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SPRACHROHR 5/2009

Zeitung des ver.di-Landesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg.

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1|06 5|09 sprachrohr<br />

Musik<br />

Fachgruppe<br />

Wir wir Nachrufe<br />

über uns<br />

Jedem Kind ein Instrument<br />

Großgruppenprojekte müssen an Bedingungen geknüpft werden<br />

Das seit dem Schuljahr 2005/<br />

2006 in Nordrhein-Westfalen<br />

laufende Projekt »Jedem Kind<br />

ein Instrument« erfreut sich in<br />

der bildungspolitischen Landschaft<br />

mittlerweile großer Beliebtheit<br />

und wird auch in anderen Bundesländern<br />

implementiert. Diesem<br />

Projekt liegt die außerordentlich<br />

begrüßenswerte Idee zugrunde,<br />

jedem Kind unabhängig von<br />

seiner sozialen Herkunft den Zugang<br />

zu musikalischer Betätigung<br />

und damit kulturelle Teilhabe zu<br />

ermöglichen. Dieses Projekt ist<br />

bislang jedoch nicht wirklich zu<br />

Ende gedacht. Offene Probleme<br />

betreffen die finanzielle Absicherung,<br />

die Nachhaltigkeit, den Status<br />

der Lehrkräfte und die musikalische<br />

Qualität.<br />

Über die Erfahrungen der ersten<br />

beiden Projektjahre in NRW<br />

liegt mittlerweile auch eine Begleitstudie<br />

(Beckers & Schulten<br />

2007) vor. Dort werden vor allem<br />

drei Problembereiche genannt:<br />

Erstens: Die Kinder nehmen den<br />

Unterricht sehr positiv wahr, sind<br />

aber sehr unterschiedlich motiviert<br />

zu üben. Dies wirkt sich auf<br />

das musikalische Leistungsniveau<br />

der Gruppen negativ aus. Zweitens:<br />

Es gibt teilweise gravierende<br />

organisatorische Probleme in der<br />

Zusammenarbeit mit den Schulen.<br />

Drittens: Es werden vor allem<br />

die Kinder erreicht, deren Eltern<br />

Zusätzlich und<br />

nicht anstatt<br />

ohnehin Interesse an Kultur haben,<br />

weniger Kinder aus bildungsfernen<br />

Schichten.<br />

Großgruppenprojekte wie »Jeki«<br />

werden bildungstheoretisch<br />

damit begründet, man erreiche ein<br />

größeres Publikum, noch dazu aus<br />

bildungsfernen Schichten. Tatsächlich<br />

scheint das »sozialere« Projekt<br />

»Jeki« jedoch in erster Linie<br />

bürgerliche Mittelschichtskinder<br />

anzusprechen. Damit wäre das<br />

Hauptanliegen des Projekts verfehlt.<br />

Außerdem: Der »Jeki«-Unterricht<br />

scheint in erster Linie außermusikalische<br />

Transfereffekte –<br />

wie eine Steigerung der Konzentrationsfähigkeit<br />

oder ein weniger<br />

aggressives Sozialverhalten – statt<br />

Fertigkeiten auf dem Instrument<br />

zu erzeugen. Die Wissenschaftler<br />

warnen jedoch davor, selbst solche<br />

Effekte überzubewerten.<br />

Damit ein Projekt wie »Jeki«<br />

seinen Anspruch, einen wertvollen<br />

Beitrag zur musikalischen Bildung<br />

und zur Chancengerechtigkeit<br />

zu leisten, tatsächlich einlösen<br />

kann, müssen nach Auffassung<br />

der Fachgruppe Musik Berlin-Brandenburg<br />

folgende Bedingungen<br />

erfüllt werden:<br />

• »Jeki« muss für alle Kinder zumindest<br />

über einen Zeitraum<br />

von ein bis zwei Jahren verpflichtend<br />

sein, damit auch<br />

Kinder aus bildungsfernen<br />

Schichten erreicht werden.<br />

• Für alle Kinder, die dies wollen,<br />

muss im Anschluss an »Jeki«<br />

die Möglichkeit gegeben sein,<br />

den Unterricht an einer Musikschule<br />

fortzusetzen. Bei entsprechendem<br />

Bedarf muss die<br />

Möglichkeit einer Befreiung<br />

von den Unterrichtsgebühren<br />

bestehen sowie müssen Leihinstrumente<br />

kostenlos überlassen<br />

werden. Das bedeutet:<br />

Ausbau und entsprechende finanzielle<br />

Ausstattung der Musikschulen.<br />

• »Jeki« muss zusätzlich zum<br />

Musikschulunterricht stattfinden.<br />

Wenn »Jeki« zusätzlich zu<br />

bewährten Angeboten der Musikschulen<br />

stattfindet, bietet es<br />

eine sinnvolle Möglichkeit der<br />

Vernetzung von Musikschule<br />

und Schule.<br />

• Die Durchführung von »Jeki«<br />

darf nicht von privater finanzieller<br />

Förderung abhängen.<br />

• Zur Qualitätssicherung müssen<br />

überprüfbar solche Lernziele<br />

formuliert sowie ein Curriculum<br />

erarbeitet werden.<br />

• Die Bedeutung musikpädagogischer<br />

Lernziele darf nicht zugunsten<br />

fragwürdiger Transfer­<br />

effekte in den Hintergrund treten.<br />

• Der Unterricht soll ausschließlich<br />

von fest angestellten Musikschullehrkräften<br />

erteilt werden,<br />

die gleichberechtigt im<br />

Team mit den fest angestellten<br />

Lehrern der allgemein bildenden<br />

Schulen unterrichten.<br />

Was den Status der Lehrkräfte<br />

betrifft, steht in einem Bundesvland<br />

wie Berlin mit einem Anteil<br />

von ca. 90 Prozent Honorarlehrkräf<br />

ten an Musikschulen zu befürchten,<br />

dass der »Jeki«-Unterricht<br />

überwiegend von eben diesen<br />

sozial und finanziell völlig unzureichend<br />

abgesicherten Honorarlehrkräften<br />

erteilt werden wird.<br />

Die Stellen, die derzeit in NRW<br />

geschaffen werden, werden größten<br />

teils durch die Unterrichtsgebühren<br />

der Eltern finanziert. Wie<br />

aber soll das gehen, wenn die<br />

Forderung des Landesmusikrates<br />

Berlin nach Entgeltfreiheit für alle<br />

Kinder eingelöst wird? Vermutlich<br />

wieder auf Kosten der Musikschullehrkräfte,<br />

die den hauptsächlichen<br />

Kostenfaktor für dieses<br />

Projekt darstellen. Wie viel dem<br />

Berliner Senat die in Kooperationen<br />

zwischen Musikschule und<br />

allgemein bildender Schule tätigen<br />

Musikschullehrkräfte wert sind,<br />

hat sich gezeigt, als deren Honorare<br />

im Jahr 2008 um etwa ein Drit tel<br />

gesenkt wurden. Anja Bossen<br />

Festanstellung bleibt das Ziel<br />

Tarifkampagne und Tarifforderungen für Honorarkräfte beschlossen<br />

Der<br />

Landesfachgruppenvorstand<br />

Musik hat vom 27. bis<br />

28. August <strong>2009</strong> in der ver.di-<br />

Jugendbildungs stätte Berlin-Konradhöhe<br />

eine Klausurtagung<br />

durchgeführt. Wichtige Themen<br />

waren der Start einer Tarifvertragskampagne<br />

für Berlin unter<br />

dem Arbeitstitel »Aktionsbündnis<br />

Tarifvertrag«; die Arbeitsstrukturen<br />

des Landesfachgruppenvorstandes;<br />

die Volks initiative des<br />

Landesverbandes der Musikschulen<br />

Brandenburg zum Musikschulgesetz<br />

30.000 Unterschriften<br />

der Volksinitiative zwingen<br />

den Landtag, sich im November<br />

mit den Forderungen nach Modifizierung<br />

des Musikschulgesetzes<br />

zu befassen (siehe Sprachrohr<br />

04/<strong>2009</strong>, Seite 11).<br />

Auf der Tagung wurde der Beschluss<br />

gefasst, für die arbeitnehmerähnlichen<br />

Honorarkräfte in<br />

Berlin eine Tarifkampagne durchzuführen,<br />

um die derzeitig prekäre<br />

Situation der MusikschullehrerInnen<br />

zu verbessern. Ähnliches ist<br />

auch für Brandenburg geplant. Hier<br />

werden die Ergebnisse der Novembersitzung<br />

des Landtages abgewartet.<br />

Die wesentlichsten Forderungen<br />

für die Kampagne und<br />

den angestrebten Tarifvertrag nach<br />

Tarifvertragsgesetz § 12 a sind:<br />

• Differenzierung von Honoraren,<br />

z.B. denkbar nach den Kategorien<br />

Einzelunterricht / En semble<br />

arbeit, Früherziehung, Kooperation<br />

mit Schulen<br />

Mit Aktionsbündnis<br />

prekäre Lage ändern<br />

• Kündigungsschutz (in Anlehnung<br />

an BAT/TVöD nach Altersstufen)<br />

• Mutterschutz (Mütter sollen<br />

nach dem Erziehungsurlaub das<br />

gleiche Stundendeputat erhalten<br />

wie vor dem Erziehungsurlaub,<br />

also Beschäftigungssicherung)<br />

• Honorarfortzahlung im Krankheitsfall<br />

ab dem ersten Tag zu<br />

100 Prozent<br />

• Zuschüsse zu einer freiwilligen<br />

Altersvorsorge wie bei den Volkshochschul-Lehrkräften,<br />

da die<br />

Rente bei dem überwiegenden<br />

Teil der LehrerInnen nicht ausreicht<br />

und vom Honorar nicht genug<br />

übrig bleibt, um auf eigene<br />

Kosten eine Zusatzversicherung<br />

abzuschließen.<br />

Ein Tarifvertrag nach § TV 12 a ist<br />

für den Fachgruppenvorstand nur<br />

eine Übergangsphase zum TVöD/<br />

BAT. Die Forderung, dass Musikschullehrer<br />

grundsätzlich fest angestellt<br />

sein sollten, bleibt bestehen!<br />

<br />

Reiner Melle<br />

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