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Wirtschaftswoche Ausgabe vom 28.07.2014 (Vorschau)

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31<br />

28.7.2014|Deutschland €5,00<br />

3 1<br />

4 1 98065 805008<br />

Spionage und Sabotage<br />

So wehren sich die Konzerne<br />

Boomtown Frankfurt<br />

Wie die EZB eine Stadt verändert<br />

Krisenherde Ukraine, Nahost, Nordafrika<br />

So trifftt es uns<br />

Schweiz CHF 8,20 | Österreich €5,30 | Benelux€5,30 | Griechenland€6,00 | GroßbritannienGBP 5,40 | Italien€6,00 | Polen PLN27,50 | Portugal€6,10 | Slowakei €6,10 | Spanien €6,00 | TschechischeRep.CZK 200,- | Ungarn FT 2000,-<br />

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Einblick<br />

Die Konflikte am Rande Europas lassen sich nicht<br />

länger ignorieren. Sie bedrohen Frieden und Wohlstand<br />

auch in unserem Land. Von Franz W. Rother<br />

Das Ende der Idylle<br />

FOTO: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

In Berlin werden antisemitische Parolen<br />

skandiert und Touristen aus Israel traktiert<br />

– von Palästinensern, die in<br />

Deutschland leben und zusammen mit<br />

deutschen Linken und Rechtsextremen gegen<br />

Israels Vorgehen im Gaza-Streifen demonstrieren.<br />

Deutsche kämpfen im Irak in<br />

der Terror-Gruppe Isis, unsere Truppen<br />

stehen in Afghanistan und in der Türkei an<br />

der Grenze zu Syrien. Und unter den 298<br />

Menschen, die beim Abschuss von Flug<br />

MH17 starben, waren auch Deutsche: Die<br />

Kriege im Nahen Osten, in der Ukraine und<br />

am Hindukusch haben längst auch unser<br />

Land erreicht, ja ziehen durch unsere Gesellschaft<br />

eine Trennlinie – hier die Putin-<br />

Versteher, dort die Russland-Kritiker; hier<br />

die Freunde Israels, dort die Freunde Palästinas,<br />

hier die Friedensaktivisten, dort die<br />

Hardliner und Realisten. Über 400 (!) bewaffnete<br />

Konflikte gibt es derzeit in der<br />

Welt – und Europa erscheint uns immer<br />

noch wie eine Insel des Friedens, Deutschland<br />

ein Idyll. Unwillkürlich kommt einem<br />

die berühmte Sequenz aus Goethes Faust<br />

in den Sinn, in der der Dichterfürst in „Vor<br />

dem Tor“ den ignoranten Kleinbürger beschrieb:<br />

„Nichts bessers weiß ich mir an<br />

Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von<br />

Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten,<br />

weit, in der Türkei die Völker aufeinander<br />

schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein<br />

Gläschen aus und sieht den Fluss hinab die<br />

bunten Schiffe gleiten; dann kehrt man<br />

abends froh nach Haus, und segnet Fried’<br />

und Friedenszeiten.“<br />

Die Deutschen haben danach lange gehandelt.<br />

Wochenlang fokussierten wir uns<br />

auf die Schlachten im Stadion, die Kriege<br />

ließen wir allenfalls in der Halbzeitpause an<br />

uns heran. Und jenseits der Fußballweltmeisterschaft<br />

erhitzten sich die Diskussionen<br />

an deutschen Stammtischen und in<br />

TV-Talkrunden noch eher über die Autobahnmaut<br />

und den NSA-Abhörskandal als<br />

über das anhaltende Blutvergießen in Syrien,<br />

im Irak und Libyen.<br />

Die Kämpfe um Donezk und Damaskus,<br />

die Angriffe auf Tel Aviv und Tal Afar, die<br />

Schießereien in Ghardaia und Tripolis mögen<br />

Tausende Kilometer weit entfernt sein.<br />

Doch der Schlachtenlärm kommt immer<br />

näher, die Auswirkungen der Konflikte bekommen<br />

wir (in der harmlosesten Form)<br />

schon zu spüren. Sei es, dass Flugverbindungen<br />

gestrichen werden, sei es, dass in<br />

unseren Städten Notunterkünfte hochgezogen<br />

werden für Menschen aus Syrien und<br />

Somalia, dem Irak und Algerien, die vor<br />

Krieg und Zerstörung, vor Armut und Perspektivlosigkeit<br />

unter Lebensgefahr ins reiche<br />

und ruhige Europa geflüchtet sind.<br />

Es zeigt sich immer deutlicher, schreibt<br />

unser Auslandskorrespondent Florian Willershausen,<br />

„dass man es sich nicht länger<br />

als friedfertige Handelsmacht in einer multipolaren<br />

Welt bequem machen kann, sondern<br />

Verantwortung für die Krisenlösung<br />

übernehmen muss“ (ab Seite 18). Das gilt<br />

für den Nahen Osten ebenso wie für den<br />

Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.<br />

Wegducken gilt nicht mehr, wegschauen<br />

ist nicht mehr möglich.<br />

DEUTSCHLAND IM DILEMMA<br />

Wirtschaft und Politik in Deutschland stecken<br />

allerdings in einem Dilemma. Einerseits<br />

möchte man vermitteln, würde hier<br />

und da auch einmal gerne Kante zeigen.<br />

Andererseits fürchtet man Gegenschläge<br />

Russlands, eine Drosselung der Gaslieferungen<br />

oder eine Verstaatlichung von Werken<br />

deutscher Investoren. Europäische<br />

Werte, war der Eindruck, gelten nichts<br />

mehr, wenn es ums Geldverdienen geht.<br />

Die Sanktionen gegen Russland blieben bislang<br />

auch zahnlos, weil eine gemeinsame<br />

EU-Außenpolitik derzeit nicht zustande<br />

kommt: Zunächst muss erst einmal geklärt<br />

werden, wie viele Frauen der neuen EU-<br />

Kommission angehören.<br />

Helfen könnte vor dem Hintergrund ein<br />

stärkeres Engagement der deutschen Wirtschaft,<br />

eine Intensivierung etwa der Gespräche<br />

mit den Oligarchen in Russland wie in<br />

der Ukraine – und eine eindeutige Bestimmung<br />

der eigenen Position. Immerhin will<br />

der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft<br />

nun harte Sanktionen gegen Russland unterstützen,<br />

auch wenn es schmerzhaft werde.<br />

Das ist ein gutes Signal. Es fragt sich nur,<br />

wie lange der Mut den Zweifel schlägt. n<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 5<br />

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Überblick<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

8 Seitenblick Der langsame Tod der Zigarette<br />

10 EU: Juncker will Finanzmarkt-Kommissar<br />

11 MH17: Eigner aus Amsterdam | Fracking:<br />

Bundesregierung warnt die Niederlande<br />

12 Interview: Merck-Chef Karl-Ludwig Kley<br />

baut das Geschäft in China aus<br />

13 Cityjet: Neue Flotte für Wöhrl | Custodia<br />

Holding: Milliardär August von Finck verschreckt<br />

Anleger | Pharmabranche: Flaute in<br />

Schwellenländern<br />

14 Chefsessel | Start-up Payfriendz<br />

16 Chefbüro Martin Gauss, Vorstandsvorsitzender<br />

von Air Baltic<br />

Titel So trifft es uns<br />

Die Deutschen und ihre europäischen<br />

Nachbarn leben in Frieden<br />

und Wohlstand. Doch im Osten<br />

und Süden der Idylle herrscht Krieg<br />

und verschärfen sich die Krisen.<br />

Kann das auf Dauer gut gehen?<br />

Seite 18<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

18 Krisenherde Bedrohen die Kriege und Konflikte<br />

im Osten und Süden Europas unseren<br />

Wohlstand? | Europa braucht einen Neustart<br />

in der Außenpolitik<br />

26 Unternehmen Die Embargopolitik gegen<br />

Russland trifft deutsche Unternehmen<br />

29 Frank-Walter Steinmeier Der Bundesaußenminister<br />

sucht seine Rolle<br />

31 Geld Wie Anleger in der Krise auf Sicherheit<br />

gehen können<br />

33 Global Briefing | Berlin intern<br />

Der Volkswirt<br />

34 Kommentar | New Economics<br />

35 Deutschland-Konjunktur<br />

36 Weltwirtschaft Warum Argentiniens<br />

Abstieg nicht zu stoppen ist<br />

38 Denkfabrik ZEW-Ökonom Friedrich<br />

Heinemann über die Rolle von Moral und<br />

Fairness im menschlichen Handeln<br />

Unternehmen&Märkte<br />

40 Cyberabwehr Sicherheitschefs deutscher<br />

Unternehmen kämpfen gegen Spionageund<br />

Sabotageattacken aus dem Internet<br />

46 Aldi Das Management-Vermächtnis des<br />

verstorbenen Discountkönigs Karl Albrecht:<br />

Wie hält man einen Handelskonzern über<br />

Jahrzehnte auf Erfolgskurs?<br />

50 Interview: Walter Schwerdtfeger<br />

Der oberste Arzneiprüfer fordert schärfere<br />

Kontrollen bei Medizinprodukten<br />

52 Bilfinger Roland Koch steckt in seiner<br />

ersten schweren Krise als Vorstandschef<br />

54 Serie Gründer (III) So erobern deutsche<br />

Start-ups das Silicon Valley<br />

Technik&Wissen<br />

58 Verkehr Viele Autohersteller suchen noch<br />

den Motor der Zukunft. Südkoreas Hyundai-<br />

Konzern glaubt, ihn schon zu haben<br />

62 Umwelt Der grüne Pionier Thierry Jacquet<br />

reinigt Industrieabwässer mit Pflanzenkraft<br />

64 Smartphones Neue Handys erlauben jetzt<br />

Fotos mit Tiefenschärfeeffekt<br />

67 Valley Talk<br />

Wall Street am Main<br />

Die Europäische Zentralbank poliert die Finanzmetropole:<br />

Wie ticken Frankfurts Bewohner – zwischen Geldelite,<br />

Internationalität und Apfelweintradition? Seite 74<br />

Wilder Westen<br />

US-Internet-Riesen wie<br />

Facebook und Google haben im<br />

Silicon Valley ihre Keimzelle:<br />

Jetzt erobern deutsche Gründer<br />

wie Tobias Bauckhage, Chef der<br />

Filmempfehlungsseite Moviepilot,<br />

mit hoch spezialisierten<br />

Diensten und Software für<br />

Unternehmen das Tal.<br />

Seite 54<br />

TITELBILD: DMITRI BROIDO<br />

6 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Nr. 31, 28.7.2014<br />

FOTOS: ALIMDI.NET/WESTEND61/MOXTER, GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, BERNHARD HASELBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Hab Acht!<br />

Mit neuen Methoden schützen IT-Sicherheitsexperten<br />

wie Sabine Wiedemann<br />

<strong>vom</strong> Automobilkonzern Daimler ihre<br />

Unternehmen vor Spionageattacken aus<br />

dem Internet. Seite 40<br />

Vom Pony zum Haifisch<br />

Lange stand Südkoreas Autobauer Hyundai nur für Discountpreise<br />

und lange Garantiefristen. Jetzt sollen High-Tech-Antriebe und eine<br />

Designoffensive den Weg in die Oberklasse ebnen. Seite 58<br />

Im Abseits<br />

Ein Besuch im lieblichen<br />

Taubertal mit seinen mehr als<br />

20 Weltmarktführern. Hier<br />

fehlt es an nichts. Außer an<br />

Mitarbeitern. Seite 90<br />

Management&Erfolg<br />

68 Serie: Das Geheimnis meines Erfolgs (VI)<br />

GFT-Gründer Ulrich Dietz formte aus einer<br />

Drei-Mann-Softwarebude ein globales<br />

IT-Unternehmen. Wie gelang ihm dies?<br />

72 Interview: Hans-Joachim Reck Der<br />

Personalmanager und Verbandschef erklärt,<br />

warum Frauen so oft in Top-Jobs scheitern<br />

Geld&Börse<br />

74 Frankfurt Die Europäische Zentralbank<br />

macht die Finanzmetropole internationaler,<br />

bunter und reicher. Doch der Boom droht<br />

Stadt und Bewohner zu überfordern<br />

80 Aktien Roboter sparen Produktionskosten,<br />

die Automatisierung aber steht in vielen<br />

Branchen noch am Anfang. Das eröffnet<br />

Anlegern Chancen<br />

82 Steuern und Recht Prokon-Pleite |<br />

Umsatzsteuer auf Mieten | Spanische Immobilien<br />

| Gasrechnung | Werbungskosten |<br />

Verlust des Fluggepäcks<br />

84 Geldwoche Kommentar: Devisenmanipulation<br />

| Trend der Woche: Kupfer | Dax-<br />

Aktien: Deutsche Bank | Hitliste: Trendbranchen<br />

| Aktien: IBM, Telenor | Anleihe:<br />

Daimler | Zertifikat: Gold und Silber | Investmentfonds:<br />

Banque de Luxembourg Emerging<br />

Markets | Nachgefragt:Forest-Finance-<br />

Chef Harry Assenmacher über Betrug am<br />

grauen Kapitalmarkt | Relative Stärke: Manz<br />

Perspektiven&Debatte<br />

90 Standort Im Taubertal haben viele<br />

Weltmarktführer ihre Heimat. Doch dahin<br />

ziehen mögen nur wenige. Ein Besuch<br />

94 Kost-Bar<br />

Rubriken<br />

5 Einblick, 96 Leserforum,<br />

97 Firmenindex | Impressum, 98 Ausblick<br />

n Lesen Sie Ihre WirtschaftsWoche<br />

weltweit auf iPad oder iPhone:<br />

Diese Woche unter anderem mit<br />

einem Video darüber, was deutsche<br />

Gründer in Sachen Marketing<br />

von den Amerikanern<br />

lernen können, sowie<br />

einem 360-Grad-Blick ins<br />

Chefbüro.<br />

wiwo.de/apps<br />

n Digitales Mobile Eintrittskarten,<br />

bargeldlose Zahlung: Wo Nahfeldkommunikation<br />

bereits eingesetzt –<br />

und warum der Handel noch<br />

Nachholbedarf hat. wiwo.de/nfc<br />

facebook.com/<br />

wirtschaftswoche<br />

twitter.com/<br />

wiwo<br />

plus.google.com/<br />

+wirtschaftswoche<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 7<br />

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Seitenblick<br />

Der Aufstieg und<br />

TABAKINDUSTRIE | Ein Gericht verdonnert RJ Reynolds zu 23 Milliarden Dollar Schadensersatz<br />

Die Geschichte des Glimmstängels in Deutschland und den USA<br />

5000<br />

Anzahl der jährlich pro Kopf in den USA konsumierten Zigaretten<br />

1941<br />

Die Tabakkonzerne beliefern<br />

US-Soldaten mit kostenlosen<br />

Zigaretten<br />

4500<br />

4000<br />

3500<br />

3000<br />

2500<br />

2000<br />

1500<br />

1000<br />

500<br />

0<br />

1900<br />

In den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts<br />

ist Dresden das Zentrum der deutschen<br />

Tabakindustrie. 1925 gibt es hier<br />

141 Zigarettenfabriken. Rund 60 Prozent<br />

der deutschen Zigaretten kommen aus der<br />

Stadt, und Deutschland ist der größte<br />

Tabakimporteur der Welt<br />

Anzahl der jährlich pro Kopf in Deutschland konsumierten Zigaretten<br />

(bis 1955 nicht erfasst)<br />

1914<br />

In Dresden findet der erste<br />

Internationale Tabakgegner-Kongress<br />

statt. Unter den Medizinern herrscht<br />

Streit, viele verordnen Tabak<br />

damals noch als Arznei<br />

1938<br />

Der US-Forscher Raymond Pearl<br />

von der Johns-Hopkins-Universität<br />

deckt in Amerika auf, dass Raucher<br />

kürzer leben<br />

1929<br />

Der sächsische Arzt Fritz Lickint veröffentlicht<br />

als erster Mediziner weltweit einen Aufsatz,<br />

in dem er einen Zusammenhang zwischen<br />

Zigarettenkonsum und Krebs dokumentiert<br />

1950er<br />

Erste Klagen von<br />

Lungenkrebspatienten –<br />

alle zugunsten<br />

der Tabakindustrie<br />

1900<br />

1905 1910 1915 1920 1925 1930 1935 1940 1945 1950<br />

Weltmarktführer ohne Weltmarkt<br />

Marktanteile der Zigarettenriesen (in Prozent)<br />

Imperial Tobacco<br />

(Davidoff, Gauloises,<br />

West, Cabinet)<br />

RJ Reynolds<br />

(Pall Mall, Camel,<br />

Natural American<br />

Spirit, Kool)<br />

Japan Tobacco<br />

(Winston,<br />

Mild Seven)<br />

5,1<br />

8,0<br />

Rest<br />

4,0<br />

11,0<br />

13,8<br />

41,0<br />

China Tobacco<br />

(nur China;<br />

Hongtashan)<br />

Globaler Konsum steigt<br />

Anzahl der weltweit konsumierten Zigaretten in den Jahren von<br />

1880 bis 2009 (in Milliarden)<br />

6000<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

2000<br />

British American<br />

Tobacco<br />

(HB, Lucky Strike, Dunhill,<br />

Kent, Gold Flake)<br />

17,1<br />

Altria/Philip Morris International<br />

(Marlboro, f6, L&M, Philip Morris)<br />

1000<br />

0<br />

1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000<br />

Quelle: eigene Recherche; American Cancer Society; Statistisches Bundesamt; Wells Fargo; DZV; DKFZ<br />

8 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Fall der Zigarette<br />

an eine Raucherwitwe. Nur die Chinesen scheint die Angst vor Lungenkrebs nicht zu schrecken.<br />

1952<br />

Die US-Zeitschrift „Reader’s Digest“ veröffentlicht<br />

einen Artikel, in dem die Gefahren des Rauchens<br />

dargestellt werden. Im Jahr darauf bricht erstmals<br />

der Zigarettenabsatz in den USA ein<br />

1954<br />

Die US-Tabakkonzerne gründen das<br />

Tabakinstitut, dessen Aufgabe es ist,<br />

Studien zu widerlegen, die Rauchen<br />

als gesundheitsschädlich entlarven.<br />

In Deutschland wird das HB-Männchen<br />

erfunden<br />

1971<br />

Die USA verbieten<br />

TV- und Radiowerbung<br />

für Zigaretten<br />

1974<br />

Deutschland verbietet<br />

TV- und Radiowerbung<br />

für Zigaretten<br />

1997<br />

Die USA verbieten die Nutzung<br />

von Figuren wie dem Marlboro-Man<br />

sowie Plakatwerbung generell<br />

1994<br />

Sieben Vorstandschefs der<br />

US-Tabakindustrie schwören<br />

vor dem Kongress, dass Nikotin<br />

nicht süchtig macht.<br />

Whistleblower Jeffrey Wigand<br />

überführte sie später der Lüge<br />

1998<br />

46 US-Staaten klagen erfolgreich gegen<br />

die US-Tabakindustrie. Die muss binnen<br />

25 Jahren 206 Milliarden Dollar<br />

Schadensersatz zahlen<br />

2007<br />

In Deutschland wird Zigarettenwerbung<br />

im Internet, in Zeitschriften und bei<br />

internationalen Sportveranstaltungen<br />

verboten<br />

1966<br />

Alle Zigarettenpackungen in den USA<br />

müssen mit einer Warnung des<br />

Gesundheitsministers versehen werden<br />

1992<br />

1992<br />

Marlboro-Man<br />

Wayne McLaren<br />

stirbt mit 51<br />

an Lungenkrebs<br />

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000<br />

Weniger Kippe fürs Geld<br />

So viel Zigarette gibt es für 5 Cent (in Prozent)<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Der Staat verdient<br />

Wie sich der Preis einer Packung<br />

Zigaretten zusammensetzt<br />

Schachtelpreis: 5 Euro<br />

16,0<br />

Tabaksteuer<br />

57,6<br />

%<br />

2004<br />

Philip Morris muss wegen<br />

Zigarettenschmuggels in<br />

Europa eine Milliarde Euro<br />

Strafe zahlen<br />

Dampf statt Rauch<br />

2005 2010<br />

US-Absatz von Zigarettenschachteln und<br />

E-Zigaretten-Füllungen im Vergleich<br />

Anteil des<br />

0<br />

Mehrwertsteuer Unternehmens<br />

1970 1980 1990 2000 2010 2013<br />

2011 2013 2015 2017 2019 2021 2023<br />

26,4<br />

16<br />

12<br />

8<br />

4<br />

herkömmliche Zigaretten<br />

in Milliarden Stück<br />

E-Zigaretten<br />

in Milliarden Stück<br />

FOTOS: INTERFOTO, AKG IMAGES, RAINER JAHNS, GETTY IMAGES (2), FOTOLIA (4), MAURITIUS IMAGES; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 9<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

Qual der Wahl<br />

Kommissionspräsident<br />

Juncker<br />

EU-KOMMISSION<br />

Finanzkommissar gesucht<br />

Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />

Jean-Claude Juncker verteilt die Aufgaben<br />

unter den Kommissaren neu und will<br />

einen Finanzmarkt-Spezialisten berufen.<br />

Bis Mittwoch sollen die EU-Mitgliedstaaten ihre<br />

Kandidaten für die kommende EU-Kommission<br />

benennen. Anschließend kann der künftige EU-<br />

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die<br />

Ressorts endgültig verteilen. Schon jetzt zeichnet<br />

sich dabei ein weiterer Neuzuschnitt der Kommission<br />

ab: „Jean-Claude Juncker will ein eigenes<br />

Ressort für Finanzmärkte schaffen“, heißt es in EU-<br />

Kreisen. Juncker hatte bereits angekündigt,<br />

außerdem jeweils einen Kommissar für Grundrechte<br />

und Migration einzuführen.<br />

Ein eigenes Ressort für Finanzmärkte stößt in<br />

Berlin auf große Zustimmung. „Die Bundesregierung<br />

steht dem Vorhaben sehr aufgeschlossen gegenüber“,<br />

heißt es in Brüssel. Auch aus dem Europäischen<br />

Parlament kommt positive Resonanz.<br />

„Ich würde das Vorhaben sehr begrüßen“, sagt<br />

Burkhard Balz, wirtschaftspolitischer Sprecher der<br />

christdemokratischen EVP-Fraktion. Bisher war der<br />

Franzose Michel Barnier als Binnenmarktkommissar<br />

auch für die Finanzmärkte und deren umfangreiche<br />

Reformen zuständig. Mit der Bankenunion<br />

und einem eigenen Abwicklungsmechanismus für<br />

marode Institute wächst allerdings der Bedarf nach<br />

einem Experten, der sich ganz und gar auf Finanzmärkte<br />

spezialisiert.<br />

Ein Favorit für den Posten zeichnet sich noch<br />

nicht ab, doch unter den bislang nominierten Kandidaten<br />

befinden sich einige Wirtschaftsfachleute,<br />

unter denen Juncker auswählen könnte. So war der<br />

von Estland nominierte frühere Ministerpräsident<br />

Andrus Ansip Vorstand der Rahvapank, bevor er in<br />

die Politik ging. Der lettische Ex-Premier Valdis<br />

Dombrovskis war als Ökonom bei der lettischen<br />

Zentralbank tätig. Portugal erwägt seinen ehemaligen<br />

Finanzminister Vitor Gaspar nach Brüssel zu<br />

schicken, einen Wirtschaftsprofessor.<br />

Abschließend wird Juncker die Ressortverteilung<br />

erst Anfang September bekannt geben. Am 30. August<br />

wollen die Staats- und Regierungschefs im<br />

zweiten Anlauf eine hohe Außenvertreterin auswählen,<br />

die Teil der EU-Kommission sein wird.<br />

Unter den Mitgliedstaaten ist unterdessen ein<br />

Gerangel um die Nachfolge von Günther Oettinger<br />

als Energiekommissar ausgebrochen, nachdem<br />

Merkel den Schwaben als neuen Handelskommissar<br />

installieren möchte. Neben Frankreich ist auch<br />

Polen an dem Posten für Energie interessiert.<br />

„Frankreich erhofft sich davon Vorteile für den<br />

staatlichen Energiegiganten EDF“, heißt es in Brüssel.<br />

Polen verspricht sich von dem Posten Einfluss<br />

auf die künftige Energiepolitik und vor allem mehr<br />

Unabhängigkeit von russischem Gas.<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />

Riesiger Apparat<br />

Mitarbeiter der EU-<br />

Kommission<br />

25000<br />

20000<br />

15 000<br />

1990 2013<br />

Quelle: EU-Kommission<br />

10 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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MH17<br />

Buchgewinn nach Absturz<br />

So schlimm Flugzeugunglücke<br />

für Opfer und Angehörige sind,<br />

Airlines und Leasinggesellschaften<br />

realisieren aus den<br />

Katastrophen dank ihrer Versicherungen<br />

oft beträchtliche<br />

Buchgewinne. Der Grund:<br />

Meist sind die verunglückten<br />

Maschinen schon zuvor teilweise<br />

oder komplett abgeschrieben.<br />

Eigentümer der über der<br />

Ostukraine abgeschossenen<br />

Boeing 777 von Malaysia Airlines<br />

etwa war die Firma Aer-<br />

Cap, eine Leasinggesellschaft<br />

mit Sitz in Amsterdam. Der verunglückte<br />

Jet war 17 Jahre alt<br />

und offenbar fast komplett<br />

abgeschrieben. Versichert, so<br />

erklären Experten, sind die<br />

Maschinen aber nahezu immer<br />

zum Anschaffungspreis. Und<br />

eine neue 777 kostet 260 Millionen<br />

US-Dollar. Die schon im<br />

März spurlos verschwundene<br />

Holländischer<br />

Eigentümer<br />

Boeing 777<br />

von Malaysia<br />

Airlines<br />

Maschine der Malaysia Airlines,<br />

ebenfalls eine 777, war zwölf<br />

Jahre alt und bis auf 100 Millionen<br />

US-Dollar abgeschrieben,<br />

gehörte allerdings einer anderen<br />

Leasinggesellschaft.<br />

Insgesamt hat AerCap rund<br />

1300 Maschinen im Bestand,<br />

darunter gut 70 Boeing 777. Ihr<br />

mit 14 Prozent größter Anteilseigner<br />

ist Waha Capital, eine<br />

1997 gegründete Investmentgesellschaft<br />

aus Abu Dhabi, die<br />

nun eine verbesserte Bilanz bei<br />

ihrer Beteiligung AerCap verzeichnen<br />

dürfte. Wie genau sich<br />

Leasinggesellschaft und Airline<br />

die Versicherungssumme<br />

teilen, ist in den Verträgen individuell<br />

geregelt. Größter Versicherer<br />

im Fall MH17 ist der<br />

Münchner Versicherungsriese<br />

Allianz.<br />

matthias.kamp@wiwo.de | München,<br />

thomas stölzel<br />

Aufgeschnappt<br />

Echte Krabbenburger Die<br />

beliebte Comic-Figur Sponge<br />

Bob arbeitet im Cartoon als<br />

Burgerbrater. Derzeit wird das<br />

Restaurant originalgetreu im<br />

palästinensischen Ramallah<br />

aufgebaut. Auf der Speisekarte<br />

des Betreibers Salta 3 steht<br />

auch die Schwammkopf-Spezialität:<br />

Krabbenburger.<br />

Echte Strafen Der britische<br />

Abgeordnete Mike Weatherly<br />

fordert <strong>vom</strong> Justizministerium,<br />

dass der Klau von virtuellen<br />

Gütern in Videospielen genauso<br />

hart bestraft wird wie herkömmliche<br />

Diebstähle. Weatherly ist<br />

der oberste Berater von Premier<br />

Cameron für geistiges Eigentum<br />

und selbst passionierter Spieler<br />

von World of Warcraft. Ob er<br />

in dem Online-Spiel auch schon<br />

bestohlen wurde, ist nicht bekannt.<br />

FRACKING<br />

Bund versus<br />

Niederlande<br />

Die Bundesregierung will<br />

Bohrungen nach Schiefergas in<br />

den Niederlanden verhindern,<br />

wenn die Vorkommen nahe der<br />

deutschen Grenze lagern.<br />

Grund ist die Sorge, dass beim<br />

sogenannten Fracking eingesetzte<br />

Chemikalien ins Grundwasser<br />

auch auf deutscher Seite<br />

gelangen könnten. Die Niederlande<br />

prüfen zurzeit, ob sie ab<br />

2015 das Fracking in direkter<br />

Nachbarschaft zu Nordrhein-<br />

Westfalen oder Niedersachsen<br />

erlauben. Bundesumweltministerin<br />

Barbara Hendricks<br />

(SPD) teilte der Regierung in<br />

Den Haag ihre Bedenken mit.<br />

Deutschland will kommerzielles<br />

Fracking faktisch verbieten. „Die<br />

Bundesregierung würde es begrüßen,<br />

wenn auch in den Niederlanden<br />

vergleichbar strenge<br />

Kriterien für den Umweltschutz<br />

zur Anwendung kämen, sollte<br />

künftig grenznah zu Deutschland<br />

Schiefergas erschlossen<br />

und gewonnen werden, und hat<br />

die niederländische Regierung<br />

entsprechend informiert“,<br />

schrieb das Ministerium an den<br />

Bundestagsumweltausschuss.<br />

Auch die Regierungen in Hannover<br />

und Düsseldorf sprachen<br />

sich öffentlich gegen grenznahes<br />

Fracking aus.<br />

cordula.tutt@wiwo.de | Berlin<br />

FOTO: LAIF/GABY GERSTER, NICKELODEON, REUTERS/YARON MOFAZ<br />

Wann die Schrottpresse ruft<br />

Typische Lebensdauer von Autos in Deutschland<br />

Volkswagen<br />

Quelle: Entsorgung.de<br />

26<br />

Jahre 22<br />

Jahre 19<br />

Jahre<br />

Honda,<br />

Mitsubishi<br />

Toyota, BMW,<br />

Audi, Volvo, Mercedes<br />

18<br />

Jahre<br />

Opel, Nissan,<br />

Skoda, Renault<br />

18<br />

Jahre<br />

Durchschnitt<br />

17<br />

Jahre<br />

Seat, Citroën,<br />

Suzuki, Ford, Mazda<br />

16<br />

Jahre<br />

14<br />

Jahre<br />

Daihatsu, Fiat,<br />

Hyundai<br />

Alfa Romeo,<br />

Lancia, Kia<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 11<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

FLOSKELCHECK<br />

Raucherwitwe<br />

Raucherwitwen stehen hoch<br />

im Kurs. In der amerikanischen<br />

Schadensersatzrechtsprechung<br />

ebenso wie in der<br />

kontinentalen Berichterstattung.<br />

Vier Silben, zwei tiefe<br />

Emotionen. Tod und Qualm,<br />

Rauch und Verderben. Ein<br />

Raucherinnenwitwer hingegen<br />

lockt keinen aus der Reserve,<br />

gender hin, Geschlechter<br />

her. Ebenso gut könnte<br />

man eine Reportage über<br />

Spielerinnenmänner schreiben.<br />

Sie hätte wohl absehbar<br />

noch weniger Leser als ein<br />

Frauenfußballendspiel Zuschauer.<br />

Je näher der Endsieg<br />

über das Nikotin rückt, desto<br />

wahrscheinlicher wird der<br />

Feldzug gegen Zucker, Fett<br />

und naturidentische Aromastoffe.<br />

Von den Plakatwänden<br />

an den Ausfallstraßen<br />

werden sie uns bald grüßen,<br />

die Burgerwitwen und Colawaisen,<br />

Parfümopfer und<br />

Glutenleichen. Übelriechenden<br />

Mietern darf man kündigen.<br />

Raucherwitwen auch?<br />

DER FLOSKELCHECKER<br />

Carlos A. Gebauer, 49,<br />

arbeitet als Rechtsanwalt in<br />

Düsseldorf, wurde auch als<br />

Fernsehanwalt von RTL und<br />

SAT.1 bekannt.<br />

MERCK Karl-Ludwig Kley<br />

»China ist deutlich mehr<br />

als ein Absatzmarkt«<br />

Der Chef des Pharmaproduzenten Merck hofft<br />

auf die Einführung einer Krankenversicherung in<br />

China und eröffnet dort ein riesiges Werk.<br />

In einem Monat weihen Sie in<br />

Nantong ihr weltweit zweitgrößtes<br />

Arzneimittelwerk ein.<br />

Welche Bedeutung hat der<br />

chinesische Markt für Merck?<br />

Er ist sehr wichtig. Wir setzen<br />

hier im Jahr derzeit rund 500<br />

Millionen Euro um. Bis 2018<br />

werden wir diese Summe verdoppeln.<br />

Dabei hilft uns, dass in<br />

den Bereichen, in denen wir<br />

vertreten sind, das Wachstum<br />

größer sein wird als beim Bruttoinlandsprodukt<br />

prognostiziert.<br />

Aber China ist deutlich<br />

mehr als ein Absatzmarkt. Das<br />

Land wird die Weltwirtschaft<br />

maßgeblich verändern und prägen.<br />

Deshalb investieren wir<br />

auch hier sowohl in Produktion<br />

als auch in Forschung.<br />

China baut gerade eine<br />

flächendeckende Krankenversicherung<br />

auf. Was bedeutet<br />

das für Ihr Geschäft?<br />

Die Herausforderungen in diesem<br />

Riesenland sind natürlich<br />

enorm. Der Aufbau einer<br />

Versicherung wird dauern.<br />

Insgesamt wird es sicher unser<br />

Geschäft fördern, wenn alle<br />

Chinesen Zugang zu adäquater<br />

medizinischer Versorgung<br />

haben.<br />

Planen Sie auch in China<br />

rezeptfreie Medikamente?<br />

Damit sind wir in China noch<br />

nicht vertreten. Aber ein Ergebnis<br />

unserer Gespräche hier war,<br />

dieses Geschäft auch in China<br />

aufzubauen. Wie das genau<br />

passieren wird, müssen wir<br />

noch festlegen.<br />

Viele Unternehmen klagen<br />

über die schlechte Ausbildung<br />

ihrer Mitarbeiter. In Sachen<br />

Forschung und Innovation<br />

hinkt das Land hinterher.<br />

Das kann ich so nicht bestäti-<br />

gen. Die Qualität unserer Mitarbeiter<br />

hier ist hervorragend.<br />

Das gilt aber gleichermaßen für<br />

viele chinesische Firmen. Ich<br />

habe mich beispielsweise mit<br />

Unternehmern im Biotech-Bereich<br />

getroffen. Das ist absolutes<br />

Spitzenniveau.<br />

Chinas Bevölkerung altert<br />

rapide. Was bedeutet das für<br />

Merck im Pharmamarkt?<br />

Ganz wichtig sind für uns Diabetes,<br />

Schilddrüsen- und Herz-<br />

Kreislauf-Erkrankungen. Da<br />

DER CHINA-FREUND<br />

Kley, 63, ist seit 2007 Vorstandsvorsitzender<br />

der Merck-Gruppe.<br />

Von 1998 bis 2006 war der promovierte<br />

Jurist Vorstandsmitglied<br />

bei Lufthansa.<br />

sind wir jetzt schon erfolgreich<br />

mit Produkten zur Behandlung.<br />

Künftig werden wir die Nachfrage<br />

aus unserem neuen Werk<br />

in Nantong bedienen können.<br />

Das wird 2017 anlaufen. Multiple<br />

Sklerose spielt in Asien eine<br />

ganz geringe Rolle, unser<br />

Onkologiegeschäft mit Erbitux<br />

entwickelt sich hingegen erfreulich.<br />

Im letzten Jahr wurde die<br />

Pharmabranche durch einen<br />

Korruptionsskandal erschüttert.<br />

Die Führung von Glaxo-<br />

SmithKline ist angeklagt,<br />

jahrelang Bestechungsgelder<br />

an Ärzte gezahlt zu haben. Ist<br />

Merck davor gefeit?<br />

Integrität und Compliance haben<br />

bei uns einen sehr hohen<br />

Stellenwert. Insbesondere gilt<br />

das für unser Führungspersonal.<br />

Wir haben selbstverständlich<br />

auch systemische Kontrollen.<br />

Realistischerweise können<br />

Sie nie vollkommen ausschließen,<br />

dass irgendetwas passiert.<br />

Dann muss aber sehr schnell<br />

und entschieden durchgegriffen<br />

werden.<br />

philipp.mattheis@wiwo.de | Shanghai<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER; FOTOS: BLOOMBERG NEWS/SIMON DAWSON, PR, F.A.Z.-FOTO/HELMUT FRICKE, API/MICHAEL TINNEFELD<br />

12 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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PHARMA<br />

Volle Kraft<br />

zurück<br />

Für Marc Owen gab es aus<br />

Brasilien zuletzt keine guten<br />

Nachrichten. Der Chef des<br />

Stuttgarter Pharmagroßhändlers<br />

Celesio musste in dem lateinamerikanischen<br />

Land 80<br />

Millionen Euro abschreiben.<br />

Auch in anderen Schwellenländern<br />

herrscht Flaute – ein Novum<br />

für die erfolgsverwöhnte<br />

Branche. Die Pharmaindustrie<br />

hat daher ihre Erwartungen an<br />

das Wachstum in Märkten wie<br />

Brasilien, Russland und Osteuropa<br />

deutlich nach unten geschraubt.<br />

„Gegenüber 2013 sind<br />

die Werte von etwa zehn Prozent<br />

auf geradezu desillusionierende<br />

vier Prozent oder noch<br />

weniger gesunken“, stellt Josef<br />

Packowski von Camelot fest.<br />

Das Münchner Beratungshaus<br />

hat 100 Manager von Pharmakonzernen<br />

aus 16 Ländern befragt.<br />

Sie zeigten sich vor allem<br />

hinsichtlich Russland pessimistisch.<br />

„Es ist die einzige Region<br />

weltweit, in der die Hersteller<br />

von Generika in den kommenden<br />

zwölf Monaten sogar mit<br />

einem Nachfragerückgang<br />

rechnen.“ Die Pharmakonzerne<br />

konzentrieren ihre Investitionspläne<br />

wieder auf Nordeuropa<br />

und Nordamerika.<br />

rebecca.eisert@wiwo.de, jürgen salz<br />

CUSTODIA<br />

Angst vor<br />

Enteignung<br />

Aktionäre der Custodia Holding,<br />

einer Beteiligungsgesellschaft<br />

des Milliardärs August von<br />

Finck, bangen um ihr Vermögen.<br />

Der Vorstand kündigte an,<br />

das Unternehmen solle 2015<br />

<strong>vom</strong> regulierten Markt in den<br />

Freiverkehr der Börse München<br />

wechseln. Aktionäre fürchten<br />

nun einen Komplettrückzug<br />

29.07. Deutsche Bank Das von Vorwürfen aus den USA<br />

gebeutelte Geldinstitut legt am Dienstag seine<br />

Zahlen für das erste Halbjahr vor. Am gleichen Tag<br />

entscheidet der Bundesgerichtshof, ob die Bank<br />

den Aktionären der Postbank bei deren Übernahme<br />

ab 2008 zu wenig gezahlt hat.<br />

30.07. Porsche Das Landgericht Braunschweig urteilt am<br />

Mittwoch über drei Klagen gegen den Autohersteller.<br />

Die Kläger fühlten sich von den Übernahmeplänen<br />

zwischen VW und Porsche vor sechs Jahren<br />

getäuscht. Ihre Schadensersatzforderungen reichen<br />

von mehreren Hundert<br />

Millionen Euro bis in<br />

den Milliardenbereich.<br />

Im März hat das Landgericht<br />

Stuttgart ähnliche<br />

Klagen von Hedgefonds<br />

abgewiesen.<br />

US Notenbank Die Federal Reserve entscheidet<br />

über geldpolitische Maßnahmen. Zuletzt wurde<br />

spekuliert, dass die US-Notenbank den Leitzins im<br />

zweiten Quartal 2015 erhöhen möchte und damit<br />

früher als geplant.<br />

Türkische Präsidentschaftswahl Zum ersten Mal<br />

in der Geschichte der Türkei können Bürger direkt<br />

ihren Präsidenten wählen. Wahlberechtigt sind<br />

auch bis zu 1,5 Millionen Menschen in Deutschland.<br />

Bis Sonntag können sie an die Urne gehen. In<br />

der Türkei findet die Wahl erst am 10. August statt.<br />

01.08. Weltkriegs-Jubiläum An diesem Freitag vor 100<br />

Jahren brach der Erste Weltkrieg aus. Am Sonntag<br />

besucht Bundespräsident Gauck mit dem französischem<br />

Präsidenten Hollande eine Gedenkfeier.<br />

Helmut Kohl Das OLG Köln entscheidet im Prozess<br />

des Ex-Bundeskanzlers gegen seinen früheren<br />

Ghostwriter. Kohl fordert die Herausgabe von<br />

Tonbändern mit 630 Stunden Gesprächsmaterial.<br />

von der Börse. Die Blaupause<br />

lieferten etwa die Marseille<br />

Kliniken, die zunächst die regulierte<br />

Börse verließen, um kurz<br />

darauf ein Delisting zu verkünden.<br />

Weil Anleger befürchten<br />

müssen, ihre Aktien nicht<br />

verkaufen zu können, drohen<br />

Wertverluste. Bei<br />

Custodia, die Immobilien<br />

in München,<br />

475 Kilo<br />

Verschreckt<br />

Anleger Milliardär<br />

von Finck<br />

TOP-TERMINE VOM 28.07. BIS 03.08.<br />

Gold und Aktien besitzt, hält<br />

von Finck knapp 93 Prozent. Er<br />

ist zudem Großaktionär der Immobilien-AG<br />

Amira, die ebenfalls<br />

Ende 2014 in den Freiverkehr<br />

wechselt. Laut Stephan<br />

Tassler von der Schutzgemeinschaft<br />

der Kapitalanleger bestimmt<br />

„über<br />

den Börsenabzug<br />

der Aufsichtsrat“.<br />

In dem sitzen<br />

zwei Söhne des<br />

Milliardärs.<br />

maximilian nowroth |<br />

geld@wiwo.de<br />

CITYJET<br />

Flotte wird<br />

modernisiert<br />

Der fränkische Multiunternehmer<br />

Hans Rudolf Wöhrl sucht<br />

für seine jüngste Fluglinie Cityjet<br />

bis zu 20 neue Flugzeuge.<br />

„Wir verhandeln gerade mit<br />

mehreren Herstellern“, erklärt<br />

der 66-Jährige. Wöhrl hatte Cityjet<br />

im Frühjahr gekauft. Die<br />

Linie fliegt vor allem aus dem<br />

kleinen Londoner City-Flughafen<br />

am Finanzzentrum nach<br />

Paris, Dublin und Amsterdam.<br />

Trotz der erhofften Einsparungen<br />

durch modernere Maschinen<br />

wird Wöhrl den Flugplan<br />

Neue Jets in Aussicht<br />

Flugunternehmer Wöhrl<br />

von Cityjet stark einkürzen. Von<br />

den bislang vier deutschen Zielen<br />

wird nur Dresden bleiben.<br />

Die derzeit noch 19 Maschinen<br />

der ehemaligen Air-France-<br />

Tochter <strong>vom</strong> Typ BAE146 sind<br />

extrem teuer im Betrieb. Sie<br />

sind mit 15 Jahren relativ alt<br />

und haben vier Motoren, was<br />

Spritverbrauch und Wartungskosten<br />

treibt. „Eine Entscheidung<br />

ist noch nicht gefallen,<br />

aber eigentlich kommen nur<br />

drei Flugzeuge infrage“, sagt der<br />

frühere Besitzer des Billigfliegers<br />

DBA und der Ferienlinie<br />

LTU. Ein Typ des brasilianischen<br />

Herstellers Embraer, die<br />

neue C-Serie von Bombardier<br />

aus Kanada oder der Superjet<br />

des russischen Produzenten<br />

Sukhoi. Geliefert will Wöhrl die<br />

Maschinen möglichst schon im<br />

Sommer 2015 bekommen.<br />

ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 13<br />

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Menschen der Wirtschaft<br />

CHEFSESSEL<br />

START-UP<br />

PLAYMOBIL<br />

Andrea Schauer, 55,<br />

gibt Mitte des nächsten Jahres<br />

die Geschäftsführung<br />

beim Spielwarenhersteller<br />

aus gesundheitlichen Gründen<br />

auf. Zum Nachfolger ernannte<br />

Playmobil-Eigentümer<br />

Horst Brandstätter den<br />

kaufmännischen Geschäftsführer<br />

Steffen Höpfner. Zudem<br />

machte der 81-Jährige<br />

Pressesprecherin Judith<br />

Weingart zur Geschäftsführerin<br />

für Entwicklung,<br />

Marketing und Vertrieb.<br />

BOMBARDIER<br />

Martin Clausecker, 48,<br />

muss seinen Posten als<br />

Deutschland-Chef beim kanadischen<br />

Bahntechnikhersteller<br />

räumen und verlässt<br />

das Unternehmen. Grund ist<br />

die Umstrukturierung des<br />

Konzerns. So gibt es künftig<br />

kein eigenständiges<br />

Deutschland-Ressort mehr.<br />

Es geht im Bereich Zentraleuropa<br />

auf. Clausecker hatte das<br />

Amt seit März 2012 inne.<br />

DEUTSCHES MUSEUM<br />

Wolfgang Reitzle, 65, wurde<br />

vergangene Woche zum Verwaltungsratschef<br />

des Deutschen<br />

Museums in München<br />

gewählt. Der ehemalige Linde-<br />

Chef soll vor allem die ins Stocken<br />

geratene Sanierung des<br />

Hauses wieder in Schwung<br />

bringen. Der bisherige Verwaltungsratschef<br />

und Präsident der<br />

TU München, Wolfgang Herrmann,<br />

stellte sich nicht mehr<br />

zur Wahl. Reitzle hatte bereits<br />

2008 fünf Millionen Euro für die<br />

Zukunftsinitiative Deutsches<br />

Museum gespendet.<br />

TIFFANY<br />

Michael Kowalski, 62, räumt<br />

Ende März 2015 den Chefposten<br />

beim US-Schmuckriesen. Er<br />

bleibt aber Mitglied im Board<br />

von Tiffany. Nachfolger wird<br />

der 54-jährige Frederic Cumenal,<br />

der seit 2011 im Unternehmen<br />

ist. Zuvor war er Manager<br />

beim französischen Luxusgüterkonzern<br />

LVMH.<br />

BASTEI LÜBBE<br />

Jörg Plathner, 48, wird zum 1.<br />

September viertes Vorstandsmitglied<br />

des Kölner Medienunternehmens.<br />

Er wird vor allem für<br />

das digitale Geschäft verantwortlich<br />

sein, das inzwischen 14 Prozent<br />

<strong>vom</strong> Umsatz erwirtschaftet.<br />

MARIHUANA<br />

72 Euro<br />

kosten fünf Gramm Cannabis in der Apotheke – etwa das Doppelte<br />

des Schwarzmarktpreises. Um die 270 Personen in Deutschland<br />

besitzen eine Genehmigung, um die Blüten zur Linderung<br />

schwerer Krankheiten zu erwerben. Das Verwaltungsgericht Köln<br />

erlaubte nun in Einzelfällen auch den Eigenanbau der Pflanze.<br />

PAYFRIENDZ<br />

Mit einem Wisch schuldenfrei<br />

Die Payfriendz-Gründer Volker Breuer und Andreas Rührig<br />

wollen Überweisungen so einfach machen, wie das Verschicken<br />

von Textnachrichten. Vor allem kleine Beträge wie Restaurantschulden<br />

bei Freunden sollen so mit dem Smartphone beglichen<br />

werden. Payfriendz setzt dabei auf ein Prepaid-System, bei dem<br />

die Nutzer keine Bankkontodaten hinterlegen müssen. Das Geld<br />

kann dann an andere Nutzer der App geschickt werden. Die Anwendung<br />

ist grundsätzlich kostenlos. Nur wer in fremden Währungen<br />

Geld versendet, muss ein Prozent Gebühr zahlen. Zum<br />

Start können Nutzer nur zwischen Euro und britischen Pfund<br />

wählen, bis Jahresende sollen Dollar und Yen folgen. Zudem kann<br />

die App als virtuelle MasterCard-Kreditkarte genutzt werden.<br />

Doch die Konkurrenz ist stark:Lendstar, Steep oder Cringle bieten<br />

ähnliche Dienste. Und parallel zum Start von Payfriendz schaffte<br />

PayPal die Gebühr für die Geldversendefunktion in der eigenen<br />

App ab. Trotzdem peilt Breuer in Deutschland und Großbritannien<br />

bis Jahresende je 100 000 registrierte Nutzer an. „Wenn große<br />

Player den Markt bereiten, können wir davon nur profitieren“, sagt<br />

er. Finanzieren soll sich<br />

Payfriendz über die<br />

Fakten zum Start<br />

Investitionen liegen bislang im<br />

mittleren siebenstelligen Bereich<br />

Team verteilt auf Berlin, London<br />

und Buenos Aires sind insgesamt<br />

27 Mitarbeiter beschäftigt<br />

Wechselkursgebühr und<br />

Provisionen bei der virtuellen<br />

Kreditkarte. Zusätzliche<br />

Einnahmen soll<br />

künftig die Verknüpfung<br />

mit Amazon-Wunschzetteln<br />

bringen.<br />

matthias streit | mdw@wiwo.de<br />

FOTOS: PR, PRISMA/ROBBY BÖHME<br />

14 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Menschen der Wirtschaft | Chefbüro<br />

Martin Gauss<br />

Vorstandsvorsitzender von Air Baltic<br />

Startklar ist er immer. Der<br />

Pilotenkoffer steht direkt neben<br />

dem Schreibtisch, und das<br />

Kapitänssakko hängt gebügelt<br />

im Schrank. Martin Gauss, 46,<br />

könnte sich sofort ins Cockpit<br />

einer Boeing 737 setzen und abfliegen.<br />

Die Lizenz dafür besitzt<br />

er. Seit November 2011 lenkt der<br />

gebürtige Baden-Württemberger<br />

die Geschicke der lettischen<br />

Fluggesellschaft Air Baltic. Damals<br />

steckte sie in einer Krise,<br />

der Staat musste sie mit einer<br />

Kapitalspritze retten. Noch heute<br />

hält er fast alle Anteile, sucht<br />

aber nach einem Investor, der<br />

rund die Hälfte der Anteile übernehmen<br />

soll. Von 2014 an will<br />

Air Baltic wieder Gewinne erzielen.<br />

Das hat sich Gauss vorgenommen.<br />

Im vergangenen<br />

Jahr beförderte<br />

Air Balitc mit 25 Boeings<br />

und Bombardiers<br />

mehr als drei Millionen<br />

Passagiere. Die<br />

Bilanz weist einen<br />

Umsatz von 330 Millionen<br />

Euro aus . „Wir<br />

360 Grad<br />

In unseren App-<br />

<strong>Ausgabe</strong>n finden<br />

Sie an dieser<br />

Stelle ein interaktives<br />

360°-Bild<br />

sind aus dem Gröbsten raus“,<br />

sagt Gauss. Erfolgreich gearbeitet<br />

hat er bereits für die ehemalige<br />

British-Airways-Tochter<br />

Deutsche BA , die frühere Saarbrücker<br />

Cirrus Airlines und die<br />

ungarische Fluggesellschaft Malev.<br />

Sein Air-Balitc-Büro liegt in<br />

der Hochsicherheitszone des<br />

Flughafens von Riga. Die Fenster<br />

lassen sich nicht öffnen, eine<br />

Klimaanlage sorgt für<br />

angenehme Temperaturen.<br />

„President and<br />

CEO“ wurde in die<br />

Milchglasscheibe seiner<br />

Bürotür graviert.<br />

Den Schriftzug sowie<br />

das gesamte Mobiliar<br />

hat er von seinem Vorgänger<br />

Bertold Flick geerbt. Auf<br />

dem Besprechungstisch parkt<br />

das Modell einer Boeing 737.<br />

Die Sammlung der Air-Baltic-<br />

Miniaturflieger setzt sich auf<br />

der Schrankwand fort. Dort stehen<br />

in Firmenfarben alle Ordner,<br />

die – wie er sagt – seine „Entscheidungsgeschichte“<br />

seit<br />

seinem Amtsantritt dokumentieren.<br />

Ein Muss sind die Schale<br />

mit Obst und Nüssen und der<br />

Air-Baltic-Kalender. Von den<br />

1072 Mitarbeitern haben sich<br />

dafür einige Frauen an ihrem<br />

Arbeitsplatz fotografieren lassen.<br />

„Nächstes Mal“, versichert<br />

Gauss, „sind auch die Herren<br />

wieder mit dabei.“<br />

ulrich.groothuis@wiwo.de<br />

FOTO: PR/MAREKS STEINS<br />

16 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Ukraine Ein Flugzeug in Trümmern, ein<br />

Land am Boden, ein ratloser Kontinent<br />

Irak Glaubenskämpfer zerstören das<br />

Land und verbreiten den Terrorismus<br />

FOTOS: ACTION PRESS/ITAR TASS, GETTY IMAGES/AFP, STUDIO X/POLARIS, PICTURE-ALIANCE/DPA<br />

18 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Welle des Terrors<br />

KRISENHERDE | Die Europäer leben in Frieden und Wohlstand, aber rundherum<br />

verschärfen sich die Konflikte – kann das auf Dauer gut gehen?<br />

Libyen Rivalisierende Milizen legen<br />

Flughäfen und die Ölindustrie lahm<br />

Gaza Immer mehr Tote, Flucht ohne<br />

rettendes Ziel, Krieg ohne Ende...<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 19<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Es grenzte schon an eine Sensation,<br />

was der russische Bankmanager<br />

Andrej Kostin vor einigen<br />

Tagen im russischen Fernsehen<br />

sagte. Kostin, Chef von VTB, der<br />

zweitgrößten staatlichen Bank im Reich<br />

Wladimir Putins, wagte es, seinem Präsidenten<br />

zu widersprechen. Nüchtern entkräftete<br />

er die in den Staatsmedien verbreitete<br />

Illusion, westliche Sanktionen könnten<br />

Russland nichts anhaben. Im Gegenteil,<br />

so der Spitzenbanker, sei Russland dabei,<br />

sich „aus dem Prozess der Globalisierung<br />

herauszuschießen“.<br />

Hinter den Kulissen ziehen russische<br />

Wirtschaftsleute bemerkenswerte Vergleiche.<br />

Sie erinnern an die Katastrophe von<br />

Lockerbie 1988. Damals hatten libysche<br />

Terroristen über Schottland ein amerikanisches<br />

Passagierflugzeug in die Luft gesprengt<br />

und 270 Menschen getötet. Jahrelange<br />

Sanktionen gegen das Regime des libyschen<br />

Autokraten Muammar al-Gaddafi<br />

waren die Folge. Der Absturz des malaysischen<br />

Flugzeugs über der Ukraine, so die<br />

Befürchtung der russischen Wirtschaftselite,<br />

könne ähnlichen Strafmaßnahmen den<br />

Boden bereiten – und Russland in die internationale<br />

Isolation sowie in das wirtschaftliche<br />

Verderben führen.<br />

Nicht nur in Russland ist seit diesem blutigen<br />

Anschlag auf das Leben Unschuldiger<br />

nichts mehr, wie es war. Deutschland<br />

reibt sich die Augen, und Europa lernt<br />

mühsam, dass es sich nicht als friedfertige<br />

Handelsmacht in einer multipolaren Welt<br />

bequem machen kann. Vielmehr muss es<br />

Verantwortung übernehmen für die Kriege<br />

und Krisen, die den alten Kontinent umzingeln.<br />

Denn es geht nicht nur um Russland<br />

und nicht nur um die Ukraine, die seit<br />

Donnerstag vergangener Woche zu allem<br />

Überfluss auch noch ohne Regierung<br />

dasteht. Das erneute<br />

Blutvergießen im Gaza-Streifen<br />

und in Israel, die Auflösung der<br />

Staaten Syrien und Irak, all das<br />

destabilisiert eine Weltregion<br />

vor unserer Haustür. Richtung<br />

Osten und Süden blickt Europa<br />

auf eine Kette von Krisenherden<br />

– auf die weder die Bundesregierung<br />

noch die Europäische Union auch nur<br />

annähend eine Antwort gefunden haben.<br />

EMBARGO GESTRICHEN<br />

Vergangene Woche konnten sich die<br />

EU-Außenminister in Brüssel nur sehr<br />

mühsam auf einheitliche Sanktionen gegen<br />

Russland durchringen, Frankreich schaffte<br />

es im Interesse eines milliardenschweren<br />

Rüstungsdeals mit Moskau, sogar ein rückwirkendes<br />

Embargo für Waffenlieferungen<br />

von der Agenda zu streichen.<br />

Aber auch ohne weitreichende Sanktionen<br />

trifft die Instabilität in Osteuropa die<br />

deutsche Wirtschaft. „10 bis 15 Prozent<br />

Rückgang bei den Exporten nach Russland<br />

sind 2014 möglich“, sagt Gerhard Handke,<br />

Hauptgeschäftsführer beim Außenhandelsverband<br />

BGA. Das mag man noch verschmerzen,<br />

denn der Export nach Russland<br />

machte 2013 nur gut drei Prozent der<br />

deutschen Ausfuhren aus – schon die<br />

Schweiz oder Polen importieren mehr aus<br />

der Bundesrepublik. Doch das ist noch<br />

nicht alles. In Russland selbst haben 6300<br />

deutsche Unternehmen mehr als 23 Milliarden<br />

Euro investiert. Mit einer Viertelmillion<br />

Mitarbeitern machen sie<br />

dort 80 Milliarden Euro Umsatz.<br />

Ein Absturz ihres Engagements<br />

in Russland würde bedeutende<br />

Konzerne wie Volkswagen und<br />

Siemens empfindlich treffen.<br />

Adidas etwa machte voriges<br />

Jahr rund sieben Prozent seines<br />

weltweiten Umsatzes in Russland<br />

– bei zweistelligem Wachstum.<br />

Die Russlandkrise, schätzt man beim<br />

Deutschen Industrie- und Handelskammertag<br />

(DIHK), wird Deutschlands Wirtschaft<br />

um Exporteinnahmen in Höhe von<br />

vier Milliarden Euro und um ein halbes<br />

Prozent Wachstum bringen – und das unter<br />

der relativ optimistischen Voraussetzung,<br />

dass eine weitere Eskalation mit<br />

noch schärferen Wirtschaftssanktionen<br />

ausbleiben wird.<br />

Bisher haben die Sanktionen der EU-<br />

Kommission deutschen Unternehmen nur<br />

wenig Angst eingejagt (siehe Seite 26). Die<br />

amerikanische Regierung aber geht wesentlich<br />

härter gegen Russland vor – und ist<br />

faktisch in der Lage, auch Europa ihr Regime<br />

aufzuzwingen: Indem die USA ihr Exportrecht<br />

extraterritorial anwenden, können<br />

sie deutsche Exporteure bestrafen, die<br />

an ein Unternehmen liefern, das unter US-<br />

Embargo steht. So etwa den russischen<br />

Erdölkonzern Rosneft. Das setzt nur vo-<br />

Europas<br />

unheimliche<br />

Nachbarn<br />

Krisenländer<br />

von Russland bis<br />

Nordafrika.<br />

Israel, Gaza<br />

Krieg zu führen<br />

ist für alle Beteiligten<br />

irrational,<br />

aber für einen<br />

Frieden ist das<br />

gegenseitige<br />

Misstrauen viel<br />

zu stark<br />

Türkei<br />

Falsche Freunde<br />

in der Nachbarschaft<br />

werden<br />

zur Gefahr<br />

Ukraine<br />

Wirtschaftliche<br />

Entwicklung ist<br />

dringend nötig –<br />

stattdessen lebt<br />

das Land im Krieg<br />

Libyen, Ägypten<br />

Libysche Warlords spalten<br />

ihr Land, und am Nil bekämpfen<br />

sich Armee und<br />

islamistische Terroristen<br />

20 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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ILLUSTRATIONEN: DMITRI BROIDO<br />

raus, dass ein amerikanischer Staatsbürger<br />

im Vorstand sitzt oder die gelieferte Ware<br />

Komponenten amerikanischer Hersteller<br />

enthält. Der deutsche Rechtsanwalt Dirk<br />

Hagemann, Experte für Sanktionsrecht,<br />

warnt: „Die USA könnten das Unternehmen<br />

listen und so den Zugang zum US-<br />

Markt sperren.“ Schon die vage Möglichkeit,<br />

ein Geschäftspartner könne auf die<br />

Sanktionsliste geraten, zeigt oft Wirkung.<br />

Aus Furcht um Verluste im Geschäft mit<br />

den USA haben sich deutsche Unternehmen<br />

etwa aus dem Iran zurückgezogen.<br />

Passiert nun das Gleiche demnächst mit<br />

Russland?<br />

„Der Druck auf den Iran ist ungleich höher<br />

als auf die Russen“, beruhigt Hagemann.<br />

Es sei bislang nicht ersichtlich, dass<br />

die USA ihre Sanktionsbestimmungen gegen<br />

Russland außerhalb des Heimatmarktes<br />

durchzusetzen versuchen. In Fachkreisen<br />

kursieren jedoch bereits Berichte über<br />

deutsche Top-Manager, die ihr Russlandgeschäft<br />

zurückfahren, weil das bisher über<br />

eine von den USA sanktionierte Moskauer<br />

Bank lief. Man will eben nichts riskieren.<br />

Man muss es aber doch. Denn auf russischer<br />

Seite wird schon offen über Vergeltung<br />

geredet. „Handelssanktionen gegen<br />

russische Unternehmen stehen im Widerspruch<br />

zu den Prinzipien der Welthandelsorganisation“,<br />

verkündet die russische Manager-Assoziation.<br />

Sanktionen würden „im<br />

Fall einer weiteren Eskalation unausweichlich<br />

zu negativen Rückwirkungen für EUund<br />

US-Unternehmen am russischen<br />

Markt führen“. Die Staatsduma hat bereits<br />

Auf der Flucht<br />

Zu- und Abflüsse von Kapital in Russland<br />

(in Milliarden Dollar)<br />

10<br />

0<br />

–10<br />

–20<br />

–30<br />

–40<br />

–50<br />

2010 2011 2012 2013 14<br />

Quelle: Bank of Russia<br />

ein Gesetz vorbereitet, das die Konfiszierung<br />

der Vermögenswerte ausländischer<br />

Investoren möglich macht. Dennoch ist bei<br />

der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer<br />

in Moskau zu hören, dass trotz der<br />

Krise neue Investoren aus Deutschland<br />

nach Russland gehen – und seitens der russischen<br />

Behörden so viel Unterstützung erfahren<br />

wie seit Jahren nicht.<br />

SANFTER DRUCK<br />

Auch wegen der engen Verflechtung mit<br />

Russland ist Bundesaußenminister Frank-<br />

Walter Steinmeier bemüht, auf Russland<br />

eher sachte den Druck zu erhöhen. Das<br />

Auswärtige Amt, so hört man, will auch eine<br />

Überreaktion der Kapitalmärkte verhindern.<br />

Gleichwohl wächst die Einsicht, dass<br />

die EU irgendwie Druck ausüben muss auf<br />

Putins Politik, welche die Destabilisierung<br />

in der Ostukraine zumindest duldet. Steinmeier<br />

selbst ist „überrascht, dass die Sanktionen<br />

bereits wirken, bevor sie verhängt<br />

wurden“, so der Minister zur Wirtschafts-<br />

Woche: „Kapital flieht seit Monaten aus<br />

Russland, die Konjunktur bekommt eine<br />

Delle, russische Unternehmen sind nervös.“<br />

Das treffe die russische Wirtschaft<br />

hart, während die Folgen für Deutschland<br />

aus Sicht des Ministers „einstweilen begrenzt“<br />

bleiben.<br />

In der Tat sind die Folgen in Russland<br />

bereits sichtbar: Die Wirtschaftsleistung<br />

des Landes sank im ersten Quartal<br />

gegenüber dem Vorquartal um 0,5 Prozent<br />

– und nach Jahren der Stagnation braut<br />

sich für das Land mit 143 Millionen Einwohnern<br />

eine handfeste Rezession zusammen.<br />

Analysten der Investmentbank<br />

Morgan Stanley rechnen im Gesamtjahr<br />

mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts<br />

(BIP) um bis zu 1,5 Prozent. Und<br />

dies, obwohl der Ölpreis stabil oberhalb<br />

der 100-Dollar-Marke notiert und die<br />

globale Konjunkturlage durchaus hoffen<br />

lässt. Einige Sektoren profitieren sogar<br />

<strong>vom</strong> schwachen Rubel, der die Stahlexporte<br />

oder auch die Ausfuhr von Metallwaren<br />

und Landmaschinen billiger macht. Dagegen<br />

steigen am Binnenmarkt die Preise,<br />

da Russland viele Konsumgüter teuer<br />

aus dem Ausland importieren muss;<br />

nicht einmal die lokale Nahrungsmittelindustrie<br />

dieses weiten Landes ist in der<br />

Lage, den Binnenmarkt aus eigener Kraft<br />

zu versorgen.<br />

»<br />

Russland<br />

Deutschlands<br />

wichtiger Wirtschaftspartner<br />

verliert seine<br />

Glaubwürdigkeit<br />

Afghanistan<br />

Die USA ziehen<br />

ab, Taliban und<br />

al-Qaida bleiben<br />

Syrien, Irak<br />

Zwei Staaten drohen<br />

unter dem Ansturm<br />

radikaler islamischer<br />

Terroristen endgültig<br />

zu zerbrechen<br />

Iran<br />

Die Atomverhandlungen<br />

stocken,<br />

die Außenpolitik<br />

bleibt aggressiv<br />

wie immer<br />

Katar<br />

Der superreiche<br />

Zwergstaat<br />

sponsert<br />

den Islamismus<br />

weltweit<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 21<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Aber lassen sich der russische Präsident<br />

und seine Umgebung von ökonomischen<br />

Zwängen überhaupt beeindrucken? Oft<br />

sieht es nicht so aus: Selbst wenn er<br />

sich für eine „unabhängige Aufklärung“<br />

der Flugzeugkatastrophe ausspricht,<br />

folgt kurz darauf das<br />

Säbelrasseln: „Wir müssen<br />

adäquat auf Versuche reagieren,<br />

Russland zu schwächen“,<br />

sagt er vor dem nationalen Sicherheitsrat<br />

und verspricht ein<br />

Rüstungsprogramm für die<br />

Krim. „Von außen“ finanzierte<br />

Destabilisierung werde es in<br />

Russland nie geben.<br />

So etwas weckt Zweifel, ob Putin und der<br />

Westen eine Sprache sprechen. Nicht um<br />

das wirtschaftliche Wohlergehen Russlands<br />

geht es ihm derzeit in erster Linie.<br />

Viel spricht dafür, dass er mit seiner Politik<br />

die Sehnsüchte vieler Russen nach der<br />

Weltgeltung bedient, die mit dem Kollaps<br />

der Sowjetunion verloren ging. So sieht das<br />

Fjodor Lukjanow, einer der bekanntesten<br />

Moskauer Experten für Außenpolitik. „Putin<br />

steckt in der schwersten Phase seiner<br />

Laufbahn“, sagt der Politologe. Er bestreitet<br />

die Meinung, Putin handele irrational. Die<br />

ökonomischen Kosten seiner Politik nehme<br />

der Präsident in Kauf, weil er so dem eigenen<br />

Land das Selbstwertgefühl zurückgeben<br />

könne, erklärte Lukjanow kürzlich<br />

beim European Council on Foreign Relations<br />

(ECFR) in Berlin.<br />

Wenn das so ist, stellt sich die Frage,<br />

ob ein Sanktionspaket wirken<br />

kann, das als Strafaktion gedacht<br />

ist – und Putins Versuche konterkariert,<br />

seinen Russen zu neuem<br />

Nationalstolz zu verhelfen. Nach<br />

Monaten der Manipulation<br />

durch die russischen Staatsmedien<br />

würden Putins Untertanen<br />

ein Einlenken des Kremls als<br />

schmachvolle Niederlage betrachten.<br />

Folglich sind die Möglichkeiten<br />

des Kremlchefs zu Konzessionen extrem<br />

begrenzt.<br />

DER ALTE NAHE OSTEN<br />

Vergangene Woche endete die Amtszeit<br />

von Israels 90-jährigem Staatspräsidenten<br />

Schimon Peres. Der hatte vor langer Zeit<br />

ein Szenario für einen „Neuen Nahen Osten“<br />

entwickelt, in dem Völker und Staaten<br />

nicht nur friedlich nebeneinander, sondern<br />

in enger wirtschaftlicher Kooperation miteinander<br />

leben: Israelischer Erfindergeist,<br />

levantinische Tüchtigkeit und ägyptische<br />

Weisheit verbinden sich mit arabischem<br />

Ölreichtum und schaffen eine prosperierende<br />

Weltgegend. Daraus ist bekanntlich<br />

nichts geworden. Viel hat das damit zu tun,<br />

dass den meisten Politikern im Nahen Osten<br />

alles Mögliche wichtiger ist als das wirtschaftliche<br />

Wohlergehen ihrer Völker.<br />

Dabei gibt es sogar im aktuellen Gaza-<br />

Konflikt noch Reste ökonomischer Realität.<br />

Als Bedingung für einen Waffenstillstand<br />

verlangen die Hamas-Herrscher unter anderem<br />

für ihre armselige Fischereiflotte<br />

freien Zugang aufs Mittelmeer, offene Handelsgrenzen<br />

zum Nachbarn Ägypten und<br />

Geld zur Bezahlung ihres aufgeblähten Beamtenapparats.<br />

Die Israelis ziehen da nicht<br />

mit, solange der ungezielte, aber permanente<br />

Beschuss ihres Staatsgebiets mit Raketen<br />

weitergeht. Immerhin hat dieser Beschuss<br />

erstmals seit Langem nicht nur das<br />

Alltagsleben vieler Israelis zum Albtraum<br />

gemacht, sondern auch die Wirtschaft des<br />

High-Tech-Landes getroffen.<br />

Und das vor allem, weil eine der vielen<br />

Hamas-Raketen in knapp zwei Kilometer<br />

Entfernung <strong>vom</strong> Flughafen Tel Aviv eingeschlagen<br />

ist. Für die meisten Fluglinien war<br />

das Grund genug, den mit Abstand wichtigsten<br />

israelischen Zivilflughafen eine<br />

Weile nicht mehr anzufliegen (siehe Seite<br />

28). Bis auf einen kleinen Touristenflughafen<br />

im Badeort Eilat und ein paar abgelegene<br />

Grenzübergänge nach Ägypten und<br />

»<br />

Ägypten<br />

Die innenpolitische<br />

Konfrontation<br />

wächst,<br />

das Elend auch<br />

22 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: BULLS/CATERS UK, PICTURE-ALLIANCE/DPA<br />

EUROPA<br />

Frau, Sozialdemokratin<br />

Die Wahl einer Hohen Beauftragten für Außenpolitik bietet die Chance<br />

zu einem Neustart der europäischen Außenpolitik. Wird sie genutzt?<br />

In knapp sieben Minuten sagte Frans Timmermans<br />

alles, was gesagt werden musste.<br />

Vergangene Woche beschrieb der<br />

niederländische Außenminister im UN-<br />

Sicherheitsrat in bewegenden Worten die<br />

Trauer, Wut und Verzweiflung seiner<br />

Landsleute nach dem Abschuss des zivilen<br />

Flugzeuges MH17 über der Ukraine. Der<br />

Sicherheitsrat verurteilte einstimmig den<br />

Vorfall – auch mit der Stimme Russlands.<br />

Timmermans, 53 Jahre alt und Sozialdemokrat,<br />

wäre eine ziemlich gute Besetzung<br />

für den bald vakanten Posten des<br />

Europäischen Außenvertreters. Der Niederländer<br />

spricht sechs Sprachen, darunter<br />

Russisch. Moskau und Brüssel kennt<br />

er aus Stationen seiner Diplomatenkarriere.<br />

Doch bei der Nachfolge von Europas<br />

Oberdiplomatin Catherine Ashton steht<br />

ihm sein Geschlecht im Weg. Gesucht<br />

wird derzeit eine Frau aus dem sozialdemokratischen<br />

Lager, aus „Imagegründen<br />

für Europa“, wie der französische Staatspräsident<br />

François Hollande sagt.<br />

STARKER AKTEUR<br />

Noch gibt es Hoffnung, dass diesmal das<br />

reine Proporzdenken hinten angestellt<br />

wird, das vor fünf Jahren eine unerfahrene<br />

Politikerin ins Amt brachte, die schlicht<br />

die drei Minimalanforderungen weiblich,<br />

britisch und sozialdemokratisch erfüllte.<br />

In Brüssel und auch den nationalen<br />

Hauptstädten wächst die Einsicht, dass<br />

die direkte Nachbarschaft der EU weit<br />

mehr Konfliktherde aufweist als bei der<br />

vorhergehenden Personalsuche. „Europa<br />

befindet sich in der exponiertesten und<br />

gefährlichsten Lage im Süden und Osten,<br />

an die ich mich erinnern kann“, sagt etwa<br />

der schwedische Außenminister Carl<br />

Bildt. Der künftige EU-Kommissionspräsident<br />

Jean-Claude Juncker ist nur einer<br />

von vielen, der in diesen Tagen einen<br />

„starken, erfahrenen Akteur“ auf dem<br />

Außen-Posten fordert.<br />

In der Vergangenheit hat sich die EU-<br />

Außenpolitik immer nur auf externen<br />

Druck hin entwickelt. „Bedrohungen von<br />

außen und Krisen waren immer der entscheidende<br />

Faktor“, sagt Analyst Stefan<br />

Lehne <strong>vom</strong> Thinktank Carnegie Europe,<br />

selbst lange im österreichischen diplomatischen<br />

Dienst. So reagierte die EU in den<br />

Der Ehrgeiz hält sich in Grenzen<br />

EU-Politiker Ashton (links), Barroso<br />

»Europa befindet<br />

sich in einer<br />

gefährlichen und<br />

exponierten Lage«<br />

Carl Bildt, Außenminister von Schweden<br />

Neunzigerjahren mit einer Gemeinsamen Sicherheits-<br />

und Außenpolitik (GASP) auf den<br />

Balkankrieg. Damals entschieden sich die<br />

Staats- und Regierungschefs für eine gewichtige<br />

Figur als GASP-Chef: den ehemaligen<br />

Nato-Generalsekretär Javier Solana.<br />

„Mit ihrer Personalauswahl werden die<br />

Staats- und Regierungschefs ein klares<br />

Zeichen geben, welchen Ehrgeiz sie in der<br />

Außenpolitik verfolgen“, sagt Lehne. Als es<br />

vor drei Jahren um den arabischen Frühling<br />

ging, war der Ehrgeiz nicht gerade groß. Damals<br />

verdrängte die Euro-Krise alle anderen<br />

Themen. Nachdem die EU das aktive Krisenmanagement<br />

hinter sich gelassen hat,<br />

können sich Staats- und Regierungschefs<br />

nun verstärkt Internationalem widmen.<br />

Zumal dem neuen EU-Kommissionspräsidenten<br />

Juncker ohnehin ein Neustart<br />

in der Außenpolitik vorschwebt: „Nach<br />

meiner Überzeugung können wir uns nicht<br />

damit zufriedengeben, wie unsere gemeinsame<br />

Außenpolitik bislang funktioniert.“<br />

Er will die EU-Politikbereiche wie<br />

Handel, Entwicklung, humanitäre Hilfe<br />

und Nachbarschaftspolitik stärker in die<br />

Außenpolitik integrieren. EU-Kommissionspräsident<br />

José Manuel Barroso hat<br />

dies bisher hintertrieben, weil er fürchtete,<br />

die Kommission könnte dabei Kompetenzen<br />

an den Europäischen Außendienst<br />

verlieren. Die magere Bilanz von Catherine<br />

Ashton geht nicht nur auf ihr eigenes<br />

Konto.<br />

FRÜHERE WELTMÄCHTE<br />

Ob der Neustart der EU-Außenpolitik gelingt,<br />

hängt entscheidend von den Mitgliedsländern<br />

ab, allen voran den großen.<br />

Von denen zeigte sich bisher nur Deutschland<br />

dem Projekt gegenüber wohlwollend.<br />

„Frankreich und Großbritannien sind frühere<br />

Weltmächte, in denen die eigene Außenpolitik<br />

zur nationalen Identität gehört“,<br />

beobachtet Analyst Lehne.<br />

Kompetenzen abzugeben fällt beiden Ländern<br />

schwer, zumal Großbritannien gerade<br />

nicht weiß, in welchem Verhältnis es<br />

zur EU überhaupt steht. Die alte Macht<br />

bröckelt allerdings: Beide Länder haben<br />

heute international weniger Einfluss als<br />

noch vor einem Jahrzehnt. Und so dürften<br />

sie bald größeres Interesse an einem gemeinsamen<br />

europäischen Vorgehen auf<br />

der internationalen Bühne haben.<br />

Ein erstes Indiz für ein Umdenken<br />

könnte Frankreichs Interesse am Außenposten<br />

sein. Offenbar ist Präsident Hollande<br />

sogar bereit, seinen bisherigen<br />

Kommissionskandidaten Pierre Moscovici<br />

zu opfern, um der früheren Europaministerin<br />

Elisabeth Guigou ims Amt zu verhelfen.<br />

Aktuell leitet die 67-Jährige den auswärtigen<br />

Ausschuss im französischen<br />

Parlament. Doch es gibt noch andere Anwärterinnen.<br />

Emma Bonnino, frühere italienische<br />

Außenministerin und als EU-<br />

Kommissarin einst für humanitäre Hilfe<br />

zuständig, hat ebenfalls Chancen. Eine<br />

Vertreterin eines großen Landes hätte zudem<br />

automatisch mehr Gewicht auf dem<br />

internationalen Parkett. Ex-Diplomat Lehne:<br />

„Das ist so – auch wenn es politisch<br />

nicht korrekt ist.“<br />

n<br />

silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 23<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Jordanien haben israelische Privatleute<br />

keinen anderen Weg ins Ausland als den<br />

Tel Aviver Flughafen.<br />

Der Schock der Flughafensperre wird<br />

freilich die israelische Friedensbegeisterung<br />

kaum fördern: Denn bei jedem<br />

denkbaren Friedensabkommen<br />

würde das Land die Kontrolle<br />

über Gebiete im<br />

Westjordanland verlieren, die<br />

in Luftlinie viel näher am Flughafengelände<br />

liegen als Gaza:<br />

nicht 80 Kilometer, sondern 15.<br />

Da wäre ein israelischer Rückzug<br />

allenfalls denkbar mit sehr<br />

verlässlichen Garantien der<br />

Staatengemeinschaft. Aber das klingt derzeit<br />

wie ein Widerspruch in sich.<br />

TODFEIND DER MUSLIMBRÜDER<br />

Denn der Gaza-Krieg hat ein Schlaglicht<br />

auf den katastrophalen Zustand geworfen,<br />

in welchem sich die gesamte Region derzeit<br />

befindet. Die Hamas-Palästinenser tun sich<br />

auch darum so schwer mit einem Waffenstillstand,<br />

weil der übliche Vermittler so gut<br />

wie ausfällt: Der neue ägyptische Präsident<br />

Abd al-Fattah as-Sisi ist ein Todfeind der<br />

Muslimbrüder im eigenen Land und damit<br />

auch der Hamas-Islamisten. Weil das aber<br />

so ist, erhöhen die Bilder <strong>vom</strong> Blutvergießen<br />

in Gaza die Gefahr neuer schwerer Unruhen<br />

in Ägypten selbst. Islamisten von Algerien<br />

im Westen bis Pakistan im Osten demonstrieren<br />

gegen Sisi und geben damit<br />

ihren Gesinnungsgenossen in Ägypten Auftrieb.<br />

Das größte Land der arabischen Welt<br />

kann darum das wirtschaftliche und soziale<br />

Chaos aus eigener Kraft nicht mehr überwinden<br />

und ist völlig <strong>vom</strong> finanziellen<br />

Großsponsor Saudi-Arabien abhängig.<br />

Womit die Krise dann doch auf die ölreiche<br />

arabische Halbinsel ausstrahlt. Der<br />

todkranke saudische König Abdullah hat<br />

vergangene Woche persönlich seinen<br />

Herrscherkollegen Tamim aus<br />

dem kleinen Emirat Katar ins Gewissen<br />

geredet, damit der die<br />

Hamas-Palästinenser von einem<br />

Waffenstillstand überzeugt. Katar<br />

nämlich finanziert den Gaza-<br />

Streifen aus islamistischer Solidarität,<br />

genau wie die unterdrückten<br />

Muslimbrüder in Ägypten.<br />

Weshalb Präsident Sisi den<br />

katarischen Emir hasst und lieber den Gaza-Steifen<br />

verkommen lässt, als unter katarischer<br />

Vermittlung seine Grenzen in diese<br />

Richtung zu öffnen.<br />

Aus europäischer Sicht mögen diese orientalischen<br />

Konflikte unwichtig wirken –<br />

sie sind es aber nicht. Der Zusammenbruch<br />

aller Kooperation in der arabischen<br />

Welt verhindert derzeit einen koordinierten<br />

Widerstand gegen das von allen verachtete<br />

und gefürchtete sogenannte Kalifat<br />

im Osten Syrien und im Nordwesten des<br />

Alle Konflikte<br />

in Nahost spielen<br />

den Terroristen<br />

in die Hände<br />

Iraks: Das sind die radikalsten der radikalen<br />

Islamisten, die mit Mord und Unterdrückung<br />

ein alle Grenzen überschreitendes<br />

Regime errichten wollen. Sogar die versprengten<br />

Erben Osama bin Ladens in Afghanistan<br />

und Pakistan finden das „Kalifat“<br />

und seinen „Islamischen Staat“ (Isis)<br />

zu radikal. Und der türkische Ministerpräsident<br />

Recep Tayyip Erdogan, der diese<br />

Leute bis vor ein paar Monaten in ihrem<br />

Kampf gegen Syriens Diktator Baschar al-<br />

Assad unterstützte, muss jetzt fürchten,<br />

dass ihre Bewegung sich in sein Land ausweitet:<br />

Erdogans relativ zivilisierter Islamismus<br />

ist den Radikalen viel zu zahm.<br />

Man kann das aus deutscher Sicht gelassen<br />

betrachten. „Allenfalls, wenn Isis den<br />

Südirak mit seinen Ölfeldern unter Kontrolle<br />

bekäme, würde es schlimm“, sagt<br />

Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen.<br />

Recht hat er, aber die Isis-Terroristen bedrohen<br />

nicht nur unsere Ölversorgung,<br />

sondern auch unsere alltägliche Sicherheit.<br />

Die Nachrichten über Isis-Rekruten<br />

aus Westeuropa, die in ihre Heimatländer<br />

zurückkehren und übelste Terrorakte planen,<br />

nehmen bedrohlich zu. Der Mordanschlag<br />

auf Besucher eines kleinen jüdischen<br />

Museums in Brüssel vor zwei Monaten<br />

war wahrscheinlich nur der Anfang.<br />

Eine neue Terrorwelle wäre für Europas<br />

Volkswirtschaften möglicherweise schlimmer<br />

als ein steigender Ölpreis. „Wir machen<br />

nur gute Geschäfte, wenn China, die<br />

USA und auch Europa optimistisch in die<br />

Zukunft schauen“, sagt Gerhard Handke<br />

<strong>vom</strong> BGA. Wir reden über mögliche psychologische<br />

Folgen der Kriege in unseren<br />

Nachbarregionen – der Optimismus könnte<br />

aber noch mehr unter einer Welle des<br />

Terrors in Europa leiden.<br />

Türkei<br />

Auch Mauern<br />

schützen nicht<br />

vor dem Chaos<br />

bei den Nachbarn<br />

WAS DIE ÖKONOMEN SAGEN<br />

Zur Beruhigung ist also wenig Anlass,<br />

selbst wenn man an konjunkturelle Auswirkungen<br />

der Kriege an der europäischen<br />

Peripherie nicht glauben mag. Immerhin<br />

hat der Aufschwung in Deutschland schon<br />

ganz ohne Ukraine und Gaza an Schwung<br />

verloren. Nachdem die deutsche Wirtschaft<br />

in den ersten drei Monaten des Jahres<br />

noch um 0,8 Prozent gegenüber dem<br />

Vorquartal zulegen konnte, stagnierte das<br />

BIP vermutlich im zweiten Quartal 2014,<br />

wie die Deutsche Bundesbank warnt. Ökonomen<br />

wie Jörg Krämer, Chefvolkswirt der<br />

Commerzbank, halten gar ein leichtes BIP-<br />

Minus für wahrscheinlich.<br />

Aber auch unter diesen Vorzeichen hofft<br />

Commerzbank-Volkswirt Ralph Sol-<br />

»<br />

FOTO: ACTION PRESS/ABACA PRESS<br />

24 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

veen, viel schlimmer werde es wegen<br />

der weltpolitischen Verwerfungen nicht<br />

kommen. Der Nahe Osten sei wirtschaftlich<br />

sehr weit weg, und bezüglich Russlands<br />

spiele „die Vorstellung, was denn wäre,<br />

wenn das Gas ausbliebe, keine Rolle“.<br />

Auf politische Schreckensmeldungen<br />

könnte am ehesten die Börse reagieren.<br />

Dass dadurch aber auch die Konjunktur<br />

empfindlich leiden würde, hält Solveen für<br />

unwahrscheinlich. Selbst wenn der Dax in<br />

der Folge von Kriegen und politischen Katastrophen<br />

schwere Verluste erleiden sollte,<br />

wäre die realwirtschaftliche Auswirkung<br />

in der heutigen Situation sehr gering –<br />

„Sand im Getriebe“, um mit Michael Hüther<br />

zu sprechen, dem Direktor des Instituts<br />

der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.<br />

Die Sorge wächst<br />

SANKTIONEN | In der Ukraine-Krise kam die deutsche Wirtschaft<br />

bisher glimpflich davon. Doch vor allem bei Energie- und Logistikunternehmen<br />

spitzt sich die Furcht vor Sanktionen zu.<br />

GLOBALE DYNAMIK<br />

„Seit 2010 ist doch auffällig, dass die globale<br />

ökonomische Dynamik eine Dynamik<br />

der Industrieländer ist“, sagt Hüther. Allenfalls<br />

China spiele da eine Rolle wie Nordamerika<br />

und Europa; Länder wie der Iran<br />

und Indien, selbst die Türkei, haben an<br />

Schwung verloren.<br />

Aber was sind die vielleicht psychologischen<br />

Auswirkungen großer politischer<br />

Krisen und der damit verbundenen Unsicherheit?<br />

Hüther erinnert sich noch lebhaft<br />

an die Tage und Wochen nach dem 11.<br />

September 2001, dem Schock-Zustand der<br />

Menschheit. Aber „ab November 2001 ging<br />

es weltweit doch wieder Richtung Stabilisierung<br />

– das war ein schrecklicher Schock,<br />

aber das hat die Weltwirtschaft, hat Kapital-<br />

und Handelsströme nicht verändert“.<br />

Also Entwarnung, nur weil Flugzeugabsturz<br />

und das Elend in Gaza unserer Konjunktur<br />

nicht schaden? Das wäre ein verführerischer<br />

Fehlschluss mit üblen außenund<br />

sicherheitspolitischen Konsequenzen.<br />

Im Konflikt zwischen der Ukraine und<br />

Russland sind die Regierungen in Berlin<br />

und den westeuropäischen Hauptstädten<br />

doppelt gefragt: als Vermittler zwischen<br />

Moskau und Kiew, aber auch als natürliche<br />

Verbündete der Demokraten in der Ukraine<br />

und der pragmatischen Russen, die von<br />

Großmachtträumen nichts halten. Und<br />

ganz ähnlich, nur noch komplizierter, sieht<br />

es im Nahen Osten aus, wo zum Gegensatz<br />

der politischen Akteure noch die wachsende<br />

Gefahr des Terrorismus kommt. Die<br />

Wirtschaft kann da allenfalls unterstützend<br />

mitwirken: Wer miteinander handelt,<br />

schießt meistens nicht auf den anderen. n<br />

hansjakob.ginsburg@wiwo.de, florian willershausen,<br />

max haerder | Berlin, bert losse<br />

Mein Feld ist die Welt“, das Motto der<br />

Großreederei Hapag-Lloyd ist<br />

auch Leitspruch des Hamburger<br />

Hafens. Das zeigen schon die Straßennamen:<br />

Der Kamerunweg liegt neben der India-<br />

und Australiastraße, der Chicagokai<br />

unweit der Koreastraße. Und an den Elbbrücken<br />

wird der Hafenbesucher von einem<br />

Übersee-Zentrum begrüßt.<br />

Die Straßennamen sagen nicht alles. So<br />

finden sich keine russischen Namen an<br />

den Kaianlagen des „Tors zur Welt“. Doch<br />

„die russischen Kunden schätzen die Qualitätsstandards<br />

in Hamburg“, sagt Natalia<br />

Kapkajewa, Repräsentantin des Hafens in<br />

St. Petersburg. Nicht nur deshalb ist Russland<br />

zweitgrößter Handelspartner des<br />

Hamburger Hafens, sorgt für doppelt so<br />

viel Fracht wie die USA.<br />

Nur nicht auffallen, lautet deswegen die<br />

Devise der deutschen Wirtschaft im drohenden<br />

Wirtschaftskrieg zwischen den<br />

USA, der EU und Russland. Bisher hatten<br />

die von der EU verhängten Sanktionen<br />

kaum Auswirkungen auf den Warenverkehr<br />

Russland ist zweitgrößter Kunde<br />

Container im Hamburger Hafen<br />

mit Putins Reich. Doch vor allem die USA<br />

drängen auf deutlich schärfere Reaktionen.<br />

Werden also die Schrauben jetzt noch einmal<br />

angezogen? Die Sorge in den Chefetagen<br />

der Unternehmen, die es betreffen<br />

könnte, ist groß. „Das Problem liegt nicht<br />

mal mehr vor unserer Tür, sondern bereits<br />

mitten im Treppenhaus“, sagt der Manager<br />

eines Hamburger Öl- und Gashändlers.<br />

KOPF IN DEN SAND<br />

Schon jetzt macht die Krise dem Hamburger<br />

Hafenbetrieb HHLA mächtig zu schaffen.<br />

Die HHLA hat einen eigenen Terminal<br />

im Schwarzmeerhafen Odessa und büßt<br />

dort einen Großteil des Geschäfts ein. Wie<br />

hoch der Schwund ist, will bei der HHLA<br />

keiner sagen, „wir veröffentlichen keine<br />

Zahlen pro Terminal“, sagt ein HHLA-Manager.<br />

Aber auch wegen der Ukraine-Krise<br />

sank der Gewinn des ersten Quartals bereits<br />

um knapp 14 Prozent auf gut 19 Mil-<br />

FOTO: LAIF/MICHAEL LANGE<br />

26 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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lionen Euro. Die Zahlen für das zweite<br />

Quartal, die im August veröffentlicht werden,<br />

zeigen wohl die Fortsetzung des<br />

Trends, erwartet ein Hafeninsider. Genauere<br />

Zahlen zum Russland-Geschäft<br />

werden nicht herausgegeben. „Wir fassen<br />

das Russland-Geschäft im Ostsee-Verkehr<br />

zusammen“, heißt es beschwichtigend.<br />

Das System „Kopf in den<br />

Sand“ wird auch 600 Kilometer<br />

weiter südlich, mitten im<br />

Schwabenland, angewandt. Vorvergangene<br />

Woche kam beim<br />

drittgrößten deutschen Energiekonzern<br />

Energie Baden-Württemberg<br />

(EnBW) die Nachricht<br />

an, der wichtigste Handelspartner<br />

der Schwaben, die Novatek,<br />

stehe auf der Sanktionsliste der USA. Das<br />

russische Außenhandelsunternehmen<br />

fördert selbst und vermarktet Erdgas von<br />

Gazprom im westlichen Ausland. Mit<br />

EnBW hat es einen langlaufenden Rahmenvertrag<br />

über sechs Milliarden Euro<br />

abgeschlossen. Der Zehn-Jahres-Liefervertrag<br />

sichert EnBW ein Drittel seines<br />

Gasbedarfs. Nun sind die Novatek-Konten<br />

in den USA eingefroren, die Manager des<br />

Unternehmens haben dort Einreiseverbot.<br />

Novatek erklärte vorige Woche, die <strong>vom</strong><br />

US-Finanzministerium veröffentlichten<br />

Sanktionen hätten „keine unmittelbaren<br />

Auswirkungen auf bestehende Geschäftsbeziehungen“.<br />

Und trotzig heißt es in Stuttgart:<br />

„Die US-Regierung kann uns nicht<br />

verbieten, unsere Vertragsverpflichtungen<br />

mit Novatek zu erfüllen.“ Erleichtert<br />

heißt es bei der EnBW,<br />

der Versorger betreibe „keine<br />

Geschäfte in den USA“, könne<br />

also für Geschäftsbeziehungen<br />

mit Novatek auch nicht bestraft<br />

werden.<br />

Die Sorglosigkeit könnte sich<br />

als Trugschluss erweisen. Denn<br />

„Novatek wird nun wichtige<br />

westliche Banken als Vorfinanzierer von<br />

Großprojekten, wie zum Beispiel dem<br />

Pipelinebau, verlieren“, sagt ein Frankfurter<br />

Banker. Die Moskauer Wirtschaftszeitung<br />

„Wedomosti“ meldete bereits, dass<br />

westliche Banken in ihren Kreditverträgen<br />

mit russischen Unternehmen Passagen<br />

aufgenommen hätten, dass Kredite im Fall<br />

der Verhängung von Sanktionen fällig gestellt<br />

werden.<br />

Eine US-Bank hat die Finanzierung der<br />

Gasförderung auf der sibirischen Jamal-<br />

Halbinsel zurückgezogen. Hauptbetreiber:<br />

Novatek. Der Energiekonzern könnte deswegen<br />

seine Preise gegenüber westlichen<br />

Handelspartnern empfindlich anheben.<br />

REICHE KUNDEN<br />

Sehr zurückhaltend agieren derzeit die<br />

deutschen Banken. Sie haben 17 Milliarden<br />

Euro in Russland verliehen. Damit<br />

sind sie weniger engagiert als Banken aus<br />

Frankreich (38 Milliarden Euro) und Italien<br />

(22 Milliarden Euro). Das Geld steckt zwar<br />

vor allem in langlaufenden Krediten, die<br />

Deutsche Bank ist zudem in der Vermögensverwaltung<br />

für reiche russische Kunden<br />

aktiv. Im Fokus der Politik steht aber<br />

vor allem die staatliche Förderbank KfW,<br />

sie hat 2,1 Milliarden Euro in Russland ausstehen,<br />

vor allem in Energieprojekten. Da<br />

die Bank dem Bund gehört, könnten die<br />

Amerikaner über die Bundesregierung<br />

Druck machen, das KfW-Geschäft in Russland<br />

zu reduzieren oder einzustellen.<br />

In der EU ist längst die Aktion Schadenbegrenzung<br />

angelaufen. Beim Treffen der<br />

EU-Außenminister Mitte vergangener »<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

KRISEN<br />

Fliegender<br />

Frühindikator<br />

Unruhen, Terror, Sanktionen: Immer<br />

trifft es Fluglinien schneller<br />

und härter als andere Branchen.<br />

Im Kontrollzentrum der Lufthansa am<br />

Frankfurter Flughafen war es Dienstag<br />

vergangener Woche fast so ruhig wie<br />

sonst. Zwar strich der Konzern alle<br />

Flüge in die israelische Metropole Tel<br />

Aviv, nachdem dort nahe des Flughafens<br />

eine Rakete eingeschlagen war.<br />

Doch die Mitarbeiter haben Routine.<br />

Weil die Zahl der Krisenherde zunimmt,<br />

bauen sie praktisch monatlich den Flugplan<br />

um.<br />

Ob Unruhen, Bomben oder Sanktionen:<br />

„Politische Krisen treffen uns Airlines<br />

sofort“, so Tony Tyler. Chef des<br />

Weltluftfahrtverbands Iata. Nach den<br />

Terroranschlägen <strong>vom</strong> 11. September<br />

2001 verleideten die anhaltende Unsicherheit<br />

und die danach eingeführten<br />

extrem aufwendigen Sicherheitskontrollen<br />

Passgieren monatelang das Fliegen.<br />

UNSICHERE REGIONEN<br />

Ähnlich trifft es die Branche, wenn Krisen<br />

eskalieren. Zwar sind Routen in unsichere<br />

Regionen wie die Ukraine oder<br />

den Mittlere Osten lukrativ, weil hier vor<br />

allem Geschäftsreisende, Berater oder<br />

Mitarbeiter von NGOs reisen. Doch als<br />

etwa in Ägypten die Proteste oder in Syrien<br />

der Bürgerkrieg eskalierte, haben<br />

weltweit aktive Linien wie Lufthansa die<br />

Flüge schnell storniert, weil Zweifel an<br />

der Sicherheit Kunden auch im Rest ihres<br />

Netzes vertreibt. Denn die Kosten<br />

sind hoch. Auch wenn die Stornos wegen<br />

höherer Gewalt erfolgen, erstatten<br />

die Airlines den Kunden ihre Tickets.<br />

Doch die Kosten laufen weiter, wie Gehälter<br />

oder Flugzeugmieten.<br />

Die Kriterien ändern sich dabei oft<br />

ebenso schnell wie die Lage. So hätte<br />

der Raketeneinschlag in Tel Aviv zwar in<br />

jedem Fall alle Fluglinien alarmiert.<br />

„Doch ohne den Abschuss des Malaysia-Airlines-Flugs<br />

in der Ukraine wären<br />

die Flüge vielleicht nicht sofort abgesagt<br />

worden“, sagt ein Insider.<br />

ruediger.kiani-kress@wiwo.de<br />

»<br />

Woche ging es weniger um die Frage, wie<br />

man Russland unter Druck setzen könne –<br />

sondern vielmehr um das Abbiegen von<br />

Sanktionen, die national bedeutende Branchen<br />

treffen könnten. Die französische Regierung<br />

versuchte im Sinne der Pariser Industrielobby<br />

nach Kräften, ein durchaus<br />

plausibles Embargo für Waffenlieferungen<br />

zu verhindern: Die Staatswerft DCNS hätte<br />

sonst die Auslieferung zweier Hubschrauberträger<br />

an die russische Marine stoppen<br />

müssen. In Italien regte sich Widerstand<br />

gegen Sanktionen gegen Konzerne wie<br />

Gazprom, mit denen die Versorger Eni und<br />

Enel verbandelt sind. In Deutschland<br />

fürchtete Siemens, die <strong>vom</strong> Putin-Vertrauten<br />

Wladimir Jakunin geleitete Staatsbahn<br />

RZD könnte auf die Sanktionsliste geraten –<br />

und die Deutschen beim mehrere Milliarden<br />

teuren Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken<br />

übergehen.<br />

Unter Druck steht auch British Petroleum<br />

(BP). Der Londoner Ölriese ist mittels<br />

Überkreuzbeteiligung mit dem russischen<br />

Staatskonzern Rosneft verbunden, seit beide<br />

im Oktober 2012 einen spektakulären<br />

Deal abschlossen: Rosneft übernahm für<br />

insgesamt gut 60 Milliarden Dollar den<br />

profitablen privaten Wettbewerber TNK-<br />

BP – die Briten ließen sich ihr 50-Prozent-<br />

Paket mit 17,1 Milliarden Dollar in bar und<br />

knapp 13 Prozent der Rosneft-Aktien versilbern.<br />

Seither intensiviert BP die strategische<br />

Zusammenarbeit mit Rosneft, wo der<br />

als staatskapitalistischer Hardliner bekannte<br />

Putin-Intimus Igor Setschin das Sagen<br />

hat. In den nächsten Tagen wird die EU<br />

darüber befinden, ob Rosneft auf die Sanktionsliste<br />

gesetzt wird. Für BP wäre es das<br />

Aus einer Geschäftsbeziehung, die dem<br />

Ölkonzern aus der Misere nach Milliardenverlusten<br />

helfen sollte.<br />

Starkes Engagement<br />

Deutsche Direktinvestitionen in Russland<br />

(in Milliarden Euro)<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

2000 2012<br />

Quelle: Deutsche Bundesbank<br />

Empfindlich würden Sanktionen auch<br />

die Lufthansa treffen. Denn auf den Linien<br />

nach Osten lebt die Fluglinie von Geschäftsleuten.<br />

„Wie lange Verhandlungen<br />

mit russischen Geschäftspartnern dauern,<br />

ist in der Regel nur schwer absehbar“, so<br />

ein Manager bei Luftfahrtkonzern Airbus<br />

Group. Für diese Flexibilität zahlt die<br />

Klientel mit bis zu 2000 Euro pro Reise ein<br />

Vielfaches dessen, was Privatreisende für<br />

ihre Tickets ausgeben.<br />

BANGE GEFÜHLE<br />

Es gibt nur wenige Unternehmen, die immer<br />

noch hoffen, die Lage könnte sich entspannen.<br />

Zu ihnen gehört der Düsseldorfer<br />

Konzern Henkel (Persil, Pril). Der<br />

Mischkonzern legte im ersten Quartal 2014<br />

beim Umsatz in Russland, der eine Milliarde<br />

Euro beträgt, sogar noch zu. Der dänische<br />

Henkel-Chef Kasper Rorsted erteilt allen<br />

Sanktionshysterien eine Absage: „Russland<br />

hat eine große Zukunft.“<br />

Mit bangen Gefühlen beobachtet dagegen<br />

Fraport-Chef Stefan Schulte die Lage in<br />

Russland. Europas größter Flughafenbetreiber<br />

hat im vergangenen Jahr 135 Millionen<br />

Euro in ein neues Terminal am Flughafen<br />

St. Petersburg gesteckt. „Wenn das<br />

Wachstum nachlässt und vor allem weniger<br />

Geschäftsreisende und Touristen fliegen,<br />

könnte das Investment zum Zuschussgeschäft<br />

werden“, fürchtet ein Insider.<br />

Die erhofften großzügigen Einkäufe<br />

von Luxusartikeln in den Duty-free-Shops<br />

an den Airports würden dann in St. Petersburg<br />

nicht mehr stattfinden – und für die<br />

Frankfurter Flughafenbetreiber der Rubel<br />

nicht mehr rollen.<br />

n<br />

andreas.wildhagen@wiwo.de,<br />

florian willershausen | Berlin, cornelius welp | Frankfurt,<br />

ruediger kiani-kress, mario brueck<br />

Kräftiger Einbruch<br />

Deutsche Exporte nach Russland<br />

(in Milliarden Euro)<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2010 2011 2012 2013 14<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt<br />

28 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS TRUSCHEL; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />

Reise ohne Kompass<br />

FRANK-WALTER STEINMEIER | Der Bundesaußenminister sucht nach<br />

seiner Rolle bei der Lösung blutiger Kriege und Konflikte.<br />

Für die bislang weiteste Reise dieser<br />

Amtszeit hat sich Frank-Walter Steinmeier<br />

frühmorgens aus dem Staub<br />

gemacht. Um kurz vor acht hebt am 17. Juli<br />

sein Regierungsflieger gen Mexiko ab, ein<br />

gutes Dutzend Wirtschaftsleute ist an Bord.<br />

Der SPD-Außenminister will zeigen, dass<br />

er die Interessen der Wirtschaft ernst<br />

nimmt. Der Tross kommt aber nur bis Kanada<br />

– da hat die Ukraine-Krise den deutschen<br />

Chefdiplomaten schon wieder eingeholt.<br />

Im Osten des Landes ist ein Passagierjet<br />

der Malaysia Airlines mit fast 300<br />

Menschen an Bord abgestürzt,<br />

womöglich abgeschossen von<br />

prorussischen Rebellen.<br />

Bohrende Fragen dazu warten<br />

schon, als Steinmeier in Mexiko-<br />

Stadt dem Airbus Theodor Heuss<br />

entsteigt. Seltsam abwesend<br />

wirkt er kurz darauf bei einer Zeremonie<br />

für die Erweiterung eines<br />

BMW-Werks. In Gedanken,<br />

Steinmeiers Blick verrät es, ist er bei dem<br />

blutigen Konflikt an Europas Grenze. Die<br />

Krise ist auch ein Test für die deutsche Diplomatie,<br />

der er anlässlich einer Grundsatzrede<br />

in München im Februar im Duett<br />

mit Bundespräsident Joachim Gauck mehr<br />

„Verantwortung für die Welt“ verordnet hat.<br />

Aufbruch ins Ungewisse Frank-Walter Steinmeier<br />

auf der Treppe zum Regierungsflieger<br />

Mehr Verantwortung – wie geht das? Für<br />

den Ernstfall hat Steinmeier keinen Kompass.<br />

Noch hat die Bundesregierung die<br />

neue Richtung gar nicht definiert, da marschiert<br />

Steinmeier schon im Eiltempo voran.<br />

Er stemmt sich gegen harte Sanktionen<br />

für Russland, wie sie die USA von Europa<br />

fordern – und hält stoisch Gesprächskanäle<br />

mit Russland offen. „Auch wenn wir<br />

den Druck auf Russland erhöhen, dürfen<br />

wir den Kontakt zur russischen<br />

Regierung nie abreißen lassen“,<br />

sagt Steinmeier zur Wirtschafts-<br />

Woche. Allerdings müsse Moskau<br />

sein Verhalten ändern und<br />

zur Deeskalation beitragen.<br />

„Mehr Diplomatie wagen“,<br />

könnte man Steinmeiers Ansatz<br />

nennen, der als Abgrenzung<br />

zur säbelrasselnden US-Politik<br />

verstanden werden kann.<br />

Was aber, wenn der schwer auszurechnende<br />

russische Präsident Wladimir Putin<br />

nur mit einem scharfen Embargo oder gar<br />

Gewalt zu stoppen ist? Steinmeiers Reputation<br />

wäre dahin, in der Kritik steht er jetzt<br />

schon. „Schafft er es dagegen, zu vermitteln,<br />

könnten sich die Deutsche mit ihrem<br />

hartnäckigen Primat der Diplomatie international<br />

Respekt verschaffen“, sagt Eberhard<br />

Sandschneider, Forschungsdirektor<br />

der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige<br />

Politik (DGAP). Und das sogar, ohne es sich<br />

mit dem eher pazifistischen Wahlvolk zu<br />

verscherzen.<br />

Davon dürfte die deutsche Wirtschaft<br />

ebenso profitieren. Außerhalb der EU haben<br />

immer mehr Unternehmen Ärger mit<br />

korrupten Bürokraten oder protektionistischen<br />

Gesetzen, hier können Diplomaten<br />

im Kleinen helfen. In der großen Politik<br />

könnten die Deutschen mit einer großen<br />

Portion Glaubwürdigkeit dem Freihandel<br />

neues Leben einhauchen – auch das ist ein<br />

Ziel „im Amt“ unter Führung des ambitionierten<br />

Frank-Walter Steinmeier. Der Trierer<br />

Politologe Hanns Maull spricht von der<br />

„ungewöhnlichen Fähigkeit“ der deutschen<br />

Außenpolitik, „Koalitionen mit anderen<br />

Akteuren zu schmieden und zu führen,<br />

ohne dominieren zu wollen“. Allerdings<br />

müsse man wissen, was man will.<br />

Das weiß niemand so recht. Der strategische<br />

Überbau von Steinmeiers neuer Außenpolitik<br />

fehlt. Bislang ist unklar, ob sich<br />

Deutschland nur als Schiedsrichter bei<br />

Konflikten versteht oder eingreifen würde –<br />

auch wenn der Einsatz zur Friedenssicherung<br />

zuletzt in Afghanistan krachend gescheitert<br />

ist. Offen ist, welche Rolle die<br />

Bundeswehr in der Außen- und Sicherheitspolitik<br />

künftig spielen soll. Wovon die<br />

Beschaffung von Drohnen abhängt, die der<br />

Wähler nicht will. Letzterer ist laut Umfragen<br />

sowieso mehrheitlich der Meinung,<br />

dass sich Deutschland bei internationalen<br />

Krisen „eher zurückhalten“ möge.<br />

AM ROCKSAUM<br />

Immerhin hat die Bundesregierung erkannt,<br />

dass die Deutschen in einer multipolaren<br />

Welt nicht am Rocksaum der Amerikaner<br />

kleben können, zumal die verstärkt<br />

nationale denn transatlantische Interessen<br />

verfolgen. Europa ist zwar wirtschaftspolitisch<br />

groß genug, um China oder den USA<br />

auf Augenhöhe zu begegnen, außen- und<br />

sicherheitspolitisch nimmt die Welt den<br />

28-Stimmen-Chor der Europäer aber nicht<br />

ernst. Was das Ausland konkret von<br />

Deutschland erwartet, will Frank-Walter<br />

Steinmeier mit einem Experiment namens<br />

Review herausfinden. Bis Ende des Jahres<br />

werden Experten aus aller Welt nach ihrer<br />

Meinung gefragt – im Frühjahr sollen die<br />

dann in eine außenpolitische Strategie einfließen.<br />

Das ist weltweit einmalig und<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 29<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

spricht für die Offenheit der Deutschen.<br />

Egal, wohin die Reise geht – schon jetzt hat<br />

Frank-Walter Steinmeier die Diplomatie<br />

aus ihrem Dornröschenschlaf geküsst:<br />

Selbstbewusstsein kehrt zurück, denn mit<br />

Steinmeiers Comeback erobern sich die<br />

Diplomaten ihre Deutungshoheit über außenpolitische<br />

Themen zurück; zuvor hatten<br />

sie moniert, Christoph Heusgen baue<br />

sich als Berater der Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel (CDU) ein „Neben-Außenministerium“<br />

auf. Dies lag auch daran, dass der<br />

vormalige Außenamtschef Guido Westerwelle<br />

(FDP) auf dem internationalen Parkett<br />

stets blass geblieben war. Zwar konnte<br />

er auch auf Englisch gut reden, ein echter<br />

Vermittler ist er aber nie geworden: In Konfliktlagen<br />

zeigte sich das Auswärtige Amt<br />

oft empört und verurteilte schnell – und<br />

dabei blieb es stets. Derlei Verbalblamagen<br />

sind unter Steinmeier selten geworden.<br />

Überhaupt wirkt Steinmeier wesentlich<br />

unverkrampfter als Westerwelle, der gleich<br />

zu Beginn seiner Amtszeit unberechtigt der<br />

Bevorzugung von FDP-Spezis bei Ministerreisen<br />

bezichtigt wurde (und danach oft<br />

gar keine Unternehmer mehr mit auf Reisen<br />

nahm). Der neue alte Außenminister<br />

nimmt bei jeder zweiten Reise Geschäftsleute<br />

Huckepack. Die Mexiko-Reise wirkt<br />

wie ein Erholungsaufenthalt für Steinmeier:<br />

Wirtschaftlich läuft es rund in diesem<br />

relativ offenen Land, wo 1700 deutsche Unternehmen<br />

investiert sind. „Mexiko ist als<br />

Brücke zwischen Nord- und Südamerika<br />

ein geradezu idealer Standort für deutsche<br />

Unternehmen“, sagt Steinmeier. „Unsere<br />

Interessen überschneiden sich in vielen<br />

Bereichen, etwa in der Klima- oder Handelspolitik.“<br />

Auf solche Bündnisse kommt<br />

es schließlich an in einer Zeit, da die Werte-<br />

und Regelsetzungsdominanz des Westens<br />

vorbei ist. Anders als Westerwelle<br />

lockt Steinmeier dass Bad in der Menge<br />

nicht, das Bierzelt ist dem Tischlersohn aus<br />

Ostwestfalen stets fremd geblieben. „Seinem<br />

Naturell entspricht es eher, stundenlang<br />

nach Kompromissen zu suchen“, sagt<br />

Volker Perthes, der ihn als Direktor der Stiftung<br />

Wissenschaft und Politik gut kennt.<br />

Zusehends fühlt sich Steinmeier wohler,<br />

als am zweiten Reisetag die Ukraine-Lage etwas<br />

sortierter ist. Sein Tross ist in die Provinz<br />

Guanajuato geflogen, wo er die neue Nivea-<br />

Fabrik von Beiersdorf eröffnet. Noch am<br />

Flughafen hat er sich den Schlips <strong>vom</strong> Hals<br />

gerissen, als ihn der braun gebrannte Gouverneur<br />

überaus leger begrüßt. Nun klam-<br />

Erholsamer Aufenthalt Steinmeier mit<br />

kleinen Mexikanern<br />

mert sich der Minister mit beiden Händen<br />

ans Rednerpult und sagt: „Die Fernsehzuschauer<br />

sehen mich ja meist, wenn ich in<br />

Krisengebiete reise. Aber ich bin froh, hier<br />

zu sein, denn hier bin ich am richtigen<br />

Platz.“ Bei Investoren wie Beiersdorf sehe<br />

man nämlich, wie „zwei Nationen an ihrer<br />

gemeinsamen Zukunft arbeiten“. Am Ende<br />

drückt Steinmeier auf den Start-Button und<br />

wundert sich ein bisschen, als ein Ton ertönt<br />

und hinter ihm wirklich das Band anläuft.<br />

DEUTSCHES MODELL<br />

In Europa ist es nicht so leicht wie hier,<br />

Dinge in Bewegung zu setzen. Es war ein<br />

Gedanke aus Steinmeiers erster Amtszeit,<br />

Russland über eine Modernisierungspartnerschaft<br />

politisch enger zu binden. Wenn<br />

ein autoritäres Land über weiche Faktoren<br />

wie Technologietransfer oder Berufsausbildung<br />

die Vorzüge des „deutschen Modells“<br />

kennenlernt, so das Kalkül damals,<br />

wird das auch auf die Politik abfärben. Diese<br />

„Wandel durch Handel“-Theorie, die auf<br />

die SPD-Ostpolitik zu Sowjetzeiten zurückgeht,<br />

nahm die Wirtschaft als Persilschein<br />

für Geschäfte in Autokratien dankend an.<br />

Heute gibt sich Steinmeier in Mexiko keine<br />

Mühe mehr, die Beziehungen mit den<br />

Prädikaten „strategisch“ oder „Modernisierung“<br />

zu versehen. In der Russlandpolitik<br />

ist das klug gedachte Konzept gescheitert –<br />

und eine Konsequenz ist die Ukraine-Krise,<br />

die den Minister bis ins fast 10 000 Kilometer<br />

entfernte Mexiko verfolgt.<br />

n<br />

florian.willershausen@wiwo.de<br />

Ständig auf Achse<br />

Auslandsreisen von Bundesaußenminister<br />

Frank-Walter Steinmeier<br />

Norwegen<br />

(ohne EU-Ministertreffen) 1 Großbritannien(2)<br />

USA<br />

Mexiko<br />

Belgien(2)<br />

Frankreich (6)<br />

Spanien<br />

Schweiz<br />

Italien (3)<br />

Griechenland<br />

Katar<br />

VAE 6<br />

Baltikum<br />

Polen<br />

Russland 2 (2)<br />

Österreich<br />

Bosnien u. H. 5<br />

Ukraine 4 (4)<br />

Moldawien 3<br />

Georgien 3<br />

Türkei<br />

Libanon<br />

Israel (2)<br />

Palästina<br />

Mongolei<br />

China<br />

Japan<br />

Krisendiplomatie,<br />

Friedenssicherung,<br />

humanitäre Hilfe<br />

Wirtschaftsförderung<br />

Beziehungspflege<br />

Tunesien 3<br />

Äthiopien<br />

Angola<br />

Tansania<br />

1 Mehrfachbesuche in Klammern; 2 im Juni mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski; 3 mit dem französischen Außenminister Laurent Fabius;<br />

4 im Februar mit den Außenministern Frankreichs und Polens; 5 Bosnien und Herzegowina; 6 Vereinigte Arabische Emirate; Quelle: Auswärtiges Amt, eigene Recherchen<br />

FOTO: PHOTOTHEK/THOMAS KÖHLER<br />

30 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

Hasenfuß-Rennen<br />

GELDANLAGE | Wie Anleger ihr Aktiendepot absichern, warum Gold<br />

in Krisenzeiten der ideale Wertspeicher ist.<br />

ons höhere Wachstumsaussichten bei einer<br />

ähnlichen Bewertung wie der Dax versprach.<br />

In der Tat kletterten die durchschnittlichen<br />

Erträge der MDax-Unternehmen<br />

von 2009 bis 2013 etwa doppelt so<br />

stark wie die der Dax-Unternehmen.<br />

FOTO: REUTERS/BRENDAN MCDERMID; ILLUSTRATION: DMITRI BROIDO<br />

Die Anleger an den Börsen erinnerten<br />

ihn an die Akteure beim „Hasenfuß-<br />

Rennen“ im James-Dean-Klassiker<br />

„...denn sie wissen nicht, was sie tun“,<br />

warnt Analyst Markus Reinwand von der<br />

Helaba in Frankfurt. Im Film rasen junge<br />

Männer in gestohlenen Autos auf eine<br />

Klippe zu. Wer zuerst aus dem Wagen<br />

springt, ist der Hasenfuß. Die meisten Akteure<br />

glaubten aktuell offenbar daran,<br />

rechtzeitig abspringen zu können.<br />

AUFWÄRTS MIT ANGST<br />

Reinwald macht das an Daten aus der<br />

jüngsten Investoren-Umfrage der Investmentbank<br />

BoA Merrill Lynch fest: Danach<br />

ist der Anteil der überproportional in Aktien<br />

engagierten Investoren mit 61 Prozent<br />

der zweithöchste der vergangenen 13 Jahre.<br />

Und dennoch liegt der Anteil der Anleger,<br />

die Aktien für zu teuer halten, auf dem<br />

höchsten Wert seit dem Crash-Mai 2000.<br />

„Angesichts einer überdurchschnittlich<br />

langen Phase ohne nennenswerte Kurskorrekturen<br />

unterliegen offenbar immer mehr<br />

Marktteilnehmer der sogenannten Kontrollillusion“,<br />

schlussfolgert der Analyst in<br />

seiner Studie von Mitte Juli.<br />

Verschärft sich die weltpolitische Krisenlage,<br />

springen die Investoren ab. Aber danach,<br />

so scheint es, geht das Rennen in die<br />

nächste Runde. Die Hausse im Dax indes<br />

steht auf zunehmend brüchigem Funda-<br />

Wer zuckt zuerst? Händler auf dem Parkett<br />

der New York Stock Exchange<br />

ment, getragen vor allem von billigem<br />

Geld, niedrigen Zinsen und der Alternativlosigkeit<br />

von Aktien. Angesichts ausgereizter<br />

Bewertungen dominierten inzwischen<br />

klar die Kursrisiken, warnt Reinwand. Das<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der Dax-<br />

Werte auf Basis der von Analysten für 2014<br />

erwarteten Gewinne liegt mit<br />

12,7 am oberen Rand der in den<br />

vergangenen fünf Jahren beobachteten<br />

Spanne, die durchschnittliche<br />

Dividendenrendite<br />

von 3,1 Prozent dagegen am unteren<br />

Rand der Fünfjahresspanne.<br />

Die Schwankungsintensität<br />

der Kurse ist immer noch, trotz<br />

zuletzt zeitweise heftigerer Bewegungen<br />

im Zuge der politischen Krisen, sehr niedrig.<br />

Das alles signalisiert eine gewisse Sorglosigkeit<br />

der Anleger.<br />

Noch gefährlicher als im Dax scheint die<br />

Lage bei Nebenwerten aus dem MDax und<br />

TecDax. In der Hausse seit März 2009 legte<br />

der MDax, in dem 50 mittelgroße Aktien<br />

von Aareal Bank bis Wincor Nixdorf vertreten<br />

sind, um bis zu 270 Prozent zu, der Dax<br />

schaffte nur etwa 170 Prozent. Dem MDax<br />

kam zugute, dass er in der Frühphase der<br />

Hausse dank zahlreicher Hidden Champi-<br />

RÜCKSCHLAGSRISIKO IM MDAX<br />

Doch nun wächst die Gefahr, dass sich die<br />

Schere wieder schließt. Geht es nach den<br />

bisherigen Hochrechnungen der Banken,<br />

sollen die Unternehmensgewinne beider<br />

Indexfamilien in dieser Saison um etwa ein<br />

Fünftel zulegen. Schon damit hätte der<br />

MDax keinen Vorsprung mehr. Dass seine<br />

Unternehmen bei den im vergangenen<br />

Jahr real erwirtschafteten Gewinnmargen<br />

etwa um ein Drittel schwächer abschnitten<br />

als der Dax, ist ein Warnsignal. Noch immer<br />

werden MDax-Aktien mit einem KGV<br />

von 17 deutlich höher gehandelt als die<br />

Dax-Aktien mit ihrem 13er-KGV.<br />

Gerechtfertigt ist das nicht mehr. Das<br />

Rückschlagrisiko im M-Dax ist damit noch<br />

höher als das im Dax. Besonders schwach<br />

gelaufen ist aus dem MDax zuletzt der stark<br />

in Russland engagierte Generikahersteller<br />

Stada. Auch die Gewinnwarnung des Baukonzerns<br />

Bilfinger, der mit mehr Ingenieurdienstleistungen<br />

und weniger klassischem<br />

Bau eigentlich stabilere Erträge liefern<br />

wollte, hat Investoren verschreckt. Im<br />

TecDax demonstrierten Medizintechniker<br />

Dräger und die Software AG, dass Gelddrucken<br />

der Notenbanken und Niedrigzinsen<br />

allein sicher nicht Wohlstand und höhere<br />

Unternehmensgewinne garantieren.<br />

Im Gegenteil, meint Eberhardt<br />

Unger, Volkswirt von<br />

Fairesearch: „Je weiter die Leitzinsen<br />

sinken, desto weniger<br />

nützen sie zur Stimulierung.“<br />

Wenn ein Unternehmen nicht<br />

bei einem Leitzins von zwei Prozent<br />

investiere, werde es das<br />

auch nicht bei einem Prozent<br />

tun, aus Sorge, für neue Produkte<br />

keine Abnehmer zu finden. „Bei einer<br />

Senkung auf 0,15 Prozent“, so Unger,<br />

„schrillen Alarmglocken, die Notenbank<br />

scheint ja einen schweren Konjunktureinbruch<br />

zu befürchten.“<br />

Der könnte etwa von der Rohstoffseite<br />

kommen. Sollte der Westen tatsächlich<br />

verschärfte Sanktionen gegen Russland beschließen,<br />

dürften nicht nur die Gaspreise<br />

in Europa anziehen, sondern auch die<br />

Preise für Öl, Nickel, Kupfer, Aluminium,<br />

Weizen und Palladium. Damit rechnen die<br />

Rohstoffanalysten der Commerzbank.<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 31<br />

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Politik&Weltwirtschaft<br />

»<br />

Physische Reserve außerhalb des Finanzsystems?<br />

Goldkeller der Deutschen Börse<br />

Russland gehöre bei diesen Rohstoffen<br />

zu den weltgrößten Produzenten. Steigende<br />

Rohstoffpreise aber, vor allem steigende<br />

Energiepreise, erzeugen Inflationsdruck.<br />

Die Eskalation im Konflikt zwischen Israel<br />

und der Hamas und die Lage im Norden<br />

Iraks und in Libyen treiben den Ölpreis.<br />

Gold gilt als Krisenprofiteur, und es bietet<br />

Anlegern bei Inflation Schutz vor Kaufkraftverlusten<br />

ihrer Heimatwährung. So<br />

folgten auf die beiden Ölkrisen in den Siebzigerjahren<br />

jeweils starke Preisschübe<br />

beim Gold. Überschießt der Ölpreis aber<br />

nach oben, brechen Konjunktur und Investitionen<br />

ein. Nachdem der Ölpreis zum<br />

Beispiel 2008 auf 150 Dollar pro Barrel<br />

schoss, kollabierte die Weltwirtschaft.<br />

Die Folgen: schwächere Unternehmensgewinne,<br />

höhere Arbeitslosigkeit und<br />

schrumpfende Steuereinnahmen. Die Vermögenspreise<br />

gerieten unter Druck,<br />

Zwangsverkäufe klammer Investoren erhöhten<br />

diesen. Das könnte vorübergehend<br />

auch wieder beim Goldpreis passieren,<br />

wenn etwa an den virtuellen Goldmärkten,<br />

an denen Gold in Form von Derivaten und<br />

börsennotierten Fonds (ETF) gehandelt<br />

wird, Investoren Geld brauchen, um an anderer<br />

Stelle Verluste zu decken.<br />

Dass die physische Nachfrage nach Gold<br />

weltweit einbricht, ist gerade wegen der<br />

dann zunehmenden Verunsicherung der<br />

Anleger unwahrscheinlich. Zumal auch die<br />

Solvenz von Banken wieder hinterfragt<br />

würde. Denn im Abschwung drohen bei ihnen<br />

noch mehr Kredite faul zu werden.<br />

Eine zunehmende Konfrontation des<br />

Westens mit Russland könnte das Systemrisiko<br />

an die Finanzmärkte auch direkt zurückbringen.<br />

Um die Märkte in Unruhe zu<br />

versetzen, reichte vermutlich schon ein<br />

<strong>vom</strong> Kreml administrierter Zahlungsausfall<br />

eines russischen Unternehmens. Europas<br />

Banken hängen mit am Fliegenfänger.<br />

Laut einer am Mittwoch veröffentlichten<br />

Statistik der Bank für internationalen Zahlungsausgleich<br />

hatten europäische Banken<br />

per Ende April 177 Milliarden Dollar nach<br />

Russland vergeben. Französische Banken<br />

hatten Forderungen über 50,3 Milliarden,<br />

177Milliarden<br />

Dollar haben Europas<br />

Banken nach Russland<br />

vergeben<br />

italienische über 27 Milliarden und deutsche<br />

über 23 Milliarden Dollar.<br />

Ein Totalausfall ist unwahrscheinlich.<br />

Goldanleger aber werden nicht müde zu<br />

betonen, dass immer nur ein Bruchteil der<br />

sofort abrufbaren Kundeneinlagen bei<br />

Banken durch Bargeld und Reserven bei<br />

der EZB gedeckt ist. Das System funktioniert<br />

nur, solange Kunden ihr Geld auf dem<br />

Konto lassen. Der Run auf die bulgarischen<br />

Banken im Juni, der nur durch eine EU-Hilfe<br />

über 1,7 Milliarden Euro gestoppt werden<br />

konnte, erinnert an den flüchtigen<br />

Charakter des Bankensystems. Jürgen<br />

Stark, Ex-Vizepräsident der Bundesbank,<br />

bezeichnete unser Geldsystem unlängst als<br />

„pure Fiktion“. Er empfiehlt Anlegern, einen<br />

Teil ihrer „fiktionalen Ersparnisse“ gegen<br />

einen Zusammenbruch des Systems<br />

zu schützen und auch in Gold anzulegen.<br />

GOLD ALS NOTFALLRESERVE<br />

Tatsächlich bietet physisches Gold eine Reserve<br />

außerhalb des Finanzsystems. „Physisch<br />

bedeutet, dass ich immer zu meinem<br />

Safe gehen, meine Barren und Münzen<br />

rausnehmen und am Markt verkaufen<br />

kann, wenn ich das muss“, sagt der Schweizer<br />

Vermögensverwalter Felix Zulauf.<br />

Sollte die Wirtschaft der geopolitischen<br />

Krisen wegen einbrechen, dürften die Zentralbanken<br />

die Dosis der Geldschöpfung<br />

wieder stark erhöhen. Gold aber ist, anders<br />

als Dollar oder Euro, nicht beliebig vermehrbar.<br />

„Mich interessiert nicht, wohin<br />

der Goldpreis geht. Im Vergleich zu dem<br />

Wert, den es besitzt, wenn ich die Versicherung<br />

tatsächlich brauchen sollte, ist Gold<br />

billig“, bringt es ein Hamburger Kaufmann<br />

auf den Punkt. Diese Absicherung kann<br />

über Jahre aber auch nur Geld kosten, wie<br />

eine Versicherungspolice.<br />

Das gleiche Prinzip hilft bei Aktien. Auf<br />

lange Sicht brauchen Anleger diese, weil sichere<br />

Zinspapiere nicht mal die Inflation<br />

ausgleichen. Verluste im Depot lassen sich<br />

über Zertifikate (siehe Tabelle) abfedern,<br />

die bei fallenden Börsen profitieren.<br />

Im James-Dean-Film übrigens kommt<br />

einer der beiden Helden nicht mehr aus<br />

dem Auto raus, er rast über die Klippe. Ein<br />

Hasenfuß zu sein kann sich auszahlen. n<br />

frank.doll@wiwo.de, hauke reimer | Frankfurt, anton riedl<br />

Vier gegen die Krise<br />

Zertifikate und Verkaufsoptionsscheine für eine Absicherung gegen Kursrückschläge<br />

Derivat (Emittentin)<br />

Faktor-Shortzertifikat auf<br />

Dax (Deutsche Bank)<br />

Faktor-Shortzertifikat auf<br />

MDax (Commerzbank)<br />

Put-Optionsschein auf<br />

Dax (HSBC Trinkaus)<br />

Put-Optionsschein auf<br />

MDax (Deutsche Bank)<br />

Funktion<br />

* in Euro; Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />

Wandelt tägliche Verluste im Index mit vierfachem<br />

Hebel in Kursgewinne um; kein Knockout,<br />

keine Laufzeitgrenze; für kurz- bis mittelfristige<br />

Absicherung geeignet<br />

Wandelt Indexverluste derzeit mit siebenfachem<br />

Hebel in Kursgewinne um; Laufzeit bis 17. Juni<br />

2015; für kurzfristige Absicherung und vor allem<br />

gegen scharfe Indexrückschläge geeignet<br />

ISIN<br />

DE000DE9SRT7<br />

DE000CZ34NN3<br />

DE000TD0H4P1<br />

DE000DX75V78<br />

Kurs/<br />

Stoppkurs*<br />

2,45/1,72<br />

2,70/1,89<br />

4,65/2,33<br />

0,92/0,46<br />

Trend angeknackst<br />

Wertentwicklung deutscher Aktien (Dax, in<br />

Punkten) seit Mitte 2013<br />

10 500<br />

10 000<br />

9500<br />

9000<br />

8500<br />

8000<br />

7500<br />

2013<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

2014<br />

FOTO: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

32 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: SASCHA PFLAEGING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, WERNER SCHUERING FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, JAKOB HOFF<br />

NEW YORK | Die<br />

App ersetzt fast<br />

alles – das Hotel,<br />

die eigene Küche<br />

und auch das Taxi.<br />

Von Martin Seiwert<br />

Teilen statt<br />

besitzen<br />

Unser Fahrer Raza ist<br />

adrett gekleidet, sein Auto<br />

eine blitzblank polierte,<br />

schwarze Limousine. Vor<br />

vier Minuten habe ich in<br />

eine Smartphone-App getippt,<br />

dass ich zum Flughafen in Newark<br />

will. Ich habe in der App gesehen, wie<br />

Raza aussieht, dass ihn seine Kunden mit<br />

4,7 von 5 Sternen bewerten, wo sich sein<br />

Wagen gerade befindet, und stand dann<br />

mit Familie und Gepäck kaum am Bordstein,<br />

als er um die Ecke bog. 61 Dollar<br />

kostet uns die Fahrt – in den meist abgewetzten<br />

Taxis von New York, die man am<br />

Straßenrand herbeibetteln muss, wären<br />

es zehn Dollar mehr gewesen.<br />

Die Fahrt hat Uber (<strong>vom</strong> deutschen<br />

„über“) vermittelt. Die App ist neuester<br />

Auswuchs der Sharing Economy: Kunden<br />

teilen Güter, statt sie zu besitzen: Die Reinigung<br />

ersetzt die eigene Waschmaschine,<br />

die Restaurant-App die Einbauküche, der<br />

Community Garden in der Baulücke den<br />

Balkon, die über das Internet gebuchte<br />

Privatwohnung das Hotelzimmer.<br />

Und nun also Uber, wo Privatwagen als<br />

Taxis fungieren. Vor vier Jahren in San<br />

Francisco gegründet, ist Uber heute in<br />

130 Städten aktiv und revolutioniert mit<br />

Kampfpreisen die Taxi-Welt. Uber wird<br />

mit 18,2 Milliarden Dollar bewertet, mit<br />

mehr als die fusionierten US-Airlines<br />

United und Continental. Die Mission des<br />

Gründers Travis Kalanick: in Städten<br />

das eigene Auto überflüssig zu machen.<br />

Zumindest in New York, wo ein Parkplatz<br />

um die 500 Dollar pro Monat kostet, ist<br />

dieses Ziel nicht sehr verwegen.<br />

Es scheint, als würde New York immer<br />

mehr zur Kommune. Aber eine, in der alle<br />

ans Geld denken.<br />

Martin Seiwert ist Korrespondent der<br />

WirtschaftsWoche in New York.<br />

BILDUNG | Die Durchschnittsnoten der allgemeinen<br />

Hochschulreife sind besser denn je – als Trostpflaster<br />

für stressige Reformen? Von Christian Schlesiger<br />

Abi(tor)tur<br />

Führt weniger Unterricht zu besseren<br />

Noten? Chef-Philologe Meidinger<br />

Die Oberschlauen sitzen in<br />

Thüringen. Im Schnitt kamen<br />

Abiturienten aus Erfurt, Jena<br />

oder Gera zwischen 2008 und<br />

2012 auf die Abschlussnote 2,3 – so gut<br />

wie nirgendwo sonst in Deutschland. Da<br />

wollten andere Länder aufschließen und<br />

förderten ihre Schülerelite. Der bundesweite<br />

Abi-Schnitt verbessert sich seit Jahren –<br />

noch nie war er so gut wie dieses Jahr.<br />

Deutschlands Kinder werden also wieder<br />

Dichter und Denker, so scheint es. Doch<br />

spätestens seit der Vorsitzende des Deutschen<br />

Philologenverbands, Heinz-Peter<br />

Meidinger, die „Noteninflation“ als „nicht<br />

zufällig“, sondern als „Methode“ bezeichnete,<br />

streitet Berlin wieder um Bildung.<br />

Schuld sei vor allem das G8, so der Vorsitzende<br />

der Organisation, die bundesweit<br />

90 000 Pauker vertritt. Einige Landesregierungen<br />

hätten „softere“ Beurteilungsmaßstäbe<br />

angelegt, um die Akzeptanz für<br />

die verkürzte Schulzeit zu erhöhen. Der Vorwurf:<br />

Bestnoten als G8-Stresspflaster. Dadurch<br />

werde das „einst so hoch geschätzte“<br />

deutsche Abitur massiv entwertet.<br />

Mal wieder muss die Verkürzung der<br />

gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre herhalten,<br />

um einen vermeintlichen Negativtrend<br />

zu erklären. Andererseits: Waren es<br />

nicht gerade Eltern, Ärzte und, ja, Lehrer,<br />

die das G8 rüffelten, weil es den Druck der<br />

Schüler unangemessen erhöhe?!<br />

Die Antwort ist: Nein. Das G8 hat die Bildungsrepublik<br />

in Bewegung gebracht, zum<br />

Positiven. Leider versuchen Kritiker, die alten<br />

Zeiten schönzureden, als in der Oberstufe<br />

jede vierte Stunde ausfiel, in der zweiten<br />

Hälfte der Stufe 13 kein vernünftiger<br />

Unterricht mehr zustande kam und nachmittags<br />

sowieso frei war. G9 ist überflüssig.<br />

Das zeigen Leistungsvergleiche von<br />

Doppeljahrgängen mit gleichen Prüfungsklausuren.<br />

G8-Schüler schneiden kaum<br />

schlechter ab als G9ler. 2013 brachten<br />

G8-Schüler in Nordrhein-Westfalen gar<br />

bessere Noten mit nach Hause.<br />

Sollte der Befund eines ominösen Leistungsschwunds<br />

bei heutigen Abiturienten<br />

stimmen, so könnte auch das viel gelobte<br />

Zentralabitur eine Mitschuld tragen.<br />

In Ländern wie NRW und Niedersachsen,<br />

die lange ohne zentrale Abi-Prüfung auskamen,<br />

lagen die Durchschnittsnoten früher<br />

schlechter als im Bundesschnitt. Nun<br />

robben sie sich an bessere Noten heran.<br />

Bundesweit gibt es zudem bald einen<br />

„gemeinsamen Aufgabenpool“, „auf den<br />

die Länder bei ihren Abiturprüfungen ab<br />

2016/17 zurückgreifen können“, sagt<br />

Sylvia Löhrmann, grüne Schulministerin in<br />

NRW und Präsidentin der Kultusministerkonferenz.<br />

Alles geschehe mit wissenschaftlicher<br />

Begleitung. Damit werde „die Sorge<br />

entkräftet, dass die Politik das Abitur leichter<br />

oder schwerer machen will“. Sagt sie.<br />

Eltern und Schülern ist das egal. Vielen<br />

bleibt das Turbo-Abi G8 suspekt. Hamburger<br />

entscheiden bald per Volksbegehren,<br />

Bayern tüftelt am freiwilligen Flexijahr, und<br />

Niedersachsen kehrt zu G9 zurück. Das ist<br />

der falsche Weg: Es sollte einfach mal Ruhe<br />

einkehren. In Thüringen und Sachsen gibt<br />

es seit 1949 fast ununterbrochen das Abitur<br />

nach acht Jahren – diese Kontinuität<br />

bringt Erfolg. Beide Länder schneiden in<br />

Vergleichstests besser ab als andere Länder.<br />

Dort gab es keine chaotische Umstellung<br />

auf G8. In Mathe, Physik und Chemie<br />

erhalten Schüler mehr Wochenstunden.<br />

Bundesbildungsministerin Johanna<br />

Wanka (CDU) hat daher Sympathien für<br />

G8. Sie wolle aber „nicht Schulmeister“ der<br />

Länder sein. Sie wünsche sich nur „keine<br />

Rückkehr zu ideologischen Auseinandersetzungen“.<br />

Doch da ist Deutschland schon<br />

mittendrin – leider.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 33<br />

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Der Volkswirt<br />

KOMMENTAR | Jetzt mischt sich<br />

auch die Bundesbank in die Lohnpolitik<br />

ein. Die Arbeitgeber sind<br />

sauer – zu Recht. Von Bert Losse<br />

Frankfurter Pulle<br />

An ungebetene Ratschläge<br />

aus der Politik<br />

haben sich die Firmenchefs<br />

gewöhnt.<br />

Pünktlich zu großen Tarifrunden<br />

geben Parteivertreter gern<br />

zu Protokoll, man wolle sich ja<br />

nicht in die Tarifautonomie einmischen<br />

– aber kräftig steigende<br />

Löhne wären doch eine<br />

schöne Sache. Aus einer anderen<br />

Ecke hingegen kam derartiger<br />

Rückenwind für die Gewerkschaften<br />

in den vergangenen<br />

50 Jahren eher selten – von der<br />

Deutschen Bundesbank.<br />

Umso erstaunlicher ist, was<br />

eine Bundesbank-Delegation<br />

um Chefvolkswirt Jens Ulbrich<br />

jüngst bei einem Besuch des<br />

Deutschen Gewerkschaftsbunds<br />

im Gepäck hatte. Die Gewerkschaften<br />

könnten ruhig<br />

mehr Gas geben und den Verteilungsspielraum<br />

in den Tarifrunden<br />

voll ausschöpfen, so die<br />

Empfehlung der Notenbanker<br />

an die verdutzten DGB-Funktionäre.<br />

Nach der gängigen Lohnformel<br />

setzt sich dieser Spielraum<br />

aus der Inflationsrate und<br />

der Produktivitätsentwicklung<br />

zusammen. Die Bundesbank-<br />

Ökonomen empfehlen, nicht die<br />

tatsächliche (niedrige) Inflation<br />

als Referenzgröße zu nehmen,<br />

sondern die Zielmarke der Europäischen<br />

Zentralbank (EZB) von<br />

knapp unter zwei Prozent.<br />

KOSTEN STEIGEN<br />

Nun spricht überhaupt nichts<br />

gegen steigende Löhne. Die Beschäftigten<br />

am Erfolg des Unternehmens<br />

zu beteiligen sollte eine<br />

Selbstverständlichkeit für<br />

jeden Arbeitgeber sein. Die Frage<br />

ist nur, wie kräftig der<br />

Schluck aus der Pulle ausfallen<br />

darf – die Lohnzurückhaltung<br />

der vergangenen Dekade war<br />

schließlich der Grundstein für<br />

eine formidable Entwicklung am<br />

Arbeitsmarkt, um die uns heute<br />

ganz Europa beneidet. Und<br />

Lohnzurückhaltung bedeutet im<br />

Kern, den beschäftigungsneutralen<br />

Verteilungsspielraum<br />

eben nicht voll auszuschöpfen.<br />

Daher ist der Vorstoß der Bundesbank<br />

irritierend. Ihre Ökonomen<br />

dürften wissen, dass die Arbeitskosten<br />

in Deutschland 2013<br />

wieder deutlich stärker zugelegt<br />

haben als in der EU insgesamt –<br />

und dass die Lohnzuwächse im<br />

ersten Halbjahr 2014 nominal so<br />

hoch ausfielen wie seit 15 Jahren<br />

nicht mehr. Dass die Frankfurter<br />

Währungshüter die Gewerkschaften<br />

ausgerechnet vor der<br />

wichtigen Tarifrunde in der Metallindustrie,<br />

wo Ende Dezember<br />

die Verträge auslaufen, zu einem<br />

aggressiveren Kurs ermuntern,<br />

ist auch politisch ungeschickt.<br />

ANGST VOR DEFLATION<br />

Offenbar folgt nun auch die<br />

Bundesbank der Strategie der<br />

EZB, aus Angst vor einer Deflation<br />

die Inflationsrate in die Höhe<br />

zu treiben. Dazu sind kräftige<br />

Lohnsteigerungen in der Tat geeignet.<br />

Doch wo, bitte schön, ist<br />

die Deflation? Im Juni lag die<br />

Teuerungsrate in Deutschland<br />

bei 1,0 Prozent, und weiter runter<br />

geht es nach Bundesbank-<br />

Prognosen nicht. Im Gegenteil:<br />

In ihrem Monatsbericht von Juni<br />

schreiben die Notenbanker, die<br />

Preissteigerung könnte „sich<br />

auf 1,5 Prozent im kommenden<br />

und 1,9 Prozent im darauf folgenden<br />

Jahr erhöhen“.<br />

Der DGB reagierte übrigens<br />

verhalten auf die Einlassungen<br />

zur Tarifpolitik. Vorstandsmitglied<br />

Stefan Körzell: „Bislang<br />

haben wir das ohne Tipps der<br />

Bundesbank gut hingekriegt.“<br />

NEW ECONOMICS<br />

Ursache und Wirkung<br />

Ein breites kulturelles Angebot in einer Stadt ist schön<br />

– aber für das Wirtschaftswachstum bringt es so gut<br />

wie nichts. Das behauptet eine neue Studie.<br />

Die Erzählung <strong>vom</strong> Aufstieg<br />

Berlins ist so einleuchtend wie<br />

falsch. Nach der Wende wurde<br />

die Hauptstadt erst zum Mekka<br />

für Draufgänger und Künstler.<br />

Später zog das offene Klima<br />

junge Kreative an. Die begannen<br />

nach einigen Jahren Startups<br />

zu gründen – und heute ist<br />

Berlin eine wirtschaftliche<br />

Boomstadt.<br />

So weit die Legende. In Wahrheit<br />

aber haben Kultur und<br />

Wirtschaftswachstum wenig<br />

miteinander zu tun, schreiben<br />

jetzt die Forscher Thomas Bauer,<br />

Philipp Breidenbach und<br />

Christoph Schmidt <strong>vom</strong> Rheinisch-Westfälischen<br />

Institut für<br />

Wirtschaftsforschung (RWI) in<br />

Essen. Sie sind der Frage nachgegangen,<br />

ob sich für Städte Investitionen<br />

in die Kultur ökonomisch<br />

lohnen.* Theoretisch<br />

erscheint dieser Effekt schlüssig.<br />

Die Basis von wirtschaftlicher<br />

Leistung ist in erster Linie<br />

Humankapital. Wo neues<br />

Wachstum entstehen soll, da<br />

müssen sich begabte Menschen<br />

versammeln. Eine verbreitete<br />

These macht die Kreativität gar<br />

zum Ausgangspunkt dieser Entwicklung.<br />

Künstlerisch kreative<br />

Menschen bilden demnach den<br />

Kernpunkt von Kompetenzclustern<br />

und machen einen Ort<br />

zum attraktiven Lebensmittelpunkt.<br />

In der Folge siedeln sich<br />

die hoch Qualifizierten an.<br />

Die Autoren nehmen sich in<br />

ihrer Untersuchung nun die bedeutendste<br />

wissenschaftliche<br />

Studie zum Thema vor. Unter<br />

dem Titel „Phantom of the Opera“<br />

hatte vor drei Jahren ein Forscherteam<br />

um den deutschen<br />

Ökonomen Oliver Falck <strong>vom</strong> ifo<br />

Bauer, Thomas, Breidenbach, Philipp,<br />

Schmidt, Christoph M.: „Phantom<br />

of the Opera“ or „Sex in the City“?, Ruhr<br />

Economic Papers 2014<br />

Barocke Pracht Das Markgräfliche<br />

Opernhaus Bayreuth<br />

Institut den vermeintlichen Beleg<br />

für die These erbracht. Anhand<br />

historischer Daten zeichneten<br />

sie nach, dass Standorte<br />

mit einer Tradition als Kulturstandort<br />

(Sitz eines barocken<br />

Opernhauses) heute prosperierender<br />

seien als Standorte ohne<br />

diese Tradition.<br />

Die RWI-Forscher bezweifeln<br />

diese These und stellen zunächst<br />

die Bedeutung der reinen<br />

statistischen Korrelation<br />

infrage. Dafür untersuchen sie<br />

als Alternativen zwei offensichtlich<br />

abwegige Erklärungsvariablen:<br />

Bordelle und Brauereien.<br />

Zumindest statistisch hängen<br />

auch diese stark mit dem Wirtschaftswachstum<br />

eines Standorts<br />

zusammen.<br />

In der Folge nehmen die Forscher<br />

dann die Variable unter<br />

die Lupe, die aus ihrer Sicht tatsächlich<br />

den Unterschied<br />

macht:die historische Rolle einer<br />

Stadt als administrativer<br />

Standort. Diese Variable erklärt<br />

statistisch nicht nur die spätere<br />

Ansammlung von Humankapital,<br />

sondern auch die kulturelle<br />

Leistungsfähigkeit selbst. Mit<br />

anderen Worten: Kulturelle<br />

Einrichtungen sind eine Folge<br />

allgemeiner Prosperität – und<br />

nicht deren Ursache.<br />

konrad.fischer@wiwo.de<br />

FOTOS: FRANK SCHEMMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, LAIF/LE FIGARO MAGAZINE<br />

34 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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KONJUNKTUR DEUTSCHLAND<br />

Schwierigere Zeiten für<br />

die Exportwirtschaft<br />

Stagnation auf hohem Niveau<br />

Exportklima und Ausfuhren<br />

0,25<br />

0,20<br />

0,15<br />

0,10<br />

0,05<br />

0<br />

–0,05<br />

–0,10<br />

–0,15<br />

–0,20<br />

–0,25<br />

Exporte (real,<br />

saisonbereinigt,<br />

Veränderung zum<br />

Vorjahr in Prozent)<br />

Die politische Krise zeigt Wirkung:<br />

Um 30 Prozent sind die<br />

deutschen Exporte in die Ukraine<br />

im ersten Halbjahr gegenüber<br />

dem Vorjahr eingebrochen.<br />

Das Minus bei den Ausfuhren<br />

nach Russland beläuft sich auf<br />

14 Prozent oder rund 1,67 Milliarden<br />

Euro (siehe Seite 18).<br />

Das bringt die robuste deutsche<br />

Exportwirtschaft zwar nicht um,<br />

zeigt aber deutlich, dass viele<br />

Unternehmen in schwierigeres<br />

Fahrwasser geraten sind. Und<br />

die Perspektiven bleiben vorerst<br />

mau: Die Exporterwartung im<br />

verarbeitenden Gewerbe fiel<br />

im Juni auf 11,1 Saldenpunkte,<br />

nach 14,7 Zählern im Mai.<br />

Auch andere Frühindikatoren<br />

deuten nicht gerade auf einen<br />

bevorstehenden Boom hin.<br />

Der <strong>vom</strong> Münchner ifo Institut<br />

exklusiv für die WirtschaftsWoche<br />

erstellte Exportklimaindex<br />

verharrte im Juni auf seinem<br />

Vormonatswert von 0,39 Saldenpunkten<br />

(siehe Grafik). Der<br />

Indikator bündelt den realen<br />

Außenwert des Euro – also die<br />

preisliche Wettbewerbsfähigkeit<br />

der Ausfuhrwirtschaft –<br />

sowie das Konsum- und Geschäftsklima<br />

auf unseren wichtigsten<br />

Absatzmärkten.<br />

Während sich die preisliche<br />

Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure<br />

wegen einer leichten<br />

Abwertung des Euro gegenüber<br />

dem Dollar geringfügig verbesserte,<br />

sei die Stimmungslage<br />

bei den Handelspartnern sehr<br />

heterogen, schreiben die ifo-<br />

Ökonomen in ihrer Analyse für<br />

die WirtschaftsWoche. „In<br />

Frankreich, Japan und Russland<br />

verschlechtern sich die Erwartungen<br />

der Firmen schon seit<br />

mehreren Monaten.“ In China<br />

seien die Unternehmen zwar<br />

wieder optimistischer, allerdings<br />

„befindet sich der entsprechende<br />

Index weiter auf<br />

unterdurchschnittlichem<br />

Niveau“. Besonders dynamisch<br />

präsentiert sich hingegen<br />

Großbritannien: Die Einschätzungen<br />

der dortigen Unternehmen<br />

sind so positiv wie<br />

noch nie im gesamten Messzeitraum<br />

seit 1991.<br />

¹ Geschäfts- und Konsumklima auf den wichtigsten Absatzmärkten Deutschlands sowie<br />

realer Außenwert des Euro (Indexpunkte); Quelle: ifo<br />

bert.losse@wiwo.de<br />

Exportklimaindikator<br />

1<br />

08 09 10 11 12 13 14<br />

1,5<br />

1,0<br />

0,5<br />

0<br />

–0,5<br />

–1,0<br />

–1,5<br />

–2,0<br />

–2,5<br />

–3,0<br />

–3,5<br />

Industrie etwas<br />

optimistischer<br />

Die Stimmung in der deutschen<br />

Industrie hat sich im Juli leicht<br />

verbessert. Der <strong>vom</strong> Londoner<br />

Forschungsinstitut Markit erhobene<br />

Einkaufsmanagerindex<br />

legte überraschend um 0,9 auf<br />

52,9 Punkte zu. Ökonomen hatten<br />

eine Stagnation im Vergleich<br />

zum Vormonat erwartet.<br />

Der Frühindikator liegt damit<br />

weiterhin über der Marke von<br />

50 Punkten, ab der gemeinhin<br />

Expansion einsetzt. Der entsprechende<br />

Index für den<br />

Dienstleistungssektor kletterte<br />

um 2,0 auf 56,6 Punkte.<br />

In der Euro-Zone insgesamt<br />

ging es hingegen leicht abwärts.<br />

Der Einkaufsmanagerindex für<br />

die Privatwirtschaft (Industrie<br />

plus Dienstleistungen) sank im<br />

Juli um 0,7 auf 52,8 Zähler. Markit<br />

hatte für sein Konjunkturbarometer<br />

rund 5000 Unternehmen<br />

befragt. Besonders<br />

schlecht war dabei der Wert für<br />

Frankreich.<br />

Volkswirtschaftliche<br />

Gesamtrechnung<br />

Real. Bruttoinlandsprodukt<br />

Privater Konsum<br />

Staatskonsum<br />

Ausrüstungsinvestitionen<br />

Bauinvestitionen<br />

Sonstige Anlagen<br />

Ausfuhren<br />

Einfuhren<br />

Arbeitsmarkt,<br />

Produktion und Preise<br />

Industrieproduktion 1<br />

Auftragseingänge 1<br />

Einzelhandelsumsatz 1<br />

Exporte 2<br />

ifo-Geschäftsklimaindex<br />

Einkaufsmanagerindex<br />

GfK-Konsumklimaindex<br />

Verbraucherpreise 3<br />

Erzeugerpreise 3<br />

Importpreise 3<br />

Arbeitslosenzahl 4<br />

Offene Stellen 4<br />

Beschäftigte 4, 5<br />

2012 2013<br />

Durchschnitt<br />

0,7<br />

0,8<br />

1,0<br />

–4,0<br />

–1,4<br />

3,4<br />

3,2<br />

1,4<br />

2012 2013<br />

Durchschnitt<br />

–0,9<br />

–4,2<br />

0,1<br />

4,3<br />

105,0<br />

46,7<br />

5,9<br />

2,0<br />

1,6<br />

2,1<br />

2896<br />

478<br />

29006<br />

0,5<br />

0,9<br />

0,4<br />

–2,4<br />

–0,2<br />

3,0<br />

0,9<br />

1,5<br />

–0,2<br />

2,5<br />

0,3<br />

1,0<br />

106,9<br />

50,6<br />

6,5<br />

1,5<br />

–0,1<br />

–2,5<br />

2950<br />

435<br />

29370<br />

I/13<br />

0,0<br />

0,3<br />

0,0<br />

–1,4<br />

–1,5<br />

–0,9<br />

–0,7<br />

0,2<br />

März<br />

2014<br />

–0,8<br />

–2,8<br />

0,6<br />

–1,8<br />

110,7<br />

53,7<br />

8,5<br />

1,0<br />

–0,9<br />

–3,3<br />

2917<br />

445<br />

29701<br />

II/13 III/13 IV/13<br />

Veränderung zum Vorquartal in Prozent<br />

1 Volumen, produzierendes Gewerbe, Veränderung zum Vormonat in Prozent; 2 nominal, Veränderung zum Vormonat in<br />

Prozent; 3 Veränderung zum Vorjahr in Prozent; 4 in Tausend, saisonbereinigt; 5 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte;<br />

alle Angaben bis auf Vorjahresvergleiche saisonbereinigt; Quelle: Thomson Reuters<br />

0,7<br />

0,7<br />

–0,2<br />

0,5<br />

1,7<br />

1,6<br />

2,5<br />

1,5<br />

April<br />

2014<br />

–0,3<br />

3,4<br />

–1,6<br />

2,6<br />

111,2<br />

54,1<br />

8,5<br />

1,3<br />

–0,9<br />

–2,4<br />

2882<br />

447<br />

29736<br />

0,3<br />

0,3<br />

0,7<br />

0,1<br />

2,1<br />

1,4<br />

–0,1<br />

0,8<br />

Mai<br />

2014<br />

–1,8<br />

–1,7<br />

–0,6<br />

–1,1<br />

110,4<br />

52,3<br />

8,5<br />

0,9<br />

–0,8<br />

–2,1<br />

2907<br />

445<br />

–<br />

0,4<br />

–0,3<br />

–0,3<br />

1,4<br />

0,2<br />

1,2<br />

2,5<br />

1,3<br />

Juni<br />

2014<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

109,7<br />

52,0<br />

8,6<br />

1,0<br />

–0,8<br />

–<br />

2916<br />

450<br />

–<br />

I/14<br />

0,8<br />

0,7<br />

0,4<br />

3,3<br />

3,6<br />

–0,8<br />

0,2<br />

2,2<br />

Juli<br />

2014<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

52,9<br />

8,9<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–<br />

Letztes Quartal<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

2,5<br />

1,1<br />

0,5<br />

6,0<br />

10,2<br />

3,3<br />

5,5<br />

6,2<br />

Letzter Monat<br />

zum Vorjahr<br />

in Prozent<br />

3,5<br />

7,8<br />

1,9<br />

3,9<br />

3,6<br />

2,4<br />

30,9<br />

–<br />

–<br />

–<br />

–1,1<br />

3,5<br />

1,5<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 35<br />

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Der Volkswirt<br />

Der Einzug ihrer Nationalmannschaft<br />

ins WM-<br />

Finale, mit dem die<br />

meisten Argentinier nicht gerechnet<br />

hatten, war eine willkommene<br />

Ablenkung. Nun<br />

muss sich das Land wieder dem<br />

Alltag widmen – und der ist<br />

nicht weniger dramatisch als<br />

das Endspiel im Maracanã-<br />

Stadion: Argentinien steht zwölf<br />

Jahre nach seinem aufsehenerregenden<br />

Zahlungsstopp erneut<br />

am Rande eines Crashs.<br />

Damals hatte das Pampaland<br />

seine Zahlungen auf 100 Milliar-<br />

WELTWIRTSCHAFT den Dollar Auslandsschulden für Argentinien hochriskant –<br />

eingestellt; es war eine der größten<br />

Staatspleiten aller Zeiten. In<br />

Nur Scheinblüten deren Folge strich die Regierung<br />

den Gläubigern in zwei Umschuldungsrunden<br />

70 Prozent<br />

Argentiniens Abstieg von einer reichen Volkswirtschaft<br />

ihrer Anleihenwerte.<br />

zum protektionistischen Chaosstaat zeigt, wohin<br />

Heute ist die Lage ähnlich vertrackt<br />

– doch diesmal für Argen-<br />

Reformverweigerung führen kann.<br />

tinien. Hedgefonds haben das<br />

Land in den USA erfolgreich auf<br />

die vollständige Zurückzahlung<br />

ihrer Kredite verklagt. Sie wollen<br />

sich nicht mit den angebotenen<br />

30 Prozent der Kredite abspeisen<br />

lassen. Argentinien muss<br />

nun für deren Tilgung und die<br />

aufgelaufenen Zinsen vollständig<br />

geradestehen – und kann<br />

erst dann seine anderen Schulden<br />

zurückzahlen.<br />

Stadt der Reichen Die argentinische<br />

Metropole Buenos Aires<br />

Bald pleite? Präsidentin Kirchner<br />

muss Hedgefonds auszahlen<br />

KEINE KREDITE MEHR<br />

Noch lehnt Präsidentin Cristina<br />

Kirchner dies ab. Doch wenn<br />

die viertgrößte Volkswirtschaft<br />

Lateinamerikas ihre Gläubiger<br />

nicht bis zum 31. Juli bezahlt,<br />

ist das Land von den internationalen<br />

Finanzmärkten isoliert.<br />

Pensionsfonds und andere<br />

Großinvestoren dürfen Staaten,<br />

die von den Ratingagenturen<br />

als Zahlungsausfall eingestuft<br />

werden, keine Kredite mehr<br />

geben. Nicht mal mehr von der<br />

Weltbank oder dem Internationalen<br />

Währungsfonds (IWF)<br />

bekäme Argentinien dann<br />

Geld. Es wäre die vierte Zahlungskrise<br />

Argentiniens in drei<br />

Dekaden – und wieder drohen<br />

katastrophale Folgen: Bereits<br />

jetzt steckt das Land in der Stagflation.<br />

Die Wirtschaft dürfte<br />

2014 im besten Falle stagnieren.<br />

Gleichzeitig könnte die Inflationsrate<br />

bis Jahresende auf rund<br />

45 Prozent hochschnellen,<br />

warnt die Investmentbank JP<br />

Morgan. Bei einem Default<br />

droht eine tiefe Rezession wie<br />

2002, als die Wirtschaft infolge<br />

des Zahlungsstopps um 20 Prozent<br />

schrumpfte.<br />

Damit nicht genug: Die Devisenreserven<br />

sind auf 28 Milliarden<br />

Dollar gesunken – vor zwei<br />

Jahren waren es fast doppelt so<br />

viel. Eine leere Devisenkasse ist<br />

ohne Dollar kann die Regierung<br />

keine Medikamente, Lebensmittel<br />

oder Treibstoffe importieren.<br />

Es sieht also schlecht aus für<br />

das Pampaland. Wieder mal.<br />

Wie kein anderes Land erlebt<br />

Argentinien regelmäßig schwere<br />

Krisen – und das schon seit<br />

einem Jahrhundert. Seine historische<br />

Konjunkturkurve gleicht<br />

einem Herzdiagramm. In dessen<br />

Verlauf ist aus Argentinien,<br />

der einstigen Blüte Südamerikas,<br />

ein Krisenstaat geworden,<br />

mit instabilen Institutionen, einer<br />

ineffizienten Wirtschaft und<br />

chaotischen Politik.<br />

Vor einem Jahrhundert installierte<br />

das britische Luxuskaufhaus<br />

Harrods seine erste überseeische<br />

Auslandsfiliale in<br />

Buenos Aires. In der Hauptstadt<br />

fuhr die erste U-Bahn Südamerikas.<br />

Im Teatro Colón sang<br />

Caruso. Die Argentinier waren<br />

reicher als die Franzosen oder<br />

Deutschen. Seitdem geht es<br />

langsam, aber stetig bergab. Es<br />

gäbe vier Arten von Ökonomien<br />

weltweit, sagt der Wirtschafts-<br />

Nobelpreisträger Simon Kuznets:<br />

„Entwickelte und unterentwickelte<br />

Staaten, Japan – und<br />

Argentinien.“ In dieser Sonderrolle<br />

sehen sich die Argentinier<br />

auch selbst:Es gibt wenige Nationen,<br />

die ihren Abstieg so leidenschaftlich,<br />

ja fast genussvoll<br />

analysieren und sezieren – und<br />

denen es dabei noch gelingt,<br />

sich als einzigartig darzustellen.<br />

Argentinier seien Italiener, die<br />

Spanisch sprechen, gerne Engländer<br />

wären und glaubten, in<br />

Paris zu leben, spottete der<br />

Schriftsteller Jorge Luis Borges.<br />

Argentiniens Pleitestatistik<br />

hat handfeste Gründe. Sie zeigt,<br />

dass auch reiche Länder absteigen<br />

können, wenn sie nicht<br />

ständig reformieren und an der<br />

Produktivität ihrer Unternehmen<br />

und Institutionen feilen.<br />

„Wir Argentinier halten uns immer<br />

für cleverer als den Rest der<br />

Welt“, sagt der argentinische<br />

Ökonom Claudio Loser, langjähriger<br />

Direktor des IWF. So mutete<br />

Argentinien bei den zwei Um-<br />

FOTOS: MAURITIUS IMAGES/AGE, REUTERS/ARGENTINE PRESIDENCY<br />

36 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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schuldungsrunden 2005 und<br />

2010 den Anleihebesitzern nicht<br />

nur exorbitant hohe Verluste zu.<br />

Der damalige Präsident Néstor<br />

Kirchner beschimpfte die Gläubiger<br />

auch noch als gierig. Auch<br />

als Argentinien jetzt von der US-<br />

Justiz verdonnert wurde, Hegdefonds<br />

den Nominalwert ihrer<br />

Forderungen zurückzuzahlen,<br />

zeterte Kirchners Gattin Cristina,<br />

seine Nachfolgerin im Präsidentenamt,<br />

über „gierige Geierfonds“.<br />

Mit seitengroßen<br />

Anzeigen in internationalen Tageszeitungen<br />

empört sie sich<br />

nun über die vermeintliche Ungerechtigkeit.<br />

Bei den Vereinten<br />

Nationen, bei der Organisation<br />

Amerikanischer Staaten, beim<br />

BRICS-Gipfel vergangene Woche<br />

in Brasilien – überall drängt<br />

sie andere Staaten zu Solidaritätsbekundungen<br />

(die freilich<br />

eher dürftig ausfallen).<br />

Ein anderer Grund für den<br />

unaufhaltsamen Abstieg ist – so<br />

zynisch es klingt – der immer<br />

noch hohe Lebensstandard vieler<br />

Argentinier. Zwar beziehen<br />

inzwischen 40 Prozent der Argentinier<br />

in irgendeiner Form<br />

staatliche Zuschüsse. Doch insgesamt<br />

haben in Südamerika<br />

nur Chile und Uruguay die Argentinier<br />

beim Pro-Kopf-Einkommen<br />

überholt. Eine zwar<br />

schrumpfende, aber noch stattliche<br />

Anzahl unter den 41 Millionen<br />

Argentiniern kann relativ<br />

mühelos recht angenehm leben.<br />

Daher mag die politische und<br />

wirtschaftliche Elite nicht ernsthaft<br />

am Status quo rütteln –<br />

geschweige denn Strukturreformen<br />

angehen.<br />

WICHTIGER AGRARSEKTOR<br />

Trotz aller Krisen ist die 13-Millionen-Metropole<br />

Buenos Aires<br />

immer noch eine wunderbare<br />

Stadt mit hoher Lebensqualität –<br />

für diejenigen, die sie sich leisten<br />

könnten. Etwa die Bewohner<br />

des aufwendig restaurierten Hafenwohnviertels<br />

Puerto Madero<br />

mit seinen Kunstmuseen, Luxushotels<br />

und schicken Bars. In<br />

den neuen Hochhäusern des<br />

Ausgehviertels mit Blick auf den<br />

Río de la Plata wohnen reiche<br />

Argentinier, um ihr Geld vor der<br />

Inflation zu schützen – oder um<br />

es zu waschen, wie einem jeder<br />

Taxifahrer erklärt.<br />

Finanziert wird das Überleben<br />

des argentinischen Wirtschaftsmodells<br />

mit der Notenpresse –<br />

und durch die Besteuerung der<br />

Agrarindustrie. Deren Exporte<br />

sorgten in der Vergangenheit<br />

stets verlässlich für Milliardeneinnahmen.<br />

Wer die Hauptstadt<br />

in Richtung der Feuchtpampa<br />

verlässt, kommt nach ein paar<br />

Autostunden in eine andere<br />

Welt. Die Autobahnen sind gut<br />

ausgebaut, die Traktoren neuen<br />

Datums. Es gibt kaum noch Rinder<br />

auf den Weiden, wie noch<br />

So gehen die Gauchos<br />

Wirtschaftswachstum und Inflation in Argentinien (in Prozent)<br />

12<br />

8<br />

4<br />

0<br />

–4<br />

–8<br />

BIP-Wachstum<br />

–12 1980 2014<br />

Quelle: IWF, Oxford Economics, JP Morgan<br />

vor einer Dekade. Dazu sind die<br />

Pampaböden zu wertvoll: 10000<br />

Dollar kostet ein Hektar mittlerweile.<br />

Deswegen wird jeder<br />

Quadratmeter intensiv genutzt,<br />

für Mais, Weizen, Reis, Sonnenblumen<br />

und Soja.<br />

Das Problem: Der Staat greift<br />

sich laut Landwirtschaftsverband<br />

Sociedad Rural rund 75<br />

Prozent <strong>vom</strong> Gewinn der Landwirte.<br />

Die Farmer würden geschröpft,<br />

schimpft der Verband.<br />

Daher investieren die Agrarbetriebe<br />

immer weniger und<br />

haben ihre globale Spitzenposition<br />

verloren. Seit 2006 ist Argentinien<br />

<strong>vom</strong> dritten Platz als<br />

Rindfleischexporteur auf Rang<br />

zwölf abgestiegen. Das Land<br />

exportiert nur noch ein Viertel<br />

der Getreidemenge im Vergleich<br />

zu 2006 – auch weil die<br />

Regierung Weizenexporte verbietet,<br />

um die Mehlpreise niedrig<br />

zu halten.<br />

Das zeigt, wo das Kernproblem<br />

Argentiniens liegt – am<br />

schwachen politischen Führungspersonal.<br />

Gleich sechsmal<br />

putschten seit 1930 die Militärs<br />

und hinterließen stets ein<br />

politisches wie wirtschaftliches<br />

Chaos. Aber auch in demokratischen<br />

Phasen setzten die Bürger<br />

bei Wahlen lieber auf schillernde<br />

Populisten, anstatt<br />

langweilige Reformingenieure<br />

zu unterstützen. Das galt für die<br />

legendären Pérons genauso wie<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

Inflationsrate<br />

0 1991 2014<br />

für die späteren Präsidenten<br />

Carlos Menem, Néstor Kirchner<br />

und seine Gattin Cristina. Sie alle<br />

wurden inmitten schwerer<br />

Krisen gewählt, und sie einte<br />

der Versuch, die Probleme lieber<br />

durch Protektionismus zu<br />

lösen, als mühselig zu reformieren<br />

und die Produktivität des<br />

Standortes zu verbessern.<br />

Selbst die lange hochgelobte<br />

Dollar-Bindung des Peso in den<br />

Neunzigerjahren, die die Inflation<br />

beseitigen und die Wirtschaft<br />

modernisieren sollte,<br />

führte nur zu einer Scheinblüte.<br />

Im Doing-Business-Ranking<br />

der Weltbank, das die Rahmenbedingungen<br />

für Unternehmen<br />

misst, zählt Argentinien zu den<br />

wirtschaftsfeindlichsten Standorten<br />

weltweit (Platz 126 von<br />

189 Staaten). Beim Korruptions-Index<br />

von Transparency<br />

International steht das Land auf<br />

Platz 106 unter 177 Ländern.<br />

„Ein Drittel unserer Wirtschaft<br />

kann auf dem Weltmarkt überleben<br />

– zwei Drittel nicht“, sagt<br />

Sérgio Berensztein, ein politischer<br />

Analyst. Er sieht neben<br />

Landwirtschaft, Bergbau und<br />

Tourismus keine konkurrenzfähigen<br />

Branchen mehr im Land.<br />

VIEL PROTEKTIONISMUS<br />

Dabei herrscht unter Ökonomen<br />

Konsens, dass Argentiniens<br />

Wirtschaft saniert werden<br />

könnte: Die Unternehmen sind<br />

kaum verschuldet. Das aktuelle<br />

Haushaltsdefizit ist mit rund<br />

drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

(BIP) akzeptabel – zumal<br />

die staatlichen Subventionen<br />

bei Energie und Transport<br />

knapp fünf Prozent <strong>vom</strong> BIP betragen<br />

und gestrichen werden<br />

könnten. Würde der Staat der<br />

Wirtschaft Rechtssicherheit verschaffen<br />

und die Unternehmen<br />

in Ruhe lassen, könnte sich die<br />

Konjunktur erholen. Doch die<br />

Staatsbürokratie kontrolliert<br />

nicht nur den Devisenfluss, sondern<br />

entscheidet auch willkürlich,<br />

welche Produkte importiert<br />

werden dürfen und welche<br />

nicht. Kein Wunder, dass die<br />

Welthandelsorganisation WTO<br />

Argentinien gerade wegen seiner<br />

protektionistischen Politik<br />

verurteilt hat und über Sanktionen<br />

berät.<br />

Zumindest einen Großinvestor<br />

stört das nicht. Chinas Präsident<br />

Xi Jinping sagte Argentinien<br />

Mitte Juli 7,5 Milliarden<br />

Dollar an Krediten für den Bau<br />

von zwei Wasserkraftwerken<br />

und einer Eisenbahnlinie zu.<br />

Für Präsidentin Kirchner war<br />

das der Beweis, dass Argentinien<br />

weiterhin ein begehrter Investitionsstandort<br />

ist. Bei der<br />

Schuldenkrise helfen die Milliarden<br />

von Chinas Entwicklungsbank<br />

jedoch nicht:Die<br />

Kredite sind projektbezogen.<br />

alexander.busch@wiwo.de | São Paulo<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 37<br />

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Der Volkswirt<br />

DENKFABRIK | Wie stark beeinflussen Moral und Fairnessregeln unsere ökonomischen<br />

Entscheidungen – und welche Rolle spielt der Eigennutz? Wer das Modell des rationalen<br />

Homo oeconomicus im Museum für Ideengeschichte abladen will, übersieht einen<br />

zentralen Punkt: Auch die Moral ist vielfach interessengeleitet. Von Friedrich Heinemann<br />

Zurück durch die Hintertür<br />

Der Homo oeconomicus<br />

ist schwer in die<br />

Defensive geraten.<br />

Manche sagen: Er ist<br />

tot. Die Vorstellung, menschliche<br />

Entscheidungen seien<br />

überwiegend durch die kalte<br />

Maximierung des eigenen<br />

materiellen Vorteils geprägt,<br />

erscheint vielen Menschen als<br />

einseitig und zynisch. Hinzu<br />

kommen vielfältige empirische<br />

Erkenntnisse, dass Fairness-<br />

Gesichtspunkte und moralische<br />

Normen das Verhalten<br />

stark beeinflussen.<br />

So zeigen etwa Laborexperimente,<br />

dass Menschen materielle<br />

Verluste hinnehmen, nur<br />

um ein als ungerecht empfundenes<br />

Verhalten zu bestrafen.<br />

Das gilt sogar für Teilnehmer,<br />

die nicht selber von unfairem<br />

Verhalten betroffen sind. Und<br />

nicht nur in der experimentellen<br />

Ökonomik, auch in der realen<br />

Welt lässt sich der Einfluss der<br />

Moral nachweisen. Die Steuerzahler<br />

hinterziehen bei Weitem<br />

nicht so viele Steuern, wie es<br />

ein Modell des Eigennutzes angesichts<br />

niedriger Entdeckungswahrscheinlichkeiten<br />

nahelegen<br />

würde. Die Bürger betrügen<br />

den Sozialstaat keinesfalls bei<br />

jeder Gelegenheit, die sich bietet.<br />

Und es ist nicht alleine die<br />

Angst vor Strafe, die Menschen<br />

von Verbrechen abhält, sondern<br />

auch das Gewissen.<br />

MACHTVOLLE ROLLE<br />

Gehört der Homo oeconomicus<br />

somit endgültig ins Museum der<br />

ökonomischen Ideengeschichte?<br />

Diese Schlussfolgerung wäre<br />

in mehrfacher Hinsicht falsch.<br />

Zunächst besagt die beschriebene<br />

Empirie ja mitnichten,<br />

dass Eigennutz irrelevant wäre.<br />

Selbst wenn moralische Normen<br />

einen Einfluss etwa auf das Ausmaß<br />

der Steuerhinterziehung<br />

haben, so spielen natürlich die<br />

Höhe der Steuern oder die Entdeckungswahrscheinlichkeit<br />

eine<br />

nachweisbare Rolle für das Ausmaß<br />

der Hinterziehung. Dass es in<br />

jüngster Zeit zu einer Welle von<br />

Selbstanzeigen gekommen ist,<br />

dürfte kaum auf eine massenhafte<br />

moralische Bekehrung der Vermögenden<br />

zurückzuführen sein. Vielmehr<br />

wirkt offenbar die mit den<br />

Steuer-CDs und grenzüberschreitendem<br />

Informationsaustausch<br />

Moralische Normen<br />

sind nicht<br />

unabänderlich,<br />

sondern werden<br />

situationsbedingt<br />

interpretiert.<br />

gestiegene Wahrscheinlichkeit<br />

von Entdeckung und Strafe. Die<br />

Steuerhinterzieher reagieren nun<br />

völlig rational: Weil die „Lotterie“<br />

der Hinterziehung nun mehr Nieten<br />

(Entdeckung) als Gewinne (unentdeckte<br />

Hinterziehung) enthält,<br />

wird sie weniger attraktiv.<br />

Aber noch in einer fundamentaleren<br />

Hinsicht ist der Homo oeconomicus<br />

machtvoller, als seine<br />

Kritiker suggerieren. Moralische<br />

Normen und Fairness-Regeln sind<br />

nämlich nicht unabänderlich.<br />

Sie werden situationsbedingt interpretiert<br />

und verändern sich<br />

im Zeitverlauf. In diesem Kontext<br />

spielt das Eigeninteresse eine<br />

machtvolle Rolle. So zeigt sich in<br />

der Analyse von Umfragedaten<br />

ein bemerkenswertes Muster:<br />

Menschen mit höherem Einkommen<br />

haben tendenziell eine niedrigere<br />

Steuermoral als Menschen<br />

mit geringem Einkommen. Umgekehrt<br />

haben Menschen mit niedrigem<br />

Einkommen weniger Skrupel,<br />

den Sozialstaat zu betrügen, als<br />

Gutverdiener. Diese Muster stehen<br />

im auffälligen Einklang mit<br />

dem Eigeninteresse. Ein Reicher<br />

kann sich eine strenge Sozialstaats-Moral<br />

leisten, weil er ohnehin<br />

keine Gelegenheit hat, den<br />

Wohlfahrtsstaat zu betrügen. Bei<br />

den Steuern sieht es anders aus,<br />

hier wäre eine hohe Moral für<br />

Menschen mit hohem Einkommen<br />

kostspielig.<br />

Mit anderen Worten: Eine moralische<br />

Norm verliert an Überzeugungskraft,<br />

wenn die Kosten ihrer<br />

Befolgung hoch sind. Psychologen<br />

ist diese Anpassung von<br />

Normen und Gerechtigkeitsvorstellungen<br />

an das Eigeninteresse<br />

als „self-serving bias“ bekannt.<br />

Dieses Phänomen führt dazu,<br />

dass wir Normen situationsbedingt<br />

nach unserem Vorteil auslegen.<br />

Längerfristig hat es zur Folge,<br />

dass Normen sich im Einklang<br />

mit dem Eigeninteresse der Menschen<br />

entwickeln und dann womöglich<br />

auch erodieren. So gibt<br />

es Hinweise darauf, dass ein großzügiger<br />

Sozialstaat über die Jahrzehnte<br />

die Ehrlichkeit im Umgang<br />

mit Sozialleistungen untergräbt.<br />

In gewissem Ausmaß basteln<br />

sich Individuen und Gesellschaften<br />

ihre Normen so zurecht,<br />

dass sie nicht zu viele materielle<br />

Einschränkungen mit sich bringen.<br />

EINFLUSS NEHMEN<br />

Auch die Anbieter moralischer<br />

Normen – religiöse Gemeinschaften<br />

oder auch säkulare Organisationen<br />

– verfolgen oft ein<br />

Eigeninteresse, wenn sie versuchen,<br />

Einfluss auf die Ausbildung<br />

von Normen zu nehmen.<br />

So gibt es empirische Hinweise,<br />

dass religiöse Gemeinschaften<br />

Schattenwirtschaft und Steuerhinterziehung<br />

besonders<br />

kritisch sehen, wenn sie in einer<br />

engen Beziehung zum Staat<br />

stehen – und insofern ein Eigeninteresse<br />

an ehrlichen Steuerzahlern<br />

haben. Säkulare Interessengruppen,<br />

die sich<br />

moralisch äußern, verfolgen<br />

ebenfalls ihr Eigeninteresse –<br />

wenn etwa eine Interessengruppen<br />

heimischer Produzenten<br />

den Protektionismus moralisch<br />

unterfüttert.<br />

Diese Überlegungen zeigen:<br />

Der Nachweis, dass moralische<br />

Vorstellungen menschliches<br />

Verhalten beeinflussen, widerlegt<br />

mitnichten den machtvollen<br />

Einfluss des materiellen<br />

Eigeninteresses. Der Homo<br />

oeconomicus betritt die moralisch<br />

ausgeleuchtete Bühne<br />

des menschlichen Handelns<br />

selbstbewusst und einflussreich<br />

durch den Hintereingang.<br />

Friedrich Heinemann leitet<br />

den Forschungsbereich Öffentliche<br />

Finanzen am Zentrum für<br />

Europäische Wirtschaftsforschung<br />

(ZEW) in Mannheim.<br />

FOTOS: PR, ULLSTEIN-BILD/CARO<br />

38 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Geheime Mission<br />

CYBERABWEHR | Den Kopf frustriert in den Sand stecken und vor der technischen Überlegenheit<br />

ausländischer Geheimdienste kapitulieren? Oder die Ärmel hochkrempeln<br />

und eine Sicherheitsoffensive starten? Ein Jahr nach den Enthüllungen des ehemaligen<br />

NSA-Agenten Edward Snowden zeigen Sicherheitschefs deutscher Unternehmen der<br />

WirtschaftsWoche, wie sie sich vor Spionage- und Sabotageattacken schützen.<br />

Spezialisten für Spionageabwehr<br />

arbeiten lieber im Verborgenen.<br />

Wenn allerdings Hans-Georg<br />

Maaßen als Präsident des Bundesamtes<br />

für Verfassungsschutz<br />

(BfV) quasi der oberste Schlapphut der Republik<br />

die Wirtschaft zum Erfahrungsaustausch<br />

nach Berlin einlädt, dann verlassen<br />

auch die sonst so scheuen Sicherheitschefs<br />

kleiner und großer deutscher Unternehmen<br />

ihre Wagenburg und plaudern ansonsten<br />

sorgsam gehütete Interna aus.<br />

An diesem Donnerstag im Mai hat Volker<br />

Ressler, Leiter Corporate Protection<br />

and Security beim Stuttgarter Autozulieferer<br />

Bosch, gerade als Vertreter eines spionagegefährdeten<br />

Technologiekonzerns auf<br />

dem Podium Platz genommen, als der Moderator<br />

die Frage aller Fragen stellt: „Kennen<br />

Sie eigentlich Ihre Kronjuwelen?“<br />

Kronjuwelen – so nennen Unternehmen<br />

ihre kostbarsten Schätze. Früher wurden<br />

sie im Panzerschrank aufbewahrt, jetzt liegen<br />

sie auf – hoffentlich gut abgeschirmten<br />

– Rechnern. Meist sind es Ergebnisse langjähriger<br />

Forschungs- und Entwicklungsarbeit.<br />

Auch sensible Kundendaten und Angebote<br />

bei Ausschreibungen zählen dazu.<br />

Umso überraschter sind die Teilnehmer<br />

des Symposiums, dass ausgerechnet der<br />

Vertreter von Robert Bosch – mit einem<br />

Jahresbudget von 4,5 Milliarden Euro eines<br />

der forschungsintensivsten Unternehmen<br />

in Deutschland – erstmals ein ehrliches<br />

Geständnis ablegt: „Wir sind dabei, unsere<br />

Kronjuwelen kennenzulernen.“ Wow.<br />

Bosch kennt seine wertvollsten Schätze<br />

(noch) nicht. Wer hätte das gedacht.<br />

Der Auftritt des Sicherheitschefs ist<br />

symptomatisch für die Stimmung in den<br />

Unternehmen. Seit den Enthüllungen des<br />

ehemaligen NSA-Agenten Edward<br />

Snowden ist klar: Deutschland mit seinen<br />

High-Tech-Unternehmen gehört zu den<br />

Top-Zielen ausländischer Geheimdienste.<br />

Fast jedes dritte deutsche Unternehmen ist<br />

in den vergangenen Jahren Opfer eines Cyberangriffs<br />

geworden, ergab eine repräsentative<br />

Umfrage des ITK-Branchenverbandes<br />

Bitkom. Laut Studie des Virenschutzanbieters<br />

McAfee liegt Deutschland mit einem<br />

Schaden von 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />

an der Spitze der betroffenen<br />

Länder – weit vor den USA und Japan.<br />

Zudem bleiben Angreifer viel zu lange unentdeckt,<br />

wie der jüngste Bedrohungsbericht<br />

des kalifornischen IT-Sicherheitsanbieters<br />

Fireeye zeigt: Durchschnittlich 229<br />

Tage braucht ein Unternehmen, um Datendieben<br />

auf die Spur zu kommen.<br />

Wie reagieren deutsche Unternehmen<br />

auf diese verschärfte Bedrohungslage? Die<br />

WirtschaftsWoche wollte es genauer wissen.<br />

Das Ergebnis der zahlreichen Gespräche<br />

mit Unternehmens- und Sicherheitschefs:<br />

Manche haben den Ernst der Lage<br />

noch nicht erkannt, andere kennen die Gefahren,<br />

kapitulieren aber vor der technischen<br />

Überlegenheit der Geheimdienste<br />

und anderer Angreifer. Die dritte Gruppe<br />

krempelt die Ärmel hoch und erhöht die<br />

Sicherheitsvorkehrungen noch weiter. Viele<br />

dieser Unternehmen wollen ihre Abwehrstrategien<br />

nicht offenlegen. Das, so erklären<br />

sie unisono, würde nur die Angreifer<br />

provozieren, noch aggressivere Attacken<br />

zu fahren. Das Risiko will keiner eingehen.<br />

Ein paar zur Nachahmung empfohlene<br />

Puzzlesteine aus ihrem Gesamtkonzept<br />

haben sie dann aber doch verraten. Schon<br />

dieser kleine Ausschnitt zeigt: In der deutschen<br />

Wirtschaft gibt es Pioniere, die den<br />

Kampf gegen Geheimdienste und straff organisierte<br />

Cyberbanden aufnehmen.<br />

Spezialeinheit<br />

mit Hackern<br />

Daimler, Stuttgart-Möhringen. Die ehemalige<br />

Unternehmenszentrale ist jetzt das<br />

Reich von Sabine Wiedemann. Von hier<br />

aus wehrt die 50-Jährige, die seit dreieinhalb<br />

Jahren an der Spitze der Konzernsicherheit<br />

steht, Attacken gegen die PCs und<br />

Smartphones der weltweit 275000 Mitarbeiter<br />

des Autobauers ab. Die Sicherheitsspezialistin,<br />

die einst beim Bundeskriminalamt<br />

arbeitete, ist eine von wenigen<br />

Frauen in dieser fast ausschließlich von<br />

Männern dominierten Szene. Vielleicht ist<br />

das einer der Gründe, warum sie anders<br />

mit der Abwehr von Spionage- und Sabotageangriffen<br />

umgeht als viele Kollegen. Der<br />

Arbeit der Sicherheitsabteilungen dürfe<br />

nicht länger die Aura des Geheimnisvollen<br />

anhaften: „Wir müssen viel offener damit<br />

umgehen.“<br />

Den Snowden-Enthüllungen gewinnt sie<br />

deshalb auch Positives ab: Plötzlich fänden<br />

Verbesserungsvorschläge zur Cyberabwehr,<br />

die früher abgeschmettert wurden,<br />

ganz oben und ganz unten viel mehr Gehör.<br />

Das gesamte Unternehmen sei „sensibilisiert“.<br />

Die Chance müsse man nutzen.<br />

Daimler gehört zu den Dax-Unternehmen<br />

mit den höchsten Sicherheitsvorkehrungen:<br />

So gibt es längst ein Lagezentrum,<br />

das weltweit und rund um die Uhr jeden<br />

noch so kleinen Sicherheitsvorfall erfasst<br />

und verfolgt. Um die IT inklusive der Se-<br />

»<br />

FOTO: BERNHARD HASELBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

40 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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DAIMLER<br />

Sabine Wiedemann<br />

Die Chefin der Konzernsicherheit<br />

lenkt die Abwehr von<br />

Attacken auf alle PCs und<br />

Smartphones der weltweit<br />

275 000 Mitarbeiter des Autobauers.<br />

Wiedemann ist eine<br />

von wenigen Frauen in einer<br />

von Männern dominierten<br />

Szene. Um Sicherheitslücken<br />

aufzuspüren, setzt sie auch<br />

auf eine hausinterne Hackertruppe,<br />

die das Firmennetz<br />

ständig attackiert.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 41<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

curity-Lösungen kümmern sich 600<br />

Spezialisten der Tochtergesellschaft Daimler<br />

TSS. Trotzdem ist Wiedemann bewusst,<br />

dass man sich auf dem Erreichten nicht<br />

ausruhen darf: „Vollständige Sicherheit<br />

kann nur eine Momentaufnahme sein.“ Bei<br />

der Cyberabwehr müsse man neue, unkonventionelle<br />

Wege einschlagen.<br />

Darum arbeitet an einem geheimen Ort<br />

eine Spezialeinheit fest angestellter Hacker.<br />

Als einer von wenigen deutschen<br />

Konzernen hat Daimler beschlossen, das<br />

eigene Firmennetz permanent selbst zu attackieren,<br />

um Schwachstellen und Sicherheitslücken<br />

schneller aufzuspüren. „Es<br />

bringt mehr, wenn wir die Sicht eines außenstehenden<br />

Angreifers einnehmen“, sagt<br />

Lüder Sachse, als Chief Information Security<br />

Officer einer von Wiedemanns engsten<br />

Mitarbeitern.<br />

Die Reaktionen auf Snowden<br />

Welche Konsequenzen deutsche Unternehmen<br />

aus dem NSA-Abhörskandal ziehen*<br />

31 %<br />

23 %<br />

13 %<br />

11 %<br />

49 %<br />

Wir haben unsere Sicherheitsanforderungen<br />

an IT- und Telekomdienstleister<br />

erhöht<br />

Wir werden in den nächsten zwölf<br />

Monaten aus Sicherheitsbedenken keine<br />

Cloud-Dienste in Anspruch nehmen<br />

Wir haben konkret geplante Cloud-<br />

Projekte zurückgestellt<br />

Wir haben bestehende Cloud-Projekte<br />

aufgegeben<br />

Wir haben vorerst keine<br />

Konsequenzen gezogen<br />

* Mehrfachnennungen möglich; Quelle: KPMG; Bitkom<br />

Aus der Arbeit der Hacker hat der Autobauer<br />

folgende Lehre gezogen: „Die Widerstandsfähigkeit<br />

der IT-Systeme muss so<br />

hoch geschraubt sein, dass es für den Angreifer<br />

zu aufwendig wird“, sagt Wiedemann.<br />

Die meisten geben nach wenigen<br />

Stunden auf und wenden sich einem anderen<br />

Ziel zu.<br />

Aus diesem Grund werde die bisherige<br />

Sicherheitsphilosophie überdacht. Vielen<br />

Unternehmen reiche es, die Checklisten<br />

zusammen mit den IT-Sicherheitsbeauftragten<br />

der Standorte abzuarbeiten. „Trotz<br />

abgehakter Checkliste kann es bei Härtetests<br />

schlechte Ergebnisse geben“, sagt<br />

Sachse. „Die meisten Hackerangriffe dauern<br />

nur wenige Stunden. Doch bis sie erkannt<br />

werden, vergehen oft Monate. In diesem<br />

Hase-Igel-Spiel wollen wir viel schneller<br />

werden.“<br />

Die Schlagzeilen der vergangenen Wochen<br />

zeigen, wie dramatisch die Lage ist.<br />

So griff beim Deutschen Zentrum für Luftund<br />

Raumfahrt (DLR) in Köln-Porz, einer<br />

der am besten gesicherten Forschungseinrichtungen<br />

im Land, ein perfides Spionageprogramm<br />

Rechner von Wissenschaftlern<br />

an, ohne dass die Schutzprogramme<br />

anschlugen. Der Trojaner war so programmiert,<br />

dass er sich selbst zerstört, sobald<br />

ihm jemand auf die Schliche kommt.<br />

Beim Kölner Handelsriesen Rewe knackte<br />

ein Hacker den privaten E-Mail-Account<br />

eines Aufsichtsratsmitglieds und zog Unterlagen<br />

für die nächste Sitzung ab. Der<br />

Unbekannte versuchte Rewe-Chef Alain<br />

Caparros damit zu erpressen und drohte in<br />

einem anonymen Schreiben: „Wäre doch<br />

schade, wenn diese Daten an die Öffentlichkeit<br />

gelangen würden, oder?“<br />

Welche IT-Sicherheitsmaßnahmen die<br />

Unternehmen verstärken*<br />

66 %<br />

35 %<br />

43 %<br />

33 %<br />

3 %<br />

2 %<br />

0 %<br />

Organisatorische Verbesserungen<br />

(z. B. Zugriffskontrollen)<br />

Firewall eingeführt/erneuert<br />

Virenscanner eingeführt/erneuert<br />

Schulungen zur IT-Sicherheit<br />

Standardisierungen/Zertifizierungen<br />

Früherkennungssysteme einsetzen<br />

Einstellung zusätzlicher IT-Sicherheitsexperten<br />

Die Fälle sind nur die Spitze des Eisberges.<br />

Nach Ansicht von Norbert Pohlmann,<br />

Professor für Internet-Sicherheit an der<br />

Fachhochschule Gelsenkirchen, sind die<br />

Unternehmen weiter denn je davon entfernt,<br />

einen perfekten Schutzwall aufbauen<br />

zu können. „Zur Geschichte des Internets<br />

gehört, dass die Sicherheitsprobleme jedes<br />

Jahr größer werden“, bemängelt Pohlmann.<br />

Die Sicherheitslücken könnten gar<br />

nicht so schnell geschlossen werden, wie<br />

sie auftreten: „Die Angreifer sind uns haushoch<br />

überlegen.“<br />

Experten wie Pohlmann plädieren deshalb<br />

für branchenweite Sicherheitslösungen,<br />

bei denen produzierende Unternehmen<br />

den gesamten Datenaustausch mit ihren<br />

Zulieferern verschlüsseln.<br />

Auch Daimler denkt darüber nach, den<br />

Zulieferern strenge Sicherheitsvorgaben<br />

aufzuerlegen und die Sicherheitstests auf<br />

die gesamte Lieferkette auszuweiten. Das<br />

sei ein „sensibles Thema“, denn die Autozulieferer<br />

seien rechtlich selbstständige<br />

Unternehmen, so Wiedemann. Dabei gehe<br />

es auch um die sichere Steuerung internetfähiger<br />

Maschinen. „Viele Roboter sind anfällig“,<br />

sagt die Sicherheitschefin. „In den<br />

Fabriken gibt es heute nicht die Sicherheit<br />

wie an den Büroarbeitsplätzen.“<br />

Mit seinen Plänen für die Zulieferer ginge<br />

Daimler weit über das bereits bestehende<br />

Branchennetz European Network Exchange<br />

(ENX) hinaus. Der in Frankfurt ansässige<br />

Verein knüpfte im Jahr 2000 ein eigenes,<br />

besonders gesichertes Netz für den<br />

Datenaustausch zwischen den großen Autoherstellern<br />

und ihren Zulieferern. 1700<br />

Unternehmen, darunter alle großen in<br />

Deutschland, sind angeschlossen. Beim<br />

Gründungsmitglied Volvo wurde die Verbindung<br />

allerdings aus Sicherheitsgründen<br />

gekappt, nachdem Ford seine schwedische<br />

Tochter vor vier Jahren an den chinesischen<br />

Geely-Konzern verkauft hatte.<br />

Bei Unternehmen aus dem Reich der Mitte<br />

ist die Gefahr groß, dass sie mit den Geheimdiensten<br />

kooperieren.<br />

Schutzwall<br />

für Maschinen<br />

Berliner Wasserbetriebe, Berlin-Friedrichshagen.<br />

Hinter der schmucklosen Fassade<br />

des Pumpwerks, einen Steinwurf entfernt<br />

<strong>vom</strong> Großen Müggelsee im Südosten<br />

der Hauptstadt, hat der IT-Sicherheitsingenieur<br />

Michael Böttcher etwas Besonderes<br />

aufgebaut. Von seiner Leitstelle aus<br />

wird die gesamte Wasserversorgung in<br />

Berlin überwacht. Der größte deutsche<br />

Wasserversorger pumpt jedes Jahr 200<br />

Millionen Kubikmeter durch ein weitverzweigtes,<br />

7900 Kilometer langes Rohrnetz.<br />

„Die Versorgung muss rund um die Uhr<br />

garantiert sein“, sagt Böttcher. Ein hochkomplexes<br />

System aus neun lokalen Wasserwerken,<br />

900 Brunnen, 42 Belüftungsbauwerken,<br />

186 Aufbereitungsfiltern, 63<br />

Reinwasserbehältern und 89 Reinwasserpumpen<br />

sorgt dafür, dass aus jedem Wasserhahn<br />

mit konstantem Druck sauberes<br />

Trinkwasser fließt.<br />

Hinter den etwa zwei Dutzend Monitoren<br />

versteckt sich ein bislang einzigartiges<br />

Kontrollzentrum, mit dem die Berliner<br />

Wasserwerker Sabotageakte aus dem Internet<br />

verhindern wollen: „Der Rolls-Royce<br />

unter den IT-Sicherheitslösungen“, sagt<br />

Böttcher.<br />

»<br />

42 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: ANDREAS CHUDOWSKI FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

BERLINER WASSERBETRIEBE<br />

Michael Böttcher<br />

Der IT-Sicherheitsingenieur des größten kommunalen<br />

Wasserversorgers in Deutschland versucht<br />

mit eigenem Kontrollzentrum, Sabotageakte aus<br />

dem Web auf die komplexen Versorgungssysteme<br />

zu unterbinden. Der Bereitschaftsdienst arbeitet<br />

rund um die Uhr – mit hochverschlüsselten Zugängen<br />

für alle Mitarbeiter.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 43<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Die Wasser- und Stromversorgung gehört<br />

zu den Infrastrukturbereichen, die mit<br />

besonders hohen Sicherheitsanforderungen<br />

vor dem Totalausfall geschützt werden.<br />

Für Berlin wäre es der GAU, wenn Hacker<br />

oder ausländische Cyberkrieger in die<br />

Steuerungscomputer eindringen und das<br />

System lahmlegen. Eine winzige Manipulation<br />

der Software reicht aus, um die Wasserversorgung<br />

zum Stillstand zu bringen –<br />

und damit das gesamte Gesellschafts- und<br />

Wirtschaftsleben. Eine penible Überwachung<br />

des gesamten Datenverkehrs ist<br />

deshalb eine der Aufgaben des neuen Kontrollzentrums.<br />

„Im Notfall müssen wir sehr<br />

schnell handeln“, sagt Böttcher. Der Bereitschaftsdienst,<br />

der rund um die Uhr im Einsatz<br />

ist, muss deshalb im Notfall auch von<br />

zu Hause aus sofort eingreifen und Korrekturen<br />

vornehmen können.<br />

Angst vor Smartphones<br />

Welche Trends die Bedrohungslage durch<br />

Cyberangriffe verschärfen (in Prozent)<br />

Mobile Geräte<br />

Cloud Computing<br />

Soziale Netzwerke<br />

Vernetzte Maschinen<br />

Quelle: PAC<br />

E-Commerce<br />

Big Data<br />

Sehr stark<br />

6 %<br />

3 %<br />

2 %<br />

7 %<br />

Stark<br />

24 %<br />

26 %<br />

20 %<br />

19 %<br />

26 %<br />

35 %<br />

39 %<br />

49 %<br />

Andererseits gelten gerade solche Fernzugänge<br />

als Achillesferse aller Steuerungscomputer:<br />

Die Zugangsdaten lassen sich<br />

vergleichsweise leicht ausspionieren, ein<br />

Mitarbeiter braucht sie nur weiterzureichen.<br />

Sich einem externen Dienstleister als<br />

Betreiber der Leitstelle „bedingungslos anzuvertrauen“<br />

kam für die Wasserbetriebe<br />

aber nicht infrage. Als erster kommunaler<br />

Versorger haben die Berliner deshalb ein<br />

hochgradig verschlüsseltes System implementiert,<br />

das der Essener IT-Sicherheitsspezialist<br />

Secunet in abgewandelter Form<br />

auch im Regierungsnetz einsetzt, dem Informationsverbund<br />

Berlin-Bonn (IVBB).<br />

Der IVBB gilt als Messlatte in der Cyberabwehr.<br />

Unter strengsten Vorgaben des<br />

Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik<br />

(BSI) für den elektronischen<br />

Versand geheimer Verschlusssachen<br />

haben Unternehmen wie Secunet und die<br />

in Kirchheim bei München ansässige Genua<br />

dieses hochsichere Regierungsnetz<br />

mit ganz wenigen, besonders geschützten<br />

und kontrollierten Übergängen ins öffentliche<br />

Internet konstruiert.<br />

2000 bis 3000 Mal pro Tag, also etwa zwei<br />

Mal pro Minute, registriert das BSI einen<br />

Angriff auf das Regierungsnetz. Die meisten<br />

Angriffe – etwa mit Schadprogrammen<br />

infizierte E-Mails – werden automatisch<br />

abgeblockt. Nur in 30 Fällen musste das BSI<br />

2013 aktiv eingreifen, um einen „Abfluss<br />

kritischer Informationen“ zu verhindern.<br />

Nur bei wenigen Unternehmen werden<br />

bisher einzelne Sicherheitskomponenten<br />

aus dem IVBB zur Absicherung der Firmennetze<br />

eingesetzt. Den meisten ist das<br />

zu teuer. Die Berliner Wasserbetriebe haben<br />

anders entschieden, weil die preiswer-<br />

Gefährliche Mitarbeiter<br />

Vonwem die größte Bedrohung bei Spionageund<br />

Cyberattacken ausgeht<br />

Sehr große Bedrohung<br />

Eigene Mitarbeiter<br />

Wettbewerber<br />

Externe Mitarbeiter*<br />

Aktivisten<br />

Organisierte Kriminalität<br />

Ausländische Regierungsbehörden<br />

(Geheimdienste)<br />

6 %<br />

teren Lösungen Lücken hatten. Böttcher:<br />

„Wichtig war uns, dass wir die vollständige<br />

Kontrolle behalten.“<br />

Vertrauenswürdige<br />

Anbieter<br />

Relevante Bedrohung<br />

7 %<br />

5 %<br />

5 %<br />

* Zeitarbeitnehmer, Berater; Quelle: PAC<br />

11 %<br />

10 %<br />

21 %<br />

29 %<br />

33 %<br />

31 %<br />

30 %<br />

39 %<br />

Varta Microbattery, Ellwangen. Wer Unternehmenschef<br />

Herbert Schein in seinem<br />

Büro in der Zentrale besucht, spürt sofort,<br />

dass der Mann überdurchschnittlich technikaffin<br />

ist: Auf seinem Schreibtisch liegen<br />

die Utensilien, die ein Smartphone zur<br />

Schaltstation für alle Lebensbereiche aufrüsten<br />

können – Headsets, Uhren, Körpersensoren,<br />

Armbänder und Brillen.<br />

All diese Geräte, ist Schein überzeugt, sichern<br />

Vartas Zukunft: Sie brauchen starke<br />

Energiequellen, die so winzig sind, dass sie<br />

sich leicht in jedes Teil einbauen lassen.<br />

Möglich wird das durch neue, leistungsfähige<br />

Lithium-Ionen-Batterien. Von Mitte<br />

2015 an soll die Produktion im badenwürttembergischen<br />

Ellwangen starten.<br />

„Massenfertigung ohne hohen Ausschuss<br />

können nur ganz wenige“, sagt Schein. „Wir<br />

gehören dazu.“<br />

Varta ist daher ein ideales Spionageziel.<br />

Wie kaum ein anderes Unternehmen ist es<br />

in die Forschungsprojekte von Autobauern,<br />

Energieversorgern und Handyherstellern<br />

eingebunden. Ob Energiewende oder<br />

Elektroauto: Der Erfolg hängt an einem<br />

starken Energiespeicher, der sich schnell<br />

wieder aufladen lässt. Vartas für die Sicherheit<br />

zuständiger Chief Information Officer<br />

Wolfgang Fritz hat darum einen hohen<br />

Schutzwall errichtet, der alle Spionageangriffe<br />

abwehren soll: „Die Kunst ist, die<br />

echten Innovationen zu schützen.“<br />

Wenn doch mal einer mit „viel krimineller<br />

Energie“ ins Firmennetz eindringt, könne<br />

er mit den abgezogenen Informationen<br />

wenig bis gar nichts anfangen, so Fritz: Die<br />

wirklich wichtigen Informationen sind auf<br />

drei Rechner verteilt, „der Angreifer bekommt<br />

höchstens einzelne Puzzlesteine,<br />

aber nie das gesamte Bild“.<br />

Bei Sicherheitsfragen ist Fritz altmodisch:<br />

Firmendaten per Cloud Computing<br />

zu einem externen IT-Anbieter auszulagern<br />

kommt für ihn nicht infrage. Inzwischen<br />

sehen das viele IT-Chefs so: Laut einer<br />

Bitkom-Umfrage haben 13 Prozent der<br />

Unternehmen konkret geplante Cloud-<br />

Projekte zurückgestellt, elf Prozent haben<br />

sogar bestehende Lösungen aufgegeben.<br />

„Die NSA-Affäre hat dem Wachstum einen<br />

herben Dämpfer versetzt“, sagt Bitkom-<br />

Präsident Dieter Kempf.<br />

Auch an einer zweiten Tradition hält<br />

Fritz fest. Nicht die Großen der IT-Szene<br />

wie IBM oder Microsoft gehen in Ellwangen<br />

ein und aus, sondern kleine, lokal tätige<br />

IT-Dienstleister aus Baden-Württemberg<br />

wie die Arcos Informationssysteme<br />

aus Essingen. „Die helfen rund um die Uhr,<br />

wenn es mal ein Problem gibt“, sagt Fritz.<br />

Sicherheitsübung<br />

im Vorstand<br />

RWE, Essen-City. Wer in diesen Tagen in<br />

der nahe am Hauptbahnhof gelegenen<br />

Zentrale des Energieversorgers die von<br />

Mitarbeitern besonders stark frequentierten<br />

Bereiche wie etwa die Kantine besucht,<br />

erkennt die Veränderungen sofort. Gut<br />

sichtbar sind kleine Werbeständer an den<br />

Eingängen aufgestellt, die den Schatten ei-<br />

44 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: BERNHARD HASELBECK FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

nes sportlichen Mannes mit Baseballkappe<br />

zeigen: Die schwarze Silhouette zeigt einen<br />

Spion. „Alles hat seine Schattenseite“ lautet<br />

die Überschrift auf dem ersten Plakat.<br />

Auf den nächsten werden Fragen an die<br />

Mitarbeiter gestellt: „Wo ist Ihr Smartphone<br />

gerade?“, „Haben Sie Ihr Büro abgeschlossen?“,<br />

„Wo bewahren Sie Ihr Passwort<br />

auf?“ Darunter steht ein Warnhinweis<br />

wie auf Zigarettenschachteln: „Mangelnde<br />

Vorsicht im Umgang mit Informationen<br />

kann weitreichende Folgen haben – für Sie,<br />

unsere Kunden und das Unternehmen.“<br />

Die Kampagne ist Teil einer Sensibilisierungsoffensive,<br />

die RWE im Frühjahr gestartet<br />

hat. Der Vorstand um Peter Terium<br />

geht mit gutem Beispiel voran: Ende März<br />

nahm sich die vierköpfige Riege einen halben<br />

Tag Zeit für eine Sicherheitsübung – eine<br />

bis dato ungewöhnliche Maßnahme für<br />

die viel beschäftigten Vorstände. Wie gehen<br />

Angreifer heute vor? Wie ist die weltweite<br />

Bedrohungslage? Wie gut ist RWE<br />

aufgestellt? Wo gibt es Verbesserungspotenzial?<br />

Auf diese Fragen wollten Terium<br />

und seine Vorstandskollegen fundierte<br />

Antworten erhalten. Sie tauchten für vier<br />

Stunden in die Schattenwelt der Cyberspione<br />

und -saboteure ein.<br />

Live führte Sicherheitschef Florian Haacke<br />

die technischen Tricks vor, mit denen<br />

ausländische Geheimdienste oder gut organisierte<br />

Kriminelle in Vorstandsrechner<br />

eindringen. „Plötzlich konnten die Vorstände<br />

mit eigenen Augen sehen, dass die<br />

vier im Konferenzsaal aufgestellten Rechner<br />

wie von Geisterhand aus der Ferne gesteuert<br />

und interne Daten angezapft und<br />

kopiert wurden“, erzählt Haacke.<br />

Würde solch ein Angriff auf die Steuerungscomputer<br />

im Stromnetz gelingen,<br />

wäre das für RWE der GAU. Per Mausklick<br />

könnte ein einziger Hacker den Strom abschalten<br />

und damit eine Kettenreaktion im<br />

ganzen Land auslösen. Für eine gut aufgestellte<br />

Cyberabwehr, so Haackes Botschaft<br />

an die Top-Etage, sind deshalb nicht mehr<br />

nur die IT-Spezialisten verantwortlich. Der<br />

ganze Konzern muss mitziehen, sonst gibt<br />

es zu viele offene Flanken.<br />

Noch in diesem Jahr will Haacke die Vorstandsübung<br />

wiederholen. Als Nächstes ist<br />

die zweite Hierarchieebene an der Reihe –<br />

die Top-Manager der verschiedenen Konzerngesellschaften.<br />

Haacke kennt die<br />

Kronjuwelen des Konzerns – auch wenn<br />

die bei RWE als Energieversorger längst<br />

nicht so zahlreich sind wie beim Technologieriesen<br />

Bosch.<br />

n<br />

juergen.berke@wiwo.de<br />

VARTA<br />

Wolfgang Fritz<br />

Der IT-Chef des baden-württembergischen Batterieherstellers lässt sensible<br />

Informationen auf drei Rechnern verteilt speichern – ein potenzieller Angreifer<br />

soll so nur einzelne Puzzleteile erhalten, nie das gesamte Bild. Zudem vertraut<br />

er auf lokale IT-Dienstleister vor Ort statt einem der Großen der IT-Szene.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 45<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Das Albrecht-Vermächtnis<br />

ALDI | Der verstorbene Discountkönig Karl Albrecht hinterlässt nicht nur ein Milliardenvermögen,<br />

sondern auch Management-Leitsätze, die das Fundament für Aldis Fabelaufstieg bildeten und heute<br />

noch lehren, wie man einen Konzern über Jahrzehnte auf Erfolgskurs hält.<br />

Kein verbaler Trauerflor, kein Hinweis<br />

auf den Tod einer Legende, kein<br />

Wort des Verlustes. Stattdessen übt<br />

sich der allwöchentliche Newsletter „Aldi<br />

informiert“ in munterer Verkaufsroutine:<br />

Aluminium-Rollatoren gibt’s für 89,99 Euro,<br />

Leder-Pantoletten für 8,99 Euro, und die<br />

Dose WC-Schaumreiniger kostet 1,29 Euro.<br />

Dazu Hornhautfeilen und Flaschenkühler,<br />

Bikinizonen-Rasierer und Standmixer – alles<br />

Aldi-günstig versteht sich, alles ab Montag<br />

in der nächstgelegenen Aldi-Süd-Filiale<br />

in haushaltsüblichen Mengen erhältlich.<br />

Alles wie immer bei Aldi.<br />

Wahrscheinlich hätte es Karl Albrecht<br />

genau so gewollt. Er war so. Der Mitbegründer<br />

des größten deutschen Discounters,<br />

der Wegbereiter eines neuen Handelsformates<br />

und reichste Deutsche stirbt,<br />

doch das Geschäft geht unverdrossen weiter.<br />

Nicht einmal kurz gerät die Verkaufsmaschine<br />

ins Stocken, keine Kämpfe ums<br />

Erbe lähmen den Konzern. Seit Jahren war<br />

alles sorgsam vorbereitet für den Abgang<br />

Karls des Großen, der über ein Reich von<br />

fast 5000 Filialen in neun Ländern gebot.<br />

Auf 19 Milliarden Euro wird sein Vermögen<br />

taxiert, 38,51 Milliarden Euro Umsatz soll<br />

Aldi Süd 2013 eingespielt haben.<br />

Aus einer kleinen Ladenstube in Essen<br />

haben Karl und sein 2010 verstorbener<br />

Bruder Theo Albrecht ein global agierendes<br />

Handelsimperium geschaffen und<br />

Deutschland, das Land der Dichter und<br />

Denker, auch in das Land des Discounts<br />

verwandelt. Die Aldi-Brüder haben dazu<br />

Verschwiegener Imperator<br />

Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht<br />

FOTOS: ULRICH ZILLMANN, ALDI SÜD/DPA, OBS/ALDI EINKAUF GMBH & CO.OHG, WAZ FOTOPOOL/MARGA KINGLER-BUSSHOFF, PR, IMAGO/HRSCHULZ<br />

46 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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eigetragen, die Verbraucher über alle Gesellschaftsschichten<br />

hinweg auf „billig“ zu<br />

eichen. Das Aldi-Prinzip wurde kopiert<br />

und fand Einzug in andere Branchen.<br />

Wie war ein solcher Siegeszug möglich?<br />

„Ich habe Glück gehabt, sehr viel Glück“,<br />

erklärte Albrecht in einem Gespräch mit<br />

der „FAZ“ wenige Wochen vor seinem Tod.<br />

Glück? Das mag bei aller Koketterie zum<br />

Teil sogar stimmen. Die Entdeckung des<br />

Erfolgsformates Discount gelang den Gebrüdern<br />

aus einer Krisensituation heraus.<br />

Hingegen hatten der anschließende systematische<br />

Ausbau des Geschäfts und die<br />

Sicherung der Marktposition über Jahrzehnte<br />

hinweg nur wenig mit Zufall zu tun.<br />

Sieben schlichte Leitsätze lassen sich identifizieren,<br />

die das Fundament für Aldis Fabelaufstieg<br />

bilden. Sie sind eng mit den unternehmerischen<br />

Überzeugungen und der<br />

Persönlichkeit des Gründers Albrecht verwoben<br />

und taugen zugleich als generelles<br />

Raster für einen nachhaltigen Unternehmensaufbau.<br />

1<br />

1. Reduziere<br />

die Risiken!<br />

Die Entwicklung des Discountkonzepts<br />

bescherte den Albrechts einen Ruf als Handelsrevoluzzer.<br />

Dabei wurde die Erfolgsidee<br />

aus blanker Not geboren. 1948 übernehmen<br />

Karl und Theo das im Krieg unbeschädigt<br />

gebliebene Lebensmittelgeschäft<br />

ihrer Mutter Anna in Essen und bauen eine<br />

kleine Ladenkette auf. Mit dem Erstarken<br />

der Selbstbedienungs-Supermärkte werden<br />

die Nachbarschaftsläden jedoch zum<br />

Auslaufmodell. Die Albrecht-Kundschaft<br />

wendet sich ab. Die Handelsbrüder scheitern<br />

mit dem Versuch, eigene Supermärkte<br />

zu betreiben. Auch die Idee, Großmärkte<br />

für Gewerbetreibende aufzumachen – das<br />

spätere Modell der Metro – wird zum Flop.<br />

Der vierte Anlauf ist schließlich der Volltreffer.<br />

Statt üppig bestückter Regale gibt es<br />

in den Läden nur ein karges Produktangebot,<br />

allerdings zu unschlagbar günstigen<br />

Preisen. Die Albrechts erfinden den Discount.<br />

Von der ersten Filiale im nordrheinwestfälischen<br />

Dinslaken aus revolutioniert<br />

das neue Verkaufsformat ab Ende 1961 im<br />

Sturm die Handelswelt.<br />

Statt nun weitere Formate ins Rennen zu<br />

schicken, um den Erfolg zu wiederholen,<br />

schalten die Albrechts jedoch um und reduzieren<br />

systematisch die Risiken. Das erprobte<br />

Modell wird permanent verfeinert,<br />

aber nicht mehr radikal umgebaut. Aldi gehört<br />

fortan nur noch selten zu den Händ-<br />

lern, die sich als Erste mit Innovationen auf<br />

den Markt wagen und dabei oft genug Millionenbeträge<br />

in den Sand setzen. Vielmehr<br />

ist das Management darauf konditioniert,<br />

den Markt genau zu beobachten und<br />

Konzepte zu adaptieren, die sich bei Wettbewerbern<br />

bewährt haben. Ideen werden<br />

gesichtet, getestet, perfektioniert und erst<br />

dann flächendeckend ausgerollt.<br />

So führte Aldi Süd erst zur Jahrtausendwende<br />

jene Scanner-Kassen ein, die bereits<br />

seit den Achtzigerjahren zum Standard in<br />

Supermärkten gehören. Bis dahin mussten<br />

die Verkäuferinnen die Warencodes aller<br />

Produkte auswendig in ihre Kassen hacken.<br />

Parallel zur Einführung der neuen Aldi-<br />

Kassen wurden die Verpackungen angepasst<br />

und die Strichcodes gleich auf mehrere<br />

Seiten eines Artikels gedruckt, um die<br />

Kassiergeschwindigkeit noch mal zu steigern<br />

– wenn schon Neuerung, dann richtig.<br />

Ganz ähnlich agierte das Unternehmen<br />

auf anderen Feldern: Egal, ob beim Aufbau<br />

des Aktionsgeschäfts mit wöchentlich<br />

wechselnden Gebrauchsartikeln, beim<br />

Verkauf von frisch aufgebackenem Brot per<br />

Automaten oder bei der Expansion in neue<br />

Länder – Aldi wartet geduldig ab, ob eine<br />

Idee wirklich zündet. Erst dann wird mit<br />

voller Wucht zugeschlagen.<br />

2<br />

2. Verteidige den<br />

Markenkern!<br />

„Was man erreichen muss“, verriet Karl Albrecht<br />

wenige Wochen vor seinem Tod,<br />

„ist, dass der Kunde den Glauben gewinnt,<br />

nirgendwo billiger einkaufen zu können.“<br />

Gleich zu Beginn ihrer unternehmerischen<br />

Tätigkeit setzen die Gebrüder Albrecht<br />

auf den Preis als entscheidendes<br />

Einkaufskriterium und legen damit eine<br />

Markenstrategie fest, bevor es diese Werbevokabel<br />

überhaupt gab. In spartanischem<br />

Ladenambiente verkaufen sie Standardprodukte.<br />

Über die Jahre verändern<br />

sich zwar Ladengestaltung und Warenangebot,<br />

Artikel wie Computer, Reisen und<br />

Champagner kommen dazu. Doch die<br />

konsequente Niedrigpreispolitik behält<br />

das Unternehmen bei.<br />

Die Folge: „Die Formel ‚Aldi gleich günstig‘<br />

ist fest im kollektiven Bewusstsein der<br />

Deutschen verankert“, sagt Bianca Casertano,<br />

Handelsanalystin beim Brancheninformationsdienst<br />

Planet Retail in Frankfurt.<br />

Das Billig-Image wird <strong>vom</strong> Management<br />

nach wie vor mit Verve verteidigt. Niemand<br />

unterbietet Aldi beim Preis, lautet denn<br />

auch das ungeschriebene Gesetz der<br />

»<br />

Keimzelle Essen<br />

Im Herzen des Ruhrgebiets startete<br />

die Handels-Erfolgsgeschichte.<br />

1930 Lebensmittelladen von Mutter<br />

Anna Albrecht in Essen-Schonnebeck<br />

1971 Das Geschäft wird nach der Konzernteilung<br />

zur Aldi-Nord-Filiale<br />

1980 Typisches Discount-Interieur am<br />

Stammsitz in der Huestraße 89 in Essen<br />

2001 Der PC-Boom seit den Neunzigerjahren<br />

führt zum Ansturm auf Aldi<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 47<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

Branche. Wer es dennoch wagt, muss<br />

mit gnadenlosen Gegenattacken rechnen.<br />

Erst Anfang des Jahres untermauerte Aldi<br />

die Rolle als Preisführer. Mit einer Welle<br />

von Rotstiftaktionen bei Eiern, Kaffee und<br />

Fleisch sorgte der Discountprimus für Aufruhr<br />

in der deutschen Handelszunft. „Das<br />

ist Wertvernichtung“, schimpfte Rewe-Chef<br />

Alain Caparros. Für Aldi dürfte sich der Angriff<br />

trotzdem gelohnt haben. „Unsere ganze<br />

Werbung liegt im billigen Preis“, hatte<br />

Karl Albrecht schon 1953 postuliert.<br />

Zugleich ist Aldi bei der Qualität der Waren<br />

kompromisslos. Ständig werden die Eigenmarken<br />

in Labors und bei unabhängigen<br />

Instituten kontrolliert. Fällt etwa ein<br />

Urteil der Stiftung Warentest negativ aus,<br />

wird es für den Hersteller ungemütlich.<br />

Natürlich versuchen auch die Wettbewerber,<br />

die Qualitätsstandards zu halten,<br />

schon um kostspielige und schlagzeilenträchtige<br />

Rückrufaktionen zu vermeiden.<br />

Doch hier kommt ein weiteres Kernmotiv<br />

des Aldi-Erfolgs zum Tragen. Während die<br />

Rivalen Tausende Artikel überwachen<br />

müssen, sind es bei Aldi deutlich weniger.<br />

3<br />

3. Verringere<br />

die Komplexität!<br />

Das Discountgeschäft gilt als Kunst des<br />

Weglassens – und Aldi hat es darin zu wahrer<br />

Meisterschaft gebracht. Das Sortiment<br />

verknappten die Gründer-Brüder anfangs<br />

radikal. Gerade mal 350 Artikel fanden sich<br />

in einer Filiale. Auch heute gibt es bei Aldi<br />

nicht vier oder fünf verschiedene Butter-,<br />

Waschmittel- oder Ketchupsorten wie bei<br />

der klassischen Supermarkt-Konkurrenz.<br />

Meist finden sich nur eine oder zwei Varianten.<br />

Der Vorteil: Der Absatz konzentriert<br />

sich auf einzelne Artikel, deren Verkaufsvolumen<br />

steigt, was die Einkaufskonditionen<br />

verbessert. Die Logistik ist mit weniger Waren<br />

weniger aufwendig. Fehler bei Einkauf<br />

und Bestellung werden vermieden.<br />

Zudem haben Karl und Theo Albrecht<br />

von Anfang an auf stark standardisierte<br />

Prozesse gesetzt. Von der Warenwirtschaft<br />

bis zum Ladenbau werden die Routine-<br />

Vorgänge nach strikten Regeln bearbeitet.<br />

Wer eine Aldi-Süd-Filiale kennt, findet sich<br />

als Kunde wie als Mitarbeiter schnell auch<br />

in einem anderen Markt zurecht. Weniger<br />

Komplexität im Geschäft bringt am Ende<br />

mehr: Mit einem Umsatz von 7900 Euro<br />

pro Quadratmeter Verkaufsfläche ist Aldi<br />

Süd der mit Abstand produktivste Lebensmittelhändler<br />

Deutschlands.<br />

4<br />

4. Halte das Geld<br />

zusammen!<br />

Die Albrecht’sche Sparsamkeit ist legendär.<br />

Tatsächlich lebte Karl Albrecht für einen<br />

Multimilliardär bescheiden, wenn auch<br />

längst nicht so asketisch, wie mitunter kolportiert<br />

wird. Er bewohnte ein großzügiges<br />

Anwesen im Essener Stadtteil Bredeney. In<br />

den Siebzigerjahren kaufte der begeisterte<br />

Golfspieler den Öschberghof, ein malerisch<br />

gelegenes Wellnesshotel mit<br />

27-Loch-Golfanlage. Dort, in der Nähe von<br />

Donaueschingen in Baden-Württemberg,<br />

fanden bisweilen auch die Familientreffen<br />

des Clans statt – zuletzt Anfang April.<br />

Chauffiert, so wird berichtet, wurde der<br />

94-jährige Patriarch von seinem vertrauten<br />

Fahrer im S-Klasse-Mercedes mit langem<br />

Radstand, aber sparsamem Dieselmotor.<br />

Albrecht wohnte wie immer abgeschirmt<br />

in einer Villa, die per Tunnel mit dem<br />

Öschberghof verbunden sein soll.<br />

Von der barocken Prachtentfaltung anderer<br />

Superreicher samt Yacht- und Privatjet-Exzessen<br />

blieb Albrecht jedoch stets<br />

weit entfernt. Öffentlich zur Schau gestellter<br />

Prunk war ihm ein Gräuel. Als Aldi-Manager<br />

ihrem Patron zum 90. Geburtstag ein<br />

Zirkus-Event nebst Galadinner spendierten,<br />

soll sich der Jubilar mit drei schlichten<br />

Sätzen bedankt haben: „Ich wollte nicht,<br />

dass ihr alle kommt. Ich habe Hunger. Und<br />

ich gehe bald wieder nach Hause.“<br />

Die Manager hätten es wissen müssen:<br />

Zu den zentralen Erfolgsfaktoren des Unternehmens<br />

zählt seit jeher eine bis ins<br />

Skurrile anmutende Kostendisziplin.<br />

Um Papier und Druckkosten zu sparen,<br />

hätten die Clanchefs jahrelang Briefbögen<br />

verwendet, auf denen die alte vierstellige<br />

Postleitzahl säuberlich durchgestrichen<br />

und durch die neue fünfstellige ersetzt<br />

wurde, erzählen Aldi-Veteranen gerne.<br />

Hochrangige Manager sollen gar eigens<br />

Bleistiftstummel in ihren Schubladen versteckt<br />

haben, um diese dann auf dem<br />

Schreibtisch zu platzieren, sobald ein Besuch<br />

des alten Herrn anstand.<br />

Derlei Storys fügen sich nahtlos ins Bild<br />

eines gnadenlos auf Effizienz getrimmten<br />

Konzerns. Die Folge der Sparsamkeitsdoktrin:<br />

Unternehmerische Hybris, gewagte<br />

Expansionen, teure Übernahmen von<br />

Wettbewerbern oder prunkvolle Zentralen<br />

sucht man im Aldi-Reich vergebens. Der<br />

Gewinn wird solide in das Kerngeschäft investiert<br />

oder für schwere Zeiten gebunkert.<br />

Das Unternehmen leistet sich nur, was es<br />

bezahlen kann, üppige Kredite sind tabu.<br />

5<br />

5. Schaffe<br />

klare Strukturen!<br />

Gut möglich, dass der Siegeszug von Aldi<br />

schon früh ins Stocken geraten wäre. Anfang<br />

der Sechzigerjahre konnten sich die<br />

Albrecht-Brüder angeblich nicht darüber<br />

einigen, ob Zigaretten ins Sortiment gehö-<br />

Brüderlicher Wettstreit<br />

Aldi Süd und Aldi Nord im Vergleich<br />

Umsatz weltweit in Milliarden Euro<br />

(in Deutschland)<br />

Filialen weltweit<br />

(in Deutschland)<br />

In wie vielen Ländern aktiv<br />

Umsatz pro Quadratmeter<br />

in Deutschland (in Euro)<br />

Mitarbeiter in Deutschland<br />

Vermögen der Eigentümerfamilie<br />

(in Milliarden Euro)<br />

38,51<br />

(15,6)<br />

4852<br />

(1826)<br />

Aldi Süd<br />

Quelle: Planet Retail, EHI, „Forbes“, Unternehmensangaben<br />

Aldi Nord<br />

28,31<br />

(11,3)<br />

5339<br />

(2425)<br />

9 10<br />

7900 5200<br />

35000 28000<br />

19,2 14,4<br />

Bruttoumsatz der führenden Discounter in<br />

Deutschland im Jahr 2013 (in Millionen Euro)<br />

26985<br />

15640<br />

11345<br />

18500<br />

12900<br />

7400<br />

3025<br />

1186<br />

Norma<br />

Penny*<br />

davon Aldi Süd*<br />

davon Aldi Nord*<br />

Netto*<br />

Lidl*<br />

Netto (Dansk Supermarked)<br />

* Schätzung; Quelle: Trade Dimensions<br />

Aldi-Gruppe*<br />

48 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: LAIF/SABINE BUNGERT<br />

ren oder nicht. Karl schlägt eine Trennung<br />

vor. Nach ein paar Tagen Bedenkzeit willigt<br />

Theo ein, Aldi wird aufgeteilt. Karl bekommt<br />

den Süden und schlägt sein Hauptquartier<br />

in Mülheim auf, Theo beackert<br />

fortan von Essen aus den Norden. Die Demarkationslinie,<br />

der sogenannte Aldi-<br />

Äquator, verläuft mitten durch Hessen und<br />

Nordrhein-Westfalen. Wie ihren Heimatmarkt<br />

steckten die Brüder später auch ihre<br />

Claims weltweit ab. Die Märkte in den USA,<br />

der Schweiz und Österreich fielen an Karl.<br />

Frankreich, Spanien und Polen werden dagegen<br />

von Aldi Nord aus Essen gesteuert.<br />

Zudem betreiben die Essener in Amerika<br />

die Handelskette Trader Joe’s.<br />

Die frühere Grenzziehung tat dem Erfolg<br />

keinen Abbruch. Im Gegenteil: Die brüderlichen<br />

Unternehmen haben sich im lockeren<br />

Verbund wohl besser entwickelt, als es<br />

unter einem starren Dach je möglich gewesen<br />

wäre. Streitigkeiten, Kompetenzgerangel<br />

oder wachsweiche Kompromisse wurden<br />

vermieden, der Wettbewerb untereinander<br />

angestachelt.<br />

Was die Brüder durch die Teilung vorexerzierten,<br />

wurde auch in die Unternehmen<br />

implementiert. „Eine glasklare<br />

Führungs- und Organisationsstruktur<br />

sowie operative Exzellenz“, macht der frühere<br />

Aldi-Süd-Manager Robert Peschke<br />

bei seinem ehemaligen Arbeitgeber<br />

aus. Peschke steuerte bis vor zwei Jahren<br />

den gesamten Verkauf innerhalb der Aldi-<br />

Regionalgesellschaft Langenfeld mit mehr<br />

als 1200 Mitarbeitern und einer halben<br />

Milliarde Euro Umsatz. Heute unterstützt<br />

er mit seiner in Dresden ansässigen Beratung<br />

DPMC Unternehmen aus dem Handels-,<br />

Produktions- und Konsumgüterbereich<br />

und greift dabei auf die Aldi-Prinzipien<br />

zurück.<br />

Der Kern: Freiräume schaffen innerhalb<br />

exakt definierter Aufgabenbereiche und<br />

durchorganisierter Prozesse. Als theoretische<br />

Basis für den Aldi-Führungsstil sehen<br />

Managementexperten das Harzburger Modell.<br />

Die in den Sechzigerjahren entwickelte<br />

Methode folgt dem Grundsatz, Verantwortung<br />

an Mitarbeiter zu übertragen – sie<br />

dabei aber streng zu kontrollieren.<br />

Im Aldi-internen Regelwerk wurden die<br />

Arbeitsbereiche lange Zeit bis hin zur<br />

Organisation der Schreibtische aufgedröselt.<br />

Es ist präzise festgelegt, wer in der<br />

Führungshierarchie <strong>vom</strong> Filialleiter bis<br />

zum Geschäftsführer über welche Themen<br />

zu bestimmen hat.<br />

„Führungskräfte dürfen nicht nur, sie<br />

müssen entscheiden“, sagt Peschke.<br />

„Durchregieren oder Weiterreichen von<br />

Verantwortung werden konsequent verhindert.“<br />

Erfolge wie Misserfolge sind so direkter<br />

messbar.<br />

6<br />

Einziger Luxus<br />

Golfplatz von Sparfuchs<br />

Albrecht – im<br />

Hotel nebenan tagt<br />

der Familienclan<br />

6. Sichere die Handlungsfähigkeit<br />

des<br />

Unternehmens ab!<br />

Mit den Managementstrukturen auf das<br />

Engste verzahnt ist die sogenannte systemische<br />

Stabilität des Konzerns. Soll heißen:<br />

So leicht bringt den Handelsriesen<br />

nichts ins Wanken. Stets versucht das Unternehmen,<br />

mehrere Lieferanten für ein<br />

Produkt parat zu haben. Im Zweifel kann<br />

der Hersteller ausgetauscht werden, ohne<br />

die Warenversorgung zu gefährden. Derlei<br />

Unabhängigkeitsbestrebungen ziehen sich<br />

durch alle Bereiche und machen auch vor<br />

dem Personal nicht halt. Im Mittelpunkt<br />

des Geschäftsmodells stehe nicht die Einzelleistung<br />

eines oder mehrerer Top-Manager,<br />

sagt Experte Peschke. Mitarbeiter<br />

würden stets auch für die nächsthöhere<br />

Führungsebene ausgebildet. Die Konsequenz:<br />

Jeder Mitarbeiter ist im System Aldi<br />

ersetzbar. Das gilt letztlich wohl selbst für<br />

eine Galionsfigur wie Karl Albrecht.<br />

7<br />

7. Regele rechtzeitig<br />

das Erbe!<br />

Dass für Familienunternehmen die Nachfolge-<br />

schnell zur Existenzfrage werden<br />

kann, zeigen Erbfolgekriege, wie sie jahrelang<br />

die Hamburger Kaffeedynastie Herz<br />

bei Tchibo ausfocht. Bei Aldi Süd scheinen<br />

derlei Grabenkämpfe ausgeschlossen. Mit<br />

Akribie und Vorausschau hat Karl Albrecht<br />

zu Lebzeiten geregelt, was zu regeln war.<br />

Bereits Anfang 1997 soll er laut „Spiegel“<br />

für knapp 70000 Mark acht Grabstellen im<br />

Feld 15 des städtischen Friedhofs in Essen<br />

Bredeney für sich und die Seinen gekauft<br />

haben. Schon vor Jahrzehnten balancierte<br />

er Aldis Eigentums- und Führungsstruktur<br />

so aus, dass auch im Todesfall der Fortbestand<br />

und die Unabhängigkeit des Unternehmens<br />

gesichert sind.<br />

Operativ wacht ein Koordinierungsrat –<br />

vergleichbar einem AG-Vorstand – aus drei<br />

angestellten Managern über die Geschicke<br />

des Discounters. Kontrolliert wird das Führungsteam<br />

um Norbert Podschlapp von einem<br />

Beirat, bestehend aus drei Eigentümervertretern<br />

– Familiensprecher Peter Heister,<br />

seiner Frau Beate und Albrecht-Enkel Peter<br />

Max Heister – sowie drei externen Räten:<br />

Neben Ex-BASF-Chef Jürgen Hambrecht<br />

gehören Renate Köcher, Leiterin des Allensbacher<br />

Instituts, sowie der Wirtschaftsprüfer<br />

Jost Wiechmann dem Gremium an.<br />

Zudem brachte Albrecht schon in den<br />

Siebzigerjahren den Großteil seines Vermögens<br />

in eine Familienstiftung ein: Die<br />

Siepmann-Stiftung – benannt nach dem<br />

Mädchennamen seiner Mutter – hält die<br />

Anteile an Aldi Süd. An ihrer Spitze steht<br />

Peter Max Heister, der über die Doppelfunktion<br />

in Stiftung und Beirat in Zukunft<br />

zum zentralen Aldi-Akteur werden könnte.<br />

Die diffizile Konstruktion macht nicht<br />

nur einen Verkauf oder eine Zerschlagung<br />

von Aldi Süd faktisch unmöglich, sondern<br />

bringt auch finanzielle Vorteile: Erbschaftsteuern<br />

auf den Milliardenbesitz können<br />

gedrückt und über einen langen Zeitraum<br />

gestreckt werden.<br />

n<br />

henryk.hielscher@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 49<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Zu wenig Praxiserfahrung«<br />

INTERVIEW | Walter Schwerdtfeger Deutschlands oberster Arzneiprüfer ist skeptisch bei neuen<br />

Medikamenten und sorgt sich um die Sicherheit von Herzschrittmachern und künstlichen Gelenken.<br />

Herr Professor Schwerdtfeger, immer öfter<br />

wird vor gefährlichen Nebenwirkungen<br />

bei Medikamenten gewarnt. Auch die<br />

Schadensmeldungen bei Brustimplantaten<br />

oder Herzschrittmachern nehmen zu.<br />

Wie sicher sind die Patienten noch?<br />

Grundsätzlich funktioniert das System der<br />

Überwachung. Es gibt aber Schwächen<br />

und Lücken, die zu Risiken führen können,<br />

vor allem bei Medizinprodukten, die<br />

in den Körper eingesetzt werden, wie etwa<br />

Brustimplantaten oder künstlichen Gelenken.<br />

Mehrere Tausend Frauen in Deutschland<br />

erhielten von der französischen Firma PIP<br />

hergestellte, schadhafte Brustimplantate.<br />

Wie lässt sich das verhindern?<br />

Das lässt sich nie ganz verhindern. Hier<br />

war kriminelle Energie des Herstellers im<br />

Spiel. Immerhin müssen die Überwachungsstellen<br />

in Zukunft auch nicht angemeldete<br />

Kontrollen der Hersteller durchführen.<br />

Bisher war eine 14-tägige vorherige<br />

Anmeldung üblich.<br />

Anderes Beispiel: Herzschrittmacher des<br />

US-Unternehmens Medtronic senden unvermutet<br />

Stromstöße aus. Der CDU-Politiker<br />

Wolfgang Bosbach ist deswegen im<br />

vergangenen Jahr zusammengebrochen.<br />

Medizinprodukte, die im Körper verbleiben,<br />

wie auch Herzschrittmacher, müssten<br />

in der klinischen Prüfung intensiver auf ihre<br />

Eignung zur Anwendung im menschlichen<br />

Körper untersucht werden.<br />

Wie sicher sind künstliche Gelenke?<br />

Sie steigern die Lebensqualität enorm. Mit<br />

zunehmender Verweildauer im Körper<br />

können zum Beispiel Schwermetalle in<br />

den Körper gelangen, oder es bilden sich<br />

Entzündungen. Auch hier wissen wir noch<br />

zu wenig über das Langzeitverhalten.<br />

Was hält Sie davon ab, genauer hinzusehen?<br />

Immerhin Sie sind doch der Präsident<br />

des Bundesinstituts für Arzneimittel<br />

und Medizinprodukte, kurz BfArM.<br />

Das Wort Medizinprodukte taucht zwar im<br />

Namen auf, aber mit der Prüfung haben<br />

wir nur am Rande zu tun. Wir registrieren<br />

Fehlermeldungen, nachdem etwa künstliche<br />

Hüftgelenke schon auf dem Markt<br />

sind. Die Verkehrsfähigkeit wird von Einrichtungen<br />

wie dem TÜV bescheinigt. Das<br />

VOM FORSCHER ZUM BEHÖRDENCHEF<br />

Schwerdtfeger, 65, leitet seit 2010 das<br />

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte<br />

(BfArM) in Bonn, Deutschlands<br />

oberste Zulassungsbehörde. Der promovierte<br />

Biologe und Honorarprofessor begann in<br />

der Wissenschaft, unter anderem am Max-<br />

Planck-Institut für Hirnforschung. 1992<br />

wechselte er als Referatsleiter ins Bundesgesundheitsministerium.<br />

Schwerdtfegers<br />

Vertrag endet am 31. Juli; entsprechend<br />

offen äußert er sich im Interview. Ein Nachfolger<br />

ist noch nicht benannt.<br />

50 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTO: DOMINIK PIETSCH FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Problem ist: Die Überwacher sind auf Aufträge<br />

aus der Industrie angewiesen. Es ist<br />

nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen<br />

weniger kritisch geprüft wird, um mehr<br />

Aufträge zu erhalten.<br />

Was muss sich ändern?<br />

Wirksamere Kontrollen können nur <strong>vom</strong><br />

europäischen Gesetzgeber beschlossen<br />

werden. Es ist aber sehr schwierig, dafür<br />

Mehrheiten zu finden, weil die Mitgliedsländer<br />

das Thema als unterschiedlich brisant<br />

einschätzen. Das BfArM bewertet sicherheitsbezogene<br />

Meldungen und<br />

schlägt gegebenenfalls Maßnahmen zur<br />

Abhilfe vor. Durchsetzen können solche<br />

Maßnahmen aber nur die Behörden der<br />

Länder. Deren Betrachtungsweisen sind<br />

nicht überall dieselben. Es scheint mir<br />

nicht der Intention des Grundgesetzes zu<br />

entsprechen, wenn auf diese Weise innerhalb<br />

von Deutschland ein unterschiedliches<br />

Schutzniveau entsteht.<br />

Arzneien werden strenger kontrolliert.<br />

Dennoch treten immer wieder unerwartete<br />

Nebenwirkungen auf. Warum?<br />

Das System der Arzneimittelkontrolle<br />

funktioniert im Prinzip sehr gut. Aber Sie<br />

können nicht jede Nebenwirkung über<br />

große klinische Studien erkennen – auch<br />

nicht, wenn mehrere Tausend Patienten<br />

einbezogen sind. Auch lassen sich nicht alle<br />

Wechselwirkungen mit anderen Präparaten<br />

ausschließen, bevor ein Medikament<br />

auf dem Markt ist. Natürlich haben Unternehmen<br />

und Patienten ein berechtigtes Interesse<br />

daran, dass neue Mittel schnell auf<br />

den Markt kommen. Aber die weisen eben<br />

noch wenig Praxiserfahrung auf. Ich selbst<br />

würde mich – wenn ich die Wahl zwischen<br />

einem älteren und einem neuen Medikament<br />

hätte – immer für das ältere entscheiden.<br />

Das kann in Wirkungen und Nebenwirkungen<br />

besser eingeschätzt werden.<br />

Boehringer Ingelheim hat mit Pradaxa ein<br />

Mittel auf den Markt gebracht, das<br />

Tausende Schlaganfälle verhindert, aber<br />

vereinzelt teils tödliche Blutungen auslösen<br />

soll, für die es kein Gegenmittel gibt.<br />

Darf so ein Mittel auf den Markt kommen?<br />

Ja, wenn die Zulassungsbehörden eine positive<br />

Nutzen-Risiko-Bewertung vorgenommen<br />

haben. Der Einsatz neuartiger<br />

Arzneimittel muss von den anwendenden<br />

Ärzten intensiv beobachtet werden.<br />

Über europaweite Zulassungen wie bei<br />

Pradaxa entscheidet die europäische Arzneimittelagentur<br />

EMA in London. Wie viel<br />

Einfluss hat Ihre nationale Behörde noch?<br />

Deutschland ist das größte EU-Land, wir<br />

sind die größte Arzneimittelbehörde in Europa<br />

und haben einigen Einfluss. Unsere<br />

Experten sind in wissenschaftlichen Ausschüssen<br />

und Gremien vertreten.<br />

Anfang dieses Jahres hat die EMA das<br />

neue Hepatitis-C-Mittel Sovaldi des US-<br />

Konzerns Gilead zugelassen. Eine dreimonatige<br />

Behandlung kostet um die 100 000<br />

Euro. Das ist doch nur noch dreist, oder?<br />

Für die Preisfestsetzung sind nicht die Zulassungsbehörden<br />

zuständig. Meine persönliche<br />

Meinung ist, dass der Preis für ein<br />

Arzneimittel wie zum Beispiel Sovaldi völlig<br />

überzogen ist, selbst wenn dieses neue<br />

Arzneimittel einen großen medizinischen<br />

Fortschritt mit sich bringen würde.<br />

Die EMA will für mehr Transparenz sorgen,<br />

da die Pharmakonzerne negative<br />

Aspekte klinischer Studien gegenüber der<br />

Öffentlichkeit gern unter Verschluss<br />

halten. Eine entsprechende Transparenz-<br />

Regelung ist gerade verschoben worden.<br />

Setzt sich da die Pharma-Lobby durch?<br />

Hier steht das berechtigte Informationsinteresse<br />

von Wissenschaftlern und Patienten<br />

im Widerstreit mit dem ebenso berechner<br />

Frau durch ein Pfizer-Mittel ausgelöst<br />

worden sein könnte. Warum öffnet das<br />

BfArM nicht häufiger seine Türen?<br />

Auch Behörden haben Beharrungsvermögen.<br />

Es ist gut, dass er den Hinweis zutage<br />

gefördert hat. Aber es gibt auf einen gerechtfertigten<br />

Verdacht Hunderte, an denen<br />

nichts dran ist. Wenn jeder unsere Bibliothek<br />

und Datenspeicher nutzen könnte,<br />

würde das unsere Arbeit lahmlegen. Die<br />

finanzielle Ausstattung ist jetzt schon<br />

knapp. Wir bekommen etwa neue Stellen<br />

grundsätzlich nur, wenn sie sich durch Gebühreneinnahmen<br />

refinanzieren. Es gibt<br />

Anfragen von Journalisten, Forschern und<br />

Unternehmen. Neulich hat eine Kollegin<br />

für eine Anfrage drei Tage lang kopiert. Dafür<br />

dürfen wir maximal 500 Euro nehmen.<br />

Können Sie garantieren, dass in den<br />

Arzneien für deutsche Apotheken und<br />

Kliniken immer genau das drin ist, was<br />

draufsteht?<br />

Es gibt ein gewisses Risiko, dass Arzneimittel<br />

gefälscht sind, also keinen oder einen<br />

falschen, womöglich schädlichen Wirkstoff<br />

»Ich selbst würde mich immer für ein<br />

älteres Medikament entscheiden«<br />

tigten Interesse der Unternehmen, ihre Betriebs-<br />

und Geschäftsgeheimnisse zu bewahren.<br />

Ich finde: Informationen über den<br />

Ablauf von klinischen Studien müssen offengelegt<br />

werden, aber nicht alle Details.<br />

Der Schweizer Konzern Roche hat gegenüber<br />

dem Forschernetzwerk Cochrane<br />

jahrelang Studien zu seinem umstrittenen<br />

Grippemittel Tamiflu zurückgehalten.<br />

Das habe ich auch nicht verstanden. Die<br />

Konzerne legen den Begriff Geschäftsgeheimnis<br />

weit aus und geben nichts heraus,<br />

was nicht zwingend vorgeschrieben ist.<br />

Also brauchen wir striktere Vorschriften?<br />

Daran arbeitet die EMA ja gerade.<br />

Ist es nachvollziehbar, dass Bayer die<br />

Akten zu einem Hormonpräparat aus den<br />

Siebzigerjahren nicht herausrückt, das<br />

etliche Patienten geschädigt haben soll?<br />

Es dürfte für Bayer schwer werden, die Akten<br />

dauerhaft zurückzuhalten. Grundsätzlich<br />

müssen die Unternehmen anerkennen,<br />

dass die Öffentlichkeit einen Anspruch<br />

auf solche Daten hat.<br />

Vor Jahren klagte sich der Witwer Lothar<br />

Schröder ins BfArM-Archiv. Dort fand er<br />

einen Hinweis, dass der Selbstmord seienthalten.<br />

Der Anteil liegt aber meines Erachtens<br />

immer noch unter einem Prozent.<br />

Das ist noch zu viel. Wer kontrolliert das?<br />

Die Zoll- und Polizeibehörden und die<br />

Überwachungsbehörden der Länder, mit<br />

denen wir eng zusammenarbeiten.<br />

Für Kriminelle ist das ein lukratives Feld.<br />

Kürzlich sind in Italien Krebsmittel<br />

gestohlen worden. Wie groß ist die Gefahr?<br />

Die italienischen Behörden haben uns gesagt,<br />

dass sie für die Sicherheit von Medikamenten<br />

aus ihrem Land nicht garantieren<br />

können. Derzeit wird etwa anhand der<br />

Lieferscheine der Importeure die Legalität<br />

der Lieferwege überprüft. Wir wissen aber<br />

nicht, wie lange der Betrug schon lief, bevor<br />

er aufflog. Wir müssen davon ausgehen,<br />

dass ein gewisser Anteil Patienten und<br />

Krankenhäuser erreicht hat.<br />

Wie können Patienten sich schützen?<br />

Fälschungen fallen oft nicht auf, zumal sie<br />

mit deutschen Beipackzetteln ausgestattet<br />

werden. Es gibt Forderungen, bestimmte<br />

Importwege von Arzneimitteln generell<br />

abzuschaffen. Aber das hilft nicht wirklich.<br />

Kriminelle Energie findet immer Wege. n<br />

juergen.salz@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 51<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

Am offenen Herzen<br />

BILFINGER | Roland Koch hat zu viel auf einmal angepackt, werfen<br />

ihm interne Kritiker vor. Manager beklagen irrationale Vorgaben.<br />

Roland Koch setzt eigenes Geld ein,<br />

um den Kurssturz der Bilfinger-Aktie<br />

zu bremsen. Zuletzt hatte der Chef<br />

des Mannheimer MDax-Konzerns beim<br />

Amtsantritt 2011 Aktien gekauft. 2014 griff<br />

er schon zweimal zu: im Mai bei 86 Euro<br />

und am 7. Juli bei nur noch 70 Euro.<br />

Der jüngste Kauf erfolgte eine Woche<br />

nach der Gewinnwarnung, die den Bilfinger-Kurs<br />

auf Talfahrt geschickt hatte. Doch<br />

die investierten 50 000 Euro – nach 100 000<br />

Euro im Mai – waren wohl zu homöopathisch,<br />

um die skeptisch gewordenen Börsenprofis<br />

zu beeindrucken. Inzwischen<br />

notiert die Aktie nur noch bei 65 Euro.<br />

Koch, der Anleger, ist also im Minus.<br />

Koch, der Manager, ist es auch. Genau drei<br />

Jahre nach seinem aufsehenerregenden<br />

Wechsel von der Politik in die Top-Etage<br />

der deutschen Wirtschaft steckt der frühere<br />

hessische Ministerpräsident in der Krise.<br />

„Mir war von Anfang an klar, dass mir<br />

auch mal richtig der Wind ins Gesicht<br />

bläst“, gibt sich der 56-Jährige jüngst in einem<br />

Interview abgeklärt, „und das ist jetzt<br />

der Fall.“ Allerdings wirkt der Macher ratlos.<br />

Er erwägt eine weitere Internationalisierung<br />

Richtung Südafrika und Mittlerer<br />

Osten für den zum Industrie-, Kraftwerksund<br />

Gebäudedienstleister mutierten früheren<br />

Baukonzern. Aber das muss er erst<br />

einmal „im Vorstand entscheiden und im<br />

Aufsichtsrat erörtern“. Mitte November erst<br />

will Koch neue Mittelfristziele verkünden<br />

und damit „jene Fantasie wieder wecken,<br />

die im Moment aus der Aktie raus ist“.<br />

KONZERN ALS GROSSBAUSTELLE<br />

Strategisch drohen Bilfinger damit vier Monate<br />

Perspektivlosigkeit. Gleichzeitig sind<br />

die 74 000 Mitarbeiter angesichts der Vielzahl<br />

laufender Umstrukturierungs- und<br />

Sparprogramme zunehmend desorientiert,<br />

frustriert und maximal unter Druck.<br />

Die Großbaustelle Bilfinger ist auch für<br />

Eingeweihte kaum noch überschaubar.<br />

„Koch hat zu viel auf einmal angepackt<br />

und dabei das System so unter Stress gesetzt,<br />

dass Fehler passieren“, kritisiert IG-<br />

Metall-Vorstand Holger Timmer, der bis<br />

Mai im Bilfinger-Aufsichtsrat saß und inzwischen<br />

ThyssenKrupp kontrolliert:„Was<br />

»Koch setzt das<br />

System so unter<br />

Stress, dass<br />

Fehler passieren«<br />

Der bisherige Bilfinger-Aufsichtsrat und<br />

IG-Metall-Vorstand Holger Timmer<br />

verwaltung der bisher in München sitzenden<br />

Industrieservicesparte BIS, die fast die<br />

Hälfte des Bilfinger-Geschäfts steuerte,<br />

wird komplett demontiert. Das Management<br />

um den angesehenen BIS-Chef Thomas<br />

Töpfer wurde geschasst oder vergrault<br />

– zugunsten der Zentrale in Mannheim.<br />

Gut war das bislang für Berater wie die<br />

Boston Consulting Group. Unter Koch sei<br />

„eine hohe zweistellige Millionensumme“<br />

für Beratungsleistungen geflossen, verrät<br />

ein Insider. Ein anderer bestätigt, es seien<br />

40 bis 60 Millionen Euro gewesen.<br />

Was die Einschnitte Bilfinger bringen,<br />

muss sich noch zeigen. Von einer „Operation<br />

am offenen Herzen“ spricht Gewerkschafter<br />

Timmer: „Wie viel Zeit bleibt den Mitarbei-<br />

bei Bilfinger in den letzten drei Jahren an<br />

Programmen gestartet wurde, hätte auch<br />

andere Organisationen an den Rand des<br />

Funktionierens gebracht.“<br />

So soll das Strategieprogramm Best (Bilfinger<br />

Escalates Strength) unter anderem<br />

die „konzerninterne Vernetzung“ der 500<br />

Bilfinger-Einzelunternehmen für „verstärktes<br />

Cross-Selling“ fördern. Dafür wird etwa<br />

eine komplexe Auftrags-Datenbank aufgebaut,<br />

von der ein Manager sagt: „Der Aufwand<br />

ist riesig, aber ich glaube nicht, dass<br />

das mehr Aufträge bringt.“<br />

Während Best den Austausch fördern<br />

soll, verbreitet das Excellence-Programm<br />

vielerorts Misstrauen und Frust. Gedacht<br />

ist Excellence „zur Steigerung der Effizienz<br />

und Wettbewerbsfähigkeit“. 1250 Jobs<br />

überwiegend in Deutschland werden dabei<br />

abgebaut. Die funktionierende Selbsttern<br />

noch für die Kunden, wenn das Management<br />

sie zwingt, sich so viel mit sich<br />

selbst zu beschäftigen?“ Die Frage sei, „ob<br />

Koch die richtigen Prioritäten gesetzt hat, um<br />

Bilfinger weiter zu entwickeln“. Ein hochrangiger<br />

Bilfinger-Manager teilt Timmers Analyse:<br />

„Koch hat zu viel gleichzeitig gewollt. Die<br />

Energien werden innen vergeudet.“<br />

Nun herrscht Chaos allerorten.<br />

Die in München gekündigten Verwaltungsmitarbeiter<br />

gehen schneller als gewollt.<br />

Sobald sie neue Jobs haben, sind sie<br />

weg – und reißen Lücken. „Kollegen in<br />

Mannheim sollen ihre Funktionen übernehmen,<br />

ersaufen aber in Arbeit und finden<br />

keine Ansprechpartner mehr, die sie<br />

was fragen können“, klagt ein Mitarbeiter<br />

der ehemaligen BIS-Sparte. Neueinstellungen<br />

als Entlastung für die Mannheimer<br />

sind fraglich, weil gespart werden muss.<br />

NERVOSITÄT AN DEN STANDORTEN<br />

Rund 250 der 1700 Münchner Mitarbeiter<br />

sollen von fünf Standorten an einem zusammenrücken.<br />

„Aber wo in der Stadt, das<br />

sagt uns seit einem Dreivierteljahr kein<br />

Mensch“, schimpft der Bilfinger-Mann: „Da<br />

konkurrieren Interessen. Niemand haut<br />

auf den Tisch und entscheidet.“ Er attestiert<br />

„Führungsschwäche bis ganz oben“.<br />

Ähnlich unsicher ist die Lage in Hamburg.<br />

Im Herbst 2013 verkündete Koch, die<br />

elf Bilfinger-Standorte dort sollten in möglichst<br />

einer Immobilie zusammengeführt<br />

werden, um Kosten zu sparen. Klingt vernünftig.<br />

Doch wo das sein wird, wissen die<br />

Bilfinger-Hanseaten bis heute nicht.<br />

Auch im Ruhrgebiet herrscht Unsicherheit.<br />

In Oberhausen und Dortmund arbeitet<br />

gut die Hälfte der 1100 Mitarbeiter der<br />

Bilfinger-Kraftwerksparte. Ihr Auftragsmangel<br />

löste die Gewinnwarnung vor vier<br />

Wochen aus. Bis zu 300 der Power-Mitarbeiter<br />

müssen demnächst gehen – aber in<br />

welchen Betrieben und wer, das ist offen.<br />

Gefunden sind die Standorte der<br />

Shared-Service-Center, in denen Koch<br />

Buchhaltung und Gehaltsabrechnung zusammenführt:<br />

180 der Jobs sollen in Essen<br />

angesiedelt werden. Weitere 100 gehen vorläufig<br />

nach Eschborn bei Frankfurt – „bis<br />

über einen endgültigen Bilfinger-Standort<br />

in der Rhein-Main-Region entschieden ist“,<br />

teilt das Unternehmen mit. Viele Mitarbeiter<br />

stehen vor der Frage, ob sie umziehen<br />

sollen – auch rund 300 IT-Kräfte, deren 30<br />

Standorte auf zwölf reduziert werden.<br />

Nervosität überall. Aber Koch – von den<br />

Erwartungen des 20-Prozent-Aktionärs Cevian<br />

Capital getrieben – will auch noch das<br />

FOTO: LAIF/DOMINIK BUTZMANN<br />

52 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Excellence-Programm beschleunigen. Das<br />

freut vielleicht die Börsianer. Doch die Basis<br />

fasst sich an den Kopf. Der Top-Manager<br />

einer Bilfinger-Tochter klagt: „Was bei<br />

uns an Vorgaben ankommt, ist irrational.<br />

Frühverrentungen und einvernehmliche<br />

Trennungen sind Vereinbarungen. Die<br />

kann ich nicht wieder aufschnüren und ein<br />

bisschen schneller abwickeln.“<br />

Der Bilfinger-Verantwortliche berichtet,<br />

Planzahlen würden autoritär durchgedrückt:<br />

„Da will keiner mehr die Wahrheit<br />

hören.“ Ziele seien unrealistisch gewesen:<br />

„Irgendeiner hat sich in den Kopf gesetzt:<br />

Power macht zehn Prozent. Wir haben auf<br />

die Gewinnwarnung geradezu gewartet<br />

und uns gewundert, dass sie erst jetzt kam.“<br />

Kochs Ad-hoc-Meldung kassierte dann<br />

Ankündigungen ein, die er ein paar Wochen<br />

zuvor bei der Hauptversammlung<br />

noch bekräftigt hatte. Deshalb sei die aktuelle<br />

schroffe Kurskorrektur der Bilfinger-<br />

Aktie „keine Sache, die sich in zwei, drei<br />

Wochen erledigt“, glaubt Ingbert Faust,<br />

Analyst bei der Frankfurter Investmentbank<br />

Equinet. Fausts Kollege Marc Gabriel<br />

von der Lampe Bank hält den Kurssturz<br />

zwar für übertrieben, sieht aber Koch<br />

„deutlich stärker unter Erfolgsdruck“.<br />

Unter Erfolgsdruck<br />

Die Börse erwartet<br />

wieder steigende<br />

Gewinne von Bilfinger<br />

– Konzernchef<br />

und Ex-Politiker<br />

Koch muss liefern<br />

Hoch und Tief im Koch-Depot<br />

Wie sich die von Roland Koch gekauften Bilfinger-Aktien entwickelt haben (Kurs in Euro) 1<br />

1.7.2011<br />

1. Aktienkauf und<br />

Amtsantritt Koch,<br />

Kurs: 68,27 €<br />

Depot: 49 837 €<br />

Durchschnittlicher<br />

Einstiegskurs 2 :<br />

77,49 €<br />

20.8.2011<br />

Tiefstkurs: 50,47 €<br />

Depot: 36 843 €<br />

25.9.2012<br />

Umbenennung:<br />

Aus Bilfinger Berger<br />

wird Bilfinger<br />

8.5.2014<br />

2. Aktienkauf, Kurs: 85,76 €<br />

Depot: 162515 €<br />

4.4.2014<br />

Höchstkurs: 92,72 €<br />

Depot: 67 686 €<br />

20.9.2013<br />

Koch verkündet Abbau<br />

von 1250 Stellen<br />

7.7.2014<br />

3. Aktienkauf,<br />

Kurs: 70,16 €<br />

Depot: 183118 €<br />

30.6.2014<br />

Ad-hoc-<br />

Mitteilung<br />

24.7.2014<br />

Kurs: 66,00 € 3<br />

Depot: 172260 € 3<br />

2011 2012 2013 2014<br />

ISIN: DE0005909006; 1 nicht berücksichtigt: Kauf der Bilfinger-Aktienanleihe (ISIN: DE000TD16MA0) am 9.7.2014<br />

für 49 585 Euro; 2 gewichtet; 3 bei Redaktionschluss; Quelle: Thomson Reuters, Bilfinger<br />

95<br />

90<br />

85<br />

80<br />

75<br />

70<br />

65<br />

60<br />

55<br />

50<br />

DAS JAHR DER ENTSCHEIDUNG<br />

Bisher hatte die Börse Bilfingers Wandel<br />

<strong>vom</strong> Bauunternehmen zum profitableren<br />

Industriedienstleister honoriert. Der zurzeit<br />

laufende Verkauf der Tiefbausparte ist<br />

der letzte Schritt dieser Metamorphose.<br />

Doch die Energiekonzerne als wichtige<br />

Kunden des neuen Dienstleisters stecken<br />

selbst in der Krise. Analyst Faust hält deshalb<br />

Kochs Plan, die Marge im Kraftwerkbereich<br />

2016 wieder auf über acht Prozent<br />

zu heben, für „ambitioniert. Die Energiekonzerne<br />

werden Kosten senken, wo sie<br />

nur können – auch bei den Dienstleistern.“<br />

Im ersten Quartal blieb Bilfinger nach allen<br />

Belastungen nur ein knapper Gewinn.<br />

Die Zahlen des zweiten Quartals, die Koch<br />

am 11. August vorlegt, werden kaum besser.<br />

Bilfinger müsste in den kommenden<br />

Monaten enorm zulegen, um 2014 noch einen<br />

substanziellen Nettogewinn zu erzielen<br />

– bei zunächst höheren Kosten durch<br />

zusätzlichen Jobabbau. Das wird schwer.<br />

Die Börse aber wartet auf bessere Auftragszahlen,<br />

auf wieder real verdiente Gewinne.<br />

Ob Koch eine Amtsverlängerung gewährt<br />

wird, hieß es immer, entscheidet<br />

sich 2014. „Der Kursverlust“, sagt ein Weggefährte,<br />

„geht ihm tief unter die Haut.“ n<br />

harald.schumacher@wiwo.de, anton riedl<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 53<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»Thinkbig100«<br />

SERIE GRÜNDER (III) | USA Deutsche Start-ups erobern das Internet-Mekka Silicon Valley. Ihr Erfolgsrezept:<br />

Sie entwickeln nicht wie viele andere Apps oder Online-Shops für die Masse, sondern bieten<br />

Unternehmenskunden hoch spezialisierte Dienste und Software an. Wer sind diese Hidden Champions?<br />

Zwischen all den coolen Gründertypen,<br />

die neue Messenger-Dienste<br />

wie WhatsApp oder andere verrückte<br />

Apps entwickeln, wirkt Tobias Bauckhage<br />

wie der Chef eines Versicherungskonzerns.<br />

Grundsolide ist das Geschäftsmodell seines<br />

Start-ups Moviepilot und auch ein wenig<br />

altmodisch. Die werbefinanzierte Filmempfehlungsseite<br />

ist auch schon seit sieben<br />

Jahren im Netz, Bauckhages Unternehmen<br />

mit Sitz am Mehringdamm in Berlin-Kreuzberg<br />

nimmt damit Jahr für Jahr<br />

hohe einstellige Millionensummen ein.<br />

Auf den zweiten Blick ist das Geschäft<br />

des 38-Jährigen aber so aufregend, wie es<br />

eines seiner Profilbilder im Internet verspricht:<br />

Auf dem Foto sieht Bauckhage aus<br />

wie Johnny Depp im Drogentrip-Film<br />

„Fear and Loathing in Las Vegas“ – mit getönter<br />

Skibrille posiert er in der Wüste, die<br />

lange Zigarette lässig im Mundwinkel.<br />

Die coole Pose passt, denn in Hollywood<br />

ist der deutsche Unternehmer inzwischen<br />

ein heimlicher Star. 2012 ging er nach Los<br />

Angeles. Am „Silicon Beach“, wo der angesagte<br />

Bilderdienst Snapchat oder das Filmportal<br />

Hulu sitzen, eröffnete Bauckhage eine<br />

Niederlassung und startete eine englische<br />

Version von Moviepilot. Inzwischen<br />

hat er monatlich bis zu 20 Millionen Besucher,<br />

bei Smartphone-Nutzern gehört Moviepilot<br />

zu den 50 beliebtesten Seiten der<br />

USA. Bei Facebook zählt Bauckhages Unternehmen<br />

27 Millionen Anhänger, verteilt<br />

auf Unterseiten für Fans etwa von Vampirfilmen<br />

oder von romantischen Komödien.<br />

Vor allem mit dem Wissen über die Vorlieben<br />

seiner Nutzer macht der gebürtige<br />

Bad Harzburger inzwischen sein Geschäft.<br />

„Wir haben mehr Daten über Filmfans als<br />

manche Studios“, sagt Bauckhage. Dieses<br />

Wissen stellt er den Marketingmanagern in<br />

Hollywood zur Verfügung: Wenn Sony<br />

oder 20th Century Fox Werbefeldzüge für<br />

neue Filme entwickeln, hilft Bauckhage mit<br />

seiner mächtigen Datenbank bei der Planung<br />

der Kampagnen auf Facebook. Dafür<br />

investieren die Filmproduktionsfirmen inzwischen<br />

sechsstellige Summen. „Wir<br />

konnten unser Geld viel effizienter ausgeben“,<br />

sagt Lutz Rippe, Marketingchef bei<br />

Andere Dimension<br />

Wagniskapital-Investitionen (in Mio. Euro)<br />

17 375<br />

2010<br />

723<br />

Quelle: NVCA, BVK<br />

USA<br />

22 127<br />

Deutschland<br />

20 344<br />

22 052<br />

717 567 674<br />

2011 2012 2013<br />

Studiocanal. Er hat mit Bauckhages Hilfe<br />

zuletzt den zweiten Teil der „Tribute von<br />

Panem“ in Deutschland beworben: Statt<br />

wie sonst 50 musste er nur 30 Cent pro<br />

Facebook-Fan ausgeben.<br />

Neben Moviepilot gibt es eine ganze Reihe<br />

deutscher Start-ups, die Büros in den<br />

USA eröffnet haben, um im Stammland der<br />

digitalen Avantgarde mit den US-Newcomern<br />

zu konkurrieren. Ihre Geschäfte<br />

machen sie ohne großes Tamtam und weitgehend<br />

unbemerkt von der breiteren<br />

Öffentlichkeit. Weder programmieren sie<br />

bekannte Apps, noch gehören sie zu den<br />

Online-Händlern, die auf Apple-Normalverbraucher<br />

zielen. Ihre Strategie ist unauffällig,<br />

aber erfolgreich: Sie bieten hoch spezialisierte<br />

Dienste und Software an, etwa<br />

für Datenanalyse oder Smartphone-Werbung.<br />

Ihre Kunden sind nicht die breite<br />

Masse, sondern zahlungskräftige Unternehmen<br />

wie Siemens, SAP oder Zalando.<br />

Auch in den USA sind die deutschen<br />

Spezialisten zunehmend gefragt. Bei Per<br />

Fragemann stammen sogar drei Viertel der<br />

350 Kunden aus den Vereinigten Staaten.<br />

Der Chef und Gründer des Berliner Unternehmens<br />

Small Improvements bietet Personalchefs<br />

eine Software, um Mitarbeiter-<br />

Feedback einzuholen. Das populäre Netzwerk<br />

Pinterest, Browser-Urgestein Opera<br />

oder die aus Australien stammenden Spezialisten<br />

für Surferkleidung von Quicksilver<br />

nutzen Small Improvements. In Deutschland<br />

hat Fragemann dagegen nicht einmal<br />

ein Dutzend Kunden. Die meisten Rechnungen<br />

seiner deutschen GmbH werden<br />

in Dollar fakturiert, darum zählt er auch<br />

den Umsatz in der US-Währung: „In den<br />

vergangenen 52 Wochen hatten wir 1,3<br />

Millionen“, sagt Fragemann. Die Euro-Million<br />

müsste also bald geknackt sein.<br />

HEIMLICHER MILLIARDENDEAL<br />

In der deutschen Gründerszene werden<br />

diese Hidden Champions im Gegensatz zu<br />

manchem gehypten Berliner Start-up<br />

kaum wahrgenommen. Dabei hat es sogar<br />

schon den Milliardenexit gegeben, auf den<br />

Investoren und Gründer hierzulande so<br />

sehnsüchtig warten: Im Mai wurde Team-<br />

Viewer aus dem schwäbischen Göppingen<br />

übernommen, ohne das jemand groß Notiz<br />

davon nahm. Der britische Finanzinvestor<br />

Permira zahlte schätzungsweise zwischen<br />

800 Millionen und 1,1 Milliarden<br />

Dollar für das Unternehmen.<br />

TeamViewer stellt eine Software her, mit<br />

der Computer aus der Ferne gesteuert<br />

werden. So können etwa die Kinder damit<br />

auf den Rechner der Eltern zugreifen und<br />

ein Software-Update installieren, wenn<br />

nichts mehr geht. 200 Millionen Anwender<br />

weltweit nutzen das Programm, auch in<br />

den USA wird TeamViewer immer populärer<br />

– vor allem, seit Ende 2013 ein US-<br />

Konkurrent mit einer ähnlichen Software<br />

seine kostenlose Einstiegsversion abgeschafft<br />

hat.<br />

„Jetzt entsteht die nächste große Generation<br />

an Start-ups“, sagt Dirk Kanngiesser,<br />

Geschäftsführer des German Accelerators,<br />

einem Programm, das deutschen Gründern<br />

bei der Eroberung des US-Marktes<br />

hilft. Der 58-jährige Investor war während<br />

des ersten Internet-Booms zur Jahrtausendwende<br />

Mitglied einer Taskforce der<br />

Deutschen Börse, die den Neuen Markt<br />

aufbaute. Nun will Kanngiesser der neuen<br />

Gründergeneration zur Börsenreife verhelfen.<br />

Vor zwei Jahren startete das <strong>vom</strong> Bundeswirtschaftsministerium<br />

mit jährlich<br />

rund einer Million Euro finanzierte Beschleunigungsprogramm<br />

im Silicon Valley,<br />

in diesem Monat hat ein Ableger in New<br />

FOTOS: GABOR EKECS FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

54 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Venice FC In dem temporären Biergarten<br />

organisierte Bauckhage Fußball-WM-Veranstaltungen<br />

mit deutschen Gründern und<br />

Mitarbeitern von Firmen wie YouTube<br />

York eröffnet. Die Gründer bekommen für<br />

drei bis sechs Monate Büroräume gestellt.<br />

Bei Bedarf geben Silicon-Valley-Veteranen<br />

Ratschläge, wie Investoren am besten<br />

überzeugt werden können, oder vermitteln<br />

Kontakte.<br />

MOVIEPILOT | Tobias Bauckhage<br />

Bauckhage hilft Hollywood-Studios bei<br />

der Werbung in Facebook.<br />

Facebook-Fans<br />

27 Millionen<br />

ALLGEGENWÄRTIGE HELDEN<br />

Einer von Kannegießers aktuellen Schützlingen<br />

in Palo Alto ist Sebastian Klenk. Der<br />

Manager leitet die Auslandsexpansion des<br />

Nürnberger Datenbankspezialisten Exasol.<br />

Der Softwareentwickler hat eine besonders<br />

schnelle Datenbank entwickelt, mit der<br />

Unternehmen wie Adidas, Xing oder Zalando<br />

ihre Kundendaten speichern und<br />

analysieren. 40 Millionen Euro nahm das<br />

75 Mitarbeiter zählende Unternehmen damit<br />

2013 ein.<br />

Klenk hat ein Büro in einem unscheinbaren<br />

Flachbau an einer Ecke der University<br />

Avenue bezogen, die direkt zur Stanford-<br />

Universität führt. Neben seinem Schreibtisch<br />

steht ein Darth-Vader-Pappaufsteller<br />

– die „Star Wars“-Figur haben seine Vorgänger<br />

stehen lassen, als sie das Büro<br />

räumten.<br />

Die wichtigste Lektion speichern die<br />

Teams im Accelerator schon mit dem<br />

WLAN-Passwort: Thinkbig100. Das fällt<br />

nicht schwer. Denn die Spuren erfolgreicher<br />

Internet-Helden sind hier so allgegenwärtig<br />

wie Kirchen in europäischen Metropolen.<br />

In der Mittagspause etwa geht Klenk<br />

gern zu einem fünf Minuten entfernten<br />

Sandwichladen an der University Avenue:<br />

„Dort gegenüber war das erste Büro von<br />

Facebook“, sagt Klenk. Das stimmt zwar<br />

nicht ganz, Facebook hatte sein Büro einige<br />

Türen weiter, dafür wurde in dem gelbgrünen<br />

Haus 2005 Google gegründet. Später<br />

zog der Bezahldienst PayPal ein.<br />

Wie seine großen Vorbilder zielt Exasol<br />

inzwischen auch auf internationale Kunden.<br />

Im vergangenen Jahr konnte beispielsweise<br />

der durch seinen Börsengang<br />

bekannte Smartphone-Spielehersteller<br />

King.com gewonnen werden. Das britische<br />

Unternehmen nutzt die Datenbank für sein<br />

beliebtes Spiel Candy Crush. „Jeder Klick<br />

bei Candy Crush landet in unserer Datenbank“,<br />

sagt Klenk stolz.<br />

In den USA taten sich die Deutschen bislang<br />

schwer, Hauptkonkurrent Oracle hat<br />

hier ein Heimspiel. Die ersten drei Monate<br />

seien ziemlich schwierig gewesen, sagt<br />

Klenk, inzwischen entwickele sich das Geschäft<br />

aber ziemlich gut. Bei zwei Kunden,<br />

darunter einem großen Forschungsinstitut,<br />

laufen derzeit Testinstallationen. Zur<br />

Akquisition des Instituts hatte ihm sein<br />

Mentor geraten: Wenn Exasol die Forscher<br />

als Referenz gewinnen könnte, würde das<br />

auf dem US-Markt alle Türen öffnen. „Ich<br />

kannte das Institut zwar, aber dass die so<br />

wichtig sind, war mir nicht bewusst“, sagt<br />

Klenk. „Durch die Unterstützung des Accelerators<br />

kann man bestimmte Situationen<br />

besser einschätzen.“<br />

VERRÜCKTE GEHÄLTER<br />

Jörg Bienert hat da schon mehr Erfahrung.<br />

Der Kölner war 2012 einer der ersten Teilnehmer<br />

des Accelerator-Programms. Auch<br />

Bienert hat mit seinem Unternehmen Parstream<br />

eine Technologie für Big-Data-Analysen<br />

entwickelt. Das Deutsche Klimarechenzentrum<br />

nutzt das Programm zur Vorhersage<br />

von Hurrikans, der multinatio-<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 55<br />

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Unternehmen&Märkte<br />

»<br />

nale Rohstoffriese Rio Tinto analysiert<br />

damit mögliche Lagerstätten von Bodenschätzen.<br />

Im Vorjahr nahm Parstream damit<br />

2,2 Millionen Euro ein.<br />

Wie wichtig der US-Markt für das Unternehmen<br />

ist, zeigt der jüngste Chefwechsel:<br />

Parstream hat den erfahrenen amerikanischen<br />

Marketingspezialisten Peter Jensen<br />

angeheuert, der den Job von Mitgründer<br />

Michael Hummel übernimmt und das US-<br />

Geschäft ankurbeln soll.<br />

Die Entwicklung bleibt<br />

Video<br />

Was deutsche<br />

Start-ups und<br />

Politiker auf einer<br />

Valley-Reise<br />

gelernt haben<br />

aber in Köln und wird<br />

von Hummel als Technikchef<br />

geleitet. Bienert<br />

kümmert sich weiter um<br />

das Tagesgeschäft.<br />

Technik in Deutschland<br />

und Marketing in<br />

den USA: Diese Arbeitsteilung<br />

ist häufig zu finden,<br />

vor allem aus Kostengründen. „Die<br />

Entwickler im Valley sind zwar teurer, aber<br />

nicht zwangsläufig besser“, sagt Bienert.<br />

Google oder Facebook etwa zahlen Uniabsolventen<br />

mehr als 100 000 Dollar. „Die<br />

Einstiegsgehälter haben verrückte Dimensionen<br />

angenommen“, findet auch Förderer<br />

Kanngiesser.<br />

MILLIONENFINANZIERUNGEN<br />

Auch die 65 Softwareentwickler von Ragnar<br />

Kruse sitzen in Hamburg, obwohl der<br />

ehemalige Intershop-Manager sein Unternehmen<br />

Smaato in den USA gegründet hat,<br />

direkt am Union Square, dem touristischen<br />

Herz San Franciscos. Von hier aus betreibt<br />

Smaato einen Marktplatz, auf dem Werbeanzeigen<br />

für Smartphone-Apps vermittelt<br />

werden. Als „Ebay für mobile Werbung“<br />

bezeichnet Kruse sein Unternehmen, Werbeplätze<br />

in Apps versteigert er innerhalb<br />

weniger Millisekunden, pro Tag drei Milliarden<br />

und mehr.<br />

Das im Fachjargon „real time bidding“<br />

genannte Verfahren hat sich bei Internet-<br />

Werbung inzwischen etabliert. Auch bei<br />

Anzeigen für Smartphones werden die<br />

Preise und Plätze inzwischen immer seltener<br />

fest gebucht, sondern über Auktionsplattformen<br />

wie Smaato versteigert. 80 000<br />

Kunden sind dort inzwischen registriert.<br />

Kruse hat die Entwicklung früh erkannt,<br />

schon bei der Smaato-Gründung 2005 ging<br />

er fest davon aus, dass Smartphones über<br />

kurz oder lang Computer ablösen würden.<br />

Der Erfolg brauchte Zeit, doch 2009 erwirtschaftete<br />

das Unternehmen die erste Umsatz-Million.<br />

„Jetzt hat das Wachstum richtig<br />

Fahrt aufgenommen“, freut sich Kruse.<br />

Eine zweistellige Millionensumme hat<br />

Smaato 2013 eingenommen, für dieses<br />

Jahr erwartet Kruse eine Verdreifachung.<br />

Die Durststrecke der ersten Jahre konnte<br />

Smaato dank eines üppigen Finanzierungspolsters<br />

durchstehen: Das Unternehmen<br />

ist mit 22 Millionen Dollar Wagniskapital<br />

ausgestattet. Nun kommt noch einmal<br />

eine ähnliche Summe hinzu.<br />

Von solchen Summen können die meisten<br />

Start-ups in Deutschland nur träumen.<br />

Während Gründer hierzulande im Vorjahr<br />

674 Millionen Euro eingesammelt haben,<br />

waren es im Silicon Valley 22 Milliarden<br />

Dollar (siehe Grafik Seite 54).<br />

Auch Datenbankspezialist Parstream hat<br />

den Schritt in die USA vor allem aus finanziellen<br />

Gründen gewagt. Im Valley kamen<br />

die ersten Millionen von Vinod Khosla,<br />

Mitgründer des ehemaligen Softwareherstellers<br />

Sun Microsystems, und von Wagniskapitalgeber<br />

Zachary Bogue, dem Ehemann<br />

von Yahoo-Chefin Marissa Mayer.<br />

„Das hätten wir in Deutschland nie bekommen“,<br />

sagt Bienert. Hierzulande investiere<br />

kaum jemand in B2B-Start-ups – also<br />

STREETSPOTR | Werner Hoier<br />

Mit der Smartphone-App erledigen die<br />

Nutzer unterwegs kleine Aufträge für<br />

Unternehmen.<br />

Mitglieder 250 000<br />

Unternehmen, deren Technologien für andere<br />

Firmen interessant sind. Anders in<br />

den USA: Ende 2013 hat Parstream noch<br />

mal acht Millionen Dollar eingesammelt.<br />

So weit ist Werner Hoier noch lange<br />

nicht. Er ist erst kürzlich nach San Francisco<br />

gekommen und muss sich noch an die<br />

bisweilen übertrieben euphorische amerikanische<br />

Art gewöhnen. „Hier ist alles immer<br />

super-awesome und incredible“, sagt<br />

Hoier. Als Deutscher müsse man erst interpretieren<br />

lernen, wie super-großartig und<br />

unglaublich der jeweilige Gesprächspartner<br />

das Projekt tatsächlich fände.<br />

SCHNELLERE KONTAKTE<br />

Der Wirtschaftsinformatiker hat 2011 zusammen<br />

mit Dorothea Utzt Streetspotr gegründet.<br />

Die beiden App-Entwickler sollten<br />

für BMW eine Software programmieren,<br />

mit der Öffnungszeiten und Preise von<br />

Parkhäusern im Navigationssystem erfasst<br />

werden können. Dafür haben beide eine<br />

Smartphone-App entwickelt, die solche<br />

Arbeiten auslagert. „Crowdsourcing“<br />

nennt sich das Prinzip: Nutzer der App<br />

können sich unterwegs etwas dazuverdienen,<br />

die mittlerweile 250 000 registrierten<br />

Mitglieder überprüfen beispielsweise für<br />

Unternehmen Adressen oder fotografieren<br />

Regale in Läden, um Produktplatzierungen<br />

zu kontrollieren. Für solche Minijobs bekommen<br />

sie ein paar Cent, zu den Auftraggebern<br />

gehören etwa Red Bull oder Microsoft.<br />

Die erste Finanzierungsrunde schlossen<br />

die Nürnberger im Frühjahr ab – in typisch<br />

deutschen Dimensionen: „Die Summe<br />

war sechsstellig“, sagt Hoier.<br />

Nun will er den US-Markt ausloten, sein<br />

Büro liegt in einem Jugendstilbau, in dem<br />

auch Twitter sein Hauptquartier hat. Hoiers<br />

Arbeitsplatz im sogenannten Runway –<br />

einer Art Gemeinschaftsgroßraumbüro –<br />

hat der German Accelerator eingerichtet<br />

und bezahlt. Weit mehr als ein Dutzend<br />

Start-ups werkeln hier, unmittelbar neben<br />

Hoier bastelt ein Team an Drohnen, die<br />

testweise durch den langen Flur sausen.<br />

Die ersten Gespräche mit möglichen<br />

Kunden hat Hoier schon geführt: „An den<br />

richtigen Kontakt zu kommen geht in den<br />

USA viel schneller als bei uns in Deutschland.“<br />

Kürzlich habe er sich sogar mit einem<br />

US-Konkurrenten getroffen. Das sei<br />

hier viel normaler als in der Heimat, man<br />

müsse nur aufpassen, nicht selbst zu viele<br />

Details zu verraten. Im Oktober zieht<br />

Streetspotr für drei Monate in das neue Accelerator-Büro<br />

nach New York. Hoier freut<br />

sich darauf: „Unsere potenziellen Kunden<br />

FOTOS: SWZ WERBEAGENTUR GMBH, LAIF/THOMAS RABSCH<br />

56 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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sind vor allem Konsumgüterhersteller. Und<br />

von denen sitzen viele an der Ostküste.“<br />

Ob die Nürnberger sich mit ihrer App auf<br />

dem US-Markt etablieren können, ist dennoch<br />

nicht sicher. Schon andere Teilnehmer<br />

des Accelerator-Programms haben gespürt,<br />

wie viel härter der Wettbewerb auf<br />

dem US-Markt ist. Das Dresdner Start-up<br />

Lovoo mit seiner Flirt-App etwa (WirtschaftsWoche<br />

26/2014) musste seine Hoffnungen<br />

erst mal begraben: Angesichts von<br />

Konkurrenten wie dem populären Tinder<br />

blies Gründer Benjamin Bak den Eroberungszug<br />

schnell wieder ab. „Wir lassen<br />

uns den US-Markt als mögliches Ziel noch<br />

offen“, umschreibt der Gründer den Fehlschlag<br />

diplomatisch. Stattdessen fokussiert<br />

er sich auf Europa und Brasilien.<br />

DEUTSCHE KUNDEN IM VALLEY<br />

Für Moviepilot-Gründer Bauckhage zahlt<br />

sich der Schritt über den Ozean dagegen<br />

voll aus: Er hat vor einem Monat sein<br />

Deutschlandgeschäft verkauft. 15 Millionen<br />

Euro bezahlte das französische Online-Unternehmen<br />

Webedia für die deutsche<br />

Filmempfehlungsseite moviepilot.de.<br />

„Wir wollen uns ganz auf das US-Geschäft<br />

konzentrieren“, sagt Bauckhage.<br />

Für Celonis hat sich die Zeit im Accelerator<br />

ebenfalls gelohnt. Das Münchner Unternehmen<br />

hat eine Software entwickelt, mit<br />

PARSTREAM<br />

Jörg Bienert, Michael Hummel<br />

Die Parstream-Gründer bieten Unternehmen<br />

eine besonders schnelle Datenbank.<br />

Finanzierung 14 Millionen Dollar<br />

der Konzerne wie Bayer oder Siemens Geschäftsprozesse<br />

analysieren und optimieren.<br />

Mit 40 Mitarbeitern erwirtschaftete Celonis<br />

im vergangenen Jahr einen Umsatz<br />

von vier Millionen Euro. Während seines<br />

US-Aufenthaltes im vergangenen Jahr hat<br />

Celonis-Chef Bastian Nominacher dort eine<br />

Schnellstart<br />

Der German Accelerator unterstützt<br />

deutsche Start-ups beim Gang in die<br />

USA und stellt Büros in San Francisco,<br />

Palo Alto und New York zur Verfügung,<br />

Geld gibt es nicht. Zweimal jährlich<br />

werden bis zu 16 Gründer ausgewählt,<br />

zuletzt gab es dafür 60 Bewerbungen.<br />

Gründung: 2012<br />

Bislang Geförderte Start-ups: 41<br />

Förderdauer: 3–6 Monate<br />

Nächste Bewerbungsfrist: 27. 8. 2014<br />

Mehr: germanaccelerator.com<br />

Dependance aufgebaut, vor allem aber die<br />

bislang wichtigste Partnerschaft festgezurrt<br />

– mit dem deutschen Softwareriesen SAP.<br />

Mit den Walldorfern war Nominacher<br />

schon daheim in Deutschland ein halbes<br />

Jahr in Kontakt – ohne konkretes Ergebnis.<br />

„In den USA ging es dann Schlag auf Schlag“,<br />

erinnert er sich. Er nahm mit SAP-Managern<br />

im Valley Kontakt auf, die sofort zu einem<br />

Treffen bereit waren. „Zwei Tage später waren<br />

wir im SAP-Start-up-Programm und<br />

noch zwei Wochen später auf der größten<br />

SAP-Kundenmesse“, freut sich Nominacher.<br />

Fast jeder deutsche Gründer schwärmt<br />

davon, wie viel einfacher und schneller solche<br />

wichtigen Termine im Valley zustande<br />

kommen. Darum ist es nicht ungewöhnlich,<br />

deutsche Partner über den Umweg<br />

USA zu akquirieren. „Es gibt viele Fälle, bei<br />

denen wir erst über das Valley mit großen<br />

deutschen Konzernen in ernsthaften Kontakt<br />

gekommen sind“, bestätigt auch Parstream-Gründer<br />

Bienert.<br />

Für die Münchner Celonis-Zentrale hat<br />

die im Silicon Valley geschlossene SAP-<br />

Partnerschaft noch einen ironischen Nebeneffekt,<br />

erzählt Nominacher: „Wir haben<br />

über SAP schon einige Termine mit<br />

US-CEOs vermittelt bekommen – nicht in<br />

den USA, sondern wenn die gerade in<br />

Deutschland waren.“<br />

n<br />

oliver.voss@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 57<br />

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Technik&Wissen<br />

Vom Pony<br />

zum Haifisch<br />

VERKEHR | Elektroauto, Brennstoffzelle oder bessere Verbrennungsmotoren: Die<br />

ganze Autobranche sucht nach der Antriebstechnik der Zukunft. Kaum ein Hersteller<br />

aber ist so dynamisch unterwegs wie der einstige koreanische Billigheimer Hyundai.<br />

Der weiße Hyundai Intrado, den<br />

der südkoreanische Hersteller<br />

im Frühjahr auf dem Genfer<br />

Automobilsalon als Weltpremiere<br />

zeigte, war mehr als ein<br />

Blickfänger. Denn hinter der aggressiven<br />

Optik des SUVs mit den an Haifischkiemen<br />

erinnernden Lüftungsschlitzen und dem<br />

orangefarbenen Innenleben blieben die<br />

wahren Innovationen zunächst verborgen:<br />

eine Karosserie in extremer Leichtbauweise<br />

– und ein leistungsfähiger Brennstoffzellenantrieb.<br />

Eine Konzeptstudie wie so viele, möchte<br />

man meinen. Ein Auto, das als Blickfänger<br />

auf einem Messestand dient und anschließend<br />

im Museum verschwindet – weil entweder<br />

die Technik alles andere als serientauglich<br />

und die Produktion zu teuer ist<br />

oder aber das Fahrzeugdesign einfach<br />

nicht für den Alltag taugt.<br />

Ganz anders bei Hyundai: Der Intrado ist<br />

nicht bloß ein Showcar, ein Spielzeugauto,<br />

an dem sich Designer und Ingenieure ausgetobt<br />

haben. Die Südkoreaner, lange Zeit<br />

als Billigheimer bekannt, meinen es ernst.<br />

Vor allem mit dem Brennstoffzellenantrieb<br />

demonstrieren Designer und Ingenieure,<br />

wie gegenwärtig die vermeintliche Zukunftstechnologie<br />

bei ihnen schon ist.<br />

Denn schon heute können Hyundai-<br />

Kunden den Geländewagen ix35<br />

– dessen Nachfolger der Intrado<br />

im kommenden Jahr werden<br />

soll – mit dem umweltverträglichen<br />

Elektroantrieb leasen.<br />

Und das nicht bloß im Heimatmarkt,<br />

das Angebot gilt global.<br />

„Sobald das Tankstellennetz<br />

dichter wird und die Nachfrage<br />

Karger Kasten<br />

steigt, können wir die Produktion hochfahren“,<br />

sagt Markus Schrick, Chef von Hyundai<br />

Deutschland. Gegenwärtig allerdings gibt<br />

es in Deutschland nicht mal 25 Tankstellen,<br />

an denen Wasserstoff getankt werden kann.<br />

Die Brennstoffzelle an Bord des Autos wandelt<br />

den Wasserstoff in Fahrstrom um.<br />

Das klingt nach einem Henne-Ei-Problem.<br />

Die Koreaner lassen sich davon<br />

ebenso wenig schrecken wie Toyota: Die<br />

Japaner wollen schon im März 2015 mit<br />

dem Modell FCV ihr erstes Brennstoffzellenauto<br />

auf den Markt bringen – zu einem<br />

Preis von umgerechnet 50 000 Euro. Daimler-Chef<br />

Dieter Zetsche, der sein Unternehmen<br />

bei dieser Technologie „ganz vorne<br />

dabei“ sieht, kann da nicht mithalten:<br />

Der Mercedes-F-Cell auf Basis der B-Klasse<br />

ist erst 2017 serientauglich.<br />

Mit „Pony“ kam Hyundai 1975 nach Europa<br />

WASSERDAMPF AUS DEM AUSPUFF<br />

Dabei forschen und arbeiten die Stuttgarter<br />

inzwischen schon seit zwei Jahrzehnten an<br />

Autos, aus deren Auspuff nur noch Wasserdampf<br />

entweicht. Zudem kommen Brennstoffzellenautos<br />

mit einer Tankfüllung 500<br />

Kilometer weit und mehr und damit wesentlich<br />

weiter als ein batteriegetriebenes Elektroauto.<br />

Deren Akku muss heute meist<br />

schon nach 160 Kilometern an die Steckdose<br />

und dort stundenlang aufgeladen werden.<br />

Der Hyundai Intrado macht aber noch<br />

etwas anderes deutlich: Vorbei sind die<br />

Zeiten, da Hyundai als Discounthersteller<br />

der Motobranche vor allem für preiswerte<br />

Mobilität stand. Für Innovation im Automobilbau,<br />

für Vorsprung durch Technik<br />

oder Freude am Fahren – waren andere zuständig.<br />

Die Südkoreaner, die vor knapp 40 Jahren<br />

mit ihrem unscheinbaren Kompaktwagen<br />

Pony (siehe unten) erstmals nach Europa<br />

kamen, haben sich in den zurückliegenden<br />

acht Jahren ein gewaltiges Erneuerungsprogramm<br />

verordnet. Nach der Phase<br />

als Billighersteller, der später Kunden<br />

mit robuster Qualität und ungewohnt langen<br />

Garantieversprechen lockte, zündet<br />

jetzt die dritte Stufe auf dem Weg in die erste<br />

Liga der Markenhersteller. Getrieben<br />

wird diese von Design – und Innovationen.<br />

Ob bei der Vielfalt der Antriebskonzepte,<br />

bei Design oder in der Produktion: Überall<br />

holen die Südkoreaner mächtig auf. Mit<br />

Tempo und Dynamik lehren sie nicht nur<br />

Toyota, sondern auch Volkswagen, Ford<br />

und General Motors das Fürchten. Heute<br />

schon ist der Konzern mit den Schwestermarken<br />

Hyundai und Kia und einem<br />

Absatz von über fünf Millionen<br />

Fahrzeugen fünftgrößter Pkw-Hersteller<br />

der Welt. Dabei sind seit der<br />

Gründung der Automotive-Gruppe<br />

noch nicht einmal 50 Jahre vergangen.<br />

Der Intrado, der Blickfänger aus Genf,<br />

soll den weiteren Weg weisen: Es ist<br />

das erste Hyundai-Fahrzeug, das die<br />

FOTOS: AUTO BILD/KLAUS KUHNIGK, PR<br />

58 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Scharfer Schlitten<br />

Strom für den Elektromotor<br />

in Hyundais Design-<br />

Studie „Intrado“ liefert<br />

eine Brennstoffzelle<br />

700<br />

bar Druck pressen 100<br />

Liter Wasserstoff in<br />

den Tank des E-Mobils<br />

59,7<br />

Milliarden Euro Umsatz<br />

machte Hyundai<br />

2013 weltweit<br />

600<br />

Kilometer Reichweite<br />

schafft der Hyundai<br />

Intrado rein elektrisch<br />

Handschrift des deutschen Hyundai-Chefdesigners<br />

Peter Schreyer (siehe Interview<br />

Seite 61) trägt. Das Auto ist zugleich eine<br />

Art Technik-Schaufenster.<br />

Zu bestaunen gibt es da unter anderem<br />

jede Menge Leichtbautechnik: Die Karosserie<br />

setzt auf einem Rahmen auf, den<br />

Rohre aus carbonfaserverstärktem Kunststoff<br />

bilden. Diese lassen sich wie Seile<br />

schlingen und zu einer extrem festen und<br />

verwindungssteifen Karosserie verbinden.<br />

Der Brennstoffzellenantrieb im Motorraum<br />

(siehe Grafik Seite 60) ist kleiner und<br />

stärker als der Vorgänger im aktuellen Modell<br />

ix35. Mehr Effizienz und geringes Gewicht<br />

von Antrieb und Fahrzeug sollen<br />

dem Intrado mehr als 600 Kilometer Reichweite<br />

ermöglichen. Dazu bunkert der Wagen<br />

über 100 Liter Wasserstoff unter 700<br />

bar Druck in zwei Hochdrucktanks. Der<br />

erste, kleinere Tank befindet sich unterhalb<br />

der Rücksitzbank. Der zweite, größere Tank<br />

steckt für eine bessere Gewichtsverteilung<br />

im Heck unter dem Kofferraumboden.<br />

Die elektrische Energie, die in der Brennstoffzelle<br />

durch die Reaktion von Wasserstoff<br />

mit Sauerstoff entsteht, speichert ein<br />

36 Kilowatt starker Akku – die leistungsfähigste<br />

Batterie, die bisher in einem Brennstoffzellenauto<br />

zum Einsatz gekommen ist.<br />

SYNERGIEN DANK SÜDKOREA AG<br />

Parallel treiben die Hyundai-Ingenieure die<br />

Entwicklung rein batteriegetriebener Elektroautos<br />

voran. Gerade erst präsentierte die<br />

Schwestermarke Kia das Modell Soul in einer<br />

Elektrovariante. Im Herbst soll der kleine<br />

Stromer mit einer Reichweite von mehr<br />

als 200 Kilometern mit einer Akkuladung<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 59<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

Konkurrenz für E-Klasse<br />

in den USA und in Europa an den Start<br />

gehen. Der Preis steht noch nicht fest.<br />

Die Südkoreaner profitieren von der großen<br />

Batterie- und Elektrokompetenz in ihrem<br />

Heimatland. Hyundai-Kia sitzt Tür an<br />

Tür mit den weltgrößten Batterieproduzenten<br />

wie Samsung und LG, die Teil der<br />

staatlich geförderten Südkorea AG sind.<br />

Daraus erwächst ein erheblicher Wettbewerbsvorteil,<br />

der sich in aggressiven Preisen<br />

auf dem Weltmarkt niederschlägt. Kein<br />

Wunder, dass LG ab 2016 auch die Antriebsbatterien<br />

für die nächste Generation<br />

des Elektro-Smart liefert.<br />

Mit niedrigen Preisen punkten kann<br />

Hyundai-Kia aber auch bei Autos mit konventionellem<br />

Antrieb. In Europa kam<br />

Hyundai 2013 auf 3,5 Prozent Marktanteil –<br />

ohne Kia. Weiteres Wachstum sollen 22<br />

neue Modelle bringen, die Europa-Chef<br />

Allan Rushforth für die nächsten vier Jahre<br />

ankündigt.<br />

Dass der frühere Billigheimer inzwischen<br />

ein ernst zu nehmender Konkurrent ist,<br />

musste VW-Chef Martin Winterkorn schon<br />

2011 bei der Frankfurter Automobilausstellung<br />

feststellen. Ein YouTube-Video, das im<br />

Netz längst Kultstatus hat, hält den Augenblick<br />

der Erkenntnis fest: Winterkorn hatte<br />

damals auf dem Hyundai-Stand den Golf-<br />

Konkurrenten i30 bestiegen. Der Vorstandschef<br />

aus Wolfsburg wackelte hier an einer<br />

Blende, ruckelte da an einem Halter und zog<br />

am verstellbaren Lenkrad, um schließlich<br />

sichtbar verärgert und mit dem Ausruf<br />

„Da scheppert nix“ Klaus Bischoff, den<br />

Designchef der Marke VW herbeizuzitieren.<br />

„BMW kann’s nicht, wir können’s nicht.<br />

Warum kann’s der?“, fragte ihn Winterkorn.<br />

Die Frage könnte er aktuell auch zur Profitabilität<br />

des Unternehmens stellen. Denn<br />

der Volkswagen-Konzern wäre wohl froh,<br />

eine ähnlich gute Umsatzrendite wie<br />

Hyundai vorweisen zu können: Bei der<br />

Marke VW lag sie in den ersten drei Monaten<br />

des Jahres nur bei mageren 1,8 Prozent.<br />

Bei Hyundai ist sie mit geschätzt zehn Prozent<br />

um ein Vielfaches höher.<br />

Doch trotz der schwindelerregenden<br />

Aufholjagd bei Technik und Innovationen<br />

– auch bei den Südkoreanern läuft längst<br />

noch nicht alles rund, gibt es noch Lücken<br />

im Technikportfolio und im Fahrzeugangebot.<br />

So fehlen etwa noch kleine sparsame<br />

Turbomotoren, ein automatisches<br />

Doppelkupplungsgetriebe statt der wenig<br />

sparsamen Wandlerautomatik. Die europäischen<br />

Hyundai-Manager wünschen<br />

sich zudem sehnsüchtig einen kompakten<br />

SUV wie den Renault Captur – das Segment,<br />

das im Moment europaweit am<br />

stärksten wächst. Und nicht zuletzt fehlen<br />

Cabrios und Sportwagen, die für ein frischeres<br />

Markenimage sorgen könnten.<br />

Die neue Sportlimousine Hyundai Genesis macht auf Luxus<br />

HOCH GESCHÄTZTER EUROPÄER<br />

Denn alle Technik ist nur schnödes Beiwerk,<br />

solange die Autos noch Billigheimer-<br />

Image atmen. Aufräumen soll damit auch<br />

der deutsche Hyundai-Chefdesigner Peter<br />

Schreyer. Er will Hyundai eine erkennbare<br />

frische Handschrift verleihen, denn „in<br />

Zeiten, wo sich Technik immer ähnlicher<br />

wird, werden Autos verstärkt über das Design<br />

verkauft“.<br />

Der heute 61-jährige Bayer aus Bad Reichenhall<br />

hat einst bei Audi den Sportwagen<br />

TT entworfen – seit 2006 frischt er die<br />

Optik von Kia auf. Seit Januar 2013 ist er<br />

auch für das Design der Marke Hyundai<br />

verantwortlich. Der 76-jährige Firmenpatriarch<br />

Chung Mong-koo schätzt Schreyers<br />

Arbeit so sehr, dass er den Deutschen 2013<br />

als ersten und einzigen Europäer ins Konzernpräsidium<br />

berufen hat.<br />

Hyundai investiert nicht nur in Design,<br />

Technik und Kundenzufriedenheit. Mindestens<br />

genauso wichtig ist die Produktivität<br />

der Werke außerhalb des Heimatlandes.<br />

In den USA zählen die Hyundai-Werke mit<br />

einer durchschnittlichen Fertigungszeit<br />

von knapp unter 20 Stunden pro Fahrzeug<br />

zu den produktivsten des Landes, wie Jahr<br />

für Jahr Oliver Wyman’s Harbour Report<br />

Moderner Dampfer<br />

Brennstoffzellenautos nutzen die Energie, die bei der chemischen Reaktion von Wasserstoff und<br />

Sauerstoff frei wird. Aus dem Auspuff entweicht lediglich Wasserdampf<br />

Wasserstofftanks<br />

Lithium-Ionen-Batterie<br />

Brennstoffzellenmodul<br />

Elektromotor<br />

60 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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FOTOS: PR<br />

ausweist. Sie arbeiten auch effektiver als<br />

die Hyundai-Werke im Heimatland.<br />

Und das brandneue Werk im brasilianischen<br />

Piracicaba, etwa 150 Kilometer<br />

nordwestlich von São Paulo, soll noch besser<br />

sein – aktuelle Zahlen legt Hyundai freilich<br />

nicht vor. Auf 1,4 Millionen Quadratmeter<br />

Fläche baut Hyundai dort pro Jahr<br />

180 000 Kompaktwagen des Typs HB20,<br />

der dem ix20 gleicht, für den brasilianischen<br />

Markt – den viertgrößten der Welt.<br />

Was auffällt: In den riesigen Hallen arbeiten<br />

nur wenige Menschen, die meisten<br />

Arbeiten in der Lackiererei oder in der<br />

Karosseriefertigung übernehmen Roboter.<br />

Nach dem brasilianischen Vorbild soll 2015<br />

eine neue Hyundai-Produktion im US-<br />

Bundesstaat Texas entstehen. „Hyundai<br />

und Kia haben sehr viel von den Japanern<br />

gelernt“, sagt Produktionsexperte Horst<br />

Wildemann von der Technischen Universität<br />

München.<br />

In den vergangenen Jahren hat Hyundai<br />

die gemeinsame Entwicklung und Produktion<br />

mit Kia drastisch vereinfacht und verschlankt:<br />

2002 nutzten die beiden Marken<br />

noch 22 verschiedene Plattformen. Bis Ende<br />

des vergangenen Jahres schmolz die<br />

Vielfalt aufgrund der Synergien auf sechs<br />

zusammen. Im Jahr 1998, als Hyundai Kia<br />

übernahm, teilten sich die beiden Marken<br />

lediglich 20 Prozent der rund 740 Zulieferer,<br />

aktuell sind es mehr als 90 Prozent.<br />

GRENZEN DES WACHSTUMS<br />

Doch die rasante Expansion hat auch<br />

Schattenseiten. Stefan Bratzel, Leiter des<br />

Lehrstuhls für Automobilwirtschaft an der<br />

Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch<br />

Gladbach, beobachtet nach Jahren stürmischer<br />

Expansion inzwischen eine Zunahme<br />

von Rückrufen – für den Fachmann ein<br />

Indiz für wachsende Qualitätsprobleme.<br />

2013 stieg die Zahl der Hyundai-Rückrufe<br />

etwa in den USA um 263 Prozent – bei einem<br />

branchenübergreifenden Zuwachs<br />

um 131 Prozent.<br />

Vermutlich auch deshalb hat Hyundai-<br />

Firmenpatriarch Chung Mong-koo nun<br />

den Fuß <strong>vom</strong> Gaspedal genommen. Insider<br />

berichten, der 76-Jährige befürchte,<br />

durch Qualitätsprobleme ebenso heftig gebeutelt<br />

zu werden wie Toyota vor einigen<br />

Jahren. Statt auf Masse soll der Fokus nun<br />

erst einmal auf die Qualität der Produkte<br />

gelegt werden, auf Herstellung und die Organisation.<br />

„Es wird interessant sein, wie<br />

gut sie aus dieser Phase der Reorganisation<br />

herauskommen“, sagt Bratzel.<br />

n<br />

juergen.rees@wiwo.de<br />

INTERVIEW Peter Schreyer<br />

»Wie ein Wassertropfen«<br />

Der Hyundai-Chefdesigner über Gestaltungssünden, Schneeflocken<br />

als Inspiration und die Arbeit unter Firmenpatriarchen.<br />

Reden wir über Designsünden moderner<br />

Autobauer: Mein Sohn klagte jüngst<br />

nach der Fahrt in Mercedes’ neuer<br />

A-Klasse, er könne <strong>vom</strong> Rücksitz nicht<br />

rausschauen. Der Hyundai i30 sieht<br />

ähnlich aus. Keilform mag ja sportlich<br />

wirken, aber rechtfertigt das alles?<br />

Die Gürtellinie hoch anzusetzen und<br />

Autos so sportlicher aussehen zu lassen<br />

ist auch eine Modeerscheinung. Wir<br />

nehmen die extreme Keilform schon<br />

wieder zurück. Andererseits sind Designer<br />

nicht allein verantwortlich, wenn<br />

Autos unübersichtlich werden.<br />

Wer denn sonst?<br />

Autos sind heute auch deswegen unübersichtlicher<br />

als vor 30 bis 40 Jahren,<br />

weil wir viele Sicherheitsvorschriften berücksichtigen<br />

müssen.<br />

Die geben die Keilform vor?<br />

Nein, aber beispielsweise die Anforderungen<br />

an die A-Säule, die die Windschutzscheibe<br />

umfasst. Die ist heute<br />

stärker und daher breiter als früher. So<br />

bleibt das Dach etwa bei einem Überschlag<br />

im Wesentlichen heil – und die<br />

Insassen überleben den Unfall. Autos<br />

von vor 30 Jahren wären danach platt.<br />

Wer bestimmt denn die Formen, der<br />

Käufer oder der Designer?<br />

Wir versuchen, die Bedürfnisse der Kunden<br />

von morgen zu ergründen und ihn<br />

mit unseren Entwürfen zu überraschen.<br />

Dann setzen Designer die Trends?<br />

Ja, klar. Oder wissen Sie heute, welches<br />

Auto Ihnen in fünf Jahren gefällt?<br />

Nein. Aber wenn Sie mir heute etwas<br />

zeigen, was ich in fünf Jahren kaufen<br />

kann, wüsste ich, ob es mir liegt.<br />

Die meisten Menschen wissen das aber<br />

nicht. Deshalb mag ich solche sogenannten<br />

Kliniktests nicht. Kommt etwas<br />

Ungewohntes, lehnen die Probanden es<br />

erst mal ab. Darauf zu reagieren und etwa<br />

das Heck des neuen Autos umzugestalten<br />

kann gutes Design kaputt machen.<br />

Ich gebe wenig auf solche Tests.<br />

Gibt es Autodesign, das weltweit gefällt?<br />

Bei Ford oder Fiat sind Versuche,<br />

Weltautos zu bauen, gescheitert.<br />

Das eine, einzige Weltauto gibt es nicht.<br />

Aber es gibt schon Produkte, die global<br />

ihre Fans finden: etwa Apples iPhone.<br />

Warum sollte das bei Autos anders sein?<br />

Wenn man die unterschiedlichen Ansprüche<br />

an Fahrzeuge in den Märkten<br />

beachtet, klappt das.<br />

Global verträgliches Design und<br />

emotional ansprechende Fahrzeuge für<br />

regionale Märkte, passt das überhaupt?<br />

Wir wollen noch etwas emotionaler<br />

werde. Ich könnte mir gut ein Cabrio<br />

DER VISIONÄR<br />

Schreyer, 61, ist Chefdesigner der südkoreanischen<br />

Autohersteller Hyundai und<br />

Kia. Einst gestaltete der gebürtige Bayer<br />

Autos wie den VW New Beetle, den Golf IV<br />

oder den Audi TT. Jetzt sitzt er als erster<br />

Nichtkoreaner im Präsidium des koreanischen<br />

Familienunternehmens.<br />

und einen Sportwagen vorstellen. Der<br />

Zeitpunkt steht aber noch nicht fest.<br />

Wie grenzen Sie denn den Charakter der<br />

Schwestermarken Kia und Hyundai ab?<br />

Unser Vize-Chairman, der Sohn von<br />

Konzernpatriarch Chung Mong-koo, hat<br />

es so formuliert:Kia ist wie eine Schneeflocke,<br />

Hyundai wie ein Wassertropfen.<br />

Apropos Chung Mong-koo, früher haben<br />

Sie für VW-Aufsichtsratschef Ferdinand<br />

Piëch gearbeitet und jetzt für den Hyundai-Patriarchen.<br />

Gibt es da Parallelen?<br />

Sie sind sich ähnlich, nicht nur beim<br />

Alter. Beide sind absolut leidenschaftlich<br />

und von ihrer Vision überzeugt.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 61<br />

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Technik&Wissen<br />

Klärwerk als Biotop<br />

GRÜNER PIONIER | Gegen fast alles ist ein Kraut gewachsen. Der<br />

Franzose Thierry Jacquet reinigt Industrieabwässer mit Pflanzen.<br />

Skeptische Blicke ist Thierry Jacquet<br />

gewöhnt. „Es klingt ja auch ein<br />

bisschen seltsam, wenn einer<br />

behauptet, er würde Abwässer mithilfe<br />

von Pflanzen so sauber kriegen,<br />

dass man darin baden kann“, sagt der<br />

49-jährige Franzose und zwinkert vergnügt<br />

durch die runde Brille.<br />

Umwelt-Restaurator nennt er<br />

als Berufsbezeichnung, seit er<br />

vor zehn Jahren seine Firma<br />

Phytorestore gründete. „Phyto“<br />

wie das griechische Wort für<br />

„pflanzlich“ und „restore“ für<br />

„wieder herstellen“. „In 50 Jahren<br />

wird das völlig normal sein. Aber es<br />

braucht eben jemanden, der damit anfängt<br />

und die Überzeugungsarbeit leistet.“<br />

Jacquet, ursprünglich Städteplaner und<br />

Landschaftsarchitekt, wirbt für das Potenzial<br />

einer Technik, die bisher vor allem in Naturschwimmbädern<br />

zum Einsatz kommt,<br />

dass nämlich Pflanzen das verschmutzte<br />

Wasser reinigen. Der Ökopionier<br />

aber geht noch einen Schritt weiter.<br />

Er will beweisen, dass es<br />

Pflanzen – bis auf wenige hochgiftige<br />

Substanzen – selbst mit<br />

stark belasteten Industrieabwässern<br />

aufnehmen können; etwa<br />

von Kosmetik- und Waschmittelherstellern<br />

und sogar mit den<br />

verseuchten Böden von Tankstellen<br />

oder Reinigungsfirmen.<br />

WATEN IM FILTERGARTEN<br />

Wie das funktioniert, zeigt er eine<br />

gute Stunde Fahrt südlich von Paris:<br />

In La Brosse-Montceaux, einem<br />

Ort nahe der Grenze zur<br />

Bourgogne, wiegt sich Schilfrohr<br />

im Wind, so weit das Auge reicht.<br />

Frösche quaken, Vögel zwitschern,<br />

ein Biotop, könnte man<br />

vermuten. Doch unter dem<br />

Pflanzenteppich wabert eine<br />

dunkelgraue Brühe.<br />

Jacquet hat sich Gummistiefel<br />

über die Anzughose gezogen. Er<br />

watet durch einen Tümpel, greift<br />

sich eines der Gewächse und<br />

zieht es samt Wurzel heraus.<br />

Grüne Pioniere<br />

Alle Teile der<br />

Serie finden Sie im<br />

Internet unter<br />

wiwo.de/pioniere<br />

„Die Pflanzen sind nur Mittel zum<br />

Zweck. Die Arbeit machen Bakterien,<br />

die an den Wurzeln leben und den<br />

Schmutz fressen“, erklärt er die biologische<br />

Abwasserreinigung.<br />

Das Prinzip, Chemikalien mit Bakterien<br />

zu knacken, ist nicht neu. Heute<br />

kommt es in modernen Kläranlagen<br />

Entsorgungspark Unternehmer Jacquet in einer Pflanzen-Kläranlage<br />

zum Einsatz. Dort werden die<br />

Mikroorganismen den Abwässern<br />

beigemischt. Sie brechen<br />

unter anderem Kohlenwasserstoffketten<br />

auf.<br />

Doch wie sich das auch mit<br />

Pflanzen realisieren lässt, das<br />

hat Jacquet – bisher weltweit einzigartig –<br />

umgesetzt: Bei ihm vertilgen Farne Zyanid<br />

und Arsen, der breitblättrige Rohrkolben<br />

und Ölweiden Salze. Gewöhnlicher Gilbweiderich<br />

mag Zucker und Stärke, Miscanthus<br />

Schwermetalle. Seggen nehmen sich<br />

infektiöser Keime an, Zuckerrohre Pestiziden<br />

und Düngemitteln. Sogar gegen radioaktiv<br />

belastete Böden sei ein Kraut gewachsen:<br />

Wiesenklee.<br />

Und als reiche das nicht, will der Unternehmer<br />

mit seinen Filtergärten selbst kommunale<br />

Kläranlagen in Naherholungsparks<br />

verwandeln. „Die Technik ist absolut<br />

vielversprechend“, urteilt Jean-Louis Ducreux,<br />

Direktor der Beratungsfirma Atelier<br />

d’Ecologie Urbaine (AEU) in Paris.<br />

Auf seiner Biofarm in La Brosse-Montceaux<br />

hat Jacquet 24 Bassins ausgehoben.<br />

Er hat sie mit einer Geomembrane ausgelegt,<br />

um zu verhindern, dass Abwässer ins<br />

Grundwasser versickern. Dann folgen je eine<br />

Schicht Schlacke, Kalksteine und Kompost,<br />

in die er die Pflanzen setzt. Anschließend<br />

leitet er die Abwässer in die Bassins.<br />

ZU 99 PROZENT ENTGIFTET<br />

Zwei bis drei Jahre dauert es, bis aus Abwässern<br />

und belasteten Böden Kompost<br />

wird, aus dem die Pflanzen 99 Prozent der<br />

Schadstoffe abgebaut haben. „Labortests<br />

der Unternehmen SGS, Wessling, Eurofins<br />

und SAS Laboratoire haben das bewiesen“,<br />

versichert der Franzose. Aus den Pflanzen<br />

wird am Ende Dämmmaterial oder Substrat<br />

für Biogasanlagen. Er wolle nicht behaupten,<br />

dass er „für alles eine Zauberformel“<br />

habe. „Es gibt Stoffe, die Pflanzen<br />

nicht verarbeiten können.“ Daher lande,<br />

was die Bakterien an Gift übrig<br />

lassen – etwa die Schwermetalle<br />

Quecksilber oder Cadmium –, in<br />

einem separaten Becken. Dort<br />

sei die Konzentration der Stoffe<br />

so hoch, dass Spezialfirmen sie<br />

als Ressource herausfiltern und<br />

weiter verwenden könnten, erklärt<br />

AEU-Berater Ducreux.<br />

„Gute ökologische Lösungen<br />

müssen auch finanziell interessant<br />

sein“, sagt Jacquet. Bereits<br />

als selbstständiger Umweltberater<br />

hatte er für Kommunen Konzepte<br />

entwickelt, die günstiger<br />

waren als das übliche Verbrennen<br />

oder Vergraben von Industrieschlämmen.<br />

„Was aber fehlte,<br />

waren Unternehmen, die solche<br />

Lösungen hätten umsetzen<br />

können.“ Also gründete Jacquet<br />

diese Firma schließlich selbst.<br />

Trotzdem tat sich der Umwelt-Unternehmer<br />

mit der Verbreitung<br />

seiner Filtergärten lange<br />

schwer. Zum einen, weil die<br />

Reinigung so zeitaufwendig ist:<br />

„Bauträger etwa, die belastete<br />

Böden entgiften müssen, ha-<br />

»<br />

FOTO: LAIF/REA/HAMILTON<br />

62 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

»Filtergärten sind<br />

billiger als Kläranlagen<br />

– und sehen<br />

schöner aus«<br />

Thierry Jacquet, Phytorestore<br />

ben selten so viel Zeit“, sagt AEU-Experte<br />

Ducreux. Vor allem aber sieht er Phytorestore<br />

im Konflikt mit einer Lobby, die wenig<br />

Interesse an alternativen Konzepten zur<br />

Abwasseraufbereitung habe.<br />

Tatsächlich teilen sich in Frankreich<br />

heute zwei große Unternehmen im Wesentlichen<br />

den Entsorgungsmarkt – Veolia<br />

und Suez Environnement. Deren Angebote<br />

würden von Kommunen und Industriekunden<br />

praktisch nie in Zweifel gezogen,<br />

sagt Jacquet seufzend. In so einem Szenario<br />

mit neuen Ideen durchzudringen sei<br />

am Anfang extrem schwer gewesen. „Man<br />

hat mich angeschaut wie einen Alt-68er<br />

und gefragt, ob ich was geraucht habe.“<br />

In Schwellenländern mit weniger starren<br />

Strukturen sei der Markteintritt viel einfacher.<br />

Der Erfolg von Jacquets Filialen in Brasilien<br />

und China weckte schließlich auch das<br />

Interesse heimischer Auftraggeber; so etwa<br />

beim Kosmetikriesen L’Oréal oder der Lederwarensparte<br />

von Louis Vuitton. Auch die<br />

Ferienanlage des Club Med auf Mauritius<br />

und die zum Hermès-Konzern gehörende<br />

Kristallmanufaktur Saint-Louis-lès-Bitche<br />

gehören heute zu Jacquets Klärtechnik-Kunden.<br />

Inzwischen arbeite sein Unternehmen<br />

mit allen Großunternehmen des französischen<br />

Aktienindex CAC40 zusammen,<br />

berichtet der Pionier stolz. Sie liefern ihre<br />

Schmutzwässer nach La Brosse-Montceaux<br />

oder geben bei den inzwischen 40<br />

Spezialisten von Phytorestore hauseigene<br />

Pflanzenkläranlagen in Auftrag.<br />

Nun nimmt sich Jacquet die Städtebauer<br />

vor: Beim Entwurf neuer Quartiere sollten<br />

sie 20 Prozent der Fläche für Filtergärten<br />

reservieren, fordert er. „Damit können sie<br />

100 Prozent der Abwässer behandeln. Das<br />

ist viel billiger als eine herkömmliche Kläranlage<br />

– und sieht zudem schön aus.“<br />

Auch das ist längst mehr als eine Vision:<br />

Ein Ecoquartier sorgt bereits vor den Toren<br />

von Paris für Aufsehen – direkt neben dem<br />

Eurodisney-Park.<br />

n<br />

karin.finkenzeller@wiwo.de | Paris<br />

Die Unscharf-Schützen<br />

FOTOGRAFIE | Top-Smartphones machen längst so gute Bilder wie<br />

Kompaktkameras. Dank neuer Technik wollen sie nun auch beim<br />

kreativen Spiel mit der Tiefenschärfe gleichziehen. Gelingt das?<br />

Lange war es eine kleine Wissenschaft<br />

für Fotoexperten, das kreative Spiel<br />

mit der Schärfentiefe – jenem gestalterischen<br />

Effekt, der das Bildmotiv gestochen<br />

scharf aus dem weich zerfließenden<br />

Hintergrund heraushob. Die<br />

Grenze zwischen Könner und<br />

Knipser, sie zeigte sich am virtuosen<br />

Spiel mit dem Fokusring<br />

am Objektiv, gepaart mit<br />

dem Wissen um Belichtungsund<br />

Blendensteuerung.<br />

Insofern stecken die Produzenten<br />

moderner High-End-<br />

Smartphones, trotz boomender<br />

Fotohandy-Verkäufe, in einem<br />

Dilemma, das ihren Produkten<br />

den Zugang zu höheren<br />

Weihen der Fotokunst verwehrt:<br />

Manuelle Belichtungsoder<br />

Blendensteuerung, das<br />

war bisher bei Top-Telefonen<br />

nicht zu haben. Das Spiel mit<br />

kreativer Unschärfe blieb die<br />

Domäne echter Fotoapparate.<br />

DREI WEGE – EIN ZIEL<br />

Bis jetzt. Denn nun gibt’s<br />

Unschärfe als Funktion auch<br />

bei Top-Smartphones. Refocus<br />

heißt die Funktion bei Microsofts<br />

Lumia 1020 (oben), U-<br />

Focus der Effekt bei HTCs Spitzenmodell<br />

One M8 (Mitte).<br />

Samsungs Galaxy S5 (unten) verfügt<br />

über einen selektiven Fokus.<br />

Allen gemein ist, dass sie das<br />

physikalische Defizit des regulierbaren<br />

Objektivs mit ausgefeilter<br />

Computertechnik und<br />

Linsensteuerung kompensieren<br />

wollen. Denn Smartphones<br />

fehlt nicht nur die regelbare<br />

Blende, die für Unschärfeeffekte<br />

weit offen sein muss. Außerdem<br />

ist der Abstand zwischen<br />

Linsen und Sensor zu klein –<br />

weil die Kameras der Telefone<br />

zwar immer besser werden<br />

müssen, aber nicht größer werden<br />

dürfen.<br />

Lumia 1020, HTC<br />

One M8, Samsung<br />

S5 Fotofunktion als<br />

Verkaufsargument<br />

Und so tricksen die Entwickler nach<br />

Kräften bei der Bildaufnahme. Computational<br />

Photography nennen Experten den<br />

technischen Kniff, der das Bild nach der<br />

Aufnahme noch digital aufpeppt.<br />

Dabei setzen die Hersteller<br />

bei ihren Smartphones auf drei<br />

ganz unterschiedliche Ansätze,<br />

um Unschärfe zu erzeugen.<br />

DER TRADITIONALIST<br />

Am ehesten an klassischer<br />

Technik orientiert sich das online,<br />

ohne Vertrag ab rund 350<br />

Euro angebotene Lumia 1020.<br />

Das spiegelt sich auch in der<br />

Bauform wider. Denn obwohl<br />

bei Smartphones sonst die Maxime<br />

gilt „Geht’s nicht schmaler?“,<br />

hat das Microsoft-Handy<br />

auf der Rückseite einen Buckel.<br />

Darunter verbirgt sich ein fokussierbares<br />

Linsensystem vor<br />

dem 41-Megapixel-Sensor. Wer<br />

die Ohren spitzt, hört, wie der<br />

Fokus scharf stellt. Das nutzen<br />

die Softwareentwickler in der<br />

Refocus-App. Sie schießt pro<br />

Aufnahme mehrere Bilder, fokussiert<br />

dabei Punkte in unterschiedlicher<br />

Distanz und montiert<br />

am Ende alles zusammen.<br />

So kann der Fotograf auch<br />

nachträglich noch wählen, was<br />

im Bild er scharf stellen will<br />

und was verschwimmen soll.<br />

DER STEREOGRAPH<br />

Einen anderen Weg gehen die<br />

taiwanischen Entwickler beim<br />

U-Focus des HTC One M8, das<br />

online ab etwa 520 Euro zu haben<br />

ist. Sie haben dem Handy<br />

mit einer zweiten Kamera einen<br />

Stereoblick beigebracht,<br />

wie er auch uns Menschen<br />

räumliches Sehen ermöglicht.<br />

Dürckt der Fotograf den Auslöser,<br />

nimmt die lichtstarke,<br />

aber gering auflösende Vier-<br />

Megapixel-Hauptkamera<br />

»<br />

64 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Technik&Wissen<br />

»<br />

das eigentliche Foto auf. Die<br />

andere erzeugt – in der Blickebene<br />

leicht versetzt – ein zweites Bild.<br />

Aus der Differenz der Fotos errechnet<br />

die Software die Tiefeninformationen:<br />

Das Handy erkennt<br />

so, was weiter vorne auf dem Foto<br />

zu sehen ist und was weiter im<br />

Hintergrund. Abhängig davon,<br />

welchen Bereich der Nutzer später<br />

scharf sehen will, belegt das<br />

Programm die übrigen Bildteile<br />

mit einem Unschärfefilter.<br />

DER ANALYTIKER<br />

Doppellinse oder Kamerabuckel<br />

wie bei HTC oder Microsoft haben<br />

sich die Designer des Samsung<br />

Galaxy S5 gespart. Stattdessen<br />

setzen die Südkoreaner bei dem<br />

online ab 480 Euro angebotenen<br />

Smartphone und seiner 16-Megapixel-Kamera<br />

allein auf Software,<br />

um per Bildanalyse Vorder- und<br />

Hintergrund sowie Hauptmotiv<br />

zu identifizieren.<br />

Sie bauen auf Konzern-Knowhow,<br />

mit dem auch die Entwickler<br />

von Samsungs Flachbildfernsehern<br />

zweidimensionale Filme für<br />

die 3-D-Darstellung umrechnen.<br />

Und so, wie TV- und Videobilder<br />

dann – durch die Stereobrille betrachtet<br />

– räumliche Tiefe bekommen,<br />

kann die Software im<br />

Smartphone ein am Motiv scharfes,<br />

ansonsten aber leicht verschwommenes<br />

Foto produzieren.<br />

So unterschiedlich die Strategien<br />

der Hersteller, so unterschiedlich<br />

sind die Ergebnisse. Alle<br />

Modelle eint: Tiefenschärfe-Effekte<br />

liefern die Smartphones nur,<br />

solange die Bedingungen günstig sind –<br />

und nicht mal dann entspricht das Ergebnis<br />

immer den Erwartungen.<br />

Lumia 1020 Bester Tiefenschärfeeffekt, weil die Smartphone-<br />

Kamera mechanisch auf mehrere Bildebenen fokussiert<br />

HTC One M8 Sind Vorder- und Hintergrund des Bildes nicht<br />

klar abgegrenzt, spielt – wie hier – der Unschärfefilter verrückt<br />

Samsung S5 Nur wenn sich der Fotograf an die Abstandsvorgaben<br />

für Motiv und Hintergrund hält, gelingt so ein Schärfeeffekt<br />

Am besten schlägt sich<br />

Foto-Test noch das Lumia 1020. Denn<br />

weil die Kamera mehrfach<br />

In der App-<strong>Ausgabe</strong><br />

finden Sie<br />

scharf stellt, entstehen tatsächlich<br />

an unterschiedli-<br />

hier weitere Vergleichsfotos<br />

von chen Stellen (un-)scharfe<br />

den Smartphones Aufnahmen. Insofern geht<br />

eben noch nichts über echte,<br />

optische Arbeit. Trotzdem<br />

hat der variable Fokus des Lumia enge<br />

Grenzen. Mangels ausreichender Bautiefe<br />

kann der Fotograf nachträglich nur auswählen,<br />

ob er ganz nah scharf fokussieren will,<br />

ziemlich nah – oder irgendwo weiter hinten.<br />

So flexibel wie eine traditionelle Kamera<br />

ist das Lumia 1020 also noch längst nicht.<br />

Mehr Spielraum bei der Wahl des Schärfepunktes<br />

bietet HTCs One M8. Sein Stereoblick<br />

errechnet für viel mehr Bildebenen<br />

die Distanz zum Fotografen. Der kann hinterher<br />

bestimmen, was U-Focus hinter dem<br />

Unschärfe-Filter verschwinden lässt.<br />

TRICKSEN BEI DER TIEFE<br />

Das gelingt umso besser, je klarer das Bild<br />

gegliedert ist. Ein Baum am Rand, Personen<br />

in mittlerer Distanz und ein ferner<br />

Hintergrund – das rechnet das One sauber<br />

auseinander. Soll ein Bildbereich scharf gestellt<br />

werden, reicht ein Tipp aufs Display.<br />

Dabei ist der Spielraum größer als beim<br />

Lumia – aber nur solange das<br />

3-D-Modell mit der realen Welt<br />

übereinstimmt. Das Foto der Rose<br />

(links) entlarvt, wo es schwierig<br />

wird. Denn die Software belässt<br />

neben Bildmotiv in der Mitte auch<br />

Teile des Bodens weit dahinter<br />

scharf. Andere verwischt sie. Offenbar<br />

hat das Programm Schwierigkeiten<br />

mit runden Übergängen<br />

und schlanken Objekten.<br />

Ähnliche Schwächen zeigen<br />

sich auch bei Testbildern des<br />

Samsung Galaxy S5. Das hat es im<br />

Vergleich allerdings auch am<br />

schwersten, weil rein Softwareintelligenz<br />

für den begehrten Bildeffekt<br />

verantwortlich ist. Damit das<br />

Programm überhaupt Motiv und<br />

Hintergrund erkennt, macht Samsung<br />

dem Fotografen konkrete<br />

Vorgaben: Das Objekt darf zum einen<br />

nicht weiter als 50 Zentimeter<br />

von der Kamera entfernt sein,<br />

muss sich zugleich aber mindestens<br />

dreimal so weit vor dem eigentlichen<br />

Hintergrund befinden.<br />

Nur, wer sich daran hält, den belohnt<br />

das Galaxy mit den gewünschten<br />

Unschärfe-Effekten.<br />

Sonst streikt die Software.<br />

Das Fazit ist eindeutig: Am verlässlichsten<br />

der Un-Scharfschützen<br />

arbeitet die Refocus-App im<br />

Lumia – mit dem Manko begrenzter<br />

Flexibilität. Das HTC One M8<br />

und Samsungs Galaxy S5 haben<br />

beide Stärken und Schwächen:<br />

Der U-Focus tut sich bei komplexen<br />

Strukturen schwer, Vorderund<br />

Hintergrund zu trennen.<br />

Samsungs Software ist in ihren<br />

Vorgaben sehr rigide.<br />

Und was dann übrig bleibt, sind in beiden<br />

Fällen – den Profi graust es bei dem<br />

Gedanken ohnehin – nur mehr oder minder<br />

mit Unschärfefiltern überdeckte Fotos.<br />

Das mag beim Bildversand übers Netz oder<br />

in sozialen Netzen reichen. Beim gekonnten<br />

Spiel mit der Unschärfe jedoch reichen<br />

auch die besten Smartphones noch nicht<br />

an die Qualitäten echter System- oder<br />

Spiegelreflexkameras heran.<br />

Klar ist aber auch: Die Handyhersteller<br />

werden an ihrer Software feilen – und spätestens<br />

mit der nächsten Gerätegeneration<br />

rücken die Telefone auch bei der Tiefenschärfe<br />

wieder ein Stück an die klassische<br />

Kamerawelt heran.<br />

n<br />

thomas.kuhn@wiwo.de<br />

66 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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VALLEY TALK | Bislang scheiterten alle Ausflüge in<br />

den Online-Handel. Bei seinem jüngsten Versuch<br />

reicht Facebook-Chef Mark Zuckerberg nun schon ein<br />

kleiner Erfolg. Von Matthias Hohensee<br />

Mini-Attacke auf Amazon<br />

FOTO: JEFFREY BRAVERMAN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

Wenn zwei Internet-Mogule<br />

gegeneinander antreten, wird<br />

es spannend. So wie gerade<br />

bei Mark Zuckerberg und Jeff<br />

Bezos. Der Facebook-Gründer will beweisen,<br />

dass im sozialen Netzwerk mindestens<br />

so viel Geschäftspotenzial steckt wie<br />

im Unternehmen des Amazon-Schöpfers.<br />

Rechnerisch hat Zuckerberg das ohnehin<br />

schon erreicht. Denn das soziale Netzwerk<br />

aus dem Silicon Valley hat den Online-<br />

Händler aus Seattle beim Börsenwert überholt.<br />

Beide Unternehmen wachsen, was<br />

Voraussetzung ist, um an der Wall Street<br />

geliebt zu werden. Zwar setzte Bezos’ Imperium<br />

vergangenes Jahr mit 78 Milliarden<br />

Dollar fast das Neunfache von Facebook<br />

um. Doch unterm Strich blieben wegen<br />

kostspieliger Investitionen und knapper<br />

Margen im Online-Handel nur 300 Millionen<br />

Dollar Gewinn übrig. Zuckerberg hingegen<br />

arbeitet sehr viel profitabler und holte<br />

aus seinen neun Milliarden Dollar Umsatz<br />

1,2 Milliarden Dollar Profit heraus.<br />

Trotz Facebooks teurer Zukäufe wie dem<br />

Kurznachrichten-Dienstleister WhatsApp<br />

oder dem Datenbrillen-Schöpfer Oculus<br />

wird sich das Missverhältnis zu Amazons<br />

Ungunsten dieses Jahr nicht ändern. Zumal<br />

Bezos weiter unbeirrt experimentiert wie<br />

etwa mit Smartphone-Hardware oder einer<br />

Flatrate für Bücher.<br />

Aber Zuckerberg steht dem Konkurrenten<br />

nicht nach. Er will demonstrieren, dass<br />

in seinem sozialen Netzwerk auch ein Stück<br />

Amazon steckt. Ausgewählte Händler dürfen<br />

seit Kurzem Kaufoptionen direkt in ihre<br />

Anzeigen einklinken. Über die können<br />

Facebook-Nutzer dann mittels Kreditkarte<br />

Waren einkaufen, ohne noch in den Shop<br />

des Anbieters wechseln zu müssen.<br />

Noch beschränkt sich der Test auf die<br />

USA und auf kleinere Anbieter wie einen<br />

Uhrenhändler aus San Francisco. Nicht nur<br />

deshalb sieht man bei Amazon die Mini-<br />

Attacke gelassen. Sie scheint vor allem eine<br />

Reaktion auf die Kooperation des Online-<br />

Händlers mit Twitter zu sein. Denn Nutzer<br />

des Kurznachrichtendienstes können dort<br />

seit ein paar Wochen Waren für den Einkauf<br />

bei Amazon markieren. Twitter-Chef Dick<br />

Costolo hat zudem mit CardSpring gerade<br />

einen Spezialanbieter gekauft, mit dem<br />

sich online verteilte Rabatte auf Kreditkarten<br />

übertragen und später automatisch<br />

beim Einkauf nutzen lassen.<br />

Zuckerbergs jüngster Vorstoß in den Handel<br />

ist nicht der erste, und frühere waren<br />

Flops. Facebook Credits, die Zahlungsplattform<br />

für virtuelle Güter, wurde eingestellt;<br />

ebenso Deals, die Antwort auf den Gutschein-Dienstleister<br />

Groupon. Auch Facebook<br />

Gifts, das den Geschenkeversand an<br />

Freunde erlaubt, existiert nicht mehr.<br />

AKZEPTANZ BLEIBT FRAGLICH<br />

Unstreitig ist , dass Menschen soziale<br />

Medien nutzen, um sich über Produkte und<br />

Dienstleistungen zu informieren, sie zu<br />

loben und zu kritisieren. Unbewiesen aber,<br />

ob sie auf dem Weg auch einkaufen wollen.<br />

Zwar haben Geschäftskunden akzeptiert,<br />

dass sie, im Gegensatz zu früher, für<br />

Präsenz in Zuckerbergs Netzwerk nun bezahlen<br />

müssen, weil ihre Meldungen kaum<br />

noch unbezahlt im Nachrichtenstrom auftauchen.<br />

Doch die Wirksamkeit der Unternehmensbotschaften<br />

bleibt umstritten.<br />

Da könnte es Facebook schon reichen,<br />

wenn die Nutzer Interesse an der Kaufoption<br />

zeigten. Denn damit könnte Zuckerberg<br />

sein Kerngeschäft – den Verkauf von<br />

Anzeigen auf der Plattform – stärken. Denn<br />

weil die Zahl der Anzeigen in Facebooks<br />

Nachrichtenstrom aus Akzeptanzgründen<br />

beschränkt ist, kann er seine Erlöse nur<br />

über höhere Anzeigenpreise erzielen.<br />

Wenn also die Kaufoption nur belegt,<br />

dass Werbung in Facebook nicht bloß wahrgenommen<br />

wird, sondern direkt zu Käufen<br />

führt, kann Zuckerberg die Anzeigenpreise<br />

leichter hochsetzen. Und dann reicht es für<br />

ihn auch, nur ein Mini-Amazon zu sein.<br />

Der Autor ist WirtschaftsWoche-Korrespondent<br />

im Silicon Valley und beobachtet<br />

von dort seit Jahren die Entwicklung der<br />

wichtigsten US-Technologieunternehmen.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 67<br />

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Management&Erfolg<br />

Ständige Metamorphose<br />

SERIE DAS GEHEIMNIS MEINES ERFOLGS (VI) | Ulrich Dietz Vom Maschinenschlosser zum<br />

Gesprächspartner der Kanzlerin: Wie der GFT-Gründer aus einer Drei-Mann-<br />

Softwarebude ein globales IT-Unternehmen aufgebaut hat. Und warum ihm der<br />

Austausch mit Künstlern und Philosophen wichtig ist.<br />

Manchmal, wenn keiner<br />

mehr dort ist, kein Architekt,<br />

kein Statiker, kein<br />

Elektriker, macht er auf<br />

dem Heimweg von seinem<br />

Büro noch einen Schlenker. Fährt zwei Kilometer<br />

bis zu einem öden Gewerbegebiet<br />

in Stuttgart-Plieningen, parkt vor einem<br />

schmucklosen, gut 30 Jahre alten Zweckbau.<br />

Und läuft noch einmal durch jede der<br />

vier Etagen, über bloßen Estrich, vorbei an<br />

Bauschutt und halb abgerissenen Wandverschalungen,<br />

hindurch unter Kabeln,<br />

die von entkernten Decken hängen.<br />

„Das wird ganz toll hier“, sagt Ulrich<br />

Dietz. Der Gründer und Vorstandschef<br />

des IT-Mittelständlers GFT hat exakte Vorstellungen<br />

von der Zukunft dieses Gebäudes,<br />

das einst Mitarbeiter des Konkurrenten<br />

Oracle beherbergte, dann fast drei<br />

Jahre leer stand. Und noch vor Weihnachten<br />

zur neuen GFT-Unternehmenszentrale<br />

werden soll, auf rund 4000 Quadratmetern.<br />

Wo andere derzeit nichts als eine<br />

08/15-Baustelle sehen, schwärmt Dietz<br />

von der Ästhetik unverputzter Betonwände,<br />

Kunstharz- und Dielenböden und grau<br />

melierten Teppichböden, die hier bald<br />

verlegt werden. Einem mediterran anmutenden<br />

Café im Erdgeschoss inklusive Vortragssaal<br />

und Platz für einen<br />

Teil seiner Kunstsammlung,<br />

die er in den vergangenen<br />

zwei Jahrzehnten aufgebaut<br />

hat, „um zu verstehen, wie<br />

Künstler um die Ecke denken“.<br />

Und den künstlerischen<br />

Eingriffen, die er gerade mit<br />

Tobias Rehberger ausheckt,<br />

einem Künstler von Weltrang, mit dem<br />

Dietz seit Jahren befreundet ist.<br />

Warum er das alte Gebäude nicht einfach<br />

abreißt, um ein neues komplett nach<br />

seinen Vorstellungen bauen zu lassen? Warum<br />

er einem Künstler freie Hand gibt bei<br />

der Gestaltung eines Teils des Gebäudes?<br />

„Ich suche immer nach reizvollen Aufgaben<br />

mit Aha-Effekt, die mehr Grips als<br />

Geld kosten. Ich will neue Dinge ausprobieren,<br />

auch wenn sie anderen abseitig erscheinen“,<br />

sagt Dietz. „Und ich will Technologie<br />

schön präsentieren.“<br />

Überzeugungen, die nicht nur Dietz’ Anspruch<br />

an die Gestaltung der neuen Unternehmenszentrale<br />

deutlich machen. Sie beschreiben<br />

auch das Spannungsfeld, in dem<br />

der heute 56-jährige GFT-Gründer in den<br />

vergangenen 30 Jahren eines der führenden<br />

IT-Unternehmen Europas aufgebaut<br />

hat, mit knapp 350 Millionen Euro Umsatz,<br />

3000 Mitarbeitern und einer Eigenkapitalquote<br />

von mehr als 40 Prozent.<br />

„Unsere Entwicklung war manchmal wie<br />

auf einer Achterbahnfahrt – aber wir kamen<br />

immer wieder zurück“, fasst Dietz seine<br />

Karriere zusammen. Vom Drei-Mann-<br />

Betrieb im beschaulichen Schwarzwald<br />

zum global agierenden, börsennotierten<br />

Unternehmen. Vom Schulabbrecher zum<br />

Gesprächspartner der Bundeskanzlerin,<br />

<strong>vom</strong> Lehrling zum Multimillionär,<br />

von der Aushilfe im väterlichen<br />

Schmuckbetrieb<br />

zum visionären Aussteller auf<br />

der weltgrößten Computermesse<br />

Cebit. Immer auf der<br />

Suche nach innovativer Weiterentwicklung<br />

seines Geschäftsmodells,<br />

nach Austausch<br />

mit kreativen Köpfen <strong>vom</strong> Programmierer<br />

bis zum Philosophen, nach besseren<br />

Lösungen für seine Kunden.<br />

„Das Unbekannte lieben lernen, nie die<br />

Neugierde verlieren“, beschreibt Dietz einige<br />

seiner zentralen Erfolgsgeheimnisse<br />

(siehe Kasten Seite 69), „eigenen Ideen vertrauen<br />

– gerade wenn andere sie für schräg<br />

halten. Und immer fleißig schaffen.“<br />

ERSTE FIRMA MIT 17<br />

Grundsätze, die ihn von klein auf prägen:<br />

Statt seinen Lehrern in der Schule hört<br />

Dietz junior lieber seinen Eltern am Mittagstisch<br />

beim Gespräch über den familieneigenen<br />

Modeschmuckbetrieb zu.<br />

Guckt, statt zu Hause für bessere Noten zu<br />

büffeln, lieber seinem Vater im Laden im<br />

heimischen Pforzheim über die Schulter.<br />

Begleitet diesen schon mit 15 Jahren zu<br />

Messen, hilft ihm beim Aufbau der Stände.<br />

Macht statt Abitur lieber eine Lehre als Maschinenschlosser.<br />

Und lernt dort, „mit Präzision<br />

zu arbeiten und alles so gut wie<br />

möglich zu erledigen“ – egal, ob’s ums Feilen<br />

eines Werkstücks geht oder darum, den<br />

Hof zu fegen. Erlebt in jungen Jahren, wie<br />

viele seiner Kollegen in Kurzarbeit geschickt<br />

werden und was es heißt, eine Firma<br />

auch in schlechten Zeiten zu managen.<br />

Und hat dennoch nur ein Ziel: „Ich wollte<br />

immer Unternehmer werden.“<br />

Schon mit 17, da ist er noch Lehrling, ist<br />

es so weit: Dietz gründet ein Büro für technische<br />

Zeichnungen. Bald bekommt er so<br />

viele Aufträge, dass er einen Freiberufler<br />

beschäftigen kann. Holt auf der Abendschule<br />

doch noch das Abitur nach und studiert<br />

Maschinenbau an der Fachhochschule<br />

in Reutlingen. Die Eltern schie-<br />

»<br />

FOTO: MAKS RICHTER FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

68 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Der IT-Ästhet<br />

GFT-Gründer und -Hauptgesellschafter<br />

Ulrich Dietz,<br />

56, legt nicht nur Wert<br />

auf leicht bedienbare Software,<br />

sondern auch auf<br />

eine aufgeräumte, attraktive<br />

Arbeitsumgebung<br />

Ulis Gebote<br />

1. Glaub deinen Ideen<br />

Es gibt immer Tausend Bedenkenträger, die<br />

einem eine Idee ausreden wollen. Und<br />

genauso viele Gründe, etwas nicht zu tun.<br />

Aber wer seinen Ideen vertraut, kann auch<br />

Skeptiker von seinen Projekten überzeugen.<br />

Und sollte mit einer Art positiver<br />

Sturheit sein Ding gegen alle Widerstände<br />

durchziehen.<br />

2. Ohne Fleiß kein Preis<br />

Networken kommt von ned worken: Karrieren,<br />

ob als Manager oder Unternehmer,<br />

werden nicht auf dem Golfplatz gemacht.<br />

Wer früher aufsteht und mehr arbeitet,<br />

hat am Ende auch mehr Möglichkeiten.<br />

3. Lebe deine Träume<br />

Wir leben in einer durch und durch rationalen<br />

Welt, ständig eingeengt von Budgetzielen,<br />

Kennzahlen, Leistungszwängen.<br />

Statt uns auf Fakten zurückzuziehen,<br />

sollten wir öfter träumen, über Visionen<br />

grübeln oder auf Zuruf rumspinnen.<br />

4. Vertrauen schlägt Geld<br />

„Lieber Geld verlieren als Vertrauen“:<br />

Diesen Wahlspruch von Robert Bosch hat<br />

mir mein langjähriger Beirat und Bosch-<br />

Chef Markus Bierich ans Herz gelegt.<br />

Denn Vertrauen ist die Basis jedes Unternehmens<br />

– zu Mitarbeitern, Kunden,<br />

Lieferanten.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 69<br />

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Management&Erfolg<br />

Erfolg anvisiert<br />

Das GFT-Gründertrio Ulrich Dietz (links),<br />

Joachim Moser (Mitte) und Professor<br />

Michael Schönemann (1987)<br />

Auf Augenhöhe<br />

Dietz hat über die Jahre ein<br />

enges Netzwerk aufgebaut,<br />

zu dem auch Apple-Mitgründer<br />

Steve Wozniak zählt<br />

»<br />

ßen gerade mal 200 Mark im Monat zu,<br />

am Semesterende steht er regelmäßig mit<br />

ein paar Tausend Mark im Minus. Verdient<br />

aber mit seinen Zeichnungen in den Ferien<br />

so viel, dass das Konto zum neuen Semester<br />

wieder im Plus ist.<br />

Ans Studium schließt Dietz ein Praktikum<br />

an – beim Maschinenbauer Trumpf,<br />

mit dessen damaligem Eigentümer und<br />

Geschäftsführer Berthold Leibinger Dietz’<br />

Vater eine jahrzehntelange Freundschaft<br />

verbindet. „Uli wusste schon früh, dass Beziehungen<br />

nur dem schaden, der keine<br />

hat“, sagt Leibinger über seinen Patensohn.<br />

„Ich habe ihm bei uns die Tür aufgemacht,<br />

ihn aber nicht protegiert. Durchgegangen<br />

ist er selbst.“<br />

Ein Jahr bleibt Dietz, arbeitet erst in der<br />

Zentrale in Ditzingen, dann am US-Standort<br />

in Connecticut. Bis heute treffen sich<br />

Leibinger und Dietz einmal im halben Jahr<br />

zum Essen, gerade hat Dietz Trumpf bei einem<br />

internationalen Softwareprojekt beraten.<br />

„Der Bursche kann was“, sagt Leibinger,<br />

„er hat sich über die Jahrzehnte zu einem<br />

tüchtigen und begabten Unternehmer<br />

entwickelt.“<br />

GESTELL ZUM LANDEN<br />

Diese Begabung sollte sich schon bald zeigen:<br />

Nach einem zweiten Studium – Product<br />

Engineering in der kleinen, aber renommierten<br />

Fachhochschule in Furtwangen<br />

– gründet Dietz 1985 mit einem seiner<br />

damaligen Professoren und einem weiteren<br />

Mitstreiter im staatlich geförderten<br />

Technologietransferzentrum im Schwarzwald-Dörfchen<br />

St. Georgen ein Institut für<br />

Softwareentwicklung. Das ist untergebracht<br />

in den früheren Räumen der Technologiefirma<br />

Dual, die den Kampf gegen<br />

Schmucklose Keimzelle<br />

Im IT-Transferzentrum in St.<br />

Georgen wurde der Grundstein<br />

des Unternehmens gelegt<br />

die Konkurrenz aus Fernost damals schon<br />

verloren hatte. Dietz’ Idee: Konstruktionssoftware<br />

zu entwickeln, so bedienerfreundlich,<br />

als wäre sie von Apple. „Ein guter<br />

Programmierer war ich nie“, sagt Dietz.<br />

„Aber ich wusste immer: Wir müssen die<br />

Bedürfnisse unserer Kunden kennen, bevor<br />

wir anfangen, Produkte zu entwickeln –<br />

nicht umgekehrt.“<br />

Zwei Jahre später, 1987, wandeln die<br />

Gründer ihr Institut in ein Unternehmen<br />

um – GFT ist geboren. Dietz, mangels Eigenkapital<br />

erst angestellter Geschäftsführer<br />

für 3000 Mark Monatsgehalt, übernimmt<br />

zwei Jahre später per Kredit 75 Prozent<br />

der Anteile, weitere zwei Jahre später<br />

den Rest. „Der Kaufpreis war viel zu hoch“,<br />

sagt Dietz. Folgt aber schon damals seinem<br />

Motto: „Träume muss man leben.“<br />

Um seinen Ex-Partner auszahlen zu können,<br />

engagiert Dietz weitere Geschäftsführer,<br />

verkauft ihnen GFT-Anteile – darunter<br />

auch seiner Frau Maria. „Die beiden ergänzen<br />

sich sehr gut“, sagt Leibinger. „Sie hat<br />

das Unternehmen mit ihrer klaren Nüchternheit<br />

stabilisiert.“ Die Maxime der Betriebswirtin<br />

und Ex-Microsoft-Managerin:<br />

„Jede Idee braucht Flügel zum Fliegen –<br />

aber auch ein Gestell zum Landen.“<br />

Und das ist gerade in den Anfangsjahren<br />

wichtig: Zwar trifft GFT mit seinen Produkten<br />

den Nerv der Kunden, doch die Bonität<br />

bei den Banken ist mäßig. Bis Anfang der<br />

Neunzigerjahre „haben wir von der Hand<br />

in den Mund gelebt“, erinnert sich Dietz.<br />

Sogar auf seine Hochzeitsreise verzichtet<br />

er, „ich musste zu Hause bleiben und Geld<br />

verdienen“.<br />

Als GFT 1993 kurz vor dem Konkurs<br />

steht, steckt Dietz mit dem Mut der Verzweiflung<br />

250 000 Mark in eine Anzeigen-<br />

kampagne – und hat Erfolg: Unter den neu-<br />

en Kunden ist auch die Deutsche Post, die<br />

von GFT Lizenzen und Servicepakete für<br />

eine neue Produktions-, Planungs- und<br />

Steuerungssoftware erwirbt. Ein Millionendeal,<br />

„damit konnten wir in neue Dimensionen<br />

vorstoßen“, erinnert sich Dietz.<br />

GROSSVATER ALS VORBILD<br />

Sein Credo: „big enough to deliver, small<br />

enough to care“ – schlagkräftig wie ein<br />

Konzern, sorgfältig, flexibel und kundennah<br />

wie ein Mittelständler. Und das längst<br />

nicht mehr nur in Deutschland. Nach dem<br />

Vorbild seines Großvaters, der schon vor<br />

dem Ersten Weltkrieg Schmuck in Italien<br />

produzieren ließ, um ihn in Deutschland<br />

zu verkaufen, expandiert Enkel Uli ins Ausland:<br />

gründet 1996 ein Entwicklungszentrum<br />

in Irland, kauft 1997 in der Schweiz<br />

zu. Erweitert und verändert immer wieder<br />

das Produktportfolio, steigt ins Web-<br />

Design ein – bis auch die Konkurrenz auf<br />

den Selfmade-Mann aus dem Schwarzwald<br />

aufmerksam wird. Die Angebote, GFT<br />

zu verkaufen, häufen sich, im Spiel sind<br />

Summen ab 50 Millionen Mark. Dietz lehnt<br />

stets ab, denn „was die Konkurrenz macht,<br />

machen wir nicht schlechter“.<br />

Bestärkt fühlt er sich durch seinen Berater<br />

bei der Deutschen Bank. „Natürlich<br />

kannst du GFT verkaufen“, sagt ihm der Ende<br />

1998, als wieder mal ein US-Konzern an<br />

die Tür geklopft hatte. „Aber du kannst das<br />

Geld auch an der Börse einsammeln.“<br />

Dietz findet schnell Geschmack an der<br />

Idee – und holt seinen Ratgeber gleich mit<br />

an Bord: Markus Kerber. „Glücksgriff“<br />

nennt Dietz seinen neuen Finanzvorstand,<br />

der nach seiner GFT-Zeit zu Wolfgang<br />

Schäuble erst ins Bundesinnen-,<br />

»<br />

FOTOS: PR<br />

70 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Management&Erfolg<br />

Offenes Ohr<br />

Dietz legt großen Wert auf Austausch mit<br />

Künstlern wie Tobias Rehberger<br />

Peppige Plattform<br />

Mit Code_n bietet Dietz Startups<br />

auf der IT-Messe Cebit seit<br />

drei Jahren Präsentationsmöglichkeiten<br />

in einer aufwendig<br />

gestalteten Messehalle<br />

Bulliger Börsenstart<br />

Mehr als 34 Millionen Euro<br />

Expansionskapital sammelte<br />

GFT mit dem Börsengang im<br />

Juni 1999 ein<br />

FOTOS: MICHAEL DANNENMANN, PR (2)<br />

»<br />

später ins Finanzministerium wechseln<br />

sollte und heute Hauptgeschäftsführer des<br />

Bundesverbands der Deutschen Industrie<br />

ist. „Dietz“, sagt Trumpf-Legende Leibinger,<br />

„hatte immer ein gutes Händchen fürs<br />

Personal.“<br />

Statt auf Headhunter setzt er lieber auf<br />

das eigene Urteilsvermögen, beobachtet<br />

potenzielle Führungskräfte schon mal zwei<br />

Jahre, bevor er sie einstellt. Lädt sie zu sich<br />

nach Hause zum gemeinsamen Abendessen,<br />

Kinder inklusive. Fordert sie auf zum<br />

„Rumspinnen auf Zuruf“, nimmt sie mit ins<br />

Museum oder zum Spaziergang durch die<br />

Garmischer Alpen. „Ich will wissen, was<br />

die Leute umtreibt, auch außerhalb des<br />

Jobs“, sagt Dietz. „Wir sind ja keine Fabrik,<br />

sondern ein Wissensunternehmen.“<br />

Das nimmt mit dem Börsengang im Juni<br />

1999 gewaltig Fahrt auf: Am Neuen Markt<br />

herrscht Hochstimmung, Dietz verteilt<br />

zum Börsenstart Kuckucksuhren aus Schokolade.<br />

Der <strong>Ausgabe</strong>kurs liegt bei 23 Euro,<br />

die Erstnotiz bei 44 Euro, der Kurs klettert<br />

im Lauf des Tages auf bis zu 66 Euro. GFT<br />

sammelt durch den Börsengang mehr als<br />

34 Millionen Euro ein, wochenlang kennt<br />

der Kurs nur eine Richtung: nach oben. Ende<br />

1999 bewertet die Börse das Unternehmen<br />

mit zwei Milliarden Euro, „auf dem<br />

Kontoauszug an Silvester 1999“, erinnert<br />

sich Dietz, der damals 50 Prozent der GFT-<br />

Anteile hält, „stand schon ein sehr ordentlicher<br />

Betrag“. Auf dem Boden bleibt er<br />

trotzdem: „Den Porsche“, sagt Dietz,<br />

„konnte ich mir ja schon vorher leisten.“<br />

Statt sich – wie damals viele hochgejubelte<br />

Börsenstars der New Economy –<br />

Villen, Yachten, Sportwagen oder Wochenendtrips<br />

nach New York oder Hongkong zu<br />

leisten, bleibt Dietz lieber bei der Familie<br />

im Schwarzwald, steckt das Geld in den<br />

Ausbau des Unternehmens. Bietet seinen<br />

Mitarbeitern stets die technisch beste Arbeitsumgebung,<br />

stiftet Wasser und Kaffee –<br />

hält das Geld ansonsten aber beisammen:<br />

Fliegt, wie alle Mitarbeiter, innerhalb Europas<br />

bis heute ausschließlich Economy,<br />

übernachtet nie für mehr als 100 Euro. Papier<br />

bedruckt er gern beidseitig und ist sich<br />

auch nicht zu schade, abends in den Büros<br />

das Licht zu löschen. „Auch Kleinigkeiten<br />

machen was aus“, sagt Dietz, „in der Hinsicht<br />

bin ich sehr schwäbisch.“<br />

Das gilt auch für sein Arbeitspensum:<br />

„Ohne Fleiß kein Preis“, sagt Dietz, „wer<br />

seine Zeit auf dem Golfplatz verbringt, gehört<br />

nicht zu den Erfolgreichsten – wer früher<br />

aufsteht, hat mehr Möglichkeiten.“<br />

SPARRINGSPARTNER FÜR IDEEN<br />

Die Krise holt ihn zum Ende der New-Economy-Blase<br />

trotzdem ein: Weil Zahlen für<br />

das Jahr 2000 minimal schlechter ausfallen<br />

als prognostiziert, rauscht der Börsenkurs<br />

Ende März 2001 an einem Tag um fast 50<br />

Prozent in den Keller. „Wie ein Schlag in<br />

den Magen“ sei das gewesen, erinnert sich<br />

Dietz. Zusammen mit Finanzvorstand Kerber<br />

ertränkt er den Frust in der Bar eines<br />

schäbigen Hotels im Frankfurter Bahnhofsviertel<br />

in Whisky. Dietz’ Fazit nach einer<br />

durchzechten Nacht: „Der Druck ist<br />

weg, jetzt können wir das Unternehmen in<br />

aller Ruhe weiterentwickeln.“<br />

Sein Ziel: die gesamte Wertschöpfungskette<br />

für Geschäfte im Web abzudecken.<br />

Erster Schritt in die neue Zukunft: GFT<br />

übernimmt eine Tochtergesellschaft der<br />

Deutschen Bank, die sich mit 25 Prozent an<br />

dem Mittelständler beteiligt. Und setzt die<br />

internationale Expansion fort: Spanien, In-<br />

dien, Frankreich. Den Aufbau der französischen<br />

Tochtergesellschaft an der Côte<br />

d’Azur nutzt er für einen mehrjährigen Aufenthalt<br />

vor Ort, „um mal bewusst eine andere<br />

Perspektive auf sich und die Heimat<br />

zu bekommen“. Jüngster Schritt vor wenigen<br />

Wochen: die Übernahme des britischen<br />

IT-Finanzdienstleisters Rule Financial<br />

(siehe WirtschaftsWoche 30/2014).<br />

Heute ist GFT in elf Ländern mit Niederlassungen<br />

vertreten, allein 1600 der 3000 Mitarbeiter<br />

arbeiten in Spanien und Polen –<br />

„die sind nicht so teuer, aber gut ausgebildet,<br />

liefern viele Impulse“.<br />

Die erhofft sich der 56-Jährige auch aus<br />

der globalen Gründerszene, der er seit drei<br />

Jahren eine spektakuläre Bühne bietet: mit<br />

Code_n, einer Plattform für Start-ups, die<br />

Dietz in Kooperation mit der Messe Hannover<br />

konzipiert hat. In einer eigenen, 16<br />

Meter hohen Halle, die Dietz für rund eine<br />

Million Euro von Künstlern wie Biennale-<br />

Preisträger Tobias Rehberger oder angesagten<br />

Architekten wie Jürgen Mayer H.<br />

oder Clemens Weisshaar gestalten lässt,<br />

präsentieren während der weltgrößten<br />

Computermesse Cebit 50 junge Unternehmen<br />

von Südkorea bis Frankreich ihre Ideen.<br />

Thema 2014: Big Data.<br />

„Wir verstehen uns als Sparringspartner<br />

für neue Ideen“, sagt Dietz, „die in neue Geschäfte<br />

umgemünzt werden können.“<br />

Dieser Spirit soll auch die neue GFT-<br />

Zentrale beseelen: Dort wird es eine eigene<br />

Etage für rund zehn Start-ups und eine<br />

weitere für ehemalige Top-Manager etablierter<br />

Konzerne im Unruhestand geben,<br />

„damit sich jung und alt gegenseitig befruchten<br />

können – wie in einer ständigen<br />

Metamorphose“.<br />

n<br />

manfred.engeser@wiwo.de, michael kroker<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 71<br />

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Management&Erfolg<br />

»Intrigen frühzeitig erkennen«<br />

INTERVIEW | Hans-Joachim Reck Der Verbandschef kommunaler Unternehmen erklärt, warum Frauen<br />

in Top-Jobs oft scheitern. Und was sie von den Männern lernen können.<br />

Herr Reck, in den vergangenen Wochen<br />

haben sich mit Elke Strathmann bei Conti,<br />

Marion Schick bei der Telekom und Angela<br />

Titzrath bei der Post drei Frauen von<br />

Vorstandsposten großer Konzerne verabschiedet.<br />

Haben diese Frauen versagt?<br />

Es sind nicht die Frauen, die versagen, sondern<br />

die Männer – und zwar die, die jetzt<br />

mit 55 Jahren aufwärts die Staffelübergabe<br />

angehen. Wer einen Top-Job zu vergeben<br />

hat und aus der eigenen Branche hinausblickt,<br />

sollte unter den letzten drei Kandidaten<br />

problemlos eine Frau haben. Da kann<br />

sich kein Mann mehr rausreden.<br />

Wie würden Sie das sicherstellen?<br />

Männer sollten begründen müssen, warum<br />

sie frei werdende Chefposten nicht mit<br />

Frauen besetzen.<br />

Weil diverse Studien eigentlich belegen,<br />

dass gemischte Teams erfolgreicher sind?<br />

Dass mehr Frauen in die Führungspositionen<br />

kommen müssen, ist in der Tat klar. Es<br />

ist erwiesen, dass die Qualität der Entscheidungsprozesse<br />

steigt, wenn Frauen mit<br />

ihren Fähigkeiten – die sich von denen der<br />

Männer unterscheiden – in den Gremien<br />

mit von der Partie sind.<br />

Trotzdem schaffen weibliche Vorstände nur<br />

ein Drittel der Amtszeit ihrer männlichen<br />

Kollegen, wie die Beratung Simon Kucher<br />

und Partner errechnet hat. Woran liegt das?<br />

Es ist immer das Gleiche: Es heißt, „ach,<br />

dann wird das jetzt mal eine Frau, die Vita<br />

stimmt ja halbwegs“. Und die werden<br />

schnell konfrontiert mit Themen, die sie so<br />

noch nicht erlebt haben, sehen sich schnell<br />

ausgebremst, scheiden frustriert wieder<br />

aus oder werden krank.<br />

Oder wollen vielleicht gar keine Führungsaufgaben<br />

übernehmen?<br />

Wollen sie schon. Aber es müssen einige<br />

Hemmfaktoren beseitigt werden. Frauen –<br />

DER FRAUENVERSTEHER<br />

Reck, 61, ist Hauptgeschäftsführer des<br />

Verbands kommunaler Unternehmen,<br />

arbeitete bei der Deutschen Telekom als<br />

Personalmanager und war zuvor Bundesgeschäftsführer<br />

der CDU.<br />

das bestätigt etwa ein Projekt der Helmut-<br />

Schmidt-Universität in Hamburg – haben<br />

mehr Bedenken als Männer, in Führungspositionen<br />

zu versagen, und fürchten,<br />

Arbeits- und Familienleben nicht unter<br />

einen Hut zu bekommen.<br />

Wie lässt sich das verhindern?<br />

In der Wirtschaft hat es keinen Sinn, einfach<br />

irgendeine Ex-Wissenschaftlerin oder<br />

Ex-Politikerin anzuheuern. Dann sonnen<br />

sich die Männer wegen dieser Alibi-Plat-<br />

zierungen nur in den Medien. Dabei müssten<br />

sie den Frauen auch die Chance geben,<br />

zu reüssieren. Aber das geschieht nicht.<br />

Meist werden die Frauen einfach positioniert<br />

und sich dann selbst überlassen.<br />

Vielleicht muss die eine oder andere Frau<br />

einfach lernen, besser zu kämpfen?<br />

Auch wenn sie selbst keine Intrigen spinnen<br />

wollen, müssen Frauen zumindest in<br />

der Lage sein, diese zu erkennen. Das<br />

gehört zur Sozialkompetenz von Führungskräften.<br />

Frauen müssen lernen, mit<br />

männlichen Methoden zu agieren. Ihre<br />

Intellektualität alleine trägt sie in der luftigen<br />

Höhe nicht. Sie müssen lernen, in<br />

einer nachhaltig vernetzten Welt zu agieren.<br />

Und Männer sollten Frauen Zeit<br />

geben, sich an diese Spielregeln zu gewöhnen<br />

– etwa durch Coaching.<br />

Glauben Sie im Ernst, dass jemand wie<br />

die Schwedin Eva-Lotta Sjöstedt sich mit<br />

passenden Trainings gegen den Karstadt-<br />

Inhaber Berggruen durchgesetzt hätte?<br />

Frau Sjöstedt ist ja auch kein Beispiel<br />

dafür, dass Frauen es nicht packen können<br />

– im Gegenteil. Mir imponiert die Haltung<br />

der Karstadt-Managerin, die ihren Job ja<br />

aus eigenen Stücken hingeworfen hat. Sie<br />

hat in ihrem bisherigen Berufsleben<br />

gezeigt, dass sie gut ist, und jetzt zeigt sie<br />

Unabhängigkeit. Wenn man dann zu dem<br />

Ergebnis kommt, es passt nicht, und aussteigt,<br />

ist das konsequent und hat Vorbildcharakter.<br />

An wem sollen sich andere Frauen Ihrer<br />

Meinung nach noch orientieren?<br />

Nehmen Sie nur Bundeskanzlerin Angela<br />

Merkel oder Verteidigungsministerin<br />

Ursula von der Leyen. Sie agieren beide<br />

sehr rational und arbeiten ihre Punkte systematisch<br />

ab. Die haben jede für sich die<br />

Männerdomänen um sich herum geknackt<br />

– und achten darauf, dass in ihrem Umfeld<br />

auch andere Frauen Chancen bekommen.<br />

An wen denken Sie?<br />

Etwa an die frühere McKinsey-Beraterin<br />

Katrin Suder, die von der Leyen der gesamten<br />

Generalität als Rüstungsstaatssekretärin<br />

vorgesetzt hat. Damit sind die<br />

alten männlichen Seilschaften empfindlich<br />

gestört.<br />

n<br />

claudia.toedtmann@wiwo.de<br />

FOTO: WERNER SCHUERING<br />

72 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Geld&Börse<br />

Parallelwelt,<br />

ganz oben<br />

FRANKFURT | Die Europäische Zentralbank verändert<br />

die Finanzmetropole, sie wird internationaler,<br />

bunter – und reicher. Wie tickt die Stadt, in der über<br />

unser aller Geld bestimmt wird?<br />

Krachend kraxelt der Baustellenaufzug<br />

am Gerippe des ehemaligen<br />

Bürogebäudes in die Höhe.<br />

Im zwölften Stock hält er an,<br />

zwischen den nackten Wänden<br />

weitet sich der Blick über die Türme des<br />

Bankenviertels auf die sanften Hügel des<br />

Taunus. „Wer hier wohnt, ist oben angekommen“,<br />

verkündet Daniel Korn stolz.<br />

Der Mann im dezent blauen Anzug ist Immobilienentwickler<br />

und will die kleine<br />

Schar gepflegter Damen und Herren bei<br />

Häppchen und Hochglanzbroschüren<br />

überzeugen, ihr Geld in Frankfurts ambitioniertestes<br />

Wohnprojekt zu stecken. Die<br />

Vorzüge des fertigen „Onyx“ flimmern neben<br />

Korn über einen Fernseher, den der<br />

Veranstalter ganz unbescheiden den größten<br />

der Welt nennt.<br />

HUNDEWASCHPLATZ INKLUSIVE<br />

Bescheidenheit wäre fehl am Platz. Hier<br />

herrscht Luxus am Rand der Realsatire. Die<br />

Einfahrt zur Tiefgarage ist beheizt und garantiert<br />

breit genug für ausladende Limousinen,<br />

Videoüberwachung und Alarmmelder<br />

entsprechen den Standards des Bundeskriminalamts<br />

und dank Hundewaschplatz<br />

hinterlässt Fiffichen keine Schlammspuren<br />

auf dem Eichenparkett. Ein Concierge-Service<br />

zwischen 6 und 22 Uhr<br />

bringt die Wäsche zur Reinigung, besorgt<br />

Karten fürs Konzert in der Alten Oper um<br />

die Ecke, erfüllt jeden Wunsch. Wohnen<br />

heißt hier Leben in der Luxussuite. Onyx<br />

aber könnte genau so in jeder anderen Finanzmetropole<br />

stehen. Es ist ein global<br />

gültiges Wall-Street-Klischee, die Welt<br />

drum herum ist zweitrangig, bei Bedarf<br />

kann sie komplett draußen bleiben.<br />

Tatsächlich geht es in Frankfurt aufwärts<br />

– mehr Gewerbesteuer, mehr Einwohner,<br />

mehr Arbeitsplätze, mehr Studenten, mehr<br />

Museumsbesucher. Mehr alles. Selbst die<br />

„New York Times“ empfahl die Stadt, von<br />

der internationale Touristen bisher oft nur<br />

den Flughafen kennenlernten, als einen<br />

der global angesagten Plätze.<br />

„Die Stadt ist attraktiv und hat sich in den<br />

vergangenen 20 Jahren fantastisch entwickelt.<br />

Viele bleiben gerne auf Dauer hier,<br />

wir wünschen uns, dass es so weitergeht“,<br />

sagt Peter Rennpferdt, Vize-Personalchef<br />

der Europäischen Zentralbank.<br />

1000 Experten aus ganz Europa sollen bei<br />

der EZB innerhalb eines knappen Jahres aus<br />

dem Nichts die Aufsicht über die wichtigsten<br />

europäischen Banken<br />

Luxus an<br />

der Grenze zur<br />

Realsatire<br />

Entwickler Korn<br />

auf dem<br />

Onyx-Rohbau<br />

aufbauen. Rennpferdts<br />

Publikum klatscht artig.<br />

Es sind Männer im Anzug,<br />

Frauen im Kostüm,<br />

die Diskussionsrunde hat<br />

die Räume der Anwaltskanzlei<br />

in einem Hochhaus mit Blick auf<br />

den Main gut gefüllt, viele müssen stehen.<br />

Das Motto lautet „Boom bis zum Ruin?“<br />

und trifft das Unbehagen, das viele Frankfurter<br />

drückt. Sie fragen, ob es gesund oder<br />

schon gestört ist, was mit der Stadt passiert.<br />

Die EZB-Leute sind nur ein Teil des Ansturms,<br />

der überall nach Platz sucht, in der<br />

Schule, auf den Straßen und vor allem auf<br />

dem Wohnungsmarkt.<br />

Der Aufbruch verunsichert viele, auch<br />

weit jenseits der Aktivisten der Protestbewegung<br />

Occupy – und lässt manche zurück.<br />

Die Mieten steigen, Edel-Italiener<br />

und Tapas-Bars verdrängen die Apfelweinkneipen.<br />

Wie keine andere deutsche<br />

»<br />

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

1478<br />

Milliarden Euro<br />

managen Fonds von<br />

Frankfurt aus<br />

74 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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10 000<br />

Euro kostet ein<br />

Quadratmeter<br />

in Spitzenlage<br />

1000<br />

Bankenaufseher<br />

stellt die EZB in<br />

diesem Jahr ein<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 75<br />

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Geld&Börse<br />

»<br />

Stadt prägt eine globale Geldelite Frankfurt,<br />

ihre Vertreter sind eigentlich nicht<br />

hier, sondern in der Welt zu Hause. Sie bleiben<br />

unter sich, in der Frankfurter Innenstadt<br />

bilden sie und ihre Dienstleister – Anwälte,<br />

Werber, PR-Leute, Wirtschaftsprüfer<br />

– eine Blase, eine Parallelwelt, die nach eigenen<br />

Regeln funktioniert, wenig <strong>vom</strong> Außen<br />

weiß und wissen will. Das frühere<br />

Schmuddelkind Frankfurt ist stolz darauf,<br />

dass es sich entwickelt, verdrängt aber die<br />

Frage, wo es eigentlich hingehen soll.<br />

„Es ist die spannendste Stadt Deutschlands,<br />

strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein,<br />

aber es fehlt die verbindende Idee, die<br />

Identität. Geld und Internationalität reichen<br />

nicht“, sagt Johnny Klinke. Vor gut 50<br />

Jahren ist er hierhergekommen, das graue<br />

Strubbelhaar erinnert an die wilde Zeit, in<br />

der er mit seinen Kumpels Joschka Fischer<br />

und Daniel Cohn-Bendit die Revolution<br />

vorantreiben wollte. Noch heute bezeichnet<br />

er sich als „gelernten Hausbesetzer“,<br />

dabei ist er längst ein bekannter Kulturunternehmer,<br />

in seinem Varieté „Tigerpalast“<br />

treten seit 25 Jahren Clowns, Zauberer, Artisten<br />

aus aller Welt auf, das angeschlossene<br />

Restaurant hat zwei Michelin-Sterne.<br />

VOM ERFOLG SANFT EINGELULLT<br />

Klinke schätzt die Stadt für ihre seit der<br />

Nachkriegszeit geübte Toleranz, ihre Freiräume<br />

und ihre „Überraschungskultur. Jeder<br />

kann machen, was er will, wenn er<br />

kreativ und ausdauernd ist“, sagt er. Er sitzt<br />

auf einer Bank im Park des Skulpturenmuseums<br />

„Liebieghaus“, ein Frankfurter Vorzeigeplatz,<br />

die frühere Fabrikantenvilla ist<br />

nur wenige Meter <strong>vom</strong> Main entfernt. Vor<br />

30 Jahren beschlossen die Planer, die damals<br />

stinkende Dreckbrühe als natürliche<br />

Mitte der Stadt zurückzugewinnen. Das hat<br />

geklappt, heute ist der Fluss im Sommer<br />

Ausflugsziel für Hunderte Ruderer, Spaziergänger<br />

und sogar Schwimmer. „Frankfurt<br />

ist nicht mehr kalt und schwarz-weiß,<br />

sondern bunt und lebendig“, sagt Klinke.<br />

Aber nicht frei von Schatten. Klinke nervt<br />

das Gerede über soziales Auseinanderbrechen,<br />

die Netzwerke der Stadt seien stark<br />

genug, um das zu verhindern. „Was fehlt,<br />

ist eine Debatte, eine Vision, bei der sich alle<br />

fragen, wie sie die Zukunft mitten in Europa<br />

gestalten wollen“, sagt er. Der Erfolg<br />

lulle die Verantwortlichen ein, es fehle der<br />

folgenreiche Dialog zwischen Unternehmen<br />

und Kultur, Engagement beschränke<br />

sich auf das ablassartige Sponsoring einer<br />

Ausstellung. „Meine Generation tritt wohlversorgt<br />

ab“, sagt Klinke. „Die Jüngeren<br />

Gekommen, um zu<br />

bleiben EZB-Bankaufseherin<br />

Rebollo<br />

Die EZB hat in ganz Europa Werbung<br />

für das Leben in Frankfurt gemacht<br />

sind oft sehr schnell erfolgreich geworden,<br />

mit ihren internationalen Lebensläufen<br />

aber lockerer an die Stadt gebunden. Deshalb<br />

spüren sie weniger Verantwortung.“<br />

NOTENBANK ALS KATALYSATOR<br />

Der Bauzaun mit bunten Pinocchios und<br />

einem Chor düsterer Affen aus der Sprühdose<br />

schirmt das Hochhaus weitläufig ab,<br />

Hammerschläge hallen herüber, Männer<br />

mit Helmen laufen auf und ab. 201 Meter<br />

ragt die Glasfassade aus der Brachlandschaft<br />

um die ehemalige Großmarkthalle<br />

empor, sie wirkt, als wäre sie direkt aus<br />

Stanley Kubricks Filmklassiker „2001“ gelandet.<br />

Vier Jahre hat der Bau der neuen<br />

Zentrale der Europäischen Zentralbank gedauert,<br />

1,2 Milliarden Euro gekostet, selbst<br />

eine neue Brücke über den Main hat die<br />

Stadt der EZB spendiert. 2300 Menschen<br />

sollen hier arbeiten, Anfang 2015 ziehen<br />

sie ein. Es ist „Viertel vor Entwicklung“, wie<br />

das Plakat am Zaun verkündet.<br />

Entwickeln sollen die Neuankömmlinge<br />

das Ostend, das bisherige trübe Industriegrau<br />

soll weichen. Viel ist davon noch nicht<br />

zu sehen. Die Durchfahrtstraßen säumen<br />

ein Matratzenlager, Welt der Farben und<br />

Eisen Fischer, zwischen den Wohnhäusern<br />

flanieren Männer mit offenen Bierflaschen<br />

der Lokalmarken Binding und Henninger.<br />

Die Lokale heißen Hesse Wirtschaft und<br />

Zur Kutscherklause, Mittagsschnitzel gibt<br />

es hier für 6,90 Euro. Einsames Zeichen der<br />

neuen Zeit ist das Restaurant Oosten, ein<br />

großer Glaskasten direkt am Main, vor dem<br />

eine Gruppe jüngerer Anzugträger in der<br />

Mittagssonne Salat knabbert. Mehr soll folgen:<br />

Gerade hat die Stadt große Pläne<br />

durchgewinkt für 650 Wohnungen, Büros,<br />

bis zu drei Hotels.<br />

Ausreichend ausgestattet, um für Aufschwung<br />

zu sorgen, sind die EZB-Leute.<br />

Ein Bankenwächter kassiert zwischen<br />

65 000 und 100 000 Euro im Jahr – deutlich<br />

mehr, als nationale Behörden zahlen. Richtig<br />

attraktiv machen den Job die Vergünstigungen.<br />

Es gibt steuerfreie Zulagen, 325 Euro<br />

pro Kind, hauseigene Betreuung für kleinere<br />

und Plätze in der internationalen<br />

Schule für größere Kinder. Ausländer bekommen<br />

16 Prozent Ortszulage, es gibt Hil-<br />

FOTOS: ANGELIKA ZINZOW FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, ACTION PRESS/KAMMERER, CORBIS/HICKS<br />

76 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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fe bei der Suche nach einem Job für den Lebenspartner<br />

und nach einer Wohnung und<br />

auch noch zwei Monatsgehälter extra – für<br />

Möbel. Alle zahlen keine deutsche Einkommensteuer,<br />

sondern einen deutlich niedrigeren<br />

Satz direkt in den EU-Haushalt.<br />

„Wir haben überall in Europa Werbung<br />

für Frankfurts Lebensqualität gemacht“,<br />

sagt EZB-Personaler Rennpferdt. Tausende<br />

Neuankömmlinge machen nun den Realitäts-Check,<br />

unbelastet von alten Klischees.<br />

Irene Rebollo etwa kennt weder Ebbelwoi-Showmaster<br />

Heinz Schenk („Es ist alles<br />

nur geliehen“) noch „Fall-für-<br />

Zwei“-Detektiv Josef Matula, sie denkt bei<br />

Frankfurt nicht an Dreck und Drogen und<br />

auch nicht an arrogante Bankbosse, die<br />

von ganz weit oben in ihren Türmen der<br />

„Peanuts“-Welt da unten „Victory“-Zeichen<br />

zeigen. Die zierliche Spanierin verbindet<br />

mit der Stadt vor allem die blaue<br />

Skulptur vor dem alten EZB-Gebäude in<br />

der Innenstadt. Allabendlich bebilderte die<br />

zu Hause in Madrid die Nachrichten, als<br />

Symbol des Euro und seiner Krise.<br />

ALLES AUF ANFANG<br />

Seit März ist Rebollo selbst ganz nah dran.<br />

„Ich wollte etwas Neues“, sagt sie. „In<br />

Frankfurt habe ich die Chance.“ Rebollo<br />

führt bei der neuen Aufsicht zehn Mitarbeiter<br />

aus vier Nationen, darunter nicht ein<br />

Deutscher. Ihr Team legt fest, welche Informationen<br />

Banken melden müssen, sie<br />

fängt bei null an, mehr Neues geht kaum.<br />

Für Frankfurt hat Rebollo ihre Stelle bei<br />

der spanischen Zentralbank aufgegeben,<br />

Mann und Sohn sind erst mal in Madrid<br />

geblieben. Die Aufseherin lebt wie eine<br />

Austauschstudentin, teilt sich die Wohnung<br />

mit einer spanischen Kollegin. Vorerst,<br />

denn ihr Aufenthalt soll kein Provisorium<br />

bleiben. „Ich bin glücklich hier, es<br />

lässt sich gut leben, es gibt viel Grün und<br />

kurze Wege“, sagt Rebollo. Bald zieht sie in<br />

eine Wohnung im Westend, im Herbst soll<br />

ihr Sohn hier in den Kindergarten.<br />

Das Westend ist immer noch die von<br />

Bankern bevorzugte und deshalb teuerste<br />

Wohnlage. Hier und in den anderen gefragten<br />

Vierteln rund um die Innenstadt<br />

marschieren die Immobilienpreise schon<br />

länger Richtung München. Im ersten Quartal<br />

waren Wohnungen mehr als zehn Prozent<br />

teurer als im Vorjahr, der Quadratmeter<br />

kostet 6000 Euro und mehr. Kaltmieten<br />

liegen zwischen 12 und 14 Euro, in Spitzenlagen<br />

können es auch 16 pro Quadratmeter<br />

sein. Der Boom hat nicht nur das Westend<br />

und das benachbarte Holzhausenviertel,<br />

Rendite für die Republik<br />

Wie viel Geld Fondsanbieter in Frankfurt<br />

für Privatanleger managen (in Mrd. Euro)<br />

170,2 DeAWM (Deutsche Bank)<br />

99,7<br />

96,4<br />

22,6<br />

7,8<br />

DekaBank (Sparkassen)<br />

Union Investment (Volksbanken)<br />

Universal (Berenberg, Bankhaus Lampe)<br />

Frankfurt-Trust (BHF-Bank)<br />

Stand: 31.5.2014; Quelle: BVI<br />

sondern auch das einst alternativ angehauchte<br />

Nordend, das frühere Arbeiterviertel<br />

Bornheim oder Sachsenhausen auf<br />

der anderen Mainseite erfasst.<br />

Wohnen ist teuer, denn der Platz wird<br />

knapp. Um 15 000 Einwohner wächst<br />

Frankfurt jährlich, in diesem Jahr überschreitet<br />

die Stadt die Schwelle von<br />

700 000. Um alle unterzubringen, müssten<br />

pro Woche 100 Wohnungen hinzukommen.<br />

Das ist nicht zu schaffen, aber die<br />

Stadt will es wenigstens versuchen. Neubauten<br />

sollen möglichst alle Lücken auf<br />

Auf der Sonnenseite Im Varieté Tigerpalast<br />

(oben) gibt es Artisten und Spitzenküche,<br />

der Opernplatz ist beliebter Bankertreff<br />

den 250 Quadratkilometer Stadtfläche<br />

schließen. Mit dem Riedberg im Nordwesten<br />

und dem Europaviertel auf dem Gelände<br />

des früheren Güterbahnhofs entstehen<br />

zwei komplette Stadtteile <strong>vom</strong> Reißbrett.<br />

Und in Sachsenhausen baut eine Gesellschaft<br />

von SAP-Gründer Dietmar Hopp gerade<br />

für 300 Millionen Euro 140 Meter in<br />

die Höhe. In Wohntürmen können sich<br />

Banker dann auch privat ganz oben angekommen<br />

fühlen. Und: Sie sparen Platz.<br />

Der Wohnungsboom macht die Stadt<br />

nicht überall schöner. Allerorten schießen<br />

gesichts- und geschichtslose Wohnblocks<br />

in die Höhe. Zum Ausgleich, wie um sich<br />

eines Stücks eigener Tradition zu versichern,<br />

baut die Stadt fast 70 Jahre nach der<br />

Zerstörung im Zweiten Weltkrieg jetzt einen<br />

Teil der historischen Altstadt wieder<br />

auf. Kritiker verspotten die Rekonstruktionen<br />

als „Zuckerbäckerhäuschen“. Doch die<br />

Nachfrage nach den bis zu 7250 Euro pro<br />

Quadratmeter teuren Wohnungen ist<br />

enorm, im November werden sie verlost.<br />

VERTEILUNGSKAMPF UM BAULAND<br />

Auf der Suche nach neuen Flächen dachten<br />

die Stadtplaner sogar mal daran, die<br />

Gewächshäuser entlang des Main abzureißen,<br />

in denen seit Goethes Zeiten die sieben<br />

Kräuter für die Frankfurter Grüne Soße<br />

angebaut werden. Nach lokalen Proteststürmen<br />

sah die Stadt davon ab. Vorerst.<br />

Jetzt sollen vermehrt Bürobauten zu Wohnungen<br />

werden. Die Bürostadt Niederrad<br />

etwa, ein 150 Hektar großes Areal auf dem<br />

Weg zum Flughafen, zum Lyoner Viertel<br />

wandeln. Wo heute am Abend gespenstische<br />

Ruhe herrscht, Fluglärm einmal ausgenommen,<br />

sollen künftig 6000 Menschen<br />

wohnen.<br />

Büroflächen in B-Lagen sind schwer zu<br />

vermieten – Banken und Berater drängen<br />

ins Zentrum. Aktuell stehen zehn Prozent<br />

der Büroflächen im Stadtgebiet leer, rund<br />

1,3 Millionen Quadratmeter. Trotzdem ziehen<br />

Investoren immer neue Projekte in die<br />

Höhe. So baut der Immobilienentwickler<br />

DIC Asset für 750 Millionen Euro das Maintor-Quartier<br />

direkt am Flussufer. Von<br />

74 000 Quadratmetern sind 90 Prozent<br />

schon vor Abschluss des Baus vermietet.<br />

„70 Prozent der Neubaufläche sind hier<br />

für Büros vorgesehen. Die braucht keiner“,<br />

sagt Anette Mönich und schaut empört.<br />

„Das ist mal wieder so ein völliger Blödsinn.“<br />

Die Frau mit den langen grauen Haaren<br />

und der Lederjacke steht im Innenhof<br />

des Universitätsgeländes, die Wände sind<br />

vollgesprayt, einzelne Studenten tragen<br />

»<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 77<br />

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Geld&Börse<br />

Fit für den globalen<br />

Wettbewerb Kids-Camp-<br />

Gründerin Dorner<br />

Die Edel-Kita versorgt den Nachwuchs<br />

elf Stunden auf Englisch und Deutsch<br />

»<br />

Bücher vorbei, viele sind es nicht mehr.<br />

2017 ist im Stadtteil Bockenheim Schluss,<br />

die Hochschule zieht um, und wenn sie weg<br />

ist, rollt auf die meisten Gebäude aus den<br />

Sechzigerjahren trotz Denkmalschutz der<br />

Abrissbagger zu. Wo jetzt noch Fahrräder<br />

stehen, wird es nach dem aktuellen Plan eine<br />

Straße geben, gesäumt von Neubauten,<br />

die Mönich „total leblos, total steril“ findet.<br />

Sie will es anders, lebendig, interessant,<br />

will bezahlbare Wohnungen und Kultur für<br />

möglichst viele. All das sieht sie bedroht.<br />

Mönich führt einmal quer durch den<br />

Stadtteil, in dem sie seit 32 Jahren zu Hause<br />

ist, vorbei an Spuren des Wandels, an<br />

neuen Eigentumswohnungen, das frühere<br />

Verwaltungsgericht nennt sich jetzt Headquarter,<br />

aus den Amtsstuben sind kleine<br />

Apartments geworden, vermietet vor allem<br />

an Studenten und „sehr teuer“, wie<br />

Mönich sagt.<br />

Sie beklagt sich nicht aus Passion, ihre<br />

Sorgen teilen viele in Bockenheim. Das<br />

Viertel war sozial immer munter gemischt,<br />

nun droht eine Monokultur der Gutverdiener.<br />

Um die zu verhindern, hat die Initiative<br />

ein Büro gemietet, an den Wänden hängen<br />

Baupläne, Broschüren verkünden „Wir<br />

bleiben hier“. Mittwochs trifft sich die Mie-<br />

* Name von der Redaktion geändert<br />

terinitiative, es gibt Deutschkurse für Migranten,<br />

Beratung, Diskussionen. Als die<br />

städtischen Wohnungsgesellschaften die<br />

Mieten um 1,30 Euro je Quadratmeter erhöhten,<br />

machten die Berater Überstunden.<br />

„Das war richtig krass, da kamen Dutzende“,<br />

sagt Mönich. „Die Menschen haben<br />

Angst, dass sie sich ihr Leben bald nicht<br />

mehr leisten können.“ Es sind Menschen<br />

wie Veronika Walter*.<br />

AN DEN RAND GEDRÜCKT<br />

1975 ist sie in ihre Bockenheimer Altbauwohnung<br />

eingezogen, hat dort vier Kinder<br />

bekommen und großgezogen, das Wohnen<br />

war immer günstig, weil sich der alte<br />

Vermieter nur wenig um sein Haus kümmerte.<br />

Das änderte sich, als er das Haus<br />

2011 verkaufte. Der neue Eigentümer erhöhte<br />

die Miete sofort um 20 Prozent, ein<br />

älteres Ehepaar konnte sich das nicht leisten<br />

und musste sofort ausziehen. Inzwischen<br />

ist von den ursprünglichen Bewohnern<br />

nur noch Walter da. Mansarden und<br />

Dachboden hat der Investor zu einer Maisonette-Wohnung<br />

mit großer Dachterrasse<br />

umgebaut. Hier wohnt keine Familie, sondern<br />

eine Business-WG – Gutverdiener, die<br />

keinen Anhang haben oder am Wochenende<br />

nach Hause pendeln. Anfang des Jahres<br />

ist Walters Miete noch mal um 20 Prozent<br />

gestiegen. Die Rentnerin hat ihr Auto abgeschafft,<br />

seit vier Jahren ist sie nicht mehr in<br />

den Urlaub gefahren, sie spart, wo sie<br />

kann, aber es reicht nicht. Jetzt will sie sich<br />

eine neue Bleibe suchen, in eine Wohngemeinschaft<br />

mit anderen Älteren ziehen –<br />

eine Zwei-Zimmer-Wohnung kann sie sich<br />

von ihrer Rente nicht mehr leisten.<br />

Das ist die Schattenseite des Booms. Die<br />

sonnige zeigt sich direkt vor der Tür des Bockenheimer<br />

Stadtteilbüros. Wo bis vor Kurzem<br />

noch Ein-Euro-Resterampen, Internet-Cafés<br />

und Spielhallen dominierten,<br />

gibt es heute internationale Käsespezialitäten,<br />

gehobene Kochausrüstung und Tapas-<br />

Bars. In efeuberankten Höfen sitzen Lattemacchiato-Trinker<br />

vor Kunstgalerien.<br />

Selbst die über Jahre verlassene Kaufhof-<br />

Filiale ist wieder vermietet, hier ist gerade<br />

eines der ersten Outlet-Stores des Internet-<br />

Händlers Zalando eingezogen.<br />

Solche Einsprengsel verwandeln Frankfurt<br />

selbst da, wo es immer am finstersten<br />

war. Die Straßen um den Hauptbahnhof<br />

haben das negative Bild der Stadt geprägt,<br />

mit Drogen, Nutten und ab und an Schießereien.<br />

All das gibt es noch, aber heute ist<br />

das Bahnhofsviertel auch das angesagteste<br />

Ausgehquartier, an warmen Abenden stehen<br />

Hunderte auf den Straßen.<br />

ABGEFUCKT BIS ALTERNATIV<br />

Maxie Eisen, Bar Plank und Walon & Rosetti<br />

sind keine Kneipen, sondern Locations,<br />

sie geben sich abgefuckt bis alternativ<br />

– globale Konfektionsware für vollbärtige<br />

Hornbrillenwerber, die Mojitos trinken<br />

und sich nach Berlin träumen. Sechs<br />

S-Bahn-Stationen weiter aber ist nicht Mitte,<br />

sondern Offenbach.<br />

Banker tauchen im Bahnhofsviertel seltener<br />

auf, sie bewegen sich lieber rund um<br />

den Opernplatz. Ihr Spesenspielraum ist<br />

durch diverse Sparrunden nach der Krise<br />

zwar geschrumpft, die Boni fallen etwas<br />

dürftiger aus, mit der Dresdner Bank ist eine<br />

große Adresse verschwunden. Verglichen<br />

mit London und New York, ist Frankfurt<br />

aber glimpflich davon gekommen. „Es<br />

hat keine ganz großen Entlassungswellen<br />

gegeben“, sagt Jörg Janke, Partner bei der<br />

Personalberatung Egon Zehnder. „Frankfurt<br />

hat Stabilität bewiesen und ist nach der<br />

Krise attraktiver als vorher.“ Es sei eine<br />

Stadt kurzer Wege, Banker mit Familie<br />

schätzten das, zumal ihre Arbeitgeber<br />

kaum noch nach Standorten differenzierten:<br />

Angestellte desselben Hauses verdienen<br />

oft überall gleich. Wer Londoner Preise<br />

gewohnt ist, findet Frankfurt günstig.<br />

FOTOS: ANGELIKA ZINZOW FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, INTERFOTO/IMAGEBROKER/ROBBIN, REINHARD EISELE/EISELE-PHOTOS<br />

78 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Große Unternehmen, über Jahre ins Umland<br />

abgewandert – sogar die Deutsche<br />

Börse ging vor fünf Jahren ins benachbarte<br />

Eschborn –, ziehen wieder zu: General<br />

Electric, Nintendo, Honda, der US-Spielwarenhersteller<br />

Mattel.<br />

Peter Feldmann könnte zufrieden sein,<br />

darf es aber nicht so wirklich. Der SPD-<br />

Mann hat 2012 überraschend die Wahl gewonnen<br />

und die CDU-Frau Petra Roth als<br />

Oberbürgermeister beerbt. Der frühere<br />

Leiter eines Jugendzentrums im sozial<br />

schwachen Stadtteil Bonames hat inmitten<br />

des „Mehr“ weniger versprochen: weniger<br />

Fluglärm, weniger Kinder ohne Frühstück,<br />

weniger soziales Auseinanderfallen, weniger<br />

Hochkultur für die Elite. Auf dem Sonnenbalkon<br />

der Alten Oper fragt er nach einer<br />

Suppe. Als der Kellner eine Kaltschalen-Kreation<br />

offeriert, winkt Feldmann ab.<br />

Das ist ihm zu abgehoben, zu versnobt.<br />

„Die EZB macht Frankfurt zu einer globalen<br />

Marke“, sagt der Politiker. Die passe perfekt<br />

zur Stadt, in der „jeder Grundschüler<br />

früh den Umgang mit Geld lerne“. Feldmann<br />

will den Wandel nicht bremsen, aber<br />

in für alle verträgliche Bahnen lenken. Über<br />

Jahrhunderte habe Frankfurt integriert, das<br />

Leben statt Bürotristesse Der Main ist ein<br />

beliebtes Ausflugsziel, die Bürostadt Niederrad<br />

(oben) soll zum Wohnviertel werden<br />

stecke tief in der DNA der Händler- und Finanzstadt.<br />

Mit 43 Prozent hat sie den<br />

höchsten Migrantenanteil der deutschen<br />

Großstädte. Trotzdem könnten Menschen<br />

entspannt leben, Kinder sicher in die Schule<br />

schicken, selbst einkommensschwache<br />

Viertel sind keine Ghettos, in denen nachts<br />

die Mülltonnen brennen. „Es gibt keine<br />

Vorbehalte gegen irgendwen, die EZB-Mitarbeiter<br />

sind willkommen.“<br />

Wenn sie denn ankommen und nicht in<br />

ihrer Parallelwelt bleiben. In der Europäischen<br />

Schule etwa, die Kinder von Mitarbeitern<br />

der EZB bevorzugt aufnimmt. Sie<br />

platzt aus allen Nähten, im September werden<br />

hier rund 1450 Schüler aus 50 Ländern<br />

in vier Sprachen lernen. Viele erwartet kein<br />

Klassenraum, sondern ein Not-Container.<br />

VOM CAYENNE IN DEN CONTAINER<br />

Auch die anderen privaten Schulen boomen,<br />

vor der Phorms-Grundschule oder<br />

dem Kant-Gymnasium stauen sich morgens<br />

die Porsche Cayennes, mittags treffen<br />

sich Kinder und Nannys zum Auslauf im<br />

nahen Holzhausenpark. Kindergärten wie<br />

die Villa Luna versprechen Höchstleistung<br />

für Höchstpreise.<br />

So auch das Kids Camp, eine Rundum-<br />

Betreuungsstätte für Kinder von zwei Monaten<br />

bis zum Grundschulalter. Die Jugendstilvilla<br />

im Bankenviertel umgibt ein<br />

hoher Zaun, drinnen essen Kinder brav ihr<br />

vollwertiges Mittagsmahl, sie tragen Trikots<br />

von zehn Nationalmannschaften, Originale,<br />

keine billigen Kopien. „In Frankfurt<br />

leben so viele zugezogene Familien wie<br />

sonst nirgends“, sagt Leiterin Martina Dorner.<br />

Da fehlten Großeltern, die beim Betreuen<br />

helfen. Und Banken drängen darauf,<br />

dass Frauen nach der Geburt schnell<br />

in den Job zurückkehren, in Vollzeit.<br />

Damit der Nachwuchs die Eltern nicht<br />

bremst, wird er für 750 Euro monatlich im<br />

Kids Camp von acht Uhr morgens bis sieben<br />

Uhr abends versorgt. Jede Gruppe hat<br />

zwei Betreuer, je einer redet nur Englisch –<br />

Training für den globalen Wettbewerb.<br />

Die Nachfrage übersteigt das Angebot<br />

bei Weitem, ein Drittel der Bewerber wird<br />

abgelehnt. Deutsche Bank und Helaba haben<br />

Plätze reserviert. Dorner startete 2004<br />

mit 16 Kindern und zwei Mitarbeitern,<br />

zehn Jahre später kümmern sich 150 Angestellte<br />

um 500 Kinder. Noch eine Geschichte,<br />

die der Boom schrieb, ein Erfolg, bei<br />

dem aber auch viele draußen bleiben.<br />

Frankfurt eben.<br />

n<br />

cornelius.welp@wiwo.de, mark fehr, angela hennersdorf,<br />

saskia littmann, heike schwerdtfeger | Frankfurt<br />

Boomstadt Frankfurt<br />

Die Einwohnerzahl wächst<br />

Einwohnerzahl (in Tausend)<br />

700<br />

650<br />

600<br />

550<br />

500<br />

450<br />

Quelle: Stadt Frankfurt<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

09 10 11 12 13<br />

Die größere Nachfrage treibt die<br />

Immobilienpreise<br />

Kaufpreise für Eigentumswohnungen (in Euro/qm)<br />

2000<br />

09 10 11 12 13<br />

Quelle: Jones Lang Lasalle<br />

Es gibt mehr Jobs...<br />

Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (in Tausend)<br />

525<br />

500<br />

475<br />

450<br />

1,6<br />

1,5<br />

1,4<br />

1,3<br />

1,2<br />

1,1<br />

1<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

09 10 11 12 13<br />

Quelle: Bundesagentur für Arbeit<br />

Westend<br />

...wodurch die Stadt mehr einnimmt<br />

Gewerbesteuer (Milliarden Euro)<br />

09 10 11 12 13 14*<br />

* Haushaltsplan, Quelle: Stadt Frankfurt<br />

Nordend<br />

Bornheim/Ostend<br />

Innenstadt/Bahnhofsviertel/Gallus<br />

Selbst den Banken geht es gut<br />

Geschäftsentwicklung der Banken*<br />

09 10 11 12 13 14<br />

* CFS-Finanzplatzindex (Umfrage unter Finanzunternehmen),<br />

Quelle: Center for Financial Studies<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 79<br />

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Geld&Börse<br />

Kein Mensch Im Automobilbau ist die<br />

Automatisierung weit fortgeschritten<br />

weit fortgeschritten sind“, sagt Georg von<br />

Wallwitz, Geschäftsführer des Vermögensverwalters<br />

Eyb & Wallwitz in München. In<br />

seinen Portfolios hält er Aktien des Siemens-Konkurrenten<br />

ABB, von Kuka und<br />

Papiere des japanischen Anbieters Fanuc.<br />

Der größte Automatisierungstreiber seien<br />

die steigenden Lohnkosten in China,<br />

sagt von Wallwitz. Im bevölkerungsreichsten<br />

Land der Welt sind die Löhne in den<br />

vergangenen zehn Jahren im Schnitt um<br />

mehr als zehn Prozent pro Jahr gestiegen.<br />

Gleichzeitig sinkt die Arbeitsproduktivität.<br />

Daher müssen die Hersteller Kosten sparen<br />

– folglich ist China der größte und am<br />

schnellsten wachsende Robotermarkt der<br />

Welt. iPhone-Fertiger Foxconn etwa hat<br />

jüngst 10 000 Roboter bei Google bestellt.<br />

Renditemaschinen<br />

AKTIEN | Um Kosten zu sparen, kaufen Unternehmen neue Roboter<br />

für ihre Fabriken. Die Automatisierung steht in vielen Branchen<br />

noch am Anfang – das bietet Anlegern Chancen zum Investieren.<br />

Er arbeitet hinter Gittern, schnell, gezielt<br />

und leise, ohne Murren, trotz der<br />

stupiden Arbeit. Nur ein Surren klingt<br />

aus dem Käfig, immer im gleichen Takt:<br />

Pappe ansaugen, aufs Band legen, Folie<br />

draufsetzen. Immer und immer wieder.<br />

Roger Schlender beobachtet seinen neuen<br />

Roboter bei der Arbeit und flachst: „Einen<br />

Vorteil hat das Ding ja: Aufs Klo gehen<br />

muss er nicht.“<br />

Schlender führt ein kleines Unternehmen<br />

in Hattingen im Ruhrgebiet, seine 15<br />

Mitarbeiter fertigen Ringordner und edle<br />

Verpackungen. Keine Massenware, alles<br />

auf Bestellung. Vor wenigen Monaten hat<br />

sich der Chef einen neuen Mitarbeiter liefern<br />

lassen – einen Industrieroboter des<br />

Augsburger Roboterbauers Kuka. Schlender<br />

hat ihn für 35 000 Euro gekauft, um seine<br />

Angestellten von einfachen, aber anstrengenden<br />

Arbeiten zu entlasten, wie er<br />

sagt. Nebenbei liefert die Maschine eine<br />

durchgehend perfekte Qualität, schnell ist<br />

sie auch und nimmt außerdem nie Urlaub,<br />

nicht einmal ein freies Wochenende.<br />

Besser. Schneller. Mehr. Mit diesen drei<br />

Worten lässt sich eine Entwicklung beschreiben,<br />

die nicht nur in Hattingen, sondern<br />

auf den Werkbänken der ganzen Welt<br />

Einzug hält: Das Zauberwort für Effizienz<br />

heißt Automatisierung.<br />

ROBOTER FÜR ZWEI BILLIONEN<br />

Wer glaubt, die Industrie sei schon weitgehend<br />

automatisiert, der irrt. Für den Automobilbau<br />

ist das richtig, in japanischen<br />

Autofabriken etwa stehen pro 1000 Arbeiter<br />

bereits mehr als 150 Roboter am Band.<br />

Aber viele Branchen stehen noch ganz am<br />

Anfang. Die Unternehmensberatung<br />

McKinsey rechnet damit, dass die Automatisierung<br />

in zehn Jahren Umsätze von mehr<br />

als zwei Billionen US-Dollar schaffen wird<br />

– jährlich. Im vergangenen Jahr wurden<br />

weltweit 179 000 Industrieroboter verkauft,<br />

das sind 40 Prozent mehr als noch zu Beginn<br />

der Dekade.<br />

„Wer diesem Megatrend mit seinem Kapital<br />

folgen will, sollte auf Unternehmen<br />

setzen, die Roboter bauen und technisch<br />

SUCHMASCHINENRIESE AM START<br />

Google will bei der Roboter-Rallye mitmischen<br />

und hat acht Start-up-Unternehmen<br />

aus dem Bereich Robotik gekauft. „Der<br />

Markteintritt von Google bedeutet die<br />

größte Veränderung in der Robotikindustrie“,<br />

sagt Thomas Bauernhansl. Der Leiter<br />

des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik<br />

und Automatisierung erwartet von<br />

Google eine Software, die herstellerübergreifend<br />

auf verschiedenen Robotern laufen<br />

kann – so wie das Betriebssystem Android<br />

auf fast allen Smartphones. Das bringe<br />

die Branche in neue Dimensionen, weil<br />

Roboter einfacher und günstiger werden.<br />

Außerdem wird die Einführung von<br />

Leichtbaurobotern (LBR) das Geschäft antreiben.<br />

Heute kaufen kleinere Unternehmer<br />

wie Roger Schlender nur in Ausnahmefällen<br />

Roboter, weil diese meist groß<br />

und schwer sind und das Risiko besteht,<br />

dass in der Nähe arbeitende Menschen<br />

verletzt werden. Künftig sollen Arbeiter die<br />

Roboter wie Werkzeuge direkt am Band bedienen,<br />

ein Team aus Mensch und Maschine.<br />

„In fünf Jahren wird mehr als jeder dritte<br />

Roboter ein LBR sein“, glaubt Frank<br />

Kirchner, Robotik-Experte <strong>vom</strong> Deutschen<br />

Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.<br />

Die Technik werde dann auch für<br />

kleinere Unternehmen attraktiv.<br />

Wichtig ist, in welchen Branchen die<br />

Hersteller vertreten sind. Aktuell wird die<br />

Automatisierung etwa in der Flugzeugfertigung<br />

vorangetrieben. „Auch in der Textilbranche,<br />

in der Logistik und bei der<br />

Verpackung von Lebensmitteln wird viel<br />

automatisiert werden“, sagt Kirchner.<br />

FOTOS: KUKA SYSTEMS, DDP IMAGES/SCHUERMANN<br />

80 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Erfolgreiche Robotik-Unternehmen sind<br />

mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) von<br />

mehr als 20 höher bewertet als herkömmliche<br />

Maschinenbauer, deren KGV eher bei<br />

15 liegt. Das liegt daran, dass Anleger von<br />

ihnen stärkeres Wachstum und bessere<br />

Gewinnmargen erwarten. Vier große Unternehmen<br />

dürften von der zunehmenden<br />

Automatisierung besonders profitieren.<br />

n ABB Der größte unter den Automatisierern<br />

macht rund ein Viertel seines Umsatzes<br />

im Bereich Industrieautomation und<br />

Robotik. Im vergangenen Quartal lieferte<br />

dieser Bereich ein Drittel des Gewinns. Wie<br />

viel davon auf den Robotervertrieb zurückgeht,<br />

will ABB nicht verraten. Doch das Geschäft<br />

mit den intelligenten Maschinen gilt<br />

als Ertragsperle. Einzig im Bereich Energietechniksysteme<br />

schwächelt der profitable<br />

Siemens-Rivale, allerdings macht dieses<br />

Segment nur ein Sechstel des Umsatzes<br />

aus. ABB ist in mehr als 100 Ländern aktiv<br />

und setzt vor allem auf Großaufträge. Im<br />

jüngsten Quartalsbericht konnte das Unternehmen<br />

14 Prozent mehr Aufträge in<br />

China vermelden. Dort hat ABB seine globale<br />

Produktentwicklung und erschließt<br />

neue Märkte mit Leichtbaurobotern, etwa<br />

im Bereich Lebensmittelverpackung und<br />

Elektronik. Die Dividendenpolitik ist aktionärsfreundlich.<br />

Chance nnnnn<br />

Risiko nnnn<br />

Gewinne automatisieren<br />

Die Aktien von ABB, Fanuc, Kuka und Yaskawa bieten Chancen<br />

Unternehmen (Land)<br />

ABB (CH)<br />

Fanuc (JP)<br />

Kuka (DE)<br />

Yaskawa (JP)<br />

ISIN<br />

CH0012221716<br />

US3073051027<br />

DE0006204407<br />

JP3932000007<br />

Kurs<br />

in Euro<br />

17,81<br />

21,77<br />

44,00<br />

9,88<br />

1 2013; 2 Mittelzufluss nach Abzug von Investitionen etc.; 3 Kurs-Gewinn-Verhältnis auf Basis des für 2014 geschätzten<br />

Gewinns; 4 Dividendenrendite in Prozent; Quelle: Bloomberg<br />

n Fanuc Der Kurs der Japaner ist zuletzt<br />

nur seitwärts gelaufen und hat Nachholpotenzial.<br />

Vom schwachen Yen konnte Fanuc<br />

in den vergangenen Jahren genauso wenig<br />

profitieren wie von der Geldschwemme<br />

der japanischen Notenbank, weil der Vertriebsschwerpunkt<br />

noch sehr stark auf dem<br />

Heimatmarkt liegt. Für eine kurzfristige<br />

Kurssteigerung spricht der hohe freie<br />

Cash-Flow, aus dem Fanuc eigene Aktien<br />

zurückkaufen könnte. Mit einer neuen Generation<br />

von automatischen Roboterzellen<br />

für den Automobilbau sollen neue Kunden<br />

gewonnen werden. Im kommenden Geschäftsjahr<br />

wollen die Japaner den Gewinn<br />

um ein Drittel steigern. Dafür muss sich<br />

aber die zuletzt eingebrochene Nachfrage<br />

aus China erholen.<br />

Chance nnnnnnn<br />

Risiko nnnnnn<br />

Umsatz 1<br />

30850<br />

3300<br />

1774,5<br />

2654,1<br />

Gewinn 1<br />

(in Millionen Euro)<br />

2790<br />

809<br />

58,3<br />

128,6<br />

41261<br />

30612<br />

1492,3<br />

2528,5<br />

Freier<br />

Cash-Flow 2<br />

2303,7<br />

797,2<br />

185,3<br />

18,3<br />

KGV 3<br />

21,4<br />

25,6<br />

26,7<br />

19,1<br />

Börsenwert<br />

Dividende<br />

1, 4<br />

3,0<br />

1,3<br />

1,0<br />

1,0<br />

n Kuka Die Aktie des Augsburger MDax-<br />

Unternehmens geht sei 2010 steil nach oben<br />

und hat dieses Jahr schon 25 Prozent zugelegt.<br />

Kurzfristig wird die Roboter-Rallye wohl<br />

eine Pause einlegen müssen, das Unternehmen<br />

ist mit dem dreieinhalbfachen Buchwert<br />

sehr hoch bewertet. Allerdings spricht<br />

einiges dafür, dass die Augsburger ihre erfolgreiche<br />

Börsenstory langfristig fortsetzen:<br />

Durch den Kauf des Aerospace-Experten<br />

Alema baut Kuka die Flugzeugbausparte<br />

aus. Anleger spekulieren auf Aufträge von<br />

Airbus, die gegenüber Boeing in der Automatisierung<br />

ihrer Fertigung zulegen müssen.<br />

Um in China zu expandieren, hat Kuka<br />

vor einigen Monaten den Systemintegrator<br />

Reis gekauft. In diesem Jahr sollen dort 5000<br />

Roboter produziert werden. Die große Zukunftshoffnung<br />

ist ein neuer Leichtbauroboter,<br />

der die Zusammenarbeit von Menschen<br />

und Maschinen ermöglichen soll und auch<br />

für kleine Unternehmen attraktiv sein kann.<br />

Chance nnnnnn<br />

Risiko nnnnn<br />

Mehr Bewegung<br />

Yaskawa baut<br />

ein motorisiertes<br />

Außenskelett<br />

für Gelähmte<br />

Leichtbautechnik ermöglicht Teams<br />

aus Menschen und Robotern<br />

n Yaskawa. Der japanische Robotikspezialist<br />

hat einen großen Wettbewerbsvorteil:<br />

Er ist Technologiepartner des Start-ups Argo<br />

Medical, dessen motorisiertes Außenskelett<br />

als erste Roboter-Gehhilfe für Gelähmte<br />

zugelassen wurde. Die Entwicklung<br />

bis zur Produktionsreife dauerte Jahre, nun<br />

kann Yaskawa als Pionier das Produkt in<br />

Asien vermarkten und weiterentwickeln.<br />

So will das Unternehmen eine führende<br />

Rolle im Bereich Privat-Robotik einnehmen.<br />

Hier sind die Margen meist besser als<br />

in der Industrie-Robotik. Ab 2015 werden<br />

die ersten Umsätze durch die Kooperation<br />

erwartet. Alles in allem ist Yaskawa also<br />

eher eine Wette auf die Zukunft, auch weil<br />

in diesem Jahr erhebliche Investitionen für<br />

eine Restrukturierung anstehen.<br />

Chance nnnnnnn<br />

Risiko nnnnnnn n<br />

maximilian nowroth | Frankfurt, geld@wiwo.de<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 81<br />

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Geld&Börse | Steuern und Recht<br />

PROKON<br />

Rodbertus bleibt draußen<br />

Wie es beim insolventen Windparkfinanzierer weitergehen dürfte.<br />

Der Machtkampf zwischen Prokon-Gründer<br />

Carsten Rodbertus<br />

und Insolvenzverwalter<br />

Dietmar Penzlin ist entschieden.<br />

Auf der Gläubigerversammlung<br />

stellte sich die Mehrheit<br />

auf die Seite von Penzlin.<br />

Bis Januar kommenden Jahres<br />

soll der Insolvenzverwalter einen<br />

Sanierungsplan erarbeiten.<br />

Wie geht es bis dahin weiter?<br />

Insolvenzverwalter Penzlin hat<br />

den Anlegern in Aussicht gestellt,<br />

dass sie zwischen 30 und<br />

60 Prozent ihres investierten Kapitals<br />

zurückerhalten. Ob sie das<br />

übrige Geld bei Prokon-Gründer<br />

Rodbertus einklagen können,<br />

bleibt fraglich. „Vor einer<br />

möglichen Klage prüfen wir, ob<br />

er noch zahlungsfähig ist“, sagt<br />

Dirk-Andreas Hengst, Anwalt<br />

der Kanzlei Gröpper Köpke in<br />

Hamburg.<br />

Könnte der Prokon-Gründer<br />

das Unternehmen wieder übernehmen?<br />

Eher nicht. „Rodbertus<br />

hat keine juristischen Möglichkeiten<br />

mehr, die Beschlüsse<br />

der Gläubigerversammlung zu<br />

kippen“, sagt Marc Gericke,<br />

Rechtsanwalt bei der Kanzlei<br />

Göddecke in Berlin. Rodbertus<br />

habe keinen Antrag gestellt, die<br />

Beschlüsse der Gläubigerversammlung<br />

<strong>vom</strong> Insolvenzgericht<br />

überprüfen zu lassen. Solche<br />

Anträge sollen vermeiden,<br />

dass Beschlüsse, die gegen die<br />

Interessen der Gläubiger gefasst<br />

wurden, wirksam werden.<br />

INTERESSENKONFLIKT<br />

Zwar seien Kanzleien dagegen<br />

vorgegangen, dass etwa 15000<br />

Stimmen auf der Versammlung<br />

nicht zugelassen wurden. Das<br />

werde aber keinen Einfluss haben,<br />

da die Stimmen die Mehrheitsverhältnisse<br />

nicht geändert<br />

hätten, so Gericke. Die Stimmen<br />

wurden nicht zugelassen, weil<br />

Rodbertus die dazugehörigen<br />

Vollmachten über seinen Vertrauten<br />

Alfons Sattler einsammeln<br />

ließ, was nach Ansicht der<br />

Rechtspflegerin des Insolvenzgerichts<br />

ein unzulässiger Interessenkonflikt<br />

sei.<br />

Der Berliner Anwalt Jochen<br />

Resch und zwei weitere Kanzleien<br />

hatten darauf einen Befangenheitsantrag<br />

gegen die<br />

Rechtspflegerin gestellt, waren<br />

aber damit gescheitert. „Das Gericht<br />

hätte die Anleger früher<br />

und nicht erst auf der Versammlung<br />

informieren müssen, dass<br />

ihre Stimmen möglicherweise<br />

annulliert werden“, sagt Resch.<br />

Anleger, die Sattler Vollmachten<br />

ausgestellt hätten, seien keine<br />

Marionetten des Prokon-Gründers<br />

gewesen. Resch selbst, der<br />

mehrere Tausend Prokon-Anleger<br />

vertritt, sieht sich als Rodbertus-Kritiker:<br />

„Er hat Prokon<br />

ohne Zweifel an die Wand gefahren.“<br />

Er glaube nicht, dass<br />

Rodbertus bei Prokon noch eine<br />

Rolle spielen werde.<br />

Rodbertus einzige Chance<br />

wäre, genügend Anleger auf seine<br />

Seite zu ziehen, um bei der<br />

Abstimmung über den Sanierungsplan<br />

Anfang 2015 Penzlin<br />

auszubremsen. Nach dem missglückten<br />

Versuch, Stimmen für<br />

die Gläubigerversammlung einzusammeln,<br />

ist das allerdings<br />

unwahrscheinlich.<br />

martin.gerth@wiwo.de<br />

RECHT EINFACH | Unfälle<br />

Bei extrem ausgefallenen Unglücksfällen<br />

sagen Richter meist<br />

„selber Schuld“ und lehnen<br />

Schadensersatz ab.<br />

§<br />

Eingeklemmt. Trotz Verbots<br />

verkaufte ein Ladenbesitzer<br />

einem 14-Jährigen Alkoholika.<br />

Angetrunken musste<br />

sich der Jugendliche erleichtern.<br />

Anschließend wollte er den Reißverschluss<br />

seiner Hose schließen.<br />

Dabei klemmte er sich die Vorhaut<br />

ein, die später im Krankenhaus<br />

entfernt werden musste.<br />

Wegen der Verletzung wollte der<br />

14-Jährige Geld <strong>vom</strong> Ladenbesitzer.<br />

Er ging jedoch leer aus. Das Jugendschutzgesetz<br />

schütze vor Alkoholsucht,<br />

nicht jedoch vor Unfällen<br />

beim Wasserlassen, so das Gericht<br />

(Landgericht Weiden, I O 190/03).<br />

Finger gebrochen. Ein Rheinländer<br />

wollte beim Bankautomat Geld abheben.<br />

Als die Scheine erschienen,<br />

griff der Mann mit der ganzen Hand<br />

in das <strong>Ausgabe</strong>fach. Dummerweise<br />

war seine Hand noch drin, als sich<br />

die Klappe wieder schloss. Ergebnis:<br />

Quetschungen und ein gebrochener<br />

Mittelfinger. Der Kunde<br />

verlangte von der Bank 5000 Euro<br />

Schmerzensgeld. Ohne Erfolg.<br />

Das Geldinstitut konnte belegen,<br />

dass es die Automaten regelmäßig<br />

kontrollieren und warten<br />

ließ (Landgericht Düsseldorf, 6 O<br />

330/13).<br />

Zähne ausgeschlagen. Ein Angestellter<br />

wollte Unterlagen kopieren.<br />

Weil ein Kollege den Kopierer<br />

benutzte, wollte sich der Mann<br />

die Wartezeit mit einer Flasche<br />

alkoholfreiem Bier vertreiben. Als<br />

die Flasche beim Öffnen überschäumte,<br />

wollte er schnell abtrinken.<br />

Dabei schlug er sich am<br />

Flaschenhals mehrere Zähne<br />

aus. Die Zahnarztkosten musste<br />

er selbst zahlen. Es handele sich<br />

nicht um einen Arbeitsunfall,<br />

so die Richter (Sozialgericht Dresden,<br />

S 5 U 113/13).<br />

FOTOS: PICTURE-ALLIANCE/DPA/REINHARDT/WARNECKE, PR<br />

82 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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SPANIEN-IMMOBILIEN<br />

Verkaufen wird von 2015 an teurer<br />

Wer vor 1995 in Spanien eine<br />

Immobilie gekauft hat und sie<br />

mit Gewinn veräußern will, sollte<br />

möglichst noch in diesem<br />

Jahr handeln, denn der spanische<br />

Staat will 2015 einige Steuerregeln<br />

für Verkäufer von Immobilien<br />

verschärfen. Dies trifft<br />

auch deutsche Eigentümer.<br />

Zwar soll der Steuersatz für Gewinne<br />

auf Häuser oder Wohnungen<br />

von 21 auf 20 Prozent<br />

gesenkt werden, dennoch wird<br />

es für die meisten Immobilienverkäufer<br />

teurer. „Das liegt vor<br />

allem daran, dass ab 2015 Kürzungskoeffizienten<br />

wegfallen,<br />

die den steuerpflichtigen Wert<br />

der vor 1995 gekauften Immobilie<br />

erheblich reduzieren“, sagt<br />

Stefan Meyer, Anwalt in Madrid.<br />

Meyer rechnet vor: Wer eine Immobilie<br />

vor Ende dieses Jahres<br />

für drei Millionen Euro verkauft,<br />

die er 1985 für eine Million Euro<br />

gekauft hatte, müsste bei Anwendung<br />

des Kürzungskoeffizienten<br />

einen steuerpflichtigen<br />

Gewinn von 481 521,80 Euro<br />

versteuern. Bei einem Steuersatz<br />

von 21 Prozent würde er<br />

derzeit 101 119,58 Euro ans spanische<br />

Finanzamt überweisen.<br />

Bei einem Verkauf im kommenden<br />

Jahr sähe die Steuerbilanz<br />

deutlich schlechter aus: Der<br />

steuerpflichtige Gewinn läge<br />

dann bei zwei Millionen Euro.<br />

UMSATZSTEUER<br />

Ein Raum, eine Steuer<br />

Das Vermieten von Immobilien<br />

ist von der Umsatzsteuer befreit.<br />

Viele Eigentümer, die gewerblich<br />

vermieten, verzichten<br />

auf die Steuerfreiheit. Vorteil:<br />

Sie können die auf den Kaufpreis<br />

gezahlte Mehrwertsteuer<br />

beim Finanzamt im Rahmen<br />

des Vorsteuerabzugs geltend<br />

machen. Oft werden Immobilien<br />

teilweise gewerblich und<br />

teilweise als Wohnraum vermietet.<br />

Vermieter können dann<br />

bei dem gewerblich vermieteten<br />

Teil auf die Steuerfreiheit<br />

SCHNELLGERICHT<br />

CHEF HAFTET NICHT FÜR DRÜCKERKOLONNE<br />

§<br />

Der Geschäftsführer eines Vertriebs für Gaslieferverträge<br />

haftet nicht persönlich für unlautere und<br />

damit wettbewerbswidrige Methoden bei Haustürgeschäften.<br />

Dies gelte, solange der Geschäftsführer<br />

nicht selbst am Vertrieb beteiligt war oder dieses<br />

gesetzeswidrige Geschäftsmodell angeordnet hat<br />

(Bundesgerichtshof, I ZR 242/12). Geklagt hatte ein<br />

Energieversorger, der dem Vertrieb des Konkurrenten<br />

vorwarf, seine Kunden mit irreführenden Informationen<br />

zu überreden, bestehende Verträge zu kündigen.<br />

verzichten. Das funktioniert<br />

aber nur, wenn die Räume baulich<br />

klar voneinander abgegrenzt<br />

sind (Bundesfinanzhof,<br />

V R 27/13). Dies gelte etwa für<br />

Immobilien mit Wohnungen<br />

und Ladenlokalen. Die Miete<br />

für einzelne Räume lasse sich<br />

dagegen nicht in einen Teil mit<br />

und einen ohne Umsatzsteuer<br />

trennen. In diesen Fällen müsse<br />

sich der Eigentümer für eine<br />

private oder eine gewerbliche<br />

Vermietung entscheiden – und<br />

somit für eine Steuervariante.<br />

Bei einem Steuersatz von 20<br />

Prozent wären das 400 000 Euro.<br />

Für Deutsche, die ihren<br />

Hauptwohnsitz in Spanien hatten<br />

und in ein anderes EU-Land<br />

wollen, gibt es von 2015 an einen<br />

Weg, die erhöhte Steuer zu<br />

vermeiden: Wenn sie den Verkaufserlös<br />

komplett in eine<br />

neue, von ihnen bewohnte Immobilie<br />

investieren, bleibt der<br />

Gewinn auf das spanische Haus<br />

steuerfrei. Eine spanische Immobilie<br />

an Angehörige zu<br />

schenken ist dagegen kein Steuersparmodell.<br />

Sowohl für das<br />

Erbe als auch den Wertzuwachs<br />

der Immobilie sind in Spanien<br />

Steuern zu zahlen.<br />

WERBUNGSKOSTEN<br />

Keine Miete,<br />

kein Abzug<br />

Pendler, die eine Einliegerwohnung<br />

im Haus ihrer Eltern als<br />

Zweitwohnsitz angeben, können<br />

nicht automatisch Kosten<br />

für doppelte Haushaltsführung<br />

absetzen (Bundesfinanzhof, VI<br />

R 79/13). Wenn die Arbeitnehmer<br />

keine Miete zahlen und<br />

sich nicht an der Haushaltsführung<br />

der Eltern beteiligen, unterhalten<br />

sie keinen eigenen<br />

Hausstand, folglich entfällt der<br />

Steuerbonus.<br />

ALLE MIETER MÜSSEN FÜRS GAS ZAHLEN<br />

§<br />

Ein Energieversorger verklagte eine Mieterin eines<br />

Einfamilienhauses in Berlin auf Zahlung einer Gasrechnung.<br />

Die Gaskundin weigerte sich, die Rechnung<br />

zu bezahlen, weil sie nicht in dem Haus gewohnt,<br />

sondern lediglich gemeinsam mit ihrem inzwischen<br />

zahlungsunfähigen Lebensgefährten den<br />

Mietvertrag unterschrieben habe. Der Vermieter habe<br />

aus „Bonitätsgründen“ auf ihrer Unterschrift bestanden.<br />

Sie selbst und Ihre Kinder hätten in einer anderen<br />

Wohnung gelebt, ein Vertrag mit dem Gasversorger<br />

sei nie zustande gekommen. Der Bundesgerichtshof<br />

sah die Beklagte in der Pflicht, auch wenn sie<br />

nicht in dem Haus gewohnt habe (VIII ZR 313/13).<br />

Schließlich habe sie den Mietvertrag unterzeichnet<br />

und anschließend geduldet, dass ihr Lebensgefährte<br />

Gas verbrauche. Sie habe damit rechtlich einen Vertrag<br />

mit dem Gasversorger abgeschlossen.<br />

FLUGGEPÄCK WEG<br />

RONALD SCHMID<br />

ist Dozent<br />

und Anwalt<br />

für Reise- und<br />

Luftverkehrsrecht<br />

in<br />

Frankfurt.<br />

n Herr Schmid, wie viel<br />

muss die Fluggesellschaft<br />

zahlen, wenn der Koffer<br />

verloren geht?<br />

Maximal 1000 Sonderziehungsrechte<br />

(SZR), das sind<br />

momentan rund 1140 Euro.<br />

Die Grenze ist international<br />

gültig für aufgegebene Gepäckstücke,<br />

die in Obhut der<br />

Airline zerstört, beschädigt,<br />

verloren oder zu spät ausgeliefert<br />

worden sind.<br />

n Wie kommen ich als Geschädigter<br />

an mein Geld?<br />

Am besten ist, Sie prüfen das<br />

Gepäck sofort nach dem<br />

Empfang und melden den<br />

möglichen Schaden noch am<br />

Flughafen. Bei wertvollem<br />

Handgepäck sollten Sie schon<br />

an Bord schauen, ob es unversehrt<br />

ist. Später wird es<br />

schwieriger, nachzuweisen,<br />

dass der Schaden während<br />

des Fluges entstanden ist.<br />

Nach sieben Tagen ist jegliche<br />

Haftung ausgeschlossen.<br />

n Was kann ich tun, um besonders<br />

wertvolles Gepäck<br />

finanziell abzusichern?<br />

Sie haben zwei Möglichkeiten:<br />

Entweder Sie schließen eine<br />

Reisegepäckversicherung ab.<br />

Oder Sie übergeben der Fluggesellschaft<br />

eine Wertdeklaration,<br />

dann muss die Airline<br />

den nachgewiesenen Schaden<br />

ersetzen. Das kostet einen<br />

Zuschlag von rund drei Prozent<br />

des Gepäckwertes.<br />

n Verändert sich die Haftung<br />

bei Geschäftsreisen?<br />

Nein, auch da zahlt die Fluggesellschaft.<br />

Der Arbeitgeber<br />

kann freiwillig einen Teil des<br />

Schadens ersetzen, wenn der<br />

Flug über ihn gebucht wurde.<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 Redaktion: martin.gerth@wiwo.de, maximilian nowroth | Frankfurt<br />

83<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

KOMMENTAR | Große Teile der<br />

Finanzbranche haben ihr<br />

Vertrauen bei Anlegern verspielt.<br />

Von Annina Reimann<br />

Alles Lüge?<br />

Die viel gescholtene Finanzbranche<br />

will das<br />

verlorene Vertrauen<br />

der Anleger zurückgewinnen.<br />

Nun versuchen die<br />

Lobbyisten des Versichererverbands<br />

GDV es mit der Pippi-<br />

Langstrumpf-Methode („Ich<br />

mach’ mir die Welt, wie sie mir<br />

gefällt“). Sparer hätten 2013<br />

nur 3,3 Prozent der Lebensversicherungsverträge<br />

gekündigt,<br />

weniger als im Vorjahr, der<br />

niedrigste Wert seit 1993, ein<br />

„Vertrauensbeweis der Kunden<br />

in ihre Lebensversicherung“.<br />

Doch die Realität ist grau,<br />

nicht kunterbunt, wie bei Pippi.<br />

Zwar stimmt die Zahl. Blickt<br />

man aber auf das Volumen, also<br />

den Wert der gekündigten Verträge<br />

in Euro, so hat die Branche<br />

mehr verloren als 2012: 4,3 Prozent<br />

des Vertragsvolumens wurden<br />

von Versicherten gekündigt.<br />

Das liege daran, so der GDV,<br />

dass die Verträge üppiger dotiert<br />

waren, Sparer hätten mehr<br />

eingezahlt, weil ihre Einkommen<br />

gestiegen seien.<br />

Groß darüber zu streiten, welche<br />

Zahl nun aussagekräftiger<br />

ist, lohnt nicht. Denn bereits die<br />

offizielle Lobby-Zahl ist ein<br />

Alarmsignal.<br />

Der Bund der Versicherten<br />

hat ausgerechnet, dass sich<br />

schon nach der für die Branche<br />

erfreulicheren Prozentzahl der<br />

Versicherer nach 30 Jahren etwa<br />

zwei Drittel der Kunden per<br />

Kündigung verabschiedet haben.<br />

Gemessen am Vertragsvolumen,<br />

fallen drei Viertel weg.<br />

Die ganz große Mehrheit der<br />

Versicherten hält also beim Altersvorsorgeprodukt<br />

Lebensversicherung<br />

nicht bis zum Ende<br />

durch – sei es, weil sie sich die<br />

teuren Verträge nicht mehr leisten<br />

können, sei es, weil sie keine<br />

Lust mehr haben, sich für zu<br />

niedrige Renditen jeden Monat<br />

Beiträge abzuknapsen.<br />

Knackpunkt: Nur wenn ein<br />

Kunde bis zum Vertragsende<br />

durchhält, rechnet es sich. Wer<br />

eher ausscheidet, bekommt<br />

wegen hoher Kosten in den Anfangsjahren<br />

kaum sein eingezahltes<br />

Kapital heraus. Das ist<br />

gut – für Versicherer.<br />

KURSE MANIPULIERT<br />

Verglichen mit den Banken, sind<br />

Versicherer allerdings noch Waisenknaben.<br />

Wir wollen nicht von<br />

denen reden, die Steuerhinterziehern<br />

halfen, via Schweiz und<br />

Luxemburg den Fiskus und damit<br />

jeden Steuerzahler zu betrügen.<br />

Das Kapitel ist erledigt. Ein<br />

anderes noch nicht: die Manipulation<br />

der Zinssätze Euribor und<br />

Libor in die für die beteiligten<br />

Banker jeweils vorteilhafte Richtung;<br />

die Manipulation des Goldpreises,<br />

die Manipulation von<br />

Devisenkursen. Vergangene Woche<br />

sagte der Chef der großen<br />

Royal Bank of Scotland, die<br />

Währungsmanipulation sei vermutlich<br />

noch teurer für die Branche<br />

als die der Zinssätze. Ein<br />

mieses Gefühl: Der Zins auf dem<br />

Tagesgeldkonto und für den<br />

Hypothekenkredit, der Preis, zu<br />

dem ich einen Krügerrand gekauft<br />

habe, der Kurs, den ich für<br />

die Urlaubswährung bezahlt habe<br />

– alles falsch, alles Lüge?<br />

Die Finanzaufseher ermitteln,<br />

wer manipuliert hat, werden es<br />

vermutlich auch herausbekommen.<br />

Banken werden wieder ein<br />

paar Milliarden Strafe zahlen<br />

und ein paar Leute feuern. Wie<br />

viel Schaden entstand, bei Sparern,<br />

Kreditnehmern, Urlaubern,<br />

wird nie zu ermitteln sein. Und<br />

beschädigtes Vertrauen lässt<br />

sich schon gar nicht beziffern.<br />

TREND DER WOCHE<br />

Metall-Monopoly vorbei<br />

Nach drei Jahren Baisse wächst am Kupfermarkt die<br />

Hoffnung auf eine Preisstabilisierung.<br />

Wer glaubt, der Kupferpreis sei<br />

für Aktionäre ein zuverlässiger<br />

Wegweiser, sollte die Preiskurve<br />

des Metalls und einen Aktienindex<br />

wie MSCI, Dow Jones oder<br />

Dax aufeinanderlegen – schon<br />

erlebt er sein rotes Wunder: Obwohl<br />

Kupfer wegen seiner vielfältigen<br />

industriellen Verwendung<br />

eng mit der Konjunktur<br />

und damit auch mit den Aktienkursen<br />

verbunden sein sollte,<br />

driften die Chartkurven auseinander.<br />

Während die Aktien seit<br />

2011 eine Hausse hingelegt haben,<br />

schnurrte der Kupferpreis<br />

von 10150 Dollar je Tonne auf<br />

bis zu 6400 Dollar zusammen.<br />

Diese seltsame Preisschere hat<br />

einen Grund: Vorher, von 2009<br />

bis 2011, hatte sich der Kupferpreis<br />

im Zuge einer Spekulationsblase<br />

vervierfacht. Gezockt<br />

Rolle vorwärts<br />

Kupferlager im ostchinesischen<br />

Nantong<br />

wurde nicht nur auf den endlosen<br />

Kupferbedarf in China und<br />

Indien; zusätzlich wurde Kupfer<br />

in großem Stil als Basiswert für<br />

Fonds und Derivate entdeckt.<br />

Die notwendigen Deckungskäufe<br />

ließen den Preis eskalieren.<br />

Mit der Kupfer-Baisse der vergangenen<br />

Jahre ist dieser Rausch<br />

verflogen. Reihenweise haben<br />

sich große Spieler wie Morgan<br />

Stanley, JP Morgan, Barclays und<br />

Deutsche Bank <strong>vom</strong> Metallhandel<br />

verabschiedet. Gut möglich,<br />

dass in Zukunft wieder das Verhältnis<br />

von echter Nachfrage<br />

und Angebot den Preis bestimmt.<br />

Und der könnte sich um<br />

7000 Dollar stabilisieren – allein<br />

schon, weil wegen der globalen<br />

Energiewende der Kupferbedarf<br />

für Leitungen, Generatoren,<br />

Elektromotoren steigen wird.<br />

Trends der Woche<br />

Entwicklung der wichtigsten Finanzmarkt-Indikatoren<br />

Stand: 24.7.2014 / 18.00 Uhr aktuell seit einer Woche 1 seit einem Jahr 1<br />

Dax 30 9794,06 +0,4 +16,9<br />

MDax 16510,80 +0,4 +16,3<br />

Euro Stoxx 50 3220,07 +2,0 +17,0<br />

S&P 500 1990,59 +1,7 +18,1<br />

Euro in Dollar 1,3472 –0,4 +1,7<br />

Bund-Rendite (10 Jahre) 1 1,17 +0,01 2 –0,46 2<br />

US-Rendite (10 Jahre) 1 2,49 –0,02 2 –0,08 2<br />

Rohöl (Brent) 3 107,38 –0,2 –0,9<br />

Gold 4 1292,75 –0,7 –3,2<br />

Kupfer 5 7151,00 +1,7 +1,1<br />

1<br />

in Prozent; 2 in Prozentpunkten; 3 in Dollar pro Barrel; 4 in Dollar pro Feinunze,<br />

umgerechnet 959,73 Euro; 5 in Dollar pro Tonne; Quelle: vwd group<br />

FOTOS: BERT BOSTELMANN FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE, CORBIS/IMAGINECHINA, PR<br />

84 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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DAX-AKTIEN<br />

Gefährliches Vorzeichen<br />

Bevor nicht klar ist, welche Strafen auf die Deutsche<br />

Bank zukommen, wird sich die Aktie nicht erholen.<br />

HITLISTE<br />

Blendende Aussicht<br />

LEDs von Cree an der Bay<br />

Bridge in San Francisco<br />

Dass die Deutsche Bank von<br />

der amerikanischen Notenbank<br />

und dem US-Senat scharf<br />

für ungenaue Berichterstattung<br />

gerügt wird, ist ein gefährliches<br />

Vorzeichen. Es signalisiert,<br />

dass die Stimmung in<br />

den USA gegenüber der führenden<br />

deutschen Bank extrem<br />

frostig ist – und das kann<br />

teuer werden. Die französische<br />

Großbank BNP Paribas bekam<br />

von US-Behörden eine Mega-<br />

Strafe von umgerechnet 6,5<br />

Milliarden Euro wegen Embargoverstößen<br />

aufgebrummt.<br />

Dass die Deutsche Bank, die so<br />

viele Rechtsstreitigkeiten wie<br />

niemand sonst in der Branche<br />

am Bein hat, viel billiger wegkommt,<br />

ist wenig wahrscheinlich.<br />

Die von der Deutschen<br />

bisher für Rechtsstreitigkeiten<br />

zurückgestellten zwei Milliarden<br />

Euro dürften bei Weitem nicht<br />

ausreichen. Wahrscheinlich sind<br />

die Deutsch-Banker gerade dabei,<br />

dieses Polster zu verstärken.<br />

Gewinn und Kapital im aktuellen<br />

Quartalsabschluss wird das<br />

schwer drücken – bitter für die<br />

Bank und den Aktienkurs.<br />

TRENDMÄRKTE<br />

Zum Erfolg verdammt<br />

Warum 3-D-Drucker und LED-Lampen ihre Branchen<br />

revolutionieren, Anleger aber enttäuschen.<br />

Dax<br />

Kurs Kursent- Gewinn KGV Börsen- Dividen-<br />

(€) wicklung pro Aktie (€) wert den-<br />

1 Woche 1 Jahr 2014 2015 2015<br />

(Mio. €) rendite<br />

(%) 1<br />

Dax 9794,06 +0,4 +16,9<br />

Aktie<br />

Stand: 24.7.2014 / 18.00 Uhr<br />

Adidas 72,52 –0,9 –12,9 4,10 4,90 15 15172 2,07<br />

Allianz 129,80 –0,1 +10,6 13,63 13,96 9 59182 4,08<br />

BASF NA 82,35 –1,5 +17,9 5,87 6,44 13 75637 3,28<br />

Bayer NA 100,95 +0,4 +19,8 6,12 6,94 15 83480 2,08<br />

Beiersdorf 67,95 –1,1 –0,6 2,54 2,82 24 17123 1,03<br />

BMW St 95,51 +1,1 +29,3 8,76 9,27 10 61383 2,72<br />

Commerzbank 11,15 +2,2 +62,7 0,62 1,01 11 12694 -<br />

Continental 169,55 +1,9 +43,4 12,63 14,27 12 33911 1,47<br />

Daimler 66,30 –0,4 +24,1 6,09 6,84 10 70903 3,39<br />

Deutsche Bank 26,90 +0,9 –21,8 2,52 3,52 8 36502 2,79<br />

Deutsche Börse 54,26 +0,5 +0,7 3,73 4,12 13 10472 3,87<br />

Deutsche Post 25,38 –1,8 +19,6 1,71 1,91 13 30685 3,15<br />

Deutsche Telekom 12,22 –0,1 +31,2 0,63 0,68 18 54393 4,09<br />

E.ON 14,92 +2,6 +16,7 0,94 0,98 15 29845 4,02<br />

Fresenius Med.C. St 50,37 –1,3 +1,8 3,60 3,97 13 15491 1,53<br />

Fresenius SE&Co 109,75 –2,9 +12,7 6,21 7,17 15 24768 1,14<br />

Heidelberg Cement St 59,00 –0,8 +7,3 4,05 5,11 12 11063 1,02<br />

Henkel Vz 85,79 +0,3 +16,7 4,31 4,70 18 34512 1,42<br />

Infineon 9,24 +1,6 +27,8 0,44 0,54 17 9982 1,30<br />

K+S NA 23,90 +4,3 –7,5 1,43 1,54 16 4574 1,05<br />

Lanxess 49,08 +1,4 +2,1 2,17 3,47 14 4083 1,02<br />

Linde 154,60 +2,2 +6,6 7,89 8,93 17 28701 1,94<br />

Lufthansa 14,58 –0,2 –6,1 1,36 2,51 6 6704 -<br />

Merck 65,43 +0,7 +6,0 4,63 4,86 13 4228 2,90<br />

Münchener Rückv. 164,40 +1,3 +11,0 17,44 17,56 9 29484 4,41<br />

RWE St 31,63 +2,4 +34,3 2,21 2,29 14 19177 3,16<br />

SAP 60,70 +2,2 +9,0 3,37 3,71 16 74570 1,81<br />

Siemens 94,45 +1,7 +13,0 6,54 7,45 13 83210 3,18<br />

ThyssenKrupp 21,82 –0,9 +26,4 0,57 1,20 18 11226 -<br />

Volkswagen Vz. 183,35 –0,9 +5,6 21,76 24,46 7 84711 2,21<br />

1<br />

berechnet mit der zuletzt gezahlten Dividende<br />

Solar<br />

SolarCity (US)<br />

FirstSolar (US)<br />

Yingli (CN)<br />

3-D-Druck<br />

Voxeljet (D)<br />

Stratasys (US)<br />

3D Systems (US)<br />

LED<br />

Cree (US)<br />

Leyard (CN)<br />

Osram (D)<br />

Börsenwert 1<br />

6,4<br />

6,3<br />

0,6<br />

0,4<br />

5,1<br />

5,9<br />

6,1<br />

1,0<br />

4,9<br />

Die Deutsche Bank spricht in<br />

einer Studie von einem „Goldrausch“<br />

bei Solaranlagen. Autozulieferer<br />

wie Hella richten<br />

ihre Produktion ganz auf<br />

LED-Lampen aus. Und 3-D-<br />

Drucker sollen ohnehin die<br />

gesamte Industrie revolutionieren.<br />

Wer sich aktuell an der<br />

Börse auf diese Verheißungen<br />

einlässt, muss entweder glücklich<br />

spekulieren oder noch die<br />

Finger von den Trendmärkten<br />

lassen. Denn die Kurse der<br />

Aktien schwanken innerhalb<br />

eines Jahres zu stark, als dass<br />

sie sich als solides Investment<br />

empfehlen. Die Abweichungen<br />

der Aktienkurse von ihrem<br />

Mittelwert lassen sich an<br />

ihrer Volatilität ablesen. Während<br />

etwa die Volkswagen-Aktie<br />

2013 um 25 Prozent schwankte,<br />

kommt der 3-D-Drucker Voxeljet<br />

auf einen Wert von 83 seit<br />

Anfang 2014. Erst langsam etablieren<br />

sich die Trendprodukte<br />

auf ihren Märkten. Die Unternehmen<br />

sind im Vergleich zu<br />

ihren Erlösen deutlich überbewertet,<br />

was ein Blick auf die<br />

Kurs-Gewinn-Verhältnisse<br />

zeigt. Einige Anbieter machen<br />

gar noch Verluste, oder sie<br />

haben noch wenig Kunden,<br />

wie Voxeljet, die 2013 ganze<br />

neun 3-D-Drucker an Industriekunden<br />

auslieferten.<br />

Volatilität 2<br />

Umsatz 2013 1<br />

85,9 0,2<br />

67,5 3,3<br />

85,5 2,2<br />

82,9 4 0,0<br />

49,3 0,5<br />

52,1 0,5<br />

42,1 1,4<br />

53,9 0,1<br />

33,9 4 6,9<br />

1 in Mrd. US-Dollar; 2 Schwankungsbreite der Aktienkurse im Jahr 2013;<br />

3 Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2014 geschätzt; 4 Daten für 2014; Quelle: Bloomberg<br />

KGV 3<br />

Verlust<br />

23,8<br />

Verlust<br />

Verlust<br />

46,9<br />

66,9<br />

30,6<br />

44,4<br />

16,0<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 85<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

AKTIE IBM<br />

Der Gewinn war noch<br />

nie so fett wie heute<br />

Starker Anschluss Mehr<br />

Geschäft durch Partner Apple<br />

Das Bündnis der einstigen<br />

Rivalen IBM und Apple ist<br />

vielversprechend. Beide<br />

High-Tech-Ikonen wollen<br />

das lukrative Geschäft mit<br />

Smartphones und Tablet-<br />

Computern bei Unternehmen<br />

massiv ausbauen. Apple, bisher<br />

vor allem auf private Nutzer<br />

konzentriert, bekommt<br />

mit seinen Geräten dann Zugang<br />

zu Firmenkunden und<br />

großen Behörden; IBM kann<br />

endlich teilnehmen am<br />

wachstumsstarken Geschäft<br />

um iPhone und iPad. Schon<br />

in den nächsten Monaten<br />

wird IBM für die Kooperation<br />

erste auf Unternehmenskunden<br />

zugeschnittene Softwareanwendungen<br />

entwickeln.<br />

Die Allianz mit Apple ist für<br />

IBM Gold wert. Sie ist ein<br />

Meilenstein der Strategie, das<br />

rückläufige traditionelle Geschäft<br />

mit Personalcomputern<br />

durch neue Sparten zu<br />

ersetzen: etwa durch mobile<br />

Dienste, das Management<br />

großer Datenmengen und<br />

Cloud Computing (Zugriff auf<br />

Programme via Internet).<br />

Dabei kommt IBM schon<br />

bisher gut voran. Obwohl das<br />

klassische Geschäft mit Computern<br />

im zweiten Quartal um<br />

elf Prozent schrumpfte, hielt<br />

sich der Umsatzrückgang im<br />

Gesamtkonzern mit minus<br />

zwei Prozent in Grenzen. Besonders<br />

das Cloud-Geschäft<br />

ist mit plus 50 Prozent Umsatzwachstum<br />

im zweiten<br />

Quartal erfolgreich. Mit dem<br />

Verkauf der Sparte Kleinserver<br />

an den chinesischen Computerkonzern<br />

Lenovo verringerte<br />

IBM den Anteil seiner Hardwareproduktion.<br />

Entscheidend für Aktionäre<br />

ist, dass die Nettorechnung aufgeht.<br />

Und da sieht es gut aus:<br />

Um 28 Prozent erhöhte IBM<br />

den Gewinn im zweiten Quartal.<br />

Wenn die allgemeine Konjunktur<br />

nicht völlig wegbricht,<br />

sind bis Jahresende mehr als 17<br />

Milliarden Dollar Reingewinn<br />

möglich. Das wären trotz leicht<br />

rückläufiger Umsätze nicht nur<br />

mehr als die 16,5 Milliarden<br />

Dollar von 2013. IBM würde mit<br />

einem solchen Rekordgewinn<br />

eine Nettomarge (Reingewinn<br />

<strong>vom</strong> Umsatz) von fast 18 Prozent<br />

erzielen. Seit dem Tiefpunkt<br />

von 2002 (6,6 Prozent<br />

Nettomarge) hat IBM seine Gewinnkraft<br />

also nachhaltig erhöht.<br />

Noch nie in seiner mehr<br />

als 100-jährigen Geschichte hat<br />

Big Blue, wie IBM unter Börsianern<br />

heißt, so fett Geld verdient.<br />

Daran gemessen ist die elffache<br />

Gewinnbewertung (KGV 2014)<br />

von IBM-Aktien günstig.<br />

IBM<br />

ISIN:US4592001014<br />

220<br />

50-Tage-Linie<br />

210<br />

200-Tage-Linie<br />

200<br />

190<br />

180<br />

170<br />

Kurs/Stoppkurs (in Dollar): 192,50/163,60<br />

KGV2014/2015: 10,8/9,7<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 2,3<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

2013 2014<br />

Gefundenes Fressen<br />

Mobiles Internet<br />

in Thailand<br />

AKTIE Telenor<br />

Gute Verbindungen in<br />

Schwellenländern<br />

Mit knapp über 50 Prozent<br />

der Stimmrechte kontrolliert<br />

der norwegische Staat seinen<br />

Kommunikationsanbieter<br />

Telenor. Der ist auf dem heimischen<br />

Markt führend, erzielt<br />

als eines der größten Unternehmen<br />

des Landes dort<br />

aber nur etwa 24 Prozent seiner<br />

Umsätze. Fast die Hälfte<br />

der Erlöse stammt aus Asien.<br />

Mit 176 Millionen Mobilfunkkunden<br />

weltweit hat Telenor<br />

gut 30 Millionen Mobilfunkkunden<br />

mehr als die Deutsche<br />

Telekom. Und das,<br />

obwohl der Konzern mit 35<br />

Milliarden US-Dollar Börsenwert<br />

nur halb so groß ist.<br />

Vor allem die Töchter in<br />

den Schwellenländern Indien<br />

(Uninor), Malaysia (DiGi),<br />

Thailand (dtac) und Bangladesch<br />

(Graamenphone) sorgen<br />

für ein konstantes Konzernwachstum<br />

um die vier<br />

Prozent. Auf dem riesigen<br />

Mobilfunkmarkt Indien etwa<br />

gewann Telenor zuletzt zwei<br />

Millionen neue Kunden hinzu.<br />

Wegen hoher Investitionen<br />

macht Telenor in Indien<br />

allerdings noch Verluste.<br />

Die skandinavischen Heimatmärkte<br />

sind hart umkämpft.<br />

Während Telenor im<br />

zweiten Quartal 2014 in Norwegen<br />

seine Umsätze pro<br />

Mobilfunkkunden um fünf Prozent<br />

steigern konnte, brachen<br />

die Geschäfte in Dänemark<br />

um sechs Prozent ein.<br />

Insgesamt sieht es für den<br />

Konzern gut aus: 2013 erzielte<br />

er 1,1 Milliarden Euro Reingewinn.<br />

Zwar lag der Gewinnanteil<br />

<strong>vom</strong> Umsatz mit gut acht<br />

Prozent auf einem für Telenor<br />

niedrigen Level. 2014 soll die<br />

Marge auf 13 Prozent steigen.<br />

Die Halbjahreszahlen in der<br />

vergangenen Woche übertrafen<br />

die Markterwartungen: Telenor<br />

rechnet jetzt mit einem leicht<br />

wachsenden Geschäft für 2014.<br />

Telenor<br />

ISIN: NO0010063308<br />

160<br />

150<br />

140<br />

130<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

Kurs/Stoppkurs (in NOK): 149,80/127,30<br />

KGV 2014/2015: 15,9/14,0<br />

Dividendenrendite (in Prozent): 4,8<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Hoch<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

50-Tage-Linie<br />

200-Tage-Linie<br />

2013 2014<br />

FOTOS: REUTERS/RATTAY, GETTY IMAGES, CORBIS/IMAGINECHINA, LAIF/WOLF<br />

86 Redaktion: Geldwoche+Zertifikate: Anton Riedl, Sebastian Kirsch<br />

Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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ZERTIFIKATE Gold und Silber<br />

Starke Käufer langen<br />

wieder zu<br />

ANLEIHE Daimler<br />

Finanzen<br />

plus Autos<br />

Eintritt zum Aufstocken Portal<br />

der Goldbörse Shanghai<br />

Die Eskalation der Krisen im<br />

Nahen Osten, im Irak und in<br />

der Ukraine lässt die Preiskurven<br />

für Gold und Silber<br />

nach oben zucken. Das hilft<br />

bei der Stabilisierung auf<br />

den Edelmetallmärkten, die<br />

sich im Gold zwischen 1200<br />

und 1300 Dollar abspielt. Gut<br />

möglich, dass daraus eine längere<br />

Aufwärtsbewegung wird.<br />

Hauptgrund für das Comeback<br />

von Gold und Silber ist<br />

das weltweite Misstrauen in<br />

die Papierwährungen, das<br />

sich zuallererst an der Inflationsrate<br />

ablesen lässt. Die ist<br />

zwar in der EU offiziell noch<br />

außergewöhnlich niedrig,<br />

zieht aber in den Vereinigten<br />

Staaten (im Juni: 2,1 Prozent)<br />

und seit Kurzem auch in<br />

Großbritannien wieder an.<br />

Dank robuster Arbeitsmärkte<br />

könnte sich diese Tendenz verstärken<br />

und in einer zweiten<br />

Welle dann auch die Euro-<br />

Zone erreichen.<br />

Am Goldmarkt jedenfalls<br />

langen die starken Käufer wieder<br />

zu. Der führende Goldfonds<br />

SPDR, der im vergangenen<br />

Jahr noch 550 Tonnen<br />

abgab, hat seinen Bestand in<br />

diesem Jahr bisher um rund<br />

800 Tonnen aufgestockt. An der<br />

Shanghai Gold Exchange sind<br />

chinesische Investoren weiter<br />

überwiegend auf der Käuferseite.<br />

In Indien nahmen die<br />

Goldimporte zuletzt deutlich<br />

zu, weil unter der neuen Regierung<br />

die Zölle für Edelmetallkäufe<br />

sinken dürften. Selbst die<br />

weltweiten Notenbanken dürften<br />

in diesem Jahr wieder etwas<br />

mehr Gold ordern.<br />

Darüber hinaus gibt es bei<br />

Silber einen Zusatzeffekt. Wegen<br />

seiner hohen Leitfähigkeit<br />

wird es auch industriell bei<br />

vielen Produkten verarbeitet,<br />

die auf Jahre hinaus gefragt<br />

sein dürften: Solarpanels, Katalysatoren,<br />

Kontakte aller Art –<br />

auch für Trendprodukte wie<br />

Smartphones oder Tablets.<br />

Edelmetall zum Spekulieren<br />

Zertifikate auf die Erholung der Preisnotierungen von Gold<br />

(1298 Dollar je Feinunze) und Silber (20,80 Dollar je Feinunze)<br />

Kurs (Euro)<br />

Stoppkurs (Euro)<br />

Funktion<br />

Kauf-Verkaufs-<br />

Spanne<br />

Emittentin<br />

(Ausfallprämie)<br />

ISIN<br />

Chance/Risiko<br />

Faktorzertifikat auf Gold<br />

8,80<br />

6,60<br />

Verstärkt die täglichen Schwankungen der Edelmetallpreise mit sechsfachem<br />

Hebel; Beispiel: Steigt Gold bzw. Silber an einem Tag um 1,5 Prozent,<br />

legt das Zertifikat um 9 Prozent zu; keine feste Laufzeit, kein Knockout;<br />

dafür leichte Verluste in Seitwärtsphasen und hohe Verluste bei Preisrückgängen<br />

der Edelmetalle; Euro-Dollar-Währungsschwankungen fließen<br />

direkt in die Kursberechnung der Zertifikate ein<br />

0,40 Prozent<br />

1,30 Prozent<br />

Deutsche Bank<br />

(0,8 Prozent = geringes Risiko)<br />

DE000DX6XAU4<br />

10/9<br />

Quelle: Banken, Thomson Reuters<br />

Faktorzertifikat auf Silber<br />

8,02<br />

6,01<br />

Commerzbank<br />

(1,0 Prozent = mittleres Risiko)<br />

DE000CB8LY40<br />

10/9<br />

Mit knapp 1,2 Millionen Fahrzeugen<br />

hat Daimler im ersten<br />

Halbjahr so viele Autos,<br />

Transporter, Lastwagen und<br />

Busse ausgeliefert wie nie zuvor.<br />

Geht es in diesem Tempo<br />

weiter, werden es bis Jahresende<br />

gut 2,4 Millionen Fahrzeuge.<br />

Angesichts der stabilen<br />

Preise wären dann mehr als<br />

125 Milliarden Euro Umsatz<br />

möglich, plus sechs Prozent.<br />

Die operativen Gewinne im<br />

Kerngeschäft mit Mercedes-<br />

Autos ziehen an. Bis Jahresende<br />

dürfte Daimler die Hochrechnungen<br />

der Analysten<br />

(6,5 Milliarden Euro Nettogewinn)<br />

problemlos toppen.<br />

Kein Wunder, dass die gerade<br />

auf den Markt gekommene<br />

Daimler-Anleihe mit Laufzeit<br />

bis 2024 gut ankam, obwohl<br />

sie nicht einmal zwei Prozent<br />

Jahresrendite verspricht. Immerhin,<br />

im Vergleich zu 1,1<br />

Prozent aus Bundesanleihen<br />

ein akzeptables Angebot.<br />

Die Geschäftsaussichten für<br />

Daimler sind gut. In diesem<br />

Jahr dürfte sich die weltweite<br />

Autonachfrage um vier Prozent<br />

erhöhen. Wie im ersten<br />

Halbjahr sollte der Daimler-<br />

Absatz etwas stärker zulegen.<br />

Der wichtige amerikanische<br />

Automarkt wird von der robusten<br />

US-Konjunktur angetrieben;<br />

in China wird aus Gründen<br />

des Umweltschutzes der<br />

Ersatz alter Fahrzeuge durch<br />

neue, sauberere forciert;in Europa<br />

dürfte sich die moderate<br />

Erholung des Automarkts fortsetzen.<br />

Das Nutzfahrzeuggeschäft,<br />

das ein Drittel zum<br />

Umsatz beisteuert, profitiert<br />

<strong>vom</strong> langfristigen Wachstum<br />

des Transportbedarfs.<br />

Ein Schwachpunkt von<br />

Daimler ist auf den ersten<br />

Blick die mit 64 Milliarden Euro<br />

hohe Nettoverschuldung.<br />

Stern geht auf Mehr als 6,5<br />

Milliarden Euro netto in Sicht<br />

Der Grund jedoch sind 81 Milliarden<br />

Euro Verbindlichkeiten<br />

der Abteilung Financial Services<br />

(im Industriegeschäft verfügt<br />

Daimler über 17 Milliarden<br />

Liquidität). In der Finanztochter<br />

bündeln die Stuttgarter das<br />

Geschäft mit Leasing, Absatzfinanzierungen,<br />

Versicherungen<br />

und eine kleine Direktbank.<br />

Für Daimler hat diese Konstruktion<br />

drei Vorteile: Es werden<br />

damit enorme Finanzmittel<br />

erschlossen, allein Anleihen<br />

über 40 Milliarden Euro; der<br />

Absatz im Kerngeschäft Fahrzeuge<br />

wird gepusht;und zudem<br />

trägt der Finanzableger mit<br />

einem Viertel zum operativen<br />

Gewinn bei. Wenn Daimler also<br />

inklusive Financial Services<br />

auf 24 Prozent Eigenkapitalquote<br />

kommt, ist das für einen<br />

gemischten Industrie- und<br />

Finanzkonzern ein solider Wert.<br />

Von Standard & Poor’s bekommt<br />

Daimler die Note A- mit<br />

stabilem Ausblick, mittlerer Investmentgrade.<br />

Dass Daimler<br />

selbst in den schweren Konjunkturkrisen<br />

2003 und 2009<br />

stets Investmentklasse blieb,<br />

spricht für die Stabilität des<br />

Stuttgarter Geschäftsmodells.<br />

Kurs (%) 100,15<br />

Kupon (%) 1,875<br />

Rendite (%) 1,86<br />

Laufzeit bis 8. Juli 2024<br />

Währung<br />

Euro<br />

ISIN<br />

DE000A11QSB8<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 87<br />

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Geld&Börse | Geldwoche<br />

FONDS Banque de Luxembourg Emerging Markets<br />

Anlegergelder fließen<br />

wieder nach Asien<br />

Grazien in Gelb Amorepacific-<br />

Kosmetik läuft an der Börse<br />

Schwellenländer sind aus der<br />

Mode gekommen, seitdem<br />

China nicht mehr ganz so<br />

stark wächst und niedrige<br />

Rohstoffpreise in vielen Ländern<br />

die Exporteinnahmen<br />

drückten. Soziale Unruhen<br />

und schleppende Wirtschaftsreformen<br />

belasteten die Unternehmen.<br />

Nach Währungsabwertungen<br />

können einige<br />

ihre Produkte jetzt wieder<br />

günstiger auf dem Weltmarkt<br />

anbieten. Die Wachstumsprognosen<br />

für Malaysia, Indonesien,<br />

Indien, Taiwan und<br />

Thailand werden nach oben<br />

angepasst. Anlegern blieb das<br />

nicht verborgen. Seit Ende<br />

Mai waren die wöchentlichen<br />

Kapitalzuflüsse in die Schwellenländer<br />

unterm Strich höher<br />

als die Abflüsse. „Da Asien<br />

im Schwellenländer-Universum<br />

der größte Markt ist, fließt<br />

entsprechend viel Geld dorthin“,<br />

sagt Marc Erpelding,<br />

Fondsmanager bei der Banque<br />

de Luxembourg. Er hat<br />

derzeit 75 Prozent seines<br />

Fondsvermögens in Aktien investiert,<br />

unter anderem aus<br />

Südkorea, Taiwan, China und<br />

Indonesien. Den Rest füllt er<br />

mit Anleihen auf.<br />

Durchweg günstig seien<br />

Schwellenmärkte nicht. „Anleger<br />

müssen für Unternehmen<br />

aus den Branchen Finanzen<br />

und Rohstoffe, die 46<br />

Prozent des Aktienindex ausmachen,<br />

zwar nur das Achtfache<br />

der erwarteten Gewinne<br />

zahlen“, sagt Erpelding. Nichtzyklischer<br />

Konsum und Pharma,<br />

die krisenresistenter sind,<br />

kosten mit dem 21-Fachen des<br />

erwarteten Jahresgewinns<br />

enorm viel. Staatlich dominierte<br />

Energieriesen wie die brasilianische<br />

Petrobras oder die russische<br />

Gazprom meidet er ebenso<br />

wie chinesische Großbanken –<br />

politischer Einfluss sei selten im<br />

Sinne der Investoren. Erpelding<br />

sucht stattdessen regionale<br />

Marktführer, die rentabel arbeiten<br />

und ein margenstarkes Geschäft<br />

mit einem hohen Zufluss<br />

liquider Mittel betreiben. Dazu<br />

zählt der Fahrradhersteller<br />

Samchuly Bicycle, der in Südkorea<br />

mit bekannten Marken und<br />

breitem Sortiment 40 Prozent<br />

Marktanteil erobert hat. Ähnlich<br />

erfolgreich ist Amorepacific.<br />

Deren Kosmetika und Körperpflegeprodukte<br />

sind in Südkorea<br />

beliebt und haben auch bei<br />

chinesischen Touristen einen<br />

guten Ruf. Dadurch steigt der<br />

Duty-free-Umsatz stark an. Aus<br />

Indonesien steckt Gudang<br />

Garam im Fonds, die unter anderem<br />

dort beliebte Nelkenzigaretten<br />

rentabel herstellen.<br />

BL Emerging Markets<br />

ISIN: LU0309191905<br />

130<br />

120<br />

110<br />

100<br />

90<br />

JPM EMBI-Schwellenländer-<br />

Anleihenindex<br />

80<br />

MSCI<br />

Emerging Markets-Aktienindex<br />

70<br />

2011 2012 2013 14<br />

Chance<br />

Risiko<br />

Niedrig<br />

Auf 100 umbasiert;<br />

Quelle: Thomson Reuters<br />

BL Emerging Markets<br />

Hoch<br />

Mischungen für Schwellenländer und Asien<br />

Wie die erfolgreichsten Fondsmanager abgeschnitten haben<br />

Fondsname<br />

Mischfonds Schwellenländer<br />

Comgest Growth Emerg. Markets Flex<br />

UniRak Emerging Markets<br />

Sauren Emerging Markets Balanced<br />

Baring Dynamic Emerging Market<br />

Amundi Multi Asset Emerging Markets<br />

Global EM Balance Portfolio<br />

AB EM Multi-Asset<br />

Veri ETF-Allocation Emerging Markets<br />

HSBC Trinkaus Strategie EM<br />

Investec GSF EM MultiAsset<br />

World Top Emerging Market UI<br />

Capital International EM Opps.<br />

Templeton EM Balance<br />

Emerging Markets Exklusivfonds T<br />

Pimco GIS EM Multi-Asset € Hedge<br />

Banque de Luxemb. Emerging Markets<br />

UBS KSS EM Income USD<br />

Carmignac EM Patrimoine<br />

Lupus alpha Structure Sustainable EM<br />

Mischfonds Asien<br />

Invesco Asia Balanced<br />

Schroder ISF Asian Total Return<br />

JPMorgan Asia Pacific<br />

Allianz Asian Multi Income Plus<br />

Schroder ISF Asian Diversified Growth<br />

Aberdeen Global II AP Multi Asset<br />

Aktienfonds Asien<br />

Fidelity Asian Smaller Comp.<br />

Comgest Growth Asia Ex Japan<br />

Investec GSF Asia Pacific Equity<br />

First State Asia Pacific<br />

Allianz Asia Pacific Equity<br />

Blackrock Asia Pacific Equity<br />

First State Asien Pacific Sustainability<br />

Coutts Pacific Basin Eq.<br />

Axa Rosenb. Pacific ex-Japan Small Cap<br />

M&G Asian<br />

JPMorgan Asia Pacific Strategic<br />

Matthews Asia Funds Asia Small Comp.<br />

Vanguard FTSE De Asia Pac. ETF<br />

Pictet Pacific Ex Japan Index<br />

Threadneedle Asia Ret Net EUR<br />

UBS ETF MSCI Pacific (ex Japan)<br />

BlackRock ISF Pacific Rim Index<br />

iShares Core MSCI Pacific ex Japan<br />

iShares MSCI Pacific ex-Japan<br />

db x-trackers MSCI Pacific ex-Japan<br />

ComStage MSCI Pacific ex Japan ETF<br />

BlackRock GIF Pacific ex Japan Eq.<br />

Axa Rosenberg AC Asia Pacific ex Japan<br />

HSBC MSCI Pacific ex Japan ETF<br />

ISIN<br />

IE00B8J4DS78<br />

LU0383775318<br />

LU0580224201<br />

IE00B4KK7623<br />

LU0841673394<br />

LU0455866771<br />

LU0633140560<br />

DE0005561682<br />

DE000A1J6B27<br />

LU0700851271<br />

DE000A1JLRE0<br />

LU0302646574<br />

LU0608807516<br />

AT0000505904<br />

IE00B7DX4134<br />

LU0309191905<br />

LU0878005551<br />

LU0592698954<br />

DE000A1JDV87<br />

LU0367026217<br />

LU0326948709<br />

LU0117844612<br />

LU0488056044<br />

LU0776413519<br />

LU0513837459<br />

LU0702159772<br />

IE00B16C1G93<br />

LU0499858602<br />

GB0030183890<br />

LU0204480833<br />

LU0414403419<br />

GB00B0TY6S22<br />

IE0004887141<br />

IE0031069499<br />

GB00B3K51D55<br />

LU0441855714<br />

LU0871673728<br />

IE00B9F5YL18<br />

LU0148538712<br />

GB00B0WGVL36<br />

LU0446734526<br />

IE00B8J31D58<br />

IE00B52MJY50<br />

IE00B4WXJD03<br />

LU0322252338<br />

LU0392495296<br />

LU0836512961<br />

IE00B03Z0R82<br />

IE00B5SG8Z57<br />

Wertentwicklung<br />

in Prozent<br />

seit 3 seit 1<br />

Jahren 1 Jahr<br />

1 jährlicher Durchschnitt (in Euro gerechnet); 2 je höher die Jahresvolatilität<br />

(Schwankungsintensität) in den vergangenen drei Jahren, desto riskanter der Fonds;<br />

Quelle: Morningstar; Stand: 22. Juli 2014<br />

–<br />

0,3<br />

–<br />

3,6<br />

–<br />

2,5<br />

0,1<br />

2,9<br />

–<br />

–<br />

–<br />

2,8<br />

0,1<br />

4,5<br />

–<br />

8,5<br />

–<br />

0,3<br />

–<br />

8,6<br />

9,4<br />

7,2<br />

4,2<br />

3,6<br />

4,6<br />

–<br />

4,4<br />

7,0<br />

11,0<br />

4,8<br />

10,0<br />

13,6<br />

6,2<br />

9,1<br />

8,1<br />

6,8<br />

–<br />

–<br />

9,1<br />

5,2<br />

8,8<br />

–<br />

8,6<br />

8,6<br />

8,6<br />

9,2<br />

–<br />

5,3<br />

9,1<br />

9,0<br />

8,3<br />

8,0<br />

6,5<br />

6,5<br />

5,8<br />

5,6<br />

5,0<br />

4,6<br />

4,4<br />

4,2<br />

3,6<br />

3,4<br />

3,3<br />

3,3<br />

2,8<br />

2,4<br />

2,1<br />

2,1<br />

6,8<br />

6,8<br />

4,5<br />

2,2<br />

2,2<br />

1,9<br />

29,3<br />

22,3<br />

18,3<br />

16,6<br />

16,6<br />

15,7<br />

15,5<br />

15,4<br />

15,3<br />

15,1<br />

14,6<br />

14,1<br />

14,1<br />

13,9<br />

13,9<br />

13,7<br />

13,5<br />

13,5<br />

13,3<br />

13,3<br />

13,2<br />

13,2<br />

13,1<br />

13,0<br />

Volatilität<br />

2<br />

in<br />

Prozent<br />

–<br />

12,5<br />

–<br />

9,9<br />

–<br />

8,6<br />

11,3<br />

9,4<br />

–<br />

–<br />

–<br />

8,5<br />

11,4<br />

2,6<br />

–<br />

8,0<br />

–<br />

9,2<br />

–<br />

8,9<br />

10,4<br />

9,7<br />

8,0<br />

7,7<br />

7,8<br />

–<br />

13,2<br />

14,0<br />

11,7<br />

13,9<br />

16,0<br />

10,1<br />

14,9<br />

16,4<br />

15,1<br />

14,0<br />

–<br />

–<br />

16,0<br />

15,0<br />

15,6<br />

–<br />

15,6<br />

15,6<br />

15,6<br />

15,5<br />

–<br />

14,4<br />

15,5<br />

FOTOS: REUTERS/LEE JAE-WON, PR<br />

88 Redaktion Fonds: Heike Schwerdtfeger<br />

Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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NACHGEFRAGT Harry Assenmacher<br />

»Im Internet fahren<br />

keine Busse«<br />

RELATIVE STÄRKE<br />

Akku wieder geladen<br />

Dank neuer Geschäftsfelder kann TecDax-Wert<br />

Manz in diesem Jahr in die Gewinnzone kommen.<br />

Nach dem Prokon-Skandal<br />

braucht die Aufsicht<br />

mehr Mittel, um gegen<br />

Betrug am Kapitalmarkt<br />

vorzugehen, fordert der<br />

Chef von Forest Finance.<br />

Herr Assenmacher, Berlin will<br />

Anleger mit besseren Informationen<br />

versorgen lassen<br />

oder durch Vertriebsbeschränkungen<br />

vor heiklen<br />

Anlagen schützen. Reichen<br />

unsere Gesetze nicht?<br />

Neue sind kaum notwendig.<br />

Das ist wie bei Lebensmitteln:<br />

Die besten Gesetze nutzen<br />

wenig, wenn die Chance,<br />

erwischt zu werden, gering<br />

ist. Die Aufsicht BaFin<br />

braucht mehr Durchgriffsrechte,<br />

Geld und Leute.<br />

Windkraftanbieter Prokon<br />

konnte jahrelang Kapital<br />

einsammeln, ohne testierte<br />

Bilanzen vorzulegen.<br />

Das soll sich ja ändern, etwa<br />

durch Werbeverbote.<br />

Werbung ist nicht per se<br />

schlecht, muss aber im Rahmen<br />

der Verbraucherschutzgesetze<br />

laufen. Wenn die<br />

BaFin Werbung erst freigeben<br />

müsste, wäre dies eine Hilfe.<br />

Aber ziemlich aufwendig...<br />

Die jetzt vorgelegten Ideen<br />

sind teils verfassungsrechtlich<br />

bedenklich. Warum darf auf<br />

Litfaßsäulen, Plakaten oder<br />

auf Bussen für Bier geworben<br />

werden, für Windkraft-Genussscheine<br />

aber nicht?<br />

DER WALD-MACHER<br />

Assenmacher, 59, gründete<br />

2005 Forest Finance, die<br />

80 Millionen Euro Anlegergeld in<br />

16 000 Hektar Ökowald (Lateinamerika,<br />

Vietnam) investiert hat.<br />

Brauer versprechen keine<br />

sieben Prozent Rendite.<br />

Das Verbraucherschutzministerium<br />

kämpft Schlachten von<br />

gestern. Die Werbemethoden<br />

von Prokon waren Auslaufmodelle.<br />

Bus- und Bahnwerbung<br />

ist teuer und gegenüber Internet-Werbung<br />

ineffektiv. Moderne<br />

Werbemethoden sind wirksamer<br />

kaum zu durchschauen.<br />

Welche?<br />

Etwa Tracking, also die Aufzeichnung<br />

und Auswertung des<br />

Nutzerverhaltens im Internet,<br />

oder das Erstellen von Bewegungs-<br />

und Verhaltensmustern.<br />

Im Internet fahren keine Busse.<br />

Vorgehen könnte man gegen<br />

Lead-Generierer, die Nutzern<br />

Kontaktdaten abschwätzen.<br />

Die Verbraucherzentrale NRW<br />

hat Sie verklagt, weil Sie Investments<br />

in Forstprojekte als<br />

„Waldsparbuch“ und „Baumsparvertrag“<br />

bewerben. Das<br />

suggeriere Sparbuch-Sicherheit<br />

und lenke von Risiken<br />

einer unternehmerischen<br />

Beteiligung ab.<br />

Die Klage wurde <strong>vom</strong> Landgericht<br />

Bonn abgewiesen. Eine<br />

klare Regelung, etwa die Freigabe<br />

der Werbung durch die Ba-<br />

Fin, hätte Rechtssicherheit gebracht,<br />

es wäre nie zum Prozess<br />

gekommen.<br />

Müssen Investoren vor sich<br />

selbst geschützt werden?<br />

Man sollte über Beschränkungen<br />

nachdenken. In den USA<br />

sind bestimmte Investments<br />

nur für Reiche mit mehr als einer<br />

Million Dollar gestattet.<br />

frank.doll@wiwo.de<br />

Mit 140 Prozent plus in zwölf<br />

Monaten ist WirtschaftsWoche-Favorit<br />

Manz (4/2013) eine<br />

der heißesten Aktien der<br />

Tabelle. Vor wenigen Wochen<br />

bekamen die Reutlinger einen<br />

wichtigen Großauftrag für<br />

Lithium-Ionen-Akkus. Dieser<br />

Wachstumsmarkt, der <strong>vom</strong><br />

Boom der mobilen Kommunikation<br />

beflügelt wird, dürfte<br />

durch den steigenden Akku-<br />

Bedarf für Elektroautos noch<br />

beschleunigt werden. Die<br />

Wende <strong>vom</strong> Solarzulieferer zu<br />

neuen, vielversprechenden<br />

Sparten (Displays, Akkus) ist<br />

Manz gelungen. Der hohe Auftragsbestand<br />

und stabile Margen<br />

signalisieren, dass nach<br />

dem schwachen ersten Quartal<br />

(6,6 Millionen Euro Verlust) im<br />

Jahresverlauf auch die operative<br />

Wende möglich ist.<br />

Wer schlägt den Index?<br />

Die innerhalb der vergangenen drei Monate am stärksten<br />

gestiegenen und gefallenen Aktien 1<br />

Rang Aktie Index Kurs 2 Kursentwicklung Relative Trend 3<br />

(€) (in Prozent) Stärke<br />

3 Monate 1 Jahr<br />

(in Prozent)<br />

Gewinner<br />

1 Nordex TecDax 15,45 +39,88 +164,15 32,9<br />

2 Dialog Semic. NA (GB) TecDax 23,79 +29,80 +101,91 28,9<br />

3 Manz TecDax 78,00 +20,24 +140,74 19,1 4<br />

4 Cancom TecDax 37,86 +19,42 +70,94 17,9<br />

5 KUKA MDax 44,02 +19,60 +29,03 17,8<br />

6 Gagfah (LU) MDax 13,49 +18,70 +55,74 16,9<br />

7 Qiagen (NL) TecDax 18,56 +17,69 +17,88 15,8<br />

8 Glencore Plc (JE) Stoxx50 372,75 +19,26 +31,85 15,4 4<br />

9 Stratec Biomed TecDax 38,40 +16,01 +38,20 14,7<br />

10 DMG Mori Seiki MDax 26,12 +16,74 +50,81 13,7<br />

11 RWE St Dax 31,48 +14,73 +34,83 12,9<br />

12 Nemetschek TecDax 71,25 +18,87 +57,46 12,1 5<br />

13 Symrise MDax 41,23 +14,86 +27,61 11,7<br />

14 Drillisch TecDax 30,29 +12,84 +133,95 11,2<br />

15 LEG Immobilien MDax 54,18 +12,58 +41,09 11,0 4<br />

16 Kabel Deutschland MDax 108,85 +11,38 +29,11 9,8<br />

17 Infineon Dax 9,34 +9,53 +29,63 9,7<br />

18 Ericsson LMB (SE) Stoxx50 87,15 +7,59 +16,12 9,4 4<br />

19 Wacker Chemie MDax 93,30 +11,20 +33,71 8,7 4<br />

20 Hugo Boss NA MDax 110,05 +11,16 +27,54 8,4 5<br />

21 Morphosys TecDax 67,66 +11,93 +29,49 8,0<br />

22 Gerresheimer MDax 53,09 +8,71 +21,63 7,0<br />

23 Zurich Insur. Grp (CH) Stoxx50 273,50 +8,83 +7,97 6,8<br />

24 Dürr MDax 61,64 +7,13 +25,03 6,8 4<br />

Verlierer<br />

152 Software TecDax 19,64 -26,96 -22,92 -29,2<br />

151 Bilfinger MDax 65,07 -25,26 -12,35 -25,7<br />

150 Drägerwerk TecDax 66,18 -22,93 -36,24 -24,0<br />

149 Lufthansa Dax 14,40 -22,38 -4,39 -22,0<br />

148 Barclays PLC (GB) Stoxx50 211,10 -15,22 -28,97 -18,0<br />

147 Wincor Nixdorf MDax 39,55 -17,78 -9,09 -17,7<br />

146 Freenet TecDax 20,97 -14,90 +20,61 -17,5<br />

145 LPKF Laser&El. TecDax 13,74 -14,80 +0,55 -16,6 5<br />

144 Commerzbank Dax 10,92 -16,70 +64,73 -16,4<br />

1<br />

aus Dax, MDax, TecDax und Stoxx Europe 50 im Vergleich zum Stoxx Europe 600;<br />

2<br />

bei GB in Pence, bei CH in Franken; 3 Änderung um mindestens fünf Ränge; 23.7.2014,<br />

13:01 Uhr<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 89<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

Kommt. Zu. Uns.<br />

STANDORT | Im Main-Tauber-Kreis zwischen Wertheim<br />

und Rothenburg ob der Tauber versammeln sich 23 Weltmarktführer.<br />

Ihr Wachstum kennt vor allem eine Hürde:<br />

ausreichend Mitarbeiter für sich zu finden. Ein Besuch in<br />

einer Region mit High-Tech-Unternehmen und viel Ruhe.<br />

Das Navi macht einen Bogen um<br />

das Taubertal. Auf dem Weg<br />

nach Bad Mergentheim lässt<br />

es auf der A 3, aus Richtung<br />

Frankfurt kommend, die Ausfahrt<br />

liegen und empfiehlt den Umweg<br />

über die A 81. Der ist schneller.<br />

Effizient die Ziele erreichen – das Navi<br />

passt in diese Region, den Main-Tauber-<br />

Kreis. Als „lieblich“ bezeichnet das Marketing<br />

des Kreises das Taubertal. Das ist es<br />

auch mit seinen sanften Hügeln rechts und<br />

links der beschaulich mäandernden Tauber,<br />

aber es ist vor allem erfolgreich. Außer<br />

im Wettstreit um die Talente. Da unterliegt<br />

es München oder Hamburg, ja, auch der<br />

Region um Stuttgart.<br />

Die Einladung des Main-Tauber-Kreises<br />

lockt mit der Aussicht, einige der mehr als<br />

20 Weltmarktführer zwischen Wertheim<br />

und Rothenburg ob der Tauber zu besuchen.<br />

Und ein wenig von der Kulturlandschaft<br />

zu genießen samt Schwarzriesling<br />

und Kurgarten. Sie liest sich wie eine Offerte,<br />

gleich für immer zu bleiben. „Dort arbeiten,<br />

wo andere Urlaub machen“, heißt<br />

es. Und weiter: „Optimale Bedingungen,<br />

um Arbeit und Familie in Einklang zu bringen:<br />

Attraktive Jobs und eine idyllische<br />

Wohngegend.“<br />

Das hat sich nur noch nicht ausreichend<br />

herumgesprochen. Findet Jochen Müssig,<br />

Dezernent für Kreisentwicklung und Bildung,<br />

Wirtschaft, Tourismus und Kultur<br />

des Kreises. Die erste Pressereise soll das<br />

ändern, wenngleich die Resonanz der<br />

Medien auf Anhieb noch nicht so groß ist,<br />

wie erhofft. „Aber wir können ja nicht<br />

sagen, wir führen es nicht durch“, raunt Rico<br />

Neubert, Leiter des Amtes für Strukturentwicklung,<br />

Wirtschaftsförderung und<br />

Tourismus, einer Journalistin aus der Region<br />

vor der offiziellen Begrüßung zu. Gewiss,<br />

es kommen Menschen, aber es dürfen<br />

mehr sein. Zur Pressereise wie zum Leben<br />

und Arbeiten.<br />

HILFE, WIR SUCHEN!<br />

Die Arbeitslosigkeit liegt im Main-Tauber-<br />

Kreis bei 3,4 Prozent. „Hilfe, wir suchen...“,<br />

beginnt das Stellenangebot einer Metzgerei<br />

auf einer großen Tafel an der B 290. Die<br />

ist zwischen Tauberbischofsheim und Bad<br />

Mergentheim breit genug, damit Lkws<br />

überholt werden können, und Teil der Romantischen<br />

Straße. Die Zahl der Bewohner<br />

sank in den vergangenen zehn Jahren von<br />

138 000 um 8000. Geht es so weiter, rechnet<br />

Müssig für das Jahr 2030 mit nur noch<br />

123 000. Der Trend soll sich ändern: „Unser<br />

Problem heißt Demografie. Kaufmännisch<br />

betrachtet, sind junge Leute ein rares Gut.“<br />

Nicht nur, dass Ortschaften wie Assamstadt<br />

oder Boxberg-Windischbuch mit München<br />

oder Stuttgart beim Werben um Mitarbeiter<br />

aus dem In- und Ausland im Wettbewerb<br />

stehen – nein, selbst die lokale Jugend<br />

ist oft ahnungslos ob der Vorzüge der<br />

Region. „Ein Bad Mergentheimer Schüler<br />

weiß wenig darüber, was in Wertheim geboten<br />

wird“, sagt Müssig.<br />

Oder in Igersheim. Zum Beispiel Arbeitsplätze<br />

in Büros und Produktion, die direkt<br />

einem Prospekt für die Zukunft der Arbeit<br />

entnommen sein könnten. Das Unternehmen<br />

Wittenstein ist ein klassischer Mittelständler,<br />

hervorgegangen aus einer Nähmaschinenfabrik<br />

von 1949. Heute pro-<br />

»<br />

FOTO: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

90 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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»Man kann hier gut<br />

leben. Es muss<br />

sich nur noch<br />

herumsprechen«<br />

Platz für Mensch und Maschinen<br />

Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 91<br />

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Perspektiven&Debatte<br />

»<br />

duziert es mit 1800 Beschäftigten weltweit<br />

elektromechanische Antriebe und Getriebe,<br />

die unter anderem im Airbus A380<br />

mitfliegen. Stephan Bug, Leiter Fertigung<br />

Elektronik am Standort Harthausen, sechs<br />

Kilometer von Igersheim entfernt, verkauft<br />

große Ziele mit der Sachlichkeit des Ingenieurs:<br />

Umsatzverdoppelung in fünf Jahren,<br />

15 Prozent Wachstum jährlich. Dazu<br />

braucht es Mitarbeiter, die in der neu eröffneten<br />

Innovationsfabrik Bauteile entwickeln,<br />

konstruieren und zusammenbauen.<br />

Flexibilität ist hier Programm: Schreibtische<br />

wie Werkbänke lassen sich auf Rollen<br />

zu neuen Einheiten verschieben, je nachdem,<br />

was ein neues Projekt benötigt.<br />

Ein kurzer Weg ist es hinauf zur Innovationsfabrik<br />

von dem älteren Bürotrakt, in<br />

dessen Entree Pop-Art von James Rizzi<br />

hängt. Im Hof bietet ein botanischer Garten<br />

mit Pflanzen aus allen Ländern, in denen<br />

Wittenstein vertreten ist, Entspannung.<br />

Mehrmals die Woche wird er von einem<br />

Gärtner gepflegt – eine Idylle, die die<br />

Mitarbeiter genießen können, während sie<br />

sich über ihre Laptops beugen. Geworben<br />

werden sie mit einem blauen Sofa auf Jobmessen.<br />

„Pioniere zu uns“ steht da drauf.<br />

Bug ist sich sicher, dass das Unternehmen<br />

viel zu bieten hat: „Hier bekommen sie einen<br />

Überblick über das ganze Produkt<br />

nicht nur einen Teil.“<br />

HOCHREGALLAGER AM HORIZONT<br />

Der Bürgermeister von Igersheim, Frank<br />

Menikheim, begleitet den Rundgang. Er ist<br />

stolz auf eine Gemeinde, der es gelungen<br />

ist, sämtlichen Abgängern der Hauptschule<br />

einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu<br />

vermitteln. Probleme, wie sie Menschen<br />

aus den Ballungszentrum kennen, tauchen<br />

in Igersheim nicht auf. Ob denn bei so viel<br />

benötigten Arbeitskräften auch die Versorgung<br />

mit Kindergartenplätzen bis in den<br />

Raum für Ruhe Historisches Fachwerk trifft<br />

auf nüchterne Nachkriegsarchitektur<br />

High Tech auf der grünen Wiese Die Innovationsfabrik von Wittenstein<br />

Abend gewährleistet sei? „Dafür gibt es<br />

hier keinen Bedarf“, sagt Menikheim.<br />

Wer an einem Mittwoch gegen 16 Uhr<br />

zur Außenstelle Bad Mergentheim des<br />

Schraubenimperiums Würth fährt, ahnt,<br />

warum:Die Mitarbeiter verlassen in großer<br />

Zahl das Gelände in Richtung Heimat, vorbei<br />

an den großen Transparenten, die an<br />

der Zufahrtsstraße um Mitarbeiter werben.<br />

Das tut auch auf seine Weise das 45 Meter<br />

messende Hochregallager mit automatischer<br />

Bedienung. Es ragt über die Baumwipfel<br />

und ist schon von Weitem von der<br />

B 290 zu sehen. Lieblich ist allerdings anders.<br />

1999 wurde auf dem Kasernengelände<br />

mit gut 70 Mitarbeitern gestartet. Heute<br />

arbeiten etwa 1250 Mitarbeiter auf dem<br />

122 Hektar großen Areal, und noch ist Platz<br />

für Wachstum.<br />

Die Region litt wie viele andere ländliche<br />

Gebiete, als die Bundeswehr zahlreiche<br />

Standorte schloss. Sichere Arbeitsplätze<br />

gingen verloren, solide, aber wenig reizvolle<br />

Bauten sind die Hinterlassenschaften,<br />

mit denen die Bürgermeister umgehen<br />

müssen. Während Bad Mergentheim mit<br />

Würth ein großes Unternehmen gewinnen<br />

konnte, werden im i_PARK in Lauda-<br />

Königshofen kleinere Brötchen gebacken.<br />

Zimmer 07.047 belegt Armin Kordmann,<br />

Geschäftsführer der Gesellschaft i_PARK<br />

Tauberfranken, die den alten Wohntrakten<br />

neues Leben eingehaucht hat: „Das ist<br />

noch die Nummerierung von der Bundeswehr,<br />

wir haben sie anfangs einfach belassen,<br />

später habe ich sie verinnerlicht.“ Die<br />

Bäume vor den Fenstern, die die Bundeswehr<br />

als Tarnung schätzte, ließ Kordmann<br />

abholzen, Baderäume wurden herausgerissen<br />

und kleine Gemeinschaftsküchen<br />

eingebaut. Keine sechs Euro kostet hier ein<br />

Quadratmeter Bürofläche. Ideal für Neugründungen.<br />

Ist ein Trakt mit Mietern belegt,<br />

wird der nächste angegangen – zu Beginn<br />

hat Kordmann noch selber den Rasen<br />

gemäht und Wände in Wischtechnik aufgehübscht;<br />

im ehemaligen Offizierskasino<br />

werden heute Hochzeiten gefeiert, der<br />

Klassenzimmer-Atmosphäre zum Trotz.<br />

Die Versuche, mit Annoncen in Branchenblättern<br />

Mieter zu gewinnen, schlugen<br />

fehl. Heute läuft alles über Mundpropaganda,<br />

und was zählt, ist der Preis: „Da kommt<br />

keiner aus Stuttgart und sagt: Herrliche Büros!“<br />

Ein Restaurant ist in eines der Gebäude<br />

eingezogen, mit guter Küche, aber schlechtem<br />

Handyempfang. „Die Bundeswehr hat<br />

immer solide gebaut“, sagt die Kellnerin.<br />

SCHNELL DA, SCHNELL WEG<br />

Freie Grundstücke hingegen verspricht der<br />

Industriepark ob der Tauber der Gemeinden<br />

Grünsfeld und Lauda-Königshofen.<br />

Der Schweizer Kaffeemaschinenhersteller<br />

Franke hat hier seinen Deutschlandsitz. Er<br />

liegt ideal, in der Mitte Europas und nahe<br />

der A 81. Man ist schnell da. Und schnell<br />

weg. Die Mitarbeiterinnen aus dem Marketing<br />

wohnen lieber in Würzburg.<br />

Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert<br />

erzählt, wie die hiesige, traditionelle<br />

Gastronomie langsam ausstirbt, weil zu viele<br />

Betriebe keinen Nachfolger finden und<br />

weil es hier genug Arbeit gibt, die nicht in<br />

den Abend und übers Wochenende geht.<br />

Markert schaut über einen Acker, im Hintergrund<br />

locken die grünen Hügel des Umlands.<br />

500 weitere Arbeitsplätze hätten hier<br />

entstehen sollen, doch die Zusage eines Logistikunternehmens<br />

wurde kurzfristig zurückgezogen.<br />

Welches es war, möchte Markert<br />

nicht verraten, noch ist die Hoffnung<br />

nicht verloren, dass zu den 30 bebauten<br />

Grundstücken ein großes dazukommt – für<br />

ein internationales Unternehmen mit<br />

Strahlkraft.<br />

Der Bürgermeister Markert hätte auch<br />

Platz für mehr Eigenheimbebauung, daran<br />

soll es nicht scheitern. Unternehmen und<br />

Mitarbeiter sind hier sehr willkommen. Es<br />

muss sich halt nur noch rumsprechen. n<br />

thorsten.firlus@wiwo.de<br />

FOTOS: CHRISTOF MATTES FÜR WIRTSCHAFTSWOCHE<br />

92 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Perspektiven&Debatte | Kost-Bar<br />

ALLES ODER NICHTS<br />

SEGLER IN ROSTOCK<br />

Wettfahrt der Haikutter<br />

Mehr als 200 Großsegler und Traditionsschiffe werden <strong>vom</strong> 7. bis 10. August<br />

zur 24. Hanse Sail Rostock, dem größten Volksfest Mecklenburg-Vorpommerns,<br />

erwartet. Neben Stars der Szene wie dem schnellen Dreimaster Stad Amsterdam,<br />

den russischen Viermast-Barken Kruzenshtern und Sedov sowie dem deutschen<br />

Segelschulschiff Gorch Fock haben in diesem Jahr zwei Neulinge ihren Auftritt: Der<br />

aus Portugal stammende, 1937 gebaute Viermaster Santa Maria Manuela bietet<br />

Tagesausflüge an, und der Frachtsegler Tres Hombres, ein umgebauter, motorloser<br />

Fischkutter, entlädt im Rostocker Stadthafen Rotwein und Kaffee, der im Fairtrade-<br />

Café verkauft werden soll. Zum Auftakt der Hanse Sail liefern sich Haikutter aus<br />

dem dänischen Nysted eine Wettfahrt. hansesail.com<br />

FESTIVAL AN DER RUHR<br />

Grenzenlos<br />

Der Intendant der Ruhrtriennale<br />

Heiner Goebbels setzt <strong>vom</strong> 15.8.<br />

bis 28.9. auf ein Musiktheater,<br />

das „die Grenzen zu anderen<br />

Künsten nicht mehr kennt“, das<br />

Musik, Installation und Tanz zu<br />

neuen Formen verbindet. Dafür<br />

steht Louis Andriessens Oper<br />

„De Materie“ über das Verhältnis<br />

von Geist und Materie<br />

ebenso wie Matthew Barneys<br />

filmisches Gesamtkunstwerk<br />

„River of Fundament“. Zu einem<br />

Konzert-Marathon lädt Jean-<br />

Guihen Queyeras: Er spielt alle<br />

sechs Cello-Suiten von Bach<br />

und dazwischen zeitgenössische<br />

Stücke.ruhrtriennale.de<br />

THE NEW YORKER<br />

MARCEL LOKO<br />

Gründer und Kreativgeschäftsführer<br />

der Werbeagentur<br />

Zum goldenen<br />

Hirschen<br />

Aktien oder Gold?<br />

Aktien und Zum goldenen<br />

Hirschen.<br />

iPhone oder Blackberry?<br />

Kreative sind treue Seelen.<br />

Apple. In guten wie in<br />

schlechten Zeiten.<br />

Cabrio oder SUV?<br />

Beide leider geil.<br />

Apartment oder Villa?<br />

Ich mag es, direkte Nachbarn<br />

zu haben.<br />

Paris oder London?<br />

Paris nach Verlängerung und<br />

Elfmeterschießen.<br />

Dusche oder Wanne?<br />

7:1 fürs Duschen.<br />

Maßschuhe oder Sneakers?<br />

Maßgeschneiderte Sneakers.<br />

Rotwein oder Weißwein?<br />

Ein großartiges, unglaublich<br />

spannend herausgespieltes<br />

Unentschieden.<br />

Jazz oder Klassik?<br />

Ja, es gibt großartigen<br />

Jazz. Aber auf die Dauer oft zu<br />

anstrengend. Also: Vivaldi,<br />

Albinoni und Debussy.<br />

Mountainbike oder Rennrad?<br />

Mountainbike – so oft wie ich<br />

auf den Bordstein knalle...<br />

Berge oder Meer?<br />

Wieder Unentschieden: Thrill<br />

beim Snowboarden, Entspannung<br />

am Strand.<br />

FOTOS: HANSE SAIL ROSTOCK, PR, CARTOON: HARRY BLISS/CONDÉ NAST PUBLICATIONS/WWW.CARTOONBANK.COM<br />

94 Redaktion: christopher.schwarz@wiwo.de<br />

Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Leserforum<br />

Mautstelle Warnowtunnel Autofahrer zahlen bereits seit 2005<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

Die Parlamentspause wird zum<br />

handfesten Beziehungstest für<br />

die Koalition. Heft 29/2014<br />

Zur Kasse bitten<br />

Leiden inzwischen sämtliche<br />

Beteiligten an Begriffsverwirrung<br />

und einseitiger Blindheit,<br />

wenn sie die angebliche Diskriminierung<br />

der ausländischen<br />

Autofahrer beklagen. Was ist gewollt?<br />

Mehr Geld für den Straßenbau.<br />

Warum nur von den<br />

ausländischen Benutzern? Weil<br />

wir bereits über Kfz- und Mineralölsteuern<br />

zur Kasse gebeten<br />

werden und Maut im Ausland<br />

entrichten müssen. Wir werden<br />

gegenüber den Fahrern aus<br />

Maut erhebenden Staaten diskriminiert.<br />

Deshalb sollte Bundesverkehrsminister<br />

Dobrindt<br />

zwei Dinge durchsetzen: die<br />

vollständige Verwendung von<br />

Kfz- und Mineralölsteuer für die<br />

Erhaltung und Verbesserung der<br />

Verkehrsinfrastruktur. Und er<br />

sollte auf die Einführung einer<br />

Vignettenpflicht in Deutschland<br />

nur für Kraftfahrzeuge aus Staaten<br />

bestehen, die ihrerseits Maut<br />

erheben.<br />

Jürgen Lux<br />

Endingen (Baden-Württemberg)<br />

Einblick<br />

Chefredakteur Roland Tichy über<br />

Deutschlands Sommermärchen und<br />

die Angst vor morgen. Heft 30/2014<br />

Klare Diktion<br />

Wieso „Angst vor morgen?“ In<br />

seiner gewohnt klaren Diktion<br />

nennt Roland Tichy die Gründe<br />

dafür. „Getrieben von der SPD,<br />

schreitet die Union auf dem Weg<br />

fort, den Einzelnen von aller Verantwortlichkeit<br />

seines Handelns<br />

oder Unterlassens zu befreien.<br />

So entsteht eine neue Moral, in<br />

der das Individuum nicht mehr<br />

für sein Schicksal verantwortlich<br />

ist, sondern irgendwelche<br />

Institutionen.“ Eine treffende<br />

Beschreibung der staatlichen<br />

Gängelei, neudeutsch „Nanny-<br />

Staat“, ist Roland Tichy mit dieser<br />

Bestandsaufnahme gelungen.<br />

Die von ihm eindrucksvoll<br />

charakterisierten Fakten sind in<br />

der Tat ein Grund für die „Angst<br />

vor morgen“.<br />

Erik Schneider<br />

Frankfurt<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

Energie: 1,4 Gigawatt Strom soll das<br />

Unterseekabel NordLink transportieren.<br />

Heft 30/2014<br />

Wenn der Wind weht<br />

Zur Klarstellung: 1,4 Gigawatt<br />

bezeichnet ein elektrisches<br />

Leistungsvermögen. Fließt das<br />

ganze Jahr die maximal mögliche<br />

Strommenge, dann werden<br />

12 264 Gigawatt (GWh) oder<br />

12,264 Terawattstunden (TWh)<br />

transportiert, was etwa zwei<br />

Prozent des deutschen Jahresverbrauchs<br />

entspricht. Anders<br />

ist bei einem Windpark an Land<br />

mit ebenfalls 1,4 GW installierter<br />

Leistung zu rechnen. Hier<br />

wäre trotz gleicher Nennleistung<br />

weniger als ein Fünftel<br />

dieser Jahresstrommenge zu erwarten,<br />

weil nur dann Strom<br />

produziert wird, wenn Wind im<br />

richtigen Stärkebereich weht,<br />

und das ist meistens eben nicht<br />

der Fall.<br />

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Althoff<br />

St. Wendel (Saarland)<br />

Politik&Weltwirtschaft<br />

EU Handelskommissar Gucht über die<br />

geringe Unterstützung bei den TTIP-<br />

Verhandlungen. Heft 30/2014<br />

Kapituliert<br />

Das Umweltinstitut München<br />

hat eine Musterantwort für das<br />

Konsultationsverfahren zum Investitionsschutzkapitel<br />

in der<br />

TTIP erstellt. Fast 32.000 Personen<br />

haben diese Musterantwort<br />

verwendet und sie unverändert,<br />

gekürzt oder durch eigene Überlegungen<br />

ergänzt in das Verfahren<br />

eingespeist. Aus unserer<br />

Sicht ist das keine Attacke auf<br />

das System der EU-Kommission<br />

und war auch nicht als solche<br />

geplant. Vielmehr ging es uns<br />

und den Teilnehmern darum,<br />

eine ablehnende Haltung zu<br />

TTIP, CETA und zum Investitionsschutz<br />

einzubringen. Immerhin<br />

dient das Konsultationsverfahren<br />

als Instrument zur<br />

Beteiligung der Öffentlichkeit.<br />

Deshalb ist es auch kaum nachvollziehbar,<br />

dass bei einem Verfahren<br />

für über eine halbe Milliarde<br />

EU-Staatsbürger die Server<br />

der Kommission bereits bei<br />

100000 Teilnehmern kapitulieren.<br />

Wenn Kommissar Karel De<br />

Gucht das nun als Angriff empfindet,<br />

zeigt das sehr deutlich,<br />

dass eine Beteiligung vieler Bürgerinnen<br />

und Bürger nicht erwartet<br />

und nicht erwünscht war.<br />

Karl Bär<br />

Umweltinstitut München e. V.<br />

München<br />

Geld&Börse<br />

Boston Consulting hat die zehn besten<br />

Aktien aus 16 Branchen herausgefiltert.<br />

Heft 29/2014<br />

Wenig ratsam<br />

Ein wesentlicher Aspekt ist die<br />

Umsetzbarkeit eines Papiers, ich<br />

habe die Aktie der chinesischen<br />

Hengan International Group untersucht,<br />

und es zeigt sich, dass<br />

sie selten an einer ausländischen<br />

Börse wie zum Beispiel<br />

Frankfurt oder New York gehandelt<br />

wird. Es ist meiner Ansicht<br />

nach deshalb nicht ratsam, einem<br />

Investor ein solches Papier<br />

anzubieten.<br />

Salomon Katzenstein<br />

via E-Mail<br />

Menschen der Wirtschaft<br />

Seitenblick: Der Flughafen Amsterdam-Schiphol<br />

legt einen Park gegen<br />

den Fluglärm an. Heft 28/2014<br />

Beeindruckend<br />

Ihr Beitrag hat mich beeindruckt.<br />

Diese Idee mit den „Bioschalldämpfern“<br />

gegen den<br />

Fluglärm müsste man doch<br />

auch an anderen Flughäfen umsetzen<br />

können.<br />

Dr. Ulrich Neumann<br />

Dortmund<br />

Perspektiven&Debatte<br />

Über die Kieler Woche und das<br />

Treffen der Segelschiffe aus aller<br />

Welt. Heft 25/2014<br />

Ein Mast zu viel<br />

Auf einem Foto wird die Gorch<br />

Fock erwähnt, und zwar mit<br />

dem Zusatz, dass ihr „mit der<br />

russischen Kruzenshtern ein<br />

weiterer Viermaster folge“. Ein<br />

weiterer? Bei dem Segelschulschiff<br />

Gorch Fock handelt es sich<br />

allerdings um eine Dreimastbark,<br />

also mitnichten um einen<br />

sogenannten Viermaster. Man<br />

muss kein ausgewiesener<br />

Fahrensmann sein, um das zu<br />

wissen, zierte die Gorch Fock<br />

doch jahrzehntelang den<br />

Zehn-D-Mark-Schein unserer<br />

Republik.<br />

Jens Heinrich Beckmann<br />

Industrieverband Schneidund<br />

Haushaltswaren<br />

Solingen<br />

Leserbriefe geben die Meinung des<br />

Schreibers wieder, die nicht mit der<br />

Redaktionsmeinung übereinstimmen<br />

muss. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen.<br />

WirtschaftsWoche<br />

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96 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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Hervorgegangen aus<br />

DER DEUTSCHE VOLKSWIRT<br />

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Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in<br />

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Franz W. Rother<br />

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Menschen der Wirtschaft Hermann J. Olbermann;<br />

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Jens Konrad Fischer, Malte Fischer, Hans Jakob Ginsburg<br />

Unternehmen & Märkte Reinhold Böhmer, Stephanie Heise;<br />

Jürgen Berke, Mario Brück, Henryk Hielscher,<br />

Rüdiger Kiani-Kreß, Michael Kroker, Peter Steinkirchner,<br />

Reporter: Anke Henrich, Hans-Jürgen Klesse, Jürgen Salz,<br />

Harald Schumacher, Dr. Andreas Wildhagen,<br />

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Technik & Wissen Lothar Kuhn; Thomas Kuhn, Dieter Dürand<br />

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Perspektiven & Debatte Thorsten Firlus-Emmrich;<br />

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Berlin Henning Krumrey; Dr. Christian Ramthun, Max Haerder,<br />

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Die Angaben bezeichnen den<br />

Anfang des jeweiligen Artikels<br />

A<br />

ABB..................................................................... 80<br />

Adidas............................................................19, 54<br />

Aercap................................................................. 11<br />

Air Baltic.............................................................. 16<br />

Airbus............................................................ 26, 80<br />

Aldi...................................................................... 46<br />

Alema.................................................................. 80<br />

Allianz..................................................................11<br />

Amazon................................................................67<br />

Amira...................................................................13<br />

Apple............................................................. 61, 86<br />

Argo Medical........................................................ 80<br />

B<br />

Banque de Luxembourg........................................ 88<br />

Barclays...............................................................84<br />

BASF....................................................................46<br />

Bastei Lübbe........................................................ 14<br />

Bayer............................................................. 50, 54<br />

Beiersdorf............................................................ 29<br />

Bilfinger............................................................... 52<br />

BNP Paribas......................................................... 85<br />

Boehringer Ingelheim............................................50<br />

Boeing............................................................11, 80<br />

Bombardier.................................................... 13, 14<br />

Robert Bosch........................................................40<br />

Boston Consulting Group.......................................52<br />

BP........................................................................26<br />

C<br />

CardSpring........................................................... 67<br />

Celesio.................................................................13<br />

Celonis.................................................................54<br />

Cirrus Airlines.......................................................16<br />

Cityjet.................................................................. 13<br />

Club Med..............................................................62<br />

Continental...........................................................72<br />

Cringle................................................................. 14<br />

Custodia...............................................................13<br />

D<br />

Daimler.................................................... 40, 58, 87<br />

DCNS................................................................... 26<br />

Deutsche BA........................................................ 16<br />

Deutsche Bank........................13, 26, 68, 74, 84, 85<br />

Deutsche Lufthansa........................................26, 28<br />

Deutsche Post...................................................... 72<br />

Deutsche Telekom.......................................... 72, 86<br />

DIC Asset............................................................. 74<br />

DPMC.................................................................. 46<br />

Dresdner Bank......................................................74<br />

E<br />

EDF......................................................................10<br />

Embraer............................................................... 13<br />

Enel..................................................................... 26<br />

EnBW...................................................................26<br />

Eni....................................................................... 26<br />

Eurodisney........................................................... 62<br />

Exasol.................................................................. 54<br />

Eyb & Wallwitz......................................................80<br />

F<br />

Facebook............................................................. 67<br />

Fanuc...................................................................80<br />

Fiat......................................................................61<br />

Fireeye.................................................................40<br />

Ford......................................................... 40, 58, 61<br />

Forest Finance......................................................89<br />

Foxconn...............................................................80<br />

Franke..................................................................90<br />

Fraport.................................................................26<br />

G<br />

Gazprom.............................................................. 26<br />

General Electric....................................................74<br />

General Motors.....................................................58<br />

German Accelerator..............................................54<br />

GFT......................................................................68<br />

Gilead.................................................................. 50<br />

GlaxoSmithKline................................................... 12<br />

Google................................................................. 80<br />

H<br />

Hapag-Lloyd.........................................................26<br />

Helaba................................................................. 74<br />

Henkel................................................................. 26<br />

Hermès................................................................ 62<br />

HHLA................................................................... 26<br />

Honda.................................................................. 74<br />

HTC.....................................................................64<br />

Hulu.....................................................................54<br />

Hyundai..........................................................58, 61<br />

I<br />

i_PARK.................................................................90<br />

IBM................................................................40, 86<br />

J<br />

JP Morgan............................................................84<br />

K<br />

Karstadt...............................................................72<br />

Kia................................................................. 58, 61<br />

Kuka.................................................................... 80<br />

L<br />

L’Oréal................................................................. 62<br />

Lendstar...............................................................14<br />

Lenovo................................................................. 86<br />

LG........................................................................58<br />

Lovoo...................................................................54<br />

LVMH...................................................................14<br />

M<br />

Malaysia Airlines...................................................11<br />

Malev...................................................................16<br />

Manz....................................................................89<br />

Marseille Kliniken................................................. 13<br />

Mattel.................................................................. 74<br />

McAfee................................................................ 40<br />

McKinsey....................................................... 72, 80<br />

Medtronic............................................................ 50<br />

Mercedes....................................................... 58, 61<br />

Merck.................................................................. 12<br />

Metro...................................................................46<br />

Microsoft........................................................40, 64<br />

Morgan Stanley.................................................... 84<br />

Moviepilot............................................................ 54<br />

N<br />

Nintendo.............................................................. 74<br />

Novatek................................................................26<br />

O<br />

Oculus..................................................................67<br />

Opera...................................................................54<br />

Oracle............................................................ 54, 68<br />

P<br />

Parstream............................................................ 54<br />

Payfriendz............................................................ 14<br />

PayPal..................................................................14<br />

Pfizer................................................................... 50<br />

Pinterest.............................................................. 54<br />

PIP.......................................................................50<br />

Playmobil............................................................. 14<br />

Porsche................................................................13<br />

Prokon................................................................. 89<br />

Q<br />

Quicksilver........................................................... 54<br />

R<br />

Rahvapank........................................................... 10<br />

Renault................................................................ 58<br />

Rewe..............................................................40, 46<br />

Rio Tinto...............................................................54<br />

Roche.................................................................. 50<br />

Rosneft................................................................ 26<br />

RWE.....................................................................40<br />

RZD..................................................................... 26<br />

S<br />

Saint-Louis-lès-Bitche...........................................62<br />

Samsung........................................................ 58, 64<br />

SAP......................................................................54<br />

Secunet................................................................40<br />

Siemens................................................... 26, 54, 80<br />

Simon Kucher und Partner.................................... 72<br />

Smaato................................................................ 54<br />

Small Improvements............................................. 54<br />

Snapchat..............................................................54<br />

Sony.....................................................................54<br />

Steep................................................................... 14<br />

Streetspotr...........................................................54<br />

Studiocanal.......................................................... 54<br />

Suez Environnement............................................. 62<br />

Sukhoi..................................................................13<br />

T<br />

Tchibo..................................................................46<br />

Telenor.................................................................86<br />

ThyssenKrupp...................................................... 52<br />

Tiffany..................................................................14<br />

Tinder.................................................................. 54<br />

TNK-BP................................................................26<br />

Toyota..................................................................58<br />

Trumpf.................................................................68<br />

20th Century Fox..................................................54<br />

Twitter............................................................54, 67<br />

V<br />

Varta....................................................................40<br />

Veolia...................................................................62<br />

Volkswagen.............................................. 13, 58, 61<br />

Volvo....................................................................40<br />

Voxeljet................................................................ 85<br />

Louis Vuitton........................................................ 62<br />

W<br />

Waha Capital........................................................ 11<br />

WhatsApp............................................................ 67<br />

Wittenstein...........................................................90<br />

Würth...................................................................90<br />

X<br />

Xing..................................................................... 54<br />

Y<br />

Yaskawa...............................................................80<br />

Z<br />

Zalando..........................................................54, 74<br />

Egon Zehnder....................................................... 74<br />

WirtschaftsWoche 28.7.2014 Nr. 31 97<br />

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Ausblick<br />

„Kompromiss ist,<br />

wenn alle Beteiligten gleich<br />

unglücklich sind.“<br />

Angela Merkel<br />

Bundeskanzlerin (CDU)<br />

„Diese Entscheidung fällt<br />

schwer, aber sie ist notwendig.“<br />

Satya Nadella<br />

Microsoft-Chef, zur Streichung von<br />

weltweit 18 000 Arbeitsplätzen<br />

„Ich bin auch bereit<br />

zu sagen, wir brauchen den Soli<br />

ab 2020 nicht mehr.“<br />

Wolfgang Schäuble<br />

Bundesfinanzminister (CDU), zum<br />

Solidaritätszuschlag, der 1991<br />

eingeführt wurde, um die Kosten der<br />

deutschen Einheit zu finanzieren<br />

„Es ist gut, dass vielfältige<br />

Handelsbeziehungen zu<br />

Russland bestehen. Es ist zudem<br />

eines der finanziell<br />

solidesten Länder überhaupt<br />

mit nur zehn Prozent<br />

Staatsverschuldung.“<br />

Karl-Erivan Haub<br />

Chef des Handelskonzerns<br />

Tengelmann<br />

„Gerade beim Tourismus<br />

und beim Einkauf<br />

in den Grenzregionen drohen<br />

wirtschaftliche Einbußen.“<br />

Martin Burkert<br />

SPD-Bundestagsabgeordneter und<br />

Vorsitzender des Bundestags-<br />

Verkehrsausschusses, zur Pkw-Maut<br />

für Ausländer<br />

„Wenn ein Mann eine<br />

klare Kante zeigt, dann ist er ein<br />

Entscheider. Wenn eine<br />

Frau durchgreift, will sie sich<br />

etwas beweisen oder ist zickig.“<br />

Elke Strathmann<br />

Ex-Personalvorstand beim Automobilzulieferer<br />

Continental, zum<br />

Rollenverständnis in Konzernen<br />

„Das Internet ist<br />

das erste von Menschen<br />

erschaffene Ding, das<br />

der Mensch nicht versteht. Es<br />

ist das größte Experiment<br />

in Anarchie, das es jemals gab.“<br />

Eric Schmidt<br />

Chef des Internet-Konzerns Google<br />

„Seien wir ehrlich.<br />

Wir haben in der Produktivität<br />

gegenüber den Kernwettbewerbern<br />

unverändert<br />

erheblichen Nachholbedarf.“<br />

Martin Winterkorn<br />

VW-Chef<br />

„Die Situation ist nicht so, als<br />

ob ich zwischen Krankenhaus<br />

und Gefängnis wählen müsste.“<br />

Michel Platini<br />

Präsident des Europäischen Fußballverbandes<br />

(Uefa), auf die Frage,<br />

ob er sich 2015 um das Präsidentenamt<br />

im Fußball-Weltverband Fifa<br />

bewerben will<br />

„Dacia ist eine große Sache.<br />

Wir glauben, dass es<br />

Möglichkeiten für Opel gibt,<br />

mit so etwas wie einem<br />

Einstiegsmodell auf den<br />

Markt zu kommen.“<br />

Karl-Thomas Neumann<br />

Opel-Chef, über die Renault-Tochter<br />

als Vorbild für den Bau von Billigautos<br />

„Wir wachsen profitabel, unsere<br />

Strategie trägt Früchte.“<br />

Dieter Zetsche<br />

Daimler-Vorstandsvorsitzender,<br />

über den Quartalsumsatz von mehr<br />

als 31 Milliarden Euro<br />

„Ich habe Glück gehabt,<br />

sehr viel Glück.“<br />

Karl Albrecht<br />

(1920–2014) Mitbegründer der<br />

Discountkette Aldi<br />

»Mit drei Arbeitstagen pro Woche<br />

hätten wir mehr Zeit, uns zu<br />

entspannen, und mehr Lebensqualität.«<br />

Carlos Slim<br />

Chef des mexikanischen Telekommunikationskonzerns Telmex und<br />

einer der reichsten Männer der Welt<br />

„Ich hatte zuerst ,Millionen‘<br />

verstanden. Als ein Anwalt<br />

mir sagte, dass es um Milliarden<br />

geht, war das unglaublich.“<br />

Cynthia Robinson<br />

Witwe eines Kettenrauchers,<br />

über die Zahlung von 23 Milliarden<br />

Dollar (17 Milliarden Euro) Schadensersatz,<br />

die ein US-Gericht gegen den<br />

Zigarettenhersteller R.J. Reynolds<br />

Tobacco Company verhängte<br />

„Es ist ein Potemkinsches Dorf<br />

hier, grotesk, so wie ich<br />

es erwartet hatte. Ich fühle<br />

mich wie damals, als ich angefangen<br />

habe, in der Wirtschaft<br />

zu arbeiten. Ganz unten.“<br />

Hans-Olaf Henkel<br />

neuer AfD-Abgeordneter im<br />

EU-Parlament und ehemaliger<br />

IBM-Manager, über das EU-Parlament<br />

und sein Brüsseler Büro<br />

ILLUSTRATION: TORSTEN WOLBER<br />

98 Nr. 31 28.7.2014 WirtschaftsWoche<br />

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