesiges Infrastrukturprojekt. Es wird Leute geben, die werden sehr viel verlieren, und andere,<br />
die werden dabei etwas gewinnen, und wir legen es den Menschen vor und fragen: Wollt ihr<br />
in diese oder in jene Richtung gehen?“ Das ist aber eine Entwicklung, die - glaube ich - kommen<br />
wird. Es gibt jedenfalls die Debatten zu der technischen Entwicklung, dass man heutzutage immer<br />
mehr auch über <strong>Internet</strong> machen kann. Ich denke, dass wir das hier auch noch sehen werden.<br />
Vielleicht könnten wir uns auch vornehmen - wenn wir einmal ein weiteres Infrastrukturprojekt in<br />
dieser Größenordnung haben -, dass wir uns an die Leute wenden, bevor wir hier schon die par-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 28 -<br />
teipolitischen Linien festgeklopft haben. Es ist schade, dass es nicht dazu kam, sondern dass heute<br />
hier ein Ratsbegehren vorliegt, das völlig einseitig die Argumente pro Startbahn liefert.<br />
Über das hinaus, was die Frau Kollegin Dietrich genannt hat, möchte ich als Gegenargumente<br />
noch zwei Sachen nennen: Ich denke, wenn man sich für solche Projekte entscheidet, muss man<br />
schon auch immer fragen: Ist es für diejenigen, die darunter leiden werden, noch zumutbar oder<br />
nicht? Es trifft eben im Moment noch keine Menschen, die hier in München wohnen - wobei man<br />
noch nicht weiß, wie die neuen Flugbahnen liegen werden. Sollte es zur dritten Startbahn kommen,<br />
kann es uns passieren, dass es dann auch Münchner Stadtviertel mit einer erhöhten Lärmbelastung<br />
treffen wird. Aber es trifft natürlich vor allen Dingen die Leute, die dort in der Nähe, in der<br />
Region des Flughafens wohnen. Es trifft Attaching, wo Absiedlungsmaßnahmen nötig sein werden<br />
und es auch für diejenigen, die bleiben, sehr schwierig werden wird. Das muss man den erwarteten<br />
positiven Auswirkungen natürlich auch entgegenstellen, und dies wird hier überhaupt nicht getan.<br />
Das wird auch in der Entscheidung bei diesem Ratsbegehren keine Rolle spielen. Das finde<br />
ich wirklich sehr schade.<br />
Ich finde es auch äußerst schwierig, dass diese ganzen Flughäfen gegeneinander konkurrieren.<br />
Ich finde, diese Infrastruktur … Fluglinien sind natürlich viel flexibler als z. B. ein Eisenbahnnetz.<br />
Aber dass man das trotzdem in Konkurrenz zueinander stellt und jeder Flughafen sich den Großraum<br />
hier entwickeln lässt - oder sich entwickeln hat lassen -, ist mit Sicherheit auch verkehrt. Ich<br />
erinnere: Wir haben in Nürnberg auch noch einen Flughafen, der wesentlich kleiner ist. Dieser hat,<br />
glaube ich, Auslastungsprobleme. Ich finde, bei diesem Flugverkehr mit seinen vielfältigen Nachteilen<br />
müsste eine Kooperation her. Es müsste einfach gesagt werden: Okay, es kann nicht alles<br />
an einem Fleck sein usw. Ich glaube, auch diese Argumente sind gar nicht geprüft, weil natürlich<br />
der Flughafen München mit dem Flughafen Nürnberg in Konkurrenz und nicht im Kooperationsverhältnis<br />
steht - jedenfalls was die Konstruktion betrifft. Aus diesem Grund kann bzw. wird<br />
DIE LINKE. diesem Ratsbegehren, so wie es vorliegt, nicht zustimmen.<br />
Wir haben aber trotzdem einen Änderungsantrag gestellt, weil wir es nicht bei dieser Ablehnung<br />
belassen wollten. Wir wollen mit unserem Änderungsantrag dokumentieren, dass wir diese Entscheidung<br />
- auch im Rahmen eines Bürgerbegehrens - für gut befinden. Frau Kollegin Dietrich, wir<br />
wollten damit nicht unterstellen, dass es das Bürgerbegehren überhaupt nicht schaffen wird. Wir<br />
sammeln selber mit, und wir haben es ja demnächst geschafft. Wir werden auch das Bündnis aus<br />
unserer Sicht nicht spalten. Wir sagen: Wir wollen, dass es zu einem Bürgerentscheid kommt. Wir<br />
wären froh gewesen, hätte es einen mit Pro und Kontra und ohne diesen Aufwand gegeben. Aber<br />
wir wollen deswegen auch unseren Änderungsantrag aufrechterhalten. Danke.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 29 -<br />
StR Reissl:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Kollegin Wolf, was Sie jetzt in Ihrem Beitrag alles<br />
angeboten haben, passt nicht zusammen. Auf der einen Seite sagen Sie, Sie hätten sich gewünscht,<br />
es hätte einen gemeinsamen Text gegeben - quasi neutral formuliert, mit Pro- und Kontra-Begründung.<br />
Auf der anderen Seite bringen Sie einen Änderungsantrag ein, der nur noch die<br />
Kontra-Position zur Abstimmung stellt. - (Zwischenruf von StRin Wolf) - Doch, Frau Wolf, das ist Ihr<br />
Änderungsantrag. - (Zwischenruf von StRin Wolf) - Den habe nicht ich geschrieben, den haben Sie<br />
geschrieben! Frau Wolf hat uns gerade erklärt, sie empfiehlt dem Stadtrat quasi Neutralität, was<br />
ich im Übrigen politisch für vollkommen falsch halte. Der Stadtrat ist nicht politisch neutral. Der<br />
Stadtrat ist ein politisches Gremium, und er hat auch einen politischen Auftrag. - (Vereinzelt Beifall)<br />
Dieser Stadtrat hat auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg mit einer deutlichen Mehrheit eine<br />
ganz eindeutige Position in Sachen Flughafen gehabt. Sie empfehlen uns in wenigen Minuten<br />
einmal, eine neutrale Position einzunehmen, und mit Ihrem Änderungsantrag genau das Gegenteil:<br />
nämlich keine neutrale Position, sondern die Position der Gegner zur Abstimmung in das<br />
Ratsbegehren hinein zu beschließen. Das ist Ihr Änderungsantrag. Ich halte das für vollkommen<br />
absurd.<br />
Kolleginnen und Kollegen, es geht überhaupt nicht um Neutralität, sondern darum - das gehört<br />
auch zur Politik -, dass man in wichtigen Fragen eine Meinung, eine Haltung hat und diese auch<br />
vertritt, und zwar argumentativ. - (Beifall der SPD) - Deswegen gibt es diese gemeinsame Initiative<br />
von SPD, CSU und FDP für das Ratsbegehren, und deswegen wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
- ich gehe davon aus, die Abstimmungsmehrheit heute wird genügen - am 17. Juni einen Bürgerentscheid<br />
geben. Es ist auch in Ordnung, dass wir es so terminiert haben. Die Initiative des<br />
Bürgerbegehrens, die im Herbst gestartet ist, hat genug Zeit, um die Unterschriftensammlung abzuschließen<br />
und kann auch den Text des Bürgerbegehrens am 17. Juni zur Abstimmung stellen.<br />
Vor 20 Jahren ist der Flughafen von München-Riem ins Erdinger Moos umgezogen. Im Mai, in<br />
einer einzigen Nacht ist die ganze Technik dort hinausgezogen. Kolleginnen und Kollegen, wenn<br />
es nach der Meinung der Gegner der dritten Startbahn, die auch schon die Gegner der Flughafenverlagerung<br />
waren, gegangen wäre, dann wäre der Münchner Flughafen immer noch in Riem.<br />
Kollegin Dietrich, der Flughafen München wäre immer noch in München-Riem. Vielleicht trüge er<br />
nicht den Namen Franz Josef Strauß, das mag sein. - (Zwischenrufe - Heiterkeit) - Ob das jetzt ein<br />
Vor- oder ein Nachteil ist … Aber es geht vor allen Dingen um die Betroffenheit eines großen Teils<br />
des Münchner Stadtgebietes. Im ersten Jahr im Erdinger Moos, 1992, gab es 12 Mio. Fluggäste.<br />
Wenn man sich ohne weitere Entwicklung allein vorstellt, diese Zahl würde heute noch in Mün-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 30 -<br />
chen-Riem ... Wenn es nach Ihnen, den Gegnern der Flughafenverlagerung, gegangen wäre, dann<br />
wäre das heute noch die Realität.<br />
Die zweite Realität wäre, dass sich das Münchner Messegelände immer noch auf der Schwanthaler<br />
Höhe befände. Auch das ist allein von der Verkehrsabwicklung der Besucherinnen und Besucher<br />
zu den Münchner Messen schier unvorstellbar. Ich weiß, ich werde Sie nicht vom Gegenteil<br />
überzeugen, aber trotzdem muss man auch der Öffentlichkeit klarmachen: Es ist eine vollkommen<br />
konsequente, aber entwicklungsfeindliche Haltung, die Sie da zum Ausdruck bringen! - (Beifall von<br />
SPD, CSU und FDP)<br />
Bei der Partei DIE LINKE. wundert mich das übrigens deutlich mehr als bei der Partei der Grünen.<br />
- (Zwischenrufe) - Ich dachte eigentlich schon, dass DIE LINKE. eher eine Politik verfolgt, die<br />
Wachstum und Wohlstand zum Ziel hat, nicht Stagnation. Wenn Sie auch für breite Bevölkerungsschichten<br />
Wohlstand haben wollen, dann haben wir zumindest bisher kein Modell entwickelt, das<br />
Teilhabe an der Wohlstandsentwicklung für breite Schichten bedeutet, als ein Wachstumsmodell.<br />
Wir haben schon vor 25 und 30 Jahren über die Themen „Wie wollen wir wachsen?“ bzw. qualitatives<br />
Wachstum gestritten. Das ist auch in Ordnung, und das wird man auch in Zukunft tun. Ob wir<br />
aber mit dem Verzicht auf Wachstum eine weitere gedeihliche Wohlfahrtsentwicklung in einem<br />
entwickelten europäischen Staat erreichen, daran hege ich nach wie vor erhebliche Zweifel.<br />
Wie gesagt, vor 20 Jahren ist der Flughafen ins Münchner Umland gezogen. In diesen 20 Jahren<br />
hat sich die Zahl der Fluggäste mittlerweile mehr als verdreifacht. 1992 waren es 12 Millionen, im<br />
Jahr 2011 waren es knapp 38 Millionen. Das ist mehr als verdreifacht. Natürlich ist das keine kontinuierliche<br />
Entwicklung gewesen - von Jahr zu Jahr ein bestimmter Prozentsatz mehr -, sondern<br />
selbstverständlich hat sich in der Entwicklung des Münchner Flughafens auch die wirtschaftliche<br />
Entwicklung abgebildet. Wenn Hochkonjunktur war, dann lagen die Wachstumszahlen bei Flugbewegungen<br />
und Fluggästen höher. Wenn es Stagnation oder gar Rückgang gab, wie im Jahr<br />
2008, dann gab es natürlich auch auf dem Münchner Flughafen einen Rückgang der Flugbewegungen<br />
und der Passagierzahlen. Aber wenn man dies alles in allem betrachtet und daraus einen<br />
Durchschnitt bildet, dann sind die Wachstumsprognosen aus der Anfangszeit des Münchner Flughafens<br />
bis heute nicht nur eingehalten, sondern immer übertroffen worden. Kolleginnen und Kollegen,<br />
sie sind übertroffen worden!<br />
Wir gehen davon aus: Vor allen Dingen die wirtschaftliche Entwicklung in Weltregionen, die sich<br />
erst in den vergangenen Jahren deutlich entwickeln, wie beispielsweise Asien - auch Südasien -<br />
oder Lateinamerika, wird dazu führen, dass der Flugverkehr international zunehmen wird. Ich bin
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 31 -<br />
sicher, wir werden in 10, in 15 und auch in 20 Jahren das Flugzeug noch als ganz wichtiges Verkehrsmittel<br />
für weite Distanzen haben. Das bedeutet natürlich auch, dass in Europa der Flugverkehr<br />
in den nächsten Jahren eher zu- als abnehmen wird.<br />
Jetzt kann man sich mit Zahlen auseinandersetzen. Man kann über diese Zahlen und ihre Plausibilität<br />
auch nachdenken. Natürlich kann ich ausrechnen: Ich habe eine Startbahnkapazität mit zwei<br />
Startbahnen, da kann ich in der Stunde so und so viele Starts und Landungen abwickeln. Dabei<br />
kann ich aber auch vollkommen übersehen, dass es im Flugverkehr genauso wie im Autoverkehr<br />
und im öffentlichen Nahverkehr keine gleichmäßigen Auslastungen gibt. Die Kapazitätsgrenzen<br />
sind nicht nur durch eine absolute, sondern natürlich auch durch relative Kapazitäten beschränkt.<br />
Wir haben ein öffentliches Nahverkehrsnetz in München, das wir um 23:00 Uhr in der Nacht so<br />
eigentlich auch nicht brauchen. Wir haben es aber trotzdem, weil wir es natürlich in Tageszeiten<br />
zwischen 08:00 Uhr und 10:00 Uhr am Vormittag und zwischen 16:00 Uhr und 18:00 Uhr am Nachmittag<br />
benötigen - in dieser ausgebauten Kapazität oder vielleicht sogar in noch größerer. Es ist<br />
eben auch ein Messkriterium für die Kapazität auf dem Münchner Flughafen, wie viele Starts und<br />
Landungen denn vor allen Dingen in den verkehrsreichen Tageszeiten und nicht zu den Randzeiten<br />
stattfinden können.<br />
Jetzt zu dem schönen Vergleich mit London-Heathrow: Frau Kollegin Dietrich, wenn man es macht<br />
wie in London, würde das eigentlich bedeuten, dass man auch den Flughafen Oberpfaffenhofen für<br />
die Luftfahrt freigibt und die Umsteiger mit dem Bus von Oberpfaffenhofen zum Flughafen München<br />
im Erdinger Moos fährt. Eine U-Bahn verkehrt zwischen Oberpfaffenhofen und München<br />
nicht. - (Zwischenruf: Die bauen wir!) - Diese bauen wir vielleicht, okay. Ich kann mir nicht vorstellen,<br />
dass das die Lösung sein wird. Das ist aber das, was in London passiert. In London gibt es<br />
nicht nur einen Flughafen Heathrow, sondern dort gibt es drei. - (Zuruf: Vier!) - Dieses ganze Umsteigegeschehen<br />
... London-Heathrow ist für den Nordatlantik-Verkehr einer der wichtigsten europäischen<br />
Flughäfen. Der Zubringerverkehr für den Nordatlantik-Verkehr findet nicht ausschließlich<br />
in Heathrow statt, sondern auch auf den anderen beiden Londoner Flughäfen. Deswegen ist es ein<br />
vollkommen unbrauchbarer, und - weil ich annehme, Sie wissen, dass es in London mehr als einen<br />
Flughafen gibt - auch noch ein unredlicher Vergleich. - (Beifall von SPD, CSU und FDP)<br />
Zugegeben: Im deutschen Eisenbahnverkehr gibt es sicherlich noch Vieles nachzuholen, das ist<br />
gar keine Frage - vermutlich allerdings auch im Hochgeschwindigkeitsnetz. Sobald wir über Hochgeschwindigkeitsnetze<br />
und z. B. deren Bahnhöfe diskutieren, finden wir schon wieder die Grünen<br />
gerne einmal im Lager der Gegner. Natürlich wäre es sinnvoll, wenn es zwischen den großen<br />
Städten in der Bundesrepublik Deutschland schnelle leistungsfähige Eisenbahnverbindungen gä-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 32 -<br />
be, weil diese tatsächlich einen großen Teil des innerdeutschen Flugverkehrs ersetzen würden. Sie<br />
würden ihn nicht restlos, aber zu einem Teil ersetzen können. Trotz alledem: Der vorher erwähnte<br />
Aspekt, nämlich die zu erwartende Zunahme des internationalen Flugverkehrs, der auch eine<br />
Auswirkung auf Europa haben wird, findet trotzdem statt.<br />
Kolleginnen und Kollegen, auch bei einem Verzicht auf den Bau einer dritten Startbahn in München<br />
findet über Mitteleuropa nicht ein einziger Flug weniger statt! Das ist zu dem Argument gesagt,<br />
es sei klimaschutzrelevant, ob in München die dritte Startbahn gebaut wird oder nicht. Nein,<br />
Kolleginnen und Kollegen, es ist eben nicht klimaschutzrelevant! Es wäre klimaschutzrelevant,<br />
wenn man international dazu käme, die Zahl von Flugbewegungen zu begrenzen. Dazu werden wir<br />
aber auch mit einer Abstimmung in ganz Bayern nicht kommen, und erst recht nicht mit einer Abstimmung<br />
in München. Der einzige Effekt, der sich ergeben wird, ist, dass der Flugverkehr eben<br />
woanders stattfindet.<br />
Ich verstehe ja noch die Argumentation von Betroffenen aus der unmittelbaren Nachbarschaft. Diesen<br />
wäre das sehr recht. Das ist aber kein Klimaschutzargument, sondern das ist ein Betroffenheitsargument,<br />
das man achten und mit dem man sich auseinandersetzen sollte. Aber ein Klimaschutzargument<br />
ist es eben ausdrücklich nicht. Nicht ein einziger Flug weniger würde deswegen<br />
stattfinden! Das Einzige, was deswegen passieren wird, ist, dass die Bundesrepublik Deutschland<br />
ihre nationale Luftverkehrspolitik ändern würde. Dann würde eben neben den beiden Großflughäfen,<br />
den internationalen Umsteigeflughäfen - den sog. Hubs in Frankfurt und in München - vielleicht<br />
in Berlin ein weiterer Hub entstehen. Die Flugbewegungen fänden dann eben über Berlin<br />
statt - internationale Verbindungen mit dem entsprechenden Zubringerverkehr. Nur, Auswirkungen<br />
auf den Klimaschutz hätte eine solche veränderte nationale Luftverkehrspolitik nicht.<br />
Kolleginnen und Kollegen! Wir werden heute das Ratsbegehren beschließen, als deutliches Signal<br />
dafür: Ja, wir wollen diese dritte Startbahn bauen, um die guten wirtschaftlichen Voraussetzungen,<br />
die Voraussetzungen für eine weitere gute wirtschaftliche Entwicklung in Bayern, insbesondere in<br />
der Münchner Region, zu befördern. - (Beifall)<br />
StR Dr. Mattar:<br />
Frau Bürgermeisterin, meine Damen und Herren! Die wirtschaftlich starke Position der Region<br />
München ist keine Selbstverständlichkeit, sondern sie ist durch eine vernünftige Politik im Freistaat,<br />
aber auch in der Landeshauptstadt München unterstützt worden. Der Kollege Reissl hat die<br />
Flughafenverlagerung von Riem ins Erdinger Moos und den Ausbau der Messe erwähnt. Wir wissen<br />
ja, - wir brauchen nur heute in die Zeitung zu schauen - dass es keine Selbstverständlichkeit
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 33 -<br />
ist, dass es immer so weiter geht. Siemens Nokia baut Stellen ab, E.ON verlässt München. Es ist<br />
keine Selbstverständlichkeit, dass eine Region wirtschaftlich auf Dauer stark bleibt, sondern dafür<br />
muss man auch etwas tun. Die Infrastruktur ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um einen<br />
Standort langfristig zu sichern. Wir wissen alle, dass die internationale Ausrichtung nicht nur bei<br />
unseren DAX-Unternehmen in den letzten 20, 30 Jahren zugenommen hat, sondern auch im Mittelstand.<br />
Auch der Mittelstand braucht einen internationalen leistungsfähigen Flughafen.<br />
Ich denke nicht nur an die Wirtschaft, sondern wir haben in München auch einen entscheidenden<br />
Wissenschafts- und Forschungsstandort, der auf den Austausch orientiert ist. Ganz zu schweigen<br />
natürlich von unserer Bedeutung als Tourismusstadt! Es ist ja so, dass wir manchmal schon ironisch<br />
hören: Na ja, so in 50 Jahren ist Europa das Museum der Welt, dann kommen die Touristen<br />
aus allen Gegenden nach München und nach Europa. Dann müssen wir froh und glücklich sein,<br />
dass wir erreichbar sind. Das sind alles Argumente für einen auch weiterhin wachsenden Flugverkehr.<br />
Wir sind natürlich nicht alleine in Europa! Wir haben leistungsfähige Regionen: Mailand, Barcelona,<br />
Madrid, Hamburg, Lyon. Das sind alles sehr leistungsfähige Regionen, mit denen wir im Wettbewerb<br />
stehen. Aber nicht nur das, sondern wir stehen natürlich international im Wettbewerb. Jeder<br />
konnte es Ende des letzten Jahres lesen, dass auch eine große Wirtschaftsnation wie Großbritannien<br />
in der Statistik der Weltwirtschaft auf einmal einen Platz zurückfällt und Brasilien Großbritannien<br />
überholt hat. Mit Blick auf 2020 ist auch unsere Position als viertgrößte Wirtschaftsnation<br />
völlig infrage gestellt. Wahrscheinlich landen wir auf Platz 6, und das müssen wir ... - (StR Akman:<br />
Ist das schlimm, dass Brasilien England überholt hat?) - Die Welt verändert sich, und wenn wir<br />
nicht unseren Beitrag leisten, dass unsere Region und unser Land attraktiv ist, werden wir zurückfallen.<br />
Wir werden nicht nur Stagnation erleben, sondern wir werden dann auch zurückfallen.<br />
Wenn dann hier mit Kapazitäten ... Wirklich, der Vergleich mit London ist vollkommen daneben,<br />
weil natürlich auch auf zwei Startbahnen 60 Millionen fliegen können, da das eben in erster Linie<br />
internationaler Flugverkehr in Heathrow ist. Daher ist das wirklich völlig daneben. Wir haben dort<br />
noch drei andere Flughäfen. Wenn das jetzt das Plädoyer wäre, Memmingen auszubauen, dann ist<br />
das eigentlich nur noch ein Witz.<br />
Aber, lieber Herr Altmann, auch der Vorschlag von Ihrem großen Vorsitzenden Herrn Aiwanger,<br />
dies nach Nürnberg zu verlegen, ist natürlich ebenfalls nur Wunschdenken. Das wird nicht funktionieren,<br />
und gerade der Ausbau von Bahnnetzen wird eher die Bedeutung von großen Flughäfen<br />
stärken. Wenn wir eine wirklich hervorragende Bahnverbindung von Nürnberg zum Münchner
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 34 -<br />
Flughafen hätten - was sehr vernünftig wäre, aber wir haben diese leider nur bis zum Hauptbahnhof<br />
-, dann würde natürlich Nürnberg eher noch geschwächt. Das sehen wir ja in Köln und Frankfurt:<br />
Seitdem man innerhalb von einer Stunde von Köln nach Frankfurt kommt, ist natürlich der<br />
Flugverkehr in Frankfurt gestärkt worden. Das ist nun einmal so, dass Umsteigefunktionen eine<br />
hohe Effizienz bieten. Es ist auch ökologisch sicherlich sinnvoller, wenn ich nicht von Hamburg,<br />
Bremen aus mit kleineren Maschinen nach Bologna reise, sondern lieber München als Umsteigeflughafen<br />
nutze und dann mit einer vollen und größeren Maschine dort starte und lande.<br />
Ich glaube, wir müssen in der Tat auch das Thema Wachstum und Wohlstand in den Blick nehmen.<br />
Das hat Kollege Reissl auch völlig zu Recht noch einmal dargestellt. Ich glaube, da verändert sich<br />
die Wahrnehmung in unserer Gesellschaft. Freiberufler, Selbstständige und Leute, die verantwortlich<br />
in einem Unternehmen tätig sind, wissen, was es heißt, um einen Auftrag zu kämpfen, um Beschäftigung<br />
in einem Unternehmen zu erhalten. Wir sehen, dass sich mit einer Überalterung der<br />
Bevölkerung eine gewisse Sattheit verbreitet und man sagt: „Na ja, das läuft alles hervorragend,<br />
wir brauchen eigentlich gar nichts mehr zu tun, und das ist alles wunderschön.“ Aber man täuscht<br />
sich gewaltig. Die wirtschaftliche Dynamik nimmt ab, und letztlich sind dann auch bestimmte Leistungen<br />
der öffentlichen Hand nicht mehr zu erbringen. Warum haben wir im letzten Jahr<br />
1,924 Mrd. € Gewerbesteuereinnahmen gehabt? Das ist eben die wirtschaftliche Dynamik dieses<br />
Standortes. Daher ist es auch wichtig für Leute, die nur Transfereinkommen beziehen, dass die<br />
Wirtschaft boomt und vernünftig läuft.<br />
Als Letztes noch ein Wort zu den Kapazitäten: In den entscheidenden Stunden sind die Slots in<br />
der Tat übervoll. Wenn es da zu Verschiebungen kommt, gibt es Warteschleifen, die Kerosin kosten<br />
und die Umwelt belasten. Weil die Flugbewegungen so dicht getaktet sind, können sie mitunter<br />
auch nicht mehr nachgeholt werden und fallen weg, wenn die Wetterverhältnisse oder andere<br />
Dinge eine Rolle spielen.<br />
Daher kann man einen solchen Flughafen nicht an der letzten Kapazitätsgrenze fahren, und wir<br />
brauchen einfach eine Kapazitätserweiterung für die mittlere und lange Zukunft. Natürlich brauchen<br />
wir die dritte Startbahn nicht für das Jahr 2015, sondern haben bei der dritten Startbahn<br />
einen Blick bis in die Mitte des Jahrhunderts und brauchen unter diesem Gesichtspunkt auf jeden<br />
Fall diese Infrastruktur. Dafür müssen wir alle - auch die Bevölkerung - mitnehmen und deutlich<br />
machen, dass die dynamische Wirtschaft in München keine Selbstverständlichkeit ist, sondern<br />
dass wir politisch etwas dafür tun und die Bürger dazu aufrufen müssen. Vielen Dank! - (Beifall der<br />
rechten Seite des Hauses)
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 35 -<br />
StR J. Schmid:<br />
Frau Bürgermeisterin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich brauche die Argumente der Kollegen<br />
Reissl und Dr. Mattar für die dritte Start- und Landebahn nicht alle wiederholen. Fakt ist, dass dieser<br />
Flughafen ein Job- und Wohlstandsmotor für München und die ganze Region ist, und dass wir<br />
diesen Job- und Wohlstandsmotor auch gut am Laufen halten müssen. - (Beifall der CSU) -<br />
8.000 Arbeitsplätze werden am Flughafen direkt geschaffen, den Faktor 1,6 darf man für Arbeitsplätze<br />
außerhalb des Flughafens annehmen, also kommen noch einmal ca. 15.000 Arbeitsplätze<br />
dazu.<br />
Frau Kollegin Dietrich, der Kollege Reissl hat Sie schon darüber belehrt, wie viele Flughäfen es in<br />
London gibt. Aber Sie haben sich darauf versteift, dass Heathrow zwei Startbahnen habe<br />
- (StRin Dietrich: Ist auch so!) -, und dass auch ein Flughafen wie München damit auskommen<br />
müsse. - (StRin Dietrich: Man kann damit auskommen!) - Ich will Ihnen nur kurz entgegenrufen,<br />
dass Amsterdam sechs Start- und Landebahnen hat und die Flughäfen in Madrid und Paris jeweils<br />
vier. Ich wollte einmal widerlegen, dass man mit zwei auskommen muss, weil auch London mit<br />
zwei auskommt. Es gibt andere Flughäfen, die wesentlich mehr Start- und Landebahnen haben.<br />
Das Konzept ist jetzt eindeutig auf drei ausgerichtet, und damit wird unser Flughafen auch in Zukunft<br />
gut auskommen.<br />
Sie haben sehr stark die Ökologie angesprochen und dabei in Frage gestellt, wieso man eine dritte<br />
Start- und Landebahn braucht, um einen Drehkreuzflughafen zu haben. Auch dagegen gibt es ein<br />
klares und aus meiner Sicht absolut ökologisches Argument: Wenn Sie heute zehn Städte mit<br />
Punkt-zu-Punkt-Verbindungen entsprechend vernetzen, dann generieren Sie damit 90 Flüge.<br />
Wenn Sie ein Drehkreuz haben, generieren Sie bloß 18 Flüge. Auch dieses Argument spricht also<br />
eindeutig dafür. Aber, wie gesagt, man muss jetzt nicht noch einmal sämtliche Argumente wiederholen.<br />
Das wird in den zukünftigen Debatten noch oft genug der Fall sein.<br />
Mich freut es, dass wir heute gemeinsam - oder besser: mit großer Mehrheit - ein Ratsbegehren<br />
auf den Weg bringen werden, und auch zur Fragestellung ist natürlich manches gesagt worden:<br />
wieso es nicht zu einer einfachen, sondern zu zwei Fragestellungen und dann noch zu einer Stichfrage<br />
kommen wird. Der Grund ist klar und liegt bei den Betreibern des Bürgerbegehrens. Es ist<br />
wohl ein semantischer Trick, Menschen gerne mit „Ja“ abstimmen zu lassen, auch wenn man dagegen<br />
ist, denn mit einem „Ja“ tut man sich immer leichter. Wenn die Fragestellung des Bürgerbegehrens<br />
so formuliert ist, dass man „Ja“ ankreuzt, wenn man gegen den Bau der dritten Startund<br />
Landebahn ist, dann liegt natürlich in dieser Fragestellung schon eine leichte Verführung. Das<br />
möchte ich deutlich sagen. Deswegen war es notwendig, Kollege Dr. Roth, dass man die Frage-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 36 -<br />
stellung richtig formuliert: D. h., wer für die dritte Start- und Landebahn ist, muss mit „Ja“ abstimmen.<br />
Wer dagegen ist, muss mit „Nein“ abstimmen. So ist die Fragestellung des Ratsbegehrens<br />
richtig formuliert.<br />
Wir werden heute das Ratsbegehren mit großer Mehrheit aus CSU, FDP und auch SPD auf den<br />
Weg bringen, und das freut mich sehr. Ich betone das jetzt zum zweiten Mal, weil die CSU-Stadtratsfraktion,<br />
als sie diesen Antrag gestellt hat, sich nicht hundertprozentig sicher war, dass dieser<br />
Stadtrat dem Bürgerbegehren ein Ratsbegehren entgegenstellt. Herr Ude, es ist natürlich für Sie<br />
schon eine spannende Situation, dass Sie jetzt für eine Sache eintreten und eintreten müssen, um<br />
auch persönlich glaubhaft zu bleiben, die Ihre ausgerufenen potenziellen Koalitionspartner auf<br />
Landesebene völlig anders sehen. - (OBM Ude: Das war immer so!) - Das hat natürlich schon etwas!<br />
Das möchte ich in dieser Deutlichkeit noch einmal betonen und nicht darüber hinweggehen.<br />
Ich bin froh, dass Sie sich klar zu dieser wichtigen Infrastrukturmaßnahme bekennen, denn bei uns<br />
jedenfalls bestand bis vor einigen Monaten noch eine kleine Unsicherheit, wie energisch Sie das<br />
vertreten. Deswegen freut es mich, dass so ein klares und entschiedenes „Ja“ zu diesem Ratsbegehren<br />
von Ihnen und auch von der SPD-Stadtratsfraktion kommt.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an der Rede des Kollegen Reissl war viel Richtiges, was die Argumente<br />
anbelangt, aber auch etwas sehr Spannendes: Kollege Reissl hat einen kurzen historischen<br />
Abriss mit einigen Beispielen gegeben, wo Bündnis 90/Die Grünen/RL gegen große, wichtige<br />
Infrastrukturentscheidungen in München gestimmt haben. Deshalb möchte ich zum Schluss<br />
selbstverständlich noch einmal betonen, dass es auch diesmal wieder so ist! Kollege Reissl, Sie<br />
schaffen es in der eigenen Mehrheit Ihrer rot-grünen Rathauskoalition nicht, gemeinsam mit dem<br />
Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen/RL die Kraft für dieses wichtige, zukunftsweisende, Jobs,<br />
Arbeitsplätze und Wohlstand bringende Projekt „Dritte Start- und Landebahn“ aufzubringen, sondern<br />
Sie brauchen wieder die CSU-Stadtratsfraktion und auch die FDP dazu. - (Beifall der rechten<br />
Seite des Hauses)<br />
Zuletzt haben wir beim Thema Olympia erlebt - (StR Benker: Nein, das stimmt doch gar nicht!<br />
Falsch!) -, wie Bündnis 90/Die Grünen/RL zähneknirschend und sich alles verbeißend noch mitgemacht<br />
haben. Kollege Benker, das haben Sie doch sofort erkennen können! Hören Sie doch<br />
einfach mal zu! Ich stelle Ihnen nicht in Abrede, dass Sie hier mitgestimmt haben, sondern ich<br />
möchte einen Aspekt betonen, der erst danach aufkam und deshalb nicht mehr diskutiert wurde.<br />
Aber er zeigt auch, wie es vorher ausgesehen hat.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 37 -<br />
Kaum war diese Bewerbung gescheitert, kam unisono und geschlossen die Aussage von Bündnis<br />
90/Die Grünen/RL - Rathaus und Stadtpartei -, dass eine weitere Bewerbung nicht mehr infrage<br />
kommt. - (Zwischenruf von StR Benker, OBM Ude: Wie der Deutsche Olympische Sportbund!) -<br />
Herr Kollege Benker, das zeigt doch, wie es vorher bei Ihnen ausgesehen hat! Bei wichtigen, großen<br />
Entscheidungen, die für diese Stadt gut sind, München nach vorne bringen und die Zukunft<br />
von München bedeuten, fällt Ihre Koalition auseinander! - (Beifall der rechten Seite des Hauses) -<br />
Deswegen muss man einmal mehr die Frage stellen, was denn eigentlich der Kitt Ihrer Koalition<br />
ist. - (Zwischenrufe: Posten!) - In der letzten Zeit haben wir die Antwort darauf bekommen: Es sind<br />
die Personalbesetzungen. - (Unruhe) - Es geht darum, verdiente Stadträte auf Positionen zu<br />
heben. Das ist der Kitt! Die weitreichenden und wichtigen Zukunftsentscheidungen sind es nicht.<br />
- (Beifall der rechten Seite des Hauses)<br />
Kollege Reissl, ich bin Ihnen also dankbar, dass Sie die Vergangenheit bemüht haben: Messe und<br />
überhaupt die Flughafenverlagerung von Riem nach Erding. Es ist wirklich so, dass Sie bei großen<br />
Entscheidungen nicht in der Lage sind, gemeinsam zum Wohle der Stadt zu entscheiden. Deswegen<br />
freut es mich, dass auch die SPD dem CSU-Antrag auf ein Ratsbegehren heute zustimmt. Bei<br />
der FDP haben wir das sowieso angenommen. Ich denke, dass wir jetzt in kraftvolle Wochen der<br />
inhaltlichen, argumentativen Auseinandersetzung treten werden, und wünsche mir, davon bin ich<br />
aber auch überzeugt, dass am Ende die Münchner Bürgerinnen und Bürger für dieses wichtige<br />
Projekt für München und die Region stimmen. Vielen Dank! - (Beifall der rechten Seite des Hauses)<br />
StR Altmann:<br />
(StRin Dietrich: Jetzt bin ich mal gespannt!) - Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Es<br />
ist kein Geheimnis, und ich habe es bereits in der Vergangenheit des Öfteren kundgetan: Hier unterscheide<br />
ich mich von meiner Stadtrats-, äh, Landtagsfraktion - (Heiterkeit im Hause, Zwischenruf)<br />
- im Bayerischen Landtag, die eine andere Meinung vertritt.<br />
Herr Dr. Mattar, ich kenne natürlich das Wort unseres Vorsitzenden, Hubert Aiwanger, der sehr für<br />
den ländlichen Raum ist. Auch ich unterstütze ihn hier in gewisser Weise. Die Verlagerung von<br />
Flugbewegungen mehr und mehr nach Nürnberg halte ich aber nicht für richtig. Deswegen stehe<br />
ich hier, um mich klar zu bekennen: dass ich aus meiner Sicht die 3. Starbahn am Flughafen befürworte<br />
und dem Ratsbegehren zustimmen werde. - (Vereinzelter Beifall) - Das sage ich in aller<br />
Deutlichkeit. Die Kolleginnen und Kollegen meiner Partei - bzw. noch sind es Vereinsfreunde -<br />
kennen das zur Genüge und wissen: Wie bei anderen zum Teil auch ist man einmal - ob im Stadtrat<br />
oder im Landtag - unterschiedlicher Meinung und muss das dann auch entsprechend vertreten.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 38 -<br />
Es sind schon viele Aspekte ausgetauscht worden, warum es so wichtig ist. Ich möchte noch ein<br />
paar ergänzen: Wir wissen und erfahren es jetzt erst wieder, wie die Messe boomt. Alle Hallen<br />
während der ISPO sind belegt: eine volle Auslastung auf der Messe. Ein weiterer wichtiger Aspekt<br />
ist, was durch den Gesundheitstourismus an Geldern in die Landeshauptstadt München und in die<br />
Regionen fließt. Unsere Kliniken sind dementsprechend ausgelastet. Das würde eventuell wegbrechen,<br />
wenn die Anbindungen im Flughafenbereich immer mehr zurückgefahren werden.<br />
Schauen Sie einmal auf die Homepage der Gemeinden, die an den Flughafen angrenzen: was für<br />
eine Lobeshymne auf den Flughafen sie anstimmen, und wie gut er ist. Sie profitieren alle davon,<br />
es gibt genügend Arbeitsplätze, sie haben keine Arbeitslosen in diesen Bereichen, weil sie durch<br />
den Flughafen dahingehend so gut abgesichert sind. Auch das bewegt mich natürlich.<br />
Dass der eine oder andere, der dort wohnt, gegen die Flugbewegungen ist, kennen wir auch aus<br />
München. Ich erinnere an den jüngsten Fall, wo sich Anwohner wegen eines Busses beschwerten,<br />
weil er vor der Haustüre hielt. Das ist eben so - hier wie dort. Deswegen stellen wir die Buslinie<br />
auch nicht ein, weil wir sie für sinnvoll halten. Genauso sehe ich das und möchte es noch einmal<br />
bekräftigen: Ich werde diesem Ratsbegehren zustimmen.<br />
StR Ruff:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Man hat hier das Gefühl, München möchte um<br />
alles in der Welt in der Champions League mitspielen, und das Spiel heißt: Wer hat den größten<br />
Flughafen? - (Zwischenrufe von StR Brannekämper und StR Dr. Mattar) - Dabei vergleichen wir<br />
uns mit London, Paris, Rom und Madrid. Das sind aber alles Großräume, und da möchte ich weder<br />
leben, noch können wir uns damit vergleichen! London hat ein Einzugsgebiet von 20 Mio., Paris<br />
eines von 15 Mio. Einwohnern. Da ist es mir auch egal, ob sie mehr Startbahnen und mehr Flughäfen<br />
haben. Das ist eine andere Liga!<br />
Der Wettbewerb findet auf einer anderen Ebene statt. Der Wettbewerb findet auf der Ebene der<br />
Köpfe statt: Wir brauchen die guten Köpfe in München, und wir gewinnen sie über Lebensqualität.<br />
Ich denke, wir alle verpflichten uns der Lebensqualität der Münchner Bürger. Zumindest da sind wir<br />
uns hoffentlich einig. Bei der Lebensqualität geht es vor allem um einen Dreiklang aus erstens<br />
Wirtschaft, Beschäftigung, Arbeitsplätzen, zweitens Wohnen, Wohnumfeld und drittens Umwelt.<br />
Erstens: Unsere Wirtschaft floriert. Wir haben per Definition Vollbeschäftigung, und im Landkreis<br />
erst recht. Wir haben dieses Jahr 500 Mio. € an Schulden abbezahlt.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 39 -<br />
Zweitens: Vor noch nicht einmal einer Stunde haben wir über die Wohnungspolitik hier in München<br />
gestritten. Wir haben einen eklatanten Wohnungsmangel. Wir wissen gar nicht, wo wir die Leute<br />
unterbringen sollen, die zukünftig am Flughafen zusätzlich arbeiten sollen. Der Flughafen geht von<br />
18.000 Einwohnern aus. Uns fehlen die Wohnungen, und so schaut es auch im Planfeststellungsverfahren<br />
aus. Herr Altmann, es ist nicht so, dass die Umlandgemeinden diesen Flughafen und vor<br />
allen Dingen seinen Ausbau begrüßen. Fast alle Stellungnahmen der Umlandgemeinden sagen<br />
einhellig: Wir wissen nicht mehr, wohin mit den Bürgern! Wir haben weder die Straßen, noch die<br />
Kindergartenplätze, noch die Kinderkrippen, noch die Wohnungen. In Freising leben die Studenten<br />
oft monatelang auf Matratzenlagern, weil man nicht mehr weiß, in welchen Wohnungen man sie<br />
unterbringen könnte. Diese Menschen konkurrieren mit denen, die am Flughafen in Zukunft für Billiglöhne<br />
Koffer schleppen sollen.<br />
Drittens: Wenn ich Köpfe nach München bringen will, dann müssen sie sich hier wohlfühlen. Sie<br />
müssen im Grünen spazieren können, wir müssen Lösungen finden für die Probleme Verkehr,<br />
Feinstaub, Lärm, Flächenverbrauch usw.<br />
Zusammengefasst: Wir haben einen Dreiklang, und bei allen drei Themen müssen wir an den<br />
Schrauben drehen. Wenn Sie nur an der Schraube Wirtschaftspolitik drehen, dann vernachlässigen<br />
Sie die beiden anderen und werden in Zukunft nicht gewinnen, sondern verlieren. - (Vereinzelter<br />
Beifall)<br />
Ich persönlich halte aber ein anderes Szenario für wahrscheinlich: Dieser Flughafen - und erst<br />
recht die dritte Startbahn - wird in Zukunft nicht mehr so stark ausgelastet sein. Sie haben bei Ihren<br />
Redebeiträgen immer in die Vergangenheit geschaut, die exorbitanten Wachstumsraten zitiert und<br />
projizieren dies auf die Zukunft. Wer in Zukunft einen Flughafen auslasten will, braucht aber die<br />
Personen, die dort fliegen, und da spielen vor allem zwei Dinge eine Rolle: Wie viel Geld haben die<br />
Leute in der Tasche, und wie teuer sind die Flüge? Die Leute werden aber bei sinkenden Reallöhnen<br />
nicht mehr Geld in der Tasche haben. Vor allem dies spricht dafür, dass der Privatsektor sich<br />
nicht noch mehr Flüge leisten wird. Die Kosten der Flüge wiederum hängen ab erstens von Steuern<br />
und Abgaben und zweitens vom Ölpreis.<br />
Erstens, Steuern und Abgaben: Wir alle wissen, dass zurzeit eine CO 2-Abgabe diskutiert wird. In<br />
Zukunft müssen auch die Fluggesellschaften CO 2-Zertifikate kaufen. Das ist im Moment noch recht<br />
billig, aber allein die Flugbewegungen vom und zum Flughafen München machen 10 % des CO 2-<br />
Ausstoßes in Bayern aus - und sogar 30 % des abgabepflichtigen CO 2-Ausstoßes. D. h., dieser<br />
Sektor, der 30 % ausmacht, kann nicht wachsen, ohne dass andere Sektoren in der Industrie
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 40 -<br />
schrumpfen müssen. Wer Ihren Prognosen zustimmt, trägt mit, dass es zu einer Deindustrialisierung<br />
in Europa kommen muss. Der Flugverkehr kann in Europa nur auf Kosten der anderen Industrien<br />
wachsen.<br />
Zweitens, der Ölpreis: Es gibt kaum eine so CO 2- und energieintensive Wirtschaft wie die Flugverkehrsbranche.<br />
Der Flugverkehr ist auf niedrige Ölpreise angewiesen, und wir werden in Zukunft<br />
keine niedrigen Ölpreise sehen. Namhafte Institutionen sagen voraus, dass die Ölförderung abnehmen<br />
wird. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe geht von 2015 aus, die<br />
Europäische Umweltagentur sagt bereits für 2013 eine Krise voraus, weil die Ölförderung nicht<br />
mehr ausgeweitet werden kann. Die Bevölkerung in dieser Welt nimmt aber zu, und die Schwellenländer<br />
verzeichnen ein exorbitantes Wachstum und eine erhöhte Ölnachfrage. Wenn dann die<br />
Ölförderung nicht ausgeweitet werden kann, steigt der Ölpreis, und es steigen auch die Kosten für<br />
Flugtickets. D. h., diejenigen Leute, die hier auf sinkende Reallöhne angewiesen sind, werden sich<br />
Flugverkehr nicht mehr leisten können. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass man die dritte<br />
Startbahn vielleicht noch bauen wird, aber nicht lange in der Lage sein wird, sie auszulasten.<br />
Zum Bürgerbegehren und zum Änderungsantrag von DIE LINKE.: Anfangs fand ich die Idee recht<br />
charmant, ein Ratsbegehren durchzuführen und diesen Änderungsantrag einzubringen. Aber inzwischen<br />
sind wir in der Situation, dass man das Ratsbegehren nicht mehr braucht. Wir haben<br />
mehr oder weniger die benötigten Unterschriften gesammelt, es geht bloß noch um eine Reserve<br />
für den Fall von Doppelnennungen, weil sich Leute eintragen, die hier nicht gemeldet sind. Aber<br />
auch diese Unterschriften haben wir in den nächsten Tagen gesammelt. Deshalb möchte ich nicht<br />
den Eindruck erwecken, dass ich auf das Ratsbegehren setze, weil ich den Änderungsantrag mittrage.<br />
Nein, ich sage: Das Bürgerbegehren ist so gut wie durch, und wir hätten das von der CSU<br />
initiierte Ratsbegehren nicht gebraucht. Das Bürgerbegehren ist erfolgreich, und das Ratsbegehren<br />
war nur eine Antwort auf dieses erfolgreiche Bürgerbegehren. Dankeschön. - (Beifall von<br />
Bündnis 90/Die Grünen/RL)<br />
StR Akman:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Viele meiner Vorredner haben mit den Themen<br />
Wohlstand, Wachstum, Arbeitsplätze argumentiert. Darauf möchte ich kurz eingehen. Es gibt in der<br />
Rüstungsindustrie auch Arbeitsplätze. Dieser Sektor blüht. Demnach müssten wir alle einstimmig<br />
dafür sein, dass hier mehr Arbeitsplätze entstehen, damit dieser Sektor weiterhin blüht, ohne darauf<br />
zu schauen, wohin das führt. Ihr Argument greift in diesem Bereich einfach viel zu kurz.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 41 -<br />
Kollege Reissl, Sie haben gesagt, dass Sie verwundert wären, weil DIE LINKE. - ich übersetze das<br />
einmal für mich - als Wachstumsbremser dasteht. Wir sind durchaus für Wachstum. Die entscheidenden<br />
Fragen sind aber, in welchen Bereichen das Wachstum stattfindet, und bei wem das Ergebnis<br />
dieses Wachstums landet. Deutschland wächst, was die Wirtschaft angeht, aber parallel<br />
wächst auch die Armut in diesem Land und in unserer Stadt. Schauen Sie sich die Zahlen einmal<br />
an! Die Armut in diesem reichen Land wächst tagtäglich, auch wenn die Statistik das immer schön<br />
redet.<br />
Es heißt, es entstehen andauernd neue Arbeitsplätze. Sage und schreibe 7,4 Mio. Menschen sind<br />
als Minijobber beschäftigt. Sie sagen, Arbeitsplätze entstehen, ohne die Frage zu stellen, ob die<br />
Menschen überhaupt noch davon leben können. Das ist doch die entscheidende Frage: ob dieses<br />
Wachstum und dieser Wohlstand tatsächlich auch bei der Mehrheit der Bevölkerung ankommen.<br />
Ich wage, das zu bezweifeln! Der Wohlstand bleibt bei Wenigen oben hängen, nach unten sickert<br />
er nicht durch. Das ist das Kernproblem! Daher sind wir nicht gegen Wachstum, ganz im Gegenteil,<br />
aber man müsste darauf schauen, dass es beim Wachstum keine regionalen Unterschiede<br />
gibt.<br />
Herr Dr. Mattar, Sie haben die Wirtschaftspolitik des Freistaats gelobt. Warum haben wir dann so<br />
ein großes Nord-Süd-Gefälle? Während der Norden in Bayern vor größeren Herausforderungen<br />
und Schwierigkeiten steht, blüht der Süden auf, und der Münchner Raum wächst. Das ist nicht unbedingt<br />
ein Superzeugnis für den Freistaat Bayern. Ich persönlich finde das nicht unbedingt verantwortlich.<br />
Ich hätte mir gewünscht, dass der Freistaat darauf achtet, dass auch Nordbayern,<br />
Franken, Niederbayern zumindest annähernd gleich wachsen. Aber mit der Politik, die wir jetzt<br />
verfolgen, verschärfen wir die Situation.<br />
Das hat große Schwierigkeiten zur Folge: im Bereich des Wohnraums und des alltäglichen Individualverkehrs.<br />
Kollege Ruff hat es angesprochen: Dass Leute nach München kommen und auch<br />
kommen sollen, ist ein Kernproblem, das durch den Flughafen zusätzlich verschärft wird. Da reicht<br />
es nicht, durch die betriebswirtschaftliche Brille zu schauen, sondern man bräuchte einen volkswirtschaftlichen<br />
Blick. Wir können nicht nur sagen: Alles nach München! München soll Spitzenreiter<br />
sein, und alles andere geht uns nichts an. Das ist aus meiner Sicht unverantwortlich, und dagegen<br />
werden wir auch stimmen.<br />
Kollege Reissl, Sie waren verwundert darüber, dass wir verlangt haben, die Formulierung solle<br />
neutral sein. Wenn Ihnen wichtig wäre, was das Volk zu sagen hat, dann wäre eine neutrale Formulierung<br />
tatsächlich angebracht und auch mir lieber. Aber nachdem Sie das nicht gemacht ha-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 42 -<br />
ben, dürfen Sie sich nicht wundern, dass wir jetzt genau das Gegenteil verlangen. Sie haben selber<br />
gesagt, Sie hätten etwas anderes vor. Sie wollen, dass die Bevölkerung dem zustimmt. Entsprechend<br />
haben Sie eine Formulierung gewählt. Wir hätten uns gewünscht, dass es neutral wäre.<br />
Das ist aber nicht passiert. Deswegen haben wir jetzt quasi das Ansinnen der Gegner als Formulierung<br />
vorgeschlagen. Daran finde ich nichts Verwerfliches. Das ist völlig in Ordnung, auch wenn<br />
wir uns in der Sache streiten. - (StR Reissl: Es ist nicht verwerflich, nur widersprüchlich!) - Das ist<br />
kein Widerspruch! Das ist kein Widerspruch! - (StR Reissl: Doch!) - Gut, das müssen Sie mir vielleicht<br />
mal erklären. Ich weiß nicht, was daran widersprüchlich sein soll. - (StR Reissl: Ich hab`s<br />
Ihnen schon erklärt. Auf einen zweiten Versuch verzichte ich. - Heiterkeit) - Sie haben es nicht erklären<br />
können. Sie haben es behauptet, aber Sie haben es nicht erklärt. - (StR Dr. Mattar: Sie haben<br />
es nicht verstanden! - Heiterkeit) - Darum geht es gar nicht. Mehrere Kollegen haben es auch<br />
nicht verstanden.<br />
Kollege Dr. Mattar, ich fand Ihren Vergleich mit Brasilien und China ein bisschen hinkend. Ich<br />
wünsche mir, dass sich Länder wie Brasilien und China nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch<br />
entwickeln und wachsen. Wenn sie England oder das Vereinigte Königreich von Platz 1 oder<br />
2 verdrängen, dann ist das auch kein Weltuntergang! Es gibt Schlimmeres, und immerhin hat Brasilien<br />
fast das Dreifache an Bevölkerung im Vergleich zu England.<br />
Sie tun so, als ob wir in der Weltrangliste ganz hinten herunterfallen, wenn wir die 3. Startbahn<br />
nicht bekommen würden, dass die „Touris“ nicht nach München kommen ... - (StR Dr. Mattar: Wir<br />
verlieren!) - Sie haben es so dramatisch dargestellt, als ob München morgen zu einer Stadt wird, in<br />
die keiner kommen will, wenn wir die 3. Startbahn nicht bekommen würden. Aber Ihnen geht es gar<br />
nicht um die „Touris“, Ihnen geht es auch nicht um die Bevölkerung, sondern Ihnen geht es um die<br />
Geschäftsflüge. Das ist das Entscheidende! - (StR Dr. Mattar: Auch! Für Wissenschaftler und Forscher!)<br />
Da frage ich mich, ob wir tatsächlich alles nach München holen müssen, auch mit Blick auf die<br />
Gesamtrepublik, aber vor allem mit Blick auf Bayern. - (StR Dr. Mattar: Da müssen Sie ja jetzt jubeln,<br />
dass Siemens Nokia zumacht! Das ist ja toll! - OBM Ude: … ver.di mühsam erkämpft!) - Auf<br />
diese Polemik gehe ich jetzt nicht ein. - (Heiterkeit) - Ich habe Ihnen nur gesagt ... - (OBM Ude: Ich<br />
gebe aber zu, dass es eine war!) - Herr Oberbürgermeister, es geht doch darum, wo Arbeitsplätze<br />
entstehen und mit welcher Qualität. - (OBM Ude: Ja! Genau!) - Das ist die entscheidende Frage! -<br />
(StR Dr. Mattar: Das ist die entscheidende Frage!) - Das ist die entscheidende Frage, und Sie tun<br />
so, als wenn am Flughafen nur supertolle Arbeitsplätze entstehen. - (StR Dr. Mattar: Nicht am<br />
Flughafen, sondern in der Region München!) - Dann schauen Sie sich diese Arbeitsplätze doch
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 43 -<br />
mal an! Das wollen Sie nicht sehen! Sie wollen die Leute mit Zahlen in die Irre führen! Wir sind für<br />
Wachstum, aber für Wachstum in ganz Bayern, für Wachstum im Gleichklang mit anderen Regionen<br />
und nicht zulasten anderer Regionen im Freistaat. Von daher werden wir natürlich unserem<br />
eigenen Änderungsantrag zustimmen, aber den Referentenantrag ablehnen. - (StR Reissl: Glauben<br />
Sie wirklich, dass es Hof besser geht, wenn es München schlechter geht?) -<br />
StR Lischka:<br />
Liebe Frau Bürgermeisterin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich glaube, wir im Stadtrat sollten<br />
verstehen, dass eine vernünftige Wirtschaftspolitik die Grundlage einer Sozialpolitik ist. - (Beifall<br />
von SPD und FDP - StR Dr. Mattar: So ist es!) - Wenn wir es nicht schaffen, dass dieser Standort<br />
München nach wie vor attraktiv bleibt, gibt es auch keine Arbeitsplätze mehr, um die wir kämpfen<br />
können. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Flughafen München als Jobmotor seine Aufgabe<br />
bereits in den letzten 20 Jahren bewiesen hat. Ich bin auch absolut davon überzeugt, dass die<br />
3. Startbahn diesen Weg weiter vorantreiben wird.<br />
Oft haben wir, vor allem aber die Linken, Debatten über die Qualität der Arbeit geführt. Die Qualität<br />
der Arbeitsplätze beim Münchner Flughafen ist deutlich besser als in vielen Bereichen bei uns in<br />
der Stadt. Wenn wir um die Qualität der Arbeit am Flughafen streiten, haben wir wenigstens die<br />
Grundlage, überhaupt um Arbeitsplätze streiten zu können. Ich bin auch davon überzeugt, dass<br />
manche Arbeitskräfte nicht gut genug entlohnt werden. Aber ich kann die Situation von jemandem<br />
bei der Munich Ground nur verbessern, wenn er einen Arbeitsplatz besitzt. Ich bin auch dafür, dass<br />
die Menschen, die Koffer schleppen, vernünftig bezahlt werden. Aber zuerst brauche ich die<br />
Grundlagen, dass sie überhaupt einen Job haben.<br />
Ich komme zum Thema Exportwirtschaft. Das können wir alles bedauern, aber München lebt<br />
schlicht und ergreifend vor allem von der Exportwirtschaft. Es sind nicht nur böse Produkte, die bei<br />
uns produziert werden. Hier ist das Herz der Medizintechnologie, auch das Herz der zukünftigen<br />
grünen Fahrzeugindustrie. Es ist für mich äußerst wichtig, dass sich auch Arbeitnehmervertreter<br />
klar und deutlich für einen Ausbau des Flughafens positionieren. Es ist nicht nur ein Thema der<br />
Wirtschaft, sondern auch ein Thema von Betriebsräten und von den Beschäftigten, die vielleicht<br />
heute Angst haben, wenn sie bei NSN um ihren Job kämpfen, aber in Zukunft bei einem internationalen<br />
Unternehmen unterkommen wollen. Ich persönlich habe großes Verständnis für die Betroffenheit<br />
der Anlieger. Man muss ihre Anliegen ernst nehmen. Es muss ökologisch alles unternommen<br />
und mit den Anliegern vernünftig umgegangen werden. Aber ich habe genauso Interesse<br />
an einer Akzeptanz derjenigen, die sich freuen, dass sie nicht mehr vom Flughafen Riem belästigt<br />
werden.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 44 -<br />
Zu einem Punkt müssen wir uns wieder durchringen: Wenn wir es in Deutschland nicht mehr<br />
schaffen, Infrastrukturprojekte auf den Weg zu bringen, werden wir es uns irgendwann komplett<br />
verspielen, auch eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik. - (Beifall von SPD und<br />
StR Dr. Mattar) - Ich glaube, dass nicht nur die Großindustrie den Flughafen braucht. Es braucht<br />
ihn auch der Mittelstand. Viele exportorientierte Umweltbetriebe, die sich dafür einsetzen können,<br />
dass das Klima auf der Welt verbessert wird, werden ihre Innovationen von München in andere<br />
Erdteile mitbringen können. Das können Sie nicht mit dem Fahrrad. Sie müssen schon in der Lage<br />
sein, einen Flieger benutzen zu können. - (StR Benker: 70er Jahre Argumente!)<br />
Ich halte es schlicht und ergreifend für sinnvoll, dass es für dieses Ratsbegehren eine breite<br />
Mehrheit gibt. Ich halte es auch für wichtig, dass die Münchner Bevölkerung weiß, wie sich ihr<br />
Stadtrat bei einem wichtigen Infrastrukturprojekt entscheidet. Deshalb halte ich es für sinnvoll,<br />
dass wir gemeinsam dieses Ratsbegehren beschließen. - (Beifall von der SPD)<br />
StRin Dietrich:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Was ich an der Debatte interessant finde, ist,<br />
dass die 3. Startbahn zum Dreh- und Angelpunkt einer Wirtschaftspolitik gemacht wird. Zu sagen,<br />
die 3. Startbahn ist der Kernpunkt einer Wirtschaftspolitik, das Instrument, um Wohlstand zu sichern,<br />
ist einfach eine nicht zutreffende Erhöhung. Ich möchte kurz auf das eingehen, was Herr<br />
Ruff gesagt hat. Was ist denn Wohlstand? Wohlstand hat viel mit Lebensqualität zu tun. Lebensqualität<br />
hat in einer Zeit des Klimawandels viel mit den Bedingungen zu tun, unter denen wir leben.<br />
Wir leben in einer Zeit des Klimawandels. Wirtschaftspolitik heute muss man anders definieren und<br />
anders begreifen als Wirtschaftspolitik in den 70er Jahren. - (Beifall von Bündnis 90/Die<br />
Grünen/RL) - Wirtschaftspolitik heute muss auf Nachhaltigkeit setzen. Eine moderne Wirtschaftspolitik<br />
setzt auf Nachhaltigkeit und lässt die Interessen des Klimawandels nicht außen vor. Deswegen<br />
sind diese Argumente einfach falsch.<br />
Der Änderungsantrag von DIE LINKE. wird gegen die Stimmen<br />
von DIE LINKE. abgelehnt.<br />
Der Antrag des Referenten wird gegen die Stimmen von BM Monatzeder,<br />
Bündnis 90/Die Grünen/RL, DIE LINKE. und ÖDP beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 45 -<br />
- BM Monatzeder übernimmt den Vorsitz -<br />
Mit der NPD auch die BIA verbieten<br />
Antrag Nr. 2972 von Herrn StR Josef Schmid,<br />
Herrn StR Marian Offman vom 08.12.2011<br />
Aktensammlung Seite 5365<br />
StR Reissl:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen! Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland<br />
beginnt nach der Präambel mit dem Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Es<br />
steht nicht drin: „Die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar.“ oder „Die Würde von Menschen<br />
mit bestimmten politischen Meinungen oder bestimmter Herkunft ist unantastbar.“, sondern<br />
es stehen ganz einfach diese sechs Worte im Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />
Es ist ein einfacher Satz. So einfach er ist, so klar und eindeutig ist er. Dieser Satz gilt für<br />
alle Menschen.<br />
Auf diesem Satz baut die ganze Werteordnung, die im Grundgesetz für die Bundesrepublik<br />
Deutschland zum Ausdruck kommt, auf. Genau dieser Satz markiert eine klare Trennungslinie<br />
zwischen diesen Gedanken und einem Menschen und Weltbild von Nazis. Das Menschenbild, das<br />
diesem Satz zugrunde liegt, kann man aus dem Christentum ableiten, wenn man will. Dort gibt es<br />
das Bild der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott, also die Gottgleichheit. Man kann es auch<br />
nicht ganz so überhöhen und sich der Aufklärung, des Humanismus und der Entwicklung bedienen:<br />
Der Mensch ist ein Individuum und steht als Individuum im Mittelpunkt der Betrachtung und im<br />
Mittelpunkt einer solchen Werte- und Weltordnung.<br />
Ich halte diese Entwicklung für eine einzigartige und jeder Verteidigung werte Entwicklung; auch<br />
wenn man betrachtet, dass es vollkommen andere Menschenbilder auf der Welt gibt und andere<br />
Menschenbilder praktiziert werden, zum Beispiel in Diktaturen, die sich mit Waffengewalt gegen<br />
Proteste und Freiheitsbewegungen wehren, wie aktuell beispielsweise in Syrien. Es gibt in dieser<br />
Welt immer noch autoritäre oder totalitäre Staaten. Da muss man nicht in die Vergangenheit blicken.<br />
Es ist ein hoher Vorzug für uns alle, dass wir in einer solchen Werteordnung, in der die Universalität<br />
von Menschenrechten die Grundlage ist, leben dürfen. Jenseits dieses klaren Trennungsstri-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 46 -<br />
ches steht ein menschenverachtendes Menschenbild, das nazistische Menschenbild. Es geht eben<br />
nicht von der Universalität der Menschenrechte aus. Es trifft eine rassistische Unterscheidung. Es<br />
stellt das Kollektiv, beispielsweise den Volkskörper, über das Recht des Individuums. Das ist ein<br />
völlig anderes Menschenbild. Es ist nicht das Menschenbild, dem wir folgen. Wir unterscheiden<br />
nicht in wertes und unwertes Leben, sondern wir glauben an diese Allgemeingültigkeit der Rechte<br />
eines jeden Einzelnen. - (Allgemeiner Beifall)<br />
Ich lege besonders großen Wert darauf, dass es genau diesen Konsens gibt zwischen den demokratischen<br />
Kräften in den europäischen Staaten und natürlich auch in unserem Land. Das heißt<br />
nicht, dass man nicht Meinungsverschiedenheiten haben und sich in einer solchen Debatte böse<br />
beharken kann. Aber diese Grundausstattung an Werten müssen wir uns bewahren.<br />
- (StR Dr. Mattar: So ist es!)<br />
Kolleginnen und Kollegen, ich komme nun zu dem Punkt, warum mich der Antrag der CSU so<br />
verstört hat. Wir haben doch überhaupt nichts davon, wenn wir meinen, wir müssten uns in einen<br />
Wettlauf begeben, wer der aufrechtere Antifaschist und der schnellere und ehrlichere Kämpfer<br />
gegen nazistische Umtriebe in unserem Land ist. Ich halte es für eine sehr große Gefährdung zu<br />
meinen, sich in einen solchen Wettbewerb begeben zu müssen, weil damit einhergeht, dass dieser<br />
Konsens mit dem Beginn eines solchen Wettbewerbes aufgegeben wird.<br />
Kolleginnen und Kollegen, wir wollen und können es uns nicht leisten, diesen demokratischen<br />
Konsens bei uns aufzugeben, auch nicht in diesem Stadtrat. Das ist eine Forderung, die für die<br />
gesamte Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland gilt. Aber sie gilt natürlich für uns als<br />
Stadträtinnen und Stadträte der Landeshauptstadt München, insbesondere auch für die Gesellschaft<br />
in unserer Stadt. Ich halte den Antrag der CSU angesichts des Zeitpunkts der Antragstellung<br />
für einen Versuch, diesen Wettbewerb zu beginnen. Er ist eigentlich überflüssig gewesen. Trotz<br />
vieler politischer Forderungen und Bekenntnisse ist heute noch vollkommen unklar, ob es überhaupt<br />
einen Verbotsantrag eines Verfassungsorgans beim Bundesverfassungsgericht zum Verbot<br />
der NPD geben wird. Selbst wenn wir annehmen, es werde demnächst einen solchen Antrag geben,<br />
können wir davon ausgehen, dass das Bundesverfassungsgericht eineinhalb, zwei Jahre<br />
oder länger brauchen wird, um sich mit den Unterlagen und den Beweisen des Antragstellers<br />
auseinanderzusetzen, zu verhandeln und ggf. ein Verbot der NPD auszusprechen.<br />
Im Antrag der CSU steht nicht, die BIA zu verbieten, sondern im Falle eines Parteiverbots der NPD<br />
auch die BIA zu verbieten. Das heißt, auch die CSU geht in ihrem Antrag zunächst davon aus,<br />
dass zuerst ein Verbotsantrag gestellt, über diesen Verbotsantrag verhandelt und vom Bundesver-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 47 -<br />
fassungsgericht entschieden werden muss. Kolleginnen und Kollegen, unsere bisherige Praxis im<br />
Münchner Stadtrat war eine andere. Wir erinnern uns noch daran, dass dieser Antrag am Tag vor<br />
einer Ältestenratssitzung gestellt wurde, obwohl wir eigentlich wissen, dass wir Gelegenheit haben,<br />
uns über solche Dinge auszutauschen und zu einigen. Ich wiederhole meinen Vorwurf: Der Antrag<br />
war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich überflüssig.<br />
Es ist übrigens heute der konkrete Antrag des antragstellenden Referenten, nicht die Aufnahme<br />
des Antrags der CSU, im Falle des Parteiverbots der NPD auch die BIA zu verbieten, sondern das<br />
Bayerische Staatsministerium des Innern aufzufordern zu prüfen, ob es heute schon ausreichend<br />
Verbotsgründe für ein Verbot der BIA gibt. Es ist ein deutlicher Unterschied, ob es um ein Parteiverbot<br />
geht. Das kann bei uns nur das Bundesverfassungsgericht aussprechen. In der Geschichte<br />
der Bundesrepublik Deutschland hat es das bisher zweimal gegeben. Vereine, Organisationen<br />
haben die Innenminister in Deutschland immer wieder verboten, auch solche vom äußersten rechten<br />
politischen Spektrum. Das ist nichts Neues. Ich bin eigentlich bis zur Antragstellung der CSU<br />
davon ausgegangen und hatte das Vertrauen in das Bayerische Staatsministerium des Innern,<br />
dass es von sich aus handeln würde, wenn es ausreichende Gründe für ein Verbot der BIA sähe.<br />
Kolleginnen und Kollegen, in dieser Woche hat der Generalsekretär der CSU eine Forderung aufgestellt,<br />
die zumindest äußerst unglücklich ist. Ich bin bestimmt der Letzte, der die Partei DIE<br />
LINKE. in Schutz nehmen will. Trotzdem halte ich es für fatal, so zu tun, als wäre das politische<br />
Handeln der Partei DIE LINKE. ähnlich zu bewerten wie das politische Handeln von NPD und ihren<br />
Umfeldorganisationen. - (Beifall von SPD und Bündnis 90/Die Grünen/RL) - Das besonders Fatale<br />
daran ist, dass diese Relativierung zur Verharmlosung dessen führt, was wirklich gefährlich ist in<br />
diesem Land. - (OBM Ude: So ist es!)<br />
Ich gehe nicht davon aus, dass die politischen Aktivitäten der NPD letztendlich die demokratische<br />
Grundordnung in diesem Land beseitigen können. Es ist zwar sicherlich ein Ziel, aber ich schätze<br />
die Überzeugungskraft der NPD und ihres politischen Umfelds auf die Mehrheit der Bevölkerung in<br />
diesem Land nicht so hoch ein. Ähnlich schätze ich die Überzeugungskraft der Partei DIE LINKE.<br />
ein. Völlig unabhängig davon, ob es in der Partei DIE LINKE. Einzelne gibt, die vielleicht noch die<br />
Diktatur des Proletariats anstreben, der Partei DIE LINKE. unterstelle ich es nicht. Der Partei NPD<br />
unterstelle ich das Ziel, die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verändern zu wollen.<br />
Ich spreche ihr allerdings die Fähigkeit dazu ab.<br />
Der wesentliche Unterschied ist ein anderer. Der wesentliche Unterschied ist nicht die Gefährdung<br />
der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland durch die eine oder andere
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 48 -<br />
Partei, sondern die mörderische Gefährdung von Menschen in diesem Land. Es gibt einen methodischen<br />
Zählstreit, mit dem ich mich nicht aufhalten will, weil ich ihn für unerheblich halte, denn<br />
es geht nicht um Zahlen, sondern um Qualitäten der Unmenschlichkeit, um die Unmenschlichkeit,<br />
Menschen aus politischen Gründen zu ermorden, aus rassistischer Überzeugung und anderen<br />
niederen Beweggründen. Das ist doch der wesentliche Unterschied zwischen dem politischen<br />
Umfeld der NPD und dem politischen Umfeld der Linken. Es ist die NPD und ihr Umfeld, von der<br />
die mörderische Gefahr für Menschen in diesem Land ausgeht. - (Beifall von OBM Ude, SPD,<br />
StR Niederbühl und StR Dr. Mattar)<br />
Deshalb ein dringender Appell, weil diese Diskussionen immer wieder im Stadtrat der Landeshauptstadt<br />
München geführt werden: Wenn man aufmerksam gegen Rechts ist, muss man auch<br />
aufmerksam gegen Links sein! Politisch aufmerksam gegen DIE LINKE. sollte man sein. Der Meinung<br />
bin ich auch, aber es ist trotzdem ein fataler Hang zu relativieren und damit als vergleichbar<br />
darzustellen, was aktuell und seit 22 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland an tatsächlicher<br />
Gefährdung von Menschenleben in diesem Land stattfindet. Ich kann nicht beurteilen, ob ein Verfassungsorgan<br />
der Bundesrepublik Deutschland ausreichend Belege hat, um einen Verbotsantrag<br />
zu begründen. Ich fürchte, die hat hier im Stadtrat der Landeshauptstadt München niemand. Ich<br />
gehe davon aus, dass sich eine deutliche Mehrheit von uns ein Verbot der NPD wünschen würde.<br />
Ich glaube, es gibt genügend Hinweise auf Verbindungen der auch an der staatlichen Parteienfinanzierung<br />
teilnehmenden NPD zu deutlich kriminalitätsbelasteten Rechten in der Bundesrepublik<br />
Deutschland, vermutlich auch zu Mördern. Das kann ein hinreichender Verbotsgrund sein. Deshalb<br />
teile ich die gefühlsmäßige Erwartung der Mehrheit dieses Stadtrats, dass es einen Verbotsantrag<br />
gibt. Trotzdem werden wir heute dem Appell an das Bayerische Staatsministerium des Innern zustimmen,<br />
auch zu prüfen, ob die BIA unabhängig von einem Parteiverbot der NPD in Bayern verboten<br />
werden kann. - (Beifall SPD und Bündnis 90/Die Grünen/RL)<br />
StR Benker:<br />
Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon darauf hingewiesen worden: Es ist<br />
ungewöhnlich, dass wir heute über ein Verbot der BIA diskutieren, weil wir in der Regel den Konsens<br />
haben, dass wir die rassistische BIA mit ihrem rassistischen Namen und ihren rassistischen<br />
Inhalten durch Diskussionen im Stadtrat nicht aufwerten wollen. Diesen Konsens hat die CSU<br />
durch ihre Antragstellung leider verlassen. Sie hat ihn sicherlich nur aus dem Grund verlassen, um<br />
kurzfristig eine Medienöffentlichkeit für diese Aktivität zu erhalten. Das ist ihr auch gelungen, das<br />
ist richtig. Wir sehen aber gleichzeitig, wie diese Wahlkampföffentlichkeit agiert, wenn der Generalsekretär<br />
der CSU, um auch in der Öffentlichkeit erkannt zu werden, nebenbei das Verbot der
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 49 -<br />
Partei von DIE LINKE. fordert. Daran sehen wir, es geht anscheinend im Augenblick nur noch um<br />
Wahlkampf, nicht mehr um Inhalte. - (Beifall von OBM Ude, BM Monatzeder und von der SPD)<br />
Herr Schmid, bei allen Auseinandersetzungen, die wir haben, möchte ich Sie und die ganze CSU<br />
bitten, das Thema des Umgangs mit dem Rechtsextremismus nicht zum Wahlkampfinhalt zu machen<br />
- (Beifall der SPD) -, sondern darauf hinzuwirken, dass eine Geschlossenheit aller demokratischen<br />
Parteien, Initiativen und Gruppen im Rathaus erhalten bleibt. Es wurde bereits erwähnt: Es<br />
war nicht notwendig, diesen Antrag einen Tag vor dem Ältestenrat zu stellen. Es gab nicht den geringsten<br />
Grund dafür. Er führt inhaltlich weit weg von dem, was möglich ist. Der Antragstext soll<br />
dazu führen, dass auch die Tarnorganisation BIA mit verboten wird, wenn vom Bundesverfassungsgericht<br />
ein Verbot der NPD festgestellt wird. Das ist eine auf mehrere Jahre angelegte Forderung.<br />
Zur Eile gab es nicht den geringsten Grund.<br />
Inhaltlich ist der Antrag auch nicht ganz richtig, weil die BIA wahrscheinlich noch nicht einmal ein<br />
eingetragener Verein ist. Dieser nicht eingetragene Verein kann durch ein Organisations- oder<br />
Vereinsverbot in Bayern jederzeit, wenn die Gründe ausreichen, vom Bayerischen Staatsministerium<br />
des Innern mit einem Vereins- oder Organisationsverbot belegt werden. Auch dazu war eine<br />
Aufforderung sicherlich nicht dringlich, sondern hätte im Stadtrat diskutiert werden können. Aber<br />
Sie waren der Ansicht, dass der Bayerische Staatsminister des Innern unbedingt aufgefordert<br />
werden musste. Dann werden wir das heute auch tun. Wir werden uns deshalb diesem Appell an<br />
den Bayerischen Staatsminister des Innern natürlich anschließen und selbstverständlich dafür eintreten,<br />
dass die BIA in Bayern, in München oder auch in anderen Städten verboten wird, wenn die<br />
Gründe ausreichen.<br />
Bei der BIA handelt es sich eindeutig um die NPD mit anderem Namen. Die BIA ist eine auf die<br />
kommunale Ebene heruntergebrochene NPD. Die BIA soll die Themen der NPD transportieren,<br />
ohne dass die NPD erwähnt wird. Das ist die ganze Aufgabe der BIA. Die NPD wirkt auf viele, die<br />
sich vielleicht überlegen, rechtsextrem zu wählen, abschreckend. Deshalb werden Tarnorganisationen<br />
auf kommunaler Ebene aufgebaut, die versuchen sollen, diese Stimmen aufzufangen. Sie<br />
tarnen sich als "Bürgerinitiative", weil das in irgendeiner Weise Bürgernähe und Basisarbeit transportieren<br />
soll, obwohl in Wirklichkeit NPD-Ideologie enthalten ist und nirgends etwas von Basisarbeit<br />
oder Bürgerinitiativen zu finden ist. Das Programm der BIA ist eine rassistische Antwort auf<br />
Problemlagen einer modernen Stadtgesellschaft. Sie sollen alle rassistisch uminterpretiert werden,<br />
und es wird versucht, sie hier hereinzubringen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 50 -<br />
Die NPD hat in Bayern keine bürgerliche Fassade. In anderen Bundesländern ist ihr das leider in<br />
Teilbereichen gelungen. Eindeutig ist ihr das in Bayern bisher nicht gelungen. Die BIA soll diese<br />
scheinbürgerliche Fassage nach außen transportieren. Das ist der Kern der Aktivitäten der BIA. Es<br />
geht darum, dass sich Brandstifter als Biedermänner darstellen. Es wird versucht, sich als Kümmerer<br />
darzustellen und hierdurch in die Mitte der Gesellschaft zu kommen. Die BIA ist nicht nur auf<br />
dem Papier eine Tarnliste, sondern es ist eine inhaltliche Tarnliste der NPD. Es geht um das Tarnen<br />
und das Verbergen von echten Kernthemen der BIA, nämlich um Rassismus, Schwulenfeindlichkeit,<br />
Islamfeindlichkeit, Antisemitismus und um Kampf gegen Andersdenkende. Die sogenannten<br />
neutralen Themen, die von der BIA aufgegriffen werden, sind Themen, die nach außen hin eine<br />
bürgerliche Fassade transportieren sollen.<br />
Bei der Demonstration der Rechtsextremisten, zum Beispiel am 21. Januar 2012, war wie durch<br />
ein Brennglas zu sehen, was im rechtsextremen Lager geschieht. Es war ganz deutlich. Der Vertreter<br />
hier im Stadtrat war mit dabei und hat dort gesprochen. Außerdem wurde das sogenannte<br />
"Paulchen Panther-Lied" gespielt, das auf der Bekenner-DVD der Mörderbande von Zwickau zu<br />
hören ist. Das wiederum ist eine ganz enge Solidarisierung mit den Taten der Mörder. Dieses Lied<br />
wird in der Öffentlichkeit auf einer rechtsextremen Demonstration abgespielt. Das gibt insgesamt<br />
wiederum die Gemengelage und die Denkweise wieder. Mit dabei waren die Vertreter der rechtsextremen<br />
Kameradschaften. Sie trugen als Fahnen getarnte Schlagstöcke. Stefan W., der dort<br />
aufseiten der Rechtsextremen mitmarschiert und in der Presse mehrfach aufgetaucht ist, hat noch<br />
in der Nacht einen türkischen Taxifahrer brutal zusammengeschlagen.<br />
All das zeigt die gesamte Zusammenarbeit zwischen den sogenannten Biedermännern, die irgendwo<br />
ein Stadtratsmandat haben, zwischen den rechtsextremen Kameradschaften mit den Solidarisierungsaktionen<br />
bis hin in die rechtsterroristische Szene hinein, die insgesamt als Melange<br />
auftritt. Das zeigt die gesamte Gefährlichkeit der rechtsextremen Szene.<br />
Diese braucht unbedingt einen legalistischen Anstrich nach außen. Es hätte keine rechtsterroristische<br />
Gruppe über zehn Jahre in Deutschland morden können, wenn es nicht ein legales Unterstützernetzwerk<br />
gegeben hätte, das offensichtlich bis in die NPD und bis in legale Strukturen hineinreicht.<br />
Das war wie in einem Fokus am 21.01. 2012 für den zu sehen, der sich diese Demonstration<br />
in München angeschaut hat.<br />
Wie gesagt, es verbietet sich wirklich, all die Dinge aufzuzählen, die Inhalte der BIA sind. Aber<br />
dass es eine Tarnliste ist, lässt sich aus verschiedenen Dingen herauslesen. In der Deutschen<br />
Stimme, der Zeitung der NPD, heißt es z. B. bereits 2007 wörtlich: „Der NPD-Parteivorstand ent-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 51 -<br />
schied erst unlängst, in München auf einen eigenen Wahlantritt zu verzichten und stattdessen die<br />
BIA mit Nachdruck zu unterstützen.“ Ein ganz klares Signal, dass es sich um eine Tarnorganisation<br />
handelt. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat bereits 2007 in einer Stellungnahme an die<br />
Stadt München definitiv festgestellt, dass es sich bei der BIA um eine Tarnorganisation der NPD<br />
handelt, damit die NPD nicht selbst zur Kommunalwahl antreten muss, sondern als BIA getarnt<br />
wirklich dabei sein kann. Der Vertreter hier im Rathaus ist stellvertretender Bundesvorsitzender der<br />
NPD, zweiter Vorsitzender der kommunalpolitischen Vereinigung KPV innerhalb der NPD und<br />
Chefredakteur der NPD-Zeitung Deutsche Stimme. Noch dichter kann man die Verbindung zur<br />
NPD überhaupt nicht aufzeigen.<br />
Es gab 2009 eine gemeinsame Vorstandssitzung von BIA und NPD, weil es so praktisch war, wo<br />
man sich traf, um gemeinsam alle Vereins- und Parteiaktivitäten abzustimmen und zu diskutieren.<br />
Auch hier ist die Nähe vollkommen klar und ersichtlich, die sich zwischen NPD und BIA auftut. Im<br />
Wahlkampf 2008 gab es dann wiederum den sog. politischen Aschermittwoch, auf dem bei der<br />
BIA-Veranstaltung im Hasenbergl fünf Vertreter der NPD aufgetaucht sind und gesprochen haben.<br />
Die Verbindung ist also vollkommen klar und offensichtlich. Es ist aber auch so, dass die BIA auf<br />
der einen Seite zwar die Tarnorganisation der NPD ist, auf der anderen Seite aber auch das<br />
Netzwerk und das direkte Verbindungsglied in die rechtsextremistischen und auch gewaltbereiten<br />
Kameradschaften hinein darstellt. Das ist die offensichtliche Politik, die hier vonseiten der BIA auch<br />
vertreten wird. Das war wieder einmal für alle, die es noch nicht wussten, beispielsweise auf dieser<br />
Demonstration, deutlich zu sehen.<br />
Es gab vor Kurzem auch ein Interview in der Sendung Report München. Da wurde u. a. der Vertreter<br />
der BIA hier im Rathaus interviewt. Es ging um die Frage, ob ihm denn bekannt wäre, dass<br />
immer wieder Personen, die im rechtsextremistischen Bereich unterwegs sind und an der Waffe<br />
üben, auch Waffen besitzen und damit auch aktiv sind, auch auf seinen Demonstrationen mitlaufen.<br />
Dann sagte er: „Ich bin dankbar dafür, wenn diese Menschen Flugblattaktionen machen.“ Und<br />
als Weiteres: „Es gibt immer Leute, die wahrscheinlich einmal eine Waffe in der Hand gehabt haben.<br />
Man kann es im Einzelfall nicht überprüfen. Es interessiert mich im Einzelfall auch gar nicht.“<br />
Daraus wird deutlich ist, dass es dem Vertreter der BIA völlig egal ist, wenn er mit Menschen, die<br />
mit Waffen unterwegs sind, zusammen aktiv ist und aktiv arbeitet.<br />
Wie gesagt, das soll auch schon fast genügen, um insgesamt diese Verbindung herzustellen, um<br />
zu zeigen, „wes Geistes Kind“ die BIA und NPD wirklich sind. Als Allerletztes sollte noch zumindest<br />
ein Zitat erwähnt werden, das wirklich alles über die NPD und die BIA aufzeigt. Da schreibt nämlich<br />
der Vertreter hier im Rathaus:
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 52 -<br />
„Im Gegensatz zu uns war die NSDAP in Stil, Auftreten und Methoden eine ultramoderne Massenpartei,<br />
die es damit konkurrenzlos erfolgreich in die Mitte des Volkes schaffte. Dort müssen wir<br />
auch hin.“<br />
Die direkte Bezugnahme auf die NSDAP, die direkte Bezugnahme auf den Nationalsozialismus,<br />
der wieder kommen soll, ist das Entscheidende daran. Es geht immer darum, Demokratie zu bekämpfen.<br />
Es geht immer darum, eine multikulturelle Gesellschaft, eine offene Gesellschaft zu bekämpfen.<br />
Beispielsweise wurden, als der Mörder von Norwegen 85 Menschen erschoss, durch die Solidarisierung<br />
mit dem Mörder von Norwegen, die sagen soll, solange es hier eine offene Gesellschaft<br />
gibt, wird es so etwas immer geben, die Opfer zu Tätern gemacht, weil es auch Menschen waren,<br />
die für eine offene Gesellschaft eingetreten sind. Es geht im Kern darum, eine offene Gesellschaft,<br />
eine demokratische Gesellschaft und alles, was dazu gehört, zu bekämpfen. Daher ist das Verbot<br />
der BIA mit Sicherheit ein klarer, richtiger und konsequenter Schritt. Das werden wir heute auch<br />
fordern und mittragen. Ich bitte die CSU aber darum, daraus nicht irgendwie „wahlkampfpolitischen<br />
Honig saugen zu wollen“, sondern wieder eine Geschlossenheit herbeizuführen, die wir hier auch<br />
brauchen. Danke. - (Beifall)<br />
StR Akman:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, jeder Appell, jede Initiative gegen Rassismus,<br />
gegen Faschismus ist begrüßenswert, auch der heutige Appell in der Vorlage. Ich möchte<br />
ich mich gar nicht zum Für und Wider des Antrags der CSU äußern. Dazu haben ein paar Kollegen<br />
schon etwas gesagt. Aber auch dieser Appell in der heutigen Vorlage ist meines Erachtens wichtig.<br />
Unsere Stadt und allen voran unser Oberbürgermeister machen immer wieder auf die Gefahr von<br />
rechts aufmerksam. Viele unserer Bürger gehen auf die Straße, blockieren Nazi-Demos und auch<br />
viele von uns im Stadtrat sind oft dabei, weil wir genau wissen, wozu es führt, wenn man diesen<br />
Anfängen nicht wehrt. Ich bin sehr froh, dass bei all diesen Aktivitäten und Initiativen gegen<br />
Rechtsextremismus und Faschismus der Oberbürgermeister federführend oder am vordersten<br />
Platz mit dabei ist. Das ist ein deutliches Signal, das ist ein unheimlich wichtiges Signal. An der<br />
Stelle, denke ich, ist es angebracht, Ihnen noch einmal herzlich dafür zu danken, dass Sie sehr<br />
aufrecht immer wieder auf die Gefahr von rechts hinweisen. - (Beifall)<br />
Kolleginnen und Kollegen, zum Verfassungsschutz hat Herr Kollege Reissl schon einiges gesagt.<br />
Ich möchte das nicht polemisch darstellen, aber als Linke würden wir gerne darauf verzichten,<br />
dass der Verfassungsschutz uns beobachtet. Stattdessen soll er diese Kapazitäten für die rechten
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 53 -<br />
und braunen Aktivitäten einsetzen. Wir könnten ohne den Verfassungsschutz gut leben. Warum ich<br />
mich gemeldet habe, hat folgenden Grund: Wir hätten das ansonsten in einem gesonderten Antrag<br />
zwar irgendwann einmal eingebracht, aber nachdem wir eine Vorlage haben und auch nicht die<br />
BIA bei jeder Gelegenheit aufwerten wollten, haben wir uns überlegt, dass der Änderungsantrag,<br />
den wir verteilt haben, zu diesem Tagesordnungspunkt passend wäre, bevor wir noch einmal in<br />
einer gesonderten Sitzung etwas anderes verlangen.<br />
Wir haben in einem Änderungsantrag zwei neue Punkte gefordert, nämlich dass das KVR beauftragt<br />
wird, die Waffen, die sich im Besitz von bekannten NPD-Anhängern befinden - SympathisantInnen<br />
und AktivistInnen sowie ihrer Tarnorganisationen wie beispielsweise der BIA - wegen mangelnder<br />
Zuverlässigkeit einzuziehen. Das KVR hat schon einmal eine soche, auch sehr erfolgreiche<br />
Aktivität zu einem anderen Anlass durchgeführt, bei der viele Waffen zum Teil auch freiwillig<br />
abgegeben worden sind. Ich denke, wenn wir solche Möglichkeiten haben, dann sollte das KVR<br />
hier auch handeln.<br />
Der zweite neue Punkt bei uns ist, dass wir verlangen, Oberbürgermeister Christian Ude und die<br />
zuständigen Referate setzen sich bei der bayerischen Landesregierung dafür ein, dass die Waffen<br />
analog dem Punkt 1 wegen mangelnder Zuverlässigkeit in ganz Bayern entzogen werden. Es gibt<br />
bereits zwei Stadtstaaten, nämlich Hamburg und Bremen, die schon Waffen eingezogen und erfolgreich<br />
die Anhänger der NPD und ihrer Tarnorganisationen entwaffnet haben. Ich denke, vor<br />
dem Hintergrund der Verbrechen der Zwickauer Terrorzelle ist es absolut angebracht, dass wir in<br />
diesem Bereich nicht zusehen sollten, wenn sich Waffen in den Händen solcher Menschen befinden,<br />
mit denen sie wahllos oder gezielt Menschen erschießen. Wir würden uns freuen, wenn Sie<br />
unserem Änderungsantrag folgen bzw. wenn die Verwaltung ihn aufgreifen würde. Vielen Dank.<br />
StR Richter:<br />
Herr Oberbürgermeister, Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren! Es ist schon ein Fortschritt,<br />
wenn Herr Benker ausnahmsweise einmal nicht „mit viel Schaum vor dem Mund“ und<br />
einem Trillerpfeifchen im Mund argumentiert, sondern ansatzweise Sachargumente artikuliert, die<br />
allerdings weithin vom politischen Verfolgungswahn „durchwabert“ sind. Ich habe auch gar nichts<br />
zu rechtfertigen, was hier zu hören war. Ich habe mich auch von nichts zu distanzieren. Ein paar<br />
Worte möchte ich allerdings trotzdem dazu verlieren.<br />
Es mag sein, dass die BIA Ihnen ein Dorn im Auge ist, vielleicht ein Stachel im Fleisch, dann erfüllt<br />
sie ihre Funktion als politisches Korrektiv. Dann hat sie ihre Aufgabe erfüllt. Aber was macht die<br />
BIA denn tatsächlich? Sie beteiligt sich am kommunalpolitischen Leben, sie nimmt aktiv an der
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 54 -<br />
Kommunalpolitik in München teil. Sie greift auch Themen auf, die ansonsten wenig im öffentlichen<br />
Gespräch sind, die Sie vielleicht auch manchmal versuchen, unter den Teppich zu kehren, damit<br />
sie nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Diese Themen greift die BIA im Stadtrat auf, das<br />
macht sonst keiner. Das ist alles im Sinne eines Meinungspluralismus ein legitimes Anliegen. Die<br />
BIA ist eine Bereicherung für den demokratischen Prozess und insbesondere auch für die Meinungsvielfalt<br />
im Münchner Rathaus. Verboten ist daran nichts, verfassungsfeindlich auch nichts.<br />
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen von der Linkspartei, ich kann Sie beruhigen,<br />
Sie werden bei mir kein Maschinengewehr im Kühlschrank finden, das ist absurd. Ich sehe<br />
dem Änderungsantrag mit großer Gelassenheit entgegen. Ich habe es überhaupt nicht nötig, mich<br />
solcher Mittel zu bedienen. Herr Benker, dass ich auch Mitglied der NPD bin und dort Funktionen<br />
ausübe, ich bewundere Ihren detektivischen Scharfsinn.<br />
Zu dem hier in Rede stehenden Verbotsanliegen in Richtung Innenministerium hat der Oberbürgermeister<br />
schon vor geraumer Zeit alles Nötige gesagt. Der Innenminister wird wissen, was er tut<br />
und was er nicht tut. Ich bin auch Herrn Kollegen Reissl für seine sehr ausgewogenen Worte heute<br />
in dieser Diskussion dankbar. Man würde sich manchmal im Umgang mit Andersdenkenden mehr<br />
solcher ausgewogenen Worte wünschen. Das war ein anständiges Zeugnis. Aber der in Rede<br />
stehende Verbotsantrag, dieses Verbotsansinnen an die Adresse des bayerischen Innenministeriums<br />
ist natürlich ein demokratiepolitisches, ein politisches Armutszeugnis. Das muss ich auch in<br />
aller Deutlichkeit sagen. Wenn Sie es, 79 Kolleginnen und Kollegen plus einem Oberbürgermeister,<br />
nicht schaffen, einem Einzelkämpfer mit Sachargumenten oder sonst wie Herr zu werden, und<br />
lieber nach einem Verbot schreien und sich dazu händeringend an die Adresse des Innenministeriums<br />
wenden, dann ist das ein Armutszeugnis. Dazu ist sonst gar nicht mehr viel zu sagen. Besonders<br />
kabarettreif wirkt eine solche Initiative natürlich bei Leuten, die selber unter Beobachtung<br />
des Verfassungsschutzes stehen, über denen vielleicht selber das Damoklesschwert eines Verbotsverfahrens<br />
schwebt. Das ist schon relativ kabarettreif. Meine Kolleginnen und Kollegen von<br />
der Linkspartei, ich darf Ihnen versichern: Ich bin strikt gegen jedes Verbot. Ich bin ein strikter Anhänger<br />
von Meinungspluralismus. Niemand soll verboten werden wegen seiner Auffassungen, und<br />
ich halte überhaupt nichts davon, DIE LINKE. verbieten zu wollen.<br />
Ich wünsche Ihnen bei Ihrer Initiative, Ihrem Hilferuf an die Adresse des Innenministeriums recht<br />
viel Erfolg. Das ist eine Selbstentlarvung vor laufender Kamera, für die ich Ihnen bloß dankbar sein<br />
kann. Schlagender konnten Sie Ihr Demokratieverständnis, das auf Verbot, Ausgrenzung und Diffamierung<br />
Andersdenkender beruht, überhaupt nicht unter Beweis stellen. Ganz herzlichen Dank.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 55 -<br />
StR J. Schmid:<br />
Herr Oberbürgermeister, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Herr Kollege Reissl seine Rede<br />
begonnen hat, haben wir nach dem ersten Teil applaudiert. Ich teile ausdrücklich die Auffassung,<br />
die Sie zur Universalität der Menschenwürde und der Menschenrechte hier dargelegt haben. Ich<br />
stimme dem auch ausdrücklich zu, was Herr Kollege Benker im letzten Teil seiner Ausführungen<br />
gebracht hat. Aber als Sie, Herr Kollege Reissl, dann dazu übergegangen sind, den Antrag der<br />
CSU zu kommentieren und zu interpretieren, sind bei mir die Gefühle plötzlich etwas durcheinander<br />
gekommen. Zuerst war ich sehr überrascht, dass Sie das hier und heute tun. Ich war dann<br />
verärgert und erzürnt und eigentlich zum Schluss wieder tieftraurig.<br />
Herr Benker, ich habe mir bis zu Ihren Aussagen, die, die CSU betreffend, am Anfang Ihres Redeparts<br />
waren, überlegt, ob ich überhaupt an das Rednerpult schreiten soll; denn wir setzen den von<br />
Ihnen beschriebenen Konsens fort, Herr Kollege Reissl. Dabei ist ein solcher Redebeitrag, wie er<br />
jetzt erfolgt ist, nicht zielführend, nicht hilfreich. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich eines: Bei dem,<br />
was Sie über die CSU-Stadtratsfraktion an Fehlinterpretationen und Unwahrem gesagt haben,<br />
bleibt mir gar nichts anderes übrig, als in diesem Moment auch ans Rednerpult zu gehen und dies<br />
zurückzuweisen. - (Vereinzelt Beifall)<br />
Bei dieser bundesweiten Debatte über das Verbot der NPD, die nichts mit den Geschehnissen in<br />
diesem Stadtrat, den Anträgen eines Einzelnen in diesem Stadtrat, mit politischen Vorstößen hier<br />
zu tun hat - (StR Reissl: Sie beziehen sich ja selber darauf!) - Herr Kollege Reissl, jetzt hören Sie<br />
einmal zu -, bezeichnen Sie einen Antrag, der zu diesem Thema erfolgt, aber als Stadtratsantrag<br />
im Stadtrat zu behandeln ist, als Eintritt der CSU in den Wettbewerb, wer den entschiedeneren<br />
Kampf gegen Rechts führt. Der Antrag ist gestellt am 08.12.2011. Am 07.12.2011, einen Tag vorher,<br />
läuft eine Pressemitteilung der SPD München aus, die titelt: „Die Münchner SPD verstärkt den<br />
Kampf gegen Rechtsextremismus.“ Hans Ullrich Pfaffmann, Vorsitzender der Münchner SPD,<br />
Zitat:“München ist eine weltoffene, liberale und tolerante Stadt.“ Das muss man voll unterstreichen.<br />
Es geht weiter: „Rechtsextremismus darf und wird in München keine Chance haben. Es bleibt<br />
Aufgabe der gesamten Stadtgesellschaft und der Stadtpolitik, für eine rechtsextremismusfreie<br />
Zone in München und in ganz Bayern zu sorgen.“ Wie interpretieren Sie dann eigentlich diesen<br />
Vorstoß, diese Pressemitteilung? Ich habe nicht die geringste Lust, in eine Debatte einzutreten,<br />
wer irgendwo einen Wettbewerb oder sonst etwas auslöst; denn so habe ich weder diese Pressemitteilung<br />
noch unseren Antrag gesehen. Unser Antrag setzt eigentlich in Anbetracht des großen<br />
Themas NPD-Verbot genau fort, wozu Herr Pfaffmann aufruft, wozu Sie einen Tag vorher aufgerufen<br />
haben. Wir stellen also einen Antrag der Fortsetzung. An der Stelle kann man eigentlich dann
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 56 -<br />
gar nicht mehr Konsens zeigen, der fortsetzt, was einen Tag vorher der Vorsitzende Münchner<br />
SPD gefordert hat und als Devise an die Stadtgesellschaft und die Stadtpolitik ausgelaufen ist.<br />
Dann sagen Sie, das ist alles eine Selbstverständlichkeit, Innenminister usw. Ich zitiere Ihnen<br />
einmal, was der Innenminister zu dem Antrag der CSU gesagt hat: Er könne es im Gegenteil nur<br />
begrüßen, so steht es in der Beschlussvorlage. Originalzitat: „Wenn alle relevanten Institutionen<br />
die Staatsregierung in der Bekämpfung des Rechtsextremismus unterstützen und gegebenenfalls<br />
durch Beschlüsse betroffener Städte und Gemeinden ...“ Ja, wir sind eine betroffene Stadt. Andere<br />
Städte sind nicht betroffen, die haben niemand in ihrem Stadtrat sitzen, der der NPD angehört. Wir<br />
schon. „... Gegebenenfalls durch Beschlüsse betroffener Städte und Gemeinden nicht zuletzt ein<br />
positives Signal für die engagierte Bürgerschaft aussenden.“ Wie viele Signale senden wir eigentlich<br />
zu allem Möglichen aus dem Stadtrat aus? Wenn wir einen Antrag stellen, um in Anbetracht<br />
dieser bundesweiten und landesweiten Bewegung zum Thema Verbot der NPD das fortzusetzen,<br />
wozu Herr Pfaffmann einen Tag vorher sogar aufruft, dann kann ich wirklich nur den Kopf schütteln,<br />
wenn Sie sagen: Wir würden den Konsens aufgeben und uns in dieser öffentlichen Debatte<br />
heute auch noch öffentlich deswegen anprangern. Ich kann da nur noch den Kopf schütteln.<br />
- (Beifall von der CSU)<br />
Dann verweise ich noch auf etwas: Wir haben als CSU-Stadtratsfraktion auch in diesem Stadtrat<br />
einige Anträge zum Thema Linksextremismus, zu den Gefahren, die vom Linksextremismus ausgehen,<br />
gestellt. Ich betone das, weil das in der Stufe, in dem Grad etwas anderes ist als Morde,<br />
die aus dem Umfeld der NPD getätigt wurden. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wir haben uns<br />
gerade in den zurückliegenden Debatten als CSU-Stadtratsfraktion bemüht, die Dinge zu trennen<br />
und nichts zu relativieren, indem man eine durchgehende Linie zieht. Herr Ude, gerade in den<br />
jüngsten Stadtratsdebatten haben wir Sie auch extra darauf angesprochen, dass wir das tun wollen,<br />
um das zu trennen. Da befremdet es mich umso mehr, wenn Sie, Herr Kollege Reissl, und Sie,<br />
Herr Kollege Benker, das heute in eine durchlaufende Linie stellen. Überlegen Sie sich bitte gut,<br />
was Sie hier tun. - (Beifall) - Ich spreche Ihnen nicht ab, dass Sie nicht auch gegen Linksextremismus<br />
wären. Sie haben nur eine andere Einschätzung als wir, und das muss auch zulässig sein<br />
zwischen Demokraten, die in einer Phalanx hoffentlich gegen jeden Extremismus stehen. Es ist<br />
zulässig, dass man die Gefahren des Linksextremismus, Gewalt gegen Sachen und solche Dinge,<br />
anders einschätzt und anders bewertet, als wir es bewerten. Herr Kollege Reissl, wir stellen es<br />
auch nicht, sage ich noch einmal in aller Deutlichkeit, neben den Mord an Menschen, wirklich nicht.<br />
Da gibt es nichts zu relativieren. Aber dass wir auch nach links schauen, getrennt von dem einen,<br />
und sagen, eine Demokratie muss auch den Blick nach links richten.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 57 -<br />
Herr Kollege Akman, dass dabei dann auch eine Partei in das Blickfeld rückt, die eine kommunistische<br />
Plattform unterhält, mit alldem, was wir aus den Lehren der Geschichte mit Kommunismus<br />
oder mit real existierendem Sozialismus und mit allem, was da passiert ist, zu verbinden haben,<br />
das halte ich nicht nur für recht und billig, sondern auch für richtig. - (Beifall) - Wir stellen das nicht<br />
in eine durchgehende Linie in einen Zusammenhang - wie Sie heute gemacht haben -, sondern<br />
wir haben extra bei den zurückliegenden Debatten darauf gedrängt, dass man das nicht in einem<br />
Atemzug mit dem, was von Rechtsradikalen und Rechtsextremen ausgeht, debattiert. Daran werden<br />
wir auch zukünftig festhalten. Wir werden auch zukünftig unsere Position auch zu linksextremistischen<br />
Gefahren und Vorgängen klar und deutlich äußern. Wir werden getrennt davon auch<br />
unsere Position zu rechtsextremistischen Straftaten und rechtsextremistischen Umtrieben äußern,<br />
und wir werden den Konsens, den wir aus unserer Sicht immer gehalten haben, auch fortsetzen.<br />
- (Beifall)<br />
OBM Ude:<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt den inhaltlichen Konsens, der Gott sei Dank auch zum<br />
Ausdruck gekommen ist, aber es gibt leider keinen Konsens, der auch eingehalten wurde, was die<br />
Vorgehensweise betrifft. Ich verstehe unter Gemeinsamkeit der Demokraten, dass man nicht nur<br />
bei den Grundsätzen, sondern auch bei den Vorgehensweisen die Gemeinsamkeit wahrt. Herr<br />
Schmid, Sie werden selber gespürt haben, dass Sie außerhalb Ihrer Fraktion niemanden überzeugt<br />
haben und die Absicht der Antragstellung nicht mehr durchschaut wurde. Sie haben ausdrücklich<br />
ein Thema angesprochen, das erst in einigen Jahren aktuell wird, nämlich im Falle eines<br />
Verbots der NPD. Dieses Thema, das erst in einigen Jahren aktuell werden kann, mussten Sie mit<br />
einem Antrag zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen, einen Tag vor der drohenden Ältestenratssitzung,<br />
bei der wir seit Anfang der Amtsperiode das Vorgehen der Demokraten mit diesem<br />
Thema erörtern wollten. Einen Tag vorher! Wenn man noch hätte zwei Wochen warten müssen,<br />
dann hätte sich vielleicht irgendwo Verständnis eingeschlichen, aber einen Tag vor einer - ich<br />
sage es noch einmal - drohenden Ältestenratssitzung, in der man sich auf einen Konsens hätte<br />
verständigen können, ganz schnell eine Presseerklärung abzugeben zu einem Thema, das erst in<br />
Jahren aktuell werden kann, das ist nichts anderes als der Versuch der Profilierung als der - wie<br />
Herr Kollege Reissl gesagt hat - Schnellere oder Entschiedenere. Das ist natürlich schon bemerkenswert,<br />
wenn wir an die Geschichte dieses Themas in diesem Gremium denken.<br />
Da gab es z. B. in den 90er Jahren die Gründung des Bündnisses für Toleranz. Ich hätte es nicht<br />
angesprochen, aber Sie legen auf die Klarstellung von Rollen so großen Wert. Wir haben ein<br />
Bündnis für Toleranz gegründet, das sich sogar ausdrücklich gegen rechten und linken Extremismus<br />
wenden sollte - das war der Änderungsantrag, den Herr Stadtrat Dr. Dietmar Keese einge-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 58 -<br />
bracht hat -, und trotzdem war die CSU dagegen. Es gab Beratungen, ob man so etwas Fürchterliches<br />
tun darf, wie es Herr Kollege Benker und Herr Kollege Helmut Schmid getan haben, nämlich<br />
den rechtsextremistischen Aufmärschen dadurch entgegenzutreten, dass man deutlich macht, und<br />
zwar körperlich, dass kein Platz für Neonazis ist. Lesen Sie einmal im <strong>Protokoll</strong> nach, was Ihre<br />
Vertreter dazu gesagt haben. Es war, wie allen erinnerlich ist, eine Verurteilung als strafrechtlich<br />
relevantes Verhalten, bis dann der Innenminister von der strafrechtlichen Verfolgung zur Begrüßung<br />
des zivilen Ungehorsams umgewechselt ist.<br />
Dieses ist nicht vergessen und vor diesem Hintergrund ist es umso erfreulicher, wenn wir uns in<br />
dieser Amtsperiode verständigen, es gibt eine Gemeinsamkeit der Demokraten. Ich sage es noch<br />
einmal, Gemeinsamkeit der Demokraten hätte für mich am 8. Dezember bedeutet, am 9. Dezember<br />
im Ältestenrat zu fragen: Wie wollen die 79 demokratischen Mitglieder des Stadtrates vorgehen,<br />
statt parteipolitische Reklameveranstaltungen zu machen? Aber wenn der Versuch unternommen<br />
wird, dann muss ich darauf hinweisen, dass mein Antrag ganz und gar nicht der CSU-<br />
Antrag ist. Herr Kollege Reissl hat es schon angesprochen. Aber nachdem sogar einem Presseorgan<br />
der Unterschied entgangen ist, darf ich darauf hinweisen:<br />
Ihr Antrag hat ausdrücklich nur für den Fall eines Verbots der NPD ein Verbot der BIA zur Diskussion<br />
gestellt, also in einigen Jahren. Dies erscheint mir, nachdem ausgerechnet die CSU heute<br />
eine politische Debatte über Verbotsanträge führen will, nicht angemessen und nachvollziehbar.<br />
Nachdem der Innenminister bürgerschaftliche Zurufe ausdrücklich erwünscht hat, was auch neu<br />
ist, lautet mein Antrag:<br />
„Unabhängig vom Verbotsantrag sind heute schon alle vereinsrechtlichen Möglichkeiten<br />
von Verboten der Tarnorganisationen BIA sowie rechtsextremer Kameradschaften und<br />
sonstiger Zusammenschlüsse auszuschöpfen.“<br />
Das ist inhaltlich etwas völlig anderes. Der CSU-Antrag war sozusagen für das Archiv: Wir wollen,<br />
dass in einigen Jahren nach einer Karlsruher Entscheidung auch gegen die BIA vorgegangen wird,<br />
und dann aus dem Archiv hervorgezogen werden kann, dass wir das zuerst gefordert haben.<br />
Mir geht es jedoch darum, wenn die CSU-Fraktion eine öffentliche Stadtratsdebatte erzwingt und<br />
der Innenminister Aufforderungen an sein Haus wünscht, dass wir dann deutlich machen, dass<br />
heute schon die Situation für eine Prüfung reif ist. Tatsächlich wird durch die Umdeutung der skandinavischen<br />
Mordserie und das praktische Verhalten bei Demonstrationen als Reaktion auf die<br />
deutsche Mordserie die Frage aufworfen, ob hier Gewalt-, Straf- und Mordtaten gewürdigt und ge-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 59 -<br />
feiert werden sollen. Dies sind neue Materialien, die weit über das Verhalten einer Einzelperson bei<br />
einer Vereidigung hinausgehen. Deswegen sind meines Erachtens Verbotsprüfungen heute schon<br />
angemessen. Ich hätte das nicht öffentlich thematisiert, wenn nicht der Innenminister selbst eine<br />
öffentliche Ermutigung seiner Absichten eingefordert hätte.<br />
Zum Antrag von DIE LINKE.:<br />
Herr Stadtrat Akman, die Verwaltung konnte einiges vortragen, was ohnehin schon gemacht wird.<br />
Ich halte aber das politische Signal, welches Sie mit diesem Antrag geben, für absolut richtig. Die<br />
Kreisverwaltungsbehörde hat auch keine Bedenken, sondern sagt nur: Einiges in dieser Richtung<br />
wird ohnehin schon veranlasst und ausgeführt. Das ist aber kein Widerspruch, und deswegen<br />
übernehme ich Ihren Antrag. - (Beifall von der linken Seite des Hauses)<br />
StR Offman:<br />
Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zunächst ausdrücklich Stadtrat<br />
Reissl für seine Ausführungen danken. Ich habe bis zu meinem 25. Lebensjahr mit mir gehadert,<br />
ob ich als Jude in diesem Land bleiben kann. Was Sie vorhin sagten, hat mich darin bestätigt,<br />
dass ich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen habe und hier lebe. Bestätigend ist für<br />
mich auch der weitgehende Konsens in diesem Haus, denn es geht nicht um eine Auseinandersetzung,<br />
einen Wettbewerb oder dergleichen. So etwas könnte ich nicht nachvollziehen.<br />
Dass dieses Land und die Menschen, die hier leben, sich durch diese Worte von allen Seiten und<br />
den Konsens weiterhin massiv gegen Rechts wenden, befriedigt mich zutiefst und lässt mich hoffen.<br />
Ich war auf dieser letzten Demonstration der Nazis und habe die dort gespielte Melodie gehört.<br />
In diesem Augenblick ist es mir eiskalt über den Rücken gelaufen, und ich hatte Tränen in den<br />
Augen. Mir war nicht vorstellbar, dass jemand, mit dem ich seit Jahren in diesem Saal sitzen muss,<br />
inmitten derer ist, die eine solche Melodie spielen. Dieses Lied verherrlicht, dass zehn Menschen<br />
ermordet wurden, weil sie eine andere Staatsangehörigkeit haben.<br />
Viele Menschen sprechen mich immer wieder an und fragen: Wie hältst Du das in diesem Rathaussaal<br />
überhaupt aus? Meine Antwort lautet: Ich ertrage es, weil ich der Meinung bin, dass alle<br />
hier im Raum - mit einer Ausnahme - dafür stehen werden, damit ich als Jude in diesem Land -<br />
ohne Einschränkungen und ohne in irgendeiner Form beeinträchtigt zu werden - leben kann. Ich<br />
bin stolz auf dieses Land, das dies bewerkstelligt. Ich bin auch stolz darauf, wenn die Neonazis<br />
aufmarschieren, dass so viel Polizei an den Seiten steht. Diese Nazis können zwar ein unglaublich<br />
provozierendes Lied spielen, aber sonst können sie im Grunde nichts anrichten. Dazu teile ich<br />
auch die Ansicht von Stadtrat Reissl und auch von unserem Fraktionsvorsitzenden.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 60 -<br />
Eines verstehe ich jedoch nicht: Als die grausigen Morde dieses Zwickauer Trios bekannt wurden,<br />
haben wir auch erfahren, dass diese in Zusammenhang mit der NPD stehen und auch die BIA irgendwie<br />
in diesem Zusammenhang zu sehen ist. Indem dieses Lied gespielt wurde, hat die BIA<br />
selbst bewiesen, dass dieser Zusammenhang besteht. Warum es dann ein Wettbewerb sein muss,<br />
wenn man einen Antrag stellt, dass es nicht recht sein kann, wenn ein solcher Vertreter hier sitzt,<br />
verstehe ich nicht. Zudem hat auch die SPD-Fraktion - und völlig nachvollziehbar und richtig - ein<br />
ähnliches Ansinnen vorgetragen.<br />
Ich kann dem Herrn Oberbürgermeister nur gratulieren, dass er unseren Antrag fortentwickelt hat.<br />
Ich bin stolz darauf, dass Sie diesen Antrag gestellt haben und zwar deshalb, weil wir heute den<br />
Antrag stellen können, den Sie fortentwickelt haben. Ich finde, wir sollten alle in diesem Haus stolz<br />
darauf sein, dass wir diesen Antrag stellen. - (Beifall der CSU-Fraktion)<br />
StR Benker:<br />
Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Debattenverlauf offenbart uns den<br />
Grund, die Diskussion nichtöffentlich zu führen: Wir treten in einen Wettbewerb untereinander ein.<br />
Wir diskutieren darüber, wer zuerst diesen Antrag gestellt hat und welche Konsequenzen es hatte,<br />
was der Eine oder Andere hier gesagt hat. Die demokratischen Parteien kommen untereinander in<br />
eine Diskussion über den richtigen Weg, mit dem Rechtsextremismus umzugehen. Genau diese<br />
Debatte führt zu einem Wettbewerb, zu Diskussionen usw. Im Endeffekt lässt uns das nach außen<br />
so erscheinen, als gebe es keine Geschlossenheit der Demokraten. Das ist der Grund, weshalb<br />
wir erst gar nicht in diesen Wettbewerb eintreten sollten. - (Beifall von Rot-Grün)<br />
Ihr Beitrag, Herr Stadtrat J. Schmid, war der Beleg dafür, dass Sie auch zwei Monate nach Ihrer<br />
Antragstellung nicht verstanden haben, weshalb Sie das nicht tun sollten. Sie treten hier auf und<br />
sagen: Selbstverständlich mussten wir das machen, es geht nicht anders. Sie beziehen das auf<br />
eine Presseerklärung der SPD-Fraktion, in der gesagt wird, man muss den Kampf gegen den<br />
Rechtsextremismus intensivieren. - (BM Monatzeder: Das sagt sie schon jahrelang!) - Dazu hat die<br />
SPD-Fraktion vielleicht schon fünfzig Presseerklärungen herausgegeben - und wir auch. Dies als<br />
Rechtfertigung dafür zu verwenden, dass Sie im Stadtrat einen solchen Antrag stellen, obwohl wir<br />
über alle Parteigrenzen hinweg versuchen, anders mit dem Rechtsextremismus umzugehen, ist<br />
bedauerlich. - (StR Reissl: Noch dazu, wo er am 08.12.2011 die Presseerklärung gar nicht kannte.)<br />
- Auch das kommt erschwerend hinzu. Ich will das Thema aber nicht weiter auswalzen.<br />
Sie haben jedoch als Zweites in einem Atemzug mit dem Thema Rechtsextremismus sofort das<br />
Thema Linksextremismus gebracht. Sie haben gesagt, Sie wollen das nicht in einem Atemzug
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 61 -<br />
nennen und haben es im selben Atemzug gesagt. Das ist wirklich bedauerlich. - (Zwischenrufe) -<br />
Nein, Sie haben es gesagt! Dass Sie eine Relativierung des Themas Rechtsextremismus in einem<br />
Satz mit herbeiführen, ist bedauerlich. Ich verstehe Ihre Wortmeldung und auch in Teilen die Worte<br />
von Stadtrat Offman so, dass Sie den Konsens darüber aufgekündigt haben. Ich muss es so verstehen,<br />
denn Sie haben deutlich erklärt, Sie werden es auch weiterhin so handhaben. - (Zwischenruf<br />
von StR Offman) - Sie sind sehr stolz auf diesen Antrag. Ich rufe Sie noch einmal auf,<br />
zurückzukommen zu unserem Konsens und mit uns gemeinsam das Vorgehen gegen Rechts in<br />
diesem Haus zu diskutieren und fordere Ihre Bereitschaft, diesen Konsens umzusetzen. Ich wünsche<br />
mir, dass Sie Ihre Einzelaktionen beenden. - (Verschiedene Zwischenrufe)<br />
Letzten Endes geht es um das Thema Rechtsextremismus, deswegen will ich auf den Redebeitrag,<br />
den wir alle ertragen mussten, zurückkommen. Es ist die übliche Mischung aus Hass und<br />
Larmoyanz, die uns entgegentritt, wenn wir rechtsextremistische Reden hören. Es geht dabei auch<br />
um das „Täter-sein-wollen“, aber sich gleichzeitig in die Rolle des Opfers hineinzuarbeiten. Es ist<br />
immer das gleiche Auftreten, Sie werden es nie anders hören. Diese Mischung aus Larmoyanz und<br />
Hass und das Jammern sollten wir bekämpfen. Dahinter steckt keine bürgerliche Fassade, sondern<br />
die gesamte Ideologie der Zwickauer Morde und der Terrornetzwerke.<br />
Es war leider nicht so, dass der bayerische Innenminister der Meinung war, er sollte die Strafverfolgungsmaßnahmen<br />
mir gegenüber beenden... - (OBM Ude: Nein, aber den anderen Aufruf.) - Bei<br />
dem anderen Aufruf hat er es selbst gemacht, aber ich wurde 3 ½ Jahre durch mehrere Instanzen<br />
verfolgt, bis ich freigesprochen wurde, weil ich gegen Neonazis demonstriert hatte. Daher ist es<br />
nicht so, dass der bayerische Innenminister eine andere Sicht zu dem Thema hatte. Am besten<br />
fand ich bei der Demonstration am 21.01.2012, dass Hunderte von Menschen stundenlang den<br />
Aufmarsch der Neonazis blockiert und aufgehalten haben. Das ist ein gutes Zeichen der Stadtgesellschaft<br />
und zeigt die Geschlossenheit der Demonstranten. - (Beifall von SPD-Fraktion und<br />
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/RL)<br />
StR Richter:<br />
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren, ich kann die CSU-Fraktion auch nur beglückwünschen<br />
und wünsche mir, dass sie noch recht häufig solche Verbotsanträge stellt. Ich bedanke mich<br />
außerordentlich dafür. Aber wenn Sie schon Ihre Verdienste um die Bekämpfung des Linksextremismus<br />
hier im Rathaus ansprechen, wollen wir doch nicht vergessen, dass Sie brav apportiert<br />
haben, nachdem die BIA Ihnen die Vorlagen geliefert hat. Dann sind Sie mit Ihren Anträgen aus<br />
der Versenkung hervorgekommen. Das wollen wir auch festhalten. - (Zwischenrufe)
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 62 -<br />
Herr Offman, ziehen Sie doch bitte nicht ein solches Rührstück hier auf, von wegen, sie müssten<br />
körperlich die Anwesenheit hier aushalten. Zählen Sie einmal durch, was soll ich denn in meiner<br />
Position die ganze Zeit sagen? Ich glaube, es ist nicht zuviel verlangt von Ihnen an demokratischer<br />
Courage, Gesicht zu zeigen als einer von 79. Herzlichen Dank!<br />
BM Monatzeder:<br />
Es gibt einen Geschäftsordnungsantrag von Stadträtin Sabathil. - (Zwischenruf) - Herr Dr. Mattar,<br />
der Geschäftsordnungsantrag geht vor.<br />
StRin Sabathil:<br />
Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, ich hätte gedacht, der Geschäftsordnungsantrag<br />
hat Vorrang vor allen anderen Redebeiträgen. Aber es ist auch so in Ordnung. Ich stelle den<br />
Antrag auf Ende der Debatte, denn sie wird dem Ernst der Lage nicht gerecht.<br />
BM Monatzeder:<br />
Frau Sabathil, diesen Antrag gibt es in den politischen Parteien, jedoch nicht im Münchner Stadtrat.<br />
Außerdem habe ich noch weitere Wortmeldungen auf meiner Liste.<br />
StR Dr. Mattar:<br />
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren, diese Debatte war nicht nur keine Sternstunde,<br />
sondern auch etwas, was wir nicht wiederholen sollten. Darüber sollten wir den Konsens finden.<br />
Ich glaube, wir befinden uns in der Sache sowieso im Konsens, wie uns Stadtrat Reissl klargemacht<br />
hat. Stadtrat J. Schmid hat versucht, im Verfahren wieder in den Konsens zu kommen. Herr<br />
Stadtrat Benker, das sollten wir auch annehmen und nicht sagen, dieser Konsens besteht gar nicht<br />
mehr. - (Zwischenrufe) - Sie haben das so angedeutet.<br />
Meine Damen und Herren, nein, wir haben einen Konsens und wollen ihn wahren! Das ist die Botschaft<br />
am Ende, und darüber sind wir uns alle einig. Ich glaube, es ist wirklich besser, die Debatte<br />
möglichst schnell zu beenden.<br />
StR Reissl:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, ich lege aber dann großen Wert darauf, dass wir<br />
uns auch darüber einig sind, wer das definiert. - (StR Dr. Mattar: Der Ältestenrat.) - Auch damit bin<br />
ich einverstanden. Wir haben jedoch überhaupt nichts davon, wenn in den Beiträgen jeder den<br />
Konsens betont, sich aber vorbehält, selbst zu entscheiden, wann er diesen verlässt. - (Beifall von<br />
Rot-Grün)
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 63 -<br />
OBM Ude:<br />
Ich muss mich bei Stadträtin Sabathil entschuldigen. Es ist in der Tat in der Praxis häufig vorgekommen,<br />
vor allem in Ausschüssen, dass ein Antrag auf Ende der Redeliste gestellt wird. Im letzten<br />
Jahrzehnt nicht mehr, deswegen hatte ich das Verfahren nicht mehr präzise im Kopf. Das Problem<br />
ist, dass dies erst dann gefordert werden kann, wenn schon alle einmal gesprochen haben.<br />
Tatsächlich darf keine Rednerin oder kein Redner, der zur Sache gesprochen hat, ein Ende der<br />
Redezeit beantragen. Nachdem Frau Sabathil nicht zur Sache gesprochen hat, hätte der Antrag<br />
abgestimmt werden können. Es tut mir sehr leid, dass ich dies falsch in Erinnerung hatte. - (Verschiedene<br />
Zwischenrufe und Unruhe im Saal)<br />
BM Monatzeder:<br />
Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor, daher können wir über den Antrag abstimmen.<br />
Oberbürgermeister Ude übernimmt den Antrag von DIE LINKE:<br />
Der geänderte Antrag des Referenten wird mit den Stimmen der Fraktionen von<br />
SPD, CSU, Bündnis 90/Die Grünen, RL, FDP, ÖDP, Freie Wähler, Bayernpartei,<br />
DIE LINKE. sowie den Stimmen der drei Bürgermeister und Stadträtin Sabathil<br />
und gegen die Stimme der BIA beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 64 -<br />
Top Level Domain „.münchen“<br />
Aktensammlung Seite 5367<br />
StR Amlong:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, es ist sicher nicht einfach, auf ein anderes Thema<br />
umzuschwenken, aber jetzt geht es um die Top-Level-Domain „.münchen“.<br />
Was verbirgt sich dahinter? Jeder kennt die <strong>Internet</strong>-Endungen „.de“, „.com“, „.net“ usw. Die <strong>Internet</strong><br />
Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), die diese Endungen verwaltet, hat<br />
sich entschieden, ein Bewerbungsverfahren zu starten, in dem es weitere Endungen im <strong>Internet</strong><br />
geben soll. Damit sind die sog. Top-Level-Domains gemeint. Unter anderem führt dies dazu, dass<br />
es auch Endungen geben kann - sofern diese jemand beantragt -, die auf geografische Namensräume<br />
abzielen, z. B. Regionen oder Städte. Daher ist es jetzt möglich, sich in einem Bewerbungsfenster<br />
der ICANN um den Betrieb einer Top-Level-Domain „.münchen“ zu bewerben. Sollte das<br />
einem Bewerber erfolgreich gelingen, kann er diese Adresse betreiben und Interessenten können<br />
sich anmelden, ohne Einschränkungen vor dieser Domain-Endung. Als Beispiel: Jetzt gibt es die<br />
Seiten www.XY oder irgendwie.de, es kann künftig die Seite „www.XY.muenchen“ oder „irgendwie.münchen“<br />
geben.<br />
Die SPD-Fraktion ist in Übereinstimmung mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen/RL der Meinung,<br />
diese Chance, die Top-Level-Domain „.münchen“ in kommunaler Hand zu betreiben, sollte sich die<br />
Stadt nicht entgehen lassen. Es ist auch für viele Firmen … - (OBM Ude: Das klingt doch vernünftig.)<br />
- eine Selbstverständlichkeit, ihren Namen zu schützen. Es ist auch anerkannt, dass Domain-<br />
Namen dem Schutz des Namensrechts unterliegen. Deswegen sind wir der Meinung, dass schon<br />
aus diesen Gründen die Stadt München nicht nur ein Auge darauf haben sollte, sondern auch die<br />
Hand auf den Betrieb einer „Domain.münchen“ legen sollte. Letztlich glauben wir, dass dies massive<br />
Vorteile für uns haben kann, für die Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaftsunternehmen und<br />
insgesamt für den Wirtschaftsraum und die Öffentlichkeit in München, wenn künftig Adressen mit<br />
einer Endung „.münchen“ betrieben werden können.<br />
Warum sollte die Stadt das jetzt beantragen? Dazu gibt es den einfachen Hintergrund: Es geht um<br />
die Wahrung der Namensrechte der Landeshauptstadt München, und diese sollte man nicht an<br />
einen externen Dritten übergeben, der sich diesen Interessen vielleicht gar nicht verpflichtet fühlt.<br />
Nur die Stadt München selbst kann sicherstellen, dass sie alle Domains, wie z. B. „www.oberbürgermeister.münchen“<br />
oder „www.bürgerbeteiligung.münchen“ usw. selbst betreiben möchte.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 65 -<br />
Denkbar ist, dies nicht an irgendwelche Unternehmen zu vergeben, sondern diese Domains selbst<br />
zu nutzen. Nur die Landeshauptstadt München kann von Anfang an und sicher ausschließen, dass<br />
missbräuchliche Domain-Namen angemeldet werden. Ansonsten könnten auch Begriffe, die wir<br />
nicht wünschen - zumindest theoretisch - angemeldet werden. Gerade im Zuge der vorherigen Diskussion<br />
ist einiges denkbar. Diese Gründe bewegen uns dazu zu sagen: Wenn sich die Stadt München<br />
darum bewirbt, ist es eine gute Sache und von Vorteil für die Stadt, die Wirtschaft und ihre<br />
Bewohnerinnen und Bewohner. Wir glauben auch, dass es für die Stadt München möglich sein<br />
müsste, dies ohne einen finanziellen Aufwand zu erreichen, wenn der eigentliche Aufwand, also<br />
das technische Know-How, die Administration und die Zurverfügungstellung von Anmeldenamen<br />
auf eine städtische Tochtergesellschaft übertragen wird. Wir haben mehrere städtische Tochtergesellschaften,<br />
die im IT-Bereich versiert sind. Es gibt sogar eine städtische Tochtergesellschaft, die<br />
Portal München GmbH, die ein <strong>Internet</strong>-Portal betreibt. Deswegen glauben wir, dass die entsprechende<br />
Kompetenz für eine Administration vorhanden ist.<br />
Aus diesem Grund haben wir den Ihnen vorliegenden Ergänzungsantrag eingebracht und bitten<br />
um Prüfung, ob das dargestellte und äußerst sinnvolle Ziel rechtlich umsetzbar ist. In diesem Zusammenhang<br />
können wir uns auch vorstellen, wenn das eine Erleichterung sein sollte, dass sich<br />
nicht die Stadt München allein und ausschließlich bewirbt, sondern gleich in einer gemeinsamen<br />
Kooperation mit einer städtischen Tochtergesellschaft.<br />
Zum Abschluss weise ich darauf hin, dass dieses Bewerbungsverfahren nicht explizit nur auf Endungen<br />
wie „.münchen“ gerichtet ist. Es sind auch andere Endungen denkbar, z. B. „.munich“,<br />
„.muc“ usw. Wir freuen uns, wenn diese Betrachtungsweise in dem Prüfungsantrag mit bearbeitet<br />
und berücksichtigt wird. Ich glaube, dass dies für die Stadt München eine gute Sache wäre, wenn<br />
der Prüfungsantrag ergibt, dass sich die Stadt München um die Top-Level-Domains „.münchen“<br />
und ähnliche bewerben kann. Ich freue mich, wenn das auf allgemeine Unterstützung trifft. - (Beifall<br />
von verschiedenen Seiten des Hauses)<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann:<br />
Herr Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir unterstützen diesen Ergänzungsantrag<br />
von Rot-Grün und tragen ihn mit. Wir schlagen aber vor und bitten um folgende Ergänzung: Die<br />
Stadt soll sich nicht nur um die Domain „.münchen“, sondern auch um die Domain „.munich“ bewerben.<br />
Wenn wir uns schon bewerben, dann um alles und auch international Gebräuchliches, wie<br />
der Begriff munich. Es gibt viele Konzerne oder Firmen und auch die Stadtverwaltung, die sich<br />
englischsprachig äußern wollen oder müssen. - (OBM Ude: Monaco ist auch vorstellbar.) - Ich will<br />
diesen Punkt ergänzen, denn er fehlt in Ihrem Antrag.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 66 -<br />
StR Amlong:<br />
Diese Ergänzung wird von den Antragstellern übernommen!<br />
Der so geänderte Ergänzungsantrag wird einstimmig beschlossen.<br />
Der geänderte Antrag des Referenten wird einstimmig beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 67 -<br />
Bürgerrechte schützen - Aufruf „Dresden nazifrei 2012“<br />
Aktensammlung Seite 5369<br />
StRin Henn:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, eigentlich wäre es thematisch sinnvoll gewesen,<br />
nicht unbedingt die Debatte über die Top-Level-Domain München dazwischen zu schieben. Hier<br />
geht es im Grund um die Fortsetzung des Tagesordnungspunkts 5.<br />
Ich habe diesen Antrag gestellt, weil diese Auseinandersetzung um die Demonstration gegen den<br />
Dresdner Naziaufmarsch natürlich eine sehr bedeutende Rolle für die Stadt München spielt. Wir<br />
hatten damals in München-Forstenried eine erfolgreiche Blockade, die dazu geführt hat, dass zwar<br />
nicht die dort anwesenden Stadträtinnen und Stadträte, aber doch sehr viele Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer anschließend vor Gericht gezogen wurden. Wir hatten letztes Wochenende in München<br />
eine erfolgreiche Blockade, die eigentlich nicht hätte nötig sein müssen. Es gibt Aufnahmen<br />
von dieser Nazidemonstration, auf denen deutlich zu sehen ist, dass Teilnehmer bewaffnet waren.<br />
Das Versammlungsrecht ist in dieser Hinsicht absolut eindeutig. Es besagt, man solle sich ohne<br />
Waffen unter freiem Himmel versammeln. Mit Waffen darf man es schlicht und ergreifend nicht. Die<br />
Polizei hat aber diese Demonstration nicht aufgelöst, obwohl nachweislich Teilnehmer bewaffnet<br />
waren. D. h., in diesem Zusammenhang hing der Schutz der Münchner Bürgerinnen und Bürger<br />
vor diesem Aufmarsch tatsächlich von der Blockadebereitschaft der Zivilgesellschaft ab!<br />
Bezogen auf die Dresdner Demo ist es mittlerweile fast schon bundesweit politischer Konsens,<br />
dass diese Blockade wichtig und ein Erfolg war, um einen solchen Aufmarsch zu verhindern.<br />
Gleichzeitig haben wir aber die Situation, und auch das wurde hier im Münchner Stadtrat bereits<br />
mehrfach angesprochen, dass in Sachsen wie bei uns in Bayern die staatlichen Behörden stark in<br />
die andere Richtung reagieren. Wir haben alle mitbekommen, dass es in Zusammenhang mit der<br />
Dresdner Blockade im vergangenen Jahr quer durch das Bundesgebiet zu Hausdurchsuchungen<br />
kam, um Anklagepunkte bis hin zur Bildung einer kriminellen Vereinigung wegen des Aufrufs zur<br />
Blockade usw. zu untermauern. Das geht uns natürlich etwas an! Wir machen das vielleicht auch,<br />
und zwar mit gutem Grund, dass nämlich die Münchner Bürgerinnen und Bürger solche Aufmärsche<br />
blockieren.<br />
Wenn man sich daran erinnert, gab es ähnliche Auseinandersetzungen über die Blockaden vor<br />
Atomwaffenlagern in den 80er-Jahren durch die Friedensbewegung. Es gab Auseinandersetzun-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 68 -<br />
gen um Blockaden vor Atomkraftwerken. Diese Auseinandersetzungen haben immer damit gonnen,<br />
dass zuerst gesagt wurde, das sei illegal, es gehe um Nötigung, und eine Blockade sei eine<br />
Straftat. Erinnern Sie sich doch einmal an die Sitzblockaden vor den Pershing-Depots! Geendet<br />
hat das alles mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Es handelt sich nicht um Nötigung,<br />
sondern um die legitime Ausübung des Demonstrationsrechts. So finden die Auseinandersetzungen<br />
um den politischen Raum nun einmal statt.<br />
Die Frage, was hier in München als legitim und legal bei der Verhinderung von Naziaufmärschen<br />
erachtet wird, ist vor allem in Zusammenhang mit dieser Demonstration in Dresden zu entscheiden.<br />
Das heißt, wir können die Leute schützen, die dort aufrufen, indem wir mit aufrufen, weil es<br />
tatsächlich eine Schwelle gibt, oberhalb derer eine solche Verfolgung nicht mehr möglich ist. Es<br />
wird keine von der Staatsanwaltschaft Dresden beantragte Hausdurchsuchung im Münchner Rathaus<br />
geben, wenn der Münchner Stadtrat zu so etwas aufruft. Damit würden wir uns auch die<br />
Möglichkeit und die Sicherheit verschaffen, dass nicht nur Münchner Stadträtinnen und Stadträte,<br />
sondern auch Münchner Bürgerinnen und Bürger zukünftig legitim und legal zur Blockade von<br />
solchen Aufmärschen in München aufrufen dürfen und solche Blockaden tatsächlich durchführen<br />
können. Ich denke, das ist ein wichtiger Schritt, der sehr wohl etwas mit dieser Stadt zu tun hat,<br />
und nicht - wie in der Argumentation der Vorlage ausgeführt wird - keinerlei örtlichen Bezug aufweist.<br />
Desto mehr gilt das für die Aufforderung, der Münchner Oberbürgermeister möge sich im<br />
Münchner Bündnis für Toleranz dafür einsetzen, dass der entsprechende Aufruf unterstützt wird.<br />
Ich habe drei Punkte geschrieben, damit es ein bisschen Spielraum gibt, und - wenn sich die<br />
Mehrheit in diesem Stadtrat nicht entschließen kann, direkt zur Blockade aufzurufen - noch eine<br />
gewissermaßen weichere Variante besteht. Aber ich denke, auch die Ausführungen des Kollegen<br />
Sigi Benker bezüglich besagten Aufmarsches hier in München haben dargelegt, dass das eine<br />
Frage ist, die uns sehr wohl auch hier vor Ort dringend berührt, und bei der wir uns der Auseinandersetzung<br />
nicht entziehen können. Ich denke, es ist ein Gebot der Solidarität. Wir sind mit vielen<br />
Sachen solidarisch. Ich erinnere u. a. an jenen berühmten Antrag bezüglich Ai Weiwei. Wenn ich<br />
mit einem chinesischen Dissidenten solidarisch bin, dann kann ich es auch mit einem Jenaer Jugendpfarrer<br />
sein, dessen Wohnung durchsucht wird, weil er zur Blockade einer Nazi-Demonstration<br />
aufruft.<br />
Schwierig finde ich, wenn in der Begründung der Vorlage auf meinen Antrag, dass der Stadtrat die<br />
Teilnahme Münchner Bürgerinnen und Bürger gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden begrüßen<br />
würde, gesagt wird, dann müsse man dies zu jeder Großveranstaltung weltweit begrüßen, u. a. die<br />
Teilnahme an der Love-Parade in New York. Ein kleiner politischer Unterschied ist doch zwischen
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 69 -<br />
diesen Punkten vorhanden. Darauf bestehe ich auch! Ich fände es auch angemessen, wenn die<br />
Verwaltung diese Formulierung vielleicht zurücknehmen könnte. Ansonsten erhalte ich unseren<br />
ursprünglichen Antrag aufrecht. - (Beifall von DIE LINKE.)<br />
StR Richter:<br />
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren! Im Umfeld des traditionsreichen Wiener Korporationsballs<br />
am letzten Wochenende in Wien, in der Wiener Hofburg, kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen<br />
vonseiten linksextremen Pöbels. Gäste wurden tätlich angegriffen und mussten unter<br />
Polizeischutz ihren Weg in die Veranstaltung suchen. Aufgerufen zu diesen Ausschreitungen wurde<br />
auch aus München, aus dem linkskriminellen Milieu heraus, das von der Stadt München jährlich<br />
mit mehreren Zehntausend Euro finanziell gesponsert wird. Das Gleiche gilt für Dresden: Die Ausschreitungen<br />
und Gewalttätigkeiten am Rande des Dresdner Trauer- und Gedenkzuges gingen in<br />
den letzten Jahren nie von den Demonstranten selber aus, sondern immer von Gegendemonstranten,<br />
Blockierern, gewaltbereiten Linkskriminellen. Das sollte wissen und im Hintergrund haben,<br />
wer sich heute diesem Aufruf von DIE LINKE. anschließt. Er stellt sich mit solchen Blockade-Aufrufen<br />
an die Seite von Linksextremen und Gewaltkriminellen. Herzlichen Dank.<br />
Der als Änderungsantrag erneut gestellte Antrag von DIE LINKE. wird gegen deren<br />
Stimmen abgelehnt.<br />
Der Antrag des Referenten wird gegen die Stimmen von DIE LINKE. und BIA<br />
beschlossen.<br />
Erklärung zur Abstimmung:<br />
StR Benker:<br />
Mit der inhaltlichen Analyse von DIE LINKE. sind wir vollkommen einverstanden. Wir stimmen mit<br />
jedem Punkt überein und können uns durchaus vorstellen, dass möglichst viele Menschen nach<br />
Dresden fahren sollen. Es gibt einen grünen Bus, um dorthin zu fahren. Das ist auch der richtige<br />
Weg. - (StRin Boesser: Und einen Juso-Bus!) - Einen Juso-Bus gibt es auch. Es fahren viele Busse<br />
aus München, die Solidarität ist vorhanden. - (Zwischenruf) - Viele haben wahrscheinlich Busse,<br />
die dorthin fahren. Jedenfalls ist dies der richtige Weg.<br />
Aber wir halten die Analyse des Oberbürgermeisters für richtig. Wir können nicht bundesweit zu
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 70 -<br />
jeder Aktion aufrufen. Warum haben wir nicht nach Wunsiedel und in andere Städten aufgerufen?<br />
Das können wir nicht machen. Daher ist es sicher der richtige Weg, den der Oberbürgermeister<br />
vorschlägt. Er sagt nämlich im Vortrag des Referenten, es braucht ein Städtenetzwerk, und man<br />
thematisiert das Ganze im Rahmen des Deutschen Städtetages.<br />
- OBM Ude übernimmt den Vorsitz -<br />
Der Stadtrat entscheidet mit 30:26 Stimmen, die Sitzung im Anschluss an den<br />
nächsten Tagesordnungspunkt für eine Mittagspause zu unterbrechen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 71 -<br />
Finanzierungskonzept der Städtisches Klinikum München GmbH;<br />
Patientenfürsprecherinnen und Patientenfürsprecher<br />
Aktensammlung Seite 5371<br />
StRin Dietrich:<br />
Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es kurz machen. Wir haben einen<br />
Änderungsantrag. - (Anhaltende Unruhe) - In diesem geht es nur um die Finanzierung. Es geht um<br />
die Finanzierung dieses Betrages aus den Jahren 2008 bis 2010 … - (StR Benker: Du bist schon<br />
hier nicht mehr zu verstehen!) - Das liegt aber nicht an mir und dem Mikrofon, sondern an der Geräuschkulisse.<br />
Den Antrag haben alle vor sich liegen. Es geht nur darum, diese 200.000 € zur<br />
Hälfte - also 100.000 € - aus Restmitteln und zur Hälfte aus dem Haushalt zur Verfügung zu stellen.<br />
Um mehr geht es nicht. Ich bitte um Zustimmung zu diesem gemeinsamen Antrag! Danke.<br />
- (Beifall)<br />
StRin Dr. Olhausen:<br />
- (Starke Unruhe - Zwischenrufe) - Kolleginnen und Kollegen, Sie können sich alle noch zu Wort<br />
melden, es sei denn, Sie wollen nicht später in die Mittagspause!<br />
Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen! Ganz so einfach, wie die Frau Kollegin Dietrich<br />
es darstellt, ist es für uns nicht. Ich will vorausschicken, die Einrichtung der Patientenfürsprecher<br />
ist hervorragend. Wir stehen voll dahinter und sind auch gerne bereit, die Kosten zu bezahlen.<br />
Aber das Städtische Klinikum wartet jetzt seit 2008 darauf, zu erfahren, wie sie das Geld vom RGU<br />
bekommen. Wenn ich in dieser Vorlage lese, dass man seit 2008 keine Mittel in den Hoheitshaushalt<br />
eingestellt hat, dann frage ich mich schon: Was tut eigentlich das RGU vier Jahre lang, dass<br />
sie es bis heute nicht geschafft haben, die Mittel einzustellen? - (Unruhe - Zwischenrufe) - Kolleginnen<br />
und Kollegen, ich bitte schon noch einmal um Ruhe! Wir sind doch gleich fertig, dann können<br />
Sie alle etwas essen. Aber so viel Zeit sollten wir schon noch haben.<br />
Ich möchte die Frage beantwortet haben, warum eigentlich die Kämmerei sagt, die Restmittel des<br />
RGU seien vorhanden, und das RGU sagt, es gäbe keine Restmittel. Jetzt einigt man sich irgendwie<br />
in der Mitte. Das ist schon ein interessanter Deal! Wenn Sie mir erzählen, wie Sie es machen,<br />
dass Sie die 100.000 € plötzlich aus Restmitteln herausholen, die Sie vorher gar nicht hatten<br />
… Ich würde das auch gerne können, dann hätte ich vielleicht auch ein paar Euro mehr übrig.<br />
Ich bitte Sie, uns diese Antwort doch zu geben. Wir werden dem Antrag grundsätzlich zustimmen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 72 -<br />
Wir wollen ja, dass diese ihr Geld bekommen. Aber seriöse Haushaltspolitik sollte Rot-Grün<br />
eigentlich hier im Hause auch pflegen. - (Beifall der CSU)<br />
StR Akman:<br />
Ich wollte nur hören, was der Referent dazu sagt! - (OBM Ude: Das hören wir jetzt. - Zwischenrufe:<br />
Beide! - OBM Ude: Beide, klar. Wie ich den „Laden“ kenne, ist einer dafür und einer dagegen!)<br />
Bfm. StR Lorenz:<br />
Der Stadtrat hat beschlossen, dass die unabhängigen Patientenfürsprecher aus dem Hoheitshaushalt<br />
bezahlt werden. Dies war auch eingestellt. Es gab einen technischen Fehler: Durch SAP-<br />
Umstellungen ist dies aus irgendwelchen Gründen aus dem Haushalt herausgefallen. Das hat bis<br />
jetzt weder das Klinikum gemerkt, das von uns nach Vorlegen des Verwendungsnachweises das<br />
Geld bekommt, noch ist es bei uns aufgefallen. Es ist bedauerlich. Unter Protest bin ich bereit,<br />
100.000 € aus Restmitteln zu finanzieren. Eigentlich hat der Stadtrat schon immer beschlossen,<br />
dass der gesamte Betrag aus dem Hoheitshaushalt finanziert wird.<br />
StK Dr. Wolowicz:<br />
Meiner Meinung nach gibt es eine schriftliche Stellungnahme der Kämmerei, die in der Beschlussvorlage<br />
leider nicht enthalten ist. Diese war eindeutig. Wir haben den Vorschlag gemacht,<br />
dass die gesamten Finanzmittel in Höhe von 200.000 € aus den Haushaltsresten des Referats für<br />
Gesundheit und Umwelt finanziert werden sollen. Diese können das auch, weil die Haushaltsausgabenreste<br />
des RGU weit höher sind als diese 200.000 €. - (Zwischenrufe: Ah! Oh!)<br />
Der Antrag des Referenten wird in der Fassung des gemeinsamen Änderungsantrags von<br />
SPD und Bündnis 90/Die Grünen/RL gegen die Stimmen der FDP beschlossen.<br />
Erklärung zur Abstimmung:<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann:<br />
Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist gerade schon klar geworden:<br />
Es geht uns nicht darum, gegen die Patientenfürsprecher zu sein. Es geht uns einzig und allein<br />
darum, wie das hier wieder gehandhabt wird: gegen den erklärten Willen der Stadtkämmerei,<br />
unter Weglassen der Stellungnahme der Kämmerei. Es ist zum wiederholten Male passiert, dass
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 73 -<br />
diese nicht auftaucht, wenn sie negativ ist. Ich muss mich schon sehr wundern, dass das Geld aus<br />
dem allgemeinen Hoheitshaushalt genommen wird, wenn hier eindeutig gesagt wird, das RGU hat<br />
genug Haushaltsmittel.<br />
- Unterbrechung der Sitzung von 12:59 Uhr bis 14:09 Uhr -
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 74 -<br />
Förderung des Trägers Lilalu e.V.<br />
Antrag Nr. 3011 der Stadtratsmitglieder Dietl und Müller vom 28.12.2011<br />
Antrag Nr. 3014 der Stadtratsmitglieder J. Schmid und Offman vom 29.12.2011<br />
Aktensammlung Seite 5373<br />
StR J. Schmid:<br />
- (BMin Strobl: Mein Lieblingsthema seit Jahrzehnten!) - Frau Strobl, wenn Sie das so sagen, dann<br />
überlege ich mir fast, ob ich noch eine dreiviertelstündige Grundsatzrede halte. Ich hatte das nämlich<br />
nicht vor, sondern wollte an und für sich nur Folgendes noch einmal ansprechen: Wir haben<br />
eine Vorlage, die den Antrag der Referentin enthält, wir sollen zur Kenntnis nehmen, dass dies im<br />
Kinder- und Jugendhilfeausschuss behandelt wird. - (Zwischenrufe) - Dort ist es behandelt worden.<br />
Mir ist es nur wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die bisherige Reihenfolge eigentlich<br />
immer die war, dass etwas im Kinder- und Jugendhilfeausschuss und dann in der Vollversammlung<br />
behandelt wird. Das sollten wir auch zukünftig wieder so beibehalten. Ich will jetzt nicht auf die<br />
Rechtsfrage bzw. -debatte und den Streit in der Kommentarliteratur eingehen, ob eine Vollversammlung<br />
auch ohne den Kinder- und Jugendhilfeausschuss etwas beschließen kann - v. a., wenn<br />
es pressiert, wie es hier der Fall war - oder nicht. Ich unterstreiche ausdrücklich, darauf will ich<br />
nicht eingehen. Mir ist es nur wichtig, zu betonen, dass grundsätzlich die richtige Reihenfolge<br />
wiederhergestellt ist und beibehalten wird. Dazu taugt aber dieser Beschluss eigentlich nicht. Wir<br />
hätten heute natürlich den gestrigen Beschluss bekommen müssen. Der Punkt müsste sich auch<br />
im B-Teil befinden usw. Nur darum geht es mir: dass wir zukünftig diese Reihenfolge einhalten.<br />
Damit meine ich, dass etwas im Kinder- und Jugendhilfeausschuss behandelt wird, und dann in<br />
der Vollversammlung.<br />
BMin Strobl:<br />
Wir müssen jetzt ohnehin den Ausschussbeschluss einbringen.<br />
OBM Ude:<br />
Das ist jetzt der geschäftsordnungsmäßige Antrag. - (Zwischenrufe) - Könnten Sie für diejenigen,<br />
die nicht Mitglied im Ausschuss sind, kurz sagen, was der Ausschusstenor ist?<br />
Bfm. StRin Meier:<br />
Erst noch einmal zum Dringlichkeitsantrag der CSU: Sie haben einen Dringlichkeitsantrag gestellt,
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 75 -<br />
dass 120.000 € zur Rettung von Lilalu e. V. bereitgestellt werden sollen. Hier ist das formale Verfahren,<br />
dass dieses natürlich zuerst durch den Kinder- und Jugendhilfeausschuss und dann durch<br />
die Vollversammlung beschlossen werden müsste. Dieses Prozedere würden wir natürlich auch<br />
einhalten, wenn der Kinder- und Jugendhilfeausschuss beschließt - wenn die Insolvenz abgeschlossen<br />
ist bzw. es vielleicht einen neuen Träger gibt -, dass Lilalu e. V. einen Zuschuss bekommt.<br />
Dann würde der Kinder- und Jugendhilfeausschuss dies beschließen, und natürlich käme<br />
es anschließend wieder in die Vollversammlung.<br />
Der Kinder- und Jugendhilfeausschuss hat gestern nichts anderes beschlossen, als noch einmal<br />
die Wirtschaftlichkeit und die Solidität von Lilalu e. V. auf der Grundlage dessen zu prüfen, was uns<br />
der Insolvenzverwalter vorlegt. Im zweiten Teil ist dafür Sorge zu tragen, dass Ferienbetreuungsplätze<br />
zur Verfügung gestellt werden - nicht in diesem Rahmen, aber für einen Teil dieser Zielgruppe.<br />
Das ist die nächste Aufgabe, wenn sich herausstellt, dass sich kein Träger findet, der die<br />
Insolvenzmasse aufkauft und in das Konzept von Lilalu e. V. einsteigt. Das hat der Kinder- und<br />
Jugendhilfeausschuss gestern im Prinzip als Prüfauftrag beschlossen. - (StR Offman: Es gab noch<br />
eine Erklärung … - StR Dr. Mattar: Ihr müsst doch wissen, was Ihr beschlossen habt!) - Das haben<br />
wir beschlossen.<br />
Der Antrag der Referentin in der Fassung des Ausschussbeschlusses vom 31.01.2012<br />
wird einstimmig beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 76 -<br />
2. Stammstrecke - Forderungen des Freistaats Bayern<br />
Bericht über ein Fachgespräch auf Arbeitsebene vom 13.01.2012<br />
Aktensammlung Seite 5375<br />
OBM Ude:<br />
Ich wollte einleitend auf einiges hinweisen. Ihnen liegt das Schreiben des bayerischen Wirtschaftsund<br />
Verkehrsministers vom 31. Januar 2012 vor. Dieses ist im Wesentlichen eine Bestätigung, in<br />
wenigen Punkten eine Ergänzung der Beschlussvorlage, die Ihnen schon vorlag. Man muss tatsächlich<br />
zwanzig Jahre Bürgermeister sein, um zu erleben, wie lange eine <strong>Protokoll</strong>ierung dauern<br />
kann! Normalerweise haben wir das am Folgetag ausgetauscht, und dann gab es ein städtisches<br />
und staatliches <strong>Protokoll</strong>. Hier zog es sich von einer Woche in die andere. Aber wir haben jetzt ein<br />
<strong>Protokoll</strong>, das so vom Wirtschaftsministerium bestätigt wird.<br />
Man muss sagen, es liegt z. T. auch an der gewählten Vorgehensweise. Manche Argumente kamen<br />
in der Dienstbesprechung neu hinzu, deswegen hat die Stadt gesagt: Wir werden darauf im<br />
<strong>Protokoll</strong> antworten. Das <strong>Protokoll</strong> ist also nicht nur eine Zusammenfassung des Gesagten, sondern<br />
auch Stellungnahme zu dem von der anderen Seite Gesagten. Dieses Recht hat sich das<br />
Verkehrsministerium dann ebenfalls ausbedungen, dass es zu den Aussagen, die die Stadt im <strong>Protokoll</strong><br />
erstmalig näher ausgeführt hat, seinerseits Stellung nehmen wollte. Jetzt sind wir aber glückliche<br />
Besitzer eines <strong>Protokoll</strong>s, dass so vom Freistaat Bayern vollinhaltlich autorisiert wird. Auch<br />
der Freistaat Bayern geht davon aus, dass dieses <strong>Protokoll</strong> als Anlage zu einer Beschlussvorlage<br />
vorgelegt wird. Ich darf auf den meines Erachtens wichtigen Inhalt des <strong>Protokoll</strong>s hinweisen, es<br />
sind nämlich zum Teil nur ganz knappe Sätze.<br />
Erstens: Es ist nach diesem <strong>Protokoll</strong> übereinstimmende Meinung von Landeshauptstadt München<br />
und Freistaat Bayern, dass es keine Zuständigkeit der Stadt München für die Finanzierung des<br />
S-Bahn-Verkehrs gibt. Dies ist auch 40 Jahre lang - wir feiern ja jetzt das 40-jährige Jubiläum der<br />
S-Bahn - so gehandhabt worden. Es hat vier Jahrzehnte lang, obwohl da die Großinvestitionen in<br />
die S-Bahn erforderlich waren, niemals eine finanzielle Beteiligung der Stadt gegeben, weil Staat<br />
und Bund und Bahn, als sie noch zuständig war, diese Aufgabe selbst bewältigen konnten und<br />
nicht nur bewältigen mussten. In diesem Punkt gibt es also überhaupt keinen Streit.<br />
Zweitens: Wir wussten bislang nicht: Sollen wir ein Darlehen geben oder eine Bürgschaft eingehen?<br />
Was heißt Vorfinanzierung eigentlich? Das ist mittlerweile geklärt. Ich bitte Sie, den Text mit
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 77 -<br />
der Sorgfalt eines Kaufmanns zu studieren, denn es geht immerhin um 350 Mio. €. Wir sollen<br />
350 Mio. € zahlen, und zwar an die DB Projektbau GmbH, die das Projekt realisiert. Es ist kein<br />
Darlehen an die Bahn, wir haben keinerlei Rückzahlungsanspruch, sondern es wird nur in Aussicht<br />
gestellt, dass das Geld vom Bund erstattet werden soll, und zwar bis 2030. Hier besteht die Besonderheit,<br />
dass wir mal eben 350 Mio. € an die Bahn zahlen sollen und bis 2030 von der Bundesrepublik<br />
eine Zahlung erwarten dürfen. Das ist das Jahr, in dem der Freistaat angeblich keine<br />
Schulden mehr haben wird, die Bundesrepublik aber noch Billionen € Schulden haben wird. Es gibt<br />
bislang nicht einmal eine Verpflichtungserklärung des Bundes, sie soll nur herbeigeführt werden.<br />
Klar ist: Eine Garantie oder eine Bürgschaft wird abgelehnt. Wenn wir also ein Banker wären und<br />
eine solche Zahlung leisten würden - im Vertrauen darauf, dass ein Dritter es 2030 zurückzahlt -,<br />
wären wir mit einem Bein im Gefängnis! Aber das nur zur Erläuterung.<br />
Drittens: Wir sollen keinerlei Zinsen erhalten. Ich habe die Kämmerei gebeten, mitzuteilen, welche<br />
Zinsen gegenwärtig - sie können dann nach oben oder unten schwanken - bei der Stadt selber<br />
anfallen, und das ist bemerkenswert. Die Stadt muss jetzt 2,8 % Zinsen zahlen, um dieses Geld,<br />
das wir nicht haben, zu leihen. Offensichtlich kann der Freistaat Bayern es aber auch nicht leihen,<br />
weil da schon eine griechische Insolvenz oder so etwas Ähnliches eingetreten sein soll. Gleichzeitig<br />
gibt es 3 Mrd. € in der Kriegskasse, das ist etwas unübersichtlich. Es soll also die unbeteiligte<br />
Kommune Stadt München für derzeit 2,8 % Zinssatz die 350 Mio. € aufnehmen, um sie dann 2030<br />
vom Bund vielleicht zurück zu erhalten.<br />
Bis dahin beträgt die Zinslast 241,5 Mio. €. Dem Finanzierungsvorschlag näher zu treten heißt also<br />
zunächst einmal, 241,5 Mio. € - das sind etwa 5 Haushaltskonsolidierungs-Programme - garantiert<br />
in eine Aufgabe „reinzubuttern“, für die wir nicht zuständig sind. Wenn wir die 350 Mio. € von der<br />
über-über-über-übernächsten Bundesregierung nicht zurückerhalten, sind die 350 Mio. € natürlich<br />
auch weg, d. h. die Gesamtsumme beläuft sich dann auf 591,5 Mio. €. Das muss man wissen! Wir<br />
reden über Zinskosten in Höhe von 241,5 Mio. €, die uns selber garantiert treffen, und belasten<br />
uns zusätzlich mit dem Risiko von 350 Mio. €, die der Bund in brieflicher Form 2030 zurückzuzahlen<br />
versprechen soll.<br />
Jetzt bin ich der Meinung, wie es auch die Antragstellung zum Ausdruck bringt, dass über eine<br />
derartige Forderung von fast 600 Mio. € nicht beliebig Verhandlungen zwischen X und Y geführt<br />
werden können. Der Stadtrat als Hauptorgan der Landeshauptstadt München ist zuständig, zu<br />
entscheiden, ob einem solchen Gedanken näher getreten werden soll oder nicht.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 78 -<br />
Das Wesentliche wissen wir jetzt. Wir wissen, dass wir nicht zuständig sind, sich die Stadt noch nie<br />
beteiligt hat, wir an die Bahn zahlen sollen, es kein Darlehen ist und es keine Bürgschaft und keine<br />
Garantie gibt, sondern nur ein Rückzahlungsversprechen. Das ändert aber nichts daran, dass<br />
241,5 Mio. € Zinsschaden auf jeden Fall zu tragen wären und vielleicht dann auch noch der Hauptsachebetrag<br />
selber. Ich denke, dass wir uns viel Schauboxen ersparen können, wenn der Stadtrat<br />
in Kenntnis der jetzt aufgeklärten Sachlage eine Entscheidung trifft. Ich kenne viele Fälle von Mitfinanzierung<br />
und Vorfinanzierung. Wir sagen z. B., wenn städtische Wünsche ein S-Bahn-Projekt<br />
verteuern, muss natürlich die Stadt München für den Mehrbetrag aufkommen. Aber hier geht es ja<br />
um die ausschließliche Erfüllung der Verkehrstüchtigkeit eines staatlichen Verkehrsmittels, und da<br />
halte ich die Situation für entscheidungsreif.<br />
Ich kann all die Probleme bei der <strong>Protokoll</strong>ierung nur so verstehen, dass eine Behandlung und Befassung<br />
des Stadtrates einfach verhindert werden sollte, denn dann kann man eine Einzelperson<br />
als Übeltäter dingfest machen, die angeblich daran Schuld ist, dass der Freistaat seit 15 Jahren<br />
den S-Bahn-Ausbau nicht hinbekommt. Aber für eine solche wahlkampfbedingte Personalisierung<br />
stehe ich nicht zur Verfügung! - (Heiterkeit, Zwischenrufe und Unruhe) - Ich denke, über Beträge,<br />
die stadtratspflichtig sind, kann nur der Stadtrat entscheiden. Diese Entscheidung halte ich heute<br />
für erforderlich. Heute habe ich im Münchner Merkur gelesen, dass ein Ministergespräch zwischen<br />
Ministerpräsident Seehofer, seinem stellvertretenden Parteivorsitzenden Bundesverkehrsminister<br />
Ramsauer, Finanzminister Schäuble und Wirtschaftsminister Rösler vorgesehen ist. Ich finde, dass<br />
bei diesem Ministergespräch schon klar sein muss, ob mit einem kommunalen Rettungsschirm für<br />
bedrohte Staatsprojekte gerechnet werden kann oder nicht. - (Beifall der linken Seite des Hauses)<br />
- BMin Strobl übernimmt den Vorsitz. -<br />
StR Dr. Mattar:<br />
Frau Bürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren! Die Vorgehensweise, wie es in den letzten<br />
zehn Tagen abgelaufen ist, kann man nur noch als abenteuerlich bezeichnen. - (Beifall der FDP) -<br />
So etwas hat es wirklich noch nicht gegeben! Der Versuch, den Freistaat mit Terminsetzungen für<br />
<strong>Protokoll</strong>e in irgendeiner Weise vorzuführen - wissend, dass es noch Verhandlungen und Gespräche<br />
gibt -, ist im Grunde völlig destruktiv. Es ist wirklich abenteuerlich, was da gelaufen ist! - (Heiterkeit<br />
bei OBM Ude - Beifall der FDP) - Es geht nur noch um die Frage, wer am Scheitern des<br />
zweiten S-Bahn-Stammstrecken-Tunnels Schuld ist. Da muss man in aller Ruhe und Gelassenheit<br />
sagen: Schuld ist der Bund! - (OBM Ude: Richtig! - BMin Strobl: Ja!) - Der Bund ist nicht bereit, die<br />
normale Mitfinanzierung zu tragen. Das ist auch nichts Neues und in den letzten 15 Jahren nicht<br />
anders gewesen. Deshalb ist das Projekt nie vorangekommen. In den letzten 15 Jahren haben drei
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 79 -<br />
Jahre ein CDU-Verkehrsminister, elf Jahre ein SPD-Verkehrsminister und -Finanzminister und zuletzt<br />
zwei Jahre ein CSU-Verkehrsminister und ein CDU-Finanzminister die Verantwortung getragen.<br />
Daran sieht man, dass es überhaupt keine parteipolitische Frage ist, sondern der Bund will<br />
nicht oder kann nicht. Wie auch immer: Er finanziert diese 2. Stammstrecke nicht.<br />
Sie wissen alle, dass wir als FDP-Stadtratsfraktion nicht Befürworter dieser 2. Stammstrecke sind.<br />
- (OBM Ude: Nur Ihrer Finanzierung! - Heiterkeit) - Wenn der Wirtschaftsminister mit dem gesamten<br />
Kabinett versucht, trotzdem als Freistaat außer der Reihe eine Vorfinanzierung zustande zu<br />
bringen - das ist zumindest das Ziel: dass es nur eine Vorfinanzierung ist -, dann ist es doch durchaus<br />
nachvollziehbar, dass der Freistaat auch auf die Stadt München zukommt.<br />
Die Mehrheit hier im Stadtrat der Stadt München und der Oberbürgermeister haben dieses Projekt<br />
immer als existenziell bezeichnet. Daher ist es völlig nachvollziehbar, dass man dann auf die Stadt<br />
zukommt. Es ist aber nicht nachvollziehbar, dass der große Befürworter der zweiten Stammstrecke,<br />
Oberbürgermeister Ude, nicht bereit ist, noch stattzufindende Gespräche zwischen Freistaat<br />
und Bund abzuwarten, damit ein Ergebnis vorliegt, über das man dann vernünftig abstimmen<br />
kann. Nein, man will jetzt sozusagen „den Deckel drauf machen“. Ich hoffe, dass man es dann<br />
auch tut - (Zwischenruf: Auch auf den Marienhof!) -, denn die Ankündigung des Kandidaten für das<br />
Amt des Ministerpräsidenten, Ude, eine rot-grüne Landesregierung würde dann den zweiten Tunnel<br />
realisieren, ist kein Kabarett mehr, sondern absurdes Theater! Er will zusammen mit Herrn<br />
Runge die zweite Stammstrecke realisieren! Das ist die Lachnummer überhaupt! - (Beifall der<br />
FDP) - Und vielleicht noch mit den Freien Wählern, die ja von der zweiten Stammstrecke auch so<br />
begeistert sind!<br />
Meine Damen und Herren! Was für einen Schaukampf Herr Ude hier führt, ist wirklich nicht mehr<br />
verantwortbar für diese Stadt. - (Heiterkeit bei OBM Ude) - Das ist nur noch lächerlich, und deshalb<br />
sollten wir als Stadtrat nicht diesen Vorführ-Antrag beschließen, sondern dem Freistaat sagen:<br />
Nein, wir wollen die zweite Stammstrecke nicht mehr. Das wäre ehrlich! - (Heiterkeit bei OBM Ude<br />
- Beifall der FDP)<br />
StR J. Schmid:<br />
Herr Oberbürgermeister, ich finde es auch lustig, dass Sie uns dies heute vorlegen. Wie man heute<br />
in der Zeitung lesen kann und wie Sie selbst zitieren, sind die Gespräche allerdings noch „voll am<br />
Laufen“! Aber darüber geht es noch hinaus. Sie haben sich jetzt selbst widersprochen bzw. aus<br />
dem Papier falsch berichtet. Am Anfang haben Sie gesagt, es solle ohne verbindliche Rückzahlung<br />
passieren. Auf Seite 9 bis 10 steht klipp und klar: „Darlehen mit fester Rückzahlungsfrist“.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 80 -<br />
- (OBM Ude: Ja, ein Brief! Ich habe gesagt: Bürgschaft oder Garantie!) - Moment! Bürgschaft und<br />
Garantie sind Sicherheiten! Es geht jetzt zunächst einmal um den Darlehensvertrag. Sie können<br />
doch nicht sagen, es sei ohne feste Rückzahlung, wenn vertraglich eine verbindliche Rückzahlung<br />
vereinbart wird. Auch ein Brief ist ein Vertrag, das brauche ich Ihnen als Jurist nicht erklären, es<br />
gibt sogar mündliche Verträge. Am Anfang Ihrer Ausführungen haben Sie gesagt, es gibt keine<br />
verbindliche Rückzahlung. Im Papier auf Seite 10 steht aber „verbindliche Rückzahlung“.<br />
Etwas anderes ist die Frage der Sicherheiten. Sie haben gesagt, als Banker würden Sie schon mit<br />
einem Bein im Gefängnis stehen. Das ist aber genau der Unterschied: Sie sind eben kein Banker,<br />
sondern Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München. Das ist ein öffentlich rechtliches Gebilde,<br />
und es gibt mannigfache Bereiche, wo im Rechtsverkehr zwischen öffentlich rechtlichen Gebilden<br />
viel leichtere Regeln gelten, weil man sich auf den anderen verlassen kann. Im Unterschied<br />
zu Privatunternehmen genießen Gebietskörperschaften bei uns wesentlich mehr Vertrauen, da sie<br />
auch in Zukunft noch existieren werden. Es gibt keine absolute Sicherheit, das sage ich seit Griechenland<br />
nicht mehr, aber wir sind nicht in Griechenland, sondern in Deutschland.<br />
Tun Sie also nicht so, als ob dieser Fall des Vorfinanzierungsmodells mit irgendeinem privatwirtschaftlichen<br />
Vorgang vergleichbar wäre! Er ist von vorne bis hinten nicht vergleichbar! Hier spielen<br />
der Bund, das Land und die Stadt mit. Ich gehe davon aus, dass es alle miteinander 2030 noch<br />
geben wird - und zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit! Also stellt sich die Sicherheiten-Frage<br />
hier nicht so wie bei einem anderen Bankgeschäft. Das ist der nächste Schleier, den<br />
Sie darüber legen. Deshalb finde ich es nach wie vor lustig, dass Sie mit einem Seitenhieb sagen,<br />
der Freistaat habe 3 Mrd. € Rücklagen in der Kriegskasse. Ja, das hat er! Bei der letzten Haushaltsdebatte<br />
haben wir die Rücklagen und den Finanzmittelbestand explizit angesprochen. Wenn<br />
ich es richtig im Kopf habe, dann haben wir zur jetzigen Schuldentilgung ein Drittel des Finanzmittelbestandes<br />
verbraucht. Die anderen zwei Drittel werden - bis auf diese wenigen Millionen, wie<br />
der Kämmerer dargestellt hat - noch heruntergefahren. Das ist die Kriegskasse von Ihnen für das<br />
nächste und übernächste Jahr, um dann weiter Schulden zurückzuführen. Das können Sie also<br />
nicht als ernsthaftes Argument anführen. Sie können nicht sagen, der Freistaat soll zahlen, weil er<br />
so viele Rücklagen hat, und wir können nicht zahlen, wenn Sie selber entsprechende Rücklagen<br />
haben. Das ist doch ein Widerspruch in sich! - (Beifall der CSU)<br />
Meine sehr geehrten Damen und Herren, entscheidend ist: Wie oft und mit welcher Vehemenz<br />
haben wir uns erlaubt, nach acht Jahren Stillstand der Debatte einmal darüber nachzudenken, ob<br />
die zweite Stammstrecke nach wie vor die richtige Lösung für die drängenden Verkehrsprobleme<br />
der Landeshauptstadt München - Flughafenanbindung, Bahn-Fernverkehr, S-Bahn-Problem - ist!
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 81 -<br />
Dies haben wir bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt getan, lange bevor das Zeitfenster begann,<br />
sich zu schließen. Da haben Sie keine Gelegenheit ausgelassen, uns deutlich zu machen, was für<br />
ein Riesenprojekt diese zweite Stammstrecke gerade für München ist. - (OBM Ude: Nicht für<br />
München, für die S-Bahn!) - Im Papier betonen Sie jetzt dauernd, dass die zweite Stammstrecke<br />
vor allem ein Riesenprojekt für das Münchner Umland ist. - (OBM Ude: Für die S-Bahn!) - Jetzt<br />
wird plötzlich diese Seite betont.<br />
Sie haben uns äußerst vehement eingebläut, dass die zweite Stammstrecke das zentrale Projekt<br />
ist, das man jetzt unbedingt geschlossen mit großer Einigkeit durchsetzen muss. Wenn die zweite<br />
Stammstrecke für Sie diese große sachliche Bedeutung hat, dann verstehe ich wirklich nicht, dass<br />
Sie nicht zu diesem außergewöhnlichen Schritt der Vorfinanzierung bereit sind. Ich verstehe es<br />
nicht. Das ist ein glatter Widerspruch! - (StR Zöller: Wahlkampf!) - Gerade Sie, der uns dies gebetsmühlenartig<br />
eingebläut hat, müssten sagen: Ja, gehen wir diesen ungewöhnlichen Schritt der<br />
Vorfinanzierung! Sie müssten an der Spitze der Bewegung stehen. Dann stellt sich die Frage: Warum<br />
tun Sie das nicht? Meine Fraktionskollegen haben es mir gerade zugerufen: Weil Sie eine<br />
ganz große Fähigkeit haben, nämlich das Aufspüren von populären Themen, mit denen man dann<br />
einen Wahlkampf bestreiten kann. - (OBM Ude: Wer hat's denn erfunden?) - Es ist eine Erscheinung<br />
der Zeit, dass man nur noch kurze und knappe Botschaften herüberbringt, weil kompliziertere<br />
Sachverhalte leider nicht mehr aufgenommen werden. Das ist der Grund, warum Sie es so tun. Sie<br />
wollen ein Wahlkampfthema generieren, um es dem Freistaat dann permanent vorzuhalten. Jedes<br />
Mal, wenn die S-Bahn steht, weil irgendetwas passiert ist - (BMin Strobl: Genau!) -, was mit der<br />
Stammstrecke gar nichts zu tun hat, sagen Sie: Schaut her! Das habt Ihr der CSU und der FDP zu<br />
verdanken. Das hat doch längst jeder durchschaut!<br />
Wenn es Ihnen mit Ihren eigenen hier oft wiederholten Aussagen ernst wäre, dass dies das zentrale<br />
Jahrhundertprojekt ist, dann müssten Sie 350 Mio. €, auf mehrere Jahre gestreckt, vorfinanzieren.<br />
Wenn Sie von Rot-Grün heute beschließen, dass Sie dazu nicht bereit sind, dann schließen<br />
Sie das Zeitfenster für die zweite Stammstrecke. - (BM Monatzeder: Warum eigentlich nur der Betrag<br />
von 350 Mio. €? - OBM Ude: Ja, eben! - BMin Strobl: Warum nicht gleich 500 Mio. € oder eine<br />
Milliarde oder so? - Beifall der rechten Seite des Hauses)<br />
StR Altmann:<br />
Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen! Zunächst von mir ein Dank für das jetzt vorliegende<br />
<strong>Protokoll</strong>, und dass Sie nach wie vor so eisern und vehement Nein sagen zu einer Finanzierungsbeteiligung<br />
der Landeshauptstadt München. Bei Punkt 8 auf Seite 10 des <strong>Protokoll</strong>s<br />
fällt mir auf, dass sich die S-Bahn München weigert, eine Gewinnrechnung vorzulegen. - (OBM
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 82 -<br />
Ude: Tja!) - Natürlich wollen sie die Gewinne nicht darlegen, denn sonst könnte jemand auf die<br />
Idee kommen, dass sich die S-Bahn München beteiligen sollte. Wir haben heute in der Zeitung gelesen,<br />
dass auch der Bahnchef zu dem Ministertreffen kommt. Er kommt aber gleich mit der Botschaft:<br />
Die Bahn wird sich nicht weiter beteiligen. 133 Mio. € - und damit ist die Sache für ihn erledigt.<br />
Ich verstehe Folgendes nicht: Von der einen Seite erwartet man bei Gesprächsrunden immer, dass<br />
sie sich bewegen solle. Warum aber bewegt sich die andere Seite nicht, die der Nutznießer ist und<br />
später die Gewinne einfährt? Wenn ich hier lese, dass von der Bahn Milliarden-Gewinne angekündigt<br />
sind, dann verstehe ich das alles sowieso nicht mehr. Man will der Stadt München den<br />
Schwarzen Peter zuschieben, falls dieses Projekt scheitert, weil man in anderen Bereichen nicht<br />
bereit ist, die dementsprechenden Finanzierungen sicherzustellen.<br />
Zur Beschlussvorlage und zum Antrag: Hierzu kein Lob oder Dank, sondern da muss ich<br />
Herrn Dr. Mattar recht geben. Hier verstehe ich Sie wirklich nicht. Es wird endlich Zeit, dass wir uns<br />
generell von dieser zweiten Stammstrecke verabschieden. Sie ist nicht finanzierbar, das habe ich<br />
Ihnen hier schon x-mal prophezeit. Ich bin zwar nur ein Einzelstadtrat ... - (StRin Wolf: Da hat man<br />
auch manchmal recht!) - Wir haben ja auch gemeinsam den Transrapid beerdigt. So ist es nicht!<br />
Vielleicht kommt Ihre Umkehr noch, so dass wir auch gemeinsam diese zweite Stammstrecke beerdigen,<br />
denn sie wird nicht finanziert werden.<br />
Ich verstehe nicht, warum Sie in Ziffer 3 des Antrages der Referentin immer noch bekräftigen, dass<br />
diese zweite Stammstrecke von Wichtigkeit ist. Sie wird nicht kommen! Gehen wir endlich den<br />
Schritt, andere umsetzbare Lösungen zu finden, die im Bereich der Landeshauptstadt München<br />
genauso effektiv sind und den Bürgern schnellstmöglich zugutekommen können. Lassen Sie uns<br />
nicht Jahre über ein Projekt streiten, bei dem keiner bereit ist, diese Milliarden zu finanzieren. Aktuell<br />
sind wir bei 2,2 Mrd. €, und das wird nicht das Ende sein. Wir werden noch tiefer in die Tasche<br />
greifen und wesentlich mehr Geld zur Verfügung stellen müssen. Wo soll das enden? Wer soll<br />
diese Mehrkosten finanzieren? Wenn wir schon einmal mit 350 Mio. € beteiligt werden, werden wir<br />
dann später mit 500 oder 600 Mio. € einsteigen müssen, weil die Mehrkosten sonst nicht finanzierbar<br />
sind?<br />
Ich bitte um punkteweise Abstimmung, denn diese Ziffer 3 werde ich - wie schon immer - nicht mittragen.<br />
Außerdem bitte ich Sie: Verabschieden Sie sich von diesem Projekt! Lassen Sie uns etwas<br />
anderes Vernünftiges auf die Strecke bringen, damit hier endlich für alle Beteiligten das Beste herauskommt!
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 83 -<br />
StRin Wolf:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! In der Ablehnung der zweiten S-Bahn-Stammstrecke<br />
und der Einschätzung, dass sie nicht finanzierbar ist, bin ich einig mit dem Kollegen Altmann<br />
und eigentlich auch mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP. Auch wir werden Ziffer 3 ablehnen<br />
und dem Rest zustimmen.<br />
Noch einige Anmerkungen zur Beschlussvorlage: Die Stadt München soll einem privaten Unternehmen<br />
350 Mio. € geben, das Probleme hat, dies in der Bilanz darzustellen. Es ist noch gar nicht<br />
klar, ob das ein Geschenk ist und ob es versteuert werden muss. Weiß der Teufel was! Und das<br />
alles zinsfrei, wo wir jeder klitzekleinen Initiative einen kalkulatorischen Zinssatz von 4,25 % aufs<br />
Auge drücken. Ich halte es für eine Zumutung, dies zinsfrei zu geben, Zinslast und Tilgungslast bis<br />
2030 selbst zu tragen, um es dann hoffentlich zurückzubekommen. Es ist auch ein Anschlag auf<br />
die zahlreichen Investitionsprojekte, die wir in der Stadt München selbst stemmen müssen!<br />
- (OBM Ude: Ja!) - Ich erinnere nur an das viergleisige Tieferlegen der S 8 in der einen oder anderen<br />
Variante, was einen hohen dreistelligen Millionenbetrag fordern wird, den wir höchstwahrscheinlich<br />
ganz alleine aufbringen müssen. Vielleicht steigert sich dieser Betrag sogar bis zu einer<br />
Milliarde Euro.<br />
Unser Investitionsprogramm „Kinderkrippen“ ist noch nicht abgeschlossen, wir reden über die Untertunnelung<br />
weiterer Straßenzüge, wenn der dritte Tunnel 2015 fertig ist. All diese Dinge können<br />
auch die Stadt München an die Grenzen ihrer Finanzkraft bringen. Da ist es unverantwortlich, hier<br />
einfach einmal 350 Mio. € „draufzulegen“ - mit der Ungewissheit, ob nicht vielleicht noch mehr benötigt<br />
wird. Wie Herr Kollege Altmann gesagt hat, wird dieses Ansinnen wiederkommen, wenn es<br />
Kostensteigerungen gibt. Ich bin sehr dafür, dass der Stadtrat heute sagt, dass wir uns an dieser<br />
Vorfinanzierung nicht beteiligen.<br />
Ein Argument der Staatsregierung ist, es sei ein Projekt für München. In der Debatte wurde oft<br />
gesagt, dass es ein Projekt für die Münchner Region ist, und zwar für die S-Bahn-Region und mit<br />
den Express-Bahnen im Wesentlichen für den Pendler-Verkehr von außerhalb. In der Stadt München<br />
wird es eine ganze Reihe von S-Bahn-Stationen geben, die weniger gut angebunden sein<br />
werden: Isartor, Stachus, Hackerbrücke. Das Argument, wir profitieren von der 2. Stammstrecke<br />
innerhalb des Stadtgebietes, stimmt einfach nicht.<br />
Eine Anmerkung zu dem projizierten, versprochenen „Freistaat schuldenfrei“: Da hätte ich den<br />
Aufschrei des Kollegen Prof. Dr. Hoffmann erwartet. Jeder weiß, dass der Freistaat noch nicht auf<br />
den doppischen Haushalt umgestellt hat und keine Pensionslasten ausweist. - (StR Dr. Mattar:
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 84 -<br />
Deshalb ist es umso wichtiger, die Finanzschulden zu tilgen!) - Die reinen Finanzschulden herunterfahren,<br />
das kann ich auch. Da gebe ich vier Jahre lang nichts aus für Bauinstandhaltung und<br />
investiere nicht, schon habe ich keine Schulden mehr, aber einen Haufen Belastungen. Diese<br />
Sichtweise ist sogar für ein Milchmädchen zu dumm. - (Heiterkeit) - Ich hoffe, dass sich der Ministerpräsident<br />
des Freistaates Bayern noch eines Besseren belehren lässt.<br />
Kolleginnen und Kollegen, ich glaube es ist dringend nötig, dass wir, was den S-Bahn-Ausbau anbelangt,<br />
auf einen Plan B übergehen, d. h., wir nehmen die 200 Mio. € und fangen z. B. wie vorgeschlagen<br />
an den Außenästen an und beseitigen verschiedene Engpässe. Dazu gibt es Vorschläge<br />
und Maßnahmen, wobei auch das Staatsministerium selber weiß, was zu machen wäre.<br />
Die haben bestimmt auch schon eine eigene Prioritätenliste. Wovon ich mich aber distanzieren<br />
möchte, ist die Frage der Gewichtung (siehe Vorlage Seite 6). Es wird lapidar gesagt: Wenn der<br />
Bund seinen Anteil nicht zahlt und wir in ganz Bayern 700 Mio. € bis zum Jahr 2019 bekommen,<br />
dann müssten andere Projekte in Bayern zurückstehen, damit die 2. Stammstrecke in München<br />
gebaut wird. Angeführt werden das Verkehrskonzept und der Bahnhof in Augsburg. Von dieser<br />
Sichtweise, dass wir vom Freistaat verlangen, er soll noch mehr der Stadt „rüberschieben“, davon<br />
möchte ich mich definitiv distanzieren. Die anderen Städte haben tatsächlich noch einen sehr viel<br />
höheren Bedarf beim Ausbau ihrer Infrastruktur als München. Danke. - (Beifall von DIE LINKE.)<br />
StR Bickelbacher:<br />
Herr Oberbürgermeister, Kolleginnen und Kollegen! Optimismus ist eine wichtige Triebfeder in der<br />
Politik und im öffentlichen Handeln. Der Freistaat hat jahrelang den Optimismus verbreitet, dass<br />
die Finanzierung steht! Fünf Jahre lang waren die Verhandlungen für diesen Tunnel kurz vor dem<br />
Durchbruch - wenn ich das so sagen darf. Unsere Bundestagsabgeordneten in Berlin haben immer<br />
gesagt, sie wissen nicht, woher das Geld kommen soll. Der GVFG-Topf sei anderweitig ausgeschöpft.<br />
Aber vom Freistaat war immer wieder zu hören: Ja, ja, wir verhandeln wieder; das Geld<br />
kommt bald. Das Geld ist aber lange Zeit nicht gekommen.<br />
Jetzt ist Realismus angesagt, die Einsicht, dass vom Bund die angedachte Finanzierung nicht<br />
kommt. Nach 15 Jahren Tunnelprojekt kommt man plötzlich auf die Stadt zu und überlegt eine<br />
städtische Mitfinanzierung. Daran sind zwei Sachen besonders schwierig, abgesehen davon, dass<br />
es keine kommunale Aufgabe ist: München sollte als einzige Kommune aufgefordert werden, mitzubezahlen.<br />
Die Landkreise und die Kommunen im Umland blieben verschont. Es wird nicht völlig<br />
abgelehnt, aber eingefordert wird es nicht. Von der Stadt hingegen wird die Mitfinanzierung eingefordert.<br />
Das ist ein Vorgehen, das logisch nicht ganz begründbar ist. Der zweite Grund: Es handelt<br />
sich um eine Vorfinanzierung. Aber letztlich geht es eigentlich um eine Finanzierung. Ich glaube,
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 85 -<br />
das ist klar; denn wie soll sich jetzt der Bund verpflichten, später in zehn Jahren etwas abzubezahlen?<br />
Es ist einfach eine Art weiterer Verschuldung. Man kann doch jetzt nicht bestimmen, wie die<br />
Abgeordneten in zehn Jahren abstimmen sollen. Ich glaube, es ist eine Sache, bei der man nicht<br />
groß darauf setzen kann, dass das Geld zurückbezahlt wird. - (StR Prof. Dr. Hoffmann: Das macht<br />
der Bund doch ständig!) - Man muss einfach ehrlich sagen, dass es um eine Mitfinanzierung der<br />
Stadt geht und nicht um ein Darlehen. Ich glaube, das ist auch schon aus mehreren Beiträgen<br />
deutlich geworden. Ein solcher Kredit hätte in einem Rating der Agenturen sicherlich keine große<br />
Chance, ein A zu bekommen.<br />
Ich sehe beim Bund keine Bereitschaft, das Geld zu zahlen, ebenso wenig bei der Bahn. Ich unterstütze<br />
die Aussage: Wir als Stadt haben genügend andere Aufgaben. Wir müssen z. B. unsere<br />
U-Bahnen sanieren. Es handelt sich um Summen von 1,6 Mrd. € in den nächsten Jahren. Das<br />
System kommt auch in die Jahre. Vor zehn Jahren konnte man noch sagen, die S-Bahn ist unzuverlässig.<br />
Die U-Bahn war aber immer zuverlässig. Langsam häufen sich bei der U-Bahn aber<br />
auch die Probleme. Das System kommt also in die Jahre, und es muss etwas getan werden. Es<br />
kostet auch viel Geld, und es zählt zu den städtischen Aufgaben. Außerdem kommen auf uns noch<br />
einige Straßenbahnprojekte zu. Ich glaube, wir haben genügend kommunale Aufgaben, in die wir<br />
unser Geld sinnvoll investieren können.<br />
Der Stadtrat hat in seiner unermesslichen Weisheit damals Sofortmaßnahmen, die die Grünen eingebracht<br />
haben, einstimmig beschlossen, weil wir schon geahnt haben, dass es schwierig werden<br />
wird mit der Finanzierung. Herr Oberbürgermeister, Sie haben es damals so ausgelegt, dass die<br />
Sofortmaßnahmen gleich nach dem Tunnel kämen. Vielleicht sollten Sie darauf abzielen, dass wir<br />
sie vorher angehen. Es sind sinnvolle Maßnahmen dabei. Ich kann sie kurz wiedergeben:<br />
• Der viergleisige Ausbau des Bahnhofs Laim. Wir haben vor Kurzem dazu einen Antrag gestellt,<br />
ihn vorzuziehen, damit auch in der Westtangente keine Verzögerung zu erwarten ist.<br />
• Die Sendlinger Spange über Laim zum Haimeranplatz, nicht nur auf der Südseite entlang,<br />
damit vernünftige Verbindungen entstehen, so dass auch eine Verbindung zur U-Bahn<br />
entsteht und man zur U-Bahn umsteigen kann. Das ist wichtig in einem Störfall.<br />
• Der Regionalzug-Halt Poccistraße. Er wurde in anderen Zusammenhängen schon genannt.<br />
Der Ausbau des regionalen Netzes Rosenheim, damit mehr Regionalzüge fahren und zur<br />
Hauptverkehrszeit zwischen Hauptbahnhof und Poccistraße fast ein 10-Minuten-Takt entsteht.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 86 -<br />
• Ein sechstes Gleis am Ostbahnhof<br />
und<br />
• der Ausbau der Außenäste.<br />
Wir haben das damals einstimmig im Stadtrat beschlossen. Ich denke, es ist jetzt angesagt, diese<br />
Maßnahmen vorzuziehen. Da kann man auch mit 200 Mio. € etwas unternehmen. Am letzten Freitag<br />
haben sich immerhin acht Verkehrsinitiativen auf ein gemeinsames Papier geeinigt. Wer die<br />
Diskussionen bei den Initiativen kennt, weiß auch, dass es für sie gar nicht so einfach ist, sich auf<br />
ein einheitliches Vorgehen in drei Stufen bis zum Jahr 2030 zu einigen. In den Infrastrukturmaßnahmen<br />
des ersten Schrittes sind diese Maßnahmen, die wir beschlossen haben, im Wesentlichen<br />
dabei. Es sind noch einige andere Maßnahmen dabei, die sich auf Betriebliches beziehen:<br />
25 S-Bahn-Züge bestellen und, was die S-Bahn teilweise schon macht, eine Verbesserung bei der<br />
Abfertigung, eine Verkürzung der Halte bei der S-Bahn, damit es zu weniger Unregelmäßigkeiten<br />
kommt.<br />
Ich glaube, diese Schritte sollten wir demnächst vom Freistaat einfordern. Wir müssen uns auch<br />
überlegen, wie wir hinsichtlich des Marienhofs weiterkommen. Es ist wirklich eine Entscheidung<br />
gefragt. Verabschieden wir uns erst einmal davon? Diese Entscheidung steht demnächst an. Wichtig<br />
wäre, die Maßnahmen, die realisierbar sind, einzufordern. Die Feststellung, dass wir als Stadt<br />
nicht mitzahlen, unterstützen wir voll und ganz. In Ziffer 3 des Referentenantrags werden Herr<br />
Dr. Vogel, Frau Dietrich und ich dagegenstimmen, weil wir den Tunnel von Anfang an nicht befürwortet<br />
haben. Danke schön. - (Beifall von Bündnis 90/Die Grünen/RL)<br />
StR Reissl:<br />
Frau Bürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen! Es sieht leider wirklich danach aus, dass es die<br />
Finanzierung des Bundes für diese Nahverkehrsaufkommen nicht geben wird, was aber für uns an<br />
der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit nichts ändert. Wir haben uns schon etwas dabei gedacht.<br />
- (StR Offman: Was? - Heiterkeit) - Wir brauchen diese Diskussion nicht noch einmal zu führen. Sie<br />
ist mehrmals angesprochen worden. Deshalb halte ich es für notwendig, das noch einmal festzuhalten.<br />
Es ist klar, jetzt freut man sich, weil alle, die immer schon dagegen waren, angeblich Recht<br />
bekommen. Ich weiß aber nicht, wo die Freude sein soll. Zunächst ist festzustellen, dass in absehbarer<br />
Zeit überhaupt nichts kommt, auch nicht für das, was die Verkehrsverbände - es sind oft<br />
keine Verkehrsverbände, sondern sehr überschaubare Kleingruppen - zusammengetragen haben.<br />
Auch das ist meilenweit entfernt von einer Finanzierbarkeit. Wenn es wenigstens eine Aussicht auf
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 87 -<br />
Finanzierbarkeit gäbe, könnte man es anders beurteilen. Aber das ist genauso meilenweit entfernt<br />
von einer Finanzierbarkeit wie der 2. S-Bahn-Stammstreckentunnel. Angesichts der Bedeutung für<br />
die künftige Leistungsfähigkeit und mit Blick auf die steigende Inanspruchnahme des Systems S-<br />
Bahn halten wir es nach wie vor für ein Schlüsselvorhaben, diesen 2. S-Bahn-Stammstreckentunnel<br />
zu realisieren.<br />
Dem Oberbürgermeister wurde vorgeworfen, es werde politisch taktisch eine Front aufgebaut. Kolleginnen<br />
und Kollegen, haben Sie vielleicht schon wieder die Reihenfolge vergessen? Eröffnet hat<br />
dieses Scharmützel die bayerische Staatsregierung. - (Widersprüche von der CSU) - Es war eine<br />
öffentlich vorgetragene Forderung der Bayerischen Staatsregierung, des Bayerischen Staatsministers<br />
für Wirtschaft und Verkehr, Infrastruktur und Technologie mit Ultimatum, die Stadt solle gefälligst<br />
350 Mio. € vorfinanzieren, sonst scheitert das Projekt. Wenn ich so etwas nicht als politisch<br />
taktische Vorgabe habe, sondern es wirklich erreichen will, rede ich vielleicht zuerst mit denen, von<br />
denen ich Geld haben will, bevor ich es in die Zeitung schreibe. Das könnte man eigentlich annehmen.<br />
- (Beifall von OBM Ude und von der SPD)<br />
Nachdem das nicht passiert ist und es viel wichtiger war, dies öffentlich anzukündigen und öffentlich<br />
von der Stadt zu verlangen, ist vollkommen klar, welchen Sinn es hat. Es hat den Sinn, die<br />
Verantwortung auf jemanden abzuwälzen, der sie gar nicht hat, nämlich die Landeshauptstadt<br />
München. - (Beifall der SPD)<br />
Nun wird die Argumentation, die eigentlich nur eine Argumentationsbrücke ist, bemüht: Natürlich<br />
profitiert die Stadt München auch vom S-Bahn-System. Das war aber auch vor ungefähr 15 Jahren<br />
so, als der Bund die Bahnreform beschlossen und dabei festgestellt hat, dass für den Schienenpersonennahverkehr<br />
die Länder zuständig sind und nicht die Kommunen und für den allgemeinen<br />
Personennahverkehr die Kommunen. Das war vor 15 Jahren genauso wie heute. Natürlich profitiert<br />
die Stadt davon. Da haben Sie vollkommen recht. Trotzdem gibt es eine ganz klar geregelte<br />
Aufgabenteilung. - (BM Monatzeder: Und die Regionalisierungsmittel haben sie eingesackt!) - Ja,<br />
die Regionalisierungsmittel haben sie bekommen. Übrigens profitiert die Stadt vom Nahverkehrszug,<br />
der keine S-Bahn ist, aber z. B. aus Regensburg, Augsburg oder Ingolstadt kommt und Menschen<br />
nach München bringt, in gleicher Weise wie von der S-Bahn. Heißt das, dass wir den<br />
nächsten Eisenbahnausbau im Nahverkehr, der keine S-Bahn ist, als Stadt München auch voroder<br />
mitfinanzieren sollen? Das ist doch eine absurde Argumentation. - (Vereinzelt Beifall von der<br />
SPD)
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 88 -<br />
Der nächste Vorschlag wird von Herrn Dr. Heubisch kommen: Wir brauchen unbedingt einen weiteren<br />
Konzertsaal in München. Finanzieren kann ihn der Freistaat Bayern nicht, weil er diese<br />
3 Mrd. € in der Kriegskasse braucht. Ich weiß zwar nicht, gegen wen der Freistaat Bayern Krieg<br />
führt. Hoffentlich nicht gegen Österreich, dort fahre ich viel zu gerne hin. Gegen wen will er Krieg<br />
führen? Er hat 3 Mrd. € in der Kriegskasse. Aber natürlich steht fest: Er will zwar einen Konzertsaal,<br />
ihn aber nicht allein finanzieren. Natürlich profitiert München auch von einem neuen Konzertsaal,<br />
abgesehen davon, dass er München auch schadet. Aber natürlich werden auch Münchner<br />
Bürgerinnen und Bürger in einen solchen Konzertsaal gehen.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der gleichen Begründung können Sie nächsten Monat fordern,<br />
die Stadt München soll für die Finanzierung eines neuen Konzertsaals auch 30 Mio. € oder<br />
40 Mio. € zur Verfügung stellen. - (StR Dr. Mattar: Das verlangt doch kein Mensch!) - Sie mögen<br />
vielleicht sagen, es ist absurd. Ich sage Ihnen, es ist nicht absurd. Mein Freund Richard Quaas hat<br />
schon den Vorschlag gebracht, wir sollen, obwohl nicht zuständig, mehr Betriebskostenzuschuss<br />
für das Deutsche Museum leisten. Warum sollen wir nicht auch die Sanierung von staatlichen Museen<br />
in München bezahlen? Wir wissen, dass es dort einen Sanierungsstau gibt. All das könnten<br />
wir bezahlen. Staatsminister Dr. Söder bietet uns an, dass die bayerischen Gemeinden die GBW-<br />
Wohnungen kaufen. Da wird auf die Stadt München eine Ausgabe von 500 Mio. € zukommen. Alles<br />
das wird freudig in treuer Gefolgschaft für die Landes-CSU, für die Staatsregierung von der<br />
CSU in diesem Rathaus auch noch unterstützt. Sie beteiligen sich an der Ausplünderung des<br />
Stadthaushaltes! - (Beifall der SPD)<br />
Bei Haushaltsdebatten führen Sie kluge Reden, wo wir an falschen Stellen Geld ausgeben und es<br />
dann „niggelig“ wird bei 35.000 € oder bei 120.000 €. Hier stellen Sie sich hin und verlangen für die<br />
S-Bahn 350 Mio. €, für die GBW-Wohnungen 500 Mio. €, vielleicht irgendwann auch noch einen<br />
Zuschuss für den Konzertsaal. Herr Kollege Quaas hat es schon vorgemacht beim Thema Deutsches<br />
Museum. Kolleginnen und Kollegen, wo soll das enden?<br />
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Stadt auch noch in den nächsten Jahren gewaltige<br />
Investitionen im Verkehr wird leisten müssen, und zwar im eigenen Zuständigkeitsbereich,<br />
beispielsweise bei der Sanierung der U-Bahn-Anlagen. Gott sei Dank haben wir ein leistungsfähiges<br />
Unternehmen. Ich bin mir aber nicht sicher, dass der gesamte Investitionsaufwand für die Sanierung<br />
der U-Bahn-Anlagen in den nächsten 15 oder 20 Jahren dauerhaft von den Stadtwerken<br />
München finanziert werden kann. Eine Zuschussfinanzierung nach Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz<br />
gibt es dafür übrigens überhaupt nicht. Wenn neben den Stadtwerken jemand einspringen<br />
wird müssen, dann wird das die Stadt mit ihrem Hoheitshaushalt sein. Sie werden natür-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 89 -<br />
lich rechtzeitig vor der nächsten Wahl verlangen, dass so schnell wie möglich die weiteren Abschnitte<br />
des Mittleren Ringes in München ausgebaut werden, wo auch die Zuschüsse des Landes<br />
von Mal zu Mal weniger - (OBM Ude: 80 % versprochen!) - und die Belastung der Stadt von Mal zu<br />
Mal höher geworden ist. Verlangen Sie das alles! Tun Sie das alles, aber ersparen Sie uns bitte in<br />
künftigen Haushaltsdebatten Ihre klugen Ratschläge, was man alles besser machen könnte.<br />
- (Beifall von OBM Ude und von der SPD)<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann:<br />
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren! Ich bin wirklich kein Freund der 2. Stammstrecke.<br />
Das weiß jeder. Trotzdem möchte ich ein paar Dinge zurechtrücken: Herr Kollege Reissl, die Bezugnahme<br />
auf den Konzertsaal ist sachfremd, und es ist daneben, jetzt irgendwelche Parallelkriegsschauplätze<br />
aufzubauen, wo es um einen Konzertsaal geht. Dabei hat die Staatsregierung<br />
schon eindeutig gesagt, dass sie dafür kein Geld von der Stadt München haben will. - (OBM Ude:<br />
Wer hat das gesagt?) - Herr Dr. Heubisch sagt das. - (OBM Ude: Die FDP verzichtet auf Mitfinanzierung<br />
des Konzertsaals! - Heiterkeit - Beifall der SPD) - Wie gesagt, es ist eine völlig sachfremde<br />
Erwägung. - (OBM Ude: Das ist richtig!)<br />
Zum Thema S-Bahn: Lieber Herr Reissl, natürlich können Sie mit dem Zug aus Ingolstadt bis zum<br />
Hauptbahnhof fahren, aber nicht einmal quer durch die Stadt vom Fasanengarten nach Englschalking<br />
oder von Pasing zum Leuchtenbergring. Genau darin steckt der Mehrwert der S-Bahn für die<br />
Stadt, und zwar allein innerhalb der Stadt für die Stadt München. Das müssen Sie schon auch mit<br />
dazu sagen. Das ist schon etwas anderes, wovon die Stadt hier profitiert.<br />
Um vorzubeugen, dass völlig falsche Behauptungen in den Raum gestellt werden: Von Herrn Bickelbacher<br />
kann ich es verstehen, er ist kein Jurist. Ich bin auch keiner, aber der Oberbürgermeister<br />
ist Jurist und müsste eigentlich wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland natürlich jederzeit<br />
Verträge abschließen kann, auch langfristige. Dazu zählen auch langfristige Kreditverträge. Da<br />
wird dann ein festes Rückzahlungsdatum vereinbart, genau so, wie es vorgeschlagen wird. Sich<br />
dann hier hinzustellen und zu sagen: Ob wir das Geld jemals wiedersehen? Dann kommt eine andere<br />
Bundesregierung, und die übernächste wird es bestimmt nicht mehr zahlen ... Meine Damen<br />
und Herren, es ist ein Vertrag, daran kann keine künftige Bundesregierung rütteln, genauso wenig<br />
wie wir daran rütteln können, wenn wir heute beschließen, einem Sozialträger eine bestimmte<br />
Förderung oder einen Mietvertrag für 10 Jahre zukommen zu lassen. Dann kann der nächste<br />
Stadtrat das nicht einfach zurücknehmen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 90 -<br />
BM Monatzeder:<br />
Wieso gehen dann die Erstattungen im übertragenen Wirkungskreis permanent zurück?<br />
StR Prof. Dr. Hoffmann:<br />
Das ist immer dann der Fall, wenn ein Vertrag ausläuft. Ich rede von bestehenden Verträgen.<br />
Wenn wir heute einen Vertrag abschließen, in dem steht, dass wir das Geld zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt von der Bundesrepublik zurückbekommen, so ist die Bundesrepublik rechtlich daran<br />
gebunden.<br />
Nun zum Thema Bürgschaften: Es klingt sehr plausibel und auf den ersten Blick für den Laien<br />
richtig, wenn gesagt wird, dann kriegen wir nicht einmal eine Bürgschaft dafür. Herr Oberbürgermeister,<br />
was wollen Sie denn noch? Eine bessere Bürgschaft als einen Vertrag mit der Bundesrepublik<br />
Deutschland können Sie überhaupt nicht haben. Wenn Ihnen derselbe Schuldner noch eine<br />
Bürgschaft gibt, fällt es vollkommen in sich zusammen und ist wertlos. Entweder er erfüllt den Vertrag<br />
und zahlt das Geld zurück, oder er fällt komplett aus. Eine Sicherheit hat da überhaupt keinen<br />
Sinn. - (Beifall der CSU und der FDP) - Es klingt aber toll, wenn Sie sich hinstellen und sagen,<br />
dass der Bund nicht einmal eine Sicherheit geben will. Die Sicherheit heißt „Vertrag mit der Bundesrepublik<br />
Deutschland“. Sie wissen ganz genau, dass das besser ist als jede andere Sicherheit,<br />
die Sie kriegen können - (Heiterkeit bei OBM Ude) - und alles andere purer Populismus ist.<br />
Ich freue mich eigentlich, dass das Ganze so läuft, wie es läuft, weil ich die 2. S-Bahn-Stammstrecke<br />
gar nicht möchte. Aber ich empfehle Ihnen, den Freistaat ein bisschen besser zu behandeln,<br />
als Sie es gerade tun. Denn was versucht der Freistaat? Er versucht das, was auf Bundesebene<br />
seit 15 Jahren bei den verschiedenen Regierungen in den Brunnen gefallen ist, zu retten. Er versucht<br />
das dadurch, indem er unkonventionelle Wege geht. Sie lehnen diesen Weg ab. Dann werden<br />
wir halt keine 2. Stammstrecke bekommen. Aber der Freistaat hat für das Projekt bereits<br />
950 Mio. € zugesagt. Eigentlich läge es an Ihnen, ein bisschen diplomatischer an den Freistaat<br />
heranzutreten und zu versuchen, dass wir wenigstens diese 950 Mio. € retten, um sie für andere<br />
Verkehrsknotenpunkte in München einzusetzen. Das wäre jetzt eigentlich Ihre Aufgabe. Aber wenn<br />
Sie hier wie die Axt im Walde durchgehen und dem Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur,<br />
Verkehr und Technologie Ultimaten stellen und die ganze Staatsregierung ständig lächerlich<br />
machen, wundert es mich nicht, wenn die 950 Mio. € am Ende in den Ausbau des Flughafens<br />
Hof fließen. - (Heiterkeit - Beifall von CSU und FDP)<br />
StR J. Schmid:<br />
Es ist schön, wenn Herr Kollege Reissl gleich mit weiteren Projekten kommt. Fangen wir mit dem<br />
Tunnel an. Wenn die Zuschüsse von Mal zu Mal weniger werden, könnte man auch sagen, man
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 91 -<br />
hätte vielleicht etwas früher anfangen können. Aber man musste Sie ja erst mit einem Bürgerbegehren<br />
dazu bringen, die Tunnels überhaupt auf den Weg zu bringen. - (Beifall der CSU - Unruhe)<br />
- Ich kann mich sogar noch daran erinnern: Als es darum ging, mit dem Bau des Luise-Kiesselbach-Tunnels<br />
schneller anzufangen, gab es ein ständiges Drängen der CSU, zügig anzufangen,<br />
und seinerzeit eine <strong>Protokoll</strong>notiz, dass die vorhandenen Verkehrsschilder, Umleitungsschilder<br />
nicht ausreichen würden, um zwei Tunnelmaßnahmen gleichzeitig zu starten. - (Widerspruch) -<br />
Irgendein solches Argument wurde vorgebracht. Es ist ja auch egal.<br />
Kollege Reissl, kann das Geringerwerden der Zuschüsse damit zu tun haben, dass die Landeshauptstadt<br />
München nach Standards baut, die nicht bezuschussungsfähige Kosten beinhalten?<br />
- (OBM Ude: Deshalb wird es auf dem Land auch immer weniger!) - Ich stelle nur eine Frage. Sie<br />
machen sich lächerlich über das Ziel des Ministerpräsidenten, die Schulden zurückzuführen auf<br />
Ebene des Freistaates. Man kennt ja die generelle Haltung der SPD zum Thema Defizit Spending<br />
und Schulden. Vielleicht könnte sich daraus einmal ein neuer Spielraum ergeben, damit Zuschüsse<br />
künftig besser fließen können, wenn der Freistaat eben nicht mit diesen hohen Zinszahlungen<br />
belastet ist. Auch den Gedanken sollten Sie sich vielleicht einmal verinnerlichen.<br />
Mich wundert, dass mir nicht lauter widersprochen wird. Gerade heute habe ich mich während des<br />
Mittagessens mit Herrn Kollegen Zöller unterhalten. Was die GBW-Wohnungen anbelangt, haben<br />
wir wieder die gleiche Struktur: Zuerst malen Sie den Teufel an die Wand und sagen, der böse<br />
Freistaat wird es bestimmt an eine Heuschrecke verkaufen. Dann stehen Sie als der edle weiße<br />
Ritter nicht zuletzt aufgrund eines CSU-Antrages da. Wir bleiben bei der Zielsetzung, dass die<br />
Kommunen die Wohnungen übernehmen sollten. Zur Not stehen wir bereit und nehmen als kommunales<br />
Konsortium die Wohnungen. Nachdem jetzt bekannt ist, dass auch genau das die Zielrichtung<br />
von Finanzminister Dr. Söder ist, schwenken Sie plötzlich um und sagen: Wie böse! Wir<br />
armen Kommunen müssen jetzt die kommunalen Wohnungen übernehmen. Das ist ein Griff in<br />
unsere Tasche. Wer aus diesem klassischen Ude'schen Schwenk nicht erkennt, dass bei Ihnen nur<br />
der Wahlkampf im Vordergrund steht, muss fast schon blind sein. - (Beifall der CSU)<br />
Herr Ude, ich zeige Ihnen gleich einmal ein paar Alternativen auf. Wenn Sie tatsächlich der Meinung<br />
sind, dass es eine wahnsinnige Belastung ist und es schlimm ist für die Kommunen, insbesondere<br />
für die Landeshauptstadt München, würde mich tatsächlich interessieren, wieso bei diesem<br />
Konsortium auch die Stadtsparkasse dabei ist. Doch bestimmt, um hier etwas zu finanzieren.<br />
Mich würde interessieren, wie viel. Mich würde auch interessieren, wieso in dem kommunalen<br />
Konsortium unter Führung der GWG auch eine Versicherung dabei ist. Doch bestimmt, um etwas
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 92 -<br />
zu finanzieren und anzulegen. Man merkt, dass das Geld selbstverständlich von woanders herkommt.<br />
Man spürt da schon, dass es offensichtlich gar keine so schlechte Anlage ist.<br />
Wenn Sie sagen, wir müssen als Stadt 500 Mio. € zahlen, warum halten Sie eine fragwürdige Vorstellung<br />
ab bei dem von Ihnen ins Leben gerufenen Bündnis für sozialen Wohnungsbau? Ich war<br />
nicht dabei, aber es wurde mir so geschildert. Da haben Sie jedenfalls einige Wohnungsbestandsund<br />
Wohnungsbauunternehmen dabei, die erklärtermaßen und von Ihnen auch anerkannt nachhaltig<br />
seit Jahrzehnten soziale Zwecke verfolgen. Diese werden ausgeschlossen. Die würden aber<br />
auch gerne mitmachen. Ich kann mich noch an den Bau der Wohnungen für das Olympische Dorf<br />
erinnern und daran, welchen Heckmeck wir hatten, weil Sie die ganze Privatwirtschaft außen vor<br />
gelassen haben. Es gibt aber eben auch in der Privatwirtschaft Unternehmen, die sozial orientiert<br />
sind. Darauf haben wir immer wieder hingewiesen. Außerdem ist klar, dass die Sozialcharta bei<br />
einem Verkauf gelten muss. Denken Sie doch einmal daran, bevor Sie jammern! - (Beifall von<br />
StRin Wittmann)<br />
Herr Kollege Zöller und ich waren uns beim Mittagessen nicht ganz sicher, ob es wirklich 6 % sind.<br />
Aber seit Jahren schüttet die GBW AG in voller Wahrnehmung ihrer sozialen Verantwortung als<br />
soziales Wohnungsbestandsunternehmen 6 % Dividende aus. Es ist mehr als tollkühn oder einfach<br />
billige Wahlkampfpolemik, hier von einem Griff in die Kassen der Städte zu reden, wenn man<br />
eine Investition tätigen kann, wofür man 6 % Dividende Jahr für Jahr erhält. - (Beifall der CSU)<br />
BM Monatzeder:<br />
Herr Schmid, ich habe nur noch auf das Argument gewartet, dass Christian Ude zusammen mit der<br />
Hypo Alpe Adria so verfahren ist, um dem Freistaat eines „reinzuwürgen“, damit die Landesbank<br />
Probleme hat. Den Zusammenhang mit den GBW-Wohnungen so darzustellen, war schon sehr<br />
weit hergeholt. - (Widersprüche von der rechten Seite des Hauses)<br />
StR Reissl:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, eine Frage an den Kollegen Josef Schmid, denn ich<br />
muss das wirklich als Frage formulieren: Glauben Sie an die Nachhaltigkeit der politischen Ziele<br />
von Horst Seehofer? - (Heiterkeit bei Rot-Grün; StRin Wittmann: Mehr als an die von Ihnen!) - In<br />
diesem Zusammenhang sei daran erinnert, es ist noch nicht so lange her, dass sich die Bayerische<br />
Staatsregierung wirklich Gedanken darüber gemacht hat, wie sie möglichst viel von den enormen<br />
Steuergeldern wieder unter die Leute bekommt, z. B. mit dem gebührenfreien dritten Kindergarten-<br />
Jahr und manch anderen Dingen. Ich will inhaltlich gar nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist,<br />
aber es war noch vor wenigen Monaten ein politisches Ziel von Horst Seehofer. Jetzt ist das neue
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 93 -<br />
politische Ziel, bis zum Jahr 2030 den Bayerischen Freistaat, der 32 Mrd. € Schulden hat, total zu<br />
entschulden. Ich garantiere Ihnen - darum nehme ich dieses politische Ziel nicht so ernst, wie<br />
manche von Ihnen -, dass es gar nicht lange dauern wird, und uns wird wieder ein neues wichtiges<br />
politisches Ziel von Horst Seehofer beschäftigen. Mich etwas weniger, weil ich es weniger ernst<br />
nehme, Sie etwas mehr, weil Sie es ernster nehmen müssen. - (Beifall)<br />
Zur Behauptung des Kollegen Schmid ...- (StR Brannekämper: Nur noch Wahlkampf! - Zwischenrufe<br />
von verschiedenen Seiten) - Da spricht der Richtige! Sie haben als einzige Alternative in der<br />
Diskussion dargestellt, der Freistaat verkauft entweder frei, oder er erfüllt unsere Forderungen an<br />
ein kommunales Konsortium. Sie unterschlagen einfach - und ich erinnere Sie daran, dass wir in<br />
jeder Debatte gesagt haben, für uns ist die richtige Lösung, dass die GBW-Wohnungen nicht von<br />
den Kommunen, sondern vom Freistaat Bayern gekauft werden. - (Verschiedene Zwischenrufe) -<br />
Wer sagt das denn? Das geht doch nur aus einem politischen Grund nicht, weil … Warum soll es<br />
nicht gehen? Wo steht, dass andere Gebietskörperschaften sich aus der Wohnungsfürsorge in der<br />
Bundesrepublik Deutschland heraushalten müssen? Wo steht das bitte? - (StR Dr. Mattar: Beihilferecht,<br />
aber das ist eine andere Debatte.) - Entschuldigung, warum soll es der Landeshauptstadt<br />
München erlaubt sein und dem Freistaat Bayern nicht? - (StR Zöller: … Freistaat an die Landesbank<br />
gegeben hat.) - Das ist doch egal, deshalb kann er doch von der Landesbank etwas kaufen.<br />
- (OBM Ude: Natürlich, wieso nicht? Das versteht in der Brüsseler Generaldirektion kein Mensch.<br />
StR Dr. Mattar: Hier kann man auch nach der Verantwortung der Sparkassen fragen. BM Monatzeder:<br />
Jetzt ist Herr Reissl an der Reihe!) - Ich wollte auch nur das Eine korrigieren: Es gibt eben<br />
nicht nur die Alternativen „der Freistaat Bayern verkauft frei“ oder „ein kommunales Konsortium<br />
kauft“, sondern wir sind davon überzeugt, es gibt nach wie vor die Möglichkeit, dass der Freistaat<br />
Bayern selbst kauft. Es ist keine Beihilfe, wenn er zu einem ermittelten Wert ein Unternehmen von<br />
der Landesbank kauft. Das ist doch keine Beihilfefrage. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist<br />
doch lächerlich! - (Beifall von Rot-Grün)<br />
OBM Ude:<br />
Ich finde gerade sehr lustig, dass Herr Offman zur Tagesordnung ruft, weil Herr Reissl knapp und<br />
kurz auf eine lange Rede von Herrn Schmid antwortet, bei der es fast nur um die Wohnungen der<br />
GBW AG ging. Es ist dasselbe Prinzip … - (StR Dr. Mattar: Weil er es eingebracht hat! - Weitere<br />
Zwischenrufe und Unruhe im Saal) - Seien Sie doch nicht so aufgeregt!<br />
BM Monatzeder:<br />
Kolleginnen und Kollegen, es gilt auch für den Oberbürgermeister, dass er ohne Störungen reden<br />
darf!
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 94 -<br />
OBM Ude:<br />
Ich sage es in aller Kürze, weil die Situation derart klar ist: Die Stadt München, vertreten durch den<br />
Stadtrat, vertritt wie der Münchner Mieterverein und der Bayerische Mieterbund sowie der Bayerische<br />
Städtetag seit zwei Jahren die Forderungen:<br />
1. Der Freistaat Bayern muss die Wohnungen kaufen, was er selbstverständlich kann.<br />
2. Er muss die Mieter vertraglich schützen.<br />
3. Hilfsweise, wenn er sich beiden zentralen Forderungen verschließt, ist ein Verkauf an die<br />
Kommunen günstiger als an Heuschrecken.<br />
Die vorrangigen Forderungen sind überhaupt nicht neu, sondern nachzulesen in Beschlüssen dieses<br />
Stadtrates, in einstimmigen Beschlüssen des Bayerischen Städtetages und in Beschlüssen<br />
des Bayerischen Mieterbundes, und zwar alle einstimmig. Es ist doch absurd, dass die Regierungskoalition<br />
sich jetzt verbieten will, dass noch daran erinnert wird, welche mieterfeindlichen<br />
Entscheidungen sie schon getroffen hat. Beides sind Tatsachen. Sie haben den Kauf abgelehnt,<br />
obwohl er das Problem sofort gelöst hätte, und Sie haben bis heute den mietvertraglichen Schutz<br />
abgelehnt, weil Sie sich immer noch mit der Sozialcharta ein Hintertürchen offen lassen.<br />
Jetzt zur entscheidenden Frage: Darf der Staat kaufen? Ich habe darüber auch mit Vertretern der<br />
Generaldirektion in Brüssel gesprochen. Es gibt nicht den Hauch einer Begründung, warum der<br />
Freistaat nicht kaufen können sollte. Warum auch? Wir sind im Beihilfeverfahren. Der Freistaat hat<br />
in der Tat Beihilfe geleistet, und die Kommission sagt, das war zuviel. Die Landesbank hat nicht<br />
zum Kerngeschäft gehörende Vermögenswerte, von denen sie sich trennen muss. Das ist vollkommen<br />
richtig. Die Landesbank muss sich von Vermögenswerten trennen, um dafür einen Erlös<br />
zu erhalten, mit dem sie in die Beihilfe zurückfallen kann. Es ist doch vollkommen egal, an wen sie<br />
die Vermögenswerte veräußert, ob an einen britischen Investor oder einen schwedischen Finanzanleger<br />
oder an den Freistaat Bayern oder auch an Bayerische Kommunen. In allen Fällen erhält<br />
der Käufer einen Gegenwert. Das war doch Ihr Argument. Es stimmt ja, die Kommunen werden<br />
nicht nur geplündert, sondern sie erhalten einen gutachterlich ermittelten Gegenwert. Das können<br />
alle Stadtratsmitglieder vertreten.<br />
Trotzdem ist es eine finanzielle Kraftanstrengung, die den Kommunen abverlangt wird, damit sie<br />
verhindern, dass der Freistaat Mieter an die Spekulanten ausliefert, obwohl dadurch keine einzige<br />
zusätzliche öffentlich geförderte Wohnung entsteht. Natürlich fehlt der kommunalen Wirtschaft
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 95 -<br />
dann das Geld für energetische Sanierungen oder in anderen Kommunen das Geld für die Kinderbetreuung.<br />
Das ist doch vollkommen klar, aber es ist ein Geschäft, bei dem Wert und Gegenwert in<br />
einem gutachterlich ermittelten Verhältnis stehen, und deswegen darf selbstverständlich auch der<br />
Freistaat Bayern, wenn er nur dazu bereit wäre, Wohnungsbestände kaufen. Er erhält den Gegenwert,<br />
den es real gibt. Die Landesbank wäre dann in der Lage, die Beihilfe zurückzuführen. Man<br />
sieht jedoch an diesem Einzelbeispiel, wie hemmungslos Nebelwolken versprüht werden, um von<br />
der nackten Tatsache abzulenken. Wir haben einen Zwang der Bayerischen Kommunen, Hunderte<br />
von Millionen auszugeben, die sonst für andere Zwecke zur Verfügung stünden, nur weil zuerst die<br />
Landesbank Milliarden-Schäden verursacht hat, und der Freistaat nicht einspringt und nicht einmal<br />
ein mietvertraglicher Schutz gewährt wird.<br />
An diesen drei Punkten kommen Sie nicht vorbei. Ich verspreche Ihnen, dass dies bis Ende des<br />
Jahres in allen beteiligten Städten jeder Bürger und jede Bürgerin auch weiß. Wir sind ja hier, wie<br />
Herr Prof. Dr. Hoffmann richtig sagt, bei dem von ihm aus falschen Redner beim Tagesordnungspunkt<br />
„S-Bahn“... Ja, sicher! Sie glauben doch nicht, dass diese Irreführungen, die dauernd durch<br />
die Bayerische und Münchner Öffentlichkeit geistern, hier unwidersprochen bleiben.<br />
Beim Thema Zusagen des Bundes muss ich einfach daran erinnern: Die Zusage, dass wir die<br />
Kosten zur Erledigung von Bundesaufgaben ersetzt bekommen, steht sogar im Gesetz. Das hilft<br />
uns jedoch überhaupt nichts, der Städtetag klagt seit Jahrzehnten darüber, dass die gesetzliche<br />
Pflicht vom Bund verletzt wird, obwohl er sie selbst gesetzlich normiert hat. Dann sagen Sie, es<br />
gebe sogar einen Brief mit der Zusage. Ich habe sogar Plakate, auf denen unten Parteilogos angebracht<br />
sind, z. B. von CSU, FDP und der Industrie- und Handelskammer, dass die Kosten der<br />
Tunnel der Staat bezahlt! Da heißt es wörtlich: Der Staat zahlt die Kosten. Inzwischen wissen wir,<br />
es wären nicht einmal 50 % gewesen. D. h. staatliche Zusagen, ob plakatiert oder brieflich zugestellt,<br />
sind für mich nach diesen zwei Jahrzehnten Erfahrungen, keine Rechtfertigung, 350 Mio. €<br />
auf Kosten der Münchner Steuerzahler herauszurücken. Der Bund kann meinem „Amts-Nach-<br />
Nach-Nachfolger“ 2030, einen Brief schreiben:<br />
„Es gab einmal eine Zusage der Bundesregierung aus dem Jahr 2012.“ Das Erste was kommen<br />
wird ist lateinisch: „Clausula rebus sic stantibus - ja, damals mag man das so gesehen haben, aber<br />
da war die Haushaltslage noch unbekannt, die seit 2028 besteht. Es war unbekannt, unter welchem<br />
währungspolitischem Druck die Bundesregierung steht.“ Dann können Sie sich dafür überhaupt<br />
nichts kaufen! Weil ich das schon so oft erlebt habe, kann ich Ihnen nicht empfehlen, sich<br />
auf dieses Finanzabenteuer einzulassen. Für Finanzabenteuer ist die Landesbank zuständig, und<br />
wir machen das nicht! - (anhaltender Beifall von links)
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 96 -<br />
StR Zöller:<br />
Herr Vorsitzender, Kolleginnen und Kollegen, der Schluss der Ausführungen des Herrn Oberbürgermeisters<br />
hat mich sehr amüsiert. Clausula rebus sic stantibus, denn ich kenne das auch gut.<br />
Herr Oberbürgermeister, dass wir so etwas erlebt haben, weiß ich. Ich habe es nämlich auch erlebt,<br />
und zwar 1990, als wir mit dem Petueltunnel begonnen hatten und bereits 40 Mio. DM verbaut<br />
waren, und das Ganze damals mit Zustimmung der SPD. Am Tag vor der Wahl hat Oberbürgermeister<br />
Kronawitter im Fernsehen hoch und heilig versichert: Selbstverständlich wird der Petueltunnel<br />
gebaut. - (OBM Ude: Wurde er auch. Ich gebe zu, das war … - Heiterkeit) - Ich gebe zu<br />
<strong>Protokoll</strong>: Der Oberbürgermeister kann auch Selbstironie üben! - (Heiterkeit von allen Seiten) - Sofort<br />
nach der Wahl wurden diese Versprechen gebrochen mit der Begründung: Wir haben plötzlich<br />
kein Geld mehr. Einige Tage später war plötzlich kein Geld mehr da! Dass Sie so etwas selbst erlebt<br />
haben, das stimmt, und zwar verursacht auch durch Sie, Herr Oberbürgermeister, als Sie damals<br />
gerade zum Bürgermeister gewählt wurden. Also: Wahlversprechen wurden hemmungslos<br />
gebrochen. Aber vom Staat haben Sie ein solches Beispiel bisher nicht anführen können. - (OBM<br />
Ude: Doch, beim Zuschuss.) - Beim Staat gibt es so etwas nicht, wenn ein Vertrag geschlossen<br />
wurde, hält sich ein Staat daran. So war das bisher immer, und so wird es künftig auch sein, es sei<br />
denn, dass 2030 die SPD am Ruder ist. - (Heiterkeit und Beifall) - Das halte ich für möglich.<br />
Ich will jedoch noch einmal auf die unsagbare Polemik mit den GBW-Wohnungen zurückkommen.<br />
Was hier nie veröffentlicht und dargestellt wurde, war die Rendite-Rechnung. Sie fehlt völlig. Sie ist<br />
offenbar auch nicht vom Städtetag vorgenommen worden. Über den Städtetag kann ich übrigens<br />
bloß lachen, wenn es heißt „der Städtetag hat einstimmig beschlossen“. Ich bin seit ein paar Jahrzehnten<br />
in diesem Städtetag vertreten, und es wird immer nur einstimmig beschlossen. Es sei<br />
denn, ein Münchner muckt auf. Das haben wir gelegentlich so gemacht, und zwar völlig berechtigt.<br />
Aber sonst wird nie aufgemuckt. Was der jeweilige Präsident sagt, wird unter Berufung auf den<br />
doch so notwendigen Zusammenhalt der öffentlichen Familie immer einstimmig beschlossen.<br />
Wenn dann ein Kollege oder eine Kollegin aus der eigenen Partei fragt: „Warum habt ihr zugestimmt,<br />
ihr seid doch anderer Meinung?“, dann heißt es: Der kommunale Frieden muss gewahrt<br />
werden. Der kommunale Frieden erzeugt Sprachlosigkeit, nicht von denen da oben, sondern von<br />
denen da unten.<br />
Jetzt zu den GBW-Wohnungen: Es ist schon früher gesagt worden, und der Kollege Josef Schmid<br />
hat es gerade betont: Seit ich die Einladungen zur Hauptversammlung der GBW AG bekomme,<br />
lese ich immer, dass 6 % Dividende ausgeschüttet werden. D. h., es ist ein hoch profitables Unternehmen.<br />
Profitabler als die meisten gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften. - (OBM Ude: Die<br />
Kommunen sollen geplündert werden ... ja!) - Gerade hat er gesagt, dieses Geld, das wir für die
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 97 -<br />
GBW-Wohnungen ausgeben müssen, fehlt uns an anderer Stelle bei Wohnungen, sozialen Projekten,<br />
der energetischen Sanierung usw. In Wirklichkeit läuft es doch anders, und darauf hat Kollege<br />
Schmid hingewiesen. In diesem Konsortium sind auch Banken und Versicherungen vertreten.<br />
Warum? Weil dann natürlich diese Milliarde, oder welche Summe es letztlich auch ist, fremdfinanziert<br />
wird. Selbst wenn man diese 2,8 %, die der Kämmerer vorhin in einem anderen Zusammenhang<br />
genannt hat, zugrunde legt ... Ich wundere mich übrigens, Herr Dr. Wolowicz, dass Sie so<br />
viele Zahlen wissen. - (Zwischenruf: Kommunale Kredite!) - Letzte Woche habe ich ein Darlehen<br />
verlängert bei der Sparkasse. Das lief bisher über 3,9 %. Jetzt wurden mir 2,3 % angeboten. Sie<br />
könnten jetzt sagen, „Wulff lässt grüßen“, aber ich habe es nicht verlangt. Der Sachbearbeiter kam<br />
mit diesen 2,3 %. - (Zwischenrufe) - Dass für einen Kommunalkredit viel mehr bezahlt werden<br />
muss, kann ich mir nicht vorstellen.<br />
Aber zurück zur Rechnung: Es ist doch nie durchgerechnet worden, ob bei einer Fremdfinanzierung<br />
zu 100 % des Kaufs der GBW AG-Wohnungen Zins und Tilgung aus den Überschüssen der<br />
GBW bezahlt werden können. Darüber wurde nie geredet, und das wurde nie durchgerechnet.<br />
Wenn das aber so bezahlt werden könnte, kostet es die Kommunen keinen Cent. Im Gegenteil, sie<br />
hätten sogar noch einen wertvollen Wohnungsbestand. - (Beifall der CSU-Fraktion) - Diese Diskussion<br />
ist bisher nie geführt worden. Sie ist nie dargelegt worden, nur das Feldgeschrei des Ministerpräsidenten-Kandidaten<br />
Ude: Die Kommunen werden geplündert. Eine Behauptung, die bisher<br />
jedes Nachweises entbehrt. - (Beifall der CSU)<br />
StR Dr. Mattar:<br />
Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren, Ihre letzte Bemerkung, dass für die Finanzabenteuer<br />
die Landesbank zuständig sei, hat mich doch noch einmal zu einer Wortmeldung motiviert.<br />
Jetzt könnten wir natürlich wieder einmal eine Klinik-Diskussion führen. Aber das will ich gar nicht.<br />
- (Heiterkeit und Zwischenrufe) - Ich will einfach nur darauf hinweisen, dass die Bayerische Landesbank<br />
zu 50 % dem Freistaat Bayern gehört und zu 50 % der kommunalen Familie über die<br />
Sparkassen. Wer hat denn die Sparkassen gerettet nach der Krise der Bayerischen Landesbank?<br />
Das war der Freistaat! - (OBM Ude: Überwiegend) - Wer hat diese abenteuerlichen Geschichten<br />
wie z. B. Hypo-Alpe-Adria mitgetragen? Das waren die Sparkassen, und auch die SPD im Landtag<br />
hat das befürwortet als Riesen-Chance, auf dem Balkan aktiv zu sein. Lesen Sie doch diese <strong>Protokoll</strong>e<br />
Ihrer zukünftigen Kolleginnen und Kollegen. Daher ist es logisch, dass die Verantwortung ...<br />
Da ist im Grunde der Städtetag verlogen, wenn er sagt, das sei eine Sache des Freistaates. Natürlich<br />
haben die Bayerischen Kommunen eine Verantwortung durch ihre langjährige 50 %-Beteiligung<br />
an der Bayerischen Landesbank, auch bei dieser Beteiligung der GBW etwas zu tun. Worum<br />
es uns im Grunde geht, ist, dass man zu einem fairen Preis kommt, ohne die Steuerzahler auszu-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 98 -<br />
plündern. Immerhin hat die Beihilfe der Landesbank der Steuerzahler geleistet. Das wollte ich noch<br />
einmal festhalten.<br />
Zum Thema, meine Damen und Herren, es ist das letzte Zeitfenster für die 2. Stammstrecke.<br />
Wenn man wirklich leidenschaftlicher Befürworter ist, sollte man etwas tun. Es gibt andere Projekte,<br />
die wir konstruktiv mit dem Freistaat angehen sollten. Aber wenn Sie bislang meinten, dass das<br />
das wichtigste Projekt ist, sorgen Sie selbst dafür, dass sich das Zeitfenster schließt. Das ist so.<br />
StRin Henn:<br />
Herr Bürgermeister, Kolleginnen und Kollegen, nachdem wir jetzt so am Thema vorbeidebattiert<br />
haben, mein Vorschlag zur Güte: In der nächsten Vollversammlung nehmen wir den Punkt<br />
GBW AG-Wohnungen in die Tagesordnung auf und reden dann nicht darüber! - (Heiterkeit von<br />
verschiedenen Seiten; StR Dr. Mattar: Generaldebatte.) - Wir haben das ja heute schon vorgezogen.<br />
Das Problem, das ich mit der Frage habe, ob gewinnträchtig oder nicht, ist schlicht und ergreifend<br />
die Tatsache, dass der Freistaat bisher immer gefordert hat, das Ganze im Paket zu verkaufen. In<br />
München ist die Situation so, dass alle Welt diese Wohnungen kaufen würde, zu welchem Preis<br />
auch immer. Es gibt jedoch eine Reihe von anderen Kommunen, in denen schon die vorhandenen<br />
Wohnungen unverkäuflich sind. Die Wohnungen sind relativ weit gestreut und befinden sich nicht<br />
alle in den Kommunen, in denen sie gewinnträchtig sind und in denen tatsächlich Wohnungsmangel<br />
besteht. Insofern ist die Sache einfach schwierig. Andererseits lässt dieses Konsortium schon<br />
wieder die Vermutung zu, dass am Ende nichts von diesen Wohnungen unter unsere Münchner<br />
Regelung der sozialen Mietobergrenzen fallen wird. Nachdem das jetzt eine Mischfinanzierung und<br />
ein Mischeigentum wird, halte ich das auch für problematisch. Wir brauchen eigentlich günstige<br />
Wohnungen und keine Wohnungen an sich.<br />
Wir können es uns überlegen mit dem zusätzlichen Tagesordnungspunkt, sonst könnten wir bis<br />
zum Ende des Landtagswahlkampfes einen Punkt „Sonstiges“ auf die Tagesordnung setzen, um<br />
dann ad libitum über das zu debattieren, was nicht auf der Tagesordnung steht. Das würde zumindest<br />
der Presse ersparen, seit 14:00 Uhr hier zu sitzen und sich zu wundern.<br />
StK Dr. Wolowicz:<br />
Sehr geehrte Damen und Herren, trotz der aufgemunterten Stimmung versuche ich zu später Stunde<br />
noch einige Sachinformationen zum Thema Finanzierung der S-Bahn-Stammstrecke vorzulegen.<br />
Zum Thema Wohnungen sage ich heute nichts. In zwei Punkten sind wir uns hoffentlich trotz<br />
aller Differenzen einig:
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 99 -<br />
1. Es ist definitiv keine kommunale Aufgabe, die 2. S-Bahn-Stammstrecke zu finanzieren<br />
- siehe <strong>Protokoll</strong> mit der Position des Freistaates Bayern. Nach Art. 15 des Bayerischen<br />
ÖPNV-Gesetzes ist es eindeutig.<br />
2. Hier herrscht trotz aller Bedenken hoffentlich Konsens: Der Bund hat den Schwarzen<br />
Peter! Nach derzeitiger Kostenberechnung fehlen vonseiten des Bundes, der aufgrund<br />
der Rechtssituation eigentlich 900 Mio. € mitfinanzieren müsste, 700 Mio. €.<br />
Der Bund ist nach derzeitiger Hochrechnung nur in der Lage oder bereit, 200 Mio. € zu finanzieren.<br />
Es fehlen 700 Mio. €. Jetzt kommt der schlaue Vorstoß der Bayerischen Staatsregierung: Wenn<br />
der Bund die 700 Mio. € nicht hat, springt der Freistaat großzügig ein und spendiert dem Bund<br />
zunächst einmal ein zinsloses Darlehen von 350 Mio. €, und die Stadt München solle bitte auch<br />
350 Mio. € als zinsloses Darlehen dem Bund und der Bahn gewähren. Irgendwann später soll das<br />
zurückgezahlt werden.<br />
Zum Punkt, an dem der Konsens mit Sicherheit enden wird: Wie soll das finanziert werden? Oberbürgermeister<br />
Ude hat es vorhin schon zitiert, Finanzminister Söder hat stolz am 11. Januar nach<br />
der Kabinettssitzung der Bayerischen Staatsregierung verkündet: „Er füllt seine Kriegskasse.“ Das<br />
ist ein Originalzitat Söder. Er füllt seine Kriegskasse in Höhe von 700 Mio. € aus Steuereinnahmen<br />
2011 und kommt insgesamt auf Rücklagen in einer Gesamthöhe von ungefähr 3 Mrd. €. Darauf ist<br />
er sehr stolz, und er hat zusätzlich erklärt: „Wir wollen Bayern als die Stabilitätsoase in Deutschland<br />
behalten.“ Also, er schaut jetzt aus der Stabilitätsoase Bayern hinaus, blickt nicht in die Wüste<br />
Bundesrepublik Deutschland, wo es mit den Finanzen des Bundes sehr schlecht aussieht, sondern<br />
er blickt auf die Landeshauptstadt München. Dazu muss man sagen, falls es haushaltsrechtlich<br />
möglich sein sollte - und darauf komme ich noch zurück -: Wo soll das Geld herkommen? Wo<br />
könnte es theoretisch herkommen? Es könnte aus einer theoretisch prall gefüllten Kasse kommen,<br />
weil wir im Geld schwimmen, so dass wir „locker vom Hocker“ 350 Mio. € herausgeben könnten.<br />
Dazu nun aber die Fakten: Wir hatten Ende letzten Jahres einen Kassenstand von genau<br />
380 Mio. €, und wir haben einen Grundsatzbeschluss des Stadtrates, dass wir in der Kasse immer<br />
mindestens 300 Mio. € haben müssen. Aus Sicht der CSU-Fraktion war das sogar zu wenig. Herr<br />
Stadtrat Zöttl hat gesagt, ihm wären mehr als 300 Mio. € Mindest-Kassenbestand lieber. Also ist da<br />
nichts zu holen, es sei denn, es geschieht ein Wunder, und die Steuereinnahmen explodieren im<br />
Laufe des Jahres 2012. Wir sind keine Menschen, die martialische Bezeichnungen verwenden, wir<br />
haben keine Kriegskasse. Wir haben jedoch eine allgemeine Finanzreserve, die durch Stadtrats-
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 100 -<br />
beschluss entstanden ist. Derzeit sind dort 270 Mio. € enthalten. Selbst wenn die Stadt ihre letzten<br />
Finanzreste für schlechte Zeiten auflösen würde, reichten diese 270 Mio. € nicht einmal aus, um<br />
die 350 Mio. € aufzubringen. Ein Versuch ist leider nicht strafbar, obwohl er aus meiner Sicht strafbar<br />
sein müsste. Es ist ein Versuch des Freistaates Bayern, um nach außen hin seinen Staatshaushalt<br />
einigermaßen in Ordnung zu halten, und gleichzeitig in die Stadtkasse zu greifen. Es ist<br />
nichts anderes als der Versuch, in die Stadtkasse zu greifen! - (Beifall von Rot-Grün) - Ich finde es<br />
schon sehr gewagt, um es diplomatisch zu formulieren, es ist derselbe Freistaat, der uns bei den<br />
Lehrpersonalkosten jedes Jahr 170 Mio. € vorenthält. - (Beifall der linken Seite des Hauses) - Es<br />
ist derselbe Freistaat, der bei den Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis jedes Jahr 60 Mio. €<br />
der Stadt München vorenthält. Genau dieser Freistaat sagt: Ihr müsst „locker vom Hocker“ diese<br />
350 Mio. € aufbringen, um für den Bund einzuspringen, der dieses Geld nicht hat oder nicht zur<br />
Verfügung stellen will.<br />
Einige Juristinnen und Juristen sind unter Ihnen, deshalb will ich Sie auf die Rechtslage im Haushaltsrecht<br />
hinweisen. Als Stadtkämmerer bin ich ein großer Freund von einigen Artikeln der Bayerischen<br />
Gemeindeordnung. Zwei davon gefallen mir besonders gut: Art. 74 und 75! Beide sind in<br />
Zusammenhang mit der Vermögenswirtschaft von Gemeinden zu lesen. Ich zitiere Ihnen zuerst<br />
Art. 74, Abs. 2, Satz 2:<br />
„Bei Geldanlagen ist auf eine ausreichende Sicherheit zu achten.“<br />
Jetzt könnte man trefflich darüber streiten, wie sicher eine vertragliche Zusicherung der Bundesrepublik<br />
Deutschland, die im Jahr 2012 abgeschlossen wurde, im Jahr 2020 oder 2030 ist. Das will<br />
ich jetzt gar nicht. Ich lese Ihnen den nächsten Halbsatz vor:<br />
„Die Geldanlagen sollen einen angemessenen Ertrag bringen.“<br />
Einen angemessenen Ertrag werden diese 350 Mio. € mit Sicherheit nicht bringen.Sie müssten<br />
entweder durch Kreditaufnahmen der Stadt mit dem vom Oberbürgermeister genannten Zinsaufwand<br />
finanziert werden oder die Stadt müsste, falls sie das zinslos dem Bund geben würde, auf<br />
Zinserträge vollständig verzichten. Es wäre aus meiner Sicht rechtlich völlig unzulässig, so etwas<br />
zu tun.<br />
Zu Herrn Stadtrat Zöller zu den 2,8 %: Das ist das, was derzeit die Stadtentwässerungswerke,<br />
wenn sie einen neuen Kredit aufnehmen, zahlen müssen. Das ist der aktuellste Stand. Sie haben
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 101 -<br />
keine eigene Rechtsperson und sind der Landeshauptstadt München rechtlich und auch wirtschaftlich<br />
zuzurechnen, sie zahlen 2,8 %.<br />
Vonseiten des Hoheitshaushalts kann ich Ihnen keine aktuelle Zahl nennen, da wir in den letzten<br />
Jahren keine neuen Kredite aufgenommen haben. Aber die 2,8 % sind das, was die Stadtentwässerungswerke<br />
derzeit für Kredite aufbringen müssen.<br />
Dann für die Juristinnen und Juristen unter Ihnen: Art. 75 der Bayerischen Gemeindeordnung:<br />
„Die Verschenkung und die unentgeltliche Überlassung von Gemeindevermögen sind unzulässig.“<br />
Unentgeltlich heißt, ich gebe ein Darlehen, 350 Mio. €, verzichte auf jeden Zinsertrag bei diesem<br />
Darlehen. Der nächste Absatz lautet:<br />
„Die Veräußerung oder Überlassung von Gemeindevermögen in Erfüllung von Gemeindeaufgaben<br />
oder herkömmlicher Anstandspflichten fällt nicht unter dieses Verbot.“<br />
Gemeindeaufgabe ist es definitiv nicht, siehe Art. 15 Bayerisches ÖPNVG. Eine herkömmliche<br />
Anstandspflicht der Stadt München, den S-Bahnbau mitzufinanzieren, gibt es mit Sicherheit rechtlich<br />
auch nicht. Also ist es aus meiner Sicht klipp und klar, es ist rechtlich völlig unzulässig, dass<br />
die Stadt München ein zinsloses Darlehen für eine Aufgabe gibt, die definitiv keine kommunale<br />
Aufgabe ist. Aus meiner Sicht wäre es rechtswidrig, wenn der Stadtrat einen derartigen Beschluss<br />
fassen würde. Ich bin aber sehr optimistisch, dass die Mehrheit des Stadtrats keinen derartigen<br />
Beschluss fassen wird. Vielen Dank! - (Beifall)<br />
BM Monatzeder:<br />
Ja, vielen Dank, das war noch mal die Erklärung des Kämmerers. Dann können wir jetzt zur Abstimmung<br />
kommen.<br />
Es erfolgt eine satzweise Abstimmung über der Referentenantrag.:<br />
Ziffer 1 wird einstimmig beschlossen.
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 102 -<br />
Ziffer 2 wird mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen/RL, DIE LINKE., ÖDP,<br />
FW, BP und BIA beschlossen.<br />
Ziffer 3, Satz 1, wird gegen die Stimmen von FDP, DIE LINKE.,<br />
drei Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen/RL, ÖDP, FW und BP beschlossen.<br />
Ziffer 3, Satz 2, wird mit den Stimmen von OBM Ude, SPD, Bündnis 90/Die Grünen/RL<br />
und BIA beschlossen.<br />
In der Gesamtabstimmung wird der Referentenantrag mit den Stimmen von OBM Ude,<br />
SPD, Bündnis 90/Die Grünen/RL und BIA beschlossen.<br />
- Ende der öffentlichen Sitzung um 15:50 Uhr -
Öffentliche Sitzung der Vollversammlung des Stadtrates vom 01. Februar 2012 - 103 -<br />
München, 01. Februar 2012<br />
U d e<br />
Oberbürgermeister<br />
der Landeshauptstadt München<br />
<strong>Protokoll</strong>