SPRACHROHR 5/2009
Zeitung des ver.di-Landesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg.
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lickpunkt sprachrohr 5|09<br />
Vorbei an 116 Kameras<br />
Überwachungsdemo: Bsirske fordert Arbeitnehmerdatenschutzgesetz<br />
Auf 4,8 Kilometern Wegstrecke<br />
sind 116 sichtbare Kameras<br />
installiert. Das hat im Vorfeld<br />
der am 12. September in der<br />
Mitte Berlins stattgefundenen Demonstration<br />
»Freiheit statt Angst<br />
– Stoppt den Überwachungswahn«<br />
die »tageszeitung« (taz)<br />
festgestellt. Konkret: alle 41,38<br />
Meter liefen die 25.000 Teilnehmer<br />
an einer Überwachungskamera<br />
vorbei. Egal ob vor Ministerien,<br />
Banken, Geschäften oder<br />
Privathäusern – die Überwachung<br />
des öffentlichen Raums ist beinahe<br />
lückenlos. Weil die Sammelwut<br />
staatlicher Stellen und privater<br />
Un ternehmen immer größer<br />
wird, fand die Demonstration<br />
zum dritten Mal statt. <strong>2009</strong> riefen<br />
167 Organisationen aus beinahe<br />
allen gesellschaftlichen Bereichen<br />
zu dem Protest auf. Darunter<br />
auch ver.di und die Deutsche<br />
Journalisten Union (dju) in<br />
ver.di. Insgesamt repräsentieren<br />
die Bürgerinitiativen, Menschenrechtsorganisationen,<br />
Netzaktivisten<br />
und Berufsverbände weit<br />
über drei Millionen Mitglieder.<br />
»Wir leben doch nicht in einer<br />
Bananenrepublik«, rief ver.di-Chef<br />
Sonnenschein bei der Demo im Zeichen der Datenkrake …<br />
Frank Bsirske den Datenschutzaktivisten<br />
zu. Die Arbeitnehmerbespitzelungen<br />
bei Lidl und Schlecker,<br />
der Deutschen Bank, der Telekom<br />
und der Bahn AG seien<br />
keine Einzelfälle. »Arbeitnehmer,<br />
Gewerkschafter, aber auch Journalisten<br />
und viele andere Bürgerinnen<br />
und Bürger werden zunehmend<br />
bespitzelt und überwacht«<br />
monierte Bsirske. »Damit<br />
Noch Nacharbeiten für Nasse?<br />
Foto: Chr. v. Polentz / transitfoto.de<br />
Öffentliches Interesse für Praktikantenstreik auf dem Potsdamer Platz<br />
Großes Wohlwollen<br />
auch von Touristen<br />
Es war ein strahlend schöner,<br />
goldener Herbsttag, als sich<br />
rund 200 junge Leute am Potsdamer<br />
Platz zum Streik versammelten.<br />
Doch zum Strahlen war den<br />
Protestierern nicht zumute. Nach<br />
einer fundierten Ausbildung hängen<br />
sie nämlich in der Praktikumsschleife<br />
fest. Während andere,<br />
die ihren Abschluss in naturwissenschaftli<br />
chen oder technischen<br />
Fächern gemacht haben,<br />
als Bewerber hofiert werden und<br />
mit einem netten Gehaltsscheck<br />
rechnen können, schaut es für<br />
junge Leute, die beruflich in den<br />
Mediensektor einsteigen wollen,<br />
eher schlecht aus. Denn sie sind<br />
viele, sie sind begeisterungs- und<br />
auch ziemlich leidensfähig. Für<br />
wenig oder gar kein Geld lassen<br />
sie sich mit sogenannten Praktika<br />
abspeisen, leisten aber meist<br />
handfeste Arbeit und sind keineswegs<br />
nur Lernende, sondern oft<br />
bereits Produzierende.<br />
Deshalb haben acht junge Menschen<br />
der Praktikumsinitiative<br />
»creative village« mit Unterstützung<br />
von DGB, ver.di, GEW, Fairwork<br />
und anderen am 9. Oktober<br />
ihre LeidensgenossInnen zum öffentlichkeitswirksamen<br />
Streik versammelt.<br />
Während die Redner<br />
die Ausbeutung und Vertröstung<br />
der Praktikanten mit der Aussicht<br />
auf spätere Jobs anprangerten,<br />
erklärten diese im Gespräch nicht<br />
nur einmal, dass sie an ihrem wenig<br />
oder unbezahlten Arbeitsplatz<br />
hatten versprechen müssen,<br />
»die Zeit wieder reinzuholen«,<br />
die sie nun auf dem Potsdamer<br />
Platz verbrachten.<br />
Beobachtet wurde die Protestveranstaltung<br />
an diesem Freitagvormittag<br />
natürlich auch von vielen<br />
Touristen – und das Wohlwollen<br />
für die Aktion war groß. »Das<br />
gibt es auch bei uns in Holland«,<br />
»bei uns in Schweden« und ähnliche<br />
Kommentare waren zu hören.<br />
Denn dieses »System Praktikum«<br />
ist kein deutsches Phänomen.<br />
Mit ihren weißen Masken<br />
demonstrierten die Angehörigen<br />
der »Generation Praktikum« oder<br />
»Génenération précaire« auch in<br />
Paris oder Madrid.<br />
Für Renate Gensch, stellvertretende<br />
Landesvorsitzende der<br />
Deutschen Journalistinnen- und<br />
Journalisten-Union dju in Berlin-<br />
Brandenburg, gibt es für Praktikanten<br />
vor allem eine Anlaufstelle,<br />
die ihnen in der Firma helfen<br />
muss Schluß sein.« Im verantwortungsvollen<br />
Umgang mit Informations-<br />
und Kommunikationstechniken<br />
müsse der Staat mit<br />
gutem Beispiel vorangehen. »Datensparsamkeit<br />
und die Wahrung<br />
der informationellen Selbstbestimmung<br />
sollen sein oberstes<br />
Ziel sein.« Bsirske forderte ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz<br />
als<br />
überfällig. Rolf Gössner, Rechtsanwalt<br />
und Publizist und Präsident<br />
der Internationalen Liga für<br />
Menschenrechte, bescheinigte<br />
den deutschen Politikern ein »katastrophales<br />
Verfassungsbewußtsein«.<br />
Sie überzögen das Land<br />
mit grundgesetzwidrigen Antiterrorgesetzen,<br />
die auf Kosten der<br />
Freiheit gingen. »Eine Politik, die<br />
uns, die Bürger dieses Landes, in<br />
erster Linie als potenzielle Terroristen,<br />
Kinderschänder oder<br />
Amokläufer sieht, zerstört die<br />
Daten auf Vorrat –<br />
Täter auf Abruf<br />
Grundlagen unserer Demokratie«,<br />
bewertet Fran ziska Heine die<br />
Datensammelwut des Innenministers.<br />
Heine hatte im Frühjahr die<br />
Onlinepetition gegen Netzsperren<br />
an den Bundestag initiiert.<br />
Beim Marsch vorbei an den 116<br />
Kameras skandierten die 25.000<br />
DemonstrationsteilnehmerInnen<br />
Parolen wie »Einmal in der EDV,<br />
kennt dich jede Sau« oder »Daten<br />
auf Vorrat – Täter auf Abruf«.<br />
Den regen Zulauf werteten die<br />
Veranstalter als »vollen Erfolg«.<br />
Rena Tangens, Sprecherin des<br />
Bündnisses, weiter: »Das zeigt<br />
uns, dass die Leute keineswegs<br />
politikverdrossen sind – sie haben<br />
nur kein Vertrauen in die herrschende<br />
Politik.« <br />
fre<br />
Foto: Chr. v. Polentz / transitfoto.de<br />
… und für die weißen Masken<br />
kann: den Betriebsrat. Das Gremium<br />
kann Einspruch erheben,<br />
um das Praktikantenunwesen einzudämmen.<br />
Aber eines können<br />
nur die jungen Leute selbst: mit<br />
Selbstvertrauen auf ihre Fähigkeiten<br />
Praktika nach dem Studium<br />
abzulehnen. <br />
sus<br />
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